TITLE/CONTENTS

Teildokument:
Franz Osterroth / Dieter Schuster
Chronik der deutschen Sozialdemokratie - Band 1

Zeitraum: 1866 - 1876

hier finden Sie Einträge zu folgenden Daten:

Anfang 1866
Febr./März 1866
20./22. Mai 1866
16. Juni/ 23. Aug. 1866
17.Juni 1866
19. Aug. 1866
3. / 8. Sept. 1866
2. Okt. 1866
27. Dez. 1866
30. Dez. 1866
1866/67
12. Febr. 1867
Ende März 1867
16. April 1867
19./20. Mai 1867
17. Mai 1867
31. August 1867
2./8. Sept. 1867
Sept. 1867
Herbst 1867
6./7. Okt. 1867
14. Okt. 1867
22. Nov. 1867
4. Jan. 1868
Januar/April 1868
April 1868
Anfang Juli 1868
6. Juli 1868
23. Juli 1868
Sommer 1868
23./26. Aug. 1868
5./7. Sept. 1868
6./13. Sept. 1868
16. Sept. 1868
26./29. Sept. 1868
28. Sept. 1868
27. Okt. 1868

28. Nov. 1868
29. Nov. 1868
Febr. 1869
28.März/1. April 1869
April 1869
15./17. Mai 1869
22. Mai 1869
29. Mai 1869
31. Mai 1869
18.Juni 1869
26. Juni 1869
17. Juli 1869
7./9. Aug. 1869
9. Aug. 1869
6./11. Sept. 1869
1. Dez. 1869 bis 24. Jan. 1870
5./10. Jan. 1870
17. Mai 1870
4./7. Juni 1870
Sommer 1870
21. Juli 1870
23. Juli 1870
30. Juli 1870
Mitte Aug. 1870
1. Sept. 1870
4. Sept. 1870
5. Sept. 1870
13. Sept. 1870
Ende Sept. 1870
4. Okt. 1870
28. Nov. 1870
17. Dez. 1870
1871
18.Jan.1871
25. Jan. 1871

4. Febr. 1871
3. März 1871
5. März 1871
18. März 1871
18. März/28. Mai 1871
30. März 1871
14. April 1871
24. April 1871
26. April 1871
10. Mai 1871
18./25. Mai 1871
25. Mai 1871
28. Mai 1871
28./30. Mai 1871
1. Juli 1871
12./15. Aug. 1871
13. Aug. 1871
17./23. Sept. 1871
Nov. 1871
8 Dez. 1871
28 Jan. 1872
23 Febr. 1872
11 /26. März 1872
April 1872
22 /25 Mai 1872
15 /17 Juni 1872
18. Juni bis 28.Juli 1872
6. Juli 1872
2. / 7. Sept. 1872
7./11. Sept. 1872
Okt. 1872
Nov.1872
1873
28. Febr. 1873
18./24. Mai 1873
23./27. Aug. 1873

15. Sept. 1873
Jan.1874
10. Jan. 1874
Anfang März 1874
16. Mai 1874
23. Mai 1874
26. Mai bis 5. Juni 1874
8.Juni 1874
23. / 25. Juni 1874
18. / 21. Juli 1874
14. Sept. 1874
23. / 25. Sept. 1874
Mitte Okt. 1874
2. Nov. 1874
13. Nov. 1874
1. Jan. 1875
10. Jan. 1875
14./15. Febr. 1875
26. Febr. 1875
7. März 1875
18. März 1875
1. April 1875
6. April 1875
7. April 1875
22. / 27. Mai 1875
28. / 29. Mai 1875
28. Juli 1875
4. Nov. 1875
Herbst 1875
1. Jan. 1876
9. Jan. 1876
15. Febr. 1876
18. März 1876
30. März 1876
18. Mai 1876
7. Juli 1876
15. Juli 1876
19./23. Aug. 1876



1866 - 1876

Anfang 1866

J. Ph. Becker gibt in der Schweiz heraus: »Der Vorbote«, Organ der Internationalen Arbeiter-Assoziation, ab 1867: Politische und social-ökonomische Monatsschrift, Zentralorgan der Sektionsgruppe deutscher Sprache der Internationalen Arbeiterassociation.

Febr./März 1866

Auf Volksversammlungen in Dresden kommt es zur Annäherung zwischen Arbeitervereinen und Lassalleanern. A. Bebel spricht sich für ein Zusammengehen der Arbeiter aus. Vertreter beider Richtungen beschließen eine gemeinsame Agitation für ein demokratisches Vereins- und Versammlungsrecht und das allgemeine Wahlrecht.

20./22. Mai 1866

Gründung des »Deutschen Buchdruckerverbandes« in Leipzig. Er wird bald die stärkste deutsche Gewerkschaft.

16. Juni/ 23. Aug. 1866

Preußisch-Österreichischer (»Deutscher«) Krieg um die Vorherrschaft in Deutschland, den Preußen gewinnt.

17.Juni 1866

Außerordentliche Generalversammlung des ADAV in Leipzig, an der zwölf Delegierte und Mitglieder aus Leipzig teilnehmen. A. Perl wird mit 6082 gegen 3340 Stimmen, die für K. Hillmann abgegeben werden (C. W. Tölcke war zurückgetreten), zum neuen Präsidenten gewählt. Die Generalversammlung diskutiert Zwistigkeiten innerhalb des ADAV und fordert ein deutsches Parlament nach allgemeinem Wahlrecht.

19. Aug. 1866

A. Bebel und W. Liebknecht laden Vertreter sächsischer Arbeiterbildungsvereine, Vertreter der kleinbürgerlichen Demokratie - wie A. Roßmäßler - und die Bevollmächtigten des ADAV in Sachsen zu einer Versammlung nach Chemnitz ein. Die Eingeladenen gründen die »Sächsische Volkspartei«. In der Präambel des Programms verpflichtet sich die Partei, »die Feinde der deutschen Freiheit und Einheit unter allen Umständen und auf allen Gebieten zu bekämpfen«. Zu den Programmforderungen gehören das unbeschränkte Selbstbestimmungsrecht des Volkes, die Förderung des allgemeinen Wohlstandes und die Befreiung der Arbeit und der Arbeiter von jeglichem Druck und jeglicher Fessel. J. B. v. Schweizer fordert die Mitglieder des ADAV auf, sich der Parteibildung fernzuhalten - hauptsächlich wegen deren antipreußischer Haltung.

3. / 8. Sept. 1866

1. Kongreß der IAA in Genf. An ihm nehmen 60 Delegierte teil, die 25 Sektionen und 11 kooperierende Gesellschaften vertreten. Der Kongreß verlangt gesetzlichen Arbeitsschutz, Kürzung der Arbeitszeit auf acht Stunden, Verbot der Kinderarbeit. Als Sitz des Generalrates wird London bestätigt.

2. Okt. 1866

W. Liebknecht wird nach einer Rede vor dem Berliner Buchdruckerverein verhaftet und wegen Bannbruchs zu drei Monaten Gefängnis verurteilt.

27. Dez. 1866

4. Generalversammlung des ADAV in Erfurt. 12 Delegierte vertreten 26 Orte. Auf der Versammlung kommt es zum Bruch mit der Gräfin Sophie Hatzfeld, die Ende Mai 1867 einen eigenen Verein, den Lassalleschen ADAV gründet, dessen Präsidenten zuerst F. W. Försterling, dann F. Mende werden. Präsident des ADAV bleibt A. Perl.

30. Dez. 1866

Der »Social-Demokrat« veröffentlicht ein »Programm der sozialdemokratischen Partei Deutschlands, beschlossen auf der Generalversammlung des ADAV zu Erfurt«:

1. Gänzliche Beseitigung jeder Föderation, jedes Staatenbundes, unter welchen Formen es auch sei. Vereinigung aller deutschen Stämme zu einer innerlich und organisch durchaus verschmolzenen Staatseinheit, durch welche allein das deutsche Volk einer glorreichen nationalen Zukunft fähig werden kann: Durch Einheit zur Freiheit!

2. Einführung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts, mit geheimer Abstimmung und Diätenzahlung für die staatlichen Volksvertretungen im gesamten deutschen Vaterlande, Sicherstellung der freiheitlichen Volksrechte.

3. Forderung, daß dem jetzt zusammengerufenen Parlament das Recht der beschließenden und nicht bloß beratenden Stimme in allen Angelegenheiten zustehe.

4. Anbahnung der Lösung der sozialen Frage durch freie Arbeiter-Assoziationen und Staatshilfe nach den Prinzipien Ferdinand Lassalles.

1866/67

Wirtschaftliche Krisenjahre und Mißernten.

