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TEILDOKUMENT:
3. Sitzung: Konvergenzkriterien und ihr Stellenwert für den Eintritt in die europäische Wirtschafts- und Währungsunion Christa Randzio-Plath: Bereits in den Römischen Verträgen ist das Ziel einer Angleichung der Lebensstandards in den Mitgliedstaaten enthalten. Ebenso ist die Errichtung eines europäischen Binnenmarktes als Versuch zu interpretieren, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt zwischen den Mitgliedstaaten zu erreichen. Das Prinzip der Konvergenz soll erneut auf eine Abmilderung innergemeinschaftlicher Ungleichgewichte hinwirken. In den langjährigen Diskussionen im Vorfeld der Bildung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) gab es zwei Denkrichtungen. Während die eine in der Herstellung der Konvergenz eine notwendige Vorbedingung für die EWWU sah, vertrat die andere die Meinung, daß die EWWU von sich aus Konvergenz bewirken würde. Diese Frage wurde durch den Vertrag von Maastricht dahingehend entschieden, daß Konvergenz bestehen muß, bevor die EWWU geschaffen wird. Bei der Beschreibung und Bewertung der Konvergenzkriterien muß berücksichtigt werden, daß nach dem Vertrag von Maastricht die Voraussetzung für die Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) die Herstellung nominaler Konvergenz, also die Annäherung von nominalen Größen, ist. Demgegenüber fordert das Europäische Parlament eine reale Konvergenz, also eine Verringerung der Unterschiede bei allen ökonomischen Variablen, wie z.B. Produktion, Produktivität und Lebensstandard. Ein weiterer Aspekt der Konvergenz ist die Annäherung der wirtschaftlichen Institutionen und Praktiken - die strukturelle Konvergenz -, die auch nach dem Eintrift in die drifte Phase der WWU nicht abgeschlossen sein wird. In dem aufgrund der Regierungskonferenzbeschlüsse von Maastricht ergänzten EWG-Vertrag sind in Art. 109j und einem dazugehörigen Protokoll die Konvergenzkriterien klar beschrieben: Das erste Kriterium fordert, daß die jeweilige nationale Inflationsrate die Durchschnittsrate der drei Mitgliedstaaten [Seite der Druckausgabe: 30] mit den niedrigsten Inflationsraten um höchstens 1,5 Prozentpunkte überschreiten darf, und weist damit zugleich auf die Preisstabilitätsorientierung einer künftigen Europäischen Notenbank hin. Diese Ausrichtung ist auch aus einem zweiten Kriterium, dem der Angleichung der Zinssätze, abzulesen. Die langfristigen Nominalzinssätze, gemessen an den Zinssätzen für langfristige Staatsschuldverschreibungen oder vergleichbare Wertpapiere, dürfen um maximal 2% von dem durchschnittlichen Zinssatz aus den drei preisstabilsten Mitgliedstaaten abweichen. Weitere Kriterien sind eine Staatsverschuldung in Höhe von maximal 60% des Bruttoinlandsprodukts und ein öffentliches Defizit, das höchstens 3% des Bruttoinlandsprodukts betragen soll. Schließlich das Kriterium der Wechselkursstabilität, das eine mindestens zweijährige Zugehörigkeit zum Europäischen Währungssystem (EWS) verlangt, wobei in dieser Frist Wechselkursanpassungen durchaus noch zugelassen sind, einseitige Abwertungen jedoch nicht stattfinden dürfen. Die Konvergenzkriterien werden hinsichtlich ihrer Aussagekraft für eine stabilitätsorientierte Politik kritisiert. Aber es fehlt ein Vorschlag, der ein anderes Paket an Maßnahmen für den Beitritt zur EWWU vorsieht und glaubwürdiger und objektiver ist. Bei der Annäherung der Verbraucherpreise und der Reduzierung der öffentlichen Defizite wurden, wenn man von Einzelfällen absieht, Fortschritte gemacht. Sogar in den EFTA-Ländern könnte eine Erfüllung der Konvergenzkriterien erreicht werden. Da zur Zeit jedoch lediglich Frankreich und Luxemburg sämtliche Kriterien erfüllen, stellt sich die Frage, wie eine Erfüllung der Konvergenz herbeigeführt werden kann. Die Regierungen sehen sich der Kritik ausgesetzt, weil einerseits Furcht besteht, daß sie eine