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3.6. Am Rande der Parteispaltung (1884/1885)

„Die Herren aus der Fraktionsmehrheit wollen sich also doch als ‘Macht’ konstituieren [...], es ist ihr erster Schritt zur Konstituierung des kleinbürgerlichen Elements als des herrschenden, offiziellen in der Partei und zur Zurückdrängung des proletarischen zu einer nur geduldeten. Wie weit sie auf diesem Wege sich vorwärts riskieren wollen, bleibt abzuwarten" [ Friedrich Engels an August Bebel (4. 4. 1885, Bebel/Engels 1965, S. 218).] .

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3.6.1. Die Dampfersubventionsdebatten im Reichstag

Überraschend hatte Bismarck noch am Ende der Legislaturperiode 1884 eine Subventionierung der Marine gefordert [ ‘Geeigneten’ Unternehmen wurde die Subventionierung von neu einzurichtenden und regelmäßig verkehrenden Postdampferlinien von Deutschland nach Australien (Sydney, Adelaide und Melbourne, mit einer Zweiglinie zu den Samoa-Inseln) und in den ostasiatischen Raum (Hongkong, über Port Said, Suez, Aden und Singapor, mit einer Zweiglinie zwischen Hongkong, Yokohama über Shanghai, nach Japan und Korea) versprochen. ] . Im „Entwurf eines Gesetzes betreffend die Verwendung von Geldmitteln aus Reichsfonds zur Einrichtung und Unterhaltung von Post-Dampfschifffahrtsverbindungen mit überseeischen Ländern" (Sten.Ber. 1884) wurden für die folgenden 15 Jahre jeweils vier Millionen Mark gefordert und zunächst als Unterstützung für den deutschen Exporthandel deklariert. Neben der geregelten Postbeförderung, die bis dahin von englischen oder französischen Unternehmen erledigt wurde, sollten die Schiffahrtslinien der heimischen Industrie in Ostasien und Australien neue Absatzmärkte erschließen. Der „Sozialdemokrat" spottete: „Da verspricht man die wunderbarsten Dinge. Die paar Tausend nackten oder halbnackten Wilden, die irgendwo in einem afrikanischen oder sonstigen von den Engländern, Amerikanern oder Franzosen als wertlos nicht besetzten oder wieder aufgegebenen Küstenstrich wohnen, sollen so kolossale Massen von deutschen National-Industrie-Produkten verbrauchen, daß dadurch die ‘Überproduktion’ ab- und der deutschen National-Industrie für immer aufgeholfen wird. Nun – es gibt keine Dummheit, die nicht Gläubige fände" (SD 61884Nr. 27) [ Auch der freisinnige Abgeordnete Prof. Virchow kritisierte die Regierung: „Wo nur ein Land ist, das klimatisch unbrauchbar und mit Malaria behaftet ist, da greifen wir zu" (Frenz 1913, S. 40).] .

Von deutscher Kolonialpolitik wurde in diesem Zusammenhang auch im „Sozialdemo-krat" erst später gesprochen. Allerdings enthielt schon die Begründung des Gesetzentwurfs einen militärischen Hintergrund: „Die deutschen Postdampfer seien nach ihrer Größe und Einrichtungen in Fällen des Krieges berufen und geeignet, [...] die Zwecke der Kriegsmarine als Kreuzer, Avisos usw. wirksam zu unterstützen." [ ‘Aus Gründen der Tarnung’ (Schröder 1957) stellte Bismarck die geforderten Subventionssummen zunächst in den Haushalt der Post- und Telegraphenverwaltung ein. Aber schon in der Sitzung der Budgetkommission, an die die Vorlage erst einmal überwiesen worden war, machte Kanzler Bismarck deutlich, worum es ging: „Ich bin überzeugt, die Herren Abgeordneten [...] haben [...] den Zusammenhang zwischen überseeischer Kolonialpolitik und Dampfschiffsubvention erkannt " (zit. nach Schröder 1957, S. 10). Auch die Politische Polizei legte ihre Akte unter einem entsprechenden Titel an (BLHA, Pr.Br. Rep. 30, Berlin C, Nr. 13170).]

Das Thema Dampfersubventionen mußte Heinrich Dietz als Hamburger Reichstagsabgeordneten stark interessieren. Zum Wachstum der Region hatte bisher ganz beträchtlich die Ausweitung des Welthandels beigetragen [ vgl. zu diesem Abschnitt Laufenberg 1931, S. 441ff.; Evans 1991, Kap.: Fraktionen des Kapitals. ] . Die meisten Reeder von Überseelinien ‘verdienten’ ihre beträchtlichen Renditen mit dem Transport von Auswanderern. Die Laderäume wurden optimal ausgenutzt und blieben nie leer. Die Verschiffung lebendiger Ladung in die eine Richtung ermöglichten niedrige Rückfrachtraten für Rohstoffe, Erze, Petroleum, Guano für die Düngemittelindustrie bis hin zu Verbrauchsgütern für den Binnenmarkt wie Tabak und Kaffee. Das sicherte enorme Profite. War die Hamburger wirtschaftliche Szene bisher noch vom Handel und der Kaufmannschaft beherrscht gewesen, so etablierte sich mit dem expandierenden Seehandel nun zusätzlich in Hamburg und Bremen eine bedeutende Werftenindustrie. Hamburger Kaufmannsfamilien beteiligten sich weitsichtig an den aufstrebenden Werften, insbesondere als der Dampfschiffbau die veralteten Segelschiffe ablöste. Doch nach einem kurzzeitigen Boom nahm die Nachfrage nach neuen Eisenschiffen aus Deutschland wieder ab, die Arbeitslosigkeit unter den Werftarbeitern stieg (Sten. Ber. 1885, S. 1774). Heinrich Dietz engagierte sich als Mandatsträger der Werftarbeiter für Hamburger Interessen. Im Grundsatz erklärte er sich mit der Bewilligung der Subventionen einverstanden.

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3.6.2. Karl Marx, verlegt bei J.H.W. Dietz

Größere theoretische Werke der Sozialdemokratie waren bisher nicht mehr verlegt worden, seit der Verlag von Bracke in Braunschweig nicht mehr existierte. Restbestände des Brackeschen Verlages hatte Heinrich Dietz in das Stuttgarter Geschäft übernommen [ vgl. Läuter 1966, S. 193ff. „Als das Sozialistengesetz über unsere Partei hereinbrach, verfügte sie bereits in Leipzig, Berlin und Hamburg über ansehnliche Zeitungen [...], daneben über ein Familienblatt, die „Neue Welt" [...], aber über keinen Buchverlag von Bedeutung" (Kautsky 1913, S. 3f.) Aus dem Briefwechsel zwischen Heinrich Dietz und Hermann Schlüter ging hervor, daß Restbestände aus Brackes Verlag nach Stuttgart abgegeben worden waren (AdSD, NL Schlüter, B 30).] . Mitten in den Vorbereitungen zur Zusammenführung der Druckereien – der Umzug der Stuttgarter Maschinen begann schon im Herbst 1884 -, kurz nach den Wahlen und noch während im Reichstag die Dampfersubventionsdebatte wieder aufgenommen wurde, bereitete Heinrich Dietz nun die erste ‘mar-xistische’ Publikation des Stuttgarter Verlages vor: Eduard Bernstein und Karl Kautsky hatten Karl Marx’ Schrift „La misère de la philosophie" („Das Elend der Philosophie, Antwort auf Proudhons ‘Philosophie des Elends’") übersetzt und Friedrich Engels ein Vorwort und Anmerkungen dazu verfaßt. Nach Karl Marx’ Tod war im November 1883 entschieden worden, den Text ins Deutsche zu übertragen. Erscheinen sollte er im Züricher Parteiverlag, falls in Deutschland die legale Herausgabe nicht möglich oder zu gefährlich wäre. Dabei wog die Parteileitung ab, ob ein Druck im Inland oder der Schmuggel über die Grenze risikoreicher sein würde [ Zur Editionsgeschichte vgl. den ausführlichen Kommentar zur 11. Aufl. (Pelger 1979).] .

Die Politische Polizei in Württemberg wurde zwar auf das Buch aufmerksam gemacht, sah aber keinen Grund, die Schrift zu verbieten. Bisher war noch keines der Werke von Karl Marx dem Verbot anheimgefallen, „obwohl z.B. ‘Das Kapital’ auch nicht ganz frei ist von Stellen, die zu einem Einschreiten Anlaß geben könnten", wie die Stuttgarter Stadtdirektion befand. Sie wollte die Erlassung eines Verbots nicht beantragen, weil es sich im wesentlichen doch um ein wissenschaftliches Werk handelte" (StA Lb, E 173 I, Bü. 864). Die „Misère" konnte legal in Deutschland mit einer Auflage von 1.500 Exemplaren erscheinen [ Angekündigt im Börsenblatt 52(1885)Nr. 7, 10. 1., S. 119.] . Die deutsche Ausgabe der „Misère" galt dann überhaupt als das erste wissenschaftliche Werk des Verlages von J. H.W. Dietz in Stuttgart (Kautsky 1913, S 6).

Der Text, 1847 verfaßt, war bisher in deutscher Sprache nicht erschienen, zunächst wegen seines politischen Inhalts, später fehlte die Gelegenheit. Die Herausgabe einer deutschen Übersetzung hatte Marx selbst Wilhelm Liebknecht abgeschlagen, weil er sie noch im Rahmen seiner Werkausgabe bei Meißner herausbringen wollte. Friedrich Engels verhinderte nach Marx’ Tod 1883 eine Übersetzung von Max Quark, der ihm politisch suspekt war. Engels erteilte dagegen Eduard Bernstein seine Erlaubnis zur Veröffentlichung (Pelger 1979, S. IXf.). Der Text sollte in der aktuellen Diskussion gegen Rodbertus eingesetzt werden (vgl. FE im Vorwort zur deutschen Übersetzung). Trotz der Verfolgungen unter dem Sozialistengesetz eine Herausgabe zu verantworten, erforderte einigen Mut – oder besondere Bewunderung, zumindest aber ein hohes Maß an Loyalität gegenüber dem Verfasser und den Bearbeitern sowie der Parteileitung, die die Publikation beschlossen hatte.

