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TEILDOKUMENT:
5. Sitzung: Wettbewerbspolitik und Industriepolitik Uwe Jens: Im Zusammenhang mit dem Maastricht-Vertrag scheint mir das Thema "Industriepolitik" fast wichtiger als das Thema "Währungsunion". Das europäische Wettbewerbsrecht - mit den Art. 85 und 86 EWGV - entsprach anfangs im großen und ganzen dem, was auf nationaler Ebene mit dem GWB praktiziert wurde. Der wettbewerbspolitische Sündenfall war die Einführung (1990) der EG-Fusionskontrolle. In Deutschland haben wir seit 1972 bei der Prüfung einer Unternehmensfusion eine klare Trennung in wettbewerbliche Aspekte und Gemeinwohlsaspekte (Ministererlaubnis). Obwohl alle politischen Kräfte in Bonn dafür plädierten, die Fusionskontrolle auf europäischer Ebene ähnlich wie in Deutschland zu regeln, ist bei den Verhandlungen leider eine Vermischung der beiden Aspekte herausgekommen. Unternehmenszusammenschlüsse werden jetzt in nur einer Instanz - und zwar durch die Kommission - unter wettbewerblichen, industrie-, forschungs- und verbraucherpolitischen Aspekten geprüft. Mit der Einführung der EG-Fusionskontrolle sind die Weichen in die falsche Richtung gestellt worden. Dies bestätigt sich durch die bisherige Praxis: Seit 1990 ist in 121 Fusionsfällen nur eine Fusion nicht genehmigt worden und auch dies war nur ein reiner Glücksfall. Eine erhebliche Verschärfung der skizzierten wettbewerbspolitischen Fehlentwicklung bringt jetzt noch Art. 130 EGV, wenn es dort um Anpassungsmaßnahmen, die Schaffung eines günstigen Umfelds oder die Förderung einer besseren Nutzung des industriellen Potentials der Politik geht. Die Regelungen des Maastricht-Vertrags zur Industriepolitik sind unter ordnungspolitischen Aspekten - wie schon von Mestmäcker vorgetragen - in starkem Maße zu kritisieren: Unsere marktwirtschaftliche Ordnung ist im Prinzip durch die Trennung von Staat und Wirtschaft gekennzeichnet. Auch wenn es natürlich mittlerweile in der Praxis eine Fülle von Verflechtungen gibt, so ist doch das Prinzip zu bewahren und alles zu tun, um die Trennung zwischen Staat und Wirtschaft aufrechtzuerhalten. [Seite der Druckausgabe: 49] Der Maastricht-Vertrag hat zwei "Bremsen" im Hinblick auf die Industriepolitik eingebaut: Erstens können die Maßnahmen nach Art. 130 Abs. 3 EGV durch den Rat nur einstimmig beschlossen werden; dieses Prinzip der Einstimmigkeit kann allerdings - nach Ansicht der Monopolkommission - leicht durch sog. Paketlösungen ausgehebelt werden. Zweitens darf die Gemeinschaft nach Art. 130 Abs. 3 Satz 3 EGV keine Maßnahmen einführen, die zu Wettbewerbsverzerrungen führen könnten; diese "Bremse" ist weitgehend eine Leerformel, denn Industriepolitik - d.h. Politik der Kommission für einen bestimmten Wirtschaftszweig - ist per se mit Diskriminierung für andere und damit mit einer Wettbewerbsverzerrung verbunden. Meine Bedenken gegen eine Industriepolitik ergeben sich vor allem aus historischer Erfahrung. Auch in Deutschland hat es zweifellos Industriepolitik gegeben; wir haben sowohl Erhaltungspolitik, Anpassungspolitik als auch - wohl relativ erfolglos - Förderpolitik (Kernenergie, Mikroelektronik, Raumfahrt) betrieben. Um diese Förderpolitik geht es verstärkt; sie soll, entgegen den Bemühungen um Subsidiarität, jetzt zentral in Brüssel betrieben werden. Die EG-Kommission will mit ihrer neuen Industriepolitik offensichtlich vor allem den Japanern bei der Mikrochip-Produktion Paroli bieten können oder die Einführung des HDTV [ Fn. 10: HDTV = Hochauflösendes Fernsehen.] fördern. Mir scheint es wenig sinnvoll, derartigen zukunftsträchtigen Entwicklungen mit Hilfe nationaler oder europäischer Industriepolitik hinterherzulaufen. Vorsprünge anderer Länder wird man jedenfalls mit Industriepolitik nicht aufholen können. Die bisherigen Erfahrungen mit Industriepolitik sprechen dafür, daß im