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Reitz, August (1885 - 1969)

Geboren am 7. April 1885 in Cannstatt als Sohn eines Essig- und Spirituosenfabrikanten und einer Näherin, verheiratet, Dissident. Der hochverschuldete Vater verließ die Familie und wanderte nach Amerika aus. Die Großmutter mußte mit Klavierunterricht die Angehörigen über Wasser halten. Nach dem Besuch der Volksschule absolvierte August Reitz von 1900 bis 1904 in der Maschinenfabrik Pfleiderer eine Lehre als Maschinenschlosser. Arbeitete von 1905 bis 1906 in der gleichen Eigenschaft in den Daimlerschen Motorenwerken in Untertürkheim. Von 1907 bis 1914 stellte sich Reitz in den Dienst des Privatmannes Ernst Arlt als Privatkraftfahrer. Seit dem 1. Februar 1909 Mitglied im "Deutschen Kraftwagenführerbund", einem losen Zusammenschluß regionaler Chauffeurvereine. Seit dem 1. April 1910 Mitglied der SPD. Im gleichen Jahr auf dem 1. Kongreß seiner Berufsorganisation in Köln zum Kassierer gewählt. Wiederwahl in diesem Amt auf dem Bundestag vom 27. Februar bis 1. März 1914.

Reitz unterstützte auf dem Kongreß 1911 in München die Umwandlung der Berufsorganisation in eine Gewerkschaftsorganisation, ohne sich durchsetzen zu können. Kurz vor Kriegsausbruch - auf dem Verbandstag in Nürnberg - fand sich eine Mehrheit für den Reitzschen Vorschlag. Der Krieg verhinderte jedoch die Realisierung des Projekts. Im August 1914 organisatorischer Zusammenbruch des "Deutschen Kraftwagenführerbundes" nach totaler Kriegsrekrutierung der Mitglieder. Von 1914 bis 1917 Kraftfahrer beim Militär; diente als Unteroffizier in Frankreich und der Türkei. Mit dem EK 2 ausgezeichnet. 1917 Wiedereintritt in die Daimlerschen Motorenwerke, legte 1919 seine Meisterprüfung ab und arbeitete bis 1920 als Vizemeister. Seit September 1918 Mitglied des Arbeiterausschusses in Stuttgart-Untertürkheim, Angehöriger eines "vorbereitenden Komitees" oppositioneller Metallarbeiter, die am 4. November 1918 erfolgreich einen Massenstreik ausriefen. Aktiver Teilnehmer beim Staatsumsturz 1918 in der württembergischen Hauptstadt. Von 1919 bis 1920 2. Betriebsratsvorsitzender. Sofort nach Kriegsende reorganisierten sich die Chauffeurvereine im "Deutschen Kraftwagenführer-Verband". Von 1918 bis 1920 fungierte Reitz als ehrenamtlicher Bezirksleiter seiner Berufsorganisation für Württemberg und Baden. Der Automobilschlosser strebte zunächst die Anerkennung seiner Organisation als selbständige Gewerkschaft durch die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands an, die allerdings am Veto des "Deutschen Transportarbeiter-Verbandes" scheiterte. Seine Verhandlungen mit dem "Deutschen Metallarbeiter-Verband" blieben ebenfalls ohne Erfolg, da die freigewerkschaftlichen Metallarbeiter die Kraftfahrer als Transportarbeiter einstuften.

