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[Seite der Druckausgabe: 6]


2. Regionaler Strukturwandel und Arbeitsmarkt in Mecklenburg-Vorpommern

Der regionale Strukturwandel in den östlichen Bundesländern und seine Folgen für die regionalen Arbeitsmärkte vertiefen die schon in der früheren Planwirtschaft geschaffenen branchenspezifischen regionalen Ungleichgewichte. Einzelne Branchen konzentrieren sich auf bestimmte Regionen:

  • 70% der Beschäftigten der Textilindustrie auf Sachsen

  • 45% der Beschäftigten der chemischen Industrie auf Sachsen-Anhalt

  • 42% der Beschäftigten der Energie- und Brennstoffindustrie auf Brandenburg

  • 30% der Beschäftigten des Bereichs Metall auf Sachsen und Sachsen-Anhalt.

Das Land Mecklenburg-Vorpommern ist von regionalen Disparitäten besonders in den Branchen Land- und Forstwirtschaft und Schiffsbau betroffen.

Im Vergleich zur ehemaligen DDR mit einem 11%-Anteil der Beschäftigten in der Land- und Forstwirtschaft wies Mecklenburg-Vorpommern noch zu Beginn des Jahres 1991 22% aus. Für die Alt-Bundesrepublik lag der Anteil der Beschäftigten in der Land- und Forstwirtschaft bei nur noch 4%.

Im Bereich der Schiffbauindustrie sind von insgesamt 23 Betrieben 18, darunter 5 Seeschiffs- und 2 der 4 Binnenschiffswerften, in Mecklenburg-Vorpommern angesiedelt. Insgesamt 27,7% der Beschäftigten in der Industrie waren in Mecklenburg-Vorpommern bisher im Schiffbau tätig. Für einzelne Regionen ergibt sich dadurch eine sehr hohe Abhängigkeit von diesem Wirtschaftszweig. Der Beschäftigtenanteil im Schiffsbau betrug:

  • 81,5% in Stralsund

  • 70,2% in Wolgast

  • 64,1% in Wismar

  • 49,7% in Rostock

Für den Arbeitsmarkt Mecklenburg-Vorpommerns haben die strukturellen Wandlungsprozesse ebenso wie für die übrigen neuen Bundesländer den Effekt, daß gegenwärtig mehr Arbeitsplätze abgebaut als neue geschaffen werden. Nach einer gemeinsamen repräsentativen Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und von Infratest hat sich die Zahl der Erwerbstätigen in Mecklenburg-Vorpommern in der Periode von November 1989 bis März 1991 um ca.

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155 000 auf 909 000 reduziert, was einer Quote von 15% entspricht. Selbst die hohe Anzahl von 16 969 Existenzgründungen hat die Nachfrage nach Arbeitskräften im ersten Halbjahr nicht wesentlich stimuliert. Mit einer Arbeitslosenzahl von 142 600 (13,9%) im Monat August liegt das Land Mecklenburg-Vorpommern über der Arbeitslosenquote für die Gesamtheit der neuen Bundesländer (12,1%). Nur der Ostteil Berlins mit einer Quote von 14,1% steht noch ungünstiger da.

Am Beispiel der Hansestadt Rostock stellte ein Vertreter des Rostocker Senats die Dimensionen des Strukturwandels auf kommunaler Ebene dar. Eine vom "Prozeßinstitut für Wirtschaft" und dem "Büro für Wirtschaftsforschung" durchgeführte Befragung von ca. 80% der Betriebe in Rostock und in der Region nach Wirtschaftsentwicklung, Geschäftslage und Einschätzung der Arbeitskräfteentwicklung ergab folgende Befunde:

  • Fast 80% der befragten Betriebe schätzen ihre Situation als befriedigend bis positiv ein, 25% sogar als eindeutig positiv. Demgegenüber sehen sich 21% in einer negativen ökonomischen Situation.

  • Zieht man jedoch die Größe der Betriebe in Betracht, so äußerten insbesondere die Klein- und Mittelbetriebe mit zwischen 5 und 20 Arbeitskräften eine positive Einschätzung. Betriebe mit mehr als 500 Beschäftigten waren jedoch eher negativ gestimmt.

  • Zu Beginn des Jahres 1990 beschäftigten die befragten Betriebe 60 % der erwerbstätigen Bevölkerung Rostocks. Bis Juli 1991 wurden die 110 000 Arbeitsplätze um fast 30% verringert, und bis Ende des Jahres 1992 wird die verbliebene Zahl von Arbeitsplätzen mit 36 300 prognostiziert, mit weiterer fallender Tendenz für 1993.