Heinrich Dietz entschuldigte sich bei Friedrich Engels vor dem Erscheinen noch über die Orthographie in seiner Druckerei: „Sie werden es erklärlich finden, daß ich da, wo besondere Abmachungen nicht vorliegen, die nun einmal eingeführte Orthographie beibehalte. Ich bin persönlich mit dieser Schreibweise nicht einverstanden, habe sie aber akzeptiert, um die noch gräuligere [sic] der Neuen Welt von 1882 zu beseitigen. Mein aus dem Leipziger Chaos übernommener Korrektor tut sein möglichstes, um die Verwirrung ärger zu machen" (HD an FE, 15. 10. 1884, IISG Engels-Korrespondenz, L 1130). Die ‘eingeführte Orthographie’ stammte von Bruno Geiser, noch ein Grund mehr für Friedrich Engels und Karl Kautsky, empörte Bemerkungen auszutauschen: „Daß Dietz auch Marx das Geisersche System aufoktroyiren würde, hatte ich nicht erwartet" [ Eine allgemeine in Deutschland geltende Rechtschreibung, „die seit 1903 für die Schulen der ganzen deutschen Sprachgebiete maßgebend wurden und alsbald auch für die Buchdrucker und Zeitungsverleger" , gab es erst nach der 2. Berliner Orthographiekonferenz. 1876 bis 1880 hatte die Reformierung der Rechtschreibung bereits in Preußen begonnen, in Sachsen erst 1889 (vgl. Rechtschreibung 1933).] (KK an FE, 11. 10. 1884, Engels/Kaustsky 1955, S. 146).

Obwohl das Buch schon im November 1884 fertiggestellt war (Pelger 1979, S. XI), ließ Heinrich Dietz die „Misère" mit dem Erscheinungsjahr 1885 versehen [ Deswegen bei Emig/Schwarz/Zimmermann (1981, A 14) auch auf 1885 datiert.] und kündigte den Titel erst nach Weihnachten, im Verlagsprospekt für das nächste Jahr an – aus ökonomischen Gründen, ‘um ihn nicht im Weihnachtstrubel untergehen zu lassen’ (HD an KK, 1. 11. 1884, IISG, K D VIII, Br. 51). Marx’ „Misère" paßte zwar politisch in die ‘ideologische Offensive’ der Sozialdemokraten (Pelger 1979, S. XIIf.), erwies sich aber nicht als Verkaufserfolg. Eine zweite Auflage erschien erst 1892 [ Die zweite Auflage erschien als Bd. 12 der „Internationalen Bibliothek". Zur „Internationalen Bibliothek" siehe weiter unten.] .

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3.6.3. Vereinigung der Parteidruckereien in Hamburg

Die massiven polizeilichen Repressalien hatten sich im Herbst 1884 immer schwerer ausgewirkt. Regelmäßig beschlagnahmten die Beamten die Geschäftsbücher, so daß deswegen Aufträge nicht rechtzeitig erledigt werden konnten. Außer der finanziell angespannten Situation [ Besonders machten sich die Unterfinanzierungen der „Neuen Welt" und der „Neuen Zeit" bemerkbar. August Bebel hatte schon 1883 befürchtet, daß die „Neue Zeit" Schwierigkeiten bekommen könnte: „Hauptsache ist, daß sich das Unternehmen auf der Höhe hält, das wird aber bei dem Mangel an tüchtigen und dem Überfluß an Kräften dritten und vierten Ranges schwer sein. Auch ist bisher bei uns in solchen Dingen viel zu sehr auf die Parteigenossenschaft gesehen worden. Einen solchen sic zurückzuweisen, auch wenn er offenbar unfähig ist, gilt als eine Art Verbrechen" (AB an FE, 6. 1. 1883, Bebel/Engels 1965, S. 147). Bebel veranlaßte, daß der Stuttgarter Verlag aus Zürich ein Darlehen bekam, um den Papierlieferanten zu bezahlen, wollte auch noch weiteres Geld bis zum Frühjahr beschaffen, dann wäre „die Liquidation der Buchdruckereigenossenschaft, agr. in Hamburg zu Ende, dann wird die Druckerei frei und [...] vollständig unser Eigentum, und es fehlt dann nicht mehr an Geld. [...] Da die Stuttgarter Druckerei auch unser ist, so leihen wir uns eigentlich selbst" (AB an JM, 31. 8. 1884, zit. in: Schaaf 1976, S. 626).] schädigten die ständigen Haussuchungen schließlich das geschäftliche Ansehen. Bis zum Sommer war Heinrich Dietz stolz darauf gewesen, keine Parteigelder nötig gehabt zu haben, das sollte nach seinem Willen auch so bleiben: „Ich glaube, daß meine dreijährige Tätigkeit in Stuttgart, in welcher ich aus einem Chaos wirklich Wertvolles schuf, ein kleiner Beweis dafür ist. [...] Ich kann mit wohlberechtigtem Stolze sagen, nie die Partei gebraucht zu haben, sie auch nie brauchen zu müssen" (HD an KK, o. Dat. Anfang Juni 1884, IISG, K D VIII, Br. 10) [ Wie aus dem Briefwechsel mit Hermann Schlüter hervorgeht, stimmte diese Darstellung aber nicht ganz (AdSD, NL Schlüter, B 30). Zumindest kurzfristig mußte die Parteikasse aushelfen: „Ferner möchtest Du 1.500 an J.H.W. in Stuttgart als Darlehen schicken. [...] Kann J.H.W. seine 1.500 sofort haben, so wäre ihm das sehr angenehm" (AB an JM, 31. 8. 1884, IML, NL Motteler, 12/11, Original im IISG).] .

Anstelle das Geschäft in Stuttgart ganz aufzugegeben, hatte Heinrich Dietz eine Umorganisierung vorgeschlagen. Dabei sollten beide Parteidruckereien in Hamburg [ Im November 1884 wurde die Hamburger Genossenschaft liquidiert (StAH Handelsreg., A 19, Bd. 1), danach gehörte die Druckerei endgültig der Partei.] zusammengelegt werden, um die knappen finanziellen Ressourcen nicht zu zersplittern. Gleichzeitig hatte Heinrich Dietz kritisiert, es fehlte der Partei an einer „allgemeinen Ordnung für unsere inländischen Preßverhältnisse". Bei der bestehenden Situation machten sich auf dem ohnehin knappen ‘Markt’ für sozialistische Publikationen zu viele Verlage Konkurrenz.

Während für das Hamburger Geschäft mit der Vereinigung nun ‘eine brilliante Zeit anbrechen würde’ – so sagte Heinrich Dietz voraus -, blieb seine eigene Zukunft bei dieser Transaktion ganz unklar: „Was ich selbst treiben werde, weiß ich noch nicht; das wird sich finden, wenn alles geordnet ist" (10. 12. 1884, AdSD, NL Schlüter, B 30). Ein Geschäftsgebaren wie von Louis Viereck praktiziert, lehnte Heinrich Dietz ab: „Nach s Vorbild werde ich mich nun doch nicht richten. Das hieße sich prostituieren" (HD an WL, 1. 11. 1884, Liebknecht 1988, S. 720). Louis Viereck veröffentlichte in seinem Verlag neben vielen legalen Kopfblättern, die er weit über Deutschland verbreitete, auch die Zeitschrift „Das Recht auf Arbeit" und publizierte schließlich Schramms Schrift „Rodbertus, Marx, Lassalle". Heinrich Dietz hatte sich gerade geweigert, Schramms Polemik in Stuttgart herauszugeben, nachdem auch der Züricher Parteiverlag die Veröffentlichung ablehnte (Roth 1963, S. 178; Seebacher-Brandt 1988, S. 207).

Der Hamburger Politischen Polizei gegenüber bekundete Heinrich Dietz, er wollte das dortige Geschäft verkaufen (StAH S 149/63, 15. 11. 1884). Das erforderte seine Anwesenheit in der Stadt, und er erwarte eine Aufenthaltsgenehmigung im Belagerungsgebiet. Schon im April des Jahres hatte er seine Einreise nach Hamburg nur noch angekündigt und nicht mehr, wie vorher, ergebenst um Genehmigung gebeten. „Hinzufügen kann ich noch, daß ich bis jetzt noch jedes Jahr Gelegenheit hatte, meinen Geschäftsfreunden einen Besuch abzustatten. Ich hoffe daher, daß er mir auch in diesem Jahr ermöglicht werden wird", schrieb er an die Hamburger Polizeibehörde (9. 4. 1884, StAH S 149/63).

Ende November 1884 begann der Umzug mit dem Transport einer der Druckmaschinen. Das Jahr 1884 markierte nicht nur für das Stuttgarter Unternehmen ein wichtiges Datum. Die nicht endenden innerparteilichen Auseinandersetzungen, die Wahlvorbereitungen, damit verbundene wiederholte polizeiliche Schikanen und Kämpfe um den endgültigen Fortbestand des Verlages nahmen in diesem Jahr gravierende Ausmaße an. Heinrich Dietz als der Verantwortliche sah sich an vielen Orten ge- und teilweise überfordert, und seine ‘Nervosität’ war gestiegen. Dazu kam noch ein Streit mit Julius Motteler: „Ihre Bestellungen werden prompt erledigt" antwortete er pikiert auf eine Beschwerde nach Zürich. „Ich kann das nicht alles selbst machen. [...] Der Verkehr zwischen uns – der Ihnen nicht zu passen scheint – wird ohnehin Ostern aufhören, da ich das Geschäft nach Hamburg abgebe. Ich habe bei der ganzen Geschichte nicht weiter profitiert, als Ihr allergrößtes Mißfallen. [...] Hoffentlich werden Sie sich seitens meiner Nachfolger der ‘promptesten’ Bedienung erfreuen" (HD an SD, 15. 12. 1884, AdSD, NL Motteler 435). Heinrich Dietz war deswegen froh, daß er sich in Zukunft nicht mehr mit Julius Motteler streiten müßte. Doch ließ ihm die Angelegenheit keine Ruhe, und er beklagte sich deswegen bei Hermann Schlüter (10. 12. 1884, AdSD, NL Schlüter, B 30): ‘Moretti suche dringend Streit’. Schlüter beruhigte ihn danach etwas, und der nächste Brief klang schon versöhnlicher: „Ich bin gewiß nicht zum Streit geneigt, aber Ihre Postkarte war dazu angetan, den Sanftmütigsten böse zu machen. Schwamm drüber!" (31. 12. 1884, ebd.)