12. Febr. 1867

Für die Wahlen zum konstituierenden Norddeutschen Reichstag stellen der ADAV und die Sächsische Volkspartei eigene Kandidaten auf. Die letztere konzentriert sich dabei auf die Wahlkreise Glauchau-Meerane (A. Bebel), Crimmitschau-Zwickau (H. Schraps) und Stollberg-Lugau-Schneeberg (W. Liebknecht), J. B. v. Schweizer kandidiert in Elberfeld-Barmen, einer alten Hochburg der Lassalleaner, gegen 0. v. Bismarck und M. Forckenbeck, den liberalen Präsidenten des preußischen Abgeordnetenhauses. Nur A. Bebel und H. Schraps werden gewählt.

Ende März 1867

Der ständige Ausschuß der Arbeitervereine stellt fest, daß die politischen Ereignisse der vergangenen Jahre eine »geradezu verheerende Wirkung« auf die Vereine ausgeübt hätten. An Stelle der eingegangenen »Allgemeinen Arbeiterzeitung« in Coburg soll als Organ des Verbandes die »Arbeiterhalle«, redigiert von J. P. Eichelsdörfer, in Mannheim herausgegeben werden. Die erste Nummer erscheint am 1. Juni 1867.

16. April 1867

Im Norddeutschen Reichstag stimmen die zwei Vertreter der Sächsischen Volkspartei, A. Bebel und H. Schraps, gegen die Bundesverfassung, weil sie keine Grundrechte, kein Steuerbewilligungsrecht, keine Ministerverantwortlichkeit kenne, dafür aber einen »eisernen Militäretat« und die Machtstellung O. v. Bismarcks zulasse.

19./20. Mai 1867

Auf der 5. Generalversammlung des ADAV in Braunschweig (19 Teilnehmer, die 41 Orte mit 2508 Stimmen vertreten) wird J. B. v. Schweitzer zum Präsidenten gewählt. Er erklärt, daß die Arbeiterklasse gegen die Preußen und den Bund beherrschenden reaktionären Gewalten in der schärfsten Opposition verharren müsse. Die Versammlung nimmt »Grundzüge« mit den alten Forderungen an und beschließt eine »Instruktion für die Bevollmächtigten des ADAV«.

Es sollen nur noch Mitgliederversammlungen durchgeführt, aber keine Gemeinden mehr gebildet werden, um politischen Verfolgungen zu entgehen.

17. Mai 1867

Th. Leipart in Neubrandenburg geboren.

31. August 1867

Bei den Wahlen zur ersten Legislaturperiode des Norddeutschen Reichstages werden A. Bebel, W. Liebknecht, H. Schraps und F. Götz von der Sächsischen Volkspartei, J. B. v. Schweitzer und P. A. Reincke (später für ihn F. W. Fritzsche) und in einer Nachwahl W. Hasenclever vom ADAV gewählt. Der Lassallesche ADAV entsendet F. W. Försterling und später F. Mende.

2./8. Sept. 1867

Kongreß der IAA in Lausanne, an dem 64 Delegierte teilnehmen. Die einzelnen Sektionen erstatten ihre Berichte über den Stand der IAA in den verschiedenen Ländern.

Sept. 1867

Der 1. Band von »Das Kapital« erscheint in einer Auflage von 1000 Exemplaren im O. Meissner-Verlag in Hamburg.

Herbst 1867

Im Norddeutschen Reichstag will J. B. v. Schweizer einen aus 47 Paragraphen bestehenden Arbeiterschutzgesetzentwurf einbringen, der den zehnstündigen Arbeitstag für alle erwachsenen Arbeiter und die Einsetzung von Fabrikinspektoren und ständigen Parlamentskommissionen zur Erhebung und Festsetzung der im Gebiete des Norddeutschen Bundes vorhandenen städtischen und ländlichen Arbeiterverhältnisse fordert. Es gelingt ihm nicht, die erforderlichen 15 Unterschriften zu sammeln. W. Liebknecht erklärt, er könne keinen Antrag unterschreiben, der den Norddeutschen Bund durch wichtige Entscheidungen stützen wolle.

6./7. Okt. 1867

4. Vereinstag der Arbeitervereine in Gera. 37 Vereine und drei Gauvereine sind durch 36 Delegierte vertreten. A. Bebel spricht über den Schutz der Bergarbeiter. Anlaß dazu ist ein schweres Grubenunglück im Lugauer Revier. Für die Witwen und Waisen der toten Bergleute werden 1400 Taler gesammelt. Der Vereinstag fordert von den Landesregierungen Haftpflichtgesetze, Verwaltung der Knappschaftskassen durch die Arbeiter. Es wird ein neues Statut verabschiedet. An die Stelle des ständigen Ausschusses soll der Präsident vom Vereinstag direkt gewählt werden. Der Verein, dem der Präsident angehört, wählt den sechs Mitglieder umfassenden Vorstand. Bei der Wahl des Präsidenten siegt A. Bebel mit 19 Stimmen gegen M. Hirsch, der 13 erhält.

14. Okt. 1867

Der »Allgemeine Deutsche Schneiderverein« wird in Leipzig gegründet.

22. Nov. 1867

6. Generalversammlung des ADAV in Berlin. Hier sind 3408 Mitglieder durch 20 Delegierte vertreten. Sie diskutieren die Wahl des Präsidenten in einer Urabstimmung der Mitglieder, die Forderung des 10-Stunden-Tages, die Beschränkung der Arbeitszeit für Jugendliche und das Verbot der Kinderarbeit. J. B. v. Schweitzer wird wiedergewählt.

4. Jan. 1868

In Leipzig erscheint die erste Nummer von »Demokratisches Wochenblatt«, redigiert von W. Liebknecht, als Organ der Deutschen Volkspartei, ab Dezember 1868 auch als Organ des Verbandes deutscher Arbeitervereine.

Januar/April 1868

Der »Social-Demokrat« veröffentlicht eine Serie von Artikeln über das »Kapital« von K. Marx mit ausführlichen Inhaltsangaben.

April 1868

Der Dresdner Arbeiterbildungsverein, dessen Präsident seit September 1867 J. Vahlteich ist, schlägt vor, dem nächsten Vereinstag das Programm der IAA zur Annahme zu empfehlen.

Anfang Juli 1868

A. Bebel teilt J. Ph. Becker mit, er wolle auf dem Vereinstag beantragen, »daß der Vereinstag mit Zweck und Ziel der Internationale sich einverstanden erklärt und den engsten Anschluß an dieselbe erstrebt«.

6. Juli 1868

K. Marx wird von J. B. v. Schweitzer und den Vorstandsmitgliedern des ADAV als Verfasser des »Kapital« in Anerkennung der ganz außerordentlichen Verdienste, die er sich durch das Werk für die Sache der Arbeiter erworben habe, als Ehrengast zur Hamburger Generalversammlung eingeladen. K. Marx lehnt ab, da die Vorarbeiten für den Brüsseler Kongreß der Internationale ihn voll in Anspruch nehmen.

23. Juli 1868

A. Bebel richtet im Auftrag des Verbandes eine Einladung an den Generalrat der IAA, am kommenden Vereinstag teilzunehmen.

Sommer 1868

Zeitungsberichte von M. Hirsch über die englischen Trade Unions üben einen belebenden Einfluß auf die Bildung deutscher Gewerkschaften aus.

23./26. Aug. 1868

7. Generalversammlung des ADAV in Hamburg. 36 Delegierte vertreten ca. 7200 Mitglieder aus 83 Orten. Hauptpunkt der Beratungen bildet die Stellung des Vereins zur Streikbewegung. Mit Mehrheit nimmt die Versammlung einen Antrag an, nachdem Streiks zwar nicht geeignet seien, die Grundlagen der heutigen Produktion zu ändern und somit die Lage der Arbeiterklasse durchgreifend zu verbessern, aber sie seien ein Mittel, um das Klassenbewußtsein der Arbeiter zu fördern, die Polizeibevormundung zu durchbrechen und unter Voraussetzung richtiger Organisation einzelne soziale Mißstände drückender Art aus der heutigen Gesellschaft zu entfernen.

J .B. v. Schweitzer soll als Reichstagsabgeordneter einen allgemeinen deutschen Arbeiterkongreß mit dem Ziel der Gründung von allgemeinen Gewerkschaften einberufen.

