FES | ||
|
|
TEILDOKUMENT:
Müllé, Friedrich ("Fritz") (1903 - 1989) Geboren am 21. September 1903 in Köpenick als Sohn eines Oberheizers, verheiratet, protestantisch, später Dissident. Der Vater war ein bekannter Köpenicker Sozialdemokrat und mehrfach gemaßregelter Gewerkschafter. Besuchte bis zum 14. Lebensjahr die achtklassige Volksschule, aus dieser mit Auszeichnung entlassen. Nach der Schulentlassung arbeitete er als Posthelfer, um die Familie zu unterstützen. Nach Rückkehr des Vaters aus dem Kriegsdienst Berufsausbildung in einem metallverarbeitenden Betrieb. Berufsabschluß mit dem Gesellenbrief. 1920 Eintritt in den "Deutschen Metallarbeiter-Verband". Starkes Engagement in der Arbeiterjugendbewegung: 1918 Eintritt in die "Arbeiterjugend"; später: "Sozialistische Arbeiterjugend" (SAJ). Hatte verschiedene Funktionen in der Berliner SAJ inne: Ortsgruppenvorsitzender, Werbebezirksleiter des Bezirks Oberspree, Mitglied des Bezirksvorstandes Groß-Berlin. Besuchte in den frühen zwanziger Jahren das Abendgymnasium, die Volkshochschule und Vorlesungen auf der "Hochschule für Politik". [1921] Eintritt in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Müllé verfolgte langfristig das Ziel, eine Ausbildung als Maschinenbauingenieur abschließen zu können. Angeregt durch die Bildungsarbeit in der Jugendbewegung und den Besuch von Weiterbildungskursen verschob sich sein Berufsideal. 1923 Eintritt als Bürolehrling in die Verbandshauptverwaltung des "Zentralverbandes der Maschinisten und Heizer sowie Berufsgenossen Deutschlands". Im Auswahlverfahren durch eine Abhandlung über die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung zum Studium an der Akademie der Arbeit Frankfurt am Main vorgeschlagen. Bekam vom ADGB 1924 bis 1925 ein Freistudium bewilligt. Nahm ferner an den Vorlesungen der Universität Frankfurt teil, rege Mitarbeit an den Seminaren des Instituts für Sozialwissenschaft. Nach Beendigung des Studiums Eintritt in die Hauptverwaltung der Maschinistengewerkschaft. Arbeitete künftig in der Hauptkasse und der statistischen Abteilung; daneben Mitarbeit in der Redaktion des Verbandsblattes und der Tarifabteilung. Mitwirkung bei der Einführung der Invaliden- und Altersunterstützung. Zwischenzeitlich mehrere Monate in Dresden und Bremen zur Reorganisation der Verwaltungsbezirke tätig. Übernahm 1928 den Verwaltungsbezirk Kurhessen (mit Sitz in Kassel) mit der Vorgabe, eine Vereinigung mit dem Verwaltungsbezirk Hessen, Hessen-Nassau(mit Sitz in Frankfurt am Main) anzustreben. Siedelte am 15. August 1928 nach Nordhessen über. Betreute u.a. die Arbeiter der Preußen-Elektra-Werke. Gab für seinen Bezirk ein eigenes "Mitteilungsblatt" heraus, das er selbst redigierte. Schloß 1932 die Verschmelzung beider Bezirke erfolgreich ab und ging Mitte 1932 als neuer Bezirksleiter nach Frankfurt am Main. 1933 Verhaftung, weil er sich weigerte, das bezirkliche Gewerkschaftsvermögen der DAF zu überschreiben. Mehrere Wochen in einem Privatgefängnis der SA festgehalten und mißhandelt. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis Übersiedlung zu seinen Schwiegereltern nach Waldau (einem kleinen Dorf in der Nähe von Kassel), bevor er am 10. Februar 1934 in der Stadt Kassel eine Wohnung bezog. Hielt illegalen Kontakt zu Mitgliedern seiner alten Gewerkschaft. Pendelte mehrfach zwischen Berlin und Frankfurt hin und her. Gehörte in Berlin zur aktiven Widerstandsgruppe des "Roten Ringes", die zum emigrierten Parteivorstand in Prag Kontakt hielt. Hatte in Berlin ferner Verbindungen zum Widerstandskreis seines Bruders Karl Müllé, der sich aus ehemaligen