deflatorische, Wachstums- und beschäftigungsschwächende Politik betreiben, um die Konvergenzkriterien zu erfüllen. Andererseits gibt es Angst vor unsolider Geld-, Finanz- und Wirtschaftspolitik. Gerade die Währungsturbulenzen haben gezeigt, daß befürchtete Wechselkursanpassungen vom Markt erzwungen werden, wenn die realen Wirtschaftsdaten die Kurse nicht decken. In allen Mitgliedstaaten werden Konvergenzprogramme verfolgt, die eine mittelfristige Ausrichtung der Regierungspolitiken trotz der Jährlichkeit des Haushalts und der Jährlichkeit von bestimmten Maßnahmen erreichen sollen. [Seite der Druckausgabe: 31] Vorgesehen ist eine ständige Prüfung dieser Konvergenzprogramme durch die Kommission. Erste Prüfungen einzelner Programme machten deutlich, daß fast alle Mitgliedstaaten sehr hohe Anstrengungen unternommen haben, die nominale Konvergenz zu erreichen. Abgesehen davon, daß das niederländische Konvergenzprogramm lediglich auf eine Legislaturperiode beschränkt ist, ergaben sich bei den bisherigen Begutachtungen der Programme keinerlei Kritikpunkte. Deutlich wurde jedoch auch, daß bei der Festlegung der Konvergenzkriterien die Frage ihrer Durchsetzbarkeit nicht zur Debatte stand. Vor allem die erforderlichen Verringerungen von Staatsverschuldung und öffentlichem Defizit ziehen in den Mitgliedstaaten soziale Härten nach sich. So führen beispielsweise Einsparungen in Belgien zu Reduzierungen der Leistungen für Arbeitslose, in den Niederlanden wird eine Reform der Rentenfinanzierung geplant. Beide Länder planen Einsparungen bei den Stellen in den öffentlichen Verwaltungen. In Spanien wurden die Gehälter des öffentlichen Dienstes eingefroren. Es ist abzusehen, daß der Zeitraum bis zur Erfüllung der Konvergenzkriterien von Konflikten geprägt sein wird. In Italien wurde bereits gestreikt, in Spanien fand der Versuch eines Generalstreiks statt. Auch in anderen Mitgliedstaaten zeichnen sich Widerstände gegen die Durchsetzung der Konvergenzprogramme seitens der Sozialpartner ab, zumal der Internationale Währungsfonds und die Weltbank für alle Mitgliedstaaten eine Phase höherer Arbeitslosigkeit für die Phase der Erfüllung der Konvergenzkriterien vorausgesagt haben. Zusätzlich zu dem Problem, wie ein nominales Konvergenzprogramm durch eine Regierung durchgesetzt werden kann, stellt sich durch diese Entwicklung die Frage, inwieweit eine Regierung die Konvergenzprogramme überhaupt konsequent verfolgen kann und will, wenn sie bei der Durchsetzung dieser Maßnahmen mit Stimmenverlusten rechnen muß. Dennoch erfüllen die Konvergenzkriterien insofern eine positive Funktion, als sie verdeutlichen, daß ein gewisses Maß an Übereinstimmung zwischen den Mitgliedstaaten hergestellt werden muß und ohne diese Übereinstimmung eine Mitgliedschaft in der Währungsunion nicht möglich ist. Das Europäische Währungsinstitut und die Kommission werden überprüfen, ob die Konvergenzkriterien erfüllt sind. Der Rat wird diese Entscheidung überprüfen und dann - mit einem gewissen Beurteilungsspielraum - entscheiden, ob es [Seite der Druckausgabe: 32] zweckmäßig ist, in die Phase der Währungsunion mit der Mehrheit einzutreten. Die Entscheidung, ob ein Mitgliedstaat in die Währungsunion eintritt oder nicht, wird dabei nicht ausschließlich von der Erfüllung oder Nichterfüllung dieser Kriterien abhängen, insofern besteht hier kein Automatismus. Das wird bereits dadurch deutlich, daß politisch eine Währungsunion ohne die Bundesrepublik Deutschland ausgeschlossen wird. Dennoch muß an der Forderung der strikten und dauerhaften Einhaltung der Konvergenzkriterien genauso festgehalten werden wie an der Absage an die Kleine Währungsunion außerhalb des Vertrages von Maastricht. Gerade die kontinuierliche Prüfung der Konvergenzkriterien, zu deren Erfüllung weder Ausgleichs- noch Unterstützungszahlungen der anderen EG-Staaten erfolgen, machen nicht-diskrimierende spätere Beitritte zur EWWU möglich.
