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Jacobi, Heinrich (1913 - 2002)

Geboren am 4. März 1913 in Frankfurt am Main als Sohn eines Müllers, verheiratet, protestantisch, später Dissident. Von 1919 bis 1928 Schulbesuch in seiner Heimatstadt. Beendete die Realschule mit dem Abschlußzeugnis der mittleren Reife. Absolvierte vom 1. April 1928 bis zum 31. März 1930 eine Banklehre im Frankfurter Bankhaus Bass & Herz. Seit dem 1. April 1928 Mitglied im 1894 gegründeten "Deutschen Bankbeamten-Verein", der sich 1925 der liberalen Dachgewerkschaft "Gewerkschaftsring deutscher Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenverbände" angeschlossen hatte. Jacobi selbst hatte in der liberalen Gewerkschaft keine besonderen Funktionen inne. Als Jugendlicher Mitarbeit im evangelischen "Bund deutscher Jugend", deren Führer zum protestantisch-sozialreformerischen "Christlich-Sozialen Volksdienst" neigten. Seit 1930 Bankangestellter bei der Deutschen Bank und der Diskontogesellschaft Frankfurt am Main, wegen der schweren ökonomischen Krise entlassen. 1931 Eintritt in die Kommunistische Partei Deutschlands. Mitglied der "Roten Hilfe". Besuchte in Frankfurt am Main die KPD-nahe Marxistische Arbeiterschule. Von 1931 bis 1936 verdiente sich Heinrich Jacobi seinen Lebensunterhalt als selbständiger Handelsvertreter, vertrieb Waschmittel, Toilettenartikel und Zigaretten. Im November 1933 als ehemaliger Kommunist kurze Zeit verhaftet; ein Verfahren wurde jedoch nicht eingeleitet. Im Januar 1934 wieder entlassen. Als Handelsvertreter hielt Jacobi Kontakt zu ehemaligen KPD- und SPD-Mitgliedern, die zu senen Kunden zählten. Von Mai bis November 1936 Landhelfer in Ostpreußen, Pläne, eine langfristige Anstellung in der Landwirtschaft zu finden, zerschlugen sich. Rückkehr nach Frankfurt am Main. Als selbständiger Vertreter für Anzugstoffe und Waschmaschinen kam er mit der Mühlenbau und Industrie-Aktiengesellschaft (MIAG) in Kontakt. Im Juli 1937 Eintritt als Volontär in die MIAG im Werk Frankfurt am Main. Jacobi qualifizierte sich 1937/38 in verschiedenen Lehrgängen zum technischen Kaufmann. Arbeitete nacheinander als Angestellter in der Abteilung Arbeitsvorbereitung, als Leiter der Materialbuchhaltung, als Gruppenleiter der Arbeitsvorbereitung und als Leiter der Rechnungs- und Vertriebsabteilung (einschließlich des gesamten Ersatzteilwesens). Im Juni 1940 zum Militär eingezogen. Diente zunächst in Frankreich, später nach Ostpreußen verlegt. Als Funker machte Jacobi den Rußlandfeldzug seit dem 22. Juni 1941 mit. Im Juni 1942 an einer Nierenentzündung schwer erkrankt, Rückkehr nach Frankfurt am Main. Seit Herbst 1942 bei verschiedenen Truppenteilen in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg als "Personalsachbearbeiter" eingesetzt. Als Angehöriger einer Artillerielehrbrigade nach Italien verlegt. 1944 in Italien zum Unteroffizier befördert. Im September 1945 aus der amerikanischer Kriegsgefangenschaft entlassen. Ab 1. November 1945 bis zum 15. Januar 1946 Angestellter bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse in Frankfurt am Main. Seit dem 1. November 1945 Mitglied der KPD (Austritt am 31. März 1951). Der Frankfurter trat am 14. Januar 1946 als Verwaltungsangestellter in den Dienst des Hessischen Ministeriums für Arbeit, Landwirtschaft und Wirtschaft, war dort dem Ministerialdirektor Ludwig Keil (KPD) zugeordnet. Im Ministerium (später: Ministerium für Arbeit, Landwirtschaft und Wirtschaft) in der Abteilung "Organisation der