5./7. Sept. 1868

5. Vereinstag der Arbeitervereine in Nürnberg. 115 Delegierte vertreten 93 Vereine mit etwa 13 000 Mitgliedern. Unter den Gästen befinden sich drei Vertreter der IAA. A. Bebel wird zum Präsidenten des Kongresses gewählt. Im Mittelpunkt der Beratungen steht die Programmfrage. Die Mehrheit der Delegierten (69 gegen 46 Stimmen) erklärt, daß die Emanzipation der arbeitenden Klassen durch die arbeitenden Klassen selbst erkämpft werden müsse; die ökonomische Abhängigkeit des Mannes der Arbeit von dem Monopolisten der Arbeitswerkzeuge bilde die Grundlage der Knechtschaft in jeder Form, des sozialen Elends, der geistigen Herabwürdigung und der politischen Abhängigkeit; die politische Freiheit sei die unentbehrliche Vorbedingung zur ökonomischen Befreiung der arbeitenden Klassen. Der Vereinstag erklärt seinen Anschluß an die Bestrebungen der IAA. Die liberalen Vertreter verlassen daraufhin den Kongreß. A. Bebel wird gegen zwei Stimmen wieder zum Präsidenten des Vereinstages gewählt. Der Vorort wird beauftragt, tatkräftig für die Vereinigung der Arbeiter in zentralisierten Gewerksgenossenschaften zu wirken, da durch sie Kranken- und Wanderunterstützungs- sowie Altersversorgungskassen erfahrungsgemäß am besten gegründet und erhalten werden könnten. Der Vereinstag beschließt, der Verband solle mit unermüdlicher Tatkraft auf die Beseitigung jeder indirekten Steuer und Einführung einer gerechten direkten Steuer hinwirken.

Das System der stehenden Heere verschärfe die wirtschaftliche Not und ermögliche dynastische Eroberungskriege gegen den Willen des Volkes; auf allgemeine Volksbewaffnung sei hinzuwirken. Es seien nur solche Kandidaten bei Wahlen zu unterstützen, die diese Prinzipien befolgen.

6./13. Sept. 1868

Kongreß der IAA in Brüssel. 100 Delegierte aus 7 Ländern. Er beschäftigt sich mit der Bedeutung des Streiks für die Arbeiterklasse. Der Kongreß fordert die Überführung der großen Produktionsmittel in gesellschaftliches Eigentum.

16. Sept. 1868

Die Leipziger Polizeibehörde löst den ADAV wegen Bildung von Zweigvereinen auf. Doch gründet J. B. v. Schweitzer ihn in Berlin am 10. Oktober wieder. Es schließen sich zwar einige Gewerkschaften an, der Verband besteht aber nicht sehr lange.

26./29. Sept. 1868

Ein von J. B. v. Schweitzer und F. W. Fritzsche nach Berlin einberufener Arbeiterkongreß, auf dem 206 Delegierte aus 110 Orten 142 000 Arbeiter vertreten, beschließt die Bildung eines »Allgemeinen Deutschen Arbeiterschaftsverbandes« als Dachverband zahlreicher Gewerkschaften, zu dessen Präsident J.B, v. Schweitzer gewählt wird. K. Marx lehnt die ihm von J. B. v. Schweitzer übersandten Statuten ab, da die Organisation des Verbandes nach dem Muster des ADAV entworfen sei.

28. Sept. 1868

Auf einer Protestversammlung gegen den Arbeiterkongreß werden die von M. Hirsch ausgearbeiteten »Grundzüge für die Konstituierung der deutschen Gewerkvereine« angenommen. Die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine, die dem Liberalismus nahe stehen, spielen in der deutschen Gewerkschaftsgeschichte nur eine unbedeutende Rolle.

27. Okt. 1868

In Leipzig wird versucht, eine gemeinschaftliche Generalversammlung »zum Zwecke der Einigung und Verschmelzung« der von den beiden Verbänden gegründeten Gewerkschaften zu erreichen. Das scheitert am Widerstand J. B. v. Schweizers.

28. Nov. 1868

A. Bebel veröffentlicht im »Demokratischen Wochenblatt« das von ihm entworfene Musterstatut für Gewerksgenossenschaften. Danach sollen sich die Gewerkschaften von unten aufbauen und Lokal-Gewerkschaften sich zu einem Verband zusammenschließen. An der Spitze der Gewerkschaften soll ein Zentralvorstand stehen, den Vorstand ein Zentralaufsichtsrat kontrollieren. Präsidenten und Vizepräsidenten der Gewerkschaften sollen von den Generalversammlungen gewählt werden.

29. Nov. 1868

In Düsseldorf tagt die öffentliche Generalversammlung der Mitglieder des Lassalleschen ADAV. Präsident F. Mende teilt mit, daß der Verein aus 107 Gemeinden bestehe mit rund 11700 Mitgliedern. Die Versammlung spricht sich gegen Streiks aus.

Febr. 1869

In einem Brief an W. Hasenclever schreibt A. Bebel, daß die Differenzen zwischen den beiden Verbänden nur in der Person J. B. v. Schweizers lägen.

28.März/1. April 1869

9. Generalversammlung des ADAV in Elberfeld-Barmen. W. Liebknecht und A. Bebel nehmen als Gäste teil und greifen J. B. v. Schweitzer wegen seiner preußenfreundlichen Politik an. Bei einem Vertrauensvotum sprechen sich 42 Delegierte, die 7500 Stimmen vertreten, für J. B. v. Schweitzer aus, während sich zwölf Delegierte mit 4500 Stimmen der Stimme enthalten. Die diktatorischen Vollmachten des Vereinspräsidenten werden von der Generalversammlung stark eingeschränkt. Sitz des Vorstandes wird Hamburg.

April 1869

A. Bebel, W. Liebknecht und J.B. v. Schweitzer kommen bei einer Unterredung in Berlin überein, daß die Personen und Organisationen der beiden sozialdemokratischen Parteien gegenseitig nicht mehr angegriffen werden dürfen. Bei ihren Anträgen im Reichstag wollen sich die beiden Parteien untereinander unterstützen.

15./17. Mai 1869

In Leipzig wird die »Internationale Gewerksgenossenschaft der Manufaktur -, Fabrik- und Handarbeiter« auf der Basis des Bebel'schen Musterstatutes gegründet. Frauen können Mitglieder werden. Die Gewerksgenossenschaft fordert für Frauen gleichen Lohn bei gleicher Leistung

22. Mai 1869

Auf der Generalversammlung in Kassel löst sich der »Deutsche Arbeiterschaftsverband« auf. An seiner Stelle wird der »Allgemeine deutsche Arbeiterunterstützungsverband« mit örtlichen Vereinen ohne berufliche Gliederung gegründet. Er zählt rund 35 000 Mitglieder. Die Mitgliederzahl nimmt aber bald ab.

29. Mai 1869

Der Norddeutsche Reichstag nimmt gegen die Stimmen der Sozialdemokraten eine neue Gewerbeordnung an. In deren § 152 werden Verbote und Strafbestimmungen gegen Gewerbetreibende, gewerbliche Gehilfen, Gesellen oder Fabrikarbeiter wegen Verabredungen und Vereinigungen zur Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere durch Einstellung der Arbeit, aufgehoben. Die Bestimmungen dieser neuen Ordnung beziehen sich nicht auf Seeleute, Hausangestellte und Staatsangestellte. Der § 153 stellt die mißbräuchliche Anwendung der Koalitionsfreiheit unter Strafe. Sie wird außerdem durch die bestehenden Vereinsgesetze wesentlich eingeschränkt.

Die von den Sozialdemokraten gestellten Änderungsanträge werden fast alle abgelehnt, so obligatorische Fabrikordnungen für alle Betriebe mit mehr als zehn Arbeitern, Bestimmungen über den Lehrvertrag, Verbot der Kinderarbeit für Kinder unter 14 Jahren in Fabriken, den zehnstündigen Normalarbeitstag für Betriebe mit mehr als zehn Lohnarbeitern und Einführung von Fabrikinspektoren.

31. Mai 1869

In seiner Rede »Über die politische Stellung der deutschen Sozialdemokratie, insbesondere mit Bezug auf den Norddeutschen Reichstag« vor dem Berliner demokratischen Arbeiterverein warnt W. Liebknecht vor einer Überschätzung des allgemeinen Stimmrechts, die, hauptsächlich auf F. Lassalles Autorität sich stützend, zu einem förmlichen Götzendienst geworden sei. Er warnt vor dem Wahn, sich mitten im Polizei- und Militärstaat an dem allgemeinen Stimmrecht aus dem Sumpf des sozialen Elends herausheben zu können. Diese Rede stiftet in der Folgezeit manche Verwirrung innerhalb der Partei.

18.Juni 1869

Im »Social-Demokrat« fordern J.B. v. Schweitzer und F. Mende »vom souveränen Volk« die Wiederherstellung der Einheit der Lassalleschen Partei auf Grund des Lassalleschen Statuts vom Mai 1863. Die Abstimmung über diesen Vorschlag soll binnen drei Tagen geschehen. Dieses als »Staatsstreich« bezeichnete Vorgehen J. B. v. Schweitzers ruft innerhalb des ADAV Widerstand hervor, da sich der Aufruf gegen die Organisationsbeschlüsse von Elberfeld-Barmen richtet. Dennoch kommt es vorübergehend zu einer Einigung der beiden Lassalleschen Gruppen.