[Seite der Druckausgabe: 33]
Harald Jürgensen:
Aus ökonomischer Sicht erfordert eine Währungsunion eine sehr ähnliche Ausgangslage der teilnehmenden Staaten, d.h. daß einerseits eine strukturelle und weitgehend auch konjunkturelle Konvergenz vorhanden sein muß und andererseits, daß in der Ausgangslage bereits bestimmte Regeln definiert sein müssen, deren Einhaltung die Qualität der Ausgangslage und damit die Aufrechterhaltung der Währungsunion sichert. Einer der entscheidenden Punkte in diesem Zusammenhang ist der Autonomiegrad der Notenbank. Dieser Autonomiegrad hat zwei Determinanten, die politische und die ökonomische Unabhängigkeit. Erstere manifestiert sich in dem Umfang, wie Regierungsvertreter an den Beschlüssen der Notenbank mitwirken, und die ökonomische Unabhängigkeit ist durch das Ausmaß der Verpflichtung der Notenbank zur Finanzierung von Staatsdefiziten definiert. Aus einer Harvard-Studie, in der der Zusammenhang zwischen Autonomiegrad der Notenbank einerseits und Entwicklung von Wachstum, Inflation, Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung andererseits für den Zeitraum 1951 - 1988 untersucht wurde, ergaben sich folgende Ergebnisse: Länder mit einer sehr hohen Notenbankautonomie, wie die Schweiz und Deutschland, verzeichneten eine durchschnittliche Inflationsrate in Höhe von 3,1% und eine Wachstumsrate von ebenfalls 3,1%. Italien und Spanien, also Länder mit einem extrem niedrigen Autonomiegrad der Notenbank, hatten bei einer 3,8%igen Wachstumsentwicklung durchschnittliche Inflationsraten von 7,5%. Aus der Wachstumsperspektive optimal erwiesen sich Länder mit relativ hoher Zentralbankautonomie, wie z.B. die USA, Japan oder die Niederlande, die eine höhere durchschnittliche Wachstumsrate von 4,3% aufwiesen, allerdings bei einer Inflationsrate von durchschnittlich 4,4%. Wie aus dieser Untersuchung hervorgeht, ist ohne eine ausreichende Autonomie der Zentralbank die Aufrechterhaltung der Stabilität nicht möglich. Es zeigt sich außerdem, daß die Förderung von Wachstum und Beschäftigung durch vorübergehend höhere Inflationsraten nicht erfolgreich ist. Damit wird sowohl aus theoretischer als auch erfahrungswissenschaftlicher Sicht der generelle Ansatz in Europa, eine Währungsunion von einem sehr hohen Autonomiegrad der Notenbank und einer weitgehenden Homogenität der beitretenden Länder abhängig zu machen, gestützt. [Seite der Druckausgabe: 34] Eine Prüfung der vorgesehenen Konvergenzkriterien und der Unabhängigkeit der Europäischen Notenbank gibt jedoch in dreierlei Hinsicht Anlaß zur Skepsis: (1) Erstens verfolgen sowohl das Kriterium der Preisstabilität als auch das Kriterium der Zinsabweichung den Zweck, eine Stabilisierung des Wechselkurses über die Zinsentwicklung zu verhindern. Bereits heute schon ist jedoch beispielsweise die DM über den extrem hohen Kurs wechselkurs- und nicht kaufkraftgestützt, wir befinden uns also in einer unbefriedigenden Ausgangslage. (2) Ein weiterer Kritikpunkt aus ökonomischer Sicht liegt in dem Zwang zu einem Schlußtermin. Falls bei einer Prüfung der Konvergenz 1998 nur wenige Länder diesen Eintrittstest bestehen, stellt sich die Frage, wie großzügig die Kriterien dann ausgelegt und interpretiert werden, um beispielsweise die sechs Gründungsmitglieder der EG nicht von der Währungsunion ausschließen zu müssen. In diesem Fall wäre von vornherein keine ausreichende Konvergenz vorhanden, die Europäische Notenbank würde von Anfang an auf verlorenem Posten stehen und die ohnehin schwierige Aufrechterhaltung einer Konvergenz würde außerordentlich schwierig werden. (3) Ein dritter Kritikpunkt betrifft die Überprüfung der Erfüllung der Konvergenzkriterien. Vor allem in Bezug auf die Definition des Haushaltsdefizits sind Manipulationen möglich. Im Fall der Bundesrepublik Deutschland stellt sich die Frage, wie die von der DDR übernommenen Altschulden behandelt werden sollen, die nicht am Kapitalmarkt aufgenommen wurden und die, da sie vom jetzigen Inhaber weder verzinst noch getilgt werden