gewerblichen Wirtschaft" tätig. Wahl in den Betriebsrat; seit dem 22. Dezember 1946 Vorsitzender des Betriebsrates des Ministeriums (600 Beschäftigte). Mit der Wahl zum Betriebsratsvorsitzenden Eintritt in die "Landesgewerkschaft Öffentliche Verwaltungen und Betriebe". Im hessischen Gewerkschaftsorgan "Stimme der Arbeit" stritt er für ein besseres personelles Mitbestimmungsrecht bei den Behörden und unterstützte die Klage seiner Gewerkschaft vor dem hessischen Staatsgerichtshof gegen das unzulängliche Betriebsrätegesetz. Seit 1950 Mitglied im Betriebsausschuß der nachgeordneten Behörden und Betriebe des Ministeriums (über 2.000 Beschäftigte). Kümmerte sich in dieser Eigenschaft besonders um den Aufbau von gewerkschaftlichen Betriebsgruppen. Im Januar 1950 vom geschäftsführenden Hauptvorstand als stellvertretendes Vorstandsmitglied in die Zusatzversorgungsanstalt Amberg delegiert. 1951 stellvertretender Vorsitzender des Betriebsausschusses. [1947] Wahl in den Kreisvorstand der "Landesgewerkschaft". Seit [1950] stellvertretender Vorsitzender der ÖTV-Kreisverwaltung Wiesbaden; seit Bestehen Mitglied des hessischen Angestelltenausschusses der ÖTV, bzw. der Angestelltentarifkommission. Vorsitzender der hessischen Bezirksfachgruppe Bundes- und Länderverwaltungen; in dieser Eigenschaft Mitglied im Bezirksvorstand der Fachabteilung I. Delegierter auf dem 1. Bundesangestellten-Tag des DGB vom 25. bis 27. April 1952 in Stuttgart und den folgenden Angestelltentagen. Ehrenamtlich fungierte Jacobi in den frühen fünfziger Jahren als Landesarbeitsrichter und als Beisitzer bei der Spruch- und Beschlußkammer des Oberversicherungsamtes. Als ehrenamtlicher Gewerkschaftsfunktionär besuchte er mehrere DGB-Lehrgänge und Kurse auf Verwaltungsschulen und der Volkshochschule Wiesbaden. Seit dem 1. März 1952 Mitglied der SPD. Am 1. April 1952 von der ÖTV-Bezirksverwaltung hauptamtlich angestellt. Als Angestelltensekretär war er in seinem "ureigensten" Metier tätig. Im hessischen Bezirk für die Abteilungen Sozialpolitik, Techniker und Meister zuständig. Hessischer Delegierter auf dem 1. Gewerkschaftstag der Gewerkschaft ÖTV in Hamburg vom 18. bis 22. Februar 1952. In Hamburg warnte er dringend davor, "daß wir als Angestellte in das Schlepptau der Beamtengesetzgebung kommen". Diese programmatische Position sollte seine Arbeit in den kommenden Jahren bestimmen. Als Angestelltenexperte begleitete er seit 1952 auf Bundesebene die Verhandlungen zum Abschluß eines Manteltarifvertrages für Angestellte, die sich mehr als 10 Jahre quälend hinzogen. Gab in Hessen einen eigenen Nachrichtendienst für Angestellte heraus. Die von Jacobi erarbeitete Musterdienstordnung für Angestellte der Allgemeinen Ortskrankenkasse hatte programmatischen Charakter. Nach dem frühen Tode Walter Mäckles berief der Beirat der Gewerkschaft ÖTV Heinrich Jacobi einstimmig am 4. April 1957 als neuen Sekretär in den geschäftsführenden Hauptvorstand. Nach seinem Eintritt in den Hauptvorstand kam es in der Exekutive der ÖTV zu einem internen Revirement. Jacobi übernahm die Funktionen von Alexander Langhans: Angestelltensekretariat, die Abteilung Techniker und Werkmeister, die Abteilung Sozialpolitik, die Abteilung Sozialversicherung und die Leitung der Hauptfachabteilung I. Erste Akzente setzte Jacobi bei der Verbesserung der Altersversorgung der Arbeiter und Angestellten, die er in den kommenden Jahren zu "seinem" Thema machte. Auf dem 3. Gewerkschaftstag vom 1. bis 6. Juni 1958 in München gegen 3 