FES | ||
|
|
TEILDOKUMENT:
Raabe, Erich (1907) Geboren am 22. Februar 1907 in Linden (heute Hannover-Linden) als Sohn eines Gebäudereinigers, verheiratet, protestantisch. Der Vater starb bereits 1910, Erich Raabe wuchs bei Verwandten in extrem ärmlichen Verhältnissen auf. Erlernte nach der Volksschule den Beruf eines Drehers, beendete die Lehre aus wirtschaftlichen Gründen vorzeitig. Fand Anstellung bei den Hanomagwerken. Seit 1924 im "Deutschen Metallarbeiter-Verband" organisiert. Besuchte Abendlehrgänge der Hannoveraner Volkshochschule; politisch dezidiert links eingestellt. Von 1931 bis 1933 Mitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP). Arbeitete während der Zeit des Nationalsozialismus weiterhin bei den Hanomag-Werken. Hatte Kontakt zu Widerstandskreisen. Obgleich in einem kriegswichtigen Betrieb als unabkömmlich eingestuft, meldete er sich 1943 auf Anraten eines Freundes hin an die Front, um einer drohenden Verhaftung zuvorzukommen. Im September 1943 ins Grenadier-Ersatzbataillon 588 eingezogen und im November an die Ostfront versetzt; kämpfte im Großraum Woroschilowa. Im Februar 1944 mit schweren Erfierungen ins Lazarett eingeliefert. Zur Abwehr der alliierten Invasion im September 1945 mit seinem Regiment nach Frankreich verlegt. Raabe geriet am 15. September 1944 in britische Kriegsgefangenschaft, gehörte als Antifaschist zu einer Gruppe von deutschen Radiosprechern, deren Appelle der britische Rundfunk nach Deutschland strahlte. Kehrte am 25. Februar 1946 aus der Kriegsgefangenschaft zurück und stellte sich sofort der jungen Gewerkschaftsbewegung zur Verfügung. Gute Freunde aus der ehemaligen SAP wollten zudem verhindern, daß er wiederum als Hilfsarbeiter in die Hanomag-Werke zurückkehren mußte und besorgten ihm rasch eine hauptamtliche Anstellung. Zunächst Anhänger der in Niedersachsen und Bremen dominierenden Idee einer zentralen Einheitsgewerkschaft. Innerhalb der Einheitsgewerkschaft konkurrierten die Wirtschaftsgruppen Angestellte, Beamte und "Öffentliche Betriebe" um das gleiche Klientel. Wahl des Wirtschaftsgruppenvorstandes "Öffentlicher Betriebe" am 10. Mai 1946 in Hannover (2.100 Mitglieder). Einstimmige Wahl Raabes zum besoldeten Geschäftsführer, der als "Berufsfremder" sein Amt am 15. Mai 1946 antrat. Am 3. Dezember 1946 verstarb der 1. Vorsitzende der Wirtschaftsgruppe Heinrich Meyfeld; Wahl Raabes zum 1. Vorsitzenden auf einer Delegiertenversammlung am 16. Dezember 1946. Nach der Umformung und dem Ende der Allgemeinen Gewerkschaft Niedersachsens wurden die Wirtschaftsgruppen in Industrieverbände auf Landesebene umstrukturiert, um Anschluß an die britische Zonenorganisation zu gewinnen. Besonders Raabe gehörte seit Oktober 1946 (gemeinsam mit seinem ehemaligen SAP-Kampfgefährten Otto Brenner) zu den führenden Gewerkschaftern Niedersachsens, die auf die Bildung autonomer Industrieverbände drängten. Zunächst bildete sich der "Verband Öffentlicher Betriebe Niedersachsens", zu dessen Vorsitzendem Raabe gewählt wurde. Von Anfang an zeigte er sich gegenüber anderen Verbänden fusionsbereit. Am 16. Juni 1947 schlossen sich im Gewerkschaftshaus die Gruppen Beamte, Handel und Transport, Reichspost und Öffentliche Betriebe zur Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr zusammen. Wahl Raabes zum provisorischen Vorsitzenden bei 4 Stimmenthaltungen. Für den Konzentrationsprozeß in der britischen Zone sollte der - gemessen an anderen Gründungsfunktionären - junge Erich Raabe eine besondere Rolle spielen. Am Rande der 1. Gewerkschaftskonferenz der britischen Zone vom 12. bis 14. März 1946 im Katholischen Vereinshaus in Hannover-Linden