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4. Sitzung: Probleme der Rechtsstaatlichkeit im Zusammenhang mit der Industrie- und Subventionspolitik

Ernst-Joachim Mestmäcker [ Fn. 5: Siehe auch Mestmäcker, "Widersprüchlich, verwirrend und gefährlich". Wettbewerbsregeln oder Industriepolitik: Nicht nur in diesem Punkt verstößt der Vertrag von Maastricht gegen bewährte Grundsätze des Vertrages von Rom, FAZ v. 10.10.1992, S. 15.] :

Die Frage der Rechtsstaatlichkeit der Politik der Gemeinschaft läßt sich grundsätzlich unter drei, miteinander verbundenen Gesichtspunkten diskutieren, und zwar erstens dem Gesichtspunkt der Ziele der Gemeinschaft (Art. 2 und 3 EGV), zweitens dem Gesichtspunkt der Kompetenzen und Verfahren und drittens dem Gesichtspunkt der sich aus dem EWGV ergebenden materiell-rechtlichen Kriterien. Das bereits in der 3. Sitzung diskutierte, mit dem Maastricht-Vertrag neu eingeführte Konvergenzkriterium ist nicht etwa nur als ein Kriterium für den Übergang in die Währungsunion normiert, sondern es ist als eine Gemeinschaftszielbestimmung in Art. 2 EGV aufgenommen worden. Es wird damit zu einem Kriterium, nach dem alle Maßnahmen und Politiken der Gemeinschaft zu beurteilen sind. Das Ziel, "den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern", wird mit dem Maastricht-Vertrag umgesetzt in eine ganze Reihe von neuen, zusätzlichen Politikbereichen. Der wichtigste dieser neuen Bereiche findet sich in Titel XIV EGV, nämlich die Politik des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts. Diese Politik ist im Kern Beihilfenpolitik, denn es geht um die Finanzhilfen der Gemeinschaft in den verschiedenen Zusammenhängen, die der Titel XIV zusammenfaßt und ergänzt [ Fn. 6: Titel XIV nennt die folgenden Finanzierungsinstrumente: Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft, Sozialfonds, Fonds für regionale Entwicklung, Finanzierungsinstrumente der Europäischen Investitionsbank, Kohäsionsfonds.] . Weitere neue Politikbereiche sind die Industriepolitik, die Politik der Forschung und Entwicklung und die Politik der transeuropäischen Netze. Die Ziele dieser Politiken sind zugleich Ziele der Gemeinschaft i.S.v. Art. 3 EGV. Das wichtigste Instrument zur Verwirklichung dieser Ziele sind Finanzhilfen der Gemeinschaft.

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Es stellt sich die Frage, wie sich die Ermächtigung zu diesen Politiken zu den bisherigen Regeln über Beihilfen verhält.

Art. 92 EGV ist eine der wenigen wirtschaftsrechtlichen Vorschriften, die anhand materiell-rechtlicher Kriterien die Zulässigkeit staatlicher Beihilfen beschränkt. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die Justiziabilität dieser Vorschrift allerdings gering: Der Gerichtshof überprüft nur das Verfahren und läßt für die inhaltliche Begründung einen weiten Beurteilungsspielraum. Art. 92 EGV betrifft jedoch nur die staatliche Beihilfengewährung und regelt nicht die Beihilfen durch die Gemeinschaft. Diesbezüglich besteht eine besondere politische Dynamik, die das folgende Beispiel illustriert. Bundesforschungsminister Riesenhuber hat jüngst vor der Presse folgende Erklärung abgegeben: Erstens sei es für die internationale Wettbewerbsfähigkeit wichtig, eine deutsche und europäische Halbleiterindustrie zu haben. Zweitens wolle die Bundesregierung keine Staatsunternehmen in Deutschland; wenn aber der Staat in diesem Bereich tätig werden solle, dann habe dies über den Haushalt der Europäischen Gemeinschaft zu erfolgen. Deutlich wird an diesem Beispiel die notwendige Wirkung der von der Gemeinschaft verwalteten Fonds. Jeder Mitgliedstaat, auch wenn er sich industriepolitisch noch so enthaltsam verhalten will, ist im Grunde gezwungen, für die eigene Industrie soviel wie möglich aus Brüssel zurückzuholen. Dieser Mechanismus kennzeichnet die Wirkungen einer Vergemeinschaftung der Beihilfenpolitik.