Erst kurz vor den Weihnachtsfesttagen konnte Heinrich Dietz wieder etwas zur Ruhe kommen: „Ja, das war eine scheußliche Zeit, und ich bin froh, hinter meinem Pult stehen zu können, um das losgerissene Leinen überall wieder anzunageln" (HD an KK, 22. 12. 1884, Br. 57). Im November war er noch optimistisch gewesen: „Der Umzug wird bis 1. Mai 1885, agr. bewerkstelligt sein" (HD an KK, 18. 11. 1884, IISG, K D VIII, Br. 54). Tatsächlich dauerte es doch länger: „Mein Umzug ist soweit beendet, daß hier die Druckerei verladen ist & sich bereits auf dem Wege nach Hamburg befindet" (HD an WL, 2. 6. 1885, IISG Korr. Liebknecht, add. 16 IML Ms 57/88). Mitte Juni 1885 war dann alles erledigt: „Nun bin ich wieder in meinen vier Pfählen. Es ist wüste und leer! Dafür ist aber auch alles gerettet" (HD an KK, 27. 6. 1885, IISG, K D VIII, Br. 71).

Zum Abschluß wollte Heinrich Dietz noch alle ausstehenden Verbindlichkeiten der Stuttgarter Druckerei regeln, deswegen bat er – wenn es denn möglich wäre -, daß ihm aus Zürich „mit Cassa geholfen werden könnte". Sein gesamtes Guthaben (16.000 Mark) hatte er zur Finanzierung des umgestalteten Hamburger Unternehmens einsetzen müssen (an HS, 22. 7. 1885, AdSD, NL Schlüter, B 30 [ „500 Mark erhalten [...]. Besten Dank" (HD an HS, 6. 11. 1885, AdSD, NL Schlüter, B 30).] ). Mit dem Stuttgarter Verlagsbuchhandel zog Heinrich Dietz 1885 in die Reinsburgstraße 61 um; der kleinere Teil der Druckerei wurde mit der ehemaligen Stuttgarter Genossenschaftsdruckerei zur ‘Druckerei des „Schwäbischen Wochenblatts"’ vereinigt und unter Georg Baßlers und Moritz Schröters Leitung in einem Hinterhaus der Christofstraße weitergeführt [ Die Druckerei wurde offiziell am 30. 9. 1885 eröffnet (Quelle bei Ege 1992, S. 241, FN 82, dort aber irrtümlich 1895).] (StA Lb, F 201, Bü 662, 3. 11. 1887; Fischer 1930): „Ich habe praktischen Sozialismus insoweit getrieben, um alle Ausgewiesenen [...] unterzubringen; zu dem Zweck richtete ich eine Druckerei in bescheidenem Maßstabe ein und verpachtete sie an Baßler & Consorten, die sie durch langsame Abzahlung eigentümlich erwerben sollen. [...] Arbeit haben sie von mir allein für 3 Wochen im Monat. Es gehört allerdings Fleiß und Umsicht dazu, aber bei gutem Willen wird sich alles machen. Ich werde selbst gehörig aufpassen", berichtete Heinrich Dietz an Karl Kautsky (27. 6. 1885, IISG, K D VIII, Br. 71). Der überwiegende Teil der Druckaufträge für die Partei aber wurde von nun an im Hamburger Geschäft ausgeführt.

Die Herstellung der „Neuen Zeit" [ „Was die N.Z. anbelangt, so soll sie zusammen mit der „Neuen Welt" nach Hamburg verlegt werden, oder richtiger gesagt, mit dem ganzen Stuttgarter Geschäft. Dietz behauptet, sein Geschäft sei überhaupt bankerott. Ob er das im Ernst meint oder das bloß der Ausdruck augenblicklichen Pessimismus war, weiß ich nicht. Das Hamburger Geschäft ist das einzige solide Unternehmen unter den deutschen Parteiunternehmen, das einzige, welches Gewinn abwirft" (KK an FE, 26. 6. 1884, Engels/Kautsky 1955, S. 129).] und des „Wahren Jacobs" blieben in Stuttgart (StA Lb, F 201, Bü 662, IISG, K D VIII, Br. 71). Georg Baßler übernahm außerdem bis 1888 die Redaktion, den Verlag und den Druck des „Schwäbischen Wochenblatts" (Rieber 1984, S. 421ff. Der Verlag der Partei [ Gemeint ist hierbei der inländische Parteiverlag, denn bis 1888 ist Zürich-Hottingen als der eigentliche Parteiverlag anzusehen.] , so war nun klar, „wird dauernd in Stuttgart bleiben. Von hier aus läßt sich die Sache besser fassen." Ab Juni 1885 beschränkte Heinrich Dietz sich in Stuttgart dann vollkommen auf verlegerische Tätigkeiten und wehrte entsprechende Anfragen ab: „Bei allen Dispositionen dürfen Sie jetzt nicht mehr aus den Augen lassen, daß ich als Drucker meine Tätigkeit habe aufstecken müssen, also alle Dinge, die einen geregelten buchhändlerischen Vertrieb nicht vertragen, von der Hand zu weisen habe" (an WL, 22. 5. 1888, IISG Korr. Liebknecht, add. 16 IML Ms 57/88).

Heinrich Dietz selbst war froh, nun die ‘scheußliche Zeit’ endlich hinter sich zu haben. Auch später noch ärgerte er sich über die vergangenen Jahre: „An die Periode der Ludwigstraße erinnere ich mich nur mit Grausen. Fünf Jahre lang mit dem Entschluß zu kämpfen, aufs Amtsgericht zu gehen und den Bankrott anzumelden, macht verdrießlich, und dabei durfte ich keinen etwas merken lassen" (HD an KK, 22. 1. 1912, IISG, K D VIII, Br. 489). Nunmehr kein ‘Drucker’ mehr, zog es Heinrich Dietz eigentlich nach Leipzig, in das Zentrum des deutschen Verlagswesens: „Wenn Leipzig ‘frei’ wäre, würde ich sofort dorthin ziehen. Der Ort liegt noch günstiger. Das muß auf bessere Zeiten verschoben werden" (HD an KK, 27.6.1885, IISG, K D VIII, Br. 71). Längerfristig blieb er aber doch an Stuttgart angebunden. Daraufhin, schrieb er an Karl Kautsky, „habe ich mich entschlossen, dem Verlagshandel ausschließlich meine Kraft zu widmen. Es ist eine verdammt glatte Bahn, auf der ohne Kapital nicht gut vorwärts zu kommen ist. Versucht muß es werden, und Fleiß muß das bare Geld zu ersetzen suchen [...] Bei den zur Verfügung stehenden Dingen ist es schon sehr viel, wenn man die Kosten herausschlägt. An Überschüsse als Entgelt für meine geleistete Arbeit ist ohne ein besonderes Glück nicht zu denken" (HD an KK, 5. 10. 1885, IISG, K D VIII, Br. 71).

Die Verlagerung der Druckerei und die Abtrennung des Verlages erwiesen sich in Stuttgart noch in anderer Hinsicht als erfolgreich: „Von da ab hatte ich Ruhe. In dem Augenblick, wo ich aufhörte, mit Lettern, Pressen, Farbe und Papier zu hantieren, war die Gefährlichkeit in den Augen der Polizei von mir gewichen" (HD in: Auer 1890/1913, S. 246).

Unter Reinhard Bérards Leitung prosperierte die Hamburger Parteidruckerei wirklich so, wie Heinrich Dietz vorausgesagt hatte. Sie druckte ab 1885 auch wieder die „Bürgerzei-tung" (Laufenberg 1931, S. 459). Neu erschien in Hamburg eine Illustrierte Sonntagsbeilage für die „Bürgerzeitung" und das „Berliner Volksblatt". Seinen Bruder Georg Hartwig hatte Heinrich Dietz mit in die Hamburger Druckerei geschickt. Er hatte ihn schon im Oktober 1883 nach Stuttgart geholt; aber in der verkleinerten Druckerei konnte er ihn nicht behalten [ Gegen den ‘kleinen’ Bruder war 1878 ein polizeiliches Verfahren wegen Unterschlagung angestrengt worden. Er hatte sich daraufhin am 6. Oktober 1883 nach Stuttgart abgemeldet. Ab 2.7.1885 war er wieder in Hamburg. Das Stuttgarter Stadtpolizeiamt meldete auf Anfrage: „Die in Hamburg befindliche Druckerei wird dort, ebenso wie früher hier in Stuttgart, agr., von einem Bruder des Dietz geleitet" (StA Lb F 201, Bü 662, 3. 11. 1887). Nach einer Angestellten-Liste der Hamburger Parteidruckerei im Hamburger Staatsarchiv (StAH S 1353, undatiert, ca. 1889) arbeitete er dort als Buchhalter. ] . Auch sein älterer Sohn Fritz arbeitete im Hamburger Unternehmen [ Die erwähnte Liste enthält 42 Namen von Beschäftigten, darunter auch den des ‘Buchdrucker-Lehrlings’ Fritz Dietz (StAH Meldewesen und S 1353). Fritz hatte im März 1889 ausgelernt (HD an seinen Sohn, 29. 3. 1889, Kopie im Privatbesitz und freundlicherweise zur Verfügung gestellt von F. Pospiech).] .

