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TEILDOKUMENT:
Kraus, Ingeborg (geb. Tönnesen, verheiratete Laubach) (1912 - 2009) Geboren am 8. Dezember 1912 in Hamburg als Tochter eines dänischen kaufmännischen Angestellten, protestantisch, später Dissidentin, verheiratet. Ingeborg Tönnesen besuchte in Hamburg die Volksschule; ein Besuch des Lyzeums mußte nach anderthalb Jahren wegen ökonomischer Schwierigkeiten der Eltern abgebrochen werden. Im Elternhaus herrschte ein "klassischer" sozialdemokratisch-gewerkschaftlicher Geist. Erlernte nach der Volksschule den Beruf einer Schneiderin in einer kleinen Hamburger Schneiderei. Im April 1928 Eintritt in den "Deutschen Bekleidungsarbeiter-Verband". Besuchte Weiterbildungskurse ihrer Gewerkschaft und die Hamburger Volkshochschule, nahm ferner an Erste-Hilfe-Kursen des "Arbeitersamariterbundes" teil. Hatte in der Gewerkschaft die Funktion einer Jugendleiterin inne. Legte im April 1930 die Gesellenprüfung ab; bewarb sich als Schwesternschülerin im Krankenhaus Barmbeck und wurde im Oktober 1930 eingestellt. Übertritt zum "Gesamtverband der Arbeitnehmer der öffentlichen Betriebe und des Personen- und Warenverkehrs". Sie hielt allerdings noch engen Kontakt zu ihrer alten gewerkschaftlichen Jugendgruppe. Im gleichen Jahr Eintritt in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Während des Faschismus Mitglied des Widerstandskreises um den Jugendsekretär des Bekleidungsarbeiter-Verbandes Bruno Verdick. Nach dessen Verhaftung ebenfalls in Schutzhaft genommen und in Fuhlsbüttel inhaftiert. Sie saß vom 16. Juni bis 28. November 1936 wegen Vorbereitung zum Hochverrat in Haft, ohne daß es zur Anklage kam. Von 1937 bis zum Kriegsausbruch als private Krankenpflegerin tätig. Nach Kriegsausbruch von der Gesundheitsbehörde wieder "angefordert", arbeitete Ingeborg Tönnesen an ihrer alten Arbeitsstätte. 1945 verheiratet; 1946 geschieden. Agierte in der Gewerkschaft weiterhin unter ihrem Mädchennamen Tönnesen. Trat am 1. Juli 1945 in Hamburg dem "Gesamtverband der Verkehrs- und Gemeindearbeiter" bei. Meldete sich freiwillig zum Krankendienst im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen. Ingeborg Tönnesen nahm im Juli 1945 an der ersten Zusammenkunft ehemaliger Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Reichssektion Gesundheitswesen teil, um innerhalb des wiedererstandenen Gesamtverbandes die Abteilung Gesundheitswesen für Hamburg neu zu beleben. Um das Eigenleben der Schwesternschaft sicherzustellen, trafen sich Vertrauensschwestern aus allen Hamburger Krankenanstalten am 6. Dezember 1945 zur Gründung einer eigenen Fachabteilung unter dem Namen "Bund freier Schwestern". Wahl Ingeborg Tönnesens als Vorsitzende des fünfköpfigen Leitungsgremium. Kehrte Ende 1945 als Krankenschwester ins Krankenhaus Barmbeck zurück. Am 15. Oktober 1946 als Leiterin der "Freien Schwesternschaft" vom Gesamtverband hauptamtlich angestellt. Die in Deutschland einzigartige Organisation zählte Anfang 1947 in Hamburg ca. 1.700 Mitglieder. 85 Prozent der in Hamburg angestellten Schwestern waren im Bund organisiert. Die Anerkennung als gleichberechtigte Spitzenorganisation neben den Schwesternschaften der Mutterhäuser und des Agnes-Koll-Verbandes erhielt der "Bund freier Schwestern" im März 1947. Am 11. Mai 1947 tagte in Hamburg die 1. Zonenkonferenz der Fachabteilung Gesundheitswesen. Wahl Ingeborg Tönnesens in den zonalen Fachabteilungsvorstand. Im Oktober 1947 konnten die Hamburger freien Schwestern Verhandlungen mit der Hamburger Gesundheitsbehörde über neue Ausbildungsbestimmungen für den Schwesternnachwuchs mit einem positiven Ergebnis abschließen; einen Monat später gelang es, die Berufslaufbahn der medizinisch-technischen Assistentinnen für die Schwestern als wichtige Aufstiegsmöglichkeit zu reservieren. 