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Teildokument:
Franz Osterroth / Dieter Schuster
Chronik der deutschen Sozialdemokratie - Band 1

Zeitraum: 1891 - 1899

hier finden Sie Einträge zu folgenden Daten:

1891
1. Jan. 1891
10. Jan. 1891
12. Jan. 1891
20. Jan. 1891
Ende Jan. 1891
4. Febr. 1891
18. März 1891
16. April 1891
27. April/ 5. Mai 1891
8. Mai 1891
15. Mai 1891
1. Juni u. 6. Juli 1891
1./6. Juni 1891
Juli/Okt. 1891
16. bis 22. Aug. 1891
Anfang Okt.1891
14 /20 Okt. 1891
3. Nov. 1891
8. Nov. 1891
8. Nov. 1891 bis 14. Jan. 1892
28. Dez. 1891
Januar 1892
4. Jan. 1892
14./18. März 1892
19. März 1892
7. Juli 1892
14./21. Nov. 1892

9./16. Febr. 1893
18. Febr. 1893
11./18. April 1893
6. Mai 1893
21./22. Mai 1893
15.Juni 1893
5. Juli 1893
6./12. Aug. 1893
Mitte Sept. 1893
Anf. Okt. 1893
22./28. Okt. 1893
20. Nov. 1893
Ende Nov. 1893
1893/1894
25. Jan. 1894
24. März 1894
Mai 1894
1.Juni 1894
24.Juni 1894
29. Sept. 1894
30. Sept. 1894
21./27. Okt. 1894
26. Okt. 1894
1. Nov. 1894
Anf. Dez. 1894
6. Dez. 1894
26. Dez. 1894

1. Jan. 1895
11. Mai 1895
16. Juli 1895
5. Aug. 1895
Mitte Aug. bis Anf. Sept. 1895
6./12. Okt. 1895
13. Okt. 1895
29. Nov. 1895
4. Dez. 1895
20. Dez. 1895
31. Dez. 1895
27. März 1896
7./8. April 1896
4./8. Mai 1896
18. Mai 1896
17. Juni 1896
Juli bis 1.Aug. 1896
11./16. Okt. 1896
28. Okt. 1896
Nov. 1896/6. Febr. 1897
Reichstags-session 1896/97
1897
Januar 1897
26. Febr. 1897
3. März 1897
20. April 1897
17. Juni 1897

24. Juli 1897
3./9. Okt. 1897
9. Okt. 1897
19. Okt. 1897
15. Jan. 1898
10. April 1898
4. Mai 1898
5. Mai 1898
16.Juni 1898
20. Juni 1898
27. Juni 1898
6. Sept. 1898
3./8. Okt. 1898
27. Okt. 1898
27. Dez. 1898
1899
Jan. 1899
3. Febr. 1899
8./13. Mai 1899
21/22. Mai1899
2. Juni 1899
22. Juni 1899
Juli 1899
17. Juli 1899
23. Juli 1899
9./17. Okt. 1899
20. Nov. 1899



1891 - 1899

1891

Wirtschaftliche Krise bis 1893.

1. Jan. 1891

Die erste Ausgabe des neuen Zentralorgans der SPD »Vorwärts« erscheint. Chefredakteur: W. Liebknecht.

10. Jan. 1891

Die erste Nummer von »Die Arbeiterin-Zeitschrift für die Interessen der Frauen und Mädchen des arbeitenden Volkes« kommt heraus. Redakteurin: Emma Ihrer. Sie erscheint bis 19. Dezember 1891 und ist eine Vorläuferin von »Die Gleichheit«.

12. Jan. 1891

W. Liebknecht eröffnet die vor allem von den Gewerkschaften geförderte Arbeiterbildungsschule in Berlin.

20. Jan. 1891

Die erste Nummer von »Correspondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands« erscheint, anfänglich nach Bedarf, später wöchentlich. Redakteur: C. Legien.

Ende Jan. 1891

In »Die Neue Zeit« werden von F. Engels die Marx'schen »Randglossen zum Gothaer Programm« veröffentlicht, was von der Parteileitung mißbilligt wird.

4. Febr. 1891

Die Reichstagsfraktion fordert die deutschen Arbeiter auf, die Maifeier am ersten Sonntag im Mai zu begehen. Es soll ein Tag genommen werden, der der gesamten Arbeiterschaft die Beteiligung an den Kundgebungen ermöglicht. Dieser Aufruf wird in einem Teil der Partei heftig kritisiert.

18. März 1891

Aus Anlaß des Jahrestages der Pariser Kommune veröffentlicht W. Liebknecht im Namen des Vorstandes der Partei eine Adresse an den Nationalrat der französischen Arbeiterpartei, in der hervorgehoben wird, daß der Weltfrieden jetzt in der Hand des französischen und deutschen Volkes liege.

16. April 1891

Der Reichstag diskutiert bei den Beratungen über die Arbeitsschutz-Vorlage den Antrag der Sozialdemokraten, einen Maximal-Arbeitstag von zunächst zehn, ab 1898 acht Stunden gesetzlich zu verankern.

27. April/ 5. Mai 1891

Erfolgloser Streik von rund 20 000 Bergarbeitern im Ruhrgebiet für die Achtstundenschicht. Gegen die Streikenden wird Militär eingesetzt. Zahlreiche Streikende werden gemaßregelt.

8. Mai 1891

Die Gewerbeordnungsnovelle wird im Deutschen Reichstag gegen die Stimmen der sozialdemokratischen Fraktion angenommen. Das Gesetz legt fest: Sonn- und Feiertagsruhe in Industrie und Bauwesen (durch Ausnahmebestimmungen wieder eingeengt); Lohnschutzbestimmungen (Verbot des Trucksystems, Geldlohn, Werkzeuge zum Selbstkostenpreis); Bestimmungen zum Schutz der Arbeiter »gegen Gefahr für Leib und Leben«, soweit es »die Natur des Betriebes gestattet«, Verbot der Kinderarbeit unter 13 Jahren in Fabriken und Beschränkung der Arbeitszeit für Kinder über 13 Jahre auf sechs Stunden und Jugendliche unter 16 Jahren auf zehn Stunden täglich. Beschränkung der Arbeitszeit für Frauen auf elf Stunden, Verbot der Nachtarbeit für Frauen, Kinder und Jugendliche. Der Versuch der Regierung, die Arbeitsschutzbestimmungen mit Angriffen auf das Koalitions- und Streikrecht der Arbeiter (Verschärfung des berüchtigten Paragraphen 153 der Gewerbeordnung) und hohen Strafen gegen »Kontraktbruch« (Arbeitsniederlegung ohne Rücksicht auf Kündigungsfristen) zu koppeln, wird im wesentlichen vereitelt. Dieses Gesetz stellt trotz unerfüllter SPD-Forderungen den ersten bedeutenden Schritt zum gesetzlichen Arbeitsschutz in Deutschland dar.

15. Mai 1891

Die päpstliche Enzyklika »Rerum Novarum« von Leo XIII. erscheint. Sie enthält die Haltung der katholischen Kirche zur »sozialen Frage«. Die Enzyklika bildet den Ausgangspunkt zur Gründung von christlichen Gewerkschaften in Deutschland.

1. Juni u. 6. Juli 1891

G. v. Vollmar fordert in Reden im Münchener »Eldorado«, »Über die nächsten Aufgaben der Sozialdemokratie«, die Partei solle den Weg der Verhandlung betreten und auf der Grundlage der heutigen Staats- und Gesellschaftsordnung Verbesserungen wirtschaftlicher und sozialer Art herbeiführen. Die SPD soll auch mit progressiven Kräften außerhalb ihrer Reihen zusammenarbeiten: »Dem guten Willen die offene Hand, dem schlechten die Faust!« Als Aktionsprogramm schlägt er vor: Die Weiterführung des Arbeiterschutzes, die Erringung eines wirklichen Vereinsrechtes, Beseitigung jeder Art von Behinderung des Lohnkampfes, die Beseitigung der Lebensmittelzölle. G. v. Vollmars Reden führen zu heftigen Auseinandersetzungen in der Partei über die richtige Taktik.

1./6. Juni 1891

Gründung des »Deutschen Metallarbeiterverbandes« (DMV) in Berlin; Sitz wird Stuttgart.

