FES | ||
|
|
TEILDOKUMENT:
2. Sitzung: Ist die Politische Union Voraussetzung der Währungsunion? Klaus Hänsch: Ist die Politische Union Voraussetzung der Währungsunion? Ich möchte auf die Frage mit zehn Punkten antworten: (1) Der historische Ablauf zeigt, daß die Politische Union nicht als Voraussetzung für die Währungsunion konzipiert war: Die Bestrebungen zur Währungsunion setzten zeitlich vor den Bestrebungen zur Politischen Union ein. Den Anstoß zur Währungsunion gab 1988 der Europäische Rat von Hannover, der Impuls zur Politischen Union entstand dagegen erst durch die neue Lage in Deutschland und Europa 1989/90. Die Verbindung zwischen beiden "Unionen" wurde vor allem durch die Bundesregierung auf Drängen des Europäischen Parlaments hergestellt. (2) Was ist überhaupt die Politische Union? Ist Politische Union erst ein europäischer Bundesstaat, den die einen wünschen und die anderen fürchten? In diesem Fall schafft der Maastricht-Vertrag die Politische Union noch nicht. Aber ist Politische Union tatsächlich erst bei einer funktionierenden gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik verwirklicht? Ist es noch keine Politische Union, wenn die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres nur einen intergouvernementalen Charakter hat? Ist nicht vielmehr ein Gebilde wie die EG, das unmittelbar geltendes innerstaatliches Recht setzt, auch wenn sich dieses Recht zum großen Teil nur auf den Bereich des Wirtschaftens bezieht, auch schon eine Politische Union? Die Politische Union in Europa ist de facto weiter fortgeschritten als durch den derzeitigen vertraglichen Rahmen beschrieben. (3) Die Währungsunion ist sicherlich auch als Treibriemen für die Politische Union konzipiert worden. Das ist die traditionelle Methode der europäischen Einigung seit Monnet. Sie besteht darin, Sektor für Sektor Zeit- und Zielvorgaben zu machen. Aus den Anstrengungen jedes Mitgliedstaats, Zeitvorgaben und Ziele gemeinsam mit den anderen zu erreichen und nicht [Seite der Druckausgabe: 17] hinter ihnen herzuhinken, entwickelt sich die Dynamik des Integrationsprozesses. Die Politik der gegenwärtigen italienischen Regierung zeigt aber, daß diese Methode immer noch wirksam ist: Italien würde mit großer Wahrscheinlichkeit die politischen und sozialen Belastungen nicht auf sich nehmen, wenn es das Zieldatum 1997 /1999 nicht gäbe. (4) Die Währungsunion ist Teil der Politischen Union, d.h. mit der Schaffung der Währungsunion wird - zumindest aus der Sicht eines Teiles der Mitgliedstaaten, insbesondere Frankreichs - auch ein Stück weit die Politische Union geschaffen. Die Bundesbank bestimmt z.B. die französische Geld- und Wirtschaftspolitik entscheidend mit, was aus französischer Sicht einen Verlust an staatlicher Souveränität bedeutet. So gesehen bewirkt die Währungsunion eine Teilhabe an gemeinsamer Souveränität, d.h. an der Politischen Union. (5) Im Vertrag von Maastricht gibt es eine problematische Schieflage zwischen der Vergemeinschaftung der Geld- und Währungspolitik und der nicht ausreichenden Vergemeinschaftung der Wirtschaftspolitik. Erstere wird harmonisiert, letztere dagegen nach Art. 102a und 103 EGV nur koordiniert. Es könnte sich daraus in der Tat eine permanente, schädliche Diskrepanz zwischen der gemeinschaftlichen Währungspolitik und der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten ergeben. Hierzu zwei Bemerkungen: Erstens ist es nicht gerechtfertigt, den Vertragspartnern von vornherein Vertragsbruch zu unterstellen, d.h. anzunehmen, daß sie nicht alles tun werden, um ihre Wirtschaftspolitik auch tatsächlich zu koordinieren. Zweitens bleibt als Frage politisch zu beantworten, ob die Schieflage so stark und gefährlich ist, daß die Währungsunion und damit der Maastricht-Vertrag insgesamt abgelehnt werden