Im Sommer 1919 kam der berufene Sprecher der gewerkschaftlich orientierten Chauffeure mit dem "Deutschen Transportarbeiter-Verband" zu einer Übereinkunft, die Kraftfahrer als eigenständige Reichssektion dem DTV zum 1. Oktober 1919 anzuschließen. Bestätigung des Agreements auf der 3. Konferenz der Kraftwagenführer Deutschlands in Stuttgart vom 22. bis 23. August 1919, auf der Delegierte diverser Chauffeurvereinigungen, des "Deutschen Transportarbeiter-Verbandes" und des "Deutschen Kraftwagenführerverbandes" Zeichen für einen gewerkschaftlichen Neuanfang setzten. Als Sitz der künftigen Reichsabteilung bestimmten die Delegierten Berlin. Auf der 4. Konferenz der Kraftwagenführer Deutschlands des "Deutschen Transportarbeiter-Verbandes" vom 17. bis 19. Januar 1920 in Berlin erhielt Reitz alle Stimmen bei der Wahl zum Reichsabteilungsleiter. Umzug in die Reichshauptstadt. Bestätigung im Amt auf den Konferenzen 1922 in Hannover, 1925 in Frankfurt am Main und 1928 in Leipzig. Reitz engagierte sich vor allem bei der Regelung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse der Kraftwagenfahrer durch Tarifverträge und für eine angemessene Reform der Gesetze und Verordnungen für den Straßenverkehr. Seine Reichsabteilung stieg nach organisatorischen Einbrüchen während der Inflationszeit von 15.829 (1925) auf 36.140 (1928) Mitglieder. Im Dezember 1925 zum Beisitzer des Verwaltungsausschusses der Freiwilligen Rechtsschutz- und Haftpflichtversicherung des Verbandes ("Fakulta") gewählt. Seit dem 10. November 1921 Mitglied im Vorläufigen Reichswirtschaftsrat als Vertreter des "Personen- und Lastfuhrgewerbes einschließlich Luft- und Kraftfahrwesen". War in dieser Eigenschaft Delegierter beim Völkerbund in Genf im Jahre 1930. Gleichzeitig Mitglied im Reichsbeirat für das Kraftfahrwesen im Reichsverkehrsministerium.

Auf dem Gründungskongreß des "Gesamtverbandes der Arbeitnehmer der öffentlichen Betriebe und des Personen- und Warenverkehrs" vom 7. bis 10. Oktober 1929 in Berlin als neuer Reichsabteilungsleiter der Reichsabteilung "C" (Handels-, Transport-, Kraft-, Luftverkehrs- und diverser Betriebe") in den Vorstand gewählt. Insgesamt waren 1930 ca. 237.000 Mitglieder in der Reichsabteilung organisiert. Weiterhin fungierte August Reitz als Reichsfachgruppenleiter des "Reichsverbandes der Berufskraftfahrer und Luftfahrtpersonals" innerhalb des Gesamtverbandes. Bestätigung im Amt auf der Reichskonferenz vom 25. bis 27. Oktober 1930 in Hamburg. Engagement in der technisch interessierten Arbeitersportbewegung: Auf dem 1. Verbandstag der Luftsportvereinigung "Sturmvogel - Flugverband der Werktätigen" am 7. Dezember 1930 in den Vorstand gewählt. Der Gesamtverband hatte bei der Gründung der Arbeitersportorganisation Pate gestanden; der erste Vorsitzende, Walther Binder, war Reitz' "Untergebener" im "Reichsverband der Berufskraftfahrer und Luftpersonal". Am 15. Oktober 1932 auf der Beiratssitzung der Arbeitersportorganisation zum 2. Vorsitzenden gewählt, ehe Reitz im Dezember 1932 nach innerverbandlichen Turbulenzen um den 1. Vorsitzenden von diesem Amt zurücktrat. Teilnehmer auf dem Kongreß der Internationalen Transportarbeiter-Föderation vom 7. bis 12. August 1924 in Hamburg. Vertrat zusammen mit seinem Kollegen Glöckl 32.000 Mitglieder auf der 1. Internationalen Sonderkonferenz der Chauffeure im Rahmen des allgemeinen ITF-Kongresses. Referierte über die "Nationale und internationale Gesetzgebung für den Kraftverkehr". Ebenfalls Delegierter auf dem Kongreß der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) vom 15. bis 21. September 1926 in Paris, vom 22. bis 27. September 1930 in London und vom 7. bis 13. August 1932 in Prag. Im Juni 1927 als Mitglied des Kraftfahrer-Beirats der ITF, zur Unterstützung des Sekretariats, des Exekutiv-Komitees und des Generalrats gewählt. Während des Krisenjahres 1932 arbeitete Reitz an der geplanten Satzungsänderung des Verbandes mit. Insbesondere kümmerte er sich um die geplanten Zusammenlegungen der Reichsabteilungen, die dem Gesamtverband trotz krisenhafter Finanzentwicklung Handlungsspielräume lassen sollte.