können, eigentlich gestrichen werden müßten. Falls die Schulden der Treuhand und der ostdeutschen Wohnungsbaugesellschaften in die Gesamtverschuldung der Bundesrepublik Deutschland eingerechnet werden sollten, würden die Konvergenzkriterien (Gesamtverschuldungsgrad) nicht erfüllt. Wichtiger als der Bestand an Schulden sollte das Ausmaß der Nettoneuverschuldung sein. Die Maastrichter Beschlüsse haben jedoch auch positive Entwicklungen hervorgerufen. Sie führten in erheblichem Umfang zu Verhaltensänderungen in den europäischen Ländern. Stabilität hat heute in den meisten [Seite der Druckausgabe: 35] europäischen und außereuropäischen Ländern einen höheren Stellenwert als noch Anfang der 80er Jahre. Stabilitätskultur muß jedoch nicht nur auf die Verhaltensweisen der Staaten, sondern auch auf die Verhaltensweisen der Tarifpartner und die Umverteilungsregeln übergreifen. Auch muß sich die Geld- und Kreditpolitik der Deutschen Bundesbank der letzten zwei Jahre den Vorwurf gefallen lassen, das nationale Interesse der Geldwertstabilität gegen die konjunkturpolitischen Erfordernisse in den europäischen Nachbarländern durchgesetzt zu haben und damit gegen den gemeinsamen Geist von Maastricht verstoßen und statt dessen einen provinziellen Kurs gefahren zu haben. Am Vorabend des Binnenmarktes und im Vorfeld der Währungsunion müssen die nationalen Notenbanken ihre geldpolitischen Beschlüsse am gesamteuropäischen Produktionspotential ausrichten.
[Seite der Druckausgabe: 36]
Diskussion:
Der Stellenwert einer Erfüllung der Konvergenzkriterien als Beitrittsvoraussetzung in eine Währungsunion ist umstritten. Erstens gibt es aufgrund der traditionellen Definition der Begriffe in den Formulierungen der Kriterien grundsätzliche Zweifel an deren tatsächlicher ökonomischer Bedeutung. So gehen in die Inflationsrate Erhöhungen der Verbrauchs- und Mehrwertsteuern ein, wird ein Preisstrukturwandel, wie er sich durch den Übergang von einer Industrie- in eine Dienstleistungsgesellschaft ergibt, nicht berücksichtigt und bleibt vor allem unbeachtet, daß im nationalen und internationalen Kontext die Erwartungen hinsichtlich der Entwicklung der Inflationsraten größeren Einfluß ausüben als die tatsächlichen Inflationsraten. Zweitens muß kritisiert werden, daß lediglich die zeitpunktbezogene Erfüllung der Kriterien für einen Eintritt in die Währungsunion erforderlich ist. Die Entwicklung der entscheidenden Größen und die Fähigkeit der Mitgliedstaaten, diese in den Kriterien enthaltenen Vorgaben auch weiterhin zu erfüllen, finden bei der Formulierung der Kriterien keine Berücksichtigung. Eine funktionierende Währungsunion setzt voraus, daß in den Mitgliedstaaten leistungsfähige Steuerungssysteme (z.B. die Finanzverwaltung) vorhanden sind, um Haushaltsdefizite reduzieren zu können bzw. um die Möglichkeit zu haben, Nettoneuverschuldungen in einer währungsunionskonformen Grenze zu halten. Ohne diese Steuerungssysteme werden Finanztransfers notwendig, die entweder durch Einkommenstransfers von den Hartwährungs- in die Weichwährungsländer oder durch Inflation mittels einer lockeren Geldpolitik finanziert werden. Außerdem besteht dabei die Gefahr, daß das EWS unter Druck gerät, IWF-ähnliche Auflagen an unstabile Mitgliedstaaten zu richten, die mit den demokratischen Willensbildungsprozessen in diesen Staaten unvereinbar wären. Drittens enthält der Vertrag als Beitrittsvoraussetzung nicht nur die Konvergenzkriterien, sondern auch die Erfüllung anderer "notwendiger Voraussetzungen". Dadurch stellt sich die Frage, inwieweit eine Erfüllung der Konvergenzkriterien tatsächlich ausschlaggebend für einen Eintritt in die Währungsunion ist und inwieweit sich durch diese notwendigen Voraussetzungen ein Beurteilungs- oder gar Ermessensspielraum öffnet, der einer rein politischen statt ökonomischen Entscheidung darüber, wer an der [Seite der Druckausgabe: 37] Währungsunion beteiligt sein wird, Vorschub leistet. Aus dem Vertrag ist ein Beurteilungsspielraum ablesbar, eine Gewichtung der Kriterien