1946 und 1947 dehnte sich die Schwesternorganisation auf andere Länder aus, wobei die Hamburger Leiterin mit zahlreichen Referaten Hilfestellung leistete. Rückgrat der "Freien Schwestern" in Hamburg bildeten die regelmäßig stattfindenden Vertrauensschwesternsitzungen unter Ingeborg Tönnesens Leitung. Delegierte auf dem "Vereinigungsverbandstag der Gewerkschaften Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr der britischen Zone" vom 9. bis 12. September 1947 in Krefeld. Unternahm im gleichen Jahr eine längere Reise mit Vertreterinnen caritativer Hilfsorganisationen, um die Not ostdeutscher Flüchtlinge in dänischen Flüchtlingslagern zu mildern. Auf der Zonenkonferenz der Beschäftigten der britischen Zone im Gesundheitswesen am 11. und 12. März 1948 zur Zonenvorsitzenden des "Bundes freier Schwestern" gewählt. Wegen Arbeitsüberlastung gab sie das Amt der Hamburger Bezirksleiterin zum 1. Juli 1948 ab. Auf der Beiratssitzung am 18. November 1948 als kommende Leiterin des Frauendezernats vorgeschlagen und auch bestätigt. Als Gast auf dem "Vereinigungsverbandstag der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, Transport und Verkehr" in Stuttgart vom 28. bis 30. Januar 1949 anwesend. Organisierte auf einer Vorbesprechung eine Zusammenkunft der delegierten Frauen. ("Wir können den Männern den Vorwurf machen, daß wir Frauen der Trizone nicht auch die Gelegenheit hatten, uns vor dem Verbandstag zusammenzusetzen, um uns kennenzulernen. Wir Frauen müssen wissen, daß es um große Dinge geht. Wir werden sie gemeinsam schaffen.") Wahl in den Hauptvorstand der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr als hauptamtliche Betreuerin des Frauensekretariats, für das im geschäftsführenden Hauptvorstand der 1. Vorsitzende Adolph Kummernuss verantwortlich zeichnete. Nahm Ende März 1949 ihre Tätigkeit beim Verbandsvorstand in Stuttgart auf. Im Mai 1949 genehmigte der geschäftsführende Hauptvorstand die unter Federführung Ingeborg Tönnesens vorgeschlagenen Richtlinien zur Frauenarbeit der ÖTV, die bis weit in die sechziger Jahre hinein galten. Bis Oktober 1949 hielt sie in 57 Städten Konferenzen und Frauenversammlungen ab, wobei der Schwerpunkt der Arbeit in den Bezirken Nordrhein-Westfalen I und II sowie in Hamburg lag. Teilnehmerin an der 1. Verbandsfrauenkonferenz am 28. Oktober 1949 auf Schloß Hohenheim in Stuttgart, wo sie eine erste Bilanz der gewerkschaftlichen Frauenarbeit zog. Ingeborg Tönnesen setzte zunächst auf eine völlige Gleichberechtigung der Geschlechter, Privilegien auf Grund der Geschlechter lehnte sie ab. Gesonderte Frauenorganisationen hätten nur solange eine Existenzberechtigung, bis jedwede Ungleichheit in der Gewerkschaft verschwunden sei. In Frauenversammlungen kämpfte sie gegen den "Hausfrauentag" an, stattdessen forderte sie völlige Gleichberechtigung bei Lohn- und Gehaltsfragen. Im Februar 1950 auf der 1.Tagung des Hauptfrauenausschusses der ÖTV in den geschäftsführenden Vorstand gewählt. Ihr besonderes Interesse galt weiterhin der Arbeit unter den Krankenschwestern und - als besonderes "Sorgenkind" der Organisation - den Straßenbahnschaffnerinnen, gegen deren Herausdrängen aus dem Arbeitsverhältnis ("Doppelverdienertum") sie erfolgreich prozessierte. [1950] in den neu aufgebauten Bundesfrauenausschuß des DGB als Vertreterin der Gewerkschaft ÖTV entsandt. Bis 1965 Teilnehmerin an allen Bundesfrauenkonferenzen des DGB. Suchte die DGB-Frauenkonferenzen als Bühne für ihre Forderungen nach Verbesserungen der Lage der Frauen im Gesundheitswesen zu nutzen. Machte hierbei der ersten Bundesministerin Elisabeth Schwarzhaupt auf der 4. Bundesfrauenkonferenz in Nürnberg vom 26. bis 28. April 1962 ein weitgehendes Bündnisangebot zur Durchsetzung gemeinsamer Ziele. Wiederwahl in den geschäftsführenden Vorstand des Frauenausschusses und als Frauensekretärin auf der 2. Verbandsfrauenkonferenz am 16. und 17. Februar 1952 im Vorfeld des Gewerkschaftstages der ÖTV. Auf dem 1. Gewerkschaftstag der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr vom 18. bis 22. Februar 1952 in Hamburg konnte Ingeborg Tönnesen eine Erhöhung des Frauenanteils von 10,5 auf 20,2 Prozent konstatieren. Nahm für den vom Frauenausschuß eingebrachten Satzungsentwurf das Wort, der für alle Gremien