allgemeinen der am Markt tätige Unternehmer zukunftsträchtige Entwicklungen eher erkennen kann als der Beamte etwa in Brüssel. Subventionen wirken - wie in Deutschland so auch auf europäischer Ebene - wie ein süßes Gift. Unternehmer werden dadurch animiert, sich in erster Linie um neue Subventionen zu kümmern, anstatt über Innovationen nachzudenken. Ein Beispiel hierfür liefert die - zwar durchaus noch innovative - Firma Siemens, die bereits fünf wissenschaftliche Mitarbeiter in Bonn beschäftigt, deren einzige Aufgabe die Suche nach noch nicht angezapften Subventions-Quellen ist. Die europäische Industriepolitik wird vor allem den großen Unternehmen helfen. Dies ist auch deswegen ein falscher Ansatz, weil bahnbrechende [Seite der Druckausgabe: 50] Innovationen heute eher von kleinen und mittleren Unternehmen als von großen Konzernen auszugehen scheinen. Meine Partei hat sich für eine "marktwirtschaftliche Industriepolitik" ausgesprochen. Was immer auch genau darunter zu verstehen ist, so möchte ich doch zum Abschluß fünf Vorschläge zur Industriepolitik machen: (1) Die entsprechende Bestimmung im Maastricht-Vertrag (Art. 130 EGV) ist zu streichen. (2) Höchste Priorität ist der Schaffung wettbewerblicher Wirtschaftsstrukturen einzuräumen, denn nur wirtschaftlicher Wettbewerb zwingt - im Interesse unserer Volkswirtschaft und der Konsumenten - zu Innovationen. (3) Wir brauchen deshalb in erster Linie eine multilaterale Handelsordnung mit offenen Märkten, in der strategische Verhaltensweisen - wie möglicherweise von den Japanern praktiziert - verboten sein müssen. (4) Wenn es um die Entwicklung zukunftsträchtiger Märkte geht, erscheint eine etwas stärkere Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik ratsam, ohne daß damit ein Interventionsmechanismus gemeint ist. (5) Wenn im Rahmen einer Industriepolitik schon Fördersubventionen geleistet werden, dann sollten sie primär an kleine und mittlere Unternehmen erfolgen, denn dadurch würde der Wettbewerb tendenziell gefördert. Bedauerlich ist in diesem Zusammenhang, daß die Bundesregierung die Lohnkostenzuschüsse für Forschung und Entwicklung, die zur Dynamik und Innovationstätigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen beigetragen haben, eingestellt hat.
[Seite der Druckausgabe: 51]
Erhard Kantzenbach:
Das Thema "Wettbewerbs- und Industriepolitik in Europa" ist deshalb etwas schwierig, weil es - anders als mit dem Delors-Plan für die gemeinsame Währungspolitik - keine geschlossene industriepolitische Konzeption der Gemeinschaft gibt. Insgesamt bin auch ich außerordentlich skeptisch gegenüber der Industriepolitik. Es geht mir im folgenden darum, einige Argumente und Forschungsergebnisse vorzutragen, die bei der Meinungsbildung berücksichtigt werden sollten. Zunächst einmal ist bei der Betrachtung der europäischen Industriepolitik zu berücksichtigen, daß es zwischen den größeren Mitgliedstaaten sehr unterschiedliche wettbewerbspolitische Konzeptionen gibt. Die Bundesrepublik Deutschland ist - etwas vereinfachend ausgedrückt - im wesentlichen der amerikanischen Konzeption gefolgt, die davon ausgeht, daß eine Wettbewerbsbeschränkung per se gesamtwirtschaftlich schädlich ist und deshalb abgelehnt werden sollte. Diese Auffassung wird von Frankreich und Großbritannien grundsätzlich nicht geteilt. Dort geht man - wiederum sehr plakativ formuliert - davon aus, daß es gute und schlechte Wettbewerbsbeschränkungen gibt und deren Zulässigkeit vom Ergebnis einer Abwägung ("bilan economique" bzw. "public interest") abhängen sollte. Die EG ist in Art. 85 und 86 EWGV im Prinzip der deutschen Konzeption gefolgt. Nicht mehr so eindeutig läßt sich das jedoch im Hinblick auf die Fusionskontrollverordnung [ Fn. 11: Verordnung Nr. 4064/89 des Rates, ABI. Nr. L 257 v. 21.9.90, 14ff.] sagen, wenn es dort in Art. 2 Abs. 1 lit. b heißt: Bei der Überprüfung