sollte. Politisch gesehen ist das dänische Nein möglicherweise ein Beinbruch, ein Nein Frankreichs oder Großbritanniens wäre ein Unglück, ein deutsches Nein aber wäre eine europäische Katastrophe. Insgesamt betrachtet ist die beschriebene Schieflage beachtlich und Anlaß zu besonderer Aufmerksamkeit und Sorge, sie rechtfertigt aber nicht, den gesamten Maastricht-Vertrag scheitern zu lassen. (6) Zu Recht wird immer wieder behauptet, eine Währungsunion könne nur unter einem staatlichen Dach funktionieren, sie müsse durch eine starke politische Autorität ausbalanciert werden. Die Währungsunion braucht gewiß eine gemeinsame Handelspolitik, einen funktionierenden Binnenmarkt und [Seite der Druckausgabe: 18] wirtschaftliche Konvergenz. Fraglich ist, ob wirklich eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik notwendig ist. Fraglich ist zudem, ob es wirklich einer über die intergouvernementale Kooperation hinausgehenden gemeinsamen Innen- und Justizpolitik als staatliches Dach für eine Währungsunion bedarf. Und fraglich ist schließlich auch, ob wirklich eine voll ausgebaute parlamentarische Demokratie auf Gemeinschaftsebene erforderlich ist. Eines scheint jedenfalls festzustehen: Eine präzise Festlegung dessen, was das politische Dach alles abdecken muß, um die Währungsunion funktionsfähig zu halten, ist nicht möglich. (7) Wer einen europäischen Bundesstaat als Voraussetzung für eine Währungsunion fordert, will - politisch gesehen - in Wahrheit die Währungsunion nicht. In der Geschichte hat es Währungsunionen ohne staatliche Einheit - genauso übrigens wie Staaten mit mehreren Währungen - gegeben. Jedenfalls gibt es keinen Beweis dafür, daß die Währungsunion, so wie sie jetzt konzipiert ist, nicht funktionieren kann. (8) Statt der Währungsunion auf der Grundlage des Vertrages von Maastricht sei es besser, so ist zu hören, verschiedene Geschwindigkeiten zur Währungsunion vorzusehen oder eine kleine Währungsunion zwischen Kernstaaten der EG - wie immer die auch zu bestimmen sind. Hierzu ist folgendes zu bemerken: Die verschiedenen Geschwindigkeiten zur Währungsunion sind doch bereits in Art. 109j Abs. 1 und 2 EGV vorgesehen. Eine kleine Währungsunion allerdings würde die gleichen Schwierigkeiten wie eben beschrieben aufwerfen: Es gäbe keinen Staat, keine politische Autorität bei vielleicht etwas mehr wirtschaftlicher Konvergenz. Auch bei einer kleinen Währungsunion wäre also die vermeintliche Voraussetzung einer Politischen Union nicht erfüllt. (9) Der Weg zur Währungsunion, durch den Vertrag von Maastricht - mit Zeit- und Zielvorgabe - beschrieben, ist ohne Frage nicht risikofrei. Aber es ist auch nicht ohne Risiko, den Weg zur Währungsunion nicht zu gehen. In der gegenwärtigen Situation in Europa fördert Abwarten die Erosion der Gemeinschaft. Hierzu seien beispielhaft nur zwei Punkte angesprochen: Die Erweiterung der Gemeinschaft steht an. Wenn ihr nicht eine Vertiefung der Integration vorangeht, werden in der Folge die desintegrativen Tendenzen gefördert. Die politische Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft in Europa ist - [Seite der Druckausgabe: 19] auch angesichts der Entwicklung in den USA - zunehmend gefordert. Die Gemeinschaft kann nicht so tun, als hätte sie unendlich viel Zeit, um ihre politische Handlungsfähigkeit als Stabilitätsfaktor für Europa zu gewinnen. (10) Insgesamt ergibt sich folgendes: Der Maastricht-Vertrag ist ein Kompromiß unter zwölf Mitgliedstaaten. Er ist ein Ganzes, aus dem man sich nicht nur die Rosinen herauspicken kann. Die Lage in Europa hat sich verändert. Auf den wachsenden Neo-Nationalismus im Osten kann die Re-Nationalisierung im Westen nicht die richtige Antwort sein. Unter diesen Vorzeichen muß der mit dem Vertrag von Maastricht beschrittene Weg verantwortlich weitergegangen werden.
