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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausgabe: 3] 1. Wasser - ein knappes Gut in den fünf neuen Bundesländern Wie überall in den Industrieländern, so unterliegen die Gewässer auch auf dem Gebiet der neuen Bundesländer vielfältigen Nutzungsansprüchen. Das Oberflächen- und Grundwasser sichert die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser und den Bedarf an Brauchwasser von Industrie und Gewerbe. Die Landwirtschaft bewässert Anbauflächen, Wärmekraftwerke nutzen Wasserläufe als Kühlwasser bei der Umwandlung von Wärmeenergie in elektrischen Strom. Seen und Fließgewässer dienen als Transportwege, aber auch als Erholungsräume. Sie nehmen die mehr oder weniger schmutzigen Abwässer aus Landwirtschaft, Produktion und Haushalten auf und bilden den Lebensraum für eine Vielzahl verschiedener Arten: Fische und Algen, Bakterien und Biber, Muscheln, Schilf, Bäume, Wasservögel und Krebse, um nur einige wenige Lebewesen zu nennen, die zu einer biologisch reichen Lebensgemeinschaft in den Gewässern beitragen. Nicht alle Nutzungen der Gewässer lassen sich harmonisch miteinander vereinbaren. Abwässer aus der Industrie, der Landwirtschaft und der Haushalte gefährden die gewachsenen Lebensgemeinschaften und bedrohen das Überleben zahlloser Arten. Die in das Grundwasser eingesickerten Düngemittel und ausgewaschenen Pflanzenschutzmittel erschweren und gefährden die Trinkwassergewinnung ebenso wie die gesundheitsschädigenden Bestandteile in den Abwässern aus Betrieben und Haushalten. Der Schmutz in den Gewässern zwingt die wassernutzende Industrie zu hohen Aufwendungen für Vorreinigungen, und der Ausbau von Flüssen zu uferbefestigten Wasserstraßen beeinträchtigt die Lebensbedingungen von Pflanzen und Tieren sowie den Naturgenuß erholungssuchender Menschen. Hinzu kommen unbeabsichtigte Gewässerbelastungen als Folge von Unfällen beim Transport und bei der Lagerung wassergefährdender Stoffe, durch Abflüsse aus undichten Rohren und durch Auswaschungen aus unzureichend versiegelten Mülldeponien. Nicht zuletzt ist die ständige Berieselung der Seen und Flüsse mit Schadstoffen aus der Luft eine Quelle für Dauerbelastungen der Gewässer. Längst nicht alle Gewässerverunreinigungen machen sich "vor Ort" bemerkbar. So können zum Beispiel Salzeinleitungen in einen Fluß noch viele Kilometer flußabwärts zu Korrosionsschäden an Brückenpfeilern und anderen Wasserbau- [Seite der Druckausgabe: 4] werken führen. Weil die Thüringer Kalibergwerke jährlich mehrere Millionen Tonnen Salz in die Werra leiten, ist zum Beispiel die Weser auch bei Bremen noch so salzig, daß sie sich dort nicht für die Aufbereitung von Trinkwasser nutzen läßt. Das Leben in Nord- und Ostsee ist von Schadstoffen bedroht, die zum Teil über viele hundert Kilometer herantransportiert werden. Mit anderen Worten: Weil jede Nutzung von Wasser - ob Einleitungen, Uferbauten, Trinkwassergewinnung - eine mögliche andere Nutzung beeinträchtigt, ist das Wasserdargebot eines Landes ein knappes Gut. Es mag eine Zeitlang scheinbar gutgehen, das Wasser mit Schadstoffen zu befrachten und Flüsse als kostengünstige Transportwege zu behandeln, aber früher oder später machen sich die Kosten eines sorglosen Umgangs mit Wasser bemerkbar: als Einbuße an Erholungsräumen, als Vorleistungen bei der Trinkwasseraufbereitung, als Bedrohung oder gar Verlust von tierischen und pflanzlichen Arten und schließlich auch als mitunter teure Entsorgungslast: Weil sich manche Schadstoffe über viele Jahre in den Sedimenten der Flüsse und Häfen anreichern, muß ausgebaggerter Schlick mancherorts als Sondermüll behandelt werden. Wieweit die möglichen Beeinträchtigungen der Wassernutzung in der Zukunft bereits in der Gegenwart Beachtung finden, hängt unter anderem davon ab, ob es eine für den Umweltschutz sensibilisierte Öffentlichkeit gibt und ob diese in der Lage ist, gegenüber dem Streben nach einer möglichst kostengünstigen Deckung des Wasserbedarfs auch ökologische Anforderungen wirksam zu vertreten. Weil gerade dies in der früheren DDR nicht möglich war, leiden die Gewässer der neuen Bundesländer heute unter einer schweren Altlast. Eine vor allem an quantitativen Leistungssteigerungen orientierte Wirtschafts- und Energiepolitik, die Vernachlässigung ökologischer Maßstäbe, die