SAJ-Mitgliedern rekrutierte. Nahm in Frankfurt am Main an illegalen Diskussionszirkeln ehemaliger ISK-Mitglieder teil. Bis 1936 durch das Arbeitsamt beruflich geächtet, durfte selbst Aushilfstätigkeiten nicht annehmen. Durch Mithilfe eines befreundeten Personalchefs im November 1936 als Aushilfskraft bei der Sigurd KG als Kontorist eingestellt, übernahm Ende des Jahres die Korrespondenzabteilung der Firma. Von Juni 1939 bis zum 31. März 1941 in Österreich bei den Dornacher Steinbrüchen als Geschäftsführer tätig. Bekam in der "Ostmark" wegen seiner Weigerung der NSDAP beizutreten, zunehmend Schwierigkeiten. Nach Ablauf des Vertrages Rückkehr nach Kassel. Im November 1942 Umzug nach Rothwesten, Gut Eichenberg (heute: Gemeinde Fuldatal). Als kaufmännischer Leiter des Zweigwerkes Salzgitter des Bauunternehmens Bodmann (Göttingen) tätig. Ein Verfahren wegen Landesverrats, auf Grund öffentlicher Äußerungen über die Produktion des Rüstungsbetriebes Oderhütte, wurde im September 1944 vom Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof fallengelassen. Schied im März 1945 aus der Baufirma aus. Half im September 1945 bei der Gründung des "Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes Kassel" mit, der im gleichen Monat mit einem detaillierten Programm einer zentralistischen Einheitsgewerkschaft an die Öffentlichkeit trat. Auf Drängen gewerkschaftlicher und politischer Freunde trat Müllé kurz nach Kriegsende in den Staatsdienst ein. War vom 1. April 1946 bis zum 3. Februar 1947 als Angestellter beim Amt für Vermögenskontrolle in Kassel tätig. Übernahm im Anschluß an diese Tätigkeit die Leitung des Amtes für Vermögenskontrolle in Melsungen, das ab Oktober 1947 wieder in Kassel residierte. Mitglied der "Gewerkschaft öffentliche Verwaltungen und Betriebe Hessen", die im Juni 1946 den ersten Landesgewerkschaftstag abhielt. Im Rahmen der Landesgewerkschaft wurden zwei Bezirksgruppen mit Sitz in Kassel und Frankfurt gegründet. Seit dem 1. Juli 1948 hauptamtliche Anstellung als Kasseler Bezirksgruppenleiter der Landesgewerkschaft. Wahl in den Vorstand der "Gewerkschaft öffentliche Verwaltung und Betriebe Hessen". Vom 28. bis 30. Januar 1949 tagte in Stuttgart der "Vereinigungsverbandstag der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, Transport und Verkehr". Die Vorstandswahlen beruhten auf einem Kompromiß der bislang autonomen Landesverbände untereinander. Die hessische Organisation hatte sich für Fritz Müllé als Vorstandsmitglied für die neuerstandene Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr entschieden. Einstimmige Wahl Müllés als Vorstandssekretär in den geschäftsführenden Hauptvorstand auf dem Stuttgarter Vereinigungsverbandstag. Im Vorstand zuständig für die Komplexe Arbeitsrecht, Arbeitsgerichtsbarkeit, Betreuung der Rechtsstellen der Gesamtorganisation, Arbeitsschutz, allgemeine Sozialpolitik. Zunächst galt es für Müllé, die Arbeit der bisherigen Landesverbände unter Berücksichtigung der unterschiedlichen zonalen Entwicklungen zusammenzufassen und auf der Grundlage der neuen Organisationsstruktur zu reformieren. Insbesondere mußte die einheitliche Handhabung und Durchführung des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes angestrebt werden, wobei Müllé die ungeheuere Rechtszersplitterung schwer zu schaffen machte. Der gebürtige Berliner leistete die Arbeit zunächst allein und bekam erst 1950 durch Sachbearbeiter personelle Unterstützung. Vor Gründung des Deutschen Gewerkschaftsbundes arbeitete Müllé im Hauptausschuß für Sozialpolitik und Arbeitsrecht mit; nach Gründung des gewerkschaftlichen