von Zusammenschlüssen "berücksichtigt die Kommission ... die Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts, sofern dieser dem Verbraucher dient und den Wettbewerb nicht behindert". In dieser Formulierung geht die Berücksichtigung des "technischen und wirtschaftlichen Fortschritts" wohl auf die Franzosen zurück, während die Einschränkung durch den Ausschluß einer Wettbewerbsbehinderung auf Bestreben der Bundesregierung Eingang in den Text gefunden hat. Im Hinblick auf die wettbewerbspolitische Debatte in der Gemeinschaft, in der von deutscher Seite Industriepolitik oft schlechthin abgelehnt wird, sollte auch ein Blick auf die Gegenseite geworfen werden und folgendes Argument der [Seite der Druckausgabe: 52] Franzosen zumindest Berücksichtigung finden: Die Franzosen werfen Deutschland oft vor, zwar einen ordnungstheoretischen Rigorismus zu verfolgen, aber in der Realität handfest pragmatisch vorzugehen. Als Beleg hierfür wird immer wieder die Fusion Daimler/MBB angeführt, die zwar kartellrechtlich absolut den Vorschriften entspricht, aber mit einem ordnungstheoretischen Rigorismus nicht zu vereinbaren ist. Als weitere Belege dienen die systematische Förderung bestimmter Wirtschaftszweige durch das BMFT und insbesondere die massiven defensiven Subventionen in den Bereichen Bergbau, Werften und Verkehr. Die Franzosen argumentieren nun, daß dann, wenn ohnehin schon Subventionen gezahlt werden, es besser sei, die Industriepolitik offensiv zu betreiben und zukunftsträchtige Wirtschaftszweige zu fördern. Festzuhalten ist, daß bei Beurteilung der europäischen Industriepolitik nicht nur das deutsche wettbewerbstheoretische Leitbild als Maßstab zugrundegelegt werden sollte, sondern auch die Abweichung von dieser Grundkonzeption schon in der bisherigen nationalen Praxis zu berücksichtigen ist. Bei der Beurteilung der Industriepolitik sind schließlich einige Argumente zu berücksichtigen, die in der neuen Wirtschaftstheorie, insbesondere der neuen Wachstumstheorie, zur Frage der internationalen Wettbewerbsfähigkeit einzelner Industriezweige vorgetragen werden. Zugunsten einer stärkeren industriepolitischen Orientierung werden folgende Argumente angeführt: (1) Es gibt Märkte, die so große Massenproduktionsvorteile ("scale economies") haben, daß sich im Weltmarktniveau kaum mehrere Unternehmen auf Dauer halten werden können (z.B. 64- oder 128-Megabit-Chip-Produktion). (2) Es gibt Märkte, in denen außerdem in erheblichem Maße sog. Lernkosteneffekte realisiert werden, in denen der "first entrant" durch Lerneftekte Kostenvorteile erzielen kann ("first mover advantages"), die von späteren Mitbewerbern nicht aufgeholt werden können. Nach dieser Argumentation kann derjenige Anbieter, der als erster in derartige Märkte eindringt, temporäre Monopolgewinne auf dem Weltmarkt erringen, was zu inländischen Netto-Wohlfahrtsgewinnen führt, d.h. bei Vorliegen der genannten Produktionsbedingungen könnte auf Kosten anderer Staaten durch Industriepolitik ein Wettbewerbsvorteil errungen werden. Die Instrumente, die für eine derartige Industriepolitik in Frage kommen, sind F+E-Subventionen, Kostensubventionen, Zollschutz, Exportsubventionen und u.U. Kooperation. [Seite der Druckausgabe: 53] Gegen eine solche Industriepolitik sprechen aber die folgenden Argumente: (1) Es ergeben sich insbesondere Informationsprobleme: Wie kann man die entsprechenden Marktstrukturen erkennen, die Zukunftschancen solcher Industrien abschätzen und die tatsächlichen Kostenstrukturen genau analysieren? (2) Ein weiteres Gegenargument sind Motivationsprobleme. Es sind Mitnahmeeffekte zu befürchten, d.h. Unternehmen werden die Subventionen einkassieren und dann möglicherweise nicht mehr den entsprechenden Anreiz haben, die Innovation tatsächlich durchzuführen. (3) Außerdem ist mit erheblichen Verwaltungsineffizienzen zu rechnen. (4) Schließlich