Verschleierung und Beschönigung tatsächlicher Umweltbelastungen und vor allem die staatliche Unterdrückung einer freien öffentlichen Meinungsfindung sowie einer organisierten politischen Interessenvertretung außerhalb der SED und der von ihr kontrollierten Organisationen und Verbände haben dazu geführt, daß die Gewässer in den vierzig Jahren des real existierenden Sozialismus ökologisch ruiniert worden sind. Um nur einige Beispiele zu nennen: Von den Fließgewässern auf dem Gebiet der fünf neuen Bundesländer gelten heute zwei Drittel als sehr stark belastet. Gerade 17 Prozent der Fließgewässer und nur noch jeder dreißigste See weisen Trinkwasserqualität auf, in etwa 1000 [Seite der Druckausgabe: 5] Seen ist das Baden aus gesundheitlichen Gründen verboten, und gut 25 Prozent der Fließgewässer lassen sich nicht einmal mehr nutzen, um Brauchwasser für die Industrie zu gewinnen oder um landwirtschaftliche Anbauflächen zu bewässern. Schließlich gefährden die Nitratbelastungen des oberflächennahen Grundwassers die Gesundheit Hunderttausender, denn nahezu ein Zehntel der Bevölkerung muß Wasser mit einem zu hohen Nitratgehalt trinken. Hauptnutzer des Wassers in den neuen Bundesländern ist mit einem Anteil von 80 Prozent am gesamten Wasserbedarf die Industrie. Vor allem die Einleitungen aus der Chemiebranche fallen dabei ins Gewicht. So entnahm die Chemieindustrie zum Beispiel im Jahre 1989 rund 1,24 Milliarden Kubikmeter Wasser, das sie zu 97,5 Prozent wieder als Direkteinleiter in die Gewässer zurückfließen ließ. Auf dem Gebiet der neuen Bundesländer sind sowohl die Wasserversorgung als auch die Abwasserbeseitigung mangelhaft; Haushalte, Industrie und Landwirtschaft vergeuden das zur Verfügung stehende Wasser. Zwar beziehen rund 95 Prozent der dort lebenden Bundesbürger ihr Trinkwasser zentral, das heißt von einem der rund 6500 Wasserwerke. Aber die Installation von Einrichtungen für die zentrale Abwasserentsorgung erreicht längst nicht diese hohe Anschlußquote. Während zum Beispiel im übrigen Bundesgebiet die Abwässer von 86 Prozent der Bevölkerung über eine öffentliche Kläranlage gereinigt werden, trifft dies in den neuen Bundesländern nur für die Abwässer von 58 Prozent der Einwohner zu. Weil Investitionsmittel und Baukapazitäten gefehlt haben, sind Industrie und Kommunen unzureichend mit Anlagen für die Abwasseraufbereitung ausgestattet, so daß sich der Gewässerschutz auf dem Gebiet der neuen Bundesländer auf dem Niveau befinden soll, das im übrigen Bundesgebiet in den sechziger Jahren geherrscht hat. Insgesamt gelangen rund 15 Prozent aller Abwässer ungereinigt in die Gewässer, was auch dazu gerührt hat, daß die Schadstoffeinleitungen der früheren DDR in die Nord- und Ostsee international eine Spitzenstellung erreicht haben. Zwar wurden auch in der früheren DDR für die Einleitung von Abwässern in Bäche, Flüsse und Seen Gebühren erhoben und Sanktionen verhängt, doch kamen diese Mittel nicht in vollem Umgang der Gewässerpflege zugute. So sind zum Beispiel die rund 700 Millionen Mark Entgelt für die Abwassereinleitung und die gut 50 Millionen Mark umfassenden Sanktionen, die die chemische Industrie im Jahre 1989 an die Organe der staatlichen Gewässeraufsicht zu zahlen hatte, nicht zweckgerichtet für die Gewässersanierung verwendet worden, sondern in den all- [Seite der Druckausgabe: 6] gemeinen Staatshaushalt abgeflossen. Dabei wäre ein sorgfältiger Umgang mit Wasser vor allem auf dem Gebiet der früheren DDR nötig, denn im Vergleich zu den "Altländern" der Bundesrepublik ist das jährliche Wasserdargebot, also die verfügbare Süßwassermenge, in den neuen Bundesländern relativ knapp. Während im übrigen Bundesgebiet bei einem jährlichen Wasserbedarf von rund 40 Milliarden Kubikmetern rund 160 Milliarden Kubikmeter Wasser zur Verfügung stehen, erreicht das Wasserdargebot in den neuen Ländern nur knapp 18 Milliarden Kubikmeter, in Trockenjahren sogar nur die Hälfte davon. In solchen Jahren ist das Wasserangebot kaum höher als der durchschnittliche jährliche Wasserbedarf von rund 8 Milliarden Kubikmetern. Das am stärksten beanspruchte Gewässer in den neuen Bundesländern ist die Elbe, der Fluß, den vor allem die Einleitungen aus der früheren DDR zu dem schmutzigsten Strom Europas gemacht haben. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 2000 |