26. Juni 1869

Im »Demokratischen Wochenblatt« rufen einige namhafte Mitglieder des ADAV zu einem Einigungskongreß der sozialdemokratischen Arbeiter auf. Gleichzeitig sagen sich die Unterzeichner, unter ihnen W. Bracke und Th. Yorck vom ADAV los, weil J. B. v. Schweitzer den Verein lediglich zur Befriedigung seines Ehrgeizes benutze und ihn zum Werkzeug einer arbeiterfeindlichen reaktionären Politik herabwürdige. Diesem Aufruf schließen sich noch zahlreiche Mitglieder des ADAV an, darunter F. W. Fritzsche. Doch bleibt die Mehrheit der Mitglieder zunächst dem ADAV treu.

17. Juli 1869

Im »Demokratischen Wochenblatt« erscheint ein Aufruf »An die deutschen Sozialdemokraten«, unterzeichnet von 60 ehemaligen Mitgliedern des ADAV und über 100 Mitgliedern des Verbandes deutscher Arbeitervereine, aber auch von den Vertretern des Lassalleschen ADAV, des Zentralkomitees der deutschen Arbeitervereine in der Schweiz, österreichischen Arbeitern, der deutschen Sektion der IAA und des deutsch-republikanischen Vereins in Zürich. In diesem Aufruf - einer Reaktion auf den »Staatsstreich« - weisen die Unterzeichner auf die Notwendigkeit hin, »die Partei der gesamten sozialdemokratischen Arbeiter Deutschlands in sich zu einigen«. Auf den 7., 8. und 9. August wird ein allgemeiner deutscher Arbeiterkongreß nach Eisenach einberufen.

7./9. Aug. 1869

Auf dem Kongreß in Eisenach sind 262 Delegierte und 110 Anhänger von J. B. v. Schweitzer vertreten. Die Versammlung wird zunächst von letzteren gesprengt.
Tagesordnung: Programm und Organisation (A. Bebel); das Verhältnis zur IAA; das Parteiorgan; die Gewerksgenossenschaften. Der Kongreß beschließt, die »Sozialdemokratische Arbeiterpartei« zu gründen. In ihrem neuen Programm erklärt sich die Partei ausdrücklich als Zweig der IAA. Der Kampf für die Befreiung der arbeitenden Klassen sei nicht ein Kampf für Klassenprivilegien und Vorrechte, sondern für gleiche Rechte und gleiche Pflichten und für die Abschaffung aller Klassenherrschaft. Die ökonomische Abhängigkeit des Arbeiters von den Kapitalisten bilde die Grundlage der Knechtschaft in jeder Form. Die Sozialdemokratische Partei erstrebe deshalb, unter Abschaffung der jetzigen Produktionsweise, den vollen Arbeitsertrag für jeden Arbeiter und den »Freien Volksstaat«. Als nächste Forderungen in der Agitation der Partei werden unter anderem genannt: Erteilung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts an alle Männer vom 20. Lebensjahr für das Parlament und die Landtage der Einzelstaaten; den gewählten Vertretern sind genügend Diäten zu gewähren; direkte Gesetzgebung durch das Volk; Miliz an Stelle des stehenden Heeres; Trennung von Staat und Kirche; Abschaffung aller indirekten Steuern; Koalitions-, Vereins- und Pressefreiheit; der Normalarbeitstag; Einschränkung der Frauen-, Verbot der Kinderarbeit; staatliche Förderung des Genossenschaftswesens und Staatskredite für freie Produktionsgenossenschaften unter demokratischen Garantien.

An der Spitze der Partei steht ein fünfköpfiger Ausschuß, der von den im »Vorort« wohnenden Mitgliedern gewählt wird (mit Sitz in Braunschweig), und eine elfköpfige Kontrollkommission (mit Sitz in Hamburg), die die Geschäftsleitung des Ausschusses zu kontrollieren hat. Ober dem Ausschuß steht der Parteikongreß, der mindestens einmal im Jahr stattfinden muß. Der Kongreß bestimmt den Vorort-Sitz des Parteiausschusses. Die Organisation beruht auf dem Vertrauensmännersystem. Die Parteimitglieder sind verpflichtet, überall aufgrund des Parteiprogramms sozialdemokratische Arbeitervereine zu gründen. Zum Parteiorgan wird das »Demokratische Wochenblatt« bestimmt, das vom 1. Oktober ab dreimal wöchentlich unter dem Titel »Der Volksstaat«, Organ der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und der internationalen Gewerksgenossenschaften, erscheint. »Der Volksstaat« ist Eigentum der Partei, Abonnenten des »Volksstaat« werden von der Parteibeitragspflicht befreit.

Der Kongreß beschließt, daß es Pflicht der Parteimitglieder sei, auf eine Einigung der Gewerkschaften mit allen Mitteln hinzuwirken und empfiehlt die weitere Bildung von Gewerksgenossenschaften auf internationaler Grundlage.

Mitglieder des Parteiausschusses (Parteivorstandes) werden: L. v. Bonhorst, W. Bracke, J. H. Ehlers, F. Neidel und S. Spier.

9. Aug. 1869

6. Vereinstag des Verbandes der deutschen Arbeitervereine in Eisenach. Der Vereinstag beschließt die Auflösung des Verbandes und den Anschluß an die Sozialdemokratische Arbeiterpartei.
Zum Verband zählen 109 Vereine mit rund 10 000 Mitgliedern.

6./11. Sept. 1869

Kongreß der IAA in Basel. Neun Länder sind durch 78 Delegierte vertreten. Aus Deutschland stammen unter anderem W. Liebknecht und M. Heß, der in Paris lebt. Hauptpunkt der Beratungen ist die Stellung der Sozialdemokraten zur Grund- und Bodenfrage. Die Gesellschaft habe das Recht, das individuelle Eigentum an Grund und Boden abzuschaffen und den Grund und Boden in Gemeineigentum umzuwandeln. W. Liebknechts Zustimmung zu dieser Resolution vollendet seinen und A. Bebels Bruch mit der Deutschen Volkspartei.

Der Kongreß betont die Notwendigkeit, die Gewerkschaftsorganisationen im Rahmen eines jeden Landes zusammenzuschließen.

1. Dez. 1869 bis 24. Jan. 1870

Im Waldenburger Revier (Niederschlesien) bricht der bis dahin größte Bergarbeiterstreik aus - 6400 von 7400 Mann des Reviers beteiligen sich -, weil die Arbeitgeber den Austritt aus dem Hirsch-Dunckerschen Gewerkverein fordern. Die Mitglieder der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei beteiligen sich aktiv an den in ganz Deutschland durchgeführten Sammlungen für die Streikenden. Dennoch muß der Streik wegen fehlender finanzieller Mittel abgebrochen werden.

5./10. Jan. 1870

10. Generalversammlung des ADAV in Berlin, auf dem 39 Delegierte rund 8000 Mitglieder vertreten. Der Verein beschließt gegen das preußische Dreiklassenwahlrecht nach wie vor durch Stimmenthaltung zu protestieren. Nach einer längeren Debatte über den »Social-Demokrat« lehnt es die Versammlung ab, den »Social-Demokrat« in Parteieigentum zu übernehmen. Der Präsident ist nach dem allgemeinen, direkten und gleichen Wahlrecht zu wählen. Die Aufstellung der Reichstagskandidaten wird von der Genehmigung des Präsidenten und des Vorstandes des ADAV abhängig gemacht.

17. Mai 1870

Auf einer Sitzung des Generalrates der IAA wird auf K. Marx' Vorschlag die Einladung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, den nächsten Kongreß der IAA in Mainz abzuhalten, einstimmig angenommen. Wegen des Kriegsausbruches kommt dieser Kongreß nicht zustande.

4./7. Juni 1870

Kongreß der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Stuttgart. 66 Delegierte, die 111 Orte mit rund 13 000 Mitgliedern vertreten. Tagesordnung: Die Genossenschafts- und Gewerkschaftsbewegung in Deutschland (Th. Yorck); die politische Stellung der Partei (W. Liebknecht); die Grund- und Bodenfrage (A. Bebel).

Im Mittelpunkt der Beratungen steht die Taktik bei den kommenden Reichstagswahlen - sie werden durch den Kriegsausbruch nicht abgehalten. Der Kongreß erklärt, das Parlament grundsätzlich als Tribüne zur Darlegung des Klassenstandpunktes des Proletariats zu benutzen.

Die bayerischen Mitglieder des ADAV schließen sich der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei an.

Der Kongreß spricht die Ansicht aus, daß die ökonomische Entwicklung der modernen Gesellschaft es zu einer gesellschaftlichen Notwendigkeit machen werde, das Ackerland in gemeinschaftliches, gesetzliches Eigentum zu verwandeln. Mitglieder des Ausschusses werden L. v. Bonhorst, W. Bracke, H. Gralle, J. A. K. Kühn und S. Spier.

