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Schmidt, Gerhard (1919 - 1984)

Geboren am 15. September 1919 in Berlin als Sohn eines Reichsbahnarbeiters, verheiratet. Besuchte vier Jahre lang die Volksschule in Berlin-Schöneberg und vom 5. Schuljahr an die Karl-Marx-Schule in Berlin, die nach der nationalsozialistischen Machtergreifung in Kaiser-Friedrich-Realgymnasium umbenannt wurde. Politisch stark geprägt durch das sozialdemokratische Elternhaus. Von 1928 bis 1933 organisiert bei den Kinderfreunden und Falken in Berlin. Beendete 1936 die Schulzeit mit der Obersekundareife und trat als kaufmännischer Lehrling in eine Berliner Bienenhonigfirma ein. Übernahm nach Beendigung der Lehrzeit die Verkaufsabteilung der Firma. Besuchte mehrfach seinen Vater im KZ Sachsenhausen nach dessen Inhaftierung im September 1939. Im Sommer 1940 zum Kriegsdienst eingezogen. Wurde nach seiner Kriegsgefangenschaft in Afrika in ein amerikanisches Kriegsgefangenenlager überstellt.

Im April 1947 Rückkehr aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft nach Berlin. Der gelernte Kaufmann fand Beschäftigung beim Finanzamt Charlottenburg-West. Seit dem 1. August 1947 innerhalb des FDGB in der "Gewerkschaft kaufmännischer Büro- und Verwaltungsangestellter" (GkB) organisiert. Vertrat politisch die Position der "Unabhängigen Gewerkschaftsopposition" (UGO). Seit 1948 Mitglied des "Gesamtverbandes der öffentlichen Betriebe und Verwaltungen", der sich vom FDGB gelöst hatte. Seit 1947 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. 1950 mit dem "Gesamtverband" in die Gewerkschaft ÖTV übernommen. Mitglied des Betriebsrates seines Amtes und des Hauptausschusses der Berliner Finanz- und Zollämter. Nach Ablegung der 1. Verwaltungsprüfung für den mittleren Dienst in das Beamtenverhältnis übernommen. Mitglied des Vorstandes der Fachgruppe Finanz und Zoll innerhalb der Berliner ÖTV. Gerhard Schmidt machte sich innerhalb seiner Gewerkschaft einen Namen durch seine radikalen Forderungen nach Demokratisierung der Verwaltung und seinem Ruf nach weitgehenden Mitbestimmungsrechten der Beamten. ("Das deutsche Volks in seiner Gesamtheit sollte deshalb den Kampf um die Befreiung des Beamten aus dem Untertanverhältnis, den wir mit unserer Forderung nach Mitbestimmung führen, voll unterstützen. Es muß ein Beamtentypus geschaffen werden, der als Hüter und Wahrer der Verfassung auch gegen einen Befehl handelt, wenn es sein Gewissen von ihm verlangt.") Schmidt legte 1952 seine 2. Verwaltungsprüfung ab und wurde zum 1. Oktober 1952 bei der Berliner Bezirksverwaltung der ÖTV als Beamtensekretär hauptamtlich angestellt.

Auf der Delegiertenversammlung am 9. April 1954 in den Beamtenausschuß der Berliner ÖTV gewählt. Seit 1955 als Beamtensekretär Mitglied des Bezirksvorstandes. Besondere Akzente setzte Schmidt mit seiner Fragebogenaktion zur Erforschung des "Betriebsklimas" in den Berliner Verwaltungen und seinen Aktionen zur Überprüfung der Führungsqualitäten der Vorgesetzten. Mitarbeiter in mehreren Fachausschüssen der Berliner SPD. 1958 bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus im Wahlkreis 1 (Berlin-Schöneberg) ins Parlament gewählt. Schmidt lehnte die Nominierung in verschiedene parlamentarische Ausschüssen ab und nahm nur die Berufung in den Innenausschuß an. In diesem Ausschuß war er federführend bei der Behandlung sämtlicher Gesetze und Verordnungen des Beamten- und Besoldungsrechts tätig, so daß es zu einer fruchtbaren Symbiose von Amt und Mandat kam. 1962 Wiederwahl in das Berliner Abgeordnetenhaus. Der 5. ordentliche Gewerkschaftstag der Gewerkschaft ÖTV vom 28. Juni bis 4. Juli 1964 in Dortmund wählte den Berliner mit 442 von 502 abgegebenen gültigen Stimmen in den geschäftsführenden Vorstand der ÖTV.

