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Rathmann, Hermann (1871 - 1927)

Geboren am 20. Oktober 1871 in Oberfarnstedt (Kreis Querfurt), evangelisch, verheiratet. Arbeitete nach der Volksschule in verschiedenen Berufen als Arbeiter; siedelte in den neunziger Jahren nach Berlin über und fand als Schaffner bei der "Großen Berliner Straßenbahngesellschaft" Anstellung. Seit dem 1. Mai 1898 Mitglied des "Zentralverbandes der Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter Deutschlands". Mitglied der SPD. Hermann Rathmann, einer der wenigen gewerkschaftlich organisierten Straßenbahner Berlins, spielte im großen Berliner Maistreik der Straßenbahner des Jahres 1900 die führende Rolle als Organisator; einer der Verhandlungsführer der Streikenden mit dem Berliner Senat. Der dreitägige Massenstreik für bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen von über 5.000 Streikenden ging letztlich an der mangelnden Einmütigkeit der Streikenden verloren. Kündigung durch die Direktion am 14. Juni 1900. Am 17. Juni auf der Berliner Vereinigungsversammlung von "Lokalisten" und "Zentralisten" als Branchenvertreter der Straßenbahner in den Berliner Vorstand gewählt.

Festanstellung durch die Berliner Gewerkschaftsorganisation zum 1. Juli des gleichen Jahres. Rathmanns Anstellung war mit einer organisatorischen Neustrukturierung der Berliner Ortsverwaltung verbunden: als Ortsverwaltung Berlin III figurierten künftig die organisierten Straßenbahner der Hauptstadt. 1. Bevollmächtigter der neukonstituierten Ortsverwaltung. Referat "Wie vertreten wir die Interessen der Straßenbahner am wirksamsten?" auf der 3. Generalversammlung in Hamburg vom 11. bis 16. April 1903 in Hamburg. Trotz intensiver Agitation in den großen Städten des Deutschen Reiches dominierten bei den Straßenbahner weiterhin "gelbe" Direktionsvereine und wirtschaftsfriedliche Geselligkeitsklubs. Zeichnete seit dem 6. Dezember 1903 für die 1. Nummer der "Kleinen Mitteilungen der Ortsverwaltung II (Straßenbahner)" verantwortlich (später mit dem Untertitel: "Organ für die Interessen der Straßenbahner"). Mit dem Blatt suchte Rathmann den "ungeheuren Verleumdungen und Verdrehungen" der Unternehmerseite entgegenzuwirken. Im Jahr 1903 konnte Rathmann in Berlin 1.011 Mitglieder mustern. Neben der schwierigen Rekrutierung von Mitgliedern bei der "Großen Berliner" war es Rathmann gelungen, Mitglieder bei der städtischen Straßenbahn in Pankow und Treptow und der Continental-Straßenbahn-Berlin in Hohenschönhausen zu werben. Einziger anwesender Straßenbahner auf der 4. Generalversammlung vom 8. bis 13. Mai 1905 in Frankfurt am Main. Insgesamt waren in Deutschland 1904 nur 2.500 Straßenbahner in 34 Orten freigewerkschaftlich organisiert. Als eine scheinbar privilegierte Berufsgruppe galt sie vielen Gewerkschaftern als nicht organisierbar.

Neue Impulse für die freigewerkschaftliche Straßenbahnerbewegung kamen aus dem liberalen Süddeutschland. Aus der Münchner christlichen Gewerkschaftsbewegung entwickelte sich eine freigewerkschaftliche Lokalorganisation der Straßenbahner (1907: 915 Mitglieder), der "Verein Münchner Trambahner", mit "separatistischen Tendenzen". Um einer süddeutschen Sondergründung entgegenzuwirken, machte der Vorsitzende des "Zentralverbandes der Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter und -Arbeiterinnen Deutschlands", Oswald Schumann, den süddeutschen Straßenbahnern weitgehende Konzessionen. Auf der 1. Konferenz der Straßenbahner Deutschlands vom 28. bis 29. Januar 1907 in München schlossen sich die süd- und südwestdeutschen Lokalvereine dem freigewerkschaftlichen Zentralverband unter dem Namen "Sektion Straßenbahner" an. Der neuen Reichssektion stand man eine eigene Gewerkschaftsleitung zu, zum Vorsitzenden wurde August Rathmann gewählt. Rathmann redigierte künftig den "Straßenbahner", der als Beilage zum Verbandsorgan "Courier" erschien (1909: Auflage ca. 10.000 Exemplare). In seiner Eigenschaft als neuer Reichssektionsleiter lebhafte Agitation in den großen Metropolen des Deutschen Reiches, namentlich den Hamburger Straßenbahnern galt er als der "Vater der Organisation". Bis zu seinem Tode als Leiter der Reichssektion der Straßenbahner auf allen Verbandstagen des "Deutschen Transportarbeiter-Verbandes" (neuer Verbandsname ab Juli 1907) und des "Deutschen Verkehrsbundes" (Verbandsname ab 1. Januar 1923) anwesend.

