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Riedel, Emil (1871 - )

Geboren am 11. Januar 1871 in Gießmannsdorf (Kreis Sprottau). Verlor seinen Vater im Deutsch-Französischen Krieg noch vor seiner Geburt. Verlebte seine Jugend in Sprottau und mußte sich zur Unterstützung der Familie als Hütejunge verdingen. Der Waise arbeitete nach der Volksschule in verschiedenen Berufen als Hilfsarbeiter; siedelte in den frühen neunziger Jahren nach Berlin über, wo er bald als Schaffner bei der "Großen Berliner Straßenbahngesellschaft" arbeitete. Trat am 27. März 1900 dem "Zentralverband der Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter Deutschlands" bei und spielte gleich im ersten großen Berliner Streik der Straßenbahner im Mai 1900 eine wichtige Rolle. Nach der Streikaktion zum Vertrauensmann gewählt. Fungierte seit [1901] als Kassierer im Vorstand der Ortsverwaltung Berlin III (Straßenbahner) des Zentralverbandes. Wiederwahl bis 1904. Sein Augenmerk galt zunächst der Interessenvertretung der Berufskollegen im Vorstand der Betriebskrankenkasse der Straßenbahngesellschaft. Nach Wahlmanipulation und einer Beschwerde bei der Gewerbedeputation zu Berlin am 12. Februar 1903 bei der fälligen Nachwahl in den Vorstand der Kasse gewählt; die Ablösung des alten wirtschaftsfriedlichen Vorstandes signalisierte nach einer langen Stagnationsperiode einen Stimmungsumschwung zugunsten der freien Gewerkschaften. Wiederwahl 1904.

Zu Beginn des Jahres 1904 von seinem Arbeitgeber gemaßregelt, fand Emil Riedel am 1. März 1904 eine Festanstellung bei seiner Gewerkschaft. (Seit 1. Juli 1903 neuer Verbandsname: "Zentralverband der Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter und -Arbeiterinnen Deutschlands".) Der entlassene Straßenbahner arbeitete künftig hauptamtlich in der Ortsverwaltung Berlin III - der Organisation der Berliner Straßenbahner. Riedel suchte innerhalb der Gewerkschaftsbewegung mit Nachdruck ein größeres organisatorisches Eigengewicht für seine Berufskollegen zu erlangen. ("Meiner Meinung nach dürfte es gut sein, wenn die Straßenbahner in den einzelnen Orten eigene Ortsverwaltungen bekommen würden, so daß sie scheinbar vom Verband abgerückt seien.") Auf der 1. Konferenz der Straßenbahner Deutschlands vom 28. bis 29. Januar 1907 in München schlossen sich die süd- und südwestdeutschen Lokalvereine dem freigewerkschaftlichen Zentralverband unter dem Namen "Sektion Straßenbahner" an. Der neuen Reichssektion stand man eine eigene Gewerkschaftsleitung zu. Wahl Riedels in die neue Sektionsleitung. Verhandlungsteilnehmer auf der Konferenz am 12. Juli 1908, der den Zusammenschluß des "Verbandes der Eisenbahner Deutschlands" mit dem "Deutschen Transportarbeiter-Verband" einleitete (neuer Verbandsname ab 1. Juli 1907). Riedel zeichnete 1909 phasenweise für das Verbandsorgan "Courier" verantwortlich, um den Redakteur - den Österreicher Johann Dreher - vor Repressionen zu schützen. Übernahm [1913] die Leitung der Statistischen Abteilung des Verbandes. Referat "Die Verbindung von Kommunal- und Privatbetrieben im Straßenbahnwesen und ihr Einfluß auf das Arbeitsverhalten der Angestellten und Arbeiter auf der 2. Reichskonferenz der Straßenbahner Deutschlands vom 27. bis 28. März 1913 in Berlin. Wiederwahl in die Reichssektionsleitung. Von 1919 bis 1921 Stadtverordneter für Berlin-Lichtenberg.