Sitz (»Vorort«) des Ausschusses wird Braunschweig, der Kontrollkommission Hamburg.

Sommer 1870

A. Bebels erste Broschüre erscheint: »Unsere Ziele«.

21. Juli 1870

Nach der französischen Kriegserklärung am 19. Juli tagt der Reichstag, um über die zu bewilligenden Kriegskredite zu beraten. Bei der Schlußabstimmung enthalten sich A. Bebel und W. Liebknecht der Stimme, weil sie der preußischen Regierung, die durch ihr Vorgehen 1866 diesen Krieg vorbereitet habe, kein Vertrauensvotum, andererseits aber auch nicht durch eine Ablehnung der Kredite eine Billigung der frevelhaften Politik Napoleons III. aussprechen wollen. Die Vertreter der ADAV und F. W. Fritzsche stimmen für die Kredite.

23. Juli 1870

In der Ersten Adresse des Generalrats über den Deutsch-Französischen Krieg erklärt K. Marx, daß die deutschen Arbeiter darüber wachen müssen, daß der Krieg nicht in einen Krieg gegen das französische Volk hinüberwächst.

30. Juli 1870

Gegen die Stimmenthaltung opponiert der Braunschweiger Parteiausschuß in einem Aufruf. Deutschland sei unschuldig am Kriege, es sei die Aufgabe, bei der Geburt dieses, ganz Deutschland umfassenden Staates, bestimmend mitzuwirken.

Mitte Aug. 1870

K. Marx wird vom Braunschweiger Ausschuß aufgefordert, zum Streit zwischen dem Ausschuß, A. Bebel und W. Liebknecht über die Stellung der Partei zum Kriege Direktiven zu schicken.

1. Sept. 1870

K. Marx fordert die Partei zum Protest gegen die geplante Annexion Elsaß-Lothringens auf, da diese unvermeidlich zu einem Krieg zwischen Deutschland einerseits und Frankreich und Rußland andererseits führen werde.

4. Sept. 1870

Frankreich wird Republik.

5. Sept. 1870

Der Braunschweiger Ausschuß veröffentlicht einen Aufruf »An alle deutschen Arbeiter«, in den K. Marx' Darlegungen vom 1. September zum Teil wörtlich übernommen werden. Der Ausschuß fordert zu Kundgebungen gegen die geplante Annexion Elsaß-Lothringens und für einen ehrenvollen Frieden mit der französischen Republik auf.

13. Sept. 1870

Auf Befehl des Oberkommandierenden in Norddeutschland, General E. Vogel v. Falkenstein, werden die Mitglieder des Braunschweiger Ausschusses W. Bracke, L. v. Bonhorst, S. Spier, J. A. K. Kühn und der Druckereibesitzer H. Sievers, in dessen Druckerei der Aufruf gedruckt worden war, in Ketten gefesselt nach der Feste Lötzen an der russischen Grenze gebracht. In Hamburg wird A. Geib, in Königsberg J. Jacoby verhaftet.

Ende Sept. 1870

Das Generalgouvernement für das 12. Armeekorps in Sachsen erläßt eine Verordnung, nach der alle Volksversammlungen, in denen die Endziele des Krieges behandelt werden, verboten sind.

4. Okt. 1870

Auf K. Marx' Vorschlag wird F. Engels zum Mitglied des Generalrates der IAA gewählt. Er übernimmt später das Sekretariat für Italien und Spanien.

28. Nov. 1870

A. Bebel, F. W. Fritzsche, W. Hasenclever, F. Mende und J. B. v. Schweitzer stimmen gegen weitere Kriegskredite, da mit der Gefangennahme Napoleons die eigentliche Kriegsursache beseitigt sei.

17. Dez. 1870

A. Bebel, W. Liebknecht und A. Hepner werden wegen ihrer als Versuch und Vorbereitung zum Hochverrat erklärten politischen Haltung verhaftet und bis 28. März 1871 in Untersuchungshaft gehalten.

1871

Von F. Engels übersetzt, erscheint im »Volksstaat« (Nr. 52-61) die von K. Marx geschriebene Adresse des Generalrats der IAA an alle Mitglieder in Europa und den Vereinigten Staaten »Der Bürgerkrieg in Frankreich«.

18.Jan.1871

Proklamation des Deutschen Kaiserreiches in Versailles.

25. Jan. 1871

W. Weitling, geboren 5. Oktober 1808 in Magdeburg, in New York gestorben.

4. Febr. 1871

F. Ebert in Heidelberg geboren.

3. März 1871

Bei den Reichstagswahlen können nur A Bebel und H. Schraps ihre Mandate verteidigen; A. Bebel dabei gegen H. Schulze-Delitzsch, obwohl er während der Wahlkampagne noch inhaftiert war. Auf den ADAV entfallen ca. 60 000 und auf die Sozialdemokratische Arbeiterpartei ca. 40 000 Stimmen, das sind zusammen drei Prozent aller Stimmen. Bei diesen Wahlen werden von den rund 60 000 Stimmen der Lassalleaner 45 000 in Preußen, ca. 7000 in den Hansestädten, von den ca. 40 000 Stimmen der »Eisenacher« 31 000 in Sachsen, je 2500 in Bayern und Braunschweig abgegeben.

5. März 1871

Rosa Luxemburg in Zamosz (Polen) geboren.

18. März 1871

J. B. v. Schweitzer kündigt seinen Rücktritt als Präsident des ADAV an, nicht zuletzt wegen seiner Wahlniederlage bei den Reichstagswahlen. Bis zur Wahl des neuen Präsidenten führt er die Geschäfte weiter.

18. März/28. Mai 1871

Pariser Kommune. In Paris wird die Regierung A. Thiers gestürzt. Die Regierungsgewalt wird durch Vertreter der Handwerker und Arbeiter übernommen.

30. März 1871

Die Mitglieder des Braunschweiger Parteiausschusses werden aus der Haft entlassen, nachdem das Obergericht in Wolfenbüttel die Erhebung einer Anklage wegen Hoch- und Landesverrats abgelehnt hat. Sie werden dennoch im Herbst wegen einiger Verstöße gegen verschiedene Paragraphen des Strafgesetzbuches zu mehrmonatigen Gefängnisstrafen verurteilt.

14. April 1871

Der Reichstag nimmt die Reichsverfassung an. Vom Reichstag angenommene Gesetze bedürfen der Zustimmung des Bundesrates, in dem Preußen dominiert. Der Reichskanzler wird vom Kaiser berufen und ist nur ihm rechenschaftspflichtig. Der Kaiser entscheidet über Krieg und Frieden. Der Reichstag bewilligt den Haushalt.

24. April 1871

A. Bebel und H. Schraps stimmen gegen die dritte Kriegsanleihe.

26. April 1871

Der »Social-Demokrat« stellt sein Erscheinen ein.

10. Mai 1871

Der Friede zwischen Frankreich und Deutschland wird in Frankfurt a. M. unterzeichnet.

Die hohen Kriegsentschädigungen aus Frankreich führen zu einer sehr starken Ausbreitung der Industrialisierung Deutschlands. Allein 1871 und 1872 werden in Preußen etwa 780 Aktiengesellschaften gegründet, gegenüber ungefähr 300 in der Zeit von 1790 bis 1870.

18./25. Mai 1871

Auf der Generalversammlung des ADAV in Berlin, an der 34 Delegierte teilnehmen, die ca. 5300 Mitglieder repräsentieren, wird W. Hasenclever zum neuen Präsidenten des ADAV und K. Derossi zum Sekretär gewählt. J. B. v. Schweitzer zieht sich ganz aus der Politik zurück und betätigt sich als Schriftsteller und Bühnenautor.

25. Mai 1871

A. Bebel verteidigt im Reichstag während der Verhandlungen über den Gesetzentwurf, betreffend die Vereinigung Elsaß-Lothringens mit dem Reich, die vielgeschmähte Pariser Kommune. Das europäische Proletariat sehe hoffnungsvoll auf Paris.

Während der Beratungen über das Sozialistengesetz erklärt O. v. Bismarck im Reichstag, daß es diese Rede A. Bebels gewesen sei, die ihm die Gefährlichkeit des Sozialismus vor Augen geführt habe.

28. Mai 1871

Die letzten Mitglieder der Pariser Kommune ergeben sich. Die Regierungstruppen richten unter den Teilnehmern des Aufstandes ein furchtbares Blutbad an.

