FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




[Seite der Druckausgabe: 1]

l. Thüringen: landschaftliche und kulturhistorische Prägung

Als ein wichtiger, die Attraktivität einer Region erhöhender Ansiedlungsfaktor für Industrie und Gewerbe, für die Entwicklung von Wissenschafts- und Technologiezentren usw. gilt in der modernen Welt das Angebot von Kultur, Landschaft und Freizeitmöglichkeiten. Zweifellos ist die Kulturlandschaft Thüringens zusammen mit der natürlichen Schönheit des Landes ein großer Vorteil für die wirtschaftliche Entwicklung und ein Motor für die Wiederbelebung eines die engen Grenzen der Bundesländer überschreitenden Tourismus.

Die Region, die uns heute als Thüringen bekannt ist, hat eine landschaftlich sehr vielfältige Gliederung und eine lange, wechselvolle Geschichte. Daraus sind eine charakteristische Lebensweise und eine unverwechselbare Kulturtradition entstanden - "Berge und Burgen, Rennsteig und Rostbratwurst, Klöße und Klassik" - , die es offenbar erlauben, Thüringen bei aller Vielfalt als Einheit zu begreifen und zu beschreiben, zugleich aber auch dazu zwingen, der regionalen Differenzierung mit Respekt zu begegnen.

Thüringen gilt seit langem als das "Grüne Herz" Deutschlands, und grün ist es nach wie vor. Der Thüringer Wald ist das größte zusammenhängende Waldgebiet der Bundesrepublik und war neben der Ostseeküste das beliebteste Urlaubsziel der DDR-Bevölkerung. Ineinander verschlungene Höhenzüge und die eiszeitliche Zertalung der Landschaft ließen großflächigen Ackerbau nur in bestimmten Regionen bedingt zu.

Die landschaftliche Prägung Thüringens geht vom Thüringer Becken in der Mitte aus. Es gliedern sich die Höhenzüge und Täler des Thüringer Waldes, des Schiefergebirges und der thüringisch-vogtländischen Hochflächen im Süden an. Vom Norden, dem Nordthüringer Hügelland und dem Eichsfeld, erstreckt sich nach Süden das Westthüringer Bergland und die llm-Saale- und die Saale-Elster-Platte. Im Südwesten wiesen das Werra-Bergland und die Vorderrhön nach Franken hinüber.

Die Region blickt auf eine anderthalbtausendjährige aufgeschriebene und überlieferte Geschichte zurück. Sie beginnt mit dem Thüringer Königreich von etwa 400 n. Chr. bis in die Mitte des 6. Jahrhunderts; dem schließen sich bis ins 13. Jahrhundert die Herrschaft diverser Thüringer Herzogtümer und Grafschaften an. Die Region war ein Zentrum des Deutschen Bauernkrieges. Die wechselvolle Geschichte war immer mit ihrer territorialen Zersplitterung ver

[Seite der Druckausgabe: 2]

bunden, wie sie sich z.B. im 17. Jahrhundert zeigte, als 26 Landesherren ihre Oberhoheit ausübten sowie auch gegen Ende des 18. Jahrhunderts, als elf thüringische und vier außerthüringische Staaten existierten. Das Wartburgfest der deutschen Burschenschaften war eine wichtige Station auf dem Weg zur Revolution von 1848. Die Städte Eisenach, Erfurt und Gotha (Gründung der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands 1875, Gothaer Programm) sind Marksteine der deutschen Arbeiterbewegung. Seit 1920, als sich sieben Staaten zum "Freistaat" Thüringen: Großherzogtum Sachsen, die Herzogtümer Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg-Gotha und Sachsen-Meiningen und die Fürstentümer Schwarzburg-Rudolstadt sowie Reuß jüngere und Reuß ältere Linie bis zum Beginn der nationalsozialistischen Diktatur 1933 zusammenschlossen, begann die Zeit einer eher übersichtlichen Gliederung des Territoriums.

Aus der Geschichte dieses von vielen Fürstenhäusern beherrschten Landes, deren Höfe und Landsitze häufig auch Zentren kultureller Entwicklung waren, ist über das Land verteilt eine Vielzahl von Sehenswürdigkeiten entstanden, die für den Tourismus eine wunderbare Ergänzung zu den landschaftlichen Schönheiten darstellen.