Seit dem 30. Juni 1920 bis zum Ende der Weimarer Republik Mitglied im Vorläufigen Reichswirtschaftsrat. Erwies sich bald als kompetenter Sprecher in dessen Sozialpolitischen Ausschuß sowie im Betriebsräteausschuß zur Entscheidung von Streitigkeiten aus dem Betriebsrätegesetz). Die Arbeiten des Betriebsräteausschusses unterschieden sich wesentlich von denen der übrigen Ausschüsse des Vorläufigen Reichswirtschaftsrates, denn auf dem Gebiet des Betriebsrätegesetzes übte das Gremium keine gutachterliche, sondern eine rechtsprechende Tätigkeit aus. Gehörte im Dezember 1920 zu einer ADGB-Kommission, die sich vergeblich bemühte, durch die Schaffung von Bezirkswirtschaftsräten dem Reichswirtschaftsrat einen besseren Unterbau zu geben. Auf der Konferenz von Vertretern der Straßen- und Kleinbahner vom 27. Februar bis 1. März 1921 stellte sich Riedel seinen alten Berufskollegen nicht mehr zur Verfügung. Sein künftiges Interesse galt der Betriebsrätearbeit des Verbandes. Am 20. bis 22. Juni 1921 fand eine mit 176 Delegierten beschickte 1. Reichskonferenz der Betriebsräte und Betriebsobmänner des "Deutschen Transportarbeiter-Verbandes" im Gewerkschaftshaus in Berlin statt. Damit setzte auch der "Deutsche Transportarbeiter-Verband" auf eine Integration der Betriebsräte in die Gewerkschaftsarbeit. Die Versammlung sanktionierte einen Organisationsplan zur Zusammenfassung der Betriebsräte des Verbandes. Als Leiter der neu geschaffenen Abteilung wählten die Delegierten Emil Riedel.

Der Fünfzigjährige galt bald als der profilierteste sozialpolitische Experte seiner Gewerkschaft und als unumstrittener Sprecher in Fragen der Arbeitsschutzgesetze, der Berufsbildungsgesetze, der Gesetze über die Änderung der Unfallversicherung und der Kurzarbeiterunterstützung. Der ungelernte Hilfsarbeiter entwickelte eine geschlossene reformistische gesellschaftliche Transformationsperspektive, in der die Betriebsräte als künftige Träger der Wirtschaftsdemokratie einen festen Platz besaßen. ("Wenn dann der Gedanke der Demokratie in Politik und Wirtschaft nicht nur Gemeingut aller Arbeiter und Angestellten sondern auch der Beamten und Intellektuellen weit hinein in die Wirtschaftskreise sein wird, dann wird nicht mehr der Staat die Wirtschaft, sondern die Wirtschaft den Staat beherrschen. Bis dahin gelten alle in der kapitalistischen Wirtschaft an den Gedanken der Wirtschaftsdemokratie gemachte Konzessionen als Abschlagzahlungen...") Auf dem 12. Bundestag des "Deutschen Verkehrsbundes" (neuer Organisationsname ab 1. Januar 1923) an Stelle des zurückgetretenen Wilhelm Wageners in den Verbandsvorstand als Sekretär gewählt. Nach dem Tode des langjährigen Sektionsleiters August Rathmann übernahm Riedel vom 8. Mai 1927 interimistisch die Leitung der Straßenbahner, Privateisenbahner und Werkseisenbahner, konnte allerdings wegen seines sozialpolitischen Engagements im Reichswirtschaftsrat nicht in den Kreis der alten Berufskollegen zurückkehren. Wiederwahl in den Bundesvorstand auf der 13. Bundestagung vom 12. bis 17. August 1928. Delegierter auf der Bundestagung des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes vom 19. bis 24. Juni 1922, auf der Riedel gegen linkssozialistische Strömungen die Einheit von Betriebsräte- und Gewerkschaftsbewegung unterstrich. Delegierter auf den drei letzten Gewerkschaftstagen des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes von 1928 bis 1932, wo er für ein Bündnis von Sozialdemokraten und Gewerkschaften warb.

Im Mai 1927 zum Arbeitsrichter am Reichsarbeitsgericht in Leipzig gewählt. Die Gründungsversammlung des "Gesamtverbandes der Arbeitnehmer der öffentlichen Betriebe und des Personen- und Warenverkehrs" wählte den gebürtigen Schlesier als Leiter der Abteilung Sozialpolitik und Betriebsräte in den Vorstand der neuen gewerkschaftlichen Großmacht. In dieser Funktion koordinierte er alle sozialpolitischen Maßnahmen des Verbandes und fungierte als Verbindungsmann zu den Parlamenten, den Spitzengremien des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes und der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion. Verbandsmitgliedern auf fremden Listen drohte er vor den Betriebsratswahlen 1930 Gewerkschaftsausschluß an. Rief vom 16. bis 17. Februar 1931 die erste Reichsbetriebsrätekonferenz des Gesamtverbandes ein, ein erster Schritt, um die unterschiedlichen Formen gewerkschaftlicher Interessenvertretungen in der Organisation abzustimmen. Im November 1932 trat Riedel aus gesundheitlichen Gründen - vom Verbandsvorstand hoch geehrt - von seinem Amt zurück. Nahm noch im Januar 1933 an einer Betriebsrätekonferenz des Gesamtverbandes als Gast teil. Er mußte 1933 aus der verbandseigenen Wohnung weichen und verließ im gleichen Jahr die Hauptstadt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998

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