FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




Becker, Otto (1876 - )

Geboren am 22. Dezember 1876 in Rottweil (Württemberg) als zweites von zehn Kindern einer Schneiderfamilie (Name der Familie eigentlich Beker), katholisch, später Dissident, verheiratet. Nach der Volksschule erlernte er das Schlosserhandwerk, ging auf Wanderschaft und arbeitete in Karlsruhe, Genf, Zürich und Berlin. 1900 trat er in die Berliner Städtischen Gaswerke als Revierschlosser ein. Seit dieser Zeit Mitglied im damaligen "Verband der in Gemeinde- und Staatsbetrieben beschäftigten Arbeiter und Unterangestellten".

Später wurde Becker in den kommunalen Gaswerken das Amt eines Ermittlers übertragen. Seit [1905] Vorsitzender der Sektion der Revierinspektoren in der Berliner Filiale, die lange Zeit Sezessionsabsichten vom Gesamtverband gehegt hatte (1910: 809 Mitglieder). Der Mainzer Verbandstag 1906 (neuer Verbandsname: "Verband der Gemeinde- und Staatsarbeiter") beschloß eine Erweiterung des Vorstandes von 7 auf 9 Mitglieder. Auf der außerordentlichen Generalversammlung der Filiale Berlin, die statuarisch die unbesoldeten Vorstandsmitglieder bestimmte, wurde der Schwabe in den Vorstand des "Verbandes der Gemeinde- und Staatsarbeiter" gewählt. Am 16. Juni 1909 von der Berliner Mitgliedschaft erneut in diesem Amt bestätigt (bis 1912). Otto Becker, der von der Berliner Mitgliedschaft wegen seines soliden und integeren Arbeitsstils geachtet wurde, erhielt bei der Wahl am 25. Januar 1912 zum festbesoldeten Funktionär der Berliner Filiale eine eindrucksvolle Mehrheit. Amtsantritt am 1. Februar 1912 mit dem Aufgabenbereich "innere Organisation"; ein Arbeitsfeld, das der gelernte Schlosser zeit seines Gewerkschaftslebens souverän ausfüllen sollte. Nach Änderung der örtlichen Organisationssatzung 1912 Wahl in den Vorstand der Berliner Filialverwaltung. Seit 1909 (Dresden) bis 1928 (Köln) Teilnehmer auf allen Verbandstagen der Gemeinde- und Staatsarbeiter. Die Berliner Mitgliedschaft, die Beckers Arbeit schätzte, favorisierte den Mittdreißiger für "höhere Aufgaben".

Auf dem 6. Verbandstag vom 2. bis 8. Juni 1912 in München unterlag Becker bei der Wahl zum festangestellten Sekretär im Hauptvorstand Richard Maroke mit 38 : 44 Delegiertenstimmen knapp. Auf dem darauffolgenden Verbandstag vom 24. bis 30. Mai 1914 in Hamburg von der "Statutenberatungskommission" des Verbandstages bereits zum stellvertretenden Vorsitzenden vorgeschlagen, wurde Becker schließlich von einer auf dem Verbandstag eingesetzten Kommission unter Leitung von Adolf Cohen (Mitglied der Generalkommission der Gewerkschaften) für ein Vorstandsamt nicht berücksichtigt. Nach der Wahl Richard Heckmanns zum Vorsitzenden auf dem 7. Verbandstag 1914 in München wurde die Stelle des Gauleiters in Mannheim vakant. Der Verbandsvorstand beauftragte Otto Becker mit der Wahrnehmung der Aufgabe im Nordbadischen, einem klassischen Boden der organisierten Gemeindearbeiter. Der Süddeutsche trat die Stelle im Juni 1914 an. Sofort nach Kriegsausbruch im August 1914 einberufen, nahm der eingezogene Gauleiter bis zum Kriegsende an den Kampfhandlungen teil (u.a. in Verdun an der Westfront). Übernahme der alten Gauleiterstelle nach der Novemberrevolution 1918. Becker wurde nach dem 8. Verbandstag im September 1919 nachträglich in den Vorstand als hauptamtlicher Sekretär kooptiert, da der ursprünglich gewählte Münchner Gauleiter Julius Weiß nach einer Bedenkzeit auf sein Amt verzichtet hatte.