Dachverbandes vertrat er die Gewerkschaft ÖTV im Sozialpolitischen Ausschuß. Auf Beschluß des geschäftsführenden Hauptvorstandes trat Müllé als Mitglied der Gewerkschaft in die "Gesellschaft für sozialen Fortschritt" ein, in der neben Arbeitnehmern und Arbeitgebern Vertreter der Wissenschaft und des Staates konzeptionelle Lösungen der sozialen Frage berieten. Ferner nahm er an den Arbeitstagungen der gemeindlichen Unfallversicherungsträger und anderer Sozialversicherungsträger teil. Drei Komplexe waren es, die Müllés Arbeitskraft in den ersten drei Jahren des Neuaufbaus banden: Mitarbeit an den gewerkschaftlichen Vorschlägen zur Selbstverwaltung der deutschen Sozialversicherung, Mitwirkung an der gewerkschaftlichen Konzeption zur Errichtung der Bundesanstalt für Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslosenversicherung und der Beteiligung an gewerkschaftlichen Gegenkonzeptionen zum Betriebsverfassungsgesetz. Seit 1951 arbeitete er in dem nach Errichtung der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung zu bildenden Vorstand mit. Mitglied in dem gesetzlich vorgeschriebenen Bewilligungsausschuß zur Finanzierung eines Sofortprogramms zur Arbeitsbeschaffung. Seit Juni 1952 Mitglied des Verwaltungsrates des Unterstützungsfonds des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Arbeitsüberlastungen Müllés führten dazu, daß der geschäftsführende Hauptvorstand zum 3. Mai 1951 den Komplex Mitbestimmungsrecht im öffentlichen Dienst und das Betriebsrätewesen aus Müllés Sekretariat herauslöste und einem besonderen Sachbearbeiter zu übertrug. Die zunehmende Verrechtlichung der Arbeitsbeziehungen, die weit über das hinausging, was gewerkschaftliche Rechtsvertreter in der Weimarer Republik zu bewältigen hatten, veranlaßte die Spitze der ÖTV dazu, den großen Aufgabenkomplex Arbeitsrecht 1952 einem eigenen Arbeitsrechtler zu übertragen. Der 1. Gewerkschaftstag der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr vom 18. bis 22. Februar 1952 in Hamburg wählte Fritz Müllé gegen eine Stimme als Hauptkassierer in den Vorstand; er löste damit Max Neumann ab, der die gewerkschaftseigene Vermögensverwaltung übernahm. Für Müllé stand als Kassierer vor allem die Finanzierung des zwingend notwendigen Ausbaus und der Modernisierung der Organisation im Vordergrund. Müllé verzichtete zunächst darauf, auf Beitragserhöhungen zu insistieren, sondern suchte durch Einkassierung eines satzungsgemäßen Beitrages, die notwendigen Mittel dafür aufzubringen. Bessere Informationen aller Funktionäre und Mitglieder und ein Ausbau des örtlichen Revisionswesen führten zu dem gewünschten Erfolg. Auf dem 2. Gewerkschaftstag vom 3. bis 7. Mai 1955 war Müllé besonders stolz darauf, die finanziellen Reserven von 10,60 DM pro Mitglied auf 21,70 DM pro Mitglied angehoben zu haben. Seit dem 15. Dezember 1953 Mitglied des Aufsichtsrates der gemeinwirtschaftlichen "Bank für Arbeiter und Wirtschaft AG" in Stuttgart, die auf Grund alliierter Vorbehalte nicht mit anderen Gewerkschaftsbanken fusionieren konnte; gab 1957 das Aufsichtsratsmandat an Oskar George ab. Seit dem 13. Dezember 1955 einer von 10 Gesellschaftern der wiedererstandenen "Verlagsanstalt Courier GmbH"; im gleichen Jahr Ernennung zum Gesellschafter der "Erholungsheim GmbH der Gewerkschaft ÖTV". Seit dem 20. Juli 1955 neuer Verwaltungsratsvorsitzender der "Gewerkschaftlichen Unterstützungseinrichtung für Verkehrsberufe" (GUV); seit dem 6. März 1963 Vorsitzender des neugebildeten Verwaltungsausschusses. Wiederwahl zum Hauptkassierer und Vorstandsmitglied auf dem 2. Gewerkschaftstag 1955 in Frankfurt