28./30. Mai 1871

In Glauchau nehmen 147 Delegierte aus 85 Orten am ersten deutschen Webertag teil. A. Bebel hält das Hauptreferat. Er fordert die Errichtung ständiger Schiedsgerichte zur Verhütung von Streiks. In Resolutionen werden das Verbot der Kinderarbeit und die gesetzliche Einführung eines zehnstündigen Normalarbeitstages verlangt. Nach einem weiteren Webertag in Berlin bricht die Bewegung wieder zusammen.

1. Juli 1871

Die erste Nummer des »Neuen Social-Demokrat«, dessen Herausgabe von der letzten Generalversammlung beschlossen worden war, erscheint in Berlin als vereinseigene Zeitung des ADAV dreimal wöchentlich; Redakteur ist W. Hasselmann.

12./15. Aug. 1871

Kongreß der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Dresden. 56 Delegierte aus 81 Orten vertreten 6255 Parteimitglieder. Th. Yorck spricht über den gesetzlichen Zehnstundentag, A. Bebel über die Forderung nach Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts für die Landtags- und Gemeindewahlen, W. Bracke über das neue Haftpflichtgesetz. Der Kongreß erklärt das vom Reichstag erlassene Haftpflichtgesetz für die Arbeiter als völlig unzureichend.
Als Sitz des Parteiausschusses wird Hamburg, als Sitz der Kontrollkommission Berlin bestimmt.
Mitglieder des Parteivorstandes werden: G. A. Müller (Vorsitzender); T. Külbel (2. Vorsitzender); Th. Yorck (Schriftführer); H. Bennecke (Kassierer); E. Paulssen (Beisitzer).

13. Aug. 1871

K. Liebknecht in Leipzig geboren.

17./23. Sept. 1871

Konferenz der IAA in London, an der 23 Delegierte teilnehmen. Sie beschäftigt sich hauptsächlich mit der in der Schweiz und Italien aufgetretenen Jura-Föderation, die gegen die Machtbefugnisse des Generalrats opponiert. In einer von K. Marx ausgearbeiteten und von der Konferenz angenommenen Resolution wird festgestellt, daß die Bildung selbständiger Arbeiterparteien für die politischen Aktionen unerläßlich sei. Das richtet sich gegen die in verschiedenen Ländern auftretenden anarchistischen Bestrebungen.

Nov. 1871

Der »Neue Social-Demokrat« behauptet, daß der ADAV die einzige sozialdemokratische Partei sei

8 Dez. 1871

Das Leipziger Polizeiamt verbietet die fernere Mitgliedschaft in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei auf Grund des Vereinsgesetzes

28 Jan. 1872

0 Braun in Königsberg geboren

23 Febr. 1872

Die Leipziger Polizei verbietet das Werben für die IAA und deren Mitgliedschaft

11 /26. März 1872

In Leipzig stehen A Bebel, W Liebknecht und A Hepner vor Gericht, angeklagt wegen Hochverrats A Bebel und W Liebknecht werden zu je zwei Jahren Festungshaft verurteilt, A Hepner wird freigesprochen.

Der »Volksstaat« erklärt, der Prozeß habe »unendlich viel für die Verbreitung unserer Prinzipien gewirkt«

April 1872

F Engels kritisiert - auch im Namen von K Marx - bei W Liebknecht den »Volksstaat« wegen des dann häufig zum Ausdruck kommenden Lassalleanismus Sie fordern einen energischen Kampf gegen den Einfluß der lassalleanischen Elemente innerhalb der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei

22 /25 Mai 1872

Auf der Generalversammlung des ADAV in Berlin sind 44 Delegierte aus 94 Orten mit ca. 8000 Mitgliedern vertreten In der Versammlung zeigt sich eine Opposition gegen die Gewerkschaftsbewegung Alle innerhalb des Vereins bestehenden Gewerkschaften seien aufzulösen und die Mitglieder dem ADAV zuzuführen, da deren weitere Ausdehnung die Zentralisation der Arbeiterbewegung störe Eine Einigung mit den Eisenachern wird abgelehnt

15 /17 Juni 1872

In Erfurt findet ein von Mitgliedern der »Eisenacher Partei« unter besonderer Aktivität von Th. Yorck organisierter Gewerkschaftskongreß statt, an dem 52 Delegierte teilnehmen Sie vertreten rund 11 000 Gewerkschaftsmitglieder Der Kongreß erklärt sich für parteipolitisch neutrale Gewerkschaften Sie sollen in einer Gewerkschaftsunion zusammengefaßt werden - ein Gedanke Th. Yorcks, der dann in der »Generalkommission« verwirklicht wird Alle Sozialdemokraten sollen die Gewerkschaftsbewegung nach Kräften fördern Als Zentralorgan soll »Die Union« wöchentlich erscheinen, ihr Sitz Leipzig sein Die Verwirklichung scheitert an den bestehenden Vereinsgesetzen und polizeilichen Maßnahmen.

18. Juni bis 28.Juli 1872

Großer Bergarbeiterstreik in Westfalen, der abgebrochen werden muß.

6. Juli 1872

A. Bebel, wegen Majestätsbeleidigung angeklagt, wird zu neun Monaten Gefängnis und Verlust seines Reichstagsmandats verurteilt. In einer Nachwahl am 10. Januar 1873 wird er wieder gewählt, mit fast 4000 Stimmen mehr als vorher.

2. / 7. Sept. 1872

An dem 5. Kongreß der IAA in Den Haag nehmen 65 Delegierte aus 15 Ländern, darunter K. Marx und F. Engels, teil. Der Kongreß steht ganz im Zeichen der Auseinandersetzungen mit den Anarchisten unter M. Bakunin und der Angriffe der Jura-Föderation gegen den Generalrat. Die Resolution von London über die Notwendigkeit, selbständige politische Parteien zu gründen, wird in die Statuten aufgenommen. Auf F. Engels' Antrag wird der Sitz des Generalrats von London nach New York verlegt. Die IAA ist faktisch gespalten, die Gegensätze sind unüberbrückbar geworden.

7./11. Sept. 1872

Am 4. Kongreß der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei nehmen 51 Delegierte teil, die rund 5800 Mitglieder vertreten. Tagesordnung: Grundsätze der Sozialdemokratie (J. Most); Organisation und Agitation der SDAP (Th. Yorck). In einer Entschließung wird die Redaktion des »Volksstaates« beauftragt, gegenüber den »Lassalleanern« eine versöhnliche Haltung einzunehmen, da der »ADAV seinen sozialistischen Prinzipien gemäß der einzige natürliche Bundesgenosse ist«. E. Prey wird zum Vorsitzenden, E. Lenz zum stellv. Vorsitzenden, Th. Yorck zum Schriftführer, H. Bennecke zum Kassierer und E. Siedentopf zum Beisitzer gewählt. Neuer Sitz der Kontrollkommission wird Breslau, der Ausschuß bleibt in Hamburg.

Okt. 1872

Gründung des »Vereins für Sozialpolitik« mit den Sozialpolitikern G. Schmoller, L. Brentano und A. Wagner. Der Verein setzt sich für soziale Reformen ein (»Kathedersozialismus«).

Nov.1872

Von Hamburger Mitgliedern des ADAV aufgefordert, wieder in die Arbeiterbewegung einzutreten, äußert sich J.B. v. Schweitzer, der diesen Wunsch ablehnt, über den Stand der Arbeiterpartei. Er billigt nur der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei die Eigenschaft einer sozialdemokratischen Partei zu und erklärt die Verschmelzung der beiden Parteien für eine unaufschiebbare Notwendigkeit. J.B. v. Schweizers »Schmähschrift« wird von Seiten des ADAV heftig angegriffen.

1873

Nach den hektischen Gründerjahren beginnt eine schwere Wirtschaftskrise, die bis 1878/79 anhält. Sie führt u. a. zu einem starken Anwachsen der Zahl der Auswandernden.

Der erste Reichstarifvertrag der Buchdrucker wird abgeschlossen.

Die »Sozialpolitischen Blätter«, herausgegeben von W. Hasenclever, erscheinen zum ersten Male. Auf der Generalversammlung des ADAV 1874 wird beschlossen, die »Blätter« vom Verein zu übernehmen.

28. Febr. 1873

Die Berliner Arbeiterfrauen Berta Hahn, Pauline Staegemann und Johanna Schackow gründen den »Berliner Arbeiterfrauen- und Mädchenverein«. Sie erklären, daß die Lage des weiblichen Geschlechts nur durch eine vollständige soziale Umwälzung der heutigen Gesellschaft verbessert werden könne.

18./24. Mai 1873

Generalversammlung des ADAV in Berlin, auf der 67 Delegierte ca. 16 000 Mitglieder vertreten. Die Versammlung geht auf Vorschlag des Vorstandes über die Einigungsvorschläge der »Eisenacher Partei« zur Tagesordnung über und lehnt ein gemeinsames Vorgehen bei den Reichstagswahlen ab.