Für die im Maastricht-Vertrag neubegründeten oder konkretisierten Zuständigkeiten der Gemeinschaft enthält der Maastricht-Vertrag auch neue Verfahrensvorschriften, deren wichtigste der Art. 189c EGV ist. In dem dort geregelten - ausgesprochen komplizierten - Verfahren der Zusammenarbeit zwischen Kommission, Rat und Parlament wird zukünftig über die Beihilfen in den Bereichen Kohäsionsfonds, Regionalfonds, Strukturfonds und Forschung und Entwicklung entschieden werden. Das Zusammenarbeitsverfahren betrifft allerdings nicht die Industriepolitik; dort handeln Kommission und Rat allein. Es stellt sich nun natürlich die Frage, welche materiell-rechtlichen Kriterien für die Entscheidung über die Beihilfen gelten sollen. Dafür kommen nur die allgemeinen Zielbestimmungen des EGV (Ausgleichung der regionalen Unterschiede, Konvergenz usw.) in Betracht. Zur materiell-rechtlichen Überprüfbarkeit dieser Entscheidungen nun folgende These: Eine solche

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Überprüfung durch den EuGH wird weder durch das Konvergenzkriterium noch durch das neu eingefügte Kriterium der Subsidiarität gewährleistet. Zur Begründung dieser These sei ein Beispiel aus dem Bereich des Regionalfonds betrachtet: Wenn die Gemeinschaft sich zur Förderung einer bestimmten Region entschlossen hat, dann ist das Subsidiaritätsprinzip für das "Ob" der Förderung von vornherein unerheblich, weil die Aufgabe gerade dadurch definiert ist, daß sie auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht besser oder wirksamer erreicht werden kann. Das Subsidiaritätsprinzip ist also in allen Fällen, in denen es um Konvergenz in der Gemeinschaft geht, seinerseits subsidiär. Die häufig aufgestellte Behauptung, daß mit Hilfe des Subsidiaritätsprinzips die neuen Politiken durch den EuGH kontrolliert werden könnten, ist somit unzutreffend [ Fn. 7: Siehe bereits zu einem weiteren Kritikpunkt an dem Subsidiaritätsprinzip - Gefährdung des bereits erreichten Stands der Integration im Bereich des unmittelbar geltenden Gemeinschaftsrechts - die Diskussion der 1. Sitzung.] .

Zur Industriepolitik ist in Art. 130 Abs. 3 Satz 1 EGV [ Fn. 8: Art. 130 Abs. 3 Satz 1 EGV: "Die Gemeinschaft trägt durch die Politik und die Maßnahmen, die sie aufgrund anderer Bestimmungen dieses Vertrags durchführt, zur Erreichung der Ziele des Absatzes 1 bei".
Art. 130 Abs.1 Satz 1 EGV:" Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten sorgen dafür, daß die notwendigen Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie der Gemeinschaft gewährleistet sind". ]
noch einmal hervorgehoben, was aus der Aufnahme der Industriepolitik in den Aufgabenkatalog der Gemeinschaft (Art. 3 EGV) ohnehin folgt: Die Ziele der Industriepolitik sind nach dem Maastricht-Vertrag ein allgemein verbindliches und legitimes Kriterium für die Beurteilung aller Maßnahmen der EG. Hiermit wird insbesondere das System unverfälschten Wettbewerbs industriepolitisch relativiert. Das Ausmaß dieser verfassungsrechtlich - der E(W)GV ist die Verfassung der Gemeinschaft - höchst bedeutsamen Relativierung wird klar, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Instrumente der Industriepolitik auch die Förderung eines für die Kooperation der Unternehmen günstigen Umfelds (Art. 130 Abs. 1 Satz 2 EGV) umfassen. Hier ist der Konflikt zwischen dem System unverfälschten Wettbewerbs und der Industriepolitik besonders offensichtlich. Dieser Konflikt ist im übrigen nicht nur ein von einem Wettbewerbstheoretiker ausgedachter, sondern zeigt sich bereits ganz klar in

