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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausg.: 10] 2. Erfahrungen Nordrhein-Westfalen Im Zeitraum von dreißig Jahren ist der Bergbau in Nordrhein-Westfalen von rund 600.000 auf 100.000 Beschäftigte geschrumpft, die Textilindustrie von 700.000 auf 150.000 Beschäftigte, die Montanindustrien von rund 1 Mio. auf 400.000 Beschäftigte. In einem Zeitraum von 30 Jahren haben die Nordrhein-Westfalens Wirtschaft einst prägenden Branchen 80 % ihrer Beschäftigten verloren. Aber - und das ist der entscheidende Punkt - es waren dreißig Jahre, in denen sich dieser grundlegende Strukturwandel vollzogen hat. Das heißt: man hat Zeit gehabt, sich auf diesen Strukturwandel einzustellen, wiewohl dabei auch viele Fehler gemacht worden sind. Man hat Zeit gehabt, nachzudenken, zu investieren, Fehler zu machen und sie zu korrigieren. Zu den wesentlichen Erfahrungen und konkreten Beobachtungen der letzten zwanzig bis dreißig Jahre zählen: 1. Das Land muß sich selbst schlagkräftig organisieren. Ministerien haben überall auf der Welt eine Tendenz zu wachsen, der muß man gegensteuern.
2. Man muß über die eigenen Stärken und Schwächen genau Bescheid wissen, auch und gerade über die Schwächen, nur dann kann man vernünftig planen und arbeiten. 3. Ganz gleich, wie groß ein Land ist, es besteht aus unterschiedlichen Regionen. Ein Land darf nicht in den Fehler verfallen, die Regionen zu negieren, sondern muß auf die Kraft seiner Regionen setzen. Regionale Konflikte können deswegen nicht endlos ausgetragen werden, etwa in der Art wie Schwerin und Rostock, soweit man das nachlesen kann. Solche Konflikte lähmen. Sie gehen zugunsten anderer aus, die nebenan sitzen. Ein Beispiel: das Ruhrgebiet mit sechs großen Städten mit 5 Mio. Einwohnern; Bochum, Dortmund, Duisburg, Düsseldorf, Essen und Gelsenkirchen haben zwanzig, ja teilweise 35 Jahre lang nicht zusammengearbeitet. Man hat versucht, sich die wenigen Investoren gegenseitig abzuwerben. Der einzige große Investor, die Firma Opel, hat sich im Jahre 1960 gegen den Widerstand der Kommunen dort angesiedelt. Wenn zwei [Seite der Druckausg.: 11] oder drei größere Kommunen sich streiten und sich nicht einigen, dann gehen die Investoren anderswo hin. Hier haben Landesregierungen die Aufgabe zu moderieren und zuweilen ein kräftiges und deutliches Wort zu sprechen. 4. Man muß in den nationalen und internationalen Zentren mit eigenen Leuten präsent sein: in Bonn, Berlin und Brüssel, denn dort werden die Mittel für die Infrastrukturprogramme vergeben und dort gibt es die Mittel für die Investitionsförderung. Wer nicht weiß, welche Fonds und Mittel zur Verfügung stehen, und an ihnen ist weder in Brüssel noch in Bonn Mangel, der kann noch so gute Konzepte haben, sie nützen ihm nicht. Die Länder müssen Lobbyisten ihrer eigenen Sache sein. In Brüssel haben alle Bundesländer inzwischen ein eigenes Büro - alle nach dem gleichen Muster, alle möglichst gut besetzt - und die Mitarbeiter informieren sich bei den Entscheidungsträgern ständig nach neuen Entwicklungen und Programmen. Manche Länder haben auf diese Weise erhebliche Mittel eingeworben. 5. Man kann sich nicht gegen den wirtschaftlichen Strukturwandel stemmen.