Streiks werden nun als berechtigte, wenn auch unzureichende Akte der Notwehr der Arbeiterklasse innerhalb des heutigen Gesellschaftszustandes anerkannt. Die endgültige Befreiung der Arbeit vom Druck des Kapitals könne aber nur durch den Sozialismus, also durch die politische Agitation und die feste Organisation des ADAV erreicht werden.

W. Hasenclever als Präsident und K. Derossi als Schriftführer werden bestätigt.

23./27. Aug. 1873

In Eisenach tagt der Kongreß der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, der für Nürnberg verboten worden war. 70 Delegierte vertreten 9224 Mitglieder aus über 130 Orten. Tagesordnung: Bericht über den »Volksstaat« (A. Geib). Da die Einigung mit dem ADAV nach dessen Kongreß wieder schwieriger geworden sei, verlangt der Kongreß, jeden Einigungsversuch einzustellen.

Der Kongreß erklärt, daß die Partei die Reichstagswahlen nur als Agitationsmittel und als Prüfstein für die Verbreitung ihrer Prinzipien betrachte. Sie lehne jeden Kompromiß mit anderen Parteien ab. Der Kongreß empfiehlt den Parteimitgliedern, die Parteiprinzipien nach Kräften durch Wort und Schrift unter der Landbevölkerung zu verbreiten, um dadurch möglichst auch einer gewerkschaftlichen Organisation der Landarbeiter Bahn zu brechen. Der Parteiausschuß wird beauftragt, sobald die Verhältnisse es gestatten, eine belletristische Parteizeitschrift (Unterhaltungsblatt) zu gründen.
Zum »Vorort« wird Hamburg, zum Sitz der Kontrollkommission Frankfurt a. M. gewählt.

In den Parteiausschuß werden gewählt: E. Prey (1. Vors.); E. Lenz (2. Vors.); Th. Yorck (Schriftführer).

15. Sept. 1873

O. Wels in Berlin geboren.

Jan.1874

Nach Versetzung des Staatsanwaltes H. v. Tessendorff nach Berlin nehmen die Prozesse gegen Parteimitglieder beider Parteien stark zu. So werden allein in Preußen in den ersten sieben Monaten 87 Mitglieder des ADAV zu insgesamt 211 Monaten und drei Wochen Gefängnis verurteilt. Das schärfere polizeiliche Vorgehen gegen Parteimitglieder trägt wesentlich dazu bei, die Einigung beider Parteien zu beschleunigen.

10. Jan. 1874

Bei der Reichstagswahl erhalten die beiden sozialdemokratischen Parteien zusammen 351 670 Stimmen = 6,8 %. Damit gewinnen sie 9 Mandate (6 Eisenacher, 3 Lassalleaner). In Berlin kommt zum ersten Male ein Sozialdemokrat in die Stichwahl. Für die Wahl schreibt A. Bebel in der Festung eine Broschüre, die anonym unter dem Titel »Die parlamentarische Tätigkeit des Reichstags und der Landtage und die Sozialdemokratie von 1871 bis 1873« erscheint. Der »Neue Social-Demokrat« hatte sich ausdrücklich bereit erklärt, während der Wahlzeit die Polemik gegen den »Volksstaat« einzustellen, und der Vorstand der Lassalleaner beschloß, bei Stichwahlen die Kandidaten der Eisenacher zu wählen.

Anfang März 1874

W. Hasenclever schlägt vor, am 18. März den Gedenktag der Erhebung der Kommune von Paris zu feiern, was verboten wird.

16. Mai 1874

Der Reichstagsabgeordnete J. Most wird zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, da er verschiedene Klassen gegeneinander zu Gewalttätigkeiten aufgereizt habe.

23. Mai 1874

L. Frank in Nonnenweier (Baden) geboren.

26. Mai bis 5. Juni 1874

Auf der Generalversammlung des ADAV in Hannover vertreten 68 Delegierte rund 17 000 Mitglieder. Es entsteht eine längere Debatte über die Notwendigkeit von Gewerkschaften und die Vereinigung der beiden Parteien. Die Beschlüsse von 1873 über die Vereinigung werden jedoch bestätigt. W. Hasenclever wird als Präsident wiedergewählt.

8.Juni 1874

Nach Haussuchungen bei den Führern des ADAV in Berlin wird der Verein in Berlin, im Juni und August auch in fast allen anderen preußischen Städten geschlossen und am 25. Juni aufgelöst. In Berlin entgehen auch die Sozialdemokratische Arbeiterpartei und zahlreiche Handwerkervereine nicht dem Verbot. Der Sitz des ADAV wird am 10. Juni von Berlin nach Bremen verlegt. Zahlreiche Arbeiterversammlungen werden von nun an verboten unter dem Vorwand, sie seien Fortsetzungen der verbotenen Vereinsorganisationen.

23. / 25. Juni 1874

In Magdeburg findet ein weiterer Kongreß zur Bildung einer Gewerkschaftsunion statt. 30 Delegierte, vor allem der Metallarbeiter-, der Holzarbeiter-, der Maurer- und der Manufakturarbeitergewerkschaft, sind anwesend. Der Kongreß beschließt einstimmig die Gründung einer »Gewerkschafts-Union« und verabschiedet ein Statut, in dem die Herausgabe einer eigenen Zeitung »Die Union«, Organ der deutschen Gewerksgenossenschaften, vorgesehen ist. Nach dem Tode von Th. Yorck zerfällt die »Gewerkschafts-Union« wieder.

18. / 21. Juli 1874

6. Kongreß der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Coburg. 52 Delegierte haben Mandate von 142 Orten und 8767 Mitgliedern. Tagesordnung: Die politische Stellung der SDAP (W. Liebknecht, J. Motteler); die industrielle und ländliche Arbeiterfrage (Th. Yorck, K. Grillenberger).

Der Kongreß stellt fest, daß der alte Hader zwischen den beiden Parteien seit den Reichstagswahlen im Schwinden begriffen sei, doch sei die Haltung des ADAV gegenüber einer Vereinigung reserviert, wie der Beschluß der Generalversammlung in Hannover gezeigt habe. Dennoch erklärt der Kongreß in Coburg der Vereinigungsfrage »zugeneigt zu sein«. Eine Programmdebatte wird auf den nächsten Parteikongreß vertagt.

Die Versammlung anerkennt die Solidarität der industriellen und ländlichen Arbeiter und will durch planmäßige Agitation die sozialistischen Grundsätze unter der Landbevölkerung verbreiten. Zur Begründung von lokalen Parteiblättern sei die Zustimmung des Ausschusses einzuholen.

14. Sept. 1874

Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei wird in München durch die Polizeidirektion verboten, da durch ihre Tätigkeit die religiösen und gesellschaftlichen Grundlagen des Staates bedroht seien.

23. / 25. Sept. 1874

K. Marx trifft in Leipzig mit W. Liebknecht, W. Blos und einigen Vertretern der Leipziger Parteiorganisation zusammen.

Mitte Okt. 1874

Beginn der Verhandlungen von Vertretern der SDAP und des ADAV über die Vereinigung beider Parteien.

2. Nov. 1874

R. Breitscheid in Köln geboren.

13. Nov. 1874

W. Dittmann in Eutin geboren.

1. Jan. 1875

Th. Yorck, geboren 13. Mai 1830 in Breslau, Tischler, einer der Mitbegründer des ADAV und später der Sozialdemo
kratischen Arbeiterpartei, Sept. 1868 Präsident des Deutschen Holzarbeitervereins, in Hamburg gestorben. 7000 Hamburger Arbeiter, darunter Mitglieder beider Parteien, nehmen an der Beerdigung teil.

10. Jan. 1875

W. Hasenclever erklärt in einem Aufruf an die Mitglieder des ADAV, daß die Mehrheit der Lassalleaner für eine Vereinigung sei, aber die Aufnahme der Lassalleschen Forderungen und Anschauungen ins kommende Parteiprogramm verlange und für die Beibehaltung der straffen zentralistischen Organisation eintreten wolle.

14./15. Febr. 1875

16 Mitglieder beider Parteien arbeiten in einer Konferenz in Gotha einen Programm- und Organisationsentwurf aus.

26. Febr. 1875

H. Böckler in Trautskirchen (Mittelfranken) geboren.

7. März 1875

Die Führungsgremien der beiden sozialdemokratischen Parteien rufen zu einem für den 23. bis 25. Mai festgesetzten Kongreß auf, auf dem die Vereinigung der beiden Parteien beraten und beschlossen werden soll. Gleichzeitig mit diesem Aufruf werden ein Programmentwurf und ein Organisationsplan veröffentlicht.

18. März 1875

»Zerstören wir die sozialistische Organisation, und es existiert keine sozialistische Partei mehr«, erklärt Staatsanwalt H. v. Tessendorff, als er seine Anklage gegen die Leiter des ADAV wegen Verstoßes gegen das preußische Vereinsgesetz begründet und die Auflösung des Vereins beantragt. Das Gericht stimmt zu.

