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[Seite der Druckausgabe: 4]

II. Natur und Kulturlandschaft Mecklenburg-Vorpommern

Die deutsche Ostseeküste zwischen Lübecker Bucht und polnischer Grenze mit ihren Buchten, Halbinseln und vorgelagerten Inseln verdankt ihr Entstehen der Eiszeit. Die Ostsee entstand bei späteren Klimaveränderungen - in mehreren Phasen -, als in den Polarregionen das Eis schmolz und der Meeresspiegel weltweit über einen Zeitraum von vielen Jahrhunderten langsam um mehrere Meter anstieg. Das Land weicht vor dem Meer zurück; bei Spaziergängen entlang der Küste kann man noch heute beobachten, wie die Steilküsten abbrechen. Wie Gräberfunde aus der Stein- und Bronzezeit belegen, ist der Küstenraum ein Altsiedlungsgebiet mit weit zurückreichender Geschichte.

Die Landschaft ist eine intensiv genutzte Kulturlandschaft, die durch ihre Vielgestaltigkeit, durch das Zusammentreffen von Wasser, Wald und Flur ausgezeichnete Bedingungen für die Erholung bietet. Dem sensiblen Wanderer erschließen sich zahllose Naturschönheiten wie z.B. die Mecklenburgische Seenplatte, die Region um den Plauer See, die Umgebung des Schweriner Sees sowie die Mecklenburgische Schweiz. Seen und Flußniederungen wechseln mit vom Schmelzwasser gebildeten Sandflächen, die heute mit Heide und Wacholdergewächsen bedeckt sind. Mischwälder und Moore vervollständigen die vielfältigen Naturschönheiten dieses Landes.

Die extensive Bewirtschaftung durch den Menschen in der vorindustriellen Zeit ließ ein Maximum an Biotopen entstehen. Erste Warnungen durch Naturschützer vor den Folgen der menschlichen Eingriffe in die Natur wurden schon in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts laut, als Dampfkraft, Einsatz von Chemikalien, planmäßige Forstwirtschaft und Melioration die Kultivierung intensiver werden ließ. Tiefgreifende Veränderungen erlebten weite Teile der Landschaft Mecklenburg-Vorpommerns Ende der 50er bis Mitte der 60er Jahre durch die staatlich betriebene Kollektivierung der Landwirtschaft und ihre anschließende überzogene Industrialisierung. Die Folge von großbetrieblicher Nutzung der Landschaft und von Großtierhaltung sind irreparabel, werden bäuerliche Grundregeln mißachtet: ausgebrannte Kulturlandschaften, zerstörte Biotope, Rückgang der Artenvielfalt von Tieren und Pflanzen. Die Überlastung der Küstenregion durch die Urlauber, denen in der DDR an anderer Stelle zu wenig Erholungsmöglichkeiten zur Verfügung standen, hat sich auf die Fauna und Flora ebenfalls negativ ausgewirkt, was an verändertem Verhalten der Zugvögel, deren Brut- und Sammelreviere sich hier traditionell in größerem Ausmaß befinden, zu bemerken ist.

[Seite der Druckausgabe: 5]

Der Artenverlust in Mecklenburg-Vorpommern ist größer als in Mitteldeutschland insgesamt und bewegt sich im oberen Drittel der europäischen Entwicklung. Greifvögel - Endglieder in der Nahrungskette - sind in ihrer Existenz bedroht, die Hauptbaumarten Fichte, Kiefer, Buche und Eiche zu 58% geschädigt.

Obwohl die Untersuchungen der Fachleute die Bedrohung der Natur in Mecklenburg-Vorpommern genau beziffern können, stellt sich für den reisenden Laien und Besucher die Landschaft in ungewohnter Unberührtheit dar. Der Ruf nach der Entwicklung von "Sanftem Tourismus", in den hochentwickelten Tourismusindustriestaaten des Westens geboren, könnte hier noch als Präventivmaßnahme Bedeutung erlangen.

Nach der Wende 1989/90 in der damaligen DDR wurden weitere, neue Naturschutzgebiete ausgewiesen. Heute finden wir auf dem Territorium Mecklenburg-Vorpommerns 287 Naturschutzgebiete, die 3,5% der Fläche bedecken, 84 Naturschutzgebiete, die 18% der Fläche beanspruchen und drei Naturparks, die 5,5% der Fläche ausmachen. Das heutige Bundesland Mecklenburg-Vorpommern ist zugleich das zweitgrößte der neuen Bundesländer, aber auch das bevölkerungsärmste. Beinahe zwei Drittel der Territorialfläche sind landwirtschaftliche Nutzflächen, große Waldgebiete (21% der Fläche) und Seen (5% der Fläche) bedecken mehr als ein Viertel des Landes. Natur und Landschaft sind somit der größte Reichtum des Landes. Im Bundesnaturschutzgesetz
§ l Abs. l ist der Umgang des Menschen mit der Natur wie folgt vorgeschrieben: "Natur und Landschaft sind im besiedelten und unbesiedelten Bereich so zu schützen, daß ihre Vielfalt, Eigenart und Schönheit als Voraussetzung für die landschaftsbezogene Erholung des Menschen nachhaltig gesichert sind."

Wie an zahlreichen Beispielen in den alten Bundesländern sowie in anderen europäischen Ländern aufzuzeigen ist, läßt der Gesetzestext einen Spielraum bei der Definition zu. Um der Forderung gerecht zu werden, bedarf es - wie die Erfahrung zeigt - planender Vorausschau und strenger Aufsicht, damit die Zwänge der Ökonomie dem Naturschutz nicht zu enge Grenzen setzen. Dafür gibt es Anknüpfungspunkte:

Mit dem Einigungsvertrag 1990 haben die neuen Bundesländer sich auch verpflichtet, die Planungsinstrumentarien zur Raumordnung mit daraus zu entwickelnden Grundsätzen der Flächennutzungsplanung anzuwenden. Dies bedeutet: Im Rahmen der Landesentwicklungsplanung können Landschaftsbereiche als Erholungsräume ausgewiesen werden und stehen somit vorrangig der (behutsamen) touristischen Erschließung zur Verfügung.

[Seite der Druckausgabe: 6]

Heute suchen Menschen Arbeitsplätze und Einkommensquellen im Tourismus; ihre Arbeit sollte entsprechend dem Postulat zur Entwicklung eines "Sanften Tourismus" den Bedürfnissen der Touristen von morgen gerecht werden. Wie sozialwissenschaftliche Untersuchungen und Umfragen belegen, sucht der Tourist auch morgen noch zur Wiedergewinnung seiner geistigen und körperlichen Kräfte die aktive Erholung in der Natur. Zunehmend aufmerksam reagiert er auf Umweltschäden, ist sensibilisiert für den eigenen und honoriert den von Anbietern touristischer Leistungen erbrachten schonenden Umgang mit der Natur. Der Verlust von Naturnähe und Qualitätsminderung der Umweltpotentiale von Erholungslandschaften wird zunehmend zu einem Risikofaktor des Tourismus. Eine Tourismuspolitik, die durch industrialisierte Infrastrukturmaßnahmen (Verkehr und Bau) den Zusammenhang zur Natur nicht angemessen berücksichtigt, würde ins Abseits zielen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1999

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