verständigten sich die Vertreter des öffentlichen Dienstes, der Eisenbahner, des Transport- und Verkehrsgewerbes, eine "Arbeitsgemeinschaft Verkehr und Öffentlicher Dienst" ins Leben zu rufen. Delegierter auf dem Gründungskongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes (Britische Zone) vom 22. bis 25. April 1947 in Bielefeld. Wahl als stellvertretendes Beiratsmitglied im Beirat des DGB (Britische Zone) auf der Vorstandssitzung am 12. Oktober 1947. (Ordentliches Beiratsmitglied seit August 1948.) Im Anschluß an den Bielefelder Bundeskongreß fand auf Einladung des "Verbandes Öffentlicher Betriebe und Verwaltungen" Hessen vom 26. bis 27. April 1947 eine erste Interzonenkonferenz in Oberursel statt, auf der Raabe die Interessen Niedersachsens vertrat. Wahl Raabes in den Vorstand der trizonalen Arbeitsgemeinschaft (mit Sitz in Stuttgart), der die einzuschlagende Lohn- und Tarifpolitik koordinieren sollte. Auf dem Vereinigungsverbandstag der Gewerkschaften Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr der britischen Zone vom 9. bis 12. September 1947 in Krefeld repräsentierte Raabe als "1. Delegierter" 60.531 Mitglieder seines Landesverbandes. Von der "Vorstandskommission" zunächst als gleichberechtigter Vorsitzender vorgeschlagen, verzichtete Raabe zunächst wegen interner Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Kommission. Revidierte während des Kongresses seine Meinung; zum 3. Vorsitzenden der Zonengewerkschaft gewählt. Als 3. Vorsitzender seiner Gewerkschaft nahm Raabe an allen wichtigen Konferenzen der Gewerkschaften der Jahre 1947 und 1948 teil, die organisatorisch und strukturell den Vereinigungsprozeß in den Westzonen steuerten. Auf der Tagung der Arbeitsgemeinschaft der Gewerkschaften für den öffentlichen Dienst, Transport und Verkehr in den Westzonen in Stuttgart vom 25. bis 26. November 1947 zur Vorbereitung des bizonalen Zusammenschlusses kamen von Raabe die Vorschläge, die den Einigungsprozeß bestimmen sollten: 1. Einberufung eines Verbandstages, 2. Erhaltung des föderativen Charakters der Ländergewerkschaften, 3. Bildung eines gemeinsamen Vorstandes. Errichtung von Sekretariaten zur einheitlichen Bearbeitung der verschiedenen Gebiete. Raabe suchte durch weitgehende Zugeständnisse an die gewerkschaftlich organisierten Eisenbahner und Postbediensteten in finanziellen Fragen, die gewerkschaftliche Einheit zu retten, wie sie in Nordrhein-Westfalen Wirklichkeit geworden war. Bestätigung als Bezirksvorsitzender Niedersachsens auf der Bezirkskonferenz am 22. Januar 1948. Raabe gehörte dem siebenköpfigen "Organisationsausschuß der Gewerkschaften für den öffentlichen Dienst für die britische, amerikanische und französische Zone" an, die der Arbeitsgemeinschaft zwar nur Empfehlungen unterbreiten sollte, aber im kommenden Einigungsprozeß eine beträchtliche Sonderrolle spielte und entscheidende personalpolitische Weichen stellte. Die Aktivitäten des Organisationsauschusses mündeten auf der Heidelberger Tagung am 29. Juli 1948 in weitreichenden Empfehlungen für den zukünftigen Verbandsaufbau. Auf dem außerordentlichen Verbandstag der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr der britischen Zone vom 25. bis 26. Januar 1949 in Köln mußte Raabe das Scheitern seiner Organisationsbemühungen konstatieren: Mit seiner Stimme hatte der Vorstand Anfang Dezember 1948 beschlossen, wegen der Entwicklung in den süddeutschen Ländern, die Postbediensteten organisatorisch auszugliedern. Jüngster Beisitzer auf dem Vereinigungsverbandstag der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, Transport und Verkehr vom 28. bis 