Juli/Okt. 1891

Ausführliche Programmdiskussionen in der SPD

16. bis 22. Aug. 1891

Der 2 internationale Arbeiterkongreß tagt in Brüssel Die deutsche Sozialdemokratie ist mit 40 Delegierten von 374 aus 15 europäischen Ländern und den USA vertreten. Tagesordnung: Stand der Arbeitsschutzgesetzgebung in nationaler und internationaler Hinsicht und die für ihre Ausdehnung und wirksame Gestaltung anzuwendenden Mittel (E Vandervelde), das Koalitionsrecht, die Mittel zu seiner Sicherung, Ausstände, Boykott und gewerkschaftliche Bewegung vom internationalen Maßstab aus (W Bock); Stellung und Pflichten der Arbeiterklasse dem Militarismus gegenüber (W Liebknecht); Stellungnahme der Arbeiterorganisationen aller Länder zur Judenfrage; die Verwendung des Parlamentarismus und des allgemeinen Stimmrechts zugunsten der sozialistischen Arbeitersache; Bündnis der sozialistischen Arbeiter mit den bürgerlichen Parteien; Abschaffung der Stück- und Akkordarbeit; internationale Feier des 1 Mai.
Die Arbeiter werden aufgefordert, die sozialistische Partei als die einzig wirkliche Friedenspartei zu unterstützen und überall gegen den Militarismus zu protestieren. Ein Antrag von anarchistischer Seite, im Falle eines Krieges einen Generalstreik auszurufen, wird abgelehnt.
Der Kongreß bestätigt den Beschluß von Paris (1889) über die Arbeitsgesetzgebung. Er empfiehlt den Arbeitern Streiks und Boykotts zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen und politischen Lage und betont die Notwendigkeit der Gewerkschaften.
Der Kongreß verurteilt die antisemitischen und philosemitischen Hetzereien als Manöver der Kapitalistenklasse, die Arbeiter zu spalten Der 1 Mai soll ein Ruhetag sein, soweit dies durch die Zustande in den einzelnen Ländern nicht unmöglich gemacht wird.

Anfang Okt.1891

Bei den Landtagswahlen in Baden gewinnen die Sozialdemokraten zum ersten Mal zwei Sitze

14 /20 Okt. 1891

Parteitag in Erfurt 230 Delegierte Tagesordnung Die parlamentarische Tätigkeit der Reichstagsfraktion (H Molkenbuhr) ,die Taktik der Partei (A Bebel); Beratung des Programmentwurfs (W Liebknecht). Im Bericht des Parteivorstandes wird auf die zahlreichen Provinzial- und Landesparteitage oder Konferenzen des letzten Jahres hingewiesen. Im Mittelpunkt der Beratungen stehen die Annahme des Programms und die Auseinandersetzungen über die Taktik der Partei. Die Kritik richtet sich gegen G. v. Vollmar und die Angriffe der oppositionellen »Jungen«, die vor allem mit außerparlamentarischen Parolen gegen die »Führer« polemisieren Die Berliner Gruppe der »Jungen« wird aus der Partei ausgeschlossen Gegen G. v. Vollmar nimmt der Parteitag eine von A. Bebel vorgelegte Resolution an, daß kein Grund vorliege, die Taktik der Partei zu ändern.

Der Parteitag verabschiedet ein neues Programm, das sogenannte »Erfurter Programm«. Den theoretischen Teil hat K. Kautsky ausgearbeitet: »Die ökonomische Entwicklung ... trennt den Arbeiter von seinen Produktionsmitteln und verwandelt ihn in einen besitzlosen Proletarier, indes die Produktionsmittel das Monopol einer verhältnismäßig kleinen Zahl von Kapitalisten und Großgrundbesitzern werden ... Immer größer wird die Zahl der Proletarier ... immer schroffer der Gegensatz zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, immer erbitterter der Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat... Nur die Verwandlung des kapitalistischen Privateigentums an Produktionsmitteln ... in gesellschaftliches Eigentum und die Umwandlung der Warenproduktion in sozialistische, für und durch die Gesellschaft betriebene Produktion kann es bewirken, daß der Großbetrieb und die stets wachsende Ertragsfähigkeit der gesellschaftlichen Arbeit für die bisher ausgebeuteten Klassen aus einer Quelle des Elends und der Unterdrückung zu einer Quelle der höchsten Wohlfahrt und allseitiger, harmonischer Vervollkommnung werde. Diese gesellschaftliche Umwandlung bedeutet die Befreiung nicht bloß des Proletariats, sondern des gesamten Menschengeschlechts... Aber sie kann nur das Werk der Arbeiterklasse sein...

Der Kampf der Arbeiterklasse gegen die kapitalistische Ausbeutung ist notwendigerweise ein politischer Kampf. Die Arbeiterklasse kann ihre ökonomischen Kämpfe nicht führen und ihre ökonomische Organisation nicht entwickeln ohne politische Rechte. Sie kann den Übergang der Produktionsmittel in den Besitz der Gesamtheit nicht bewirken, ohne in den Besitz der politischen Macht gekommen zu sein.

Diesen Kampf der Arbeiterklasse zu einem bewußten und einheitlichen zu gestalten und ihm sein naturnotwendiges Ziel zu weisen - das ist die Aufgabe der Sozialdemokratischen Partei. . . .

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands kämpft... für die Abschaffung der Klassenherrschaft und der Klassen selbst und für gleiche Rechte und Pflichten aller ohne Unterschied des Geschlechts und der Abstammung . . .«

Den praktischen Teil hat E. Bernstein bearbeitet. In ihm fordert die SPD vor allem die Erweiterung der politischen Rechte, Gleichberechtigung der Frau, Entscheidung über Krieg und Frieden durch die Volksvertretung; Erziehung zur allgemeinen Wehrhaftigkeit; Volkswehr; Weltlichkeit und Unentgeltlichkeit der Schulen; Unentgeltlichkeit der ärztlichen Hilfeleistung; Abschaffung der indirekten Steuern und eine wirksame nationale und internationale Arbeiterschutzgesetzgebung.

Der Parteitag verlangt von den Vertretern der Partei, daß sie fest und entschlossen im Sinne des Parteiprogramms wirken und - ohne auf die Erlangung von Konzessionen seitens der herrschenden Klassen zu verzichten - immer das ganze und letzte Ziel - die Eroberung der politischen Macht - im Auge haben sollen.

Die Reichstagsfraktion wird beauftragt, im Reichstag die Abschaffung des in Elsaß-Lothringen existierenden Diktatur-Paragraphen und der Presse-, Vereins- und Versammlungsgesetze zu beantragen.

Als Parteivorsitzende erhalten P. Singer 221, A. Gerisch 220, als Sekretäre I. Auer 219, R. Fischer 165 und A. Bebel als Kassierer 220 Stimmen. Als Kontrolleur wird H. Meister für C. Behrend gewählt; die anderen Mitglieder werden bestätigt.

3. Nov. 1891

Bei der Vereidigung von Rekruten in Potsdam erklärt Wilhelm II., bei den jetzigen sozialistischen Umtrieben könne es vorkommen, daß er ihnen befehle, »eure eigenen Verwandten, Brüder, ja Eltern niederzuschießen, was Gott verhüten möge, aber dann müßt ihr meine Befehle ohne Murren befolgen«.

8. Nov. 1891

Die auf dem Parteitag in Erfurt ausgeschlossenen oppositionellen Parteimitglieder gründen den »Verein Unabhängiger Sozialisten«. Dieser verwirft alle Kompromisse mit den herrschenden Klassen. Er sieht im »gewerkschaftlich-sozialistischen Klassenkampf« ein Mittel zur Beschleunigung des Untergangs des Kleinbürger- und Kleinbauerntums.

8. Nov. 1891 bis 14. Jan. 1892

Rund 10 000 Buchdrucker streiken um die Einführung des neunstündigen Arbeitstages. Der Streik geht verloren. Die Streikkosten belaufen sich auf 2,5 Millionen Mark, die weitgehend durch Spenden aufgebracht werden, da die Polizei die Streikkasse beschlagnahmt hat. Das Mißlingen des Streiks wirkt sich einige Zeit hemmend auf den Ausbau der Gewerkschaften und die Durchführung von Streiks aus.

28. Dez. 1891

Die erste Probenummer von »Die Gleichheit« erscheint. Sie wird als Fortsetzung der »Arbeiterin« angesehen und beginnt deshalb im 2. Jahrgang. Redakteurin wird Clara Zetkin.