gilt als möglich. Damit bleibt die Bedeutung der Konvergenzkriterien zweifelhaft, da diese zwar einerseits als Bremse gegenüber jenen Mitgliedstaaten gedacht waren, die die Voraussetzungen für den Eintritt in eine Währungsunion nicht erfüllen, andererseits aber die Berichte der Kommission über die Einhaltung der Kriterien lediglich als Grundlage für eine politische Entscheidung des Rates dienen. Die in allen Mitgliedstaaten erlassenen Programme zur Erreichung der Konvergenz werden bisher als rein nationale Aufgabe in nationaler Verantwortung angesehen; allerdings gibt es bisher auch keine europäische Kompetenz, gemeinschaftliche Konvergenzprogramme zu erlassen. Durch die permanente Kontrolle, Korrektur und Anpassung der Programme entsteht jedoch schon jetzt ein spürbarer Druck auf die Politik, Homogenität herbeizuführen. Für eine Erreichung der Konvergenz sind jedoch auch Änderungen in der Lohn- und Einkommenspolitik erforderlich. Ebenso muß für die künftige Geldpolitik die Entwicklung des Gesamtproduktionspotentials in Europa als Orientierungsgröße dienen. Doch selbst dann wird ein Europäisches Währungsinstitut noch vor schwer lösbaren Problemen stehen, wenn in den verschiedenen Ländern unterschiedliche Schocks jeweils unterschiedliche geldpolitische Maßnahmen erfordern sollten. Eine erfolgreiche Stabilitätspolitik seitens der Europäischen Zentralbank wird dabei nicht so sehr von ihrer Unabhängigkeit als vielmehr von ihrer Konfliktfähigkeit abhängig sein. Dies führt zu einem weiteren Aspekt der Währungsunion. Viele Länder erwarten von ihr ein Ende der geldpolitischen Vorherrschaft der Deutschen Bundesbank in Europa. Einerseits ergaben zwar empirische Untersuchungen, daß die Stabilität des Preisniveaus in Europa in den 80er Jahren ursächlich auf die Politik der Deutschen Bundesbank zurückzuführen sei und nicht auf das EWS, andererseits muß jedoch berücksichtigt werden, daß die festen Wechselkurse des EWS eine Voraussetzung für die Vorherrschaft der Deutschen Bundesbank waren. In einer Währungsunion mit einer Europäischen Zentralbank unter der Regie der EG sehen einige Mitgliedstaaten die Möglichkeit für ein Mehr an geldpolitischer [Seite der Druckausgabe: 38] Einflußmöglichkeit. Für diese Mitgliedstaaten ist es lohnend, eine Erfüllung wie auch immer definierter Voraussetzungen als Bedingung für den Eintritt in die Währungsunion zu akzeptieren, um eine Mehrheit für den Eintritt in die Währungsunion zu erlangen und damit zu mehr Mitsprache bei der europäischen Geldpolitik zu gelangen. Die verschiedenen Kritikpunkte hinsichtlich der Konvergenzkriterien lassen diese als objektiven Maßstab fragwürdig erscheinen. Dennoch gilt es als unabdingbar, daß die Voraussetzungen für und die Möglichkeiten zur Erfüllung der Kriterien in den Mitgliedstaaten vorhanden sind. An deren wortwörtlicher Erfüllung muß dabei nicht starr festgehalten werden. Über die Frage, ob die Konvergenzkriterien für einen Eintritt in die Währungsunion lediglich Anhaltspunkte darstellen und ein zusätzliches breites Ermessen des Rates entscheidend sein wird oder ob die Überprüfung der Erfüllung der Konvergenzkriterien und der anderen im Vertrag enthaltenen notwendigen Voraussetzungen tatsächlich ausschlaggebend sein wird, bestand keine Einigkeit. Ebenso bestand Dissens, ob es eine Währungsunion ohne alle EG-Gründungsmitglieder geben kann bzw. ob die Gründungsstaaten aus Prestigegründen auf einer Teilnahme an der Währungsunion bestehen werden oder ob es eher keine Währungsunion geben wird, als daß unqualifizierte Mitgliedstaaten teilnehmen. Wenn ohnehin die Kernländer die Währungsunion gründen sollten, wären jedoch die Konvergenzkriterien überflüssig. Die Erfüllung oder Nichterfüllung der Kriterien jedenfalls birgt keinen Automatismus für den Eintritt in die Währungsunion in sich. Die im Art. 109j Abs. 3 EWGV geforderte "gebührende Berücksichtigung" der notwendigen Voraussetzungen ermöglicht eine politische Entscheidung. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000 |