Dem preußischen Beispiel folgen die meisten anderen Länder. Bald sind die Organisationen in vier Fünftel des Reiches verboten.

1. April 1875

Nach der Verbüßung seiner neunmonatigen Gefängnisstrafe - im Anschluß an seine Festungshaft - wird A. Bebel aus dem Zwickauer Gefängnis entlassen.

6. April 1875

M. Heß, geboren am 21. Januar 1812 in Bonn, in Paris gestorben. Er war 1864 Bevollmächtigter des ADAV in Köln, distanzierte sich später von J. B. v. Schweitzer und näherte sich wieder K. Marx.

7. April 1875

G. Herwegh, geboren 31. Mai 1817 in Stuttgart, in Lichenthal b. Baden-Baden gestorben. Er dichtete das Vereinslied des ADAV.

22. / 27. Mai 1875

Auf dem Kongreß in Gotha schließen sich die beiden sozialdemokratischen Parteien zur »Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands« zusammen. Der ADAV hat 15322 Mitglieder (74 Delegierte), die »Eisenacher« 9121 Mitglieder (56 Delegierte).

Das angenommene »Gothaer Programm« ist ein Kompromiß zwischen beiden Parteien: »Die Arbeit ist die Quelle allen Reichtums und aller Kultur . . . Die Befreiung der Arbeit erfordert die Verwandlung der Arbeitsmittel in Gemeingut der Gesellschaft. . . Die Befreiung der Arbeit muß das Werk der Arbeiterklasse sein, der gegenüber alle anderen Klassen nur eine reaktionäre Masse sind. Die Partei erstrebt mit allen gesetzlichen Mitteln den freien Staat und die sozialistische Gesellschaft, die Zerbrechung des ehernen Lohngesetzes durch Abschaffung des Systems der Lohnarbeit, die Aufhebung der Ausbeutung in jeder Gestalt, die Beseitigung aller sozialen und politischen Ungleichheit ... die Errichtung von sozialistischen Produktivgenossenschaften mit Staatshilfe unter demokratischer Kontrolle des arbeitenden Volkes.« K. Marx' scharfe Kritik »Randglossen zum Pro
gramm der deutschen Arbeiterpartei« wird auf Wunsch des Parteivorstandes erst nach 1890 veröffentlicht.
Oberstes Organ der Partei ist der Parteitag. In den Parteivorstand (Sitz: Hamburg), werden gewählt: W. Hasenclever und G. W. Hartmann (Vorsitzende); A. Geib (Kassierer); I, Auer und K. Derossi (Sekretäre). Vors. der Kontrollkommission (Sitz: Leipzig): A. Bebel.
Die Organisation von Gewerkschaften wird vom Kongreß für notwendig erachtet, da sie die Sache der Arbeiter fördere, soweit es unter den wirtschaftlichen Verhältnissen der heutigen Gesellschaft möglich sei.

28. / 29. Mai 1875

Auf den Parteitag folgt ein Gewerkschaftskongreß, an dem 40 Delegierte teilnehmen. Die Lokalvereine sollen sich zu Zentralverbänden zusammenschließen. An dem Prinzip der gewerkschaftlichen Neutralität soll festgehalten werden, die Gewerksgenossen aber werden aufgefordert, der Sozialistischen Arbeiterpartei beizutreten.

28. Juli 1875

J. B. v. Schweizer, geboren 12. Juli 1833 in Frankfurt a. Main, Rechtsanwalt, von Mai 1867 - 1871 Präsident des ADAV, 1867 bis 1871 MdR, in Gießbach (Schweiz) gestorben.

4. Nov. 1875

A. Crispien in Königsberg geboren.

Herbst 1875

Der Versuch der Regierung, eine gegen die Sozialdemokratie gerichtete verschärfte, erweiterte Fassung des § 130 des Strafgesetzbuches: »Wer in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise verschiedene Klassen der Bevölkerung gegeneinander aufreizt oder wer in gleicher Weise die Institute der Ehe, der Familie oder des Eigentums öffentlich durch Rede oder Schrift angreift, wird mit Gefängnis bestraft«, durchzusetzen, wird vom Reichstag abgewiesen.

1. Jan. 1876

Die »Berliner Freie Presse« erscheint im genossenschaftlich organisierten Selbstverlag der Berliner Parteiorganisation. Sie wird unter dem Sozialistengesetz verboten, ab 1884 als »Berliner Volksblatt« herausgegeben.

9. Jan. 1876

Auf einer Landesversammlung in Chemnitz wird beschlossen, bei den kommenden Reichstagswahlen in allen 23 sächsischen Reichstagswahlkreisen eigene Kandidaten aufzustellen.

15. Febr. 1876

Der »Centralverband Deutscher Industrieller« wird gegründet.

18. März 1876

F. Freiligrath, geboren 17. Juni 1810 in Detmold, Handelskorrespondent, Schriftsteller und Journalist, in Cannstatt gestorben.

30. März 1876

Staatsanwalt H. v. Tessendorff gibt bekannt, daß auf seinen Antrag die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands für den ganzen Geltungsbereich des preußischen Vereinsgesetzes und speziell die Berliner Mitgliedschaft des Vereins vorläufig verboten sei.
An der Spitze der Partei steht von nun an das Zentralwahl
komitee (Reichstagsfraktion).

18. Mai 1876

H. Müller in Mannheim geboren.

7. Juli 1876

Der Reichstag nimmt gegen die Stimmen der Sozialdemokraten das Gesetz über die eingeschriebenen Hilfskassen an, das sich vor allem gegen die Hilfskassen der Arbeiterbewegung richtet.

15. Juli 1876

Eine Konferenz in Philadelphia beschließt die offizielle Auflösung der Internationalen Arbeiterassoziation (I. Internationale).

19./23. Aug. 1876

Auf dem Parteikongreß in Gotha - er wurde nach dem Verbot in Preußen als allgemeiner Sozialistenkongreß einberufen - vertreten 98 Delegierte 38 254 Mitglieder aus 291 Orten. Tagesordnung: Stellung der Sozialdemokraten zu den bevorstehenden Reichstagswahlen (W. Liebknecht, W. Hasselmann). Für den Wahlkampf hat die Partei 145 geschulte Redner und Wahlgelder in Höhe von 30000 bis 40000 Mark zur Verfügung. Die Partei besitzt 38 periodische Zeitungen und Zeitschriften, darunter 21 Lokalblätter, die mehrmals wöchentlich erscheinen, elf sozialistische Gewerkschaftsorgane, ein Unterhaltungsblatt »Neue Welt« und drei Witzblätter. Der Kongreß beschließt, die beiden Zentralorgane »Neuer Social-Demokrat» und »Volksstaat« zu verschmelzen. Ab 1. Oktober erscheint der »Vorwärts« dreimal wöchentlich mit dem Untertitel »Central-Organ der Social-Demokratie Deutschlands« in Leipzig. Seine Hauptredakteure sind W. Liebknecht und W. Hasenclever.

Von der Partei sind 8 voll- und 14 teilbesoldete Agitatoren und 46 vollbesoldete Redakteure, Expedienten u. a. angestellt.

Zur permanenten Leitung der sozialistischen Wahl- und Parteiagitation wird ein ständiges Zentralwahlkomitee, bestehend aus fünf Personen, gewählt. Diesem Komitee ist in allen Agitations- und Parteiangelegenheiten diktatorische Gewalt übertragen. Es tritt an die Stelle des Vorstandes. Zur Kontrolle der Zentralbehörde wird eine siebenköpfige Revisions- und Beschwerdekommission gewählt. Die Revisionskommission sitzt in Bremen, das Zentralwahlkomitee in Hamburg, mit L Auer und K. Derossi als Sekretäre, A. Geib als Kassierer, H. Brasch und G.W. Hartmann als Beisitzer.

Der Kongreß spricht sich für die Übernahme der Privateisenbahnen in Staatsbesitz aus. Den Auseinandersetzungen über die Frage, ob Schutzzoll oder Freihandel, steht der Kongreß fremd gegenüber.

In der nächsten Reichstagssession müsse ein Arbeiterschutzgesetz durch die Abgeordneten der sozialistischen Wähler beantragt werden. Im Klassenstaat könne keine Form der Gerichtsverfassung Recht und Gerechtigkeit verbürgen, darum seien freie Volksgerichte, auf der Grundlage des allgemeinen und gleichen Wahlrechts gebildet, anzustreben.

Zum ersten Mal erhält ein deutscher Parteikongreß einige Zuschriften ausländischer sozialistischer Organisationen, in denen die Partei zu ihrer tapferen Haltung beglückwünscht wird.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2001

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