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TEILDOKUMENT:
X. Sanfter Tourismus in Mecklenburg-Vorpommern ? Seit Beginn der Industrialisierung haben die Umweltprobleme weltweit zugenommen. Zum Teil entstehen die Schäden dort, wo sie sichtbar werden, zum Teil entfalten sie ihre Wirksamkeit entfernt vom Ort ihrer Verursachung. Es gibt viele Gründe, immer ist es der Mensch, der sie auslöst. Selbst bei so vermeintlich harmlosen Betätigungen wie Sport und Erholung erweist sich der Mensch nicht so ohne weiteres als Heger und Pfleger der natürlichen Umwelt. Durch sein Verhalten - bewußt oder unbewußt -initiiert er eine Schädigung der Natur, deren Auswirkungen ihn häufig gleichzeitig zur Abkehr von der zerstörten Landschaft veranlassen. Das Umweltbewußtsein hat deutlich zugenommen. 1985 bemerkten knapp 30% der Reisenden in ihrem Urlaubsgebiet Umweltprobleme (abgestorbene Bäume, Müll, Verkehrsbelastung, Verbauung der Landschaft), 1989 waren es fast 60%. 80% der deutschen Urlauber sprechen sich dafür aus, bei zu starken Umweltbelastungen ein anderes Reiseziel zu wählen. So ist der Tourismus nicht nur Täter, sondern auch Opfer, eine Erkenntnis, die mit dazu beigetragen haben mag, daß bei Überlegungen zur touristischen Entwicklung Mecklenburg-Vorpommerns der sogenannte "Sanfte Tourismus" angestrebt wird. Europaweit kann man beobachten, daß die Standpunkte der vorwiegend ökonomisch operierenden Touristiker und der ökologisch argumentierenden Naturschützer sich zu nähern beginnen. Sowohl in den Zentren touristischen Geschehens als auch in den wenigen noch unerschlossenen Landschaftsräumen müssen heute die Weichen für eine tragfähige Allianz zwischen Tourismus und Umwelt gestellt werden. Auch in Mecklenburg-Vorpommern wird es in den besonders belasteten Regionen in der kommenden Zeit um einen ökologischen Umbau, in den noch zu erschließenden, wenig entwickelten Regionen um die Vermeidung von Umweltbelastung gehen. Insgesamt ist ein integriertes Konzept, in dem Tourismus und Naherholung als Ergänzung und Unterstützung der vorhandenen Wirtschaftszweige - insbesondere der bäuerlichen Landwirtschaft - eine herausragende Rolle spielen, zu entwerfen. Auch im Wirtschaftszweig Tourismus muß darauf geachtet werden, daß sich die ökologischen Maßnahmen ökonomisch auszahlen. Angesichts des Umweltbewußtseins kann man davon ausgehen, daß unterlassene Umweltschutzbemühungen in der Zukunft Gäste "kosten" werden. Es kann angenommen werden, daß die frühzeitige und konsequente Planung und Umsetzung von Umweltschutzmaßnahmen und die Nutzung der Motivation von Mitarbeitern und Gästen die (Gemeinde-)Kosten senkt, die Stellung auf dem Markt verbessert und die wirtschaftliche Situation auch international durch einen Innovationsvorsprung sichert. [Seite der Druckausgabe: 34] Bei allen Schwierigkeiten, die ein radikales Umstellen und Neuentwicklungen in den neuen Bundesländern mit sich bringen, liegt hier die Chance, mit konsequenter Planung und Durchführung des "Sanften Tourismus" die Stellung des Tourismus im Wirtschaftsgefüge überhaupt langfristig zu stärken. Mit den Empfehlungen zur Entwicklung eines sozial- und umweltverträglichen Tourismus hat das Ministerium für Tourismus der DDR noch unter der Modrow-Regierung (Minister Bruno Benthien) gültige Grundsätze formuliert. Sie lauten: "Ein sanfter Tourismus, der gegenseitiges Verständnis der Einheimischen und der Gäste füreinander schafft, die