Januar 1892

Die Reichstagsfraktion bringt eine Reihe von. Anträgen zur Änderung des Unfallversicherungsgesetzes ein. Die Rente soll nicht nur zwei Drittel des Durchschnittslohnes betragen, sondern diesem gleich sein; sie soll vom Tage des Unfalls an, nicht erst nach Ablauf von 13 Wochen, gezahlt werden; der Begriff des Betriebsunfalls soll erweitert, das Gesetz auf alle Arbeiter ausgedehnt werden.

4. Jan. 1892

»Sozialpolitisches Centralblatt«, herausgegeben von H. Braun, erscheint zum ersten Mal. Bekannte Wissenschaftler gehören zu seinen Mitarbeitern. Mit der Nummer 26 im 4. Jahrgang (25. März 1895) verläßt H. Braun die Redaktion.

14./18. März 1892

Auf dem ersten von der Generalkommission einberufenen Gewerkschaftskongreß in Halberstadt vertreten 208 Delegierte der Zentralverbände und einiger Lokalorganisationen rund 300 000 Gewerkschaftsmitglieder. Tagesordnung u. a.: Die Organisationsfrage (C. Legien).

Der Kongreß beschließt, die Generalkommission mit folgenden Aufgaben zu betrauen: Betreibung der Agitation, Führung einer einheitlichen Gewerkschaftsstatistik, Herausgabe eines Blattes, das die Verbindung sämtlicher Gewerkschaften unterhalten soll und Pflege internationaler Beziehungen. Für diese Aufgabe müssen die angeschlossenen Verbände pro Jahr für jedes Mitglied 20 Pfennig an die Generalkommission bezahlen. Die Streikunterstützung als Aufgabe der Generalkommission wird abgelehnt. Die Aufgaben und Befugnisse der Generalkommission werden später immer mehr erweitert. Zum Vorsitzenden der Kommission wird C. Legien, zu Mitgliedern werden A. v. Elm, A. Dammann, Wilhelmine Kähler, C. Deisinger, W. A. Demuth und C. Fehmerling gewählt. Als Organisationsform werden die Zentralverbände anerkannt und empfohlen, »Industrieverbände« zu bilden. Die Vorstellung der sog. »Lokalisten«, auf festgefügte Zentralverbände zu verzichten, wird abgelehnt. Bis 1933 bieten die Gewerkschaften indessen ein buntes Bild von Organisationsformen.

Von besonderen Organisationen für Arbeiterinnen soll abgesehen werden; den Gewerkschaften wird empfohlen, die Frauen als gleichberechtigte Mitglieder aufzunehmen.

Das Schwergewicht der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter liegt noch bei den Gesellen handwerklicher Betriebe und den qualifizierten Spezialarbeitern der Leicht- und Fertigwarenindustrie.

19. März 1892

Der Reichstag nimmt gegen die Stimmen der SPD die Regierungsvorlage zur Krankenversicherung an. Die von der SPD eingebrachten Änderungsanträge - Ausdehnung der Versicherungspflicht auf die ländlichen und forstwirtschaftlichen Arbeiter, die Dienstboten in Stadt und Land, die Seeleute, die im Kommunaldienst Angestellten und die in der Hausindustrie Beschäftigten, sowie die Verlängerung der Versicherungspflicht von 13 Wochen auf ein Jahr - werden abgelehnt.

7. Juli 1892

G. v. Vollmar veröffentlicht in der »Münchener Post« einen Artikel über den sogenannten Staatssozialismus.

14./21. Nov. 1892

Parteitag in Berlin. 228 Delegierte. Tagesordnung: Maifeier 1893 (A. Gerisch); Staatssozialismus und revolutionäre Sozialdemokratie (W. Liebknecht); der internationale Arbeiterkongreß in Zürich (F. Ewald); Genossenschaftswesen und Boykott (I. Auer); die wirtschaftliche Krise und ihre Folge: der allgemeine Notstand (W. Liebknecht); der Antisemitismus und die Sozialdemokratie (A. Bebel). Mit dem Staatssozialismus habe die Partei nichts gemein. Soweit er sich mit der Sozialreform oder Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen beschäftige, sei er ein System der Halbheiten, das seine Entstehung der Furcht vor der Sozialdemokratie verdanke und bezwecke, durch kleine Konzessionen die Arbeiterklasse der Sozialdemokratie zu entfremden.

Der 1. Mai soll, weil eine Arbeitsruhe in der herrschenden Wirtschaftskrise unmöglich sei, am Abend gefeiert werden. Das herrschende Militärsystem wird in einer Resolution als »fortdauernde Bedrohung des Völkerfriedens« und als »vornehmstes Werkzeug der kapitalistischen Klassenherrschaft« gekennzeichnet.

Den Antisemitismus bekämpfe die Sozialdemokratie als eine gegen die natürliche Entwicklung der Gesellschaft gerichtete Erscheinung.

Der Parteitag äußert sich zurückhaltend zur Gründung von Genossenschaften. Zu Vorsitzenden der Partei werden bei 225 gültigen Stimmen gewählt: A. Bebel (217) und P. Singer (217), zu Sekretären I. Auer (217) und R. Fischer (182) und zum Kassierer A. Gerisch (205). Die Kontrollkommission wird bestätigt.

9./16. Febr. 1893

Gründung des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats.

18. Febr. 1893

Der »Bund der Landwirte« wird gegründet.

11./18. April 1893

Erfolgreicher politischer Massenstreik von 250 000 belgischen Arbeitern für das allgemeine Wahlrecht.

6. Mai 1893

Der Reichstag wird aufgelöst, nachdem die Regierungsvorlage über eine Heeresvermehrung - die größte seit 1872 - von der Mehrheit abgelehnt wird.

21./22. Mai 1893

Bildung des »Deutschen Arbeiterturnerbundes« in Gera.

15.Juni 1893

Bei den Reichstagswahlen gewinnen die Sozialdemokraten rund 350 000 Stimmen. Mit 1,7 Millionen Stimmen behaupten sie ihre Stellung als stärkste Partei, gefolgt vom Zentrum mit 1,4 Millionen. Die Partei zieht mit 44 Abgeordneten in den Reichstag. Auf sie entfallen 23,3 Prozent der Stimmen und 14,1 Prozent der Mandate. Die Sozialdemokratie hatte in 386 von 397 Wahlkreisen eigene Kandidaten aufgestellt.

Für die Antisemiten werden 260 000 gegenüber 47 000 Stimmen 1890 abgegeben. Verlierer der Wahl sind die Freisinnigen, die die Hälfte ihrer Mandate einbüßen.

Zum ersten Mal liegt die Durchführung des Wahlkampfes stärker bei den Provinz- bzw. Landesorganisationen der Partei.

5. Juli 1893

Bei den Wahlen zum bayerischen Landtag werden zum ersten Mal fünf Sozialdemokraten gewählt, darunter G. v. Vollmar und K. Grillenberger.

6./12. Aug. 1893

In Zürich findet - zeitweise in Anwesenheit von F. Engels - der Internationale Sozialistische Arbeiterkongreß statt. Es nehmen 411 Delegierte aus 20 Ländern teil, darunter 98 aus Deutschland. Tagesordnung: Maßregeln zur internationalen Durchführung des Achtstundentages (A. Fauquez); gemeinsame Bestimmungen über die Maifeier (V. Adler); die politische Taktik der Sozialdemokraten: a) Parlamentarismus und Wahlagitation, b) direkte Gesetzgebung durch das Volk (E. Vandervelde, W. H. Vliegen, W. Liebknecht u. a.); Stellung der Sozialdemokratie im Kriegsfalle (G. Plechanow, F. Nieuwenhuis, St. Mendelsohn, W. Liebknecht u. a.); Schutz der Arbeiterinnen (Luise Kautsky); nationale und internationale Ausgestaltung der Gewerkschaften (A. v. Elm u. a.); die Agrarfrage (C. V. Jaclard).

Der Kongreß beschließt, nur noch solche Gewerkschaften, sozialistische Parteien und Vereine zuzulassen, die die »Notwendigkeit der Arbeiterorganisationen und der politischen Aktion anerkennen«. Zur Abwehr der Anarchisten empfiehlt der Kongreß den Arbeiterorganisationen, die parlamentarischen Einrichtungen für den Kampf um die politische Macht auszunützen.