Der 7. außerordentliche Verbandstag vom 8. bis 11. Mai 1910 kam den organisationspolitischen Sondervorstellungen der Straßenbahner nochmals mit einer eigenen Verbandsbezeichnung ("Verband der Straßenbahner, Mitgliedschaft des Deutschen Transportarbeiter-Verbandes") entgegen. Damit waren Rathmanns Wünsche, der spezifischen Mentalität der Straßenbahner Rechnung zu tragen, von Erfolg gekrönt. ("Die Straßen- und Eisenbahner haben besondere Arbeitsverhältnisse. Deshalb erfordern sie auch besondere Verhältnisse in der Organisation.") Wiederwahl Rathmanns zum Vorsitzenden auf der 2. Reichskonferenz der Straßenbahner Deutschlands vom 27. bis 28. März 1913 in Frankfurt am Main. Der Krieg brachte die Anerkennung des Koalitionsrechts für die Straßen- und Kleinbahner. Vor allem die "Große Berliner Straßenbahngesellschaft" tat sich schwer, den entlassenen Straßenbahner als gleichberechtigten Verhandlungspartner zu akzeptieren. Allerdings wurde die Anerkennung als Tarifvertragspartner mit dem Verzicht auf Streiks während der Kriegszeit erkauft. Bei der Wahl zur Berliner Stadtverordnetenversammlung am 20. März 1919 als SPD-Kandidat gewählt. Rathmann hatte das Amt bis zum 20. Juni 1920 inne.

Rathmann präsentierte am 22. Mai 1919 auf der Reichskonferenz die innere Tektonik eines Reichstarifvertrages, der sich über alle Länder des Reiches erstreckte. Sein agitatorisches Werben um neue Mitglieder waren von einem humanen, radikal-egalitären Ton bestimmt. 1920 von seinem Verband in den Vorläufigen Reichswirtschaftsrat entsandt. Im Nachkriegsdeutschland schwoll die Mitgliederzahl der organisierten Straßenbahner gewaltig an, gleichzeitig kam es zu innergewerkschaftlichen Absprachen, die Klein-, Neben- und Werkseisenbahner durch den "Deutschen Transportarbeiter-Verband" zu organisieren. Die Konferenz von Vertretern der Straßen- und Kleinbahner vom 27. Februar bis 1. März 1921 repräsentierte 72.000 organisierte Kolleginnen und Kollegen. Der Reichssektion verlieh der Gesamtverband noch größere organisatorische Eigenständigkeit, um dem Sog berufsständischer Organisationen zu widerstehen. Rathmanns gewerkschaftspolitische und moralische Integrität machten ihn zum unangefochtenen Sprecher beider Berufsgruppen aus den ehemaligen organisationspolitischen Bereichen des "Deutschen Transportarbeiter-Verbandes" und des "Deutschen Eisenbahner-Verbandes" (Kleinbahner): einstimmige Wiederwahl am 1. März 1921. Seit August 1924 Herausgeber der "Deutschen Privat- und Straßenbahnerzeitung. Branchenorgan des Deutschen Verkehrsbundes, Reichssektion der Straßen- und Kleinbahner". Von 1919 bis 1924 wurden unter der Federführung des ehemaligen Berliner Straßenbahnschaffners 6 Reichsmanteltarifverträge für Straßenbahner, 8 Bezirksmanteltarife für Straßenbahner, 2 Reichsmanteltarife für kommunale Straßenbahner, 14 Reichsmanteltarife für Privateisenbahner sowie 2 Bezirksmanteltarife für Privateisenbahner abgeschlossen.

Neue organisationspolitische Aufgaben kamen auf Rathmann zu, als die freigewerkschaftliche Beamtenorganisation "Reichsgewerkschaft deutscher Eisenbahnbeamten- und Anwärter" im Juni 1925 mit dem "Deutschen Eisenbahner-Verband" fusionierte und die Privateisenbahner nach den Beschlüssen der freigewerkschaftlichen Transportarbeiter dem "Deutschen Verkehrsbund" beitraten. Auf der 4. Reichskonferenz der Straßenbahner, Privateisenbahner und Werkseisenbahner vom 7. bis 8. August 1925 in Frankfurt am Main konnte er die beamteten Kollegen und Kolleginnen begrüßen. Rathmann hatte sich in seinem jahrelangen Bemühen um die Verbesserung der Lebensbedingungen seiner Kollegen förmlich verbraucht. Über Jahre bestand der Schwerpunkt seiner gewerkschaftlichen Agitation in "Nachtarbeit". Seit Mitte der zwanziger Jahre erkrankt. August Rathmann starb am 8. Mai 1927 in Berlin an einem Gallenleiden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998

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