am Main, dem 3. Gewerkschaftstag 1958 in München, dem 4. Gewerkschaftstag 1961 in Berlin und dem 5. Gewerkschaftstag 1964 in Dortmund. Müllé verbuchte - wie die "alte Riege" der Vorstandsmitglieder der "ersten Stunde" insgesamt - seit dem 3. Gewerkschaftstag vom 1. bis 6. Juni 1958 einen deutlich ansteigenden Anteil von Enthaltungen und Gegenstimmen bei seiner Wahl (1964: 72 Enthaltungen, 64 Nein-Stimmen bei 508 abgegebenen Stimmen). Seit 1955 war Müllé neben der Hauptkasse für das Unterstützungswesen, für die Revisionen, das Inventar der Gewerkschaft, die Verwaltung des Kraftfahrzeugparkes und die "Gewerkschaftliche Unterstützungseinrichtung für Verkehrsberufe" (GUV) zuständig. In den späten fünfziger Jahren gehörte er zu den Mahnern in der Organisation, die vor einem weiteren Ausbau des Unterstützungswesens warnten, um nicht den Kampfcharakter der Gewerkschaft zu verwässern. Gleichzeitig kritisierte er auf dem 4. ordentlichen Gewerkschaftstag vom 25. Juni bis 1. Juli 1961 in Berlin die ungenügende Bildung finanzieller Reserven. Aus Sorge um künftige Mitglieder, die sich von zu hohen Beiträgen abgeschreckt sahen, aus Sorge um die Durchsetzung satzungsgemäßer Beiträge in höheren Einkommensbereichen, aber auch aus Sorge um die niedrigen Beiträge konkurrierender Splittergruppen sah sich der Berliner Gewerkschaftstag gezwungen, eine völlige Umstrukturierung der Beitragsregelung herbeizuführen. Als Hauptkassierer Mitglied der Kommission, die bis zum Frühjahr 1962 ein umfangreiches Reformwerk auszuarbeiten hatte, das Beitragsrückgänge ausschließen und gleichzeitig die Werbekraft erhöhen sollte. Annahme des schwierigen Reformwerkes nach langen Diskussionen in den Bezirken auf der Beiratstagung am 12. Dezember 1962. (Inkraftreten der Beitragsregelung am 1. April 1963). Die Beitrags- und Unterstützungsdiskussion - Reflex auf strukturelle Veränderungen der Gesellschaft und der Gewerkschaft selbst - wurde ausgelöst durch eine wenig befriedigende Mitgliederentwicklung und drohende Einnahmeverluste. Die ÖTV stand vor der Schwierigkeit, einen finanziellen Rahmenplan zu erstellen, das Unterstützungswesen neu ordnen zu müssen, sowie eine Neuverteilung der Beitragsanteile der Kreisverwaltungen zu prüfen. Am 19. November 1962 vom geschäftsführenden Hauptvorstand der ÖTV in den Ausschuß für Finanzen und Verwaltung beim DGB-Bundesvorstand delegiert. Seit September 1964 Mitglied der "Kommission für Finanz- und Vermögensfragen der ÖTV", die einen finanzwirtschaftlichen Rahmenplan ausarbeiten sollte. Am 16. September 1964 Wahl Müllés zum Vorsitzenden der Kommission für die Neuordnung des Unterstützungswesens. Die neuerarbeiteten Pläne fanden indes nicht die Zustimmung des Hauptvorstandes. Wahl einer Sonderkommission am 24. September 1965 unter der Leitung Gerhard Schmidts, der Müllé als einfaches Mitglied angehörte. Annahme der Vorschläge der Sonderkommission durch den Beirat im Dezember 1966. Müllé gehörte zu den Hauptvorstandsmitgliedern, die im Rahmen der "Ostkontakte" als erste Gewerkschafter Beziehungen zu osteuropäischen Gewerkschaften aufnahm. Mitglied der Delegation, die vom 16. bis 18. September 1966 Gespräche mit CSSR-Gewerkschaftern führte. Nach längerer Krankheit gab Müllé am 3. April 1967 die Leitung der Hauptkasse ab, trat auch von der Kommissionsarbeit weitgehend zurück. Als amtsältestes geschäftsführendes Hauptvorstandsmitglied wurde der scheidende Kassierer auf dem 6. Gewerkschaftstag vom 30. Juni bis 6. Juli 1968 angemessen verabschiedet. Er starb am 14. Mai 1989 in Stuttgart. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998 |