Da sind neben dem Zentrum der deutschen Klassik, Weimar, das 1250 Jahre alte Erfurt zu nennen, das mit Dom und Severin-Kirche, vor allem aber mit der Altstadt und der Krämergasse daran erinnert, daß der Reichtum Thüringens traditionell auch eng mit dem Handel verknüpft war. Bedeutende Handelswege kreuzten schon im Mittelalter das Land. Da sind das mächtige Barockschloß Friedenstein in Gotha, das Kyffhäuser-Denkmal, das Theater in Meiningen sowie die Wartburg. Die "Dreigleichen"-Burgen, deren Geschichte nichts miteinander zu tun hatte, wenn man davon absieht, daß alle drei Burgen in einer Gewitternacht in Flammen aufgingen, und das Dix-Museum in Gera gehören zu den unterschiedlichen Anziehungspunkten. Abseits der bekannten Routen befindet sich Heiligenstadt, die Geburtsstadt Tilman Riemenschneiders, in der auch Theodor Storm lebte und als Dorfrichter seinen Unterhalt verdiente. In Bad Frankenhausen ist das flächenmäßig, vor allem aber künstlerisch größte Historienbild Deutschlands, "Frühbürgerliche Revolution" von Werner Tübke zu sehen, Lucas Cranach's Originalgemälde sind in der Stadtkirche zu Weimar zu bewundern, Marc Chagall ergänzte die gotischen Bildfenster im Dom zu Erfurt um ein von ihm geschaffenes. Über die Spuren von J.S. Bach stolpert man in Arnstadt, wo auch Courts-Mahler ihre Herz- und Schmerz-Romane erdachte. Zu den Theaterstädten gehören Rudolstadt, Nordhausen, Altenburg neben

[Seite der Druckausgabe: 3]

Weimar, Erfurt und Meiningen. Die Aufzählung von Wegmarken deutscher Kultur ließe sich fortsetzen.

Seit der Verwaltungsreform in der DDR 1952 bis zum Oktober 1990 bestand Thüringen aus den Bezirken Erfurt, Gera und Suhl.

Das "grüne Herz Deutschlands" ist mit 16.000 qkm das kleinste der fünf neuen Bundesländer. Auf der Gesamtfläche leben 2,6 Mio. Einwohner. Das Land grenzt an die Bundesländer Bayern, Hessen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Sachsen.

Auf dem Territorium befinden sich 40 Stadt- und Landkreise sowie 1.669 Städte und Gemeinden, von denen mehr als 90 Prozent weniger als 500 Einwohner haben. 90 Prozent der Gemeinden haben weniger als 2.000 Einwohner. Die drei Großstädte (mit mehr als 100.000 Einwohnern) sind die Landeshauptstadt Erfurt, Jena und Gera. Eine kommunale Gebiets- und Funktionalreform soll hier durch die Zusammenlegung von Verwaltungseinheiten die Leistungsfähigkeit erhöhen und die Verwaltungen effizienter machen. Insbesondere im Hinblick auf das Planungsgeschehen wie Bauleitplanung, Ausweisung von Wohn- und Erholungsgebieten ist hier Straffung erforderlich.

Eine Kommission aus ost- und westdeutschen Vertretern aus (Kommunal-) Politik und Wissenschaft hat in Erfurt eine erste Karte mit Vorschlägen zur Neugliederung vorgelegt. Sie sieht 17 statt der bisherigen 35 Landkreise vor. Anhörungen und Diskussionen von Vorschlägen finden unter Zeitdruck statt, denn wenn die Kommunalwahlen 1994 in den neuen Grenzen stattfinden sollen, so muß das Gesetz zur Neugliederung bis zum Sommer 1993 eingebracht und bis Ende 1993 verkündet sein. Einsicht in die Notwendigkeit dieser Maßnahme bei allem Respekt vor der gerade gewonnenen Möglichkeit zur demokratischen Selbstbestimmung dokumentiert der freiwillige Zusammenschluß von Gemeinden zu größeren Einheiten durch die Bildung von Einheitsgemeinden, in denen Gemeinden mit insgesamt 5.000 bis 7.000 Einwohnern zusammengefaßt sind. Für den Aufbau dieser gemeindeübergreifenden Kooperationen auf freiwilliger Basis wurde von der Landesregierung 1992 18,5 Mio. DM aus Haushaltsmitteln bereitgestellt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

Previous Page TOC Next Page