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der folgenden Äußerung des Vorstandsvorsitzenden von Renault: "Es muß eine politische Einrichtung geben, die Regeln gibt, die klar, stabil und gleich für jedermann sind, und diese Regeln müssen europäische Unternehmen begünstigen". Hier wird ganz deutlich, was unter der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu verstehen ist, nämlich die Diskriminierung von Unternehmen aus Drittstaaten und die Förderung des Machtpotentials der europäischen Unternehmen. Deutlich wird ein im Vorverständnis begründeter Konflikt zwischen traditioneller deutscher und traditioneller französischer Ordnungspolitik. Die merkantilistische Vorstellung, daß die Macht der Unternehmen die Macht des Staates ist und im Außenverhältnis eingesetzt werden muß, widerspricht der deutschen ordnungspolitischen Grundkonzeption und ist gleichzeitig der Kern von Industriepolitik.

Aus der Aufnahme der Industriepolitik in den Aufgabenkatalog der Gemeinschaft folgt, daß dies unmittelbare Auswirkungen auf die Auslegung der Wettbewerbsregeln haben muß. Wichtiger aber ist, daß der Maastricht-Vertrag die Möglichkeit eröffnet, auf der Gemeinschaftsebene zu einer Verbindung hoheitlicher Kompetenzen mit unternehmerischen Funktionen zu kommen. Dies ergibt sich zum einen aus der Einführung eines europäischen "Service public" nach französischem Vorbild mit Hilfe einer "Erklärung europäischen Interesses" und zum anderen aus der Möglichkeit der Bildung gemeinschaftlicher Unternehmen und anderer Organisationsstrukturen, die für die Verwirklichung der Ziele der Gemeinschaft erforderlich sind. Gemeinschaftsrechtlich widerspricht dies der elementar wichtigen Trennung hoheitlicher und unternehmerischer Funktionen. Diese Unterscheidung hat gerade auch der EuGH vorgenommen. So hat der Gerichtshof jüngst in einem Fall zum Fernmeldemonopol entschieden, daß die Trennung der hoheitlichen Funktion der Zulassung von Einrichtungen zum Netz von der unternehmerischen Funktion des Vertriebs dieser Einrichtungen gemeinschaftsrechtlich geboten sei. Im Maastricht-Vertrag ist demgegenüber eine höchst bedenkliche Entwicklung in Richtung auf halböffentliche Unternehmen angelegt.

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Diskussion:

Im Mittelpunkt der Diskussion standen die mit der Aufnahme der Industriepolitik in den Aufgabenkatalog der Gemeinschaft bei gleichzeitiger Einführung des Subsidiaritätsprinzips verbundenen Rechtsstaatlichkeitsprobleme. Die Diskussion läßt sich grob in zwei Abschnitte gliedern: (1) Weitgehendes Einvernehmen bestand - im Anschluß an Mestmäckers Eingangsreferat - im Hinblick auf den Befund, d.h. die Analyse der mit der Einführung des Subsidiaritätsprinzips verbundenen Schwierigkeiten für das Gemeinschaftsrecht. (2) Durchaus unterschiedlich beurteilt wurden dagegen die Perspektiven, d.h. die Möglichkeiten, vielleicht doch noch - wenn man sich denn schon mit dem politisch wohl Unvermeidlichen abfinden muß - zu handhabbaren Kriterien für die Anwendung und Überprüfung des Subsidiaritätsprinzip zu kommen.