Mit der Übersiedelung eines großen Teils des Stuttgarter Geschäfts war den Hamburgern auch die Verantwortung für die Hypothek „Neue Welt" [ „Da sich das Unterhaltungsblatt „Die Neue Welt" ohne erhebliche Zuschüsse nicht halten ließ, wurde nach einem von Dietz gemachten Vorschlag die Stuttgarter Druckerei mit der Hamburger vereinigt, wobei zur Bedingung gemacht war, daß die Neue Welt spätestens nach Ablauf eines Jahres in Hamburg erscheinen solle" (Lau-fenberg 1931, S. 459; vgl. auch StAH S 1009, Bericht vom 31.12.1885).] zugefallen – solange, bis Bruno Geiser den ‘Parteivielfraß’ (HD an KK, 30. 11. 1884, IISG, K D VIII, Br. 55) endgültig aufgeben mußte: „Mit der Neuen Welt ist der Krach fertig. Das neue Arrangement, wonach Geiser als Eigentümer auftrat und die Hamburger druckten, hat das erste Heft kaum überstanden [Ab 1. 10. 1886 erschien die „Neue Welt" im Verlag von Bruno Geiser (StAH S 1009, 20. 9. 1886).] . Die Hamburger fürchteten für ihr Geld, und mit Recht, und so kam der Krach" (AB an KK, 2. 11. 1886, Bebel/Kautsky 1971, S. 63). Heinrich Dietz war einerseits recht froh, die finanzielle Belastung nun nicht mehr tragen zu müssen: „So lange ich das Blatt verlegte, legte ich pro Jahr Mk. 10.000 drauf. Solche Experimente kann man, ohne schließlich bankrott zu gehen, nicht oft wiederholen" (HD an KK, 14. 8. 1887, IISG, K D VIII, Br. 163). Andererseits konnte er der „Neuen Welt" auch nicht nachtrauern, es war um sie nicht schade: „Dazu die gewaltige Konkurrenz, die um Weniges Ausgezeichnetes bietet, dem gegenüber die N.W. sich wie Käsepapier ausnimmt! Man kann es dem Arbeiter nicht verargen, wenn er jene Unterhaltungsblätter der N.W. vorzieht" (HD an HS, 6. 11. 1885, AdSD, NL Schlüter, B 30, Hervorhebung im Orig.).

Dennoch fürchtete Heinrich Dietz, für das Eingehen der „Neuen Welt" in der Partei verantwortlich gemacht zu werden: „So fällt das einst mit so stolzen Worten angekündigte Unternehmen zusammen. Ich weiß nicht, wem mit Recht die größten Vorwürfe zu machen ist: dem Redakteur oder den diversen Verlagen. Mag das Urteil nun ausfallen, wie es will, für mich ist es doch sehr unangenehm, den Totengräber zu machen. [...] Leider können wir die Wahrheit nicht sagen, sondern müssen geduldigen Hauptes alles über uns ergehen lassen. Geiser scheint gar nicht davon berührt zu sein. Er fährt heute mit gesamter Familie nach Heidelberg in die Sommerfrische" (HD an HS, 20. 4. 1886, AdSD, NL Schlüter, B 30).

Für dessen Unterhalt hatte Heinrich Dietz weiterhin zu sorgen, denn er konnte dem Redakteur Geiser, Wilhelm Liebknechts Schwiegersohn, nicht offiziell kündigen. Und Geiser bestand auf der Fortzahlung seines Gehalts, selbst als die „Neue Welt" schon in seiner eigenen Regie erschien: „Kaum 14 Tage sein eigener Herr, ist er auch schon umgefallen. Er droht, schimpft, will alle Welt verklagen, daß – man ihm kein Geld gibt, und ist dabei von einem Hochmut besessen, der das Allerschlimmste befürchten läßt. Er will mich sogar verklagen, wegen des Honorars als Redakteur der N.W. vom 1. Oktober an" (HD an HS, 8. 11. 1886, AdSD, NL Schlüter, B 30).

Richard Fischer, der Leiter des „Vorwärts"-Verlages, stellte schließlich 1892 auf dem Berliner Parteitag fest: „Nicht Verfolgungen, kein Kongreßbeschluß, auch nicht das Sozialistengesetz hat die „Neue Welt" außer Leben gesetzt, sondern sie ist an allgemeiner Langeweile eingeschlafen" [ „Ich habe mich geopfert, indem ich einige Hefte der „Neuen Welt" durchsah. Das ist so ertötend langweilig, daß es nicht lange ging. [...] Von der Wissenschaft wird nicht der kleinste Köter bange" (FE an EB, ca. 5. 7. 1884, Bernstein/Engels 1970, S. 202f.). ] (SPD-Protokoll 1892, S. 129).

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3.6.4. Fortsetzung der Dampfersubventionsdebatten

Gleich zu Beginn der ersten Session in der 6. Legislaturperiode (am 20. Novemberg 1884) legte der Reichskanzler den inzwischen revidierten Gesetzentwurf zur Dampfersubvention wieder vor [ Die Reichsregierung hatte den Etatposten nun dem Innenministerium zugeordnet, forderte noch höhere Subventionen sowie eine weitere Schiffslinie nach Afrika, um die bisher erworbenen deutschen Kolonien ‘zu versorgen’.] .

Die Fraktion stritt über das Thema Dampfersubventionen Anfang Dezember 1884 drei Tage lang äußerst kontrovers. August Bebel, Wilhelm Liebknecht und ihre Kollegen Heine, Rödiger, Stolle und Vollmar lehnten die Bewilligung von staatlichen Schenkungen an die deutschen Reeder, die selbst weder Subventionen gefordert noch bisher nötig gehabt hatten, ab. Diese Abgeordneten blieben aber in der Minderheit mit der Einschätzung, es handelte sich hier um wirtschafts- und kolonialpolitische Aktionen der Reichsregierung. „Die Mehrheit der Abgeordneten ist der Ansicht, daß es sich hier um eine Zweckmäßigkeits- und nicht um eine Prinzipienfrage handelt" (SD 61884Nr. 50), denn ein Teil der Subventionen sollten Schiffahrtslinien zugute kommen, die angeblich nichts mit Kolonien zu tun hätten, Schiffsneubauten würden dagegen der hohen Arbeitslosigkeit der Werftarbeiter entgegenwirken und damit direkt den Arbeitern zugute kommen. Dem wollte man Rechnung tragen, und: „Falls der Nachweis geliefert wird, daß die Ausführung des Regierungsprojektes dem Handel und der Industrie förderlich wäre, und wenn dem Reichstag die Kontrolle übertragen wird, gedenkt ein Teil der Fraktion, und zwar der größere, für die Dampfersubvention zu stimmen" [ Wilhelm Blos schrieb in seinen Erinnerungen, die sozialdemokratische Fraktion hätte die Kolonialpolitik der Reichsregierung ‘prinzipiell verworfen’, „denn wir faßten sie so auf, daß das Volk hier nur die Mittel aufbringen sollte, um einzelnen Kapitalistengruppen die Möglichkeit neuer Profite zu schaffen. Außerdem erschienen uns die Kolonien im ganzen unrentabel" (Blos 1919, S. 124; auch in Mehrings „Geschichte der Deutschen Sozialdemokratie" fand später nur die Sichtweise der Gemäßigten Eingang 1909, S. 265ff.). Wenn das wirklich so war, hätte wohl kaum ein Streit entstehen können. Dieser Auffassung entgegen standen auch die durchaus unternehmerfreundlichen Ausführungen zur Ausdehnung des deutschen Handels, die Heinrich Dietz im Namen der Fraktion im Reichstag machte (dazu siehe weiter unten). ] (SD ebd., Hervorhebung im Orig.).

In ‘sozialdemokratischen Kreisen’ wäre eine durchaus positive Haltung zur Unterstützung der Subventionen vorhanden, hatte Heinrich Dietz registriert [ Wehler rückte die Fraktionsmehrheit politisch in die Nähe der Staatssozialisten und schrieb, insbesondere Heinrich Dietz als Repräsentant der Mehrheit „ging davon aus, ‘daß zugestandenermaßen sich bereits auf allen Gebieten eine Überproduktion’ zeige. Hier müsse der ‘Staat organisieren und heilend eingreifen’„ . Ventile müßten von Staats wegen gebohrt werden, um den ‘überheizten Dampfkessel’ (wie sich der nationalliberale Abgeordnete Hammacher ausdrückte) nicht zum Platzen zu bringen. Das bedeutete, daß Heinrich Dietz im Namen der Fraktionsmehrheit forderte, der deutschen Industrie neue Absatzgebiete zu eröffnen (vgl. Wehler 1969, S. 175f.).] , und: „Es vergeht kein Tag, der nicht einige Briefe bringt, die alle energisch das Eintreten für die Subvention fordern" (HD an HS, 15. 12. 1884, AdSD, NL Schlüter, B 30; Carl Franz Hickel, Leiter der Mül-hausener Genossenschaftsdruckerei, an HD, 21. 7. 1885, und HD an Hickel, 10. 8. 1885, BLHA, Pr.Br. Rep. 30, Berlin C, Nr. 13170).). Das Thema enthielt so hohe politische Brisanz, daß alte Differenzen wieder aufbrachen und die sozialdemokratische Partei 1885 schließlich an den Rand der Spaltung führten [ Zur Diskussion in der sozialdemokratischen Partei über das Thema Dampfersubventionen vgl. Im Kampf 1977 und Wehler 1969 sowie z.B. Bernstein 1928, S. 155ff.; Engelberg 1959, S. 95ff.; Rothe 1961; Schröder 1957; Mittmann 1975. Mehring überging die Schwere des Konflikts mit einer Bemerkung über „eine Meinungsverschiedenheit" , leugnete sogar die unterschiedlichen Positionen ( „Eine prinzipielle Meinungsverschiedenheit war innerhalb der Fraktion nicht hervorgetreten" 1909, S. 266f.) und versuchte, die Haltung der Subventionsbewilliger argumentativ zu rechtfertigen, u.a. damit, daß auch andere Länder solche staatlichen Zuschüsse zahlten (S. 269f.).] .