[Seite der Druckausgabe: 20]
Axel Siedenberg:
In der gegenwärtigen Situation herrscht die Sorge und der Eindruck vor, daß die Politische Union - jedenfalls in ihrer Vollendung - nicht durchsetzbar sein könnte. Hieraus könnte sich die Folgerung ableiten, dann auch das Projekt der Währungsunion aufzugeben. So gesehen ist die gegebene Fragestellung, ob die Politische Union Voraussetzung der Währungsunion sei, gegenwärtig sehr wichtig. Zunächst ist als ökonomischer Hintergrund zu klären, was überhaupt mit der in Maastricht vorgesehenen Zentralisierung der Geld- und Währungspolitik gemeint ist. Der Maastricht-Vertrag will die Grundprinzipien der - erfolgreichen - deutschen Geldpolitik für Europa imitieren. Wichtige dieser Prinzipien sind die Unabhängigkeit der Notenbank, die Orientierung am Ziel der Preisstabilität und die mittelfristige Orientierung (keine hektische, kurzfristige Konjunktursteuerung). Hinter diesen Prinzipien steht die Erkenntnis, daß angesichts der Unsicherheiten über Tempo und Ausmaß der Wirkungen geldpolitischer Maßnahmen konjunkturelle Feinsteuerung mittels der Geldpolitik unmöglich ist. Der Maastricht-Vertrag will daneben auch währungspolitische Maßnahmen, d.h. Abwertungen, zur Förderung des eigenen Handels ausschließen. Vor diesem Hintergrund sollen jetzt im folgenden verschiedene Aussagen zu der Frage, ob die Politische Union Voraussetzung der Währungsunion sei, kritisch betrachtet werden: (1) "Die Politische Union ist Voraussetzung der Währungsunion, wenn die Geldpolitik in Europa integraler Bestandteil der nationalen Stabilisierungspolitik sein soll". Die Geldpolitik kann nach heutigem Verständnis nur sehr begrenzt einer kurzfristigen nationalen Stabilisierung dienen und soll vielmehr einen stabilen monetären Rahmen setzen, innerhalb dessen sich die Volkswirtschaft effizient entwickeln kann. Kurzfristige, antizyklische Geldpolitik ist ein gefährliches Spiel mit der sog. Geldillusion. Es funktioniert bekanntlich nur, solange die Menschen nicht bemerken, daß das Geld in Folge der expansiven Geldpolitik seinen Wert verliert. Die Ideen einer optimalen Kombination von Geld- und Finanzpolitik und einer kurzfristigen Stabilisierungspolitik entstammen dem keynesianischen Küchenkabinett. Sie erfordern erstens unerreichbares Feinsteuerungswissen und setzen zweitens de facto die Abhängigkeit der [Seite der Druckausgabe: 21] Notenbank voraus, da diese sich dann regelmäßig mit der Finanzpolitik abstimmen muß. Als zentrale These ergibt sich somit folgendes: Je monetaristischer die Geldpolitik ist, desto weniger bedarf die europäische Währungsunion der Politischen Union. Je mehr umgekehrt die Geldpolitik zur kurzfristigen Konjunktursteuerung eingesetzt werden soll, desto wichtiger ist die Politische Union als Voraussetzung für die Währungsunion. (2) "Die Politische Union ist Voraussetzung der Währungsunion, wenn die Geld- und die Wechselkurspolitik zur Abfederung externer Schocks für den gesamten Währungsraum benutzt werden sollen". Die Geldpolitik ist aus heutiger Sicht auch ungeeignet zur Abfederung externer Schocks, denn auch hierfür fehlt das erforderliche Steuerungswissen. Möglicherweise ist hierfür die Wechselkurspolitik noch geeigneter; die Wechselkurskompetenz wird aber, genauso wie in Deutschland, nicht bei der EZB liegen. (3) "Die Politische Union ist Voraussetzung der Währungsunion, wenn die Akzeptanz der Währungsunion nur auf diese Weise gesichert werden kann, d.h. wenn der Souveränitätsverlust in Folge einer Währungsunion durch die Bildung einer Politischen Union kompensiert werden muß". Die gegenwärtige Situation scheint eher unter umgekehrten Vorzeichen zu stehen. In vielen Staaten Europas ist die Idee der Währungsunion zur Zeit ganz gut zu verkaufen, erscheint sie doch als logische Fortentwicklung des