Über die Stellung der Sozialisten zum Krieg kommt es zu lebhaften Diskussionen. Der Vorschlag, jede Kriegserklärung mit einem allgemeinen Streik zu beantworten, wird abgelehnt. Die internationale Sozialdemokratie in allen Ländern habe mit Aufgebot aller Kräfte den chauvinistischen Gelüsten der herrschenden Klasse entgegenzutreten. Die sozialdemokratischen Abgeordneten in den Parlamenten aller Länder seien verpflichtet, alle militärischen Forderungen zu verweigern und Anträge auf Abrüstung zu stellen.

Eine Kommission berät auf Anregung der Vertreter der französischen Gewerkschaften über einen »Weltstreik«. In einer Resolution von K. Kautsky wird dieser indessen als undurchführbar erachtet.

Mitte Sept. 1893

In »Die Neue Zeit« spricht sich E. Bernstein - darin unterstützt von K. Kautsky - für die Beteiligung an den preußischen Landtagswahlen aus und weist auf Massenversammlungen als Protest gegen das Dreiklassenwahlrecht hin. Der Vorschlag wird jedoch kaum diskutiert.

Anf. Okt. 1893

Die sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten in Bayern beantragen die Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts für die Wahlen zum bayerischen Landtag. Der Antrag wird am 12. Oktober abgelehnt.

22./28. Okt. 1893

Parteitag in Köln. 177 Delegierte. Tagesordnung: Parteipresse und Agitation mit besonderer Berücksichtung der Landagitation (P. Singer); Maifeier 1894 (W. Liebknecht); die Gewerkschaftsbewegung und ihre Unterstützung durch die Parteigenossen (C. Legien und I. Auer); Antisemitismus und Sozialdemokratie (A. Bebel); das allgemeine Wahlrecht und die Wahlrechte zu den Landtagen (A. Bebel). Nach einer längeren Diskussion, in der sich A. Bebel sehr skeptisch über die weitere Entwicklung der Gewerkschaftsbewegung äußert, erklärt der Parteitag seine Sympathie mit der Gewerkschaftsbewegung und legt den Parteigenossen von neuem die Pflicht auf, mit aller Kraft für deren Stärkung einzutreten.

Da das Dreiklassenwahlrecht es der Sozialdemokratie unmöglich mache, sich mit Aussicht auf Erfolg an den Wahlen zum preußischen Landtag zu beteiligen, werden die Parteigenossen in Preußen verpflichtet, sich jeder Wahlbeteiligung unter dem bestehenden Wahlsystem zu enthalten.

Der Beschluß gegen den Antisemitismus wird bestätigt.

Bei Reichstags-, Landtags- und Gemeinderatswahlen dürfen keinerlei Kompromisse mit den bürgerlichen Parteien eingegangen werden. Die Partei- und Gewerkschaftsmitglieder sollen ihre Parteipflicht nicht durch die Zugehörigkeit zu Landsmannschaften oder Mitgliedschaften in sogenannten Vergnügungsvereinen, Klubs usw. vernachlässigen.

Der Parteivorstand wird wieder gewählt. Von 184 gültigen Stimmen erhalten: A. Bebel und P. Singer 183, I. Auer 170, R. Fischer 158 und A. Gerisch 184. Kontrolleure werden H. Meister (156), W. Klees (136), F. Herbert (98), C. Oertel (96), A. Kaden (95), K. Meist (94) und H. Koenen (89 Stimmen).

Nach dem Bericht des Parteivorstandes wurden seit dem Ende des Sozialistengesetzes wegen »Vergehen und Verbrechen«, die im engsten Zusammenhang mit der politischen oder gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung stehen, von den deutschen Gerichten 293 Jahre und fünf Tage Freiheits- und 70772,20 Mark Geldstrafen ausgesprochen.

20. Nov. 1893

Die Kontrollkommission wählt anstelle von R. Fischer , der die Leitung der »Vorwärts«-Buchhandlung übernommen hat, W. Pfannkuch als Sekretär.

Ende Nov. 1893

Der »Vorwärts« veröffentlicht einen geheimen Erlaß des Innenministers B. zu Eulenburg vom 29. Juli 1893 an alle Regierungspräsidenten, in dem diese angewiesen werden, die sozialdemokratische Bewegung aufmerksam zu beobachten, ihr Umsichgreifen unausgesetzt mit allen zulässigen Mitteln zu steuern und insbesondere die ländliche Bevölkerung vor ihrem Einfluß zu bewahren. Es sei von den gesetzlichen Befugnissen unverzüglich mit Entschiedenheit und nachhaltig Gebrauch zu machen.

1893/1894

Seit der Wintersession des Reichstages bringen die Sozialdemokraten regelmäßig einen Gesetzentwurf über das Versammlungs- und Vereinsrecht ein.

25. Jan. 1894

Die Probenummer der Wochenzeitung »Der Sozialdemokrat« erscheint. Redakteur der Zeitung wird M. Schippel.

24. März 1894

In Hamburg wird die »Großeinkaufsgesellschaft Deutscher Konsumvereine« gegründet.

Mai 1894

Nachdem 300 Böttcher ausgesperrt werden, weil sie am 1. Mai die Arbeit haben ruhen lassen, wird in Berlin zu einem Bierboykott aufgerufen.

1.Juni 1894

Das bayerische Budget wird zum ersten Mal mit den Stimmen der Sozialdemokraten angenommen. Die hessischen und badischen Sozialdemokraten stimmen wenig später ebenfalls ihren Landesbudgets zu.

24.Juni 1894

Der franzöische Präsident S. Carnot wird von einem italienischen Anarchisten ermordet. In den folgenden Monaten werden in der deutschen Presse gesetzgeberische Maßnahmen gegen die Sozialdemokratie und den Anarchismus gefordert, unter anderem eine Änderung des Reichstagswahlrechtes. Wilhelm II. fordert zum Kampf gegen die Parteien des Umsturzes auf.

29. Sept. 1894

Die Probenummer der »Leipziger Volkszeitung« erscheint. Chefredakteur wird B. Schoenlank.

30. Sept. 1894

Im Mittelpunkt des bayerischen Parteitages stehen Diskussionen über die Budgetbewilligung. G. v. Vollmar erklärt, das bayerische Budget sei nicht mit dem Reichsetat zu vergleichen, den sie stets ablehnen würden. Die bayerische Bevölkerung wünsche keinen leeren Prinzipienstreit, sondern unmittelbare Einwirkung auf die Gesetzgebung. Nur wenige Delegierte sprechen sich gegen die Bewilligung des Etats aus.

21./27. Okt. 1894

Parteitag in Frankfurt a. M., 221 Delegierte. Tagesordnung: Maifeier 1895 (K. Meist); Agrarfragen und Sozialdemokratie (B. Schoenlank und G. v. Vollmar); die Bedeutung der Trusts, Ringe, Kartelle und ähnlicher großkapitalistischer Organisationen in der wirtschaftlichen Entwicklung (M. Schippel).

Alle zur Budgetfrage vorliegenden Anträge werden nach langer Diskussion abgelehnt.

Nach einer Agrardebatte wird eine Agrarkommission beauftragt, dem folgenden Parteitag Vorschläge zu einem Agrarprogramm vorzulegen. Der Agrarkommission gehören an: E. David, A. Geck, S. Katzenstein, G. Baßler, W. Liebknecht, G. Birk, G. v. Vollmar, P. Hug, E. Schulze, B. Schoenlank, A. Bebel, H. Molkenbuhr, M. Quarck, M. Schippel.

In einer Resolution über Trusts, Kartelle und ähnliche großkapitalistische Organisationen - eine notwendige Folge der kapitalistischen Produktionsweise - wird festgestellt, daß die Entwicklung der Kapitalkonzentration ein Schritt zur Verwirklichung des Sozialismus sei.

Die Reichstagsfraktion soll im Laufe der nächsten Session Anträge auf Einführung des achtstündigen Arbeitstages und auf Ausdehnung der weiteren Gerichtsbarkeit der Gewerbegerichte auf die Handlungsgehilfen und -gehilfinnen stellen. Die gesetzlichen Bestimmungen über die Wahlen zu Gewerbegerichten sollen auch für die Arbeiterinnen gelten.

Wahl des Parteivorstandes bei 219 gültigen Stimmen: A. Bebel (211), P. Singer (214) als Vorsitzende; I. Auer (213), W. Pfannkuch (213) als Sekretäre; A. Gerisch (212) als Kassierer. Zu Kontrolleuren werden H. Meister (165), A. Kaden (130), C. Oertel (109), H. Koenen (102), W. Klees (96), K. Meist (55) und Th. Metzner (77) gewählt.