Heinrich Dietz machte sich zu einem der Wortführer der insgesamt 18 Subventionsbefürworter [ Osterroth charakterisierte Heinrich Dietz als ‘Sympathisanten des rechten Flügels der Partei’, „ohne sich an Richtungskämpfen zu beteiligen" (Osterroth 1960b). In dieser Auseinandersetzung nahm er allerdings eine ganz eindeutige Position ein.] . Er legte der Fraktion dazu eine Berechnung vor, nach der die australische sowie die ostasiatische Schiffahrtslinie die Wirtschaft beleben und damit beide auch den Arbeitern nützen würden. Die darin prognostizierten Vorteile für deutsche Werftarbeiter waren dann das Hauptargument, das immer wieder ins Feld geführt wurde. August Bebel bezeichnete das als ‘Opportunismus’ (AB an WL, 26.7.1885, in: Bebel 1978 2, S. 196). Mit August Bebel und Heinrich Dietz delegierte die Fraktion je einen Exponenten der Gegner und der Befürworter in den Reichstags-Ausschuß zur Prüfung der Subventionsvorlage (SD 61884Nr. 50). Die Kommission konstituierte sich [ „Dort beschäftigte man sich vom 9. Dezember 1884 bis zum 30. Januar 1885 unter lebhaften Auseinandersetzungen eingehend mit der Vorlage. Zu einer klaren Stellungnahme kam es jedoch nicht. Am 18. Februar 1885 unterbreitete die Kommission dem Plenum einen weitschweifigen Bericht über die Beratungen" (Schröder 1957, S. 11).] , Heinrich Dietz wurde zum stellvertretenden Schriftführer gewählt (Sten. Ber. 1884, 6. Leg.per., S. 186) und aus Zürich genau beobachtet: „In der Dampfersubventionskommission geht es sehr lebhaft zu. Auf welchem Standpunkt man auch sich stellen mag, das muß auch von den Freunden der Regierungsvorlage zugegeben werden, daß durchschlagende Gründe für dieselbe bisher nicht vorgebracht worden sind" [ Die Mehrheit der Fraktion stand im Begriff, Bismarck, entgegen der sozialdemokratischen Maxime ‘Diesem System keinen Mann und keinen Groschen’, erhebliche Gelder nicht nur zur Subvention kapitalistischer Unternehmen zu bewilligen, sondern auch zur Finanzierung militärischer, kolonialpolitischer Zwecke. ] (SD 61884Nr. 51, Hervorhebungen im Orig.).

Inzwischen waren Bismarcks kolonialpolitische Wünsche nach überseeischen Gebieten ganz deutlich geworden. „Es handelt sich da nicht nur um die Ausdehnung des Seeverkehrs, sondern um die Einleitung zu einer höchst abenteuerlichen Annexionspolitik, [...] für welche natürlich nicht die Herren Annexionsschwärmer, sondern das deutsche Volk die Kosten zu tragen hat, das ja auch die Dampfersubventionen zu zahlen haben wird" (SD 7[1885]Nr. 1). „Daß der Lö-wenanteil der besitzenden Klasse zugedacht ist, das wird gewiß von keinem unserer Abgeordneten in Zweifel gezogen, allein manche sind der Ansicht, dem Handel und der Industrie, und damit indirekt auch den Arbeitern, würden durch die Dampfersubventionen Vorteile verschafft, die nicht von der Hand zu weisen seien" (WL im SD 7[1885]Nr. 2). Mit sehr ähnlicher Wortwahl war schon im Juni 1884 ein mit „D" gezeichneter Leitartikel des „Sächsischen Wochenblatts" <Dresden> erschienen, der eine Unterstützung der Dampfersubventionen durch die Sozialdemokraten ausführlich rechtfertigte (25. 6. 1884, Nr. 25). Wilhelm Schröder rechnete diesen Artikel Heinrich Dietz zu (1957, S. 12). August Bebel bemerkte in einem Brief an Hermann Schlüter am 15. Dez. 1884: „Wahlkreispolitik spielt natürlich eine große Rolle" (IISG, NL Bebel, zit. nach: Im Kampf 1977, S. 70) und stellte seinerseits im SD kategorisch fest: „Wer bei dieser Reichssubvention hauptsächlich profitiere, das zeige sich deutlich daran, daß neben den großen Reedereibesitzern Meier-Bremen und Woermann-Hamburg die Börsenfürsten Bleich-röder und Hansemann auf der Bildfläche erschienen. Diese Herren beteiligen sich nur da, wo für sie etwas Erkleckliches abfiele. Es sei also ganz unzweifelhaft, daß der Löwenanteil der Vorteile den großen Unternehmern zufiele, daß aber den Löwenanteil der Kosten [...] die Arbeiterklasse und der kleine Mann zu tragen habe" (SD 7[1885]Nr. 9, zit. nach Schröder 1957, S. 16).

August Bebel befand dann knapp: „Daß die Subventionsmänner die Kolonialpolitik von der Kolonialpolitik [sic] trennen, geschieht nur, um ihr Gewissen zu tolerieren. Weder die Regierung noch irgendeine Partei läßt diese Trennung zu" (an JM, Dez. 1884, IML, NL Motteler, 12/11, Original im IISG). Denn in der Kommission hatte ein Seekapitän ausgeplaudert, daß die Schiffe, wenn nötig, auch als Kreuzer genutzt werden sollten (AB an FE am 28. 12. 1884, Bebel/Engels 1965, S. 206). Die Regierung erklärte darüber hinaus, sie benötige die für Handel und Post überflüssigen Linien ‘im politischen Interesse’ (AB an JM, ebd.).

Heinrich Dietz nahm nicht nur intensiv an dieser Debatte teil. Bisher hatte er sich nicht öffentlich in parteiinterne Debatten eingemischt, dieses Mal bezog er eine eindeutige Stellung, stand ganz gegen seine Gewohnheit im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen und war dementsprechend gefordert. Gleichzeitig mit den Reichstags-, den Kommissions- und den Fraktionssitzungen und diversen Treffen der Mehrheitsfraktion (dazu s. weiter unten) hatte er den Umzug des Druckunternehmens nach Hamburg zu organisieren. Hinzu kam eine belastende Ungewißheit, wie der neue der Prozeß gegen die Teilnehmer am Kopenhagener Kongreß ausgehen würde. Kein Wunder also, daß sich Heinrich Dietz zunehmend überfordert fühlte: „Im übrigen weiß ich nicht, wo mir der Kopf steht – es geht alles drunter und drüber. Der verflixte Umzug macht mir viel zu schaffen [...]. Meine Mitarbeiter sind Schablonenmenschen, die gar keine Initiative haben & damit soll man die Welt stürmen!" (HD an KK, 26. 2. 1885, IISG, K D VIII, Br. 61)

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3.6.5. Der Konflikt eskaliert:
‘Wassersuppen-Demokraten’ contra ‘Verbissene’ [ Siehe FN 40.]


Die ‘opportunistische Mehrheit’ (Schröder 1957) organisierte sich, um den Fraktionskampf besser steuern zu können, in einem besonderen ‘Privat-Zirkel’ (Brandis 1931, S. 93). Wilhelm Blos spielte später diese ‘Sonderkonferenzen’ herunter. Es hätte doch nur einen harmlosen ‘Kreis von jüngeren Abgeordneten’ gegeben (Grillenberger, Frohme und er selbst), die sich einfach mal zu ‘einem fröhlichen Abend’ – ohne die ‘weisen Lehren’ der ‘Alten’, der ‘Päpste’ – treffen wollten. „Als die Frage der Dampfersubvention kam, erweiterte sich dieser Kreis ganz von selbst", Singer und Hasenclever kamen dazu, auch „Dietz und Geiser" (Blos 1919, S. 128). In den folgenden Fraktionssitzungen sicherte sich die Mehrheit gegen die Auseinandersetzungen mit August Bebel, dem Sprecher der Minderheit, mit einer einfachen Maßnahme ab: Sie verabschiedete kurzerhand eine Redezeitbeschränkung für Diskussionsbeiträge auf zehn Minuten [ „Bei Beginn der Fraktionsberatungen über die Dampfersubvention hielt uns Bebel eine schmetternde, reichlich zweistündige Rede. Das war uns zu viel, und ich erhielt den Auftrag , eine Beschränkung der Redezeit zu beantragen, eine halbe Stunde für Referenten und zehn Minuten für Diskussionsredner. Die ‘Alten’ fanden das unerhört, aber es wurde beschlossen, und ich wiederholte den gleichen Antrag bei Eröffnung jeder Fraktionssitzung" (Blos 1919, S. 128, Hervorhebung von mir, agr.).] . Immerhin konnte die Minderheit eine Aufhebung des Fraktionszwanges erreichen: „Unser kleiner häuslicher Streit über die Dampferlinien", schrieb Heinrich Dietz an Hermann Schlüter, „ist dadurch beigelegt, daß wir die Abstimmung frei gaben. [...] Die Sache hat vorzugsweise eine praktische Seite und wird prinzipiell nur von den Fortschrittlern bekämpft. Der Eingriff in die freie Konkurrenz paßt ihnen wie gewöhnlich nicht" [ „Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion hat nach längeren Debatten den Beschluß gefaßt, die Abstimmung über die Dampfersubvention offenzulassen" (SD 6[1884]Nr. 50). Wilhelm Schröder allerdings bewertete die Freigabe der Stimmenabgabe in der Fraktion als Sieg der Mehrheit: „Die Opportunisten setzen deshalb – dem Beispiel bürgerlicher Fraktionen zu derselben Frage folgend – einen Beschluß der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion durch, der die Abstimmung freigab. Dies rief Erregung bei den klassenbewußten Arbeitern hervor" (1957, S. 14). ] (HD an HS, 15. 12. 1884, AdSD, NL Schlüter, B 30).

Heinrich Dietz beschwerte sich bei Wilhelm Liebknecht darüber, daß man den Beschluß der Fraktion, nichts in die Öffentlichkeit zu bringen, nicht streng genug aufrechterhalten hatte. „Sie müssen zugeben, daß die Art der Behandlung der Angelegenheit in der Öffentlichkeit nicht korrekt war. Es ist aus einer ganz einfachen praktischen Frage eine ‘Frage von größter prinzipieller Bedeutung’ gemacht worden. Durch die Äußerungen in der Presse wurden die Genossen verwirrt", und das hätte man vermeiden können. Er verlangte deswegen eine „stramme Geschäftsordnung" für die Fraktion und ihren Vorstand, nach der es endgültig verboten sein sollte, vor einer Entscheidung der Gesamtfraktion strittige Fragen in der sozialdemokratischen Presse oder in Versammlungen zu erörtern [ Bis 1906 gab es aber keine formale Geschäftsordnung für die wöchentlichen Sitzungen während der Sessionen (Nipperdey 1961, S. 382).] (HD an WL, ebd.).