besteht - und dies ist das wichtigste Argument gegen eine derartige Industriepolitik - die Gefahr ausländischer Gegenmaßnahmen, d.h. es wird zu einem Subventionswettlauf zwischen den Staaten kommen. Insgesamt ergibt sich - in Übereinstimmung mit den Schlußfolgerungen von Jens - folgendes Fazit: Es ist notwendig, zu einer Welthandelsordnung zu kommen, die über das GATT, das ja nur eine Liberalisierung des Welthandels zum Gegenstand hat, hinausgeht. Wir brauchen eine Welthandelsordnung, die die Rahmenbedingungen für den internationalen Wettbewerb fixiert, d.h. eine Internationalisierung der Wettbewerbspolitik, die dann auch strategische Subventionen unterbindet. Für den Fall, daß dieses nicht möglich ist, sollten als zweitbeste Lösung Gegenmaßnahmen gegen eine offensive strategische Wettbewerbspolitik anderer Staaten allerdings nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Derartige Maßnahmen müssen aber darauf gerichtet sein, zu der skizzierten Welthandelsordnung zu kommen. Hiermit ist gleichzeitig einer - in letzter Zeit sehr häufig im Schrifttum vertretenen -Konzeption eine Absage erteilt, nach der im Weltmaßstab anstelle des Versuches einer institutionellen Integration einer stärker funktionellen Integration, d.h. einer Konkurrenz der nationalen Wirtschaftsordnungen, der Vorzug zu geben ist. Wir brauchen internationale Institutionen zur Schaffung der Rahmenbedingungen für einen funktionsfähigen internationalen Wettbewerb.
[Seite der Druckausgabe: 54]
Diskussion:
In der Diskussion über das Für und Wider einer Industriepolitik wurden z.T. erhebliche Unterschiede in der Beurteilung deutlich. Während Jens und Kantzenbach in ihren Eingangsreferaten die Möglichkeiten und den Nutzen einer Industriepolitik eher skeptisch beurteilt hatten, wurden in der Diskussion durchaus auch Argumente zugunsten einer solchen Politik ins Feld geführt. Die Diskussion erfolgte zunächst im Hinblick auf die besondere Situation in Ostdeutschland und verlagerte sich dann im zweiten Teil auf eine allgemeinere Ebene. Die Notwendigkeit einer Industriepolitik gerade in Deutschland wurde zunächst einmal mit der wirtschaftlichen Situation in der ehemaligen DDR begründet. Es habe sich mittlerweile gezeigt, daß der katastrophalen Lage mit marktwirtschaftlichen Mitteln alleine nicht Herr zu werden sei. Dringend erforderlich sei eine industrielle Aufforstung in Ostdeutschland. Es stelle sich nicht mehr die Frage nach dem ob, sondern nur noch nach dem wie einer Industriepolitik. Der wegen der Aufnahme der Industriepolitik in den Aufgabenkatalog der Gemeinschaft so vielgescholtene Maastricht-Vertrag sei für Deutschland geradezu ein Glücksfall, denn er liefere die Argumentationshilfen für die dringend erforderliche Industriepolitik und heilige sozusagen EG-politisch, was bisher als marktwirtschaftlicher Sündenfall galt. Diese Bewertung stieß ihrerseits auf erheblichen Widerspruch. Industriepolitik i.S.v. Anpassungs- oder Erhaltungshilfen sei in Ostdeutschland, wie übrigens auch im Westen (z.B. in den Bereichen Werften und Kohle), in erheblichem Maße betrieben worden. Die Probleme der Industriepolitik, auch auf europäischer Ebene, lägen aber im Bereich der Förderpolitik, d.h. bei den Maßnahmen zum Aufbau zukunftsträchtiger Wirtschaftsbereiche. Diesbezüglich sei auch für den Osten die Kernfrage nicht gelöst, wie und durch wen entschieden werden soll, was zukunftsträchtig ist. Auch für den Osten sei zu vermuten, daß diese Entscheidung besser von Unternehmern, als von Beamten in Bonn oder Brüssel getroffen werden könne. Für eine Industriepolitik im Sinne einer Förderpolitik gebe es in den neuen Bundesländern keine besonderen Betätigungsmöglichkeiten. Für eine Industriepolitik wurde aber im Verlauf der Diskussion auch allgemein, d.h. abgesehen von der Sondersituation in Ostdeutschland, plädiert. Auch [Seite der