bereits existierenden EWS. Dagegen erschrecken viele Bürger die zentralistischen Tendenzen der Politischen Union. Den Souveränitätsverlust durch die Währungsunion, der de facto heute schon für die europäischen Nachbarn im Wechselkursverbund des EWS eingetreten ist, kann nicht eine Politische Union, sondern nur eine europäische Zentralbank mit einem gemeinsamen Zentralbankrat - in dem nicht nur Deutsche sitzen -kompensieren und erträglich machen. (4) "Die Politische Union ist Voraussetzung der Währungsunion, wenn große Finanztransfers zur Abfederung der Konsequenzen der Währungsunion erforderlich werden". Dieser Aussage ist zuzustimmen. Falls wirklich riesige Finanztransfers erforderlich werden sollten, wäre in der Tat die Politische Union eine notwendige Voraussetzung. Allerdings fragt sich, warum - bei Erfüllung der [Seite der Druckausgabe: 22] harten Konvergenzkriterien des Maastricht-Vertrags - ein riesiger Finanzbedarf erforderlich werden sollte. Hierfür werden zwei Argumente angeführt: Zum einen könnten nationale Schocks auftreten, die kompensiert werden müssen. Derartige nationale Schocks werden aber in einem gemeinsamen Binnenmarkt keine besondere Rolle mehr spielen und sozusagen durch den Markt ausgeglichen werden. Zum zweiten wird das Argument unterschiedlicher nationaler Entwicklungsstände angeführt. Wenn der Entwicklungsstand in Europa tatsächlich so unterschiedlich ist, dann sollte in der Tat keine Währungsunion in Angriff genommen werden. In diesem Fall sollte dann besser auf das Konzept eines Europas der mehrfachen Geschwindigkeiten zurückgegriffen werden. (5) "Die Politische Union ist Voraussetzung der Währungsunion, wenn in einer Währungsunion der zur Zeit (im EWS) wirksame Disziplinierungszwang entfallen sollte". Der Disziplinierungszwang für die Finanzpolitik im derzeitigen EWS ist zwar existent, aber doch recht gering. So konnte selbst Italien jahrelang trotz hoher Budgetdefizite den Wechselkurs stabil halten; der Grund für die aktuellen Schwierigkeiten waren eher die hohen Löhne, als das Defizit und die laxe Finanzpolitik. Belgien hat, obwohl dort die Staatsschulden noch höher sind, keine Schwierigkeiten gehabt, den Wechselkurs gegenüber der DM konstant zu halten. Der Disziplinierungszwang für die Finanzpolitik wird jetzt durch die Maastrichter Konvergenzkriterien eindeutig verschärft. Alles in allem ergibt sich, daß eine Politische Union keineswegs Vorbedingung einer Währungsunion ist. Vorbedingung ist, daß die Grundvorstellungen über den richtigen Kurs der Geldpolitik übereinstimmen. Diese notwendige Gemeinsamkeit wird aber bereits seit Mitte der 80er Jahre in Europa geprobt. Bemerkenswert ist dabei, wie selbst durch die jüngsten Währungsturbulenzen hindurch die Länder des Hartwährungsblocks konstant auf dem Kurs einer an der Geldwertstabilität orientierten Geldpolitik geblieben und nur diejenigen Staaten, die ohnehin schon weiche Kandidaten waren, ausgebrochen sind. In der Diskussion wird folgender Gesichtspunkt viel zu wenig beachtet: Im Hartwährungsblock in Europa (Deutschland, Frankreich, Benelux-Länder, Dänemark) ist bereits heute mit dem Wegfall des Wechselkurses als politischem Instrument ein wesentlicher Teil der Währungsunion verwirklicht. [Seite der Druckausgabe: 23] Wichtige Vorteile eines solchen Systems können dagegen noch nicht voll genutzt werden und es bleiben folgende Schwachpunkte:
Die Institutionen passen also nicht zur Wirklichkeit. Ohne zumindest die Perspektive einer in absehbarer Zeit realisierten Währungsunion wird das EWS nicht durchhaltbar sein. Eine derartige Währungsunion setzt, wie gesagt, keine Politische Union voraus. Wer allerdings nicht zumindest langfristig auch eine Politische Union haben möchte, sollte frühzeitig erklären, daß er nicht an der Währungsunion teilhaben will.