August Bebel und Heinrich Dietz konnten sich mit ihren Forderungen nach dem Einsatz neuer und nur in Deutschland gebauter Schiffe auf den geplanten Linien in der Reichstagskommission überhaupt nicht durchsetzen (BüZtg. 5[1885], Nr. 26, 31. 1.). Als August Bebel aus taktischen Gründen in der Schlußabstimmung der Vorberatungen für die ostasiatische Linie stimmte (er wollte im Plenum darüber diskutieren), und Heinrich Dietz – von Bebel dazu überredet – gegen die australische Linie votierte, war die letztere tatsächlich schon in der Kommission abgelehnt. August Bebel war amüsiert: „In Wahrheit sind wir es also, die die Sache verhunzten, und mir hat es Riesenspaß gemacht, daß J.H.W., der eifrigste Vertreter der Subvention, ihr den Hals brach" [ „Indem es mir gelang, Dietz für die australische Linie umzustimmen, fiel dieselbe, und aus Wut ließen nun die Regierungsanhänger auch die ostasiatische Linie fallen" (AB an FE, 7. 2. 1885, Bebel/Engels 1965, S. 217).] (AB an JM, Febr. 1885, Im Kampf 1977, S. 99).

Mehrheitsfähig in der Partei war die Bewilligung von Steuergeldern zur kapitalistischen Profitmaximierung und zur Förderung ehrgeiziger deutscher Annexionspolitik nicht. Zahlreiche Proteste im „Sozialdemokrat" kritisierten die Haltung der Fraktion: „Aus den Dampfersubventionen ist also weder eine Förderung der Arbeiterinteressen noch auch eine Milderung der aus der Klassenlage für die Arbeiter hervorgehenden Übel zu ersehen, ebenso gehört die bei dieser Frage angeblich waltende Harmonie der Fabrikanten- und Arbeiter-Interessen wie bei allen anderen Wirtschaftsfragen der herrschenden Klassen in das Reich der Fabel" (aus der Resolution der deutschen Sozialisten in Zürich, in: SD 7[1885]Nr. 4, Hervorhebung im Orig.).

Ignatz Auer antwortete daraufhin mit einem Abwiegelungsversuch: Die Kritik könnte gar nicht zutreffen, gegen Kolonialpolitik wäre die gesamte Fraktion eingestellt, und der „Umstand, daß die deutschen Kolonialschwärmer auch für die Dampfersubventionen eintreten, ist doch noch kein Beweis, daß beide Dinge unzertrennlich zusammengehören", sondern ein „fundamentaler Irrtum". Keinesfalls aber wäre „diese Frage von so hochgradiger Bedeutung", daß davon großer Schaden für die Partei ausginge (SD 7[1885]Nr. 5). Der „Sozialdemokrat" konterte sofort: „Bei dieser Gelegenheit sei noch erwähnt, daß die Regierungsvertreter in dieser Debatte den Zusammenhang der Kolonialpolitik mit der Dampfersubvention auf das Schärfste betonen. [...] Die Reichsregierung muß es doch wissen!" (SD 7[1885]Nr. 5, Hervorhebungen im Orig.).

Die Diskussion in der Partei war noch lange nicht beendet, als Heinrich Dietz im März zur zweiten Beratung des Gesetzes im Reichstag sprach. Er argumentierte im Prinzip für die Subventionen, forderte im Namen der Sozialdemokraten erneut die Zusicherung, daß auf den einzurichtenden Postdampferlinien nur neue Schiffe fahren dürften und diese neuen Schiffe unbedingt in Deutschland zu bauen wären: „Wenn wir einmal mit Reichsmitteln im Interesse der deutschen Arbeit große auswärtige Linien ins Leben rufen wollen, dann wollen wir auch dafür sorgen, daß wirklich etwas gutes, gediegenes [sic] für die deutsche Industrie und den deutschen Handel geschaffen wird, und nicht der Eventualität ausgesetzt sein, daß altes, abgefahrenes Material, welches seit zirka 15 Jahren auf der nordamerianischen Linie gefahren hat, wieder wertvoll durch deutsche Reichsmittel gemacht wird" (Sten. Ber. 1885, S. 1773).

Ohne diese Bedingungen käme für den Betrieb nur der Bremer Norddeutsche Lloyd infrage. Es gab nämlich schon Schiffahrtslinien in die fraglichen Regionen: „Es sind Hamburger Kompagnien bereits vorhanden, die diese Linien mit Erfolg gegründet haben, und zwar zur Ehre des deutschen Handels und zum Vorteil der deutschen Industrie" (ebd.) Die aber hatten nicht die Kapazitäten, um zusätzliche Schiffe für Postlinien einzusetzen [ „Der Handel Deutschlands mit Ostasien und Australien war zu elf Zwölfteln in den Händen Hamburgs, während Bremen nur eine starke Reiseinfuhr hatte, und es war ein offenes Geheimnis, daß Bismarck die Subvention dem Bremer Lloyd zuwenden wollte, wodurch der Hamburger Handel und nicht zuletzt das Hamburger Proletariat arg geschädigt werden mußte" (Mehring 1909, S. 267).] . Heinrich Dietz argumentierte an der Seite der Hamburger Reeder [ In einem Promemoria hatte sich z.B. die Deutsche Dampfschiffahrts-Reederei zu Hamburg dem Reichstag angedient, sie hätte für die geplanten Linien Schiffe anzubieten, sie führe auch schon nach Ostasien und zwar ohne Subventionen. Also bräuchte man den Auftrag wirklich nicht nach Bremen zu vergeben („Hamburgischer Correspondent", zit. in der BüZtg 5(1885), Nr. 14, 17. 1.).] und verteidigte sie gegen die Konkurrenz des Bremer Lloyd [ Der Bremer Reeder Konsul Meier ( „Der Lloyd bin ich!" ) war nationalliberaler Reichstagsabgeordneter.] : „Würden wir jetzt einen solchen Gesetzentwurf, wie er seitens der Herren Konservativen und seitens des Zentrums vorgeschlagen worden ist, annehmen, so schließen wir [...] jede Konkurrenz aus, und der Bremer Lloyd würde tatsächlich [...] diese Linien übertragen erhalten, und unsere alten Linien, die von Hamburg aus fahren, würden in eine ganz eigentümliche Lage versetzt [...], und das wollen wir möglichst verhindern" (ebd.).

Zudem wäre es nötig, der momentan darniederliegenden deutschen Schiffbauindustrie wieder auf die Beine zu helfen, die Konkurrenz mit England behinderte sie immer noch, und „die Arbeitslosigkeit in diesem Gewerbe ist so groß, daß es geradezu eine Sünde wäre, wenn wir diesem Gesetzentwurf zustimmen würden, ohne die Bestimmung zu treffen, daß in die Fahrt nur ausschließlich neue Schiffe eingestellt werden" (S. 1774). Mit der Annahme der Vorlage meinte die Mehrheit der Fraktion, „der deutschen Industrie und den deutschen Arbeitern einen Dienst zu erweisen" (Sten.Ber. 1885, S. 1846). Die Dampfersubventionen, so könnte kein Gegner bestreiten, wären Hilfsmittel, „welche uns [sic] auf dem Weltmarkte fördernd zur Seite stehen und den Konkurrenzkampf erleichtern" (ebd.). Hier schlug Heinrich Dietz einen ganz ‘staatsmännischen’ Ton an. Ähnlich ‘verantwortungs’bewußt schrieb er deswegen an Karl Kautsky: „Ich bin nun geschlagene drei Wochen in Berlin gewesen. Meine Wähler verlangten [...], daß ich während der 2. Beratung der Getreide- und Holzzölle sowie der Dampfersubvention dort sein mußte" (21. 3. 1885, IISG, K D VIII, Br. 63).

Mit seiner Argumentation geriet er in einen Konflikt, in dem Sozialdemokraten vielleicht immer wieder stehen: „Meine Herren, ich muß mich noch gegen eines verwahren: gegen die Anschauung, als kämen diese Linien nur dem Großkapitel zugute. Das ist ein Irrtum. Bei unseren heutigen Produktionsverhältnissen und unserem heutigen Handel ist es wohl richtig, daß der eigentliche Gewinn, der Profit, dem Großkapital zugute kommt; aber, so lange diese Verhältnisse bestehen, gebrauchen unsere Arbeiter Arbeit, um nicht zu verkommen; was sollen die Leute anfangen, wenn sie keine Arbeit haben?" (Sten.Ber., S. 1846, Hervorhebung im Orig.) Über die Verbindung von Dampfersubvention und sowohl Kolonial- als auch Kriegspolitik des Deutschen Reiches war in Heinrich Dietz’ Ausführungen nur am Rande die Rede. Die afrikanische Linie und die Fortsetzung der australischen Linie nach Samoa lehnte er wegen der kolonialpolitischen Motive ab.

Kanzler Bismarck belehrte den ‘Herrn Vorredner’ daraufhin, die Kosten dieser Bedingungen wären enorm hoch und gar nicht im Sinne der Arbeiter, weil man möglicherweise gar nicht mehr in die Lage käme, neue Beschäftigung zu schaffen (S. 18). Die Fraktionsmehrheit der Sozialdemokraten war jedoch immer noch bereit, Subventionen in Höhe von 3,75 Millionen Mark zu genehmigen (Schröder, S. 17). Auf die Zusatzanträge ging der Reichstag nicht ein und bewilligte am Ende der zweiten Lesung die geforderten Gelder, allerdings nur für zwei Linien, statt für die bisher geplanten drei. Selbst die australische Linie (mit Einschluß der Route nach Samoa) ging nur knapp durch [ Im „Sozialdemokrat" wurde noch die Hoffnung geäußert, daß in der dritten Lesung neben der afrikanischen eventuell auch die zweite Linie abgelehnt werden könnte, weil – wie montags üblich – sehr viele Abgeordnete in der zweiten Lesung gefehlt hatten (SD 7[1885]Nr. 13; Sten. Ber. 1885, S. 1881ff.), darunter 11 Sozialdemokraten („Neue Preußische Zeitung" , 21. 3. 1885).] .