Die 5. Tagung des Verbandsbeirates vom 18. bis 20. November 1932 brachte in der Verbandsspitze einschneidende Veränderungen. Die beiden Kassierer Richard Nürnberg und Adam Ruppert hatten eigenmächtig einen Teil des Verbandsvermögens ohne Beschluß des Verbandsvorstandes angelegt und mußten demissionieren. Als neuen Kassierer wählte der Beirat August Reitz, dem bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung nur wenig Zeit blieb, das Beitragswesen neu zu ordnen. Suchte nach der nationalsozialistischen Machtergreifung mit der Mehrheit des Vorstandes die Existenzmöglichkeit seiner Gewerkschaft im autoritären Staat auszuloten. Im Mai 1933 verhaftet, weil er die Kartothek der Arbeitersportorganisation "Sturmvogel" vernichtet hatte. Mußte nach seiner Haftentlassung regelmäßig Vernehmungen, Hausdurchsuchungen und Überwachungen durch die Gestapo über sich ergehen lassen. Zunächst längere Zeit arbeitslos. Reitz kaufte sich im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg ein Zigarrengeschäft, das ihm bis 1937 den Lebensunterhalt sicherte. Seit 1934 bis Kriegsende Mitglied der DAF, ohne Funktionen inne zu haben. Von 1937 an bei Daimler-Benz in Berlin-Marienfelde tätig. Hielt Kontakt zur Gruppe "Orlopp" und betrieb "Betriebspropaganda". 1945 Mitglied der SPD, gehörte zum fusionswilligen Flügel der Berliner Sozialdemokratie, der sich mit den Kommunisten 1946 zur SED zusammenschloß. 1945 Beitritt zum FDGB. Vom 1. Oktober 1945 bis zum 1. August 1946 Bezirksrat in Berlin-Tempelhof.

Im April 1946 vom ersten gewählten FDGB-Bundesvorstand zum ersten Leiter der Abteilung Bundesfinanzen ernannt. August Reitz führte im gleichen Monat eine einheitliche Kassenführung im FDGB ein. Am 18. Oktober 1946 zu einem der Gesellschafter der Vermögensverwaltung des FDGB gewählt. Mitbegründer der "Fakulta" in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Herausgeber und Mitbegründer der Zeitschrift "Gewerkschaftseinheit". Delegierter auf dem 2. FDGB-Kongreß vom 17. bis 19. April 1947 in Berlin. Wahl in den Bundesvorstand mit der zweithöchsten Stimmenzahl. Wiederwahl als FDGB-Vorstandsmitglied bis 1963. Im Juni 1948 Mitinitiator und Gesellschafter der kurzlebigen ostdeutschen Büchergilde Gutenberg (bis 1950). 1952 gab Reitz die Leitung der Finanzabteilung des Bundesvorstandes des FDGB ab. Von 1952 bis 1958 Vorsitzender und stellvertretender Vorsitzender der Zentralen Revisionskommission des FDGB. Von 1958 bis 1963 Vorsitzender des Zentralen Arbeitskreises verdienter Gewerkschaftsveteranen. 1964 Mitglied des Zentralausschusses der "Fakulta". Die SED-Führung dekorierte den ehemaligen Kassierer des Gesamtverbandes mit hohen Orden und Ehrenzeichen. 1955 Verleihung der "Fritz-Heckert-Medaille". 1960 - anläßlich seines 75. Geburtstag - mit dem Orden "Banner der Arbeit" ausgezeichnet. 1965 Verleihung des Karl-Marx-Ordens. August Reitz starb am 21. Februar 1969 in [Ost-]Berlin.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998

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