30. Januar 1949 in Stuttgart. Mitglied der Satzungskommission, die zentrale und richtungsweisende organisatorische Beschlüsse vorbereitete. (Fragen der Finanzhoheit, Größe des Geschäftsführenden Hauptvorstandes, Rolle der Bezirksvorsitzenden im Hauptvorstand, Sitz und Name der Organisation.) Berichterstatter der Satzungskommission auf dem Verbandstag. Wahl in den Hauptvorstand der Gewerkschaft ÖTV. Auf dem 1. Bezirkstag der ÖTV Niedersachsen, der sich in grundlegender Weise mit der Gewerkschaftsarbeirat des Bezirks befaßte, einstimmig zum 1. Vorsitzenden gewählt. Er betonte künftig die Notwendigkeit möglichst großräumige Tarifabschlüsse zu schaffen, um die organisationsschwachen Regionen nicht abzukoppeln. Beim Wasserstraßenstreik (6. bis 12. Oktober 1950) spielte Raabe eine besonders aktive Rolle. Im Sommer 1952 vom geschäftsführenden Hauptvorstand der ÖTV zum stellvertretenden DGB-Bundesausschußmitglied bestimmt. Auf allen Bezirkstagen bis zum 13. April 1961 unumstritten zum Bezirksleiter des Bezirkes Niedersachsen der ÖTV gewählt. Zum 30. Juni 1960 konnte er als Bezirksleiter 58.658 Mitglieder mustern. In Niedersachsen selbst (wie auf Bundesebene) suchte Raabe die drei großen Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes zu "wirklich echter Tarifarbeit" zu bringen. Tarifpolitisch ging es Raabe in Niedersachsen vor allem um eine Gleichberechtigung der Arbeiter. Als Bezirksleiter der ÖTV-Niedersachsen jeweils Wiederwahl in den Hauptvorstand der Gewerkschaft ÖTV auf allen Gewerkschaftstagen bis 1961. Seit 1949 Vorstandsmitglied des DGB-Landesbezirks Niedersachsen. Einer der 14 Gewerkschafter der Vermögensverwaltung der Gewerkschaft ÖTV, denen seit September 1949 die treuhänderische Verwaltung des Vermögens der ÖTV oblag. Nach der Aufnahme der Gewerkschaft ÖTV in die "Internationale Föderation der Gewerkschaften des Personals Öffentlicher Dienste" (IÖD) im Mai 1949 repräsentierte Raabe die ÖTV im internationalen Berufssekretariat: Wahl in den Generalrat der IÖD auf dem Kongreß in Kopenhagen im Juni 1949. Teilnehmer auf allen Nachkriegskongressen der IÖD bis zum 16. IÖD-Kongreß vom 18. bis 22. September 1961 in Stuttgart. Am 14. April 1954 zum Bundesarbeitsrichter für die Dauer von vier Jahren berufen, seine Amtszeit wurde jeweils für die Dauer von vier Jahren bis zum 13. April 1966 verlängert; Raabe hatte außerdem Ämter in der kommunalen Selbstverwaltung inne. Aufsichtsratsmitglied der Braunschweigschen Straßenbahngesellschaft. Auf dem 4. Gewerkschaftskongreß der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr vom 25. Juni bis 1. Juli 1961 in Berlin in einer Kampfabstimmung zum 2. Vorsitzenden der ÖTV gewählt: Mit 247 Delegiertenstimmen gegen 226 Delegiertenstimmen setzte er sich gegen Hans Faltermeier durch. Delegierte warfen ihm eine zu nachgiebige Tarifpolitik in Niedersachsen vor; auch "Ersatzkonflikte" (junge Delegierte versus "überalteter" Vorstand) spielten eine Rolle. Im Geschäftführenden Hauptvorstand zuständig für die Personalabteilung, die Vermögensverwaltung, die Erholungsheim GmbH, die Innere Verwaltung, die Abteilung Rechtsschutz und die Hauptfachabteilung V (Nahverkehr). Am 3. Dezember 1961 vom geschäftsführenden Hauptvorstand der ÖTV in die Fachkommission Wirtschaftspolitik beim DGB-Bundesvorstand delegiert. Wegen Krankheit schied Raabe mit Ablauf der Wahlperiode zum 5. Juli 1964 aus den Diensten der Gewerkschaft ÖTV aus. Ehrengast auf dem Gewerkschaftstag der ÖTV 1968 in München. Raabe verzog 1972 nach Fellbach und 1974 nach Möglingen. Lebt 1994 in Möglingen bei Ludwigsburg. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998 |