Natürlich stand auf der Tagesordnung der Fraktionssitzung am 18. März 1885 die Beschlußfassung zur 3. Lesung der Dampfersubventionen: „Die Majorität, allen voran Dietz, bei dem die Geschichte zu einer Art fixen Idee geworden ist, scheint ganz unglücklich zu sein, daß Bismarck nur eine Linie bekommen soll, und man will versuchen, ihm unter akzeptablen Bedingungen noch zu einer zweiten zu verhelfen" (AB an KK, 16. 3. 1885, Bebel/Kautsky 1971, S. 37). Auch in der Fraktionssitzung am 12. Mai war die Diskussion hitzig geführt worden. Georg von Vollmar kritisierte, die Fraktion hätte sich mit dieser Haltung ‘gegenüber der internationalen Arbeiterbewegung unsterblich blamiert’, die Abstimmung wäre ein ‘Schandfleck in der Geschichte der sozialrevolutionären Arbeiterbewegung’. Er bezeichnete insbesondere die Fraktionskollegen Kayser und Dietz als „prinzipienlose Wassersuppen-Demokraten" [ Das „Berliner Tageblatt" veröffentlichte nach der Fraktionssitzung am 12. Mai 1885 einen Blick auf den „Bruderzwist im Hause Liebknecht", worin der Redakteur drei Gruppen beschrieb: „Die Verbissenen : Bebel und Vollmar, die Versöhnlichen : Liebknecht, Auer, Viereck. Die Gemäßigten: Hasenclever, Singer, Dietz – der mit Bebel in der Dampfersubventionskommission hart aneinander geraten ist - , Geiser, Meister, Kräcker, Kayser, Frohme, Heine, Pfannkuch und die übrigen ‘Genossen’„ (12. 6. 1885).] (BLHA, Pr.Br. Rep. 30, Berlin C, Nr. 13170, Bericht 13. 5. 1885).

Schließlich brauchte Bismarck die Unterstützung der Sozialdemokraten gar nicht. Eine Mehrheit im Reichstag bestätigte ihm das Ergebnis der 2. Lesung. Die Sozialdemokraten mußten, wie angekündigt, geschlossen dagegenstimmen, weil ihre Bedingungen nicht angenommen wurden [ „Übrigens scheint der Hauptärger der zu sein, daß man sie die Fraktionsmehrheit, agr. schließlich doch gezwungen hat, gegen die Dampfervorlage zu stimmen, an der sie im Innersten der Seele hingen" (FE an AB, 4. 4. 1885, Bebel/Engels 1965, S. 218).] . Gegen alle offiziellen Dementis flossen die Gelder anschließend tatsächlich dem Bremer Norddeutschen Lloyd zu (SD 7[1885]Nr. 22).

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3.6.6. Im Visier: der „Sozialdemokrat" und die „Neue Zeit"

Auf eine entsprechende Notiz von Wilhelm Liebknecht im „Sozialdemokrat" (Im Kampf 1977, S. 299 u. 359) reagierten einige Fraktionsmitglieder sofort mit persönlichen Erklärungen. Ignatz Auer, Wilhelm Blos, Bruno Geiser und Carl Grillenberger verbaten sich den Hinweis darauf, Heinrich Dietz hätte sich schon im Reichstag in ähnlicher Weise geäußert. Dadurch wäre der Eindruck entstanden, Heinrich Dietz hätte sich trotzdem für die Dampfersubventionen eingesetzt und wäre dafür von der Fraktionsmehrheit auch noch unterstützt worden. In einer von Heinrich Dietz selbst verfaßten zweiten Erklärung rückte er den „Sozialdemokrat" sogar in die Nähe der anarchistischen „Freiheit" und bekräftigte noch einmal seine Meinung: „Ich stehe auch jetzt noch auf dem Standpunkt, daß jede Erweiterung der Verkehrswege, und namentlich der internationalen, kulturfördernd ist und im Interesse der arbeitenden Klassen liegt. Ich kann in einer Vorlage, wie die der Dampfersubvention, an und für sich keinen ‘Schwindel’ entdecken" (SD 7[1885]Nr. 27).

Wilhelm Liebknecht, gegen den sich diese Erklärung in erster Linie richtete, kommentierte den Angriff gelassen damit, Heinrich Dietz hätte – wie die anderen der Fraktionsmehrheit – „den Rappel" und würde sich schon wieder beruhigen. Doch im Gegenteil: Heinrich Dietz bestand auf der Veröffentlichung seiner Stellungnahme im „Sozialdemokrat". Eduard Bernstein berichtete seinem Freund Kautsky nach London, auf Heinrich Dietz könnte zur Zeit niemand Einfluß nehmen: „Wenn ich auch mit dem Soldaten als Milderungsgrund für Dietz annehmen will, derselbe habe wirklich den Rappel – eine Annahme, die einem ja beim guten J.H.W. nicht schwer wird -, so ist doch so viel klar, daß solange dieser ‘Rappel’ andauert, eine Einwirkung des Soldaten auf Dietz ausgeschlossen ist" (27. 6. 1885, in: Im Kampf 1977, S. 299f.).

Gegen Ende der Reichstagsdebatten über die Dampfersubventionen und auf dem Höhepunkt der politischen Auseinandersetzungen fand es die Mehrheit der Fraktion an der Zeit, den Kampf gegen den „Sozialdemokrat" nun endlich für sich zu entscheiden. Heinrich Dietz’ Entwurf einer ‘strammen Geschäftsordnung’ für die Fraktionsarbeit sah zur Kontrolle über das Parteiblatt eine Pressekommission vor, um „über alle zur Veröffentlichung eingehende, nicht redaktionelle [sic] Zusendungen und Korrespondenzen zu entscheiden, ob sie zur Aufnahme geeignet sind" (HD an WL, 23. 2. 1885, Im Kampf 1977, S. 110ff., Original im IML, NL Liebknecht, 34/18). August Bebel hatte eine solche Entwicklung schon kommen sehen und vorsorglich und vertraulich die Züricher informiert (AB an HS, 30. 1. 1885, Im Kampf 1977, S. 96f., Original im IML NL Bebel, 22/135). Julius Motteler legte daraufhin dem „Sozialdemokrat" eine Aufforderung der Züricher Mitglieder bei, gegen diesen Coup der Fraktionsmehrheit zu protestieren (Text in: Im Kampf 1977, S. 335ff.).

Nach dem Bericht der tatsächlich eingesetzten ‘Preßgalgenkommission’ [ So genannt von August Bebel, Georg von Vollmar und Wilhelm Liebknecht, die sämtlich die Mitarbeit ablehnten. Mitglieder waren Wilhelm Blos, Wilhelm Hasenclever, Carl Grillenberger, Paul Singer „und ein fünfter, dessen ich mich augenblicklich nicht entsinne" (EB an KK, 1. 5. 1885, Im Kampf 1977, S. 126, Original im IISG, NL Kautsky). Bernstein nannte Heinrich Dietz nicht, der aber könnte es vielleicht gewesen sein, denn er gehörte seit einem Jahr ohnehin schon zur Pressekommission der Partei (BLHA, Pr.Br. Rep. 30, Berlin C, Nr. 13101, 13. 7. 1884).] verabschiedete die Mehrheit eine Resolution, in der sie dem „Sozialdemokrat" zwar vordergründig ein Recht auf Kritik einräumte, darüber hinaus aber der Redaktion befahl, jegliche Kritik an der Fraktion einzustellen [ „Nicht das Blatt ist es, welches die Haltung der Fraktion zu bestimmen, sondern die Fraktion ist es, welche die Haltung des Blattes zu kontrollieren hat. – Die Fraktion erwartet demgemäß, daß derartige Angriffe in Zukunft unterbleiben" (SD 7[1885]Nr. 14).] (SD 7[1885]Nr. 14).

Die Empörung in der Partei war unerwartet groß. In den folgenden Stellungnahmen verschiedener Parteigruppierungen wurde deutlich, daß sich der Konflikt am Stellenwert und der Gestaltung sozialdemokratischer Parlamentsarbeit zuspitzte. Frankfurter Mitglieder kritisierten in einer Erklärung an den „Sozialdemokrat", daß inzwischen „eine Verschiebung zwischen dem Kern der organisierten Parteigenossen einerseits und den Abgeordneten derselben andererseits stattgefunden" hätte (SD 7[1885]Nr. 17). Die in der Mehrheit radikaleren Mitglieder verlangte Klarheit darüber, auch bei ihrer gemäßigten Fraktion, „daß wir keine Mitkomödianten, sondern Kritiker in diese Komödie [Parlament, agr.] senden" (ebd. Hervorhebungen im Orig.). Auch in Hamburg wurde gestritten. August Bebel erfuhr später, „und zwar aus bester Quelle, daß Dietz in seinem Wahlkreis wegen der Dampfersubvention starken Widerspruch gefunden" (AB an Georg von Vollmar, 11. 7. 1885, IML, NL Bebel, 22/139; auch: Im Kampf 1977, S. 325).

Hier kamen die ökonomischen Verhältnisse zum Tragen, die das politische Bewußtsein beeinflußten und die unterschiedliche Interessenlage von Parteibasis und der Mehrzahl ‘namhafter Führer der Sozialdemokratie’ bewirkten – hier das Festhalten am ‘entschieden revolutionären Standpunkt’, während man dort ‘auf ziemlich gesetzlichem Boden’ stand: „Die meisten der ‘gemäßigten’ Führer haben bei den verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften, welche von den Sozialdemokraten gelesen werden, Stellungen als Verleger oder Redakteure. Der Abgeordnete Dietz ist formell der Besitzer einer Druckerei in Stuttgart, welche nur sozialistische Druckwerke ausführt. Das Ausnahmegesetz gestattet jedoch nur die Herausgabe gemäßigter Preßerzeugnisse, weshalb Herr Dietz im Interesse seiner Verlagsanstalt ein Freund der ‘gemäßigten Kampfesweise’ sein muß. Die Herren Geiser, Blos und Frohme, deren Geisteserzeugnisse in den Dietz’schen Zeitschriften meist zum Abdruck gelangen, haben das gleiche Interesse. [...] Die vieljährige Übung dieser ‘gemäßigten’ Schreibweise bleibt natürlich auch nicht ohne Einfluß auf die Denkweise selbst" [ Vgl. dazu auch Wilhelm Liebknecht: „Eine latente Animosität gegen das ‘Parlamenteln’, von denen sic man ein korrumpierendes ‘Kompromisseln’ befürchtete" (zit. in Mittmann 1976, S. 68).] (Krieter 1887, S. 48f., Hervorhebungen im Orig.).