Im folgenden zunächst zum Befund : Einhellig wurden in der Diskussion die geringe Justiziabilität des Subsidiaritätprinzips und sein überaus zweifelhafter materiell-rechtlicher Gehalt beklagt. Ergänzend wurde allerdings - die häufig negative Bewertung des Subsidiaritätsprinzips im Rahmen der bisherigen Maastricht-Diskussion etwas relativierend - darauf aufmerksam gemacht, daß die Gemeinschaft das Subsidiaritätsprinzip schon in durchaus positiver Weise angewandt habe. Zum einen zeige der Übergang vom Prinzip der Harmonisierung zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, daß der Gedanke der Subsidiarität in der Gemeinschaft durchaus ernst genommen werde. Zum anderen habe die Gesetzgebung der Gemeinschaft in einzelnen Bereichen (Verbraucher, Arbeit, Umwelt, Gesundheit) durch das Setzen von Mindeststandards - vorgegeben teilweise durch den EWGV (z.B. in Art. 118a und 130t) - die Subsidiarität in pragmatischer Weise verwirklicht; ganz allgemein gelte es, bei der Bewertung der rechtsstaatlichen Risiken durch das Subsidiaritätsprinzip nach verschiedenen Bereichen zu differenzieren. Hingewiesen wurde außerdem darauf, daß auch das Europäische Parlament einen Beitrag zur dringend erforderlichen Konkretisierung des Subsidiaritätsprinzips leisten wolle: Das Europäische Parlament habe sich vorgenommen, einerseits verschiedene Posten, die nach Ansicht der Kommission Gemeinschaftsaufgaben betreffen, aus dem Haushalt herauszunehmen, und andererseits Budgets aufzustocken, die sich nach Ansicht des Europäischen Parlaments auf Gemeinschaftsaufgaben beziehen

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(z.B. Entwicklungshilfepolitik). Schließlich wurde darauf aufmerksam gemacht, daß trotz der genannten juristischen Probleme mit dem Subsidiaritätsprinzip dessen politische Bedeutung nicht zu unterschätzen sei. Es sei ausgesprochen wichtig für den Ratifizierungsprozeß in Dänemark und Großbritannien, aber auch für die Beitrittskandidaten Österreich, Schweden und Schweiz, die ja voraussichtlich ihren Beitritt einem Referendum unterwerfen werden müssen. Diese imminente politische Bedeutung dürfe bei allen juristischen Bedenken gegen das Subsidiaritätsprinzip nicht vergessen werden.

Größere Unterschiede zeigten sich, wie bemerkt, in der Beurteilung der Perspektive:

(1) Ein Teil der Tagungsteilnehmer schätzte die Justiziabilität des Kriteriums der Subsidiarität, das im übrigen erst durch Deutschland in die Verhandlungen eingeführt worden ist und zwar aufgrund eines Konflikts zwischen dem Bund und den - zunehmend um ihre Kompetenzen besorgten und durch die Fernseh-Richtlinie aufgeschreckten - Ländern, weniger skeptisch ein als der Referent. Hingewiesen wurde zunächst darauf, daß die Rechtsprechung sich auch in anderen Bereichen mit vagen Begriffen habe beschäftigen müssen. Die Gerichte hätten häufig aus schlechten oder vagen Gesetzen noch "etwas machen" können. Die Rechtsprechung habe in vielen Fällen in den Bereich des policy making übergegriffen, was allerdings dann besonders bedenklich sei, wenn es - wie für das Gemeinschaftsrecht - an einer gefestigten Tradition der Rechtsprechung fehle. Für den Maastricht-Vertrag ergebe sich im Hinblick auf den zu befürchtenden Verlust an Rechtsstaatlichkeit durchaus die Möglichkeit einer rechtsstaatlichen Nachbesserung durch Auslegung. Ein wichtiger Ansatzpunkt hierfür sei Art. 130 Abs. 1 Satz 2 EGV. Diese Vorschrift stelle, bevor sie die Sündenfälle der Industriepolitik einzeln aufführe, ausdrücklich auf das "System offener und wettbewerbsorientierter Märkte" ab. Hierin könne ein Bezug auf die Art. 85 und 86 EGV gesehen werden, der eine einschränkende Auslegung der Ermächtigung zur Industriepolitik ermögliche. Die Risiken durch die Aufnahme der Industriepolitik in den EG-Aufgabenkatalog könnten so zumindest teilweise entschärft werden. Eine ähnliche Nachbesserung bzw. Verfahrenskontrolle durch den Gerichtshof sei möglich im Hinblick auf die Beihilfenpolitik, die in der Tat durch ein erhebliches Ungleichgewicht gekennzeichnet sei: Während die Beihilfen der

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Mitgliedstaaten immer stärker kontrolliert würden, erhalte die Gemeinschaft zunehmend freie Hand.