einen Frauensitz reklamierte. (Annahme des Antrages in "verwässerter" Form.) Auf der Hamburger Tagung mit überwältigender Mehrheit in den geschäftsführenden Hauptvorstand gewählt. Als Vorstandssekretärin verantwortlich für das Frauensekretariat und den Einkauf. Besonderen Wert legte sie nach der organisatorischen Aufbauphase auf die Bildungsarbeit für Frauen. Leitete selbst mehrere Frauenlehrgänge im "Bunten Haus" in Bielefeld. Einstimmige Wiederwahl als Frauensekretärin auf der 3. ordentlichen Hauptfrauenkonferenz vom 24. bis 25. März 1955 in Düsseldorf, auf der sie nachdrücklich forderte, die verkürzte Arbeitszeit im öffentlichen Dienst von 43 Stunden auf die Samstage anzurechnen. Fehlte krankheitsbedingt auf dem 2. Gewerkschaftstag vom 3. bis 7. Mai 1955 in Frankfurt am Main. Wiederwahl in den geschäftsführenden Hauptvorstand gegen 7 Stimmen. Künftig im Vorstand auch für die Hauptfachabteilung IV (Gesundheitswesen) zuständig. Seit dem 13. Dezember 1955 eine der Gesellschafterinnen der neuen "Verlagsanstalt Courier GmbH". 1958, nach den ersten Urwahlen zu den Selbstverwaltungsorganen der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte als eine von drei ÖTV-Repräsentanten in die Vertreterversammlung der BfA gewählt, Wiederwahl für die II. Amtsperiode (1958-1962) und die III. Amtsperiode (1963-1968); ferner Mitglied des Bundesgesundheitsrates. Seit Frühjahr 1959 Mitglied des Kuratoriums der Schwesternschule an der Universität Heidelberg. Bis 1964 Wiederwahl auf allen Bundesfrauenkonferenzen zur Frauensekretärin der Organisation. Wiederwahl auf den Gewerkschaftstagen 1958 in München, 1961 in Berlin und 1964 in Dortmund in den geschäftsführenden Hauptvorstand der Gewerkschaft ÖTV, wobei sich 1958 und 1961 die Zahl der Gegenstimmen bei den Vorstandswahlen deutlich erhöhten. Eine Entwicklung, die sie als frauenfeindliche Rückwärtsbewegung interpretierte. Konnte auf dem 4. ordentlichen vom 24. bis 1. Juli 1964 mit 244 von 486 der abgegebenen Stimmen nur knapp die satzungsmäßig vorgeschriebenen Mehrheit erhalten. Auf jeder der Bundesfrauenausschußsitzung erstattete eine Kollege des Tarifsekretariats beim Hauptvorstand Bericht. Nahm seit 1950 auf allen Kongressen ihres internationalen Berufssekretariats teil. Auf dem 16. Kongreß der Internationale der öffentlichen Dienste (IÖD) vom 18. bis 22. September 1961 in Stuttgart in den Generalrat des internationalen Berufssekretariats gewählt. Behielt das Amt im Generalrat, der in der Zeit zwischen den Kongressen die Politik der IÖD bestimmte, bis zu Abschaffung des Generalrates auf dem 18. Kongreß der IÖD im Oktober 1967 in Paris. Gastgeberin auf der IÖD-Konferenz der Arbeitnehmer im Krankenhaus- und Gesundheitsbereich vom 19. bis 21. Juli 1967 in Stuttgart. Nahm vom 16. bis 18. September 1966 in Prag als Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstandes an einem der ersten Besuche in einem Ostblockland teil. Seit 1964 ging der Anteil der Frauen in der ÖTV zurück (1964: 175.243 Frauen; 1967: 167.356 Frauen). Der Verlust ganzer Berufsgruppen (Straßenbahnschaffnerinnen), das Ausscheiden älterer "gewerkschaftstreuer" Mitglieder, Privatisierung der Reinigungsdienste, hohe Fluktuation im Gesundheitsbereich etc. führten nicht nur im Frauensekretariat zu Diskussionen über Sinn und Funktion der herkömmlichen Organisationsstruktur, wobei Ingeborg Tönnesen bereit war, auf eine eigenständige Frauenrepräsentanz ganz zu verzichten. In den neu eingesetzten Kommissionen, die auf Beschluß des Hauptvorstandes im Frühherbst 1964 gebildet wurden, arbeitete Ingeborg Tönnesen in der Kommission für Sozialpolitik mit. Auf dem 6. ordentlichen Gewerkschaftstag vom 30. Juni 1968 bis 6. Juli 1968 in München schied Ingeborg Tönnesen als hauptamtliche Funktionärin aus dem Dienst der Organisation aus. Angebote, die Abteilung Gesundheitswesen weiterzuleiten, lehnte sie ab. Seit 1968 verheiratet (Ingeborg Kraus). Lebte seit 1962 in Fellbach bei Stuttgart.
Fußnote:
© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998 / Ergänzung: 21.4.2009 |