kulturelle Eigenart des besuchten Gebietes nicht beeinträchtigt und der Landschaft mit größtmöglicher Gewaltlosigkeit begegnet, kommt dieser Forderung weitestgehend nach. Er sichert das ökologische Gleichgewicht bei Anerkennung einer Mehrfachnutzung der Landschaft. Unter Ausrichtung auf die vorrangigen Umweltaspekte wie Biotopenschutz, Sicherung des Naturhaushaltes und Bewahrung von Landschaftsbild und Landschaftscharakter sollten durch vorsorgende Planung Flächenverluste durch den Tourismus möglichst gering gehalten werden und womöglich Umweltverbesserungen vorgenommen werden." Auf der Internationalen Ostseekonferenz in Zierow/Wismar wurden in der Arbeitsgemeinschaft Tourismus und Naturschutz die Probleme durch eine touristische Nutzung der Ostseeküste erkannt: Folgen der Übernutzung der Landschaft durch Massentourismus sind Dünenerosion, Steilküstenabbrüche und die Schädigung von Salzwiesen; bestehende Naturschutzgebiete werden bereits vom Massentourismus beeinträchtigt, anfallende Abwässer und andere Abfälle bedrohen das Ökosystem der Ostsee; die Entsorgung hält mit der Entwicklung nicht Schritt, Motorsport beeinträchtigt die Übergangszonen von Land und Meer. Seit der Wende 1989/90 in der DDR sind die ökologischen Probleme der Ostsee Thema zahlreicher Konferenzen geworden und auch in Deutschland ins Bewußtsein gerückt. So beschäftigte sich die Ostseekonferenz in Rönneby 1990 mit den Abwasserproblemen der Kommunen und der Landwirtschaft, die z.B. in Polen allerdings noch gravierender sind. Konnten nach Analysen von Greifswalder und Rostocker Hygieneexperten die Küstengewässer zwischen Pötenitz und Ahlbeck überwiegend mit dem blauen Symbol "Zum Baden sehr gut geeignet, keine Belastungen" versehen werden, so mußte in der Danziger Bucht das Baden verboten werden. Für die Vermeidung zukünftiger und die Lösung vorhandener Probleme bieten die Naturschutzverbände den Fremdenverkehrsverbänden ihre Mitarbeit und Unterstützung an. So ist z.B. Anfang 1990 angesichts der erwarteten Besucherströme [Seite der Druckausgabe: 35] in Rostock eine Kommission aus Vertretern der Gemeinden, der Volkspolizei und der Umweltschutzgruppen gebildet worden, die beriet, wie die Naturschutzgebiete zu schützen seien. Es fehlte an Parkplätzen, Hinweisschildern, Wegebezeichnungen, Toiletten etc. Daß der große Andrang von Reisenden und Gästen dann ausblieb, war durchaus im Sinne der Naturschützer. Auf den Inseln Rügen und Usedom beteiligen sich die Verbände an der Entwicklung einer Umweltkarte zur Benutzung des öffentlichen Nahverkehrsystems, ein Wanderwegenetz in Mecklenburg-Vorpommern ist bereits erarbeitet, das zu einem Radwegenetz erweitert werden kann. Bei der Zurückdrängung des Motorsports auf den Mecklenburgischen Seen schlägt man mit Rücksicht auf die derzeitigen Nutzer ein langfristiges, vorsichtiges Vorgehen vor. Die Motorsportler sollen genügend Zeit erhalten, auf Elektromotoren oder andere Boote umzurüsten. Als Belastungsniveau für die Gewässer gelten die Bestimmungen der alten Bundesrepublik. Die praktischen Schritte zur Entwicklung eines Konzeptes "Sanfter Tourismus" in einem Ort oder einer Region können folgendermaßen zusammengefaßt werden: Alle Produktkomponenten des Tourismus, die da heißen Wohnen, Essen, Trinken, Service, Landschafts- und Städtebild, kulturelles Angebot und Verkehrseinrichtungen, müssen umweltfreundlich, sozialverträglich und kulturfreundlich gestaltet werden, um