(2) Diese eventuellen Kontrollmöglichkeiten für den EuGH wurden von anderen Diskussionsteilnehmern allerdings skeptisch beurteilt. Zur Begründung wurde zunächst auf einen feinen, aber bedeutsamen sprachlichen Unterschied aufmerksam gemacht: Während bisher in Art. 3 lit. f EWGV von einem "System unverfälschten Wettbewerbs" die Rede gewesen sei, spreche Art. 130 EGV jetzt nur noch von einem "System offener und wettbewerbsorientierter Märkte". Diese Formulierung sei erheblich weicher, was einer einschränkenden Kontrolle der Industriepolitik durch den Gerichtshof entgegenstehe. Vor allem aber zeige der Bereich der Landwirtschaftspolitik die Möglichkeiten und Grenzen einer Kontrolle durch den Gerichtshof. Der EuGH sei in diesem Bereich nicht einmal in der Lage gewesen, die ärgsten ökonomischen Fehler zu korrigieren. Hierfür gebe es einen eindeutigen und einfachen Grund: Es sei grundsätzlich unmöglich für Gerichte, Wirtschaftsplanungen zu korrigieren ("Freiheitsgewährleistungen sind justiziabel, Pläne nicht"), denn die Gerichte würden das System einer Wirtschaftsplanung zerstören oder aber unerträgliche Ungleichheiten bewirken, wenn sie im Einzelfall Ausnahmen machten. Dies gelte nicht nur für den Bereich der Landwirtschaftspolitik, sondern ebenso für die Industrie- und die Beihilfenpolitik. Hierbei handele es sich um genuin politische Entscheidungen, die einer gerichtlichen Kontrolle kaum zugänglich seien. Es gebe grundsätzlich Bereiche, die nach der Erfahrung mit der EuGH-Rechtsprechung justiziabel und gleichzeitig einer normativen Legitimation durch Rechtsprechung auf der Grundlage des EWG-Vertrages zugänglich sind und Bereiche, die eben dies nicht sind. Derartige nicht justiziable Bereiche träten in verstärktem Maße durch den Maastricht-Vertrag auf.

(3) Weitgehendes Einvernehmen schien darüber zu bestehen, daß die Entwicklung von Kriterien zur Ausfüllung und Konkretisierung des Begriffs der Subsidiarität und damit zur Abgrenzung der Aufgaben der Gemeinschaft von denen der Mitgliedstaaten dringend erforderlich ist. Im einzelnen unterschiedlich bewertet wurden aber die Aussichten, tatsächlich zu griffigen Abgrenzungskriterien zu kommen.

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Es wurde aus ökonomischer Sicht zunächst folgender Abgrenzungsvorschlag gemacht: Notwendige - aber noch nicht hinreichende - Bedingung für ein Tätigwerden auf Gemeinschaftsebene könnte sein,

  • daß die nationale Wirtschaftspolitik die Marktintegration der Gemeinschaft hindert oder hemmt,
  • daß die nationale Wirtschaftspolitik externe Effekte in anderen Mitgliedstaaten erzeugt oder
  • daß in der Produktion nationaler oder lokaler öffentlicher Güter Skalenerträge gegeben sind (natürliches Monopol).

Wenn eines dieser Kriterien - die einzigen, die die Ökonomie bisher habe liefern können - erfüllt sei, sei zumindest eine notwendige Bedingung für eine Aktivität auf Gemeinschaftsebene gegeben. Sämtliche Gemeinschaftspolitiken müßten entsprechend geprüft werden, wobei aber immer noch die Frage nach den hinreichenden Bedingungen bleibe.