26. Okt. 1894

Nachfolger L. v. Caprivis wird Fürst Ch. zu Hohenlohe-Schillingsfürst. L. v. Caprivi hatte sich gegen Staatsstreichpläne - Abänderung des Wahlrechts - ausgesprochen.

1. Nov. 1894

Das erste Arbeitersekretariat beginnt in Nürnberg mit seiner Tätigkeit. Arbeitersekretariate beraten und betreuen unentgeltlich die Arbeiter vor allem bei arbeits- und sozialrechtlichen Problemen. 1910 bestehen 112 derartige Sekretariate.

Anf. Dez. 1894

Der III. Band von K. Marx' »Das Kapital«, bearbeitet und ergänzt von F. Engels, erscheint.

6. Dez. 1894

Im Reichstag wird der »Entwurf eines Gesetzes über die Änderung und Ergänzung des Strafgesetzbuches, des Militärstrafgesetzbuches und des Gesetzes über die Presse« - die sogenannte »Umsturzvorlage« - eingebracht, die vorsieht, »Umsturzbestrebungen« bereits ohne Tatbestand mit Zuchthaus und öffentliche beschimpfende Äußerungen gegen Religion, Monarchie, Ehe, Familie oder Eigentum mit Gefängnis bis zu zwei Jahren zu bestrafen.

26. Dez. 1894

Ende des Bierboykotts in Berlin nach achtmonatiger Dauer mit einem Kompromiß.

Bereits am 2. November konnte in Dresden ein halbjähriger Bierboykott erfolgreich beendet werden.

1. Jan. 1895

»Der sozialistische Akademiker«, Organ der sozialistischen Studierenden und Studierter deutscher Zunge, erscheint zum ersten Mal.

11. Mai 1895

Der Reichstag lehnt mit den Stimmen der Sozialdemokraten, der Volkspartei und der beiden freisinnigen Parteien nach einer intensiven Protestbewegung die »Umsturzvorlage« ab.

16. Juli 1895

Der Parteivorstand veröffentlicht die Vorschläge der Agrarkommission. Darin werden gefordert: die Abschaffung aller mit dem Grundbesitz verbundenen behördlichen Funktionen und Privilegien; entschädigungslose Aufhebung jeglicher Art noch bestehender Erbuntertänigkeit und der aus derselben herstammenden Lasten und Pflichten; Erhaltung und Vermehrung des öffentlichen Grundeigentums; Einführung des Vorkaufsrechts der Gemeinde bezüglich der zur Zwangsversteigerung kommenden Güter; Bewirtschaftung der Staats- und Gemeindeländereien auf eigene Rechnung oder Verpachtung an Genossenschaften von Landarbeitern und von Kleinbauern oder Verpachtung an Selbstbewirtschafter unter Aufsicht des Staates oder der Gemeinde; Verstaatlichung der Hypotheken und Grundschulden unter Herabsetzung des Zinsfußes auf die Höhe der Selbstkosten; unbeschränkte Aufrechterhaltung und Erweiterung der bestehenden Waldnutzungs- und Weiderechte unter Gleichberechtigung aller Gemeindeangehörigen; freies Jagdrecht auf eigenem und gepachtetem Boden; sachgemäße Ausdehnung der Arbeitsschutzgesetze auf die Landwirtschaft.

5. Aug. 1895

F. Engels, geboren 28. November 1820 in Barmen, kaufmännische Ausbildung, journalistische Tätigkeit, seit 1844 mit K. Marx eng befreundet, 1848/49 Teilnahme an der Revolution, seit 1850 als Angestellter und Teilhaber der Fa. Ermen und Engels in Manchester tätig, 1870 Übersiedlung nach London; nach dem Tode von K. Marx 1883 enger Mitarbeiter und Berater von A. Bebel, W. Liebknecht, K. Kautsky und E. Bernstein, in London gestorben.

Mitte Aug. bis Anf. Sept. 1895

Sozialdemokratische Zeitungen »verletzen« anläßlich der Einweihung eines Denkmals Wilhelms I. am 18. August in Berlin monarchische Gefühle. Die Sozialdemokratie nimmt an den Feiern zur 25jährigen Wiederkehr der Schlacht von Sedan nicht teil. In der Parteipresse erscheinen Artikel gegen die Politik 0. v. Bismarcks und Wilhelms I. Erneut wird daraufhin in Regierungskreisen eine Verschärfung des preußischen Vereinsgesetzes und ein neues Sozialistengesetz besprochen.

Wilhelm II. erklärt in einem Trinkspruch: » . . .dann rufe ich Sie, um der hochverräterischen Schar zu wehren, um einen Kampf zu führen, der uns befreit von solchen Elementen.«

Reichskanzler Ch. zu Hohenlohe/Schillingsfürst verhält sich diesen Plänen gegenüber zurückhaltend; aber das preußische Vereinsgesetz wird nun strenger gehandhabt.

Im September werden mehrere sozialdemokratische Blätter wegen Majestätsbeleidigung oder anderer Vergehen beschlagnahmt und ihre Redakteure verhaftet, mehrere Volksversammlungen verboten oder aufgelöst.

6./12. Okt. 1895

Parteitag in Breslau. 189 Delegierte. Nach einer Aufstellung des Parteivorstandes hat die Sozialdemokratie im sächsischen Landtag 14, im bayerischen 5, im württembergischen 2, im badischen 3, im hessischen 3, im altenburgischen 4, in den weimarischen, gothaischen, meiningischen, reußischen j. L. und schwarzenburgischen Landtagen je 1 Mandat.

Tagesordnung: Die Vorschläge der Agrarkommission zu dem Parteiprogramm (M. Quarck und M. Schippel); Maifeier 1896 (A. Bebel); Schwitzsystem, Hausindustrie und Arbeiterschutz (J. Timm).

Nach langer lebhafter Diskussion über die Agrarfrage lehnt der Parteitag auf Antrag K. Kautskys mit 158 Stimmen den vorgelegten Entwurf eines Agrarprogrammes ab, da er, im Widerspruch zum Erfurter Programm, der Bauernschaft die Hebung ihrer Lage und die Stärkung ihres Privateigentums in Aussicht stelle und dem kapitalistischen Staat neue Machtmittel gebe.

Der Parteivorstand beauftragt eine Anzahl geeigneter Personen, das über die deutschen Agrarverhältnisse vorhandene Material gründlich zu studieren und die Ergebnisse der Studien in einer Reihe von Abhandlungen zu veröffentlichen. Dem Entwurf des Programms stimmen A. Bebel, E. David, W. Liebknecht, H. Molkenbuhr, B. Schoenlank und G. v. Vollmar zu. Abgelehnt wird er von K. Kautsky, I. Auer, P. Singer, G. Noske, M. Schippel, Clara Zetkin.

Der Parteivorstand wird mit 205 gültigen Stimmen bestätigt: A. Bebel (200), P. Singer (202), A. Gerisch (202), W. Pfannkuch (200), I. Auer (199). Zu Kontrolleuren werden H. Meister (134), W. Klees (123), A. Kaden (99), Th. Metzner (92), C. Oertel (89), H. Koenen (78) und Clara Zetkin (67) gewählt.

13. Okt. 1895

K. Schumacher in Kulm/Westpreußen geboren.

29. Nov. 1895

Das Polizeipräsidium löst den Parteivorstand, die Berliner Preß- und Lokalkommission, die Agitationskommission sowie einige sozialdemokratische Vereine wegen Verstoßes gegen das preußische Vereinsgesetz auf.

4. Dez. 1895

Die Reichstagsfraktion übernimmt die vorläufige Leitung der Partei und beschließt, den Fraktionsvorstand mit der Leitung der politischen Geschäfte zu betrauen und in Hamburg einen geschäftsführenden Ausschuß einzusetzen, der mit den Verwaltungsgeschäften betraut wird. Ihm gehören H. Förster, H. Koenen, H. Molkenbuhr, später noch A. Gerisch und W. Pfannkuch an.

20. Dez. 1895

L. Jacoby, geboren 29. April 1840 in Lauenburg, Dichter, in Zürich gestorben. Seine Gedichtsammlung »Es werde Licht« war während des Sozialistengesetzes verboten.