Druckausgabe: 55] wenn eine Industriepolitik prinzipiell abzulehnen sei, so sei doch ihre Notwendigkeit im Einzelfall differenzierter zu betrachten. Es gebe allgemein zwei Fälle, in denen Industriepolitik sinnvoll sein könne: (1) Zum einen könne es aus politischen Gründen erforderlich sein, nicht mehr wettbewerbsfähige Wirtschaftsbereiche zu fördern. So könne Europa es sich aus strategischen Gründen nicht erlauben, völlig auf einen europäischen Schiffbau zu verzichten und vom Fernen Osten abhängig zu werden, und müsse daher seine Werften subventionieren. Dieser Argumentation wurde allerdings vorgehalten, sie habe besondere Überzeugungskraft nur aus Hamburger Sicht; jemand aus dem Ruhrgebiet dagegen halte aus strategischen Gründen eher die Kohle für subventionswürdig. (2) Zum zweiten könne eine präventive Industriepolitik dort erforderlich sein, wo der Markt noch nicht habe tätig werden können. Der Airbus sei ein typisches Beispiel für eine erfolgreiche europäische Industriepolitik in diesem Fall; während am Anfang kein Privatunternehmen zu den erforderlichen Investitionen in der Lage gewesen sei, lohnten sich inzwischen die Subventionen sogar für die Subventionsgeber. Ein weiteres wichtiges Beispiel sei die Energiepolitik. Es könne von den Wirtschaftsunternehmen im Energiesektor nicht erwartet werden, daß sie sich Gedanken darüber machten, was in 50 oder 100 Jahren sein werde. Die Notwendigkeit einer Industriepolitik wurde von anderer Seite aber auch für diesen Fall bezweifelt und zwar mit der Frage, warum denn keine Privatfinanzierung derartiger Spitzentechnologie erfolge, wenn sie wirklich in Zukunft so rentabel sei und dem "first mover" Vorteile verschaffe. Der Grund hierfür, so wurde entgegnet, liege darin, daß derartige Spitzentechnologien, wie z.B. bei der Fusionsenergie, Größenordnungen erreichen, die privatwirtschaftlich nicht mehr zu finanzieren seien. Als mögliches Vorbild für eine Industriepolitik wurde auf die Tätigkeit des japanischen MITI verwiesen. Mit dem MITI werde versucht, spätere Marktentwicklungen vorauszusehen und steuernd einzugreifen. Nach Auffassung anderer Diskussionsteilnehmer ist dagegen das MITI für Europa nicht kopierbar. In Japan, wie überhaupt im Fernen Osten, sei eine völlig andere gesellschaftliche und politische Struktur mit einer anderen Wirtschaftsethik gegeben. Zu bedenken sei auch ein "personaler" Unterschied: [Seite der Druckausgabe: 56] In Japan strebten die besten Absolventen der ökonomischen Fakultäten in erster Linie eine Tätigkeit beim MITI und erst in zweiter Linie bei den großen Unternehmen usw. an. In Europa dagegen sei eine vergleichbare Attraktivität einer entsprechenden, Industriepolitik betreibenden Behörde - jedenfalls zur Zeit - nur schwer vorstellbar. Voraussetzung einer erfolgreichen und guten Industriepolitik aber sei sehr gutes Personal. Aus den vorstehenden Gründen sei ein europäisches MITI nicht zu realisieren. Im übrigen dürfe nicht übersehen werden, daß dem (japanischen) MITI, bei allen Erfolgen, auch schwerwiegende Irrtümer unterlaufen seien: So sei der Firma Honda davon abgeraten worden, in die Automobilproduktion einzusteigen. Einige Diskussionsteilnehmer stellten denn auch bei ihrem Votum für eine Industriepolitik nicht so sehr auf das MITI, sondern vielmehr auf eine - wie im einzelnen auch immer geartete - Kooperation zwischen den europäischen Unternehmen ab. Eine Industriepolitik sei in der Tat dann abzulehnen, wenn sie nur bedeute, daß Bürokraten über Investitionen entscheiden. Von einer so verstandenen Industriepolitik zu unterscheiden sei aber eine Förderung der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen in den Bereichen Forschung und Entwicklung. Eine derartige - auch in Japan erfolgreich praktizierte - Kooperation "poole" den wissenschaftlichen Sachverstand, spare Kosten, erhöhe die Entwicklungsgeschwindigkeit