Als Vorstandssekretär verantwortlich für die Leitung der Sektion der Staatsarbeiter, die nach Aufhebung des faktischen Koalitionsverbotes nach der Novemberrevolution in die Organisation strömten. Im gleichen Jahr vom Reichskohlerat in den Aufsichtsrat des Gaskohlesyndikats delegiert. Ab 15. November 1920 wurde auf Beschluß des Verbandsvorstandes und des Verbandsausschusses der Verbandsvorsitzende Richard Heckmann für seine Vorstandsarbeit im Gaskohlesyndikat beurlaubt. Der bisherige 2. Vorsitzende Fritz Müntner nahm die Geschäfte des 1. Vorsitzenden wahr, Otto Becker rückte als 2. Vorsitzender nach. Der 9. Verbandstag vom 20. bis 26. August 1922 in Magdeburg sanktionierte die Wahl zum 2. Vorsitzenden. Bestätigung im neuen Amt auf dem 10. Verbandstag 1925 in Frankfurt am Main und dem 11. Verbandstag 1928 in Köln. Delegierter auf dem 7. (1910), 9. (1914) bis 11. (1922) und 13. (1928) bis 14. (1931) Kongreß der Freien Gewerkschaften. Mitglied des Vorläufigen Reichswirtschaftsrates vom 10. Dezember 1923 bis 1933. Delegierter auf der 2. internationalen Konferenz der "Arbeiter öffentlicher Betriebe" vom 4. bis 6. September 1910 in Kopenhagen und dem 6. (1925 in Berlin) und 7. (1929 in Stockholm) Kongreß der "Internationalen Föderation des Personals in öffentlichen Diensten und Betrieben".

Nach der Übernahme des Amtes als 2. Vorsitzender kümmerte sich Becker intensiv um sein eigentliches Metier, die "innere Organisation". Auf den zahlreichen Berufs- und Fachgruppenkonferenzen in der Weimarer Republik nahm er zwar teil, ohne allerdings grelle Akzente nach außen hin zu setzen. Blieb den Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerkarbeitern nahe, deren Interessen er im Rahmen der Gesamtorganisation zur Geltung brachte. Referat auf der 1. Reichskonferenz am 20. bis 22. Januar 1922 der "GEW"-Arbeiter in Kassel zur Organisationsfrage. ("Die Reichskonferenz der Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerkarbeiter Deutschlands ist wohl die wichtigste Konferenz, die unser Verband je einberufen hat".) Auf der 2. Reichskonferenz im Mai 1927 Referat über "Die soziale Gesetzgebung und die Aufgaben der Betriebsräte in den GEW.-Werken". Becker vertrat zeitweise seinen ersten Vorsitzenden im Bundesausschuß des ADGB unterstützte innerhalb dieses Kontrollgremiums im Juli 1925 die organisationspolitischen Reformvorstellungen Robert Dißmanns zur Gründung leistungsstarker Industrieverbände. Die steigenden Mitgliederzahlen des "Verbandes der Gemeinde- und Staatsarbeiter", die härteren Auseinandersetzungen in Tarifkonflikten ließen eine tiefgreifende Umstrukturierung des Verbandes in Wirtschaftsbezirke zwingend notwendig erscheinen. Die Organisationsreform wurde 1928 abgeschlossen. "Architekt der neuen Verbandsstruktur war Otto Becker. Viel hielt sich der Süddeutsche auf die Einrichtung eines Betriebsrätesekretariats und die planmäßig betriebene Schulung und Ausbildung der besoldeten und unbesoldeten Funktionäre zu Gute. Der 11. Verbandstag vom 6. bis 11. August 1928 in Köln zog einen Schlußstrich unter die Reform und vergrößerte gleichzeitig den Aufgabenbereich des 2. Vorsitzenden.