Gegen den vorstehenden Abgrenzungsvorschlag wurde eingewandt, daß es für die Ökonomie in der Praxis fast unmöglich sei, für die einzelnen Bereiche, z.B. die Technologiepolitik, die erforderlichen Berechnungen tatsächlich anzustellen. Die Ökonomie könne zu der Zuständigkeitsfrage leider wenig sagen, denn es handele sich im wesentlichen um eine politische Entscheidung. Wichtig sei es allerdings, über Möglichkeiten der Begrenzung dieser politischen Entscheidung nachzudenken.

In der Diskussion wurde aber von verschiedener Seite noch einmal darauf hingewiesen, daß es trotz der zu Tage getretenen Abgrenzungsschwierigkeiten eine ganz wichtige Aufgabe bleibe, zu möglichst griffigen Kriterien zu kommen und die Abgrenzung der gemeinschaftlichen Kompetenzen nicht völlig der Politisierung auszusetzen. Das Subsidiaritätsprinzip habe zwar den Charakter einer politischen Formel oder einer politischen Maxime, trotzdem aber werde es auch eine erhebliche Bedeutung als Rechtsprinzip bekommen und sei insofern in seinen Auswirkungen auf das Gemeinschaftsrecht ernstzunehmen. Zwar sei das Subsidiaritätsprinzip de lege ferenda wegen seiner ausgesprochenen Unbestimmtheit grundsätzlich abzulehnen. Wenn es denn aber - durch die Ratifizierung der Maastricht-Verträge - unvermeidlich werden sollte, daß das Subsidiaritätsprinzip unter die juristischen Begriffe aufzunehmen sei, so ließen

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sich wohl doch noch zusätzliche Konkretisierungsmöglichkeiten finden. Wichtig sei es, möglichst schnell für verschiedene Bereiche konkret "durchzudeklinieren", welche Bedeutung das Subsidiaritätsprinzip haben könne. Die künftige rechtliche Handhabung dieses Prinzips durch den Gerichtshof lasse sich durchaus durch die wissenschaftliche Diskussion und eine umfangreiche Literatur beeinflussen. Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung könne die bekannte "Cassis-de-Dijon"-Rechtsprechung [ Fn. 9: Der EuGH (GRUR Int. 1979, 468 ff.) hat darin folgendes entschieden: Voraussetzung einer Verkehrsfähigkeit von Produkten und Dienstleistungen im gemeinsamen Markt ist nicht die vorgängige Harmonisierung aller Bedingungen; wenn ein Produkt in einem Mitgliedstaat verkehrsfähig ist, ist es grundsätzlich im gesamten gemeinsamen Markt verkehrsfähig, außer es stehen dem bestimmte zwingende Erfordernisse entgegen. ] sein. Die Kernfrage sei, in welchen Fällen die Politik offener Märkte ohne gleichzeitige oder nachfolgende Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene sinnvoll ist und in welchen Fällen die Harmonisierung unerläßlich ist. In einem Vorgriff auf die Interpretation des unvermeidbaren Subsidiaritätsprinzips ließe sich sagen, diese Frage der gemeinschaftsrechtlich gesicherten Funktionsfähigkeit offener Märkte ohne gemeinschaftspolitische Harmonisierung sei der Test für die Subsidiarität: Wenn bei gemeinschaftsrechtlich gewährleistetem Zugang zu den Märkten der Wettbewerb funktionsfähig ist, ohne daß wichtige öffentliche Interessen beeinträchtigt werden, bliebe es danach bei der bloßen Öffnung der Märkte und nur wenn es für die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes unerläßlich ist, sollte danach harmonisiert werden. Bei der Beantwortung dieser Kernfrage sei es jedenfalls außerordentlich wichtig, den Versuch der ökonomischen Begründbarkeit zu machen und die Abgrenzung nicht völlig dem politischen Kompromiß zu überlassen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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