31. Dez. 1895

»Der Sozialdemokrat« stellt sein Erscheinen ein, da die in ihn gesetzten Erwartungen sich nicht erfüllt hätten.

27. März 1896

Das Wahlrecht für die sächsische Zweite Kammer wird dem preußischen Dreiklassenwahlrecht angeglichen. Sozialdemokraten und Freisinnige lehnen es ab.

7./8. April 1896

Eine Landesversammlung der sozialdemokratischen Partei Sachsens in Dresden behandelt die Wahlrechtsfrage. Ein von B. Schoenlank eingebrachter Antrag, der von der Berliner Parteileitung unterstützt wird, angesichts des Gesetzes die Mandate niederzulegen, wird mit großer Mehrheit abgelehnt.

4./8. Mai 1896

2. Kongreß der Gewerkschaften in Berlin. 139 Delegierte vertreten rund 270 000 organisierte Arbeiter. Tagesordnung u. a.: Streikunterstützung und Streikstatistik (A. v. Elm); die Arbeitslosenunterstützung (C. Eichler; F. Fricke); die Arbeitsvermittlung als gewerkschaftliche und kommunale Einrichtung (A. v. Elm); die Agitation unter den Arbeiterinnen (Wilhelmine Kahler); die Hausindustrie, das Schwitzsystem und die Bestrebungen der Arbeiter für Einführung von Betriebswerkstätten (J. Timm). Die Delegierten sprechen sich für den Fortbestand der Generalkommission aus.

Der Antrag der Generalkommission, einen Zentral-Streikfonds zu schaffen, wird abgelehnt.

Zur Beratung und Kontrolle der Generalkommission wird ein beratender Gewerkschaftsausschuß aus je einem Vertreter der angeschlossenen Gewerkschaften gebildet.

Der Kongreß empfiehlt allen Gewerkschaften die Einführung einer Arbeitslosenunterstützung.

Die Arbeitsvermittlung wird zum Aufgabenbereich der Gewerkschaften erklärt.

Als Mitglieder der Generalkommission werden C. Legien, G. Sabath, A. Bringmann, Wilhelmine Kähler und A. Röske gewählt.

18. Mai 1896

Der Parteivorstand wird wegen Vergehens gegen das Vereinsgesetz zu einer Geldstrafe verurteilt und aufgelöst.

17. Juni 1896

Der Reichstag nimmt eine Änderung des Vereins- und Versammlungsgesetzes an: Inländische Vereine jeder Art dürfen miteinander in Verbindung treten. Doch der Reichsrat verweigert seine Zustimmung.

Juli bis 1.Aug. 1896

Der internationale sozialistische Arbeiter- und Gewerkschaftskongreß tagt in London. Es sind ca. 700 Delegierte aus 16 Ländern anwesend, darunter 48 Deutsche. Tagesordnung: Agrarfrage (E. Vandervelde); die politische Aktion (J. ); Kriegsfrage (E. Wurm); Erziehung und körperliche Entwicklung (S. Webb); die Wirtschaftspolitik der Arbeiterklasse (H. Molkenbuhr).

Die Anarchisten werden nicht zum Kongreß zugelassen.

Der Kongreß fordert die Einführung der Volksbewaffnung und die Einrichtung von Schiedsgerichten, um Streitigkeiten zwischen den Völkern zu schlichten. Er erklärt, wichtigstes Mittel zum Zweck der Emanzipation der Arbeiter sei die Eroberung der politischen Macht und fordert die Arbeiter auf, sich zu vereinigen.

Die Emanzipation der Frau ist untrennbar von der Befreiung der Arbeiterklasse. Die Frauen werden deshalb vom Kongreß aufgefordert, Seite an Seite mit den Arbeitern zu kämpfen und sich mit ihnen politisch zu organisieren. Die Kolonialpolitik wird abgelehnt, da sie nur die Erweiterung des Gebietes der kapitalistischen Ausbeutung zum Zweck hat. Es solle ein Versuch unternommen werden, ein ständiges internationales Büro mit einem verantwortlichen Sekretär einzurichten.

11./16. Okt. 1896

Parteitag in Gotha. 185 Delegierte. Tagesordnung: Der Arbeitsschutz (E. Wurm); Maifeier 1897 (A. Gerisch); die Frauenagitation (Clara Zetkin); das Proportionalwahlsystem (F. Lütgenau); Organisation (I. Auer).

Der Parteivorstand berichtet dem Parteitag, daß die Leitung der laufenden Agitation völlig auf die Landes-, Provinzial- und Kreiskomitees übergegangen sei.

Der Parteitag diskutiert ausführlich über die Parteipresse.

Die Agitation für den Arbeiterschutz sei weiterhin eine der wichtigsten Aufgaben der Partei. Um den gesetzlichen Achtstundentag zu erkämpfen, werde die Partei weiterhin ihre Kraft einsetzen. Nach einem Referat von Clara Zetkin empfiehlt der Parteitag, in allen Orten, wo es möglich sei, weibliche Vertrauenspersonen zu wählen. Der Parteitag billigt die Beschlüsse der Fraktion vom 4. Dezember und beschließt, die Regelung bis zur richterlichen Entscheidung oder bis zum nächsten Parteitag aufrechtzuerhalten. Mitglieder des geschäftsführenden Ausschusses werden, bei 194 gültigen Stimmen, H. Foerster (194), H. Molkenbuhr (194), W. Pfannkuch (193), A. Gerisch (191) und H. Koenen (190). Der Kontrollkommission gehören an: H. Meister (159), Clara Zetkin (112), A. Kaden (109), W. Klees (94), E. Dubber (91), Th. Metzner (84) und C. Oertel (76).

28. Okt. 1896

E. Bernsteins erster Aufsatz über »Probleme des Sozialismus« erscheint in »Die Neue Zeit«.

Nov. 1896/
6. Febr. 1897

In Hamburg streiken ca. 16 000 Hafenarbeiter. General A. Graf v. Waldersee verlangt von Wilhelm II., energische Aktionen gegen die Sozialdemokraten einzuleiten. Die Streikenden erreichen nur Lohnzugeständnisse.

Reichstags-
session 1896/97

Der Reichstag lehnt den Antrag der SPD ab, den Achtstundentag für alle im Lohn-, Arbeits- und Dienstverhältnis im Gewerbe, Handels- und Verkehrswesen stehenden Personen einzuführen.

1897

F. Mehrings »Geschichte der deutschen Sozialdemokratie« erscheint in vier Bänden beim Verlag J. H. W. Dietz in Stuttgart.

Januar 1897

»Der sozialdemokratische Akademiker« erscheint jetzt unter dem Titel »Sozialistische Monatshefte«, Internationale Revue des Sozialismus, herausgegeben von J. Bloch. Diese werden im Laufe der nächsten Jahre immer mehr zum Sprachrohr der Revisionisten.

26. Febr. 1897

Erneut ruft Wilhelm II. zum Kampf gegen den Umsturz mit allen Mitteln auf. Diejenige Partei, die es wage, die staatlichen Grundlagen anzugreifen, müsse überwunden werden.

3. März 1897

In einer Berufungsverhandlung werden die Mitglieder des Parteivorstandes, die wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz angeklagt sind, freigesprochen. Das polizeiliche Verbot des Parteivorstandes wird damit hinfällig.

20. April 1897

Die Landesversammlung der sächsischen Sozialdemokraten beschließt gegen eine starke Minderheit, sich trotz des neuen Wahlrechts an den Landtagswahlen zu beteiligen.

17. Juni 1897

Wilhelm II. kündigt schwerste Strafen für diejenigen an, die andere Personen am Arbeiten hindern wollen (Streikposten).

24. Juli 1897

Das preußische Abgeordnetenhaus lehnt eine Gesetzesvorlage - die Lex Recke - über eine Verschärfung des Vereinsgesetzes gegen die Stimmen der Konservativen mit vier Stimmen Mehrheit ab.

3./9. Okt. 1897

Parteitag in Hamburg. 186 Delegierte. Tagesordnung: Die Beteiligung an den preußischen Landtagswahlen (I. Auer und W. Liebknecht); Maifeier 1898 (H. Foerster); Organisation (I. Auer); Arbeiterschutzkongreß in Zürich (H. Molkenbuhr).

Für die streikenden Hamburger Arbeiter sammelt die Partei rund 1,6 Millionen Mark.

