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Richter, Otto (1873 - )

Geboren am 9. Oktober 1873 in Frohburg (Sachsen) als Sohn eines Riemers, verheiratet, protestantisch. Arbeitete seit Beginn der neunziger Jahre als Markthelfer in Leipzig. Mitglied des 1890 gegründeten "Vereins der Markthelfer von Leipzig und Umgebung". Auf der Generalversammlung am 11. Januar 1895 zum stellvertretenden Schriftführer des Lokalvereins der Leipziger Handelshilfsarbeiter gewählt (1894: ca. 300 Mitglieder). Im Konflikt zwischen "Lokalisten" und "Zentralisten" stellte sich Richter mit der Mehrheit seiner Berufskollegen gegen die reichsweite Gründung des "Zentralverbandes der Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter Deutschlands" im Dezember 1896 und hielt weiterhin das lokalistische Prinzip der Zentralisation durch das Vertrauensmännersystem hoch.

Seit Januar 1899 Vorsitzender des Leipziger Lokalvereins, der sich anfänglich gegen die Anhänger des Zentralverbandes gut behaupten konnte, jedoch Ende 1899 überflügelt wurde, obgleich die Markthelfer leichte Mitgliederzuwächse verzeichnen konnten (1890 ca. 360 Mitglieder). Die als "Einigungskonferenz" gedachte Tagung aller gewerkschaftlich organisierten Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter Deutschlands vom 2. bis 5. April 1899 in Leipzig sprach den bislang lokal organisierten Berufskollegen den Verbandsausschuß zu (mit Sitz in Leipzig), ehe der Kongreß letztlich an Nebensächlichkeiten scheiterte. Delegierter auf der letzten Konferenz der lokalorganisierten Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter Deutschlands vom 15. bis 17. April 1900 in Braunschweig; der Leipziger Vorsitzende sprach sich mit der Mehrheit der Delegierten für einen Zusammenschluß mit dem Zentralverein aus. Am 22. Juni 1900 löste sich auf einer Generalversammlung der "Verein der Markthelfer von Leipzig und Umgebung" auf und sanktionierte die Fusion mit den Zentralisten zum 1. Juli 1900. Eine vereinigte Versammlung beider Richtungen wählte Otto Richter am 5. Juli 1900 zum Vorsitzenden des Verbandsausschusses. Zusammen mit 200 Mitgliedern vollzog Richter in Leipzig den Zusammenschluß. Der neue Ausschußvorsitzende legte die Kontrollbefugnis des Gremiums weit aus, und suchte direkt auf die Verbandsgeschäfte Einfluß zu nehmen. Konflikte mit dem Gewerkschaftsvorstand konnten auf der 2. Generalversammlung vom 6. bis 10. April 1901 in Nürnberg nur partiell entschärft werden. Wiederwahl zum Ausschußvorsitzenden auf der Nürnberger Tagung.

Der organisatorische Aufschwung der organisierten Handelshilfs-, Transport- und Verkehrsarbeiter nach der Jahrhundertwende machte die Festanstellung eines besoldeten Gauleiters in Sachsen notwendig. Mit Zustimmung des Verbandsvorstandes beschloß die Gaukonferenz für das Königreich Sachsen und Altenburg am 22. September 1901 in Chemnitz bei 2 Gegenstimmen der Leipziger Delegierten, Otto Richter zum neuen Gauleiter (mit Sitz in Chemnitz) anzustellen. Auf der Ausschußsitzung am 8. Oktober 1901 legte der Leipziger sein Mandat nieder. Verstimmungen der Leipziger Mitglieder über die neue Organisationsstruktur zogen sich weit in das erste Jahrzehnt hinein. Von Januar 1902 bis Januar 1905 Beisitzer in der Ortsverwaltung Chemnitz (1904: 350 Mitglieder). Richter buchte als Gauleiter beträchtliche organisatorische Erfolge. Von 7 sächsischen Verwaltungsstellen bei Amtsantritt (992 Mitglieder), konnte der unermüdliche Agitator bis 1903 17 neue Verwaltungsstellen ins Leben rufen. Auf der 2. sächsischen Gaukonferenz 1907 präsentierte Richter für den Gau 5 (Sachsen) 10.170 Mitglieder; gleichzeitig erhielt er Entlastung durch einen weiteren festangestellten Hilfsgauleiter. Richter - ein Mann der kräftigen Sprache - grub vor allem den in Sachsen starken Kutschervereinen das Wasser ab. Teilnehmer auf allen Generalversammlungen und Verbandstagungen seiner Organisation bis 1914 (seit 1907: "Deutscher Transportarbeiter-Verband"), meist in Statutenberatungskommissionen der Verbandstage gewählt. 1909 als Sozialdemokrat in den sächsischen Landtag für die Bezirke Stollberg und Hartenstein gewählt. Machte sich im Dresdner Parlament einen Namen als Interessenvertreter der Eisenbahner. ("Die Staatsregierung degradiert das Eisenbahnpersonal auf die Stufe des rechtlosen Gesindes."). Mitglied des Aufsichtsrates des Chemnitzer Konsumvereins. Richter warb seit 1910 dafür, Lohnbewegungen über größere Gebiete zu führen und einheitliche Tarife abzuschließen, ohne sich in dieser Frage durchsetzen zu können. Konnte auf der 3. Gaukonferenz am 3. August 1913 in Chemnitz selbst seine erfolgreiche Tarifarbeit für das Jahr 1912 präsentieren: 118 Lohnbewegungen in 494 Betrieben mit 8.726 Beteiligten bei einer "Erfolgsquote" von über 90%. Referierte als sozialdemokratischer Redner vor dem Kriege in Chemnitz meist über Gewerkschaftsthemen. ("Die Arbeiter im Kampfe gegen die Angriffe auf das Koalitionsrecht.") Im August 1917 enthob der Verbandsvorstand Richter von seinem Gauleiteramt; er durfte nur noch die Geschäfte der Chemnitzer Ortsverwaltung (mit Ausnahme der Kassengeschäfte) führen. Revisionen während des Krieges hatten finanzielle Unregelmäßigkeiten aufgedeckt. Eine Gauvorstandssitzung am 18. Dezember 1917 legte Richter - nach erwiesener Veruntreuung von 687 Mark - den Verbandsaustritt nahe. Der Verbandsvorstand in Berlin verfügte allerdings Richters sofortigen Ausschluß und setzte im gleichen Zug seine Mandatsniederlegung im sächsischen Landtag durch. Richter arbeitete nach seiner Entlassung in seiner Wahlheimat zwei Jahre lang als Schlosser; von 1920 bis 1937 als Vertreter und "Agent". Lebte 1944 als Rentner in Chemnitz.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998

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