[Seite der Druckausgabe: 24]
Diskussion:
Im Anschluß an Hänsch und Siedenberg herrschte - in der Beantwortung der Ausgangsfrage - weitgehendes Einvernehmen darüber, daß eine "komplette" Politische Union keine Voraussetzung für die Währungsunion ist. In das Zentrum der Diskussion rückte die Frage, ob in der zukünftigen Europäischen Währungsunion mit Einheitswährung und gemeinsamer Notenbank in der Praxis tatsächlich, wie in Maastricht vertraglich vorgesehen, eine Orientierung am Ziel der Preisstabilität zu erwarten ist. Sind nicht vielmehr ständige, stabilitätsgefährdende Interventionen der Politik zu befürchten? Diese Frage wurde kontrovers beurteilt, wobei zwei Aspekte unterschieden werden können: Strittig war zum einen, ob die zukünftige EZB, deren Unabhängigkeit und Stabilitätsorientierung in Maastricht ja zumindest auf dem Papier festgelegt wurde, auch in der Praxis eine entsprechende Geldpolitik betreiben wird. Kontrovers beurteilt wurde zum zweiten, ob diese - eine solide Geldpolitik der europäischen Notenbank also unterstellt - nicht durch eine inflationäre Finanzpolitik der Mitgliedstaaten unterlaufen werden kann. Im folgenden zunächst zu diesem zweiten Aspekt. Die Skeptiker gegenüber einer Währungsunion wiesen auf die Gefahr hin, daß eine expansive Finanzpolitik in einzelnen Mitgliedstaaten inflationär für Europa wirken würde. Hiergegen wurde die These von der Irrelevanz der Finanzpolitik in den Mitgliedstaaten ins Feld geführt. Es sei für das Gesamtgebilde der Europäischen Währungsunion ziemlich egal, welche Finanzpolitik z.B. Italien mache, solange nur der Regierung der Zugriff auf die Notenpresse verwehrt sei. Italien könne natürlich eine expansive Finanzpolitik betreiben, entscheidend aber sei, daß es im System der Währungsunion mit einer unabhängigen europäischen Notenbank seine Schulden mit Geld zurückzahlen müsse, das es nicht mehr selbst herstellen könne. Italien würde daher bei einer übermäßigen expansiven Finanzpolitik Schwierigkeiten bekommen, Gläubiger zu finden; hierin liege gerade der erwünschte disziplinierende Effekt der Währungsunion. Das System der Währungsunion insgesamt aber würde dadurch nicht in inflationäre Schwierigkeiten getrieben, denn es sei ziemlich unwahrscheinlich, daß alle nationalen Finanzpolitiken der Mitgliedstaaten in die gleiche Richtung extrem expansiv werden und damit den Kurs einer stabilitätsorientierten Geldpolitik konterkarieren. [Seite der Druckausgabe: 25] Die These von der Irrelevanz der Finanzpolitik für die Geldpolitik in der Währungsunion blieb ihrerseits nicht unwidersprochen: Selbst wenn die Finanzpolitik irrelevant für die Inflationsrate sein sollte, so führe doch eine expansive Finanzpolitik - etwas allgemein formuliert - zu negativen wirtschaftlichen Konsequenzen. Ohne eine Währungsunion konzentrierten sich diese negativen Auswirkungen im wesentlichen auf das jeweilige Inland, so daß der Wähler entsprechend reagieren könne. Bei einer Währungsunion ohne eine wirkliche Harmonisierung der Finanzpolitik seien dagegen die Wirkungen diffus, so daß die Möglichkeit einer entsprechenden Reaktion des Wählers fehle. Diese Gefahr sei im übrigen auch in den Maastrichter Verträgen gesehen worden, es sei aber zu bezweifeln, ob die dort getroffenen Regelungen zur Abwehr dieser Gefahr funktionierten. Nun zu dem ersten der oben genannten Aspekte: Wird die zukünftige EZB in der europäischen Praxis tatsächlich ihre - im Maastricht-Vertrag ja festgeschriebene - Unabhängigkeit wahren und einen streng stabilitätsorientierten Kurs fahren können? (1) Hingewiesen wurde von den "Optimisten" zunächst darauf, daß