6. Ökologische Probleme sind immer mitzubedenken. Das sagt sich einfach, ist aber ist in den letzten Jahren in seiner ganzen Konsequenz immer klarer geworden. Diese Probleme haben in der Wirtschaftspolitik nicht die Priorität, aber sie müssen gerade bei Entscheidungen über Ansiedlungen von Industrien immer mitbedacht werden. 7. Es sollen in Mecklenburg-Vorpommern eine oder mehrere Wirtschaftsförderungsgesellschaften gegründet werden. Die Wirtschaft zu fördern ist in erster Linie die Aufgabe der Kommunen. Im kommunalen Verantwortungsbereich [Seite der Druckausg.: 12] selbst liegen, jedenfalls in der Bundesrepublik, die Haupthindernisse: die Flächen und die Genehmigungsverfahren. Es geht deshalb darum, das auf kommunaler Ebene sinnvoll zu organisieren. Will man daneben auf Landesebene etwas tun, sollte man nur an sehr kleine Einrichtungen mit einigen wenigen Experten denken. Sie sollten über die Stärken und Vorteile der Region nachdenken und sie im Wettbewerb der Länder untereinander auch optisch herausarbeiten. Sie sollten daneben hochkommunikativ sein: Man muß viel miteinander und sehr viel mit den Selbstverwaltungseinrichtungen der Wirtschaft oder den Fremdenverkehrsverbänden reden. Ihre Rolle ist dabei, gegeneinanderlaufende Einzelinteressen zu überwinden, zu moderieren, zusammenzufügen und Programme zu knüpfen. Eine Wirtschaftsfördergesellschaft kann auch zwischen verschiedenen Kommunen strittige Ansiedlungsvorhaben allein steuern. Zwei, drei Mitarbeiter können in ständiger Abstimmung mit dem Investor ein Angebot aus einer Hand erarbeiten. Das geht natürlich nur bei größeren Investitionsvorhaben. Für die kleinen und normalen Vorhaben sind dagegen die Kommunen zuständig. 8. Ganz unabhängig davon, welche Behördenstruktur Mecklenburg-Vorpommern eines Tages haben wird: Für erfolgreiche Wirtschaftsförderung ist ein Bindeglied zwischen Land und Kommune erforderlich. Eine Ebene muß bündeln. Wirtschaftsförderung ist ein gebündeltes Angebot von Flächenplanung, Investitionsförderung, Bau-, Abwasser- und sonstigen Genehmigungen. Kein Investor hält es auf Dauer aus, täglich neue Bescheide verschiedener Behörden oder, schlimmer noch, unterschiedliche Bescheide verschiedener Stellen der gleichen Behörde zu erhalten. Er verlangt nach der für seinen Betrieb und seine Investition wesentlichen Sicherheit. Für ihn ist Unsicherheit das schlimmste; besser, er weiß nach einem überschaubaren Zeitraum, an dem von ihm gewünschten Standort darf er sein Vorhaben nicht verwirklichen, als ständig in Ungewißheit zuzuwarten. 9. Eine Investitionsbank soll in Mecklenburg-Vorpommern gegründet werden.
[Seite der Druckausg.: 13] NRW hat der Investitionsbank dann eine neue Rolle zugewiesen: sie soll helfen, den Strukturwandel transparenter zu machen. Sie hat einen Überblick über Förderprogramme und stellt den Sparkassen und Banken vor Ort diesen Überblick zur Verfügung. Denn dorthin gehen die kleineren Unternehmer und fragen nach Krediten in bestimmter Höhe und für genau definierte Projekte. In der Regel sind die Banken überfordert zu beurteilen, was für Förderungsmöglichkeiten es gibt. Deshalb hat die Investitionsbank ein Datenverarbeitungssystem entwickelt, das jedem Industrieberater und jeder Bank zur Verfügung steht und Auskunft darüber gibt, welche staatlichen Mittel für das jeweilige Projekt zusätzlich zur Verfügung stehen. Diese Transparenz ist bei der konkreten Beratung außerordentlich wichtig. Serviceleistungen für Banken, Sparkassen und Einzelvorhaben sollten im Mittelpunkt stehen. Aufgrund dieser Erfahrung wäre für Mecklenburg-Vorpommern eine EG-Beratungsstelle (mit den entsprechenden Qualifikationen, die die EG verlangt) wichtig. Sie ließe sich an die Investitionsbank angliedern. Bei der Erschließung bester, großer Gewerbeflächen könnte die Investitionsbank Marketing und Management übernehmen. 10. Man kann durchaus auf 'Vorrat' ausbilden, das kann man aber nur für begrenzte Zeit. Das gleiche gilt für Beschäftigungsgesellschaften, auch sie sind nur für eine gewisse Zeit einzusetzen und auch nur dort, wo große Freisetzungen zu erwarten sind; vor allem im klassischen industriellen und gewerblichen Bereich, in der Landwirtschaft wird es weit schwieriger. Sie sind ein geeignetes Mittel, die Menschen nicht in die Arbeits- und damit die Hoffnungslosigkeit fallen zu lassen, aber eben auch nur auf begrenzte Zeit. 11. Die Erfahrungen aus NRW nähren Skepsis gegenüber Einrichtungen wie Landesforschungsanstalten. Solche Ansätze haben eine Tendenz zu scheitern, und zwar im wesentlichen aus zwei Gründen: (a) Die Hochschulen wachen argwöhnlich über die öffentlichen Mittel, die für Forschungszwecke ausgegeben werden und die sie selbst beanspruchen. Rostock und Greifswald werden sich in dieser Zeit nicht anders verhalten als sonstige Hochschulen. An den Staat haben die Hochschulen den beständigen Anspruch nach mehr Geld. Wenn der Staat eine Einrichtung schafft, die Mittel aus 'eigenem' Topf beansprucht, neigen Hochschulen dazu, die zu boykottieren.
[Seite der Druckausg.: 14] Einrichtungen zumindest optisch aus ganz anderen Gefilden stammten. Wer sich im Streit um öffentliches Geld am besten artikulieren kann, sind nun einmal die Hochschullehrer. (b) Die zweite Erfahrung lautet: auf frühe Zusammenarbeit zwischen dem Staat und den Unternehmen achten. Nicht der Staat soll den Technologietransfer organisieren - das kann er gar nicht -, sondern die Unternehmen. Nicht Technologietransfer an sich ist ja angestrebt, sondern günstigere Produktionsverfahren, bessere Produkte und höhere Erträge. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 2001 |