Becker war künftig für die innere Organisation und Verwaltung (Bezirks- und Gaueinteilung, Vorbereitungen zu den Verbandstagen, Fachkonferenzen und Sitzungen), Personalangelegenheiten, Bildungswesen, Lohn- und Streikbewegungen, Statistik, der Expedition der Verbandsblätter und der Vertretung der Organisation im Aufsichtsrat des Gaskohlesyndikats zuständig. Ferner gehörte Becker zu den vier Gesellschaftern der Vermögensverwaltung des "Verbandes der Gemeinde- und Staatsarbeiter", die gebildet wurde, um für den nicht rechtsfähigen Verband eine rechtsfähige Körperschaft zu schaffen. Teilnehmer an den monatelangen Verschmelzungsverhandlungen des Jahres 1929 mit dem "Deutschen Verkehrsbund" und den freigewerkschaftlich organisierten Gärtnern. Beckers Interesse galt der reibungslosen Integration zweier Berufsorganisationen mit der eigenen Betriebsorganisation. In den "Ergebnissen der Zusammenlegungsverhandlungen" zeigte sich deutlich Beckers Handschrift: die Einteilung in Reichsabteilungen und die Gliederung der Reichsabteilungen in Reichsfachgruppen entsprach seiner Vorstellungswelt. Am 9. Oktober 1929 auf der konstituierenden Tagung des "Gesamtverbandes der Arbeitnehmer der öffentlichen Betriebe und des Personen- und Warenverkehrs" zu einem der beiden stellvertretenden Vorsitzenden gewählt, zuständig für die innere Organisation sowie die Personalangelegenheiten der neuen Großorganisation. Ferner stand Becker im Gesamtverband der Statistischen Abteilung vor, die eng mit der Tarifabteilung unter Paul Schulz zusammenarbeitete. (Hauptaufgabengebiet: Statistische Erfassung des organisatorischen Aufbaus, Mitgliederbewegung, Statistik des Tarifwesens.) Tarifpolitisch vertrat er in der Weltwirtschaftskrise drastische Arbeitszeitverkürzungen, um der krisenhaften Zuspitzung entgegenzuwirken. Auf dem 14. Kongreß der Gewerkschaften Deutschlands (4. Bundestag des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes) vom 31. August bis 4. September 1931 in Frankfurt am Main als Beisitzer in den Bundesvorstand gewählt, damit erhielt die zweitgrößte Gewerkschaftsorganisation hinter dem "Deutschen Metallarbeiter-Verband" eine angemessene Vertretung im Dachverband. Als ADGB-Vorstandsmitglied nahm Becker an den Vorstandssitzungen des Allgemeinen Deutschen Beamtenbundes (ADB) teil. Sein Wunsch einer engeren Anbindung der freigewerkschaftlichen Beamtenbewegung an den ADGB, stieß jedoch im ADGB-Vorstand auf Ablehnung.

Angesichts der Massenarbeitslosigkeit in den Kommunen plädierte Becker im ADGB-Vorstand dafür, einen geplanten staatlichen Arbeitsdienst nicht von vornherein abzulehnen; er war gleichermaßen bereit, aus taktischen Gründen Verhandlungen von SPD und KPD zu unterstützen, obgleich er den "Zersplitterungsversuchen dieser 'Auch-Gewerkschafter'" höchst skeptisch gegenüber stand. Delegierter auf dem Kongreß der "Internationalen Transportarbeiter-Föderation" (ITF) vom 22. bis 27. September 1930 in London. Erkrankte zu Beginn des Jahres 1932 schwer, konnte Mitte des Jahres seine Arbeit wieder aufnehmen. Die 5. Tagung des Verbandsbeirates (18. bis 20. November 1932) brachte einschneidende Veränderungen im Vorstand des Gesamtverbandes. Fritz Müntner war nach seinem schweren Herzleiden von seinem Amt als Vorsitzender zurückgetreten, desgleichen der gleichberechtigte Vorsitzende Oswald Schumann. Aus finanziellen Gründen wurde der Verbandsvorstand insgesamt verkleinert. Das höchste Entscheidungsgremium zwischen den Gewerkschaftstagen wählte Otto Becker neben Anton Reißner zu einem der beiden gleichberechtigten Vorsitzenden des Gesamtverbandes. Mitglied einer vierköpfigen Kommission, die das kommende Verbandsprogramm ausformulieren sollte.

Als Vorsitzender des Gesamtverbandes und ADGB-Vorstandsmitglied suchte Becker die Existenzmöglichkeiten von Gewerkschaften in Gesprächen mit den Gewalthabern auszuloten, war sich darüber klar, daß eine illegale Gewerkschaftsarbeit nicht zu organisieren sei. Die nationalsozialistischen Machthaber kerkerten Becker am 2. Mai 1933 im Zusammenhang mit der Aktion gegen die Gewerkschaften für einige Tage in Plötzensee ein. Zusammen mit anderen Vorstandsmitgliedern mußte er sein Domizil in Berlin-Johannistal räumen. Die Siedlungshäuser im Besitz des Gesamtverbandes wurden von der DAF beschlagnahmt. Der Wahlberliner, der sich 1931 bereits einer schweren Operation hatte unterziehen müssen, verdiente sich nach einer Phase der Arbeitslosigkeit seinen Lebensunterhalt als Schlosser im Schauspielhaus der Reichshauptstadt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998

Previous Page TOC Next Page