die Unabhängigkeit der Notenbank im Maastricht-Vertrag besser gesichert sei als die der Bundesbank im deutschen Recht. Das Ziel der Preisstabilität sei sogar auf einer höheren Ebene festgeschrieben als in Deutschland, denn dort stünde es nur im jederzeit zu ändernden Bundesbankgesetz. (2) Die "Skeptiker" bezweifelten - ähnlich wie die 60 Ökonomen in ihrer Stellungnahme -, daß die institutionellen Voraussetzungen ausreichend sind, um die Geldwertstabilität zu garantieren. Es fehle in Europa insgesamt der erforderliche geldpolitische Konsens, die erforderliche Stabilitätskultur. Die Partnerländer hätten z.T. ganz andere geldpolitische Traditionen, denen zufolge der Einsatz der Geldpolitik je nach wirtschaftspolitischem Bedarf gerechtfertigt sei. Die - von Hänsch so bezeichnete - Schieflage der Währungsunion ä la Maastricht mit einer Vergemeinschaftung der Geldpolitik bei gleichzeitig fehlender Vergemeinschaft der Finanz- und Wirtschaftspolitik stelle eine große Gefahr für die Stabilität dar. All die Staaten, die eine expansive Finanzpolitik betrieben, würden über ihre Vertreter im EZB-Rat entsprechend Druck auf die Geldpolitik ausüben. Die Nichtharmonisierung der [Seite der Druckausgabe: 26] Finanzpolitik würde so auf die Geldpolitik durchschlagen und die Geldwertstabilität gefährden. (3) Diesen Zweifeln an der geldpolitischen Standhaftigkeit einer zukünftigen EZB wurde mit folgendem, bereits von Sievert vorgebrachten [ Fn. 3: Siehe Sievert, Geld, das man nicht selbst herstellen kann. Die Lohn- und Finanzpolitik der Nationalstaaten in der Disziplin der Europäischen Zentralbank. Ein ordnungspolitisches Plädoyer für die Europäische Währungsunion, FAZ vom 26.9.1992, S. 13.] Argument begegnet: Gerade aus der Tatsache, daß auf europäischer Ebene eine Notenbank geschaffen werde und gleichzeitig die politische Einheit fehle, ergebe sich eine Stärkung der Unabhängigkeit der zukünftigen EZB. Denn wenn es bereits einen europäischen Staat gäbe, wäre es in der Tat leichter denkbar, daß eine europäische Regierung Druck auf die europäische Notenbank ausüben könne. Nicht wahrscheinlich sei es dagegen, daß sich die gemeinschaftliche Notenbank von einzelnen Mitgliedstaaten unter Druck setzen lassen werde. Die Unabhängigkeit der EZB sei, solange es noch keinen europäischen Staat gebe, eher höher einzuschätzen als die der Bundesbank. (4) Die Zweifel an der tatsächlichen Unabhängigkeit der EZB wurden nicht zuletzt auf entsprechende Äußerungen des französischen Staatspräsidenten Mitterand gestützt. Dieser hatte erklärt, es sei doch ganz selbstverständlich, daß die geldpolitischen Techniker der EZB nur dazu da sein werden, die durch die Wirtschaftspolitik vorgegebenen Richtlinien umzusetzen. In der Diskussion wurde verschiedentlich dazu aufgefordert, diese bedenklichen, eindeutig gegen den Geist der Maastrichter Verträge verstoßenden Äußerungen ernst zu nehmen und nicht zu ignorieren, denn sie gäben einen Vorgeschmack auf die im Rat der zukünftigen EZB auftretenden Konflikte. Hierzu wurde zum einen zu bedenken gegeben, daß in Kreisen der französischen Spitzenbeamten, aus deren Kreis ja die zukünftigen Vertreter Frankreichs im EZB-Rat stammen werden, die Idee der Unabhängigkeit der Notenbank rückhaltlos vertreten werde. Zum anderen liege die Geldwertstabilität nicht nur im deutschen, sondern ebenso im französischen Interesse, wie dem aller Partnerländer überhaupt. Es sei bereits deshalb nicht gerechtfertigt, den europäischen Vertragspartnern, die sich im Maastricht-Vertrag ausdrücklich der [Seite der Druckausgabe: 27] Unabhängigkeit und Stabilitätsorientierung der