Stimmen als geschäftsführendes Hauptvorstandsmitglied bestätigt. Mit Eintritt in den Hauptvorstand nahm Jacobi auch das Mandat der ÖTV im Bundesangestelltenausschuß des DGB wahr. Repräsentant der ÖTV auf verschiedenen bedeutsamen internationalen Angestelltenkonferenzen. Delegierter auf dem 12. ordentlichen Kongreß des Internationalen "Bundes der Privatangestellten" vom 28. bis 31. Juli 1958 in London und der Internationalen Angestellten des Internationalen Bundes der Freien Gewerkschaften vom 3. bis 4. November 1961. Auf dem 16. Kongreß der Internationale der öffentlichen Dienste (IÖD) vom 18. bis 22. September 1961 in Stuttgart in den Generalrat der IÖD gewählt. Einer der angesehensten Gewerkschaftsvertreter in den Selbstverwaltungsorganen der Angestellten. 1958 in die Vertreterversammlung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) gewählt. In der II. Amtsperiode (1958 bis 1962) war Jacobi stellvertretendes Vorstandsmitglied. Er war im Personalausschuß, sowie im Haushalts- und Finanzausschuß des Vorstandes tätig. In der III. Amtsperiode (1963 bis 1968) erfolgte seine Wahl zum ordentlichen Mitglied der Vertreterversammlung. Für die IV. Wahlperiode (1969 bis 1974) wurde er zum ordentlichen Mitglied des Vorstandes berufen. Seit Amtsantritt in Stuttgart Gesellschafter der "Erholungsheim GmbH" der Gewerkschaft ÖTV sowie der Verlagsanstalt Courier GmbH. Vertrat die Gewerkschaft ÖTV seit August 1961 im Arbeitsausschuß der Hans-Böckler-Gesellschaft. Im März 1960 delegierte der geschäftsführende Hauptvorstand der ÖTV Jacobi in den Unterausschuß für sozialpolitische Fragen, der das neue DGB-Grundsatzprogramm ausgestalten sollte. Am 6. März 1962 in den Verwaltungsausschuß der Gewerkschaftlichen Unterstützungsvereinigung (GUV) gewählt. Als ausgewiesener Experte am 19. November 1962 von der ÖTV-Exekutive in den Bundes-gruppenausschuß für kaufmännische und Verwaltungsangestellte beim DGB-Bundesvorstand geschickt. Zwei Wochen später in die Fachkommission Sozialpolitik entsandt. Seit Bestehen des Auto Club Europa (ACE) Vorsitzender des ACE-Beirates, dessen 1. ordentliche Hauptversammlung am 21. Oktober 1966 er in Stuttgart eröffnete. Von 1969 bis 1976 Mitglied des Aufsichtsrates der Gemeinnützigen Aktiengesellschaft für Angestellten-Heimstätten (GAGFAH) in Essen. Seit Gründung der Volksfürsorge Rechtsschutz-Versicherungs AG in Hamburg Mitglied es Aufsichtsrates, stellvertretendes Mitglied im Vorstand des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger. Auf dem 4. Gewerkschaftstag der Gewerkschaft ÖTV vom 25. Juni bis zum 1. Juli 1961 in Berlin mit dem zweitbesten Stimmenergebnis bei den Beisitzerwahlen in den geschäftsführenden Hauptvorstand wiedergewählt (316 von 482 abgegebenen Stimmen). Nach langen Vorbereitungsarbeiten begannen am 23. Februar 1962 im Hessischen Finanzministerium die Tarifverhandlungen über die Neuregelung der Altersversorgung der Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst, die Jacobis Arbeit als führender deutscher Gewerkschaftssozialpolitiker krönen sollten. Nach dreijährigen Verhandlungen mit dem Bund, der Tarifgemeinschaft deutscher Länder und der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände schloß unter Jacobis Verhandlungsleitung die Gewerkschaft ÖTV einen bahnbrechenden Tarifvertrag ab, der Arbeiter und Angestellte bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) in Karlsruhe pflichtversicherte und den Hinterbliebenen bei Eintritt des Versicherungsfalles eine dynamische Gesamtversorgung