Im Vorstand zukünftig verantwortlich für die Beamtenpolitik und das Beamtensekretariat sowie für die Hauptfachabteilungen I, II und III. Auf der ersten Sitzung des Hauptvorstandes vom 29. September bis 1. Oktober 1964 in Berlin zum Vorsitzenden der Kommission für beamtenpolitische Grundsatzfragen gewählt. Als neuer Beamtensekretär der ÖTV im geschäftsführenden Hauptvorstand "standesgemäß" zum stellvertretenden Vorsitzenden des DGB-Beamtenausschusses gewählt. Auf der Beiratssitzung am 24. September 1965 bestimmte das höchste Gremium der ÖTV zwischen den Gewerkschaftstagen den Beamtenexperten zum Leiter der Kommission für die Neuordnung des Unterstützungswesens. Damit trug der Beirat der Tatsache Rechnung, daß strukturelle, finanzielle Reformen, die bei stagnierender Mitgliederzahl überfällig waren, nur zögerlich und schleppend in Gang kamen. Neben dem "klassischen" Aufgabengebiet, die soziale und materielle Stellung der Beamten zu verbessern, nahm sich Schmidt vor allem der Aufgabe an, die Aus- und Weiterbildung der "Staatsdiener" zeitgemäß umzugestalten, um der gesellschaftspolitischen Entwicklung der Bundesrepublik in den späten sechziger Jahren Rechnung zu tragen. Zu "seinem Thema" machte er die Bereiche Automation und Modernisierung und präsentierte 1968 vorausschauende, abgewogene und angemessene Vorschläge zur Rationalisierung in den öffentlichen Verwaltungen. Vom 15. bis 21. Oktober 1967 Leiter einer ÖTV-Gewerkschaftsdelegation in die Tschechoslowakei, die den neuen ostpolitischen Kurs der Gewerkschaft augenfällig demonstrierte. Auf dem Gewerkschaftstag der ÖTV 1968 in München mit 448 von 507 abgegebenen Stimmen in den geschäftsführenden Hauptvorstand wiedergewählt. Neben der Beamtenpolitik und den Hauptabteilungen Bund, Länder, Polizei neuerdings zuständig für den ÖTV-Haushalt. In dieser Eigenschaft 2. Geschäftsführer der ÖTV-Vermögensverwaltung GmbH. Auf der Sitzung des Hauptvorstandes am 3. Oktober 1968 in Stuttgart als stellvertretendes Mitglied des DGB-Bundesausschusses benannt. Rückte auf Beschluß des Hauptvorstandes Mitte Oktober 1971 als ordentliches Ausschußmitglied nach. Schmidt übernahm im Oktober 1965 wiederum den Vorsitz der Kommission für beamtenpolitische Grundsatzfragen und den Vorsitz der Kommission für Finanz- und Vermögensfragen der Gewerkschaft ÖTV. Die Arbeit dieser Sonderkommission mündete im Jahre 1970 in Vorschlägen, den Paragraphen 8 der Satzung (Regelung der Beiträge) zu ändern, um langfristig eine sichere, finanzielle Grundlage der Gewerkschaftsarbeit zu garantieren. Seit November 1970 Mitglied des "Ausschusses für Einheitliches Dienstrecht im öffentlichen Dienst". Im Mai 1969 als Vorstandsmitglied des "Vereins für Verwaltungsreform und Verwaltungsforschung" gewählt, der sich seit 1967 im Umfeld der ÖTV mit Rationalisierungs- und Modernisierungsfragen beschäftigte. 1959 in den Verwaltungsrat der Deutschen Beamten-Versicherung berufen. Seit 1972 war er dessen stellvertretender Vorsitzender. Nach dem Ausscheiden von Carl Stenger im Jahre 1979 wurde er zum Vorsitzenden des Verwaltungsrates gewählt. Ende April 1984 endete die Amtszeit Gerhard Schmidts als Verwaltungsratsvorsitzender. Bis zu seinem Tode blieb er stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates der Schadensversicherung.