Notenbank verpflichtet haben, von vornherein Vetragsuntreue zu unterstellen. (5) Die Skeptiker führten als Argument für das Nicht-Funktionieren-Können einer europäischen Währungsunion weiterhin die jüngste Krise im EWS an; diese sei nur das letzte Beispiel in einer langen Reihe gescheiterter politischer Versuche, zu einer Währungsunion zu kommen. Nach anderer Auffassung war die jüngste Krise im EWS dagegen kein Beweis für die Funktionsunfähigkeit des EWS, sondern nur für schlechtes politisches Management. Der Fehler habe nur in der politischen Weigerung Großbritanniens gelegen, Wechselkurskorrekturen rechtzeitig zuzulassen. (6) Die Befürworter der Maastrichter Vereinbarung suchten die genannten Zweifel schließlich durch den ergänzenden Hinweis auf folgende Sicherungsvorkehrungen zu zerstreuen: Zum einen habe der Maastricht-Vertrag angesichts der problematischen Schieflage zwischen der Vergemeinschaftung der Geldpolitik und der Nicht-Vergemeinschaftung der Wirtschafts- und Finanzpolitik im Hinblick auf letztere Koordinierungsinstrumente vorgesehen. Zwar bleibe die Zuständigkeit der Wirtschafts- und Finanzpolitik bei den Mitgliedstaaten, diese seien aber zur Koordination in den Bereichen, die für das Funktionieren der Währungsunion wichtig sind, gezwungen. Koordinierungsinstrumente sind das System der multilateralen Überwachung, die wirtschaftspolitischen Orientierungen und das Haushaltsüberwachungsverfahren. Zum zweiten habe der EuGH die volle Kontrolle über den gesamten Mechanismus der Wirtschafts- und Währungsunion [ Fn. 4: Hierzu wurde auf Art. 173 Abs. 1 EGV verwiesen, in dem es heißt: "Der Gerichtshof überwacht die Rechtmäßigkeit der... Handlungen des Rates, der Kommission und der EZB ...".] . Dies gehe sogar so weit, daß der EuGH im Verfahren der Vorabentscheidung nach Art. 177 EGV über Handlungen der EZB entscheiden könne. Das geäußerte Mißtrauen und die Bedenken gegen die Entscheidungsträger der zukünftigen, durch den Maastricht-Vertrag der Preisstabilität verpflichteten EZB griffen daher nicht durch. [Seite der Druckausgabe: 28] In der Diskussion über die Vor- und Nachteile der geplanten Wirtschafts- und Währungsunion stellte sich immer wieder die Frage nach den Alternativen: (1) Weitgehendes Einvernehmen herrschte darüber, daß ein Rückfall in das System flexibler Wechselkurse in Europa mit seinen überschießenden Schwankungen nicht erwünscht ist. (2) Eine andere Alternative wäre die Weiterführung des EWS in seiner bisherigen Form. Verbreitet wurde allerdings die Auffassung vertreten, daß dies - auch wenn es für Deutschland wünschenswert sein möge - nicht möglich sei. Diese Lösung sei für die anderen europäischen Länder auf die Dauer nicht akzeptabel. Insbesondere Frankreich habe den jetzigen Zustand, der de facto zu einer Beseitigung seiner geldpolitischen Souveränität geführt habe, nur hinnehmen können, solange die Perspektive auf die europäische Währungsunion bestanden habe. (3) Teilweise Zustimmung von ökonomischer Seite erhielt das - in den Maastrichter Verhandlungen wohl auch ausführlich behandelte - Alternativmodell einer europäischen Parallelwährung neben den nationalen Währungen. Dieses Modell führe dazu, daß im Währungsbereich endlich einmal kein Monopol einer Zentralbank, sondern vielmehr Wettbewerb zwischen verschiedenen Währungen bestehe. Es habe enorme disziplinierende Wirkung für die nationalen Wirtschafts- und Finanzpolitiken. Es sei aber in Maastricht politisch nicht durchsetzbar gewesen und nicht zuletzt auch auf entschiedenen Widerstand der Bundesbank gestoßen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000 |