garantierte. Auf dem 5. Gewerkschaftstag vom 28. Juni bis 4. Juli 1964 in Dortmund mit 413 (von 510 abgegebenen Stimmen) zu einem der beiden Stellvertreter der Gewerkschaft ÖTV gewählt. Nach dem Gewerkschaftstag wurde Jacobis Verantwortungsbereich neu gegliedert. Das Sekretariat 2 umfaßte künftig das Tarifsekretariat, das Bundesarbeitersekretariat, die Abteilung Rechtsschutz und die Abteilung Technik. Vor allem das Zusammenführen der Bundessekretariate der Arbeiter und Angestellten erwies sich als besonders glücklich, garantierte es doch bei kommenden Tarifauseinandersetzungen ein hohes Maß an Homogenität. Im neuen strukturellen Vorstandsgefüge übernahm Jacobi die Leitung der Kommission für tarifpolitische Grundsatzfragen. Als stellvertretender ÖTV-Vorsitzender vertrat Jacobi seine Organisation im DGB-Bundesausschuß. Tarifpolitisch hatte Jacobi in der ersten bedeutenden Nachkriegsrezession einen schweren Stand. Der Abschluß von Zuwendungstarifverträgen (als Einstieg zum 13. Monatseinkommen), die Einführungs des Bewährungsaufstiegs für Angestellte beim Bund und den Ländern und graduelle Verbesserung der Arbeitszeitregelungen (vorgesehen für 1969 und 1971) waren tarifpolitisch das Optimum, was "herauszuholen" war. Die Einführung des Monatslohns für Arbeiter und die verbindliche Einigung auf Lohngruppenverzeichnisse waren ihm besonders wichtig. Der Münchner Gewerkschaftstag von 1968, der eine große Organisationsreform abschloß, veränderte auch Jacobis Position im organisatorischen Gefüge der ÖTV: Künftig war er als einer der beiden stellvertretenden Vorsitzenden zusätzlich für die Abteilung Wirtschafts- und Finanzstatistik, Verkehrspolitik, die Hauptabteilungen Nahverkehr, Transport und Verkehr und die ÖTV-Schiffahrtsschule GmbH verantwortlich. Er fungierte als Vorsitzender der Kommission für tarifpolitische Grundsatzfragen, der Kommission für Verkehrspolitik und der Kommission Einheitliches Dienstrecht. Mit drei Arbeitskämpfen (Deutsche Lufthansa, BEA und der deutschen Seeschiffahrt) setzte Jacobi 1971 als verantwortliches Vorstandsmitglied neue Akzente. Tarifpolitisch waren es die "alten Fragen", die Jacobi beschäftigten (Rationalisierung, Verbesserung des Monatslohns, Verkürzung der Arbeitszeit, Verlängerung des Erholungsurlaubs und Fragen der Arbeitnehmerbeiträge zur Altersversorgung). Wiederwahl als stellvertretender Vorsitzender auf dem 7. ordentlichen Gewerkschaftskongreß der Gewerkschaft ÖTV vom 28. Mai bis zum 3. Juni 1972 in Berlin mit 483 Ja-Stimmen bei 568 abgegebenen Stimmen. Vertrat künftig den Vorsitzenden Heinz Kluncker im DGB-Bundesvorstand. Mit dem in der Tarifbewegung 1972 erzielten Einvernehmen über die Einführung der 40-Stunden-Woche im öffentlichen Dienst (ab 1. Oktober 1974) kam die jahrzehntelange Auseinandersetzung, die unter dem Motto "40 Stunden sind genug" bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 48 Stunden in Behörden und Verwaltungen begonnen wurde, zu einem guten Ende. Der Tarifabschluß bedeutete für Heinrich Jacobi den Höhepunkt einer mehr als zwanzigjährigen hauptamtlichen Gewerkschaftskarriere. Auf dem Hamburger Gewerkschaftstag 1976 hochgeehrt verabschiedet, auf eine erneute Kandidatur hatte er verzichtet. Während des Gewerkschaftstages mit dem Verdienstkreuz Erster Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.
Heinrich Jacobi verbrachte seinen Lebensabend in Göppingen. Er starb am 7. Oktober 2002 im Alter von 89 Jahren.


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