  • In den Großbetrieben Rostocks mit mehr als 1 000 Beschäftigten, die insgesamt 66 000 Arbeitsplätze zur Verfügung stellten, werden für 1992 noch 23 000 erhalten bleiben. Nach einer weiteren Kürzung auf 21 800 in 1993 werden in diesem Bereich 67% der Arbeitsplätze abgebaut sein. 1992 werden Betriebe mit mehr als 5 000 Beschäftigten voraussichtlich nicht mehr existieren.

Dem Abbau der Arbeitsplatzkapazitäten in den Großbetrieben steht eine zunehmende Bedeutung der Klein- und Mittelbetriebe gegenüber. Im Jahr 1993 wird jeder 3. Beschäftigte in Betrieben mit einer Belegschaft unter 500 Personen arbeiten, während

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1990 nicht einmal jeder 8. Beschäftigte in diesem Bereich tätig war. Hierbei werden bis 1993 weiterhin Betriebe der mittleren Größenklasse mit 20-100 Mitarbeitern für Zuwachs an Arbeitsplätzen sorgen, während sich bei Firmen mit 100-500 Beschäftigten bis 1993 ein leichter Rückgang an Arbeitsplätzen andeutet.

In der Gesamtzahl der Arbeitsplätze schlägt sich die vorhergesagte Verzehnfachung in den Klein- und Mittelstandsbetrieben nur als absoluter Zuwachs von 4 000 Arbeitsplätzen nieder, dem 44 000 Arbeitsplatzverluste gegenüber stehen. Für den Senat der Stadt Rostock ergibt sich somit das Problem, daß der Bereich mit progressiver Entwicklung, der Klein- und Mittelstand, zwar expandiert, den benötigten Zuwachs an Arbeitsplätzen jedoch nicht ausgleichen kann. Die Großindustrie als Voraussetzung für das Wachstum von Unternehmen mittlerer Größe (100-500 Arbeitskräfte) ist, ist in der Region zum Untergang verurteilt und es läßt sich gegenwärtig nicht absehen, daß neue Betriebe angesiedelt werden können.

Angesichts der noch fehlenden industriepolitischen Perspektive erfüllen gegenwärtig die klein- und mittelständischen Betriebe eine wichtige Aufgabe beim Aufbau einer Infrastruktur in der Region. So stieg die Zahl der Anmeldung von Gewerbebetrieben in Rostock von 900 in der Zeit vor der Wende auf 7 100 im August 1991. Viele der Gewerbebetriebe konnten sich jedoch wegen fehlendem Know how und Finanzierungsproblemen nicht konsolidieren und mußten schließen. Weitere führten ihr Scheitern auf das Fehlen geeigneter Gewerberäume und -flächen zurück. Dies weist auf die Schwierigkeiten der Kommune hin, bei eskalierenden Bodenpreisen und Gewerberaummieten dem Bereich der Gewerbebetriebe die geeigneten Voraussetzungen zu schaffen.

Mit der besonderen Situation Rostocks als Hafenstadt sind im gegebenen Rahmen Möglichkeiten von Ansiedlungen im Zusammenhang mit dem Hafenumschlag genutzt worden. Beispiele sind der Bau einer französischen Mälzerei, in der 140 000 Tonnen Gerste aus dem ehemaligen Bezirk Neubrandenburg verarbeitet und exportiert werden, sowie ein Güterverteilzentrum im Hafenvorgelände, das 1000 Arbeitsplätze bietet.

Insgesamt jedoch ist die Entwicklung der mittleren Betriebe (100-500 Mitarbeiter) unterproportional verlaufen, weil wesentliche Voraussetzungen, Großbetriebe als Auftraggeber, entsprechende Investitionsmittel und eine intakte Infrastruktur, nicht gegeben sind. Der Vertreter der Hansestadt Rostock illustrierte am Beispiel des Baus eines Kraftwerks in Rostock, welche Nachfrage dadurch bei den Unternehmen mittlerer Größe erzeugt wurde. Unter den gegenwärtigen Bedingungen ist nach seiner Einschätzung keine weitere Neuansiedlung von Großbetrieben in Sicht.

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Die akuten Problembereiche, die eine Strukturentwicklung behindern, sind der fehlende Vorlauf in der Planung, die Verfügung der Treuhandanstalt über Flächen und Anlagen und ein mangelndes Instrumentarium für flexible Sanierungsmöglichkeiten.

Der fehlende planerische Vorlauf im Baugeschehen hat zur Folge, daß nicht alle zur Verfügung stehenden Fördermittel für Infrastrukturmaßnahmen genutzt werden konnten und erst nach Abschluß der Planung 1992 eingesetzt werden können. Angesichts der noch vorhandenen Mittel muß das Verhältnis der Fördermittel zwischen Infrastruktur- und Investitionsmitteln zugunsten von Investitionen modifiziert werden, da bei der geplanten Mittelkürzung für Investitionen schon begonnene Strukturvorhaben sonst nicht mehr in der entsprechenden Fördergröße realisiert werden können.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 2000

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