und könne gleichzeitig den bei bloßer Subventionierung der Unternehmen auftretenden "Tiefschlafeffekt" vermeiden. Die EG sei auf Dauer nicht wettbewerbsfähig, wenn es nicht zu einer derartigen Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen komme. Diese Auffassung wurde noch durch folgendes Argument gestützt: Das Patentrecht könne zu einer ineffizienten Lösung, d.h. einem suboptimalen Forschungsaufwand führen. Es sei eine "first-come-first-serve-Regel", d.h. der erfolgreiche Forscher bekommt alles, während alle anderen leer ausgehen und ihre Aufwendungen dann umsonst getätigt haben. Dies werde natürlich einkalkuliert und könne entweder zu Unterinvestitionen in die Forschung oder aber zum Zusammenschluß zu Pools führen. Wenn nun die Transaktionskosten für einen Zusammenschluß zu Pools hoch seien, dann könne eine staatliche Förderung der Kooperation durchaus sinnvoll sein. Auch gegen eine Industriepolitik in letzterem Sinne, d.h. eine Förderung der Kooperation zwischen Unternehmen, wurden erhebliche Bedenken erhoben: Sie führe in der Regel nicht zu der gewünschten Stärkung der [Seite der Druckausgabe: 57] Wettbewerbsfähigkeit, sondern beschränke nur den Wettbewerb. Der wirtschaftlich relevante Wettbewerb sei allein der Wettbewerb um die Entwicklung der besseren Technologie, während der Preiswettbewerb beim Absatz - z.B. der einmal produzierten Chips - nur einen Randwettbewerb darstelle. Der Begriff der "Marktferne" bei einer Kooperation der Unternehmen nur in den Bereichen Forschung und Entwicklung sei irreführend, denn tatsächlich werde auf diese Weise der wesentliche Wettbewerb ausgeschaltet. Wenn man schon glaube, in eng begrenzten Ausnahmefällen Industriepolitik betreiben zu müssen, sei die Subventionierung immer noch der bessere Weg als die Förderung der Kooperation. Wettbewerbspolitisch unbedenklich - und dies entspreche ja dem § 5b GWB [ Fn. 12: § 5b GWB enthält Kooperationserleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen.] - sei nur eine Kooperation zwischen kleinen und mittleren Unternehmen, wenn dadurch der Wettbewerb mit den Großen gefördert wird. Die Skeptiker einer Industriepolitik äußerten zusammenfassend noch einmal die Befürchtung, daß mit Art. 130 EGV ein neues Politikfeld eröffnet werde, das - ähnlich wie die gemeinsame Landwirtschaftspolitik - sehr viel Geld koste und nur relativ wenig einbringe. Wenn auch die Möglichkeiten zu einer europäischen Industriepolitik nicht ganz aus der Hand gegeben werden sollten, so sollte doch in jedem Fall dafür Sorge getragen werden, daß davon nur sehr sparsam gebrauch gemacht wird. Allen wettbewerbspolitischen Zweifeln am Maastricht-Vertrag wurde schließlich noch einmal das folgende, bereits in den vorangegangenen Sitzungen vorgetragene Argument entgegengehalten: Wenn sich auch über das Für und Wider einer gemeinschaftlichen Industriepolitik zu Recht streiten ließe, so sei doch bei der Beurteilung des Maastricht-Vertrags insgesamt die Kernfrage, ob wir die europäische Integration weiter vorantreiben wollten oder nicht. Wie auch ein neuer Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR heute, wenn er - nach den gemeinsamen Erfahrungen von 3 Jahren - neu ausgehandelt werden müßte, wohl nicht mehr zustande kommen würde, so sei auch ein neuer Maastricht-Vertrag, wenn wir ihn in seiner jetzigen Form wegen wettbewerbspolitischer Bedenken scheitern ließen, wohl nicht mehr zustande zu bringen. [Seite der Druckausgabe: 58]
[Seite der Druckausgabe: 59]
[Seite der Druckausgabe: 60]
[Seite der Druckausgabe: 61]
[Seite der Druckausgabe: ungezählt]
[Programm]
Die Kontroverse um Maastricht:
Eine Veranstaltung der Stiftung Europa-Kolleg, Hamburg, in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn.
[Seite der Druckausgabe: ungezählt]
[Seite der Druckausgabe: ungezählt]
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