Der Parteitag verabschiedet einen langen Katalog von Bedingungen, die die Kandidaten bürgerlicher Parteien akzeptieren müssen, wenn sie in den Reichstagsstichwahlen Unterstützung von den Sozialdemokraten erhalten wollen. Diese Bedingungen werden erst 1912 reduziert.

Nach langen Diskussionen vor und auf dem Parteitag über die Beteiligung an den preußischen Landtagswahlen, hebt der Parteitag den Kölner Beschluß (1893) auf. Die Beteiligung an den nächsten preußischen Landtagswahlen sei überall geboten, wo die Verhältnisse eine solche den Parteigenossen ermöglichen. Die Entscheidung hierüber wird den Mitgliedern der einzelnen Wahlkreise überlassen.

Unter den ländlichen Arbeitern soll für Abschaffung der Gesindeordnung und sonstiger Ausnahmebestimmungen, welche die landwirtschaftlichen Arbeiter bedrücken, sowie für die Gleichstellung der ländlichen Arbeiter mit den gewerblichen agitiert werden.

Organisatorisch wird die alte Parteileitung wieder hergestellt. Bei 185 Stimmen werden in den Parteivorstand A. Bebel (184), P. Singer (184), W. Pfannkuch (182), A. Gerisch (180) und L Auer (175), als Kontrolleure H. Meister (144), A. Kaden (120), C. Oertel (95), Clara Zetkin (89), H. Koenen (82), E. Dubber (81) und Th. Metzner (76) gewählt.

9. Okt. 1897

Bei den sächsischen Landtagswahlen verlieren die Sozialdemokraten durch das neue Wahlgesetz etwa die Hälfte ihrer Landtagssitze.

19. Okt. 1897

K. Grillenberger, geboren 22. Februar 1848 in Zirndorf, Schlosser, seit 1881 MdR und seit 1892 Mitglied des bayerischen Landtages, in München gestorben.

15. Jan. 1898

Der »Vorwärts« veröffentlicht einen Geheimerlaß des Staatssekretärs des Inneren A. v. Posadowsky-Wehner vom 11. Dezember 1897, nach dem den Arbeitern verboten wird, ihre Kollegen von bestreikten Arbeitsstellen fernzuhalten. Das Betreten von Straßen und Bahnhöfen soll den Streikenden untersagt werden.

10. April 1898

Der Aufruf der Fraktion zur Reichstagswahl weist darauf hin, daß das Wahl- und Koalitionsrecht in großer Gefahr schwebe. Er wendet sich gegen die praktizierte Außenpolitik, die nur ständig neue endlose Rüstungen zur Folge habe. Die Kolonialpolitik wird verworfen. Die Fraktion spricht sich für eine stetige Handelspolitik aus. Die Frauen werden aufgerufen, so lange ihnen das Recht zur Teilnahme am öffentlichen Leben, das allein die Sozialdemokratie fordere, verwehrt sei, sich als Agitatorinnen am Wahlkampf zu beteiligen.

4. Mai 1898

St. Born, geboren 28. Dezember 1824 in Lissa (Posen), Schriftsetzer, 1848 Mitbegründer der »Arbeiterverbrüderung«, 1848/49 Redakteur von »Die Verbrüderung«, nach Scheitern der Revolution Flucht in die Schweiz, 1879 Professor für Literatur, in Basel gestorben.

5. Mai 1898

Der bayerische Landtag beschließt einstimmig die Änderung des Vereinsgesetzes. Politische Vereine dürfen untereinander in Verbindung treten. Großjährigen Frauen wird zugestanden, sich an politischen Vereinen mit bestimmter Zielsetzung (darunter nicht die Sozialdemokratie) zu beteiligen. Die Kammer der Reichsräte (Erste Kammer) stimmt den Änderungen zu.

In Sachsen treten ähnliche Änderungen des Vereinsgesetzes am 2. Juli in Kraft.

16.Juni 1898

Bei den Reichstagswahlen gewinnt die SPD 320 000 Stimmen und zwölf Sitze dazu. Sie erhält 27,2 % der abgegebenen Stimmen und 14,1 % der Mandate. Die Sozialdemokratie hat in 385 der 397 Wahlkreise eigene Kandidaten aufgestellt. Die konservativen Parteien verlieren Stimmen und Mandate.

20. Juni 1898

J. Audorf, geboren 1. August 1835 in Hamburg, Schlosser, Mitbegründer des ADAV und Dichter der »Arbeitermarseillaise«, in Hamburg gestorben.

27. Juni 1898

Der Staatssekretär des Reichspostamtes V. v. Podbielski erläßt eine Bestimmung gegen das Eindringen der Sozialdemokratie in die Beamtenschaft. Der Erlaß soll sämtlichen neu eintretenden Beamten offiziell bekanntgegeben werden.

6. Sept. 1898

Wilhelm II. kündigt in einer Rede in Bad Oeynhausen die Einbringung der Umsturzvorlage an.

3./8. Okt. 1898

Parteitag in Stuttgart. 215 Delegierte. Tagesordnung: Das Koalitionsrecht (R. Fischer); Bergarbeiterschutz (H. Sachse); Maifeier 1899 (W. Pfannkuch); die Beteiligung an den preußischen Landtagswahlen (W. Liebknecht); die deutsche Zoll- und Handelspolitik (M. Schippel).

Im Anschluß an die Veröffentlichung der Artikelserie »Probleme des Sozialismus« in »Die Neue Zeit« werden E. Bernsteins Thesen diskutiert.

Erneut überläßt es der Parteitag den Parteimitgliedern in den einzelnen Wahlkreisen zu entscheiden, ob sie sich an den kommenden Landtagswahlen in Preußen beteiligen wollen.

Die Berggesetzgebung sei dringend reformbedürftig.

Die Schutzzollpolitik wird als unvereinbar mit den Interessen des Proletariats, der Konsumenten und der ökonomischen und politischen Entwicklung des Landes erklärt. Bei der Erneuerung der Handelsverträge sei es geboten, jeden Schritt im Sinne der Verkehrsfreiheit zu unterstützen.

Bei 202 gültigen Stimmen werden A. Bebel (201), P. Singer (199), I. Auer (202), W. Pfannkuch (199), A. Gerisch (200) in den Vorstand gewählt. Mitglieder der Kontrollkommission bei 189 gültigen Stimmen werden: H. Meister (173), A. Kaden (122), H. Koenen (113), Th. Metzner (112), C. Oertel, (81), F. Brühne (80) und Clara Zetkin (79).

27. Okt. 1898

Bei den Urwahlen zum preußischen Landtag werden rund 26400 Stimmen für die sozialdemokratischen Wahlmänner abgegeben. Die Wahlen sind öffentlich. In einigen Wahlkreisen geben die Stimmen der sozialdemokratischen Wähler den Ausschlag für die Wahl freisinniger Kandidaten.

27. Dez. 1898

In Berlin findet eine Konferenz sozialdemokratischer Gemeindevertreter der Provinz Brandenburg statt. Die Delegierten beschließen die Wiederholung derartiger Konferenzen alle zwei Jahre. Für die Provinz Brandenburg wird ein sozialdemokratisches KommunaI-Aktionsprogramm verabschiedet.

1899

K. Kautsky veröffentlicht seine Schrift »Die Agrarfrage«.

Jan. 1899

E. Bernsteins Programmschrift »Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie«, aufbauend auf seinen Aufsätzen »Probleme des Sozialismus« wird veröffentlicht; im September erscheint K. Kautskys Antwort »Bernstein und das sozialdemokratische Programm, eine Antikritik«.

Nach E. Bernstein hat sich die Voraussage des Erfurter Programms über die wachsende Verelendung der Arbeiterschaft und seine Katastrophenthese nicht bewahrheitet, vielmehr seien gegenläufige Tendenzen bemerkbar. Die Sozialdemokratie dürfe also nicht mit dem naturnotwendigen Zusammenbruch des Kapitalismus rechnen. Sie müsse deshalb ihre radikal-revolutionären Dogmen revidieren und sich auch in ihrer theoretischen Zielsetzung zu dem bekennen, »was sie heute in Wirklichkeit ist: eine demokratisch-sozialistische Reformpartei«.

In diesem Sinne wollte er seinen häufig mißdeuteten Ausspruch verstanden wissen: »daß mir die Bewegung alles - das, was man gemeinhin Endziel des Sozialismus nenne, nichts sei«.