das Etikett "Sanfter Tourismus" oder "Tourismus mit Einsicht" tragen zu können. Unter der Überschrift umweltverträglich subsumiert man die Anwendung natürlicher Baumaterialien, die landestypische Bauweise, die Bevorzugung von Nahrungsmitteln aus der Region, die möglichst natürlich hergestellt werden sollen, Müllvermeidung und sparsamer Umgang mit Wasser und Chemikalien. Die Reduktion der Umweltverschmutzung z. B. durch den Einbau von schadstoffarmen Heizsystemen in privaten und öffentlichen Gebäuden und durch ein modernes und benutzerfreundliches Nahverkehrssystem, das privaten Autoverkehr diskriminiert. Ferner gehört die Propagierung von umweltverträglichen Sportarten wie Wandern, Radfahren, Wassersport mit begleitenden Wasserschutzmaßnahmen und die zahlenmäßige Einschränkung sportlicher Massenveranstaltungen dazu. Zu den sozial verträglichen Maßnahmen wären zu zählen, daß Investitionen für den Tourismus nicht auf Kosten der Einheimischen vorgenommen werden. Es wäre Einrichtungen der Vorzug zu geben, die den wirtschaftlichen Nutzen möglichst gleichmäßig über die Gemeinde verteilen. Dies steht im Gegensatz zu Großinvestitionen, bei denen normalerweise die Bauleistung, das Material und der fertige Betrieb von ortsfremden Unternehmern und Mitarbeitern erbracht werden. Soziale Spannungen entstehen, wenn sich die Bevölkerung in diejenigen, die vom Tourismus profitieren und in diejenigen, die ihn erdulden, teilt. [Seite der Druckausgabe: 36] Ortsplanung und -entwicklung müssen im Einklang mit den Interessen der Bürger und ihrer Bedürfnisse in Bezug auf Leben, Arbeiten und Wohnen vollzogen werden. So hat z.B. die Stadt Rostock durch entsprechende Verordnungen der um sich greifenden Umwandlung von Wohn- in Gewerberaum Einhalt geboten. Diese Maßnahme wäre auch in vielen Küstenorten nötig. Unter dem Aspekt kulturfreundlich finden wir die Beibehaltung traditioneller Bauweisen, die Pflege des Stadtbildes, die Ausstattung und Zugänglichkeit der Archive und Museen, die Pflege von traditionellem Brauchtum. Findet die Erstellung des Konzeptes in der Form eines "Runden Tisches" mit Beteiligung aller Interessenten statt, so erweist es sich aus Erfahrung als sinnvoll, in Arbeitsgemeinschaften Schwerpunkte zu erarbeiten, die sich wie folgt gliedern:
Die Arbeit für alle Arbeitsgemeinschaften müßten einem Vierstufenplan folgen. Zuerst ist eine Bestandsaufnahme der Gäste nötig. Wer kommt in den Ort, warum kommt er und ist es der Gast, den man sich wünscht? Dann ist eine Bestandsaufnahme des Angebotes wichtig, welche Art von Unterkünften und Einrichtungen kann der Ort bieten? Der folgende Schritt besteht darin, die eventuellen Lücken zwischen gewünschter Gästestruktur und dem vorhandenen Angebot zu benennen. Dann folgt die Erstellung eines Maßnahmenkataloges, der festhält, was mit wem und in welchem Zeitraum geschehen soll. Wer wird Träger der Maßnahmen sein, wie sind sie zu finanzieren, wie gelingt es, alle Beteiligten einzubeziehen? Mit dem Marketingbegriff "Corporate Identity" wird die Werbung nach innen eingeführt, die in diesem Fall alle Mitarbeiter einer Region auf ein einheitliches Erscheinungsprofil verpflichten würde. Das einheitliche Auftreten der Mitarbeiter würde - so darf man erwarten - die Idee des "Sanften Tourismus" auch auf das Verhalten der Touristen übertragen, die ebenfalls für diese Linie gewonnen werden müssen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1999 |