Unter Schmidts Leitung wurde die Beamtenarbeit der ÖTV durch die Forderung an den Gesetzgeber geprägt, das Beamtenrecht in ein "Status- und Folgerecht" aufzuteilen. Damit sollte der Gewerkschaft ÖTV ein echtes Verhandlungsrecht eingeräumt werden und die Beamten aus ihrer "Bittstellerrolle" gelöst werden. Mehrere Vorschläge von gewerkschaftlicher Seite zur Reform des Beamtenrechts wurden unter Schmidts Mitarbeit dem Bundestag als Entscheidungshilfe präsentiert. Ein Teil der Vorschläge fand Eingang in die Grundgesetzänderung des Artikels 74, der dem Bund die Vollkompetenz in Fragen des Besoldungs- und Versorgungsrechts gab. Beamtenrechtliche Fragen und Besoldungsangelegenheiten wurden damit künftig auf Bundesebene geregelt. Unter diesem Aspekt legte der Hauptvorstand der Gewerkschaft ÖTV Wert darauf, daß die herausragende Position des Beamtensekretärs im geschäftsführenden Bundesvorstand des DGB von einem kompetenten ÖTV-Mann besetzt werde.

Am 2. Februar 1972 im DGB-Bundesausschuß in geheimer Abstimmung mit 109 Ja-Stimmen bei 2 Enthaltungen zum Mitglied des geschäftsführenden Bundesvorstandes des DGB gewählt. Gerhard Schmidt trat damit die Nachfolge des für Beamtenpolitik zuständigen Mitgliedes Waldemar Reuter an, der die Personalabteilung des "Beamten-Heimstättenwerkes" in Hameln übernahm. Die ÖTV-Spitze verband mit der Wahl Schmidts die Hoffnung auf eine enge Verbindung zwischen der Tarifpolitik für den öffentlichen Dienst und der Beamtenpolitik des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Auf dem 9. ordentlichen Bundeskongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes vom 25. bis 30. Juni 1972 in Berlin mit 373 von 442 abgegebenen Stimmen als Mitglied des geschäftsführenden Bundesvorstandes bestätigt. Der Gewerkschaftstag unterstellte Schmidt ferner den Geschäftsbereich "Personalwesen" für den gesamten DGB. Als Leiter des Beamtensekretariats Vorsitzender des Bundes-Beamtenausschusses des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Einer der Repräsentanten im DGB-Hauptvorstand, der sichtbar Kontakt zur SPD-Spitze hielt: Mitglied des Gewerkschaftsrates, des Sicherheitsausschusses und des Ausschusses für Inneres beim Parteivorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Wiederwahl auf dem 10. ordentlichen Bundeskongreß in Hamburg vom 25. bis 30. Mai 1975 mit 392 von abgegebenen 461 Stimmen. Auch außerhalb des Deutschen Gewerkschaftsbundes wurden Schmidts Vorschläge einer Verwaltungsreform des öffentlichen Dienstes - mit dem Ziel von mehr Bürgernähe - breit gewürdigt. Intensiv war sein Bemühen im geschäftsführenden Bundesvorstand, das Verhältnis von Bundeswehr und organisierter Arbeitnehmerschaft zu normalisieren. Konsequent verteidigte er allerdings das Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Ende der siebziger Jahre beteiligte Schmidt sich führend an den Verhandlungen über die Aufnahme der Gewerkschaft der Polizei in den DGB. Mit 847.952 Beamten in den DGB-Mitgliedsgewerkschaften (Dezember 1980) wurde eine magische Grenze übersprungen, die den DGB und seine Mitgliedergewerkschaften zur stärksten und wirksamsten Interessenvertretung der Beamten in der Bundesrepublik Deutschland machten. Das Thesenpapier des Bundes-Beamtenausschusses vom 17. Februar 1981 über den Einsatz von Beamten als Streikbrecher, das die Solidarität aller Arbeitnehmer betonte, trug wesentlich die Handschrift Gerhard Schmidts. Erneute Wiederwahl auf dem 11. ordentlichen Bundeskongreß in Hamburg vom 21. bis 26. Mai 1978 in Hamburg mit 420 von abgegebenen 481 Stimmen. Aus Altersgründen trat Schmidt 1982 nicht mehr zur Wahl an. Kurze Zeit nach Vollendung seines 65. Lebensjahres verstarb Gerhard Schmidt am 25. November 1984 in Kaarst.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998

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