Letztlich geht es um das Problem »Reform oder Revolution«. Auch die Gegner E. Bernsteins sind Reformisten. Als Schwerpunkt der Kontroverse erweist sich vielmehr die Vorstellung von der gesetzmäßigen Entwicklung zum Sozialismus über das notwendige Durchgangsstadium einer sozialen Revolution. Für E. Bernstein verbindet sich mit der Vorstellung der Revolution das Element der direkten Aktion und der Gewaltanwendung. In diesem Sinne wird »Revolution« in der Partei jedoch kaum mehr gebraucht. Die SPD handelt vielmehr nach K. Kautskys Wort, daß »die Sozialdemokratie eine revolutionäre, aber keine revolutionmachende Partei« sei, d. h., daß sie die radikale Umgestaltung der Wirtschaftsstrukturen durchsetzen will.

3. Febr. 1899

Das Schwurgericht Dresden verurteilt neun Arbeiter wegen »Landfriedensbruch« zu insgesamt 53 Jahren Zuchthaus, acht Jahren Gefängnis und 70 Jahren Ehrverlust. In Löbtau war es nach einem Richtfest zu einer Schlägerei gekommen, bei der der Sohn des Bauunternehmers schwer verletzt wurde. Das Urteil wird in einem großen Teil der Presse wegen seiner Höhe scharf kritisiert. Von der Sozialdemokratie werden in kurzer Zeit über 100 000 Mark zur Unterstützung der Verurteilten gesammelt.

8./13. Mai 1899

3. Gewerkschaftskongreß in Frankfurt: 130 Delegierte, die ca. 500 000 organisierte Arbeiter vertreten, sind anwesend. Tagesordnung: Das Koalitionsrecht der deutschen Arbeiter (C. Legien); die Arbeitsvermittlung (Th. Leipart); Tarife und Tarifgemeinschaften im gewerkschaftlichem Kampfe (E. Döblin); die Gewerbeinspektion (M. Quarck); Arbeitersekretariate (M. Segitz); die Stellung der Gewerkschaftskartelle in der Gewerkschaftsorganisation Deutschlands (H. Stühmer). C. Legien erklärt, die gewerkschaftlichen Organisationen Deutschlands seien nicht sozialdemokratisch. »Aber die Gewerkschaftsmitglieder sind zum allergrößten Teil Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei, da nur diese Partei das politisch vertritt, was wir in unseren gewerkschaftlichen Organisationen fordern.«

Das Koalitionsrecht - die »Zuchthausvorlage« war angekündigt - bildet einen der wichtigsten Verhandlungsgegenstände. Der Kongreß protestiert gegen jede Einschränkung dieses Rechts. Nach lebhaften Diskussionen wird der Tarifvertrag als erstrebenswert bezeichnet und als neues gewerkschaftliches Kampfmittel anerkannt.

Vom Kongreß werden paritätische und kommunale Arbeitsnachweise gutgeheißen. Die Gewerkschaften bekräftigen ihren grundsätzlichen Standpunkt, daß der Arbeitsnachweis den Arbeiterorganisationen gebühre.

Zu Mitgliedern der Generalkommission werden gewählt: C. Legien, G. Sabath, A. Bringmann, A. Röske, F. Paeplow, W. A. Demuth, W. Stromberg.

21/22. Mai
1899

In Mainz findet der erste Kongreß der christlichen Gewerkschaften statt. 48 Delegierte nehmen daran teil. Der Kongreß wählt einen Zentralausschuß. Es wird betont, daß die Gewerkvereine interkonfessionell und politisch unparteiisch seien. Die Aufgabe der christlichen Gewerkvereine bestehe in der wirtschaftlichen, geistigen und sittlichen Hebung des Arbeiterstandes.

Den christlichen Gewerkschaften gehören rd. 110 000 Mitglieder an. 1901 bilden die christlichen Gewerkschaften eine gemeinsame Spitze, den »Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften«. Das Generalsekretariat hat seinen Sitz in Köln.

2. Juni 1899

Dem Reichstag wird ein Gesetzentwurf »Zum Schutz der gewerblichen Arbeitsverhältnisse« - die sogenannte »Zuchthausvorlage« - vorgelegt. Nach ihm sollen alle Versuche, bei Streiks Arbeitswillige an der Arbeit zu hindern, mit Gefängnis, in einigen Fällen sogar mit Zuchthaus bestraft werden, desgleichen alle Versuche, jemanden durch Drohung oder Zwang zur Teilnahme an Vereinigungen, die eine Einwirkung auf Arbeits- oder Lohnverhältnisse bezwecken, zu bestimmen.

Die Sozialdemokratie protestiert in vielen Versammlungen gegen die Vorlage, mit der das Koalitionsrecht aufgehoben werden soll. Auch die freisinnige Presse und die des Zentrums lehnen den Entwurf ab.

22. Juni 1899

In Frankreich wird A. Millerand als erster Sozialdemokrat Minister einer bürgerlichen Regierung.

Juli 1899

Die »Kölnische Abendzeitung« weist auf das Anwachsen der sozialdemokratischen Abgeordnetenzahl in den Landtagen und Gemeinderäten hin. So habe zum Beispiel Sachsen in 333 Gemeinden 809 sozialdemokratische Vertreter aufzuweisen. In drei Gemeinden besitze die Sozialdemokratie die Mehrheit.

17. Juli 1899

Bei den Landtagswahlen in Bayern schließen Sozialdemokraten und Zentrum ein Wahlbündnis ab, das gegen die Nationalliberalen gerichtet ist. Der Sozialdemokratie gelingt es, sechs neue Mandate zu gewinnen.

Einige Zeit danach kommen in Baden Sozialdemokraten und Demokraten überein, bei den Landtagswahlen in einigen Wahlkreisen gemeinsam vorzugehen.

23. Juli 1899

G. Heinemann in Schwelm/Westfalen geboren.

9./17. Okt. 1899

Parteitag in Hannover. 197 Delegierte. Tagesordnung: Die Angriffe auf die Grundanschauungen und taktische Stellungnahme der Partei (A. Bebel); Erörterung der Militärfrage (F. Geyer); die Zuchthausvorlage vor dem Reichstage (M. Segitz); die Maifeier 1900 (W. Pfannkuch).

Zu heftigen Auseinandersetzungen kommt es nach A. Bebels Referat zwischen den »Radikalen« und den »Revisionisten«. Nach der von A. Bebel ausgearbeiteten Resolution - sie wird mit großer Mehrheit (216 zu 21 Stimmen) angenommen - gibt die bisherige Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft der Partei keine Veranlassung, ihre Grundsätze und -forderungen, ihre Taktik, noch ihren Namen zu ändern, das heißt aus der sozialdemokratischen Partei eine demokratisch-sozialistische Reformpartei zu machen. Die Partei stehe nach wie vor auf dem Boden des Klassenkampfes. Sie weise jeden Versuch entschieden zurück, der darauf hinausgehe, ihre Stellung gegenüber der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung und den bürgerlichen Parteien zu verschleiern oder zu verrücken. L. Bernstein kann an dem Parteitag selbst nicht teilnehmen, da gegen ihn noch ein Haftbefehl wegen seiner Redaktionstätigkeit während des Sozialistengesetzes vorliegt.

Im Anschluß an einen Artikel von M. Schippel über das Milizsystem in »Die Neue Zeit« diskutiert der Parteitag über das Militarismus-Problem. Auch künftig seien keinerlei Mittel für das bestehende Militärsystem zu bewilligen.

Die Parteimitglieder werden aufgefordert, in tatkräftiger Weise eine in nächster Zeit zu entfaltende Agitation der weiblichen Parteimitglieder für den weiteren Ausbau des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes und der Rechte der Arbeiterinnen zu unterstützen.

Der Gründung von Wirtschaftsgenossenschaften steht die Partei neutral gegenüber.

Der Parteivorstand wird bestätigt. Bei 226 gültigen Stimmen erhalten: A. Bebel (222), P. Singer (222), A. Gerisch (223), W. Pfannkuch (222), I. Auer (138).

Mitglieder der Kontrollkommission bei 223 gültigen Stimmen werden: H. Meister (203), F. Brühne (154), A. Kaden (154), H. Koenen (122), Clara Zetkin (116), F. J. Ehrhart (110), Th. Metzner (92).

20. Nov. 1899

Die »Zuchthausvorlage« findet im Reichstag keine Mehrheit.


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