Die Reichstagsfraktion erkannte, daß sie offenbar zu weit gegangen war und beriet in einer dreitägigen Konferenz [ Versuche, auf dieser Konferenz Eduard Bernstein aus der Redaktion des „Sozialdemokrat" zu entfernen, konnten vereitelt werden, nicht zuletzt durch Wilhelm Liebknechts Drohung, dann seinerseits die Mitarbeit einzustellen (Im Kampf 1977, S. 253). Die Forderung nach Veranstaltung eines Parteikongresses lehnte die Mehrheit aber mit 11 gegen 4 Stimmen ab, weil sie eine Niederlage befürchtete (Im Kampf 1977, S. 389; Bartel/Schröder/Seeber 1980, S. 193ff.; Rieber 1984, S. 517; vgl. dazu auch Rothe 1961). Verabschiedet wurde ein Kompromiß, der einerseits den „Sozialdemokrat" als Organ der Gesamtpartei und nicht als ‘Eigentum’ der Fraktion anerkannte, andererseits stimmte die Redaktion zu, daß Einheit und Aktionsfähigkeit der Partei unbedingt aufrechterhalten werden müßte.] (um den 12. Mai herum) über ihr weiteres Vorgehen (Im Kampf 1977, Anm. 120 u. 251, S. 389, 405). In ihrem Rechenschaftsbericht über die parlamentarische Arbeit [ Der Rechenschaftsbericht (‘An die Parteigenossen’, Juni 1885, Text in: Dokumente 1974, S. 238ff.) wurde als Flugblatt gedruckt und Anfang Juli 1885 dem „Sozialdemokrat" beigelegt. Da hieß es über die Erfolge u.a.: „Die Ablehnung der Zollerhöhung auf Nähgarn, welche nur das arbeitende Volk belastet hätte, ist einzig und allein dem energischen Eingreifen unserer Fraktion zu danken" (S. 240f.).] wurde der Konflikt heruntergespielt, und es hieß nach einigermaßen korrekter Darstellung der unterschiedlichen Argumente beschwichtigend: „Diese und viele andere Gründe für und wider sind in der Fraktion, in unserem Parteiorgan und in der Presse überhaupt eingehend erörtert worden, ohne daß es eigentlich zu einer Einigung der differierenden Meinungen gekommen wäre" (ebd., S. 241) [ Was Friedrich Engels voraussah, spitzte sich 1890/91 mit der Opposition der ‘Jungen’ um Max Schippel noch einmal zu (Brandis 1931, S. 94ff.; SPD-Protokoll 1891, dort eine Zusammenstellung der Vorwürfe aus dem „Vorwärts", S. 53ff., Verhandlungen des fünften Tages S. 71ff.; vgl. auch Mehring 1909, S. 328ff.; Nowka 1973; Mittmann 1976).] .

Nach Karl Kautskys Meinung hatten die innerparteilichen Auseinandersetzungen jedoch Auswirkungen auf seine Stellung bei der „Neuen Zeit". Heinrich Dietz spielte seine momentane starke Stellung in der Fraktion gegen ihn als den ‘Marxisten’ aus und versuchte, ihm die Arbeit ständig „nach Kräften zu erschweren", schrieb Kautsky an seinen Freund Eduard Bernstein, er ließe sich „jedoch nicht wegschikanieren" (KK an EB, 19. 6. 1885, zit. in: Im Kampf 1977, S. 398). Bernstein antwortete beruhigend: Lange könnte dieses Hin und Her nun nicht mehr andauern, und die Schwierigkeiten, die daraus für Kautskys Arbeit an der „Neuen Zeit" erwüchsen, müßten ausgehalten werden. Auch Hermann Schlüter hätte geraten, schrieb Bernstein, Kautsky sollte doch den ‘Dietzschen Interjektionen etc.’ keine tiefere Bedeutung beimessen, er wüßte doch, wie der wäre: „Wie alle Geschäftsleute klagt und nörgelt er gern, Schlüter ist aber fest überzeugt, daß Dietz gar nicht daran denkt, Dich abzuschütteln. Schon deshalb nicht, weil er keinen Ersatz für Dich hat" (EB an KK, 27. 6. 1885, in: Im Kampf 1977, S. 300). So hatte sich Heinrich Dietz tatsächlich zu allen anderen Verpflichtungen im Reichstag und mitten im Umzug der Stuttgarter Druckerei auch noch die Zeit genommen, eine teure Werbekampagne für die „Neue Zeit" zu starten: „Wir müssen 3000 Abonnenten haben, wenn wir bestehen wollen. [...] Ich habe im Januar und Februar ca. 200 deutsche Orte, wo wir bislang keinen festen Fuß gefaßt hatten, mit Zirkularen & Sammelmaterial bombardiert, der Erfolg war nicht größer, als daß die Abgesprungenen gedeckt wurden" (d.h. die gekündigten Abonnements ersetzt; HD an KK, 13. 4. 1885, IISG, K D VIII, Br. 71).

Heinrich Dietz brauchte für seinen Verlag die Unterstützung der Intellektuellen Kautsky und Bernstein, über alle politischen Differenzen hinweg [ „In der Reichstagsfraktion [...] hatten Bernstein und ich mehr Gegner als Freunde. Dietz war uns freundschaftlich gesinnt, jedoch nur als Verleger. Sein Ehrgeiz ging dahin, seinen Verlag auf eine hohe Stufe zu erheben, und das konnte er nur mit Hilfe der Marxisten. Darüber war er sich klar. Darum hielt er mich, doch nur mit schwerem Herzen, denn als alter Lassalleaner neigte er eher zur Gegenseite" (Kautsky in: Engels/Kautsky 1955, S. 165).] . Deswegen riet Eduard Bernstein seinem Freund Kautsky, zwar nicht auf alles so großes Gewicht zu legen, was ihm über Heinrich Dietz erzählt würde – „seine Abhängigkeit von Stimmungen sei Dir ja bekannt" -, warnte ihn andererseits jedoch vor dem Einfluß von Wilhelm Blos und Bruno Geiser in Stuttgart: „Verlaß Dich nicht auf Dietz. Du weißt, wie er ist, und in welcher Umgebung er ist. Er ist, namentlich in prinzipiellen Fragen, höchst unselbständig – der reine Gefühlsmensch; hat aber neben sich zwei Leute, die ihre Ansichten in so protzenhaft anmaßender Form ausspielen, daß es auf einen Menschen wie Dietz unbedingt Eindruck machen muß", und: „Dietz ist schwach [...] in der Auffassung unserer politischen Stellung" [ Heinrich Dietz nahm in dieser Frage keine klare Haltung ein: So kamen seine Arbeitsüberlastung, ein angeschlagener Gesundheitszustand (er nannte sich ‘nervös’, andere bescheinigten ihm den ‘Rappel’) vielleicht auch mit starkem psychischem Druck zusammen, verursacht durch seine exponierte Stellungnahme in der Dampfersubventionsfrage. Bei einem Mann, der sich sonst eher im Hintergrund hielt, konnte das durchaus zu Unsicherheiten führen. Vielleicht fühlte er sich von mehreren Seiten angegriffen und gezwungen, ‘sich zu wehren’.] (EB an KK, 27. 2. 1885, IISG, zit. in Schaaf 1976, S. 628).

Eduard Bernstein ermutigte seinen Freund Kautsky: sobald der Umzug der Druckerei nach Hamburg abgeschlossen „und Dietz nicht mehr im Reichstag für Ausbreitung des deutschen Handels zu sorgen hat" (EB an KK, 5./6. 6. 1885, in: Im Kampf 1977, S. 252), würden die Verhältnisse sich bessern. Und: „Solange Du den Soldat nicht gegen dich hast, läßt Dietz Dich nicht fallen" (ebd.) beruhigte er Kautsky, der immer noch um die Existenz seiner Zeitschrift fürchtete. Schließlich war der Konflikt um die „Neue Zeit" zwischen Karl Kautsky und Heinrich Dietz aber beigelegt. „Dietz hat den Rückzug angetreten und mir alle Aufklärungen gegeben, die ich verlangt habe", schrieb Karl Kautsky an Eduard Bernstein, seine Stellung bei der Zeitschrift wäre gesichert, allerdings nur „für so lange, als bis eine allgemeine Spaltung nicht jedes Zusammenarbeiten unmöglich macht" (30. 6. 1885, Im Kampf 1977, S. 306). Danach war das weitere Erscheinen der „Neuen Zeit" nicht länger mehr eine Frage der Finanzierung. Der Abonnentenstamm der „Neuen Zeit" konnte auf 2.700 erweitert werden. Das bedeutete dann, daß die Zeitschrift keine großen Zuschüsse mehr erforderte [ „Es ist Tatsache , daß das Abonnement des Blattes sich jetzt wesentlich hebt – Dietz’ Bruder, der Pfingsten auf der Durchreise Schlüter besuchte, sprach von 2.700 Auflage" (EB an KK, 5./6. 6. 1885, Im Kampf 1977, S. 252).] .

Fest stand ja auch, daß die „Neue Zeit" weiterhin in Stuttgart gedruckt werden sollte. Politische Argumente hatten sich durchgesetzt, so daß der Verleger nur noch aus Gewohnheit auf die immer noch nicht gesicherte Existenz verwies: „Lange habe ich geschwankt, ob ich den vierten Jahrgang der Neuen Zeit herausgeben soll. Ich werde es tun, obgleich es mir schwer fällt. Jetzt ist es abgemacht. Alle Heiligen und der Wahre Jacob mögen helfen" (HD an KK, 22. 9. 1885, IISG, K D VIII, Br. 80).

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3.6.7. Fortdauernde Machtkämpfe in der Fraktion

„Es kam fast zur Spaltung, was jetzt, solange das Sozialistengesetz dauert, nicht wünschenswert. Sobald wir aber wieder etwas elbow-room in Deutschland haben, wird die Spaltung wohl kommen und dann nur nützen. Eine kleinbürgerlich-soziale Fraktion ist in einem Lande wie Deutschland unvermeidlich, wo das Spießbürgertum noch mehr als das historische Recht ‘keinen Datum nicht hat’" (Friedrich Engels an F.A. Sorge, 3. 6. 1885, zit. nach Schröder 1957, S. 23).

August Bebel hatte vermutet, daß die Fraktionsmehrheit es doch nicht auf eine Spaltung ankommen lassen würde (vgl. z.B. Herrmann/Emmrich 1898, S. 273). Obwohl Kautsky seinem Freund Bernstein schrieb: „die Kerle sind feig und machen es alle so wie Dietz, wenn man ihnen die Zähne zeigt, versichern sie, es sei nicht so ernst gemeint" (30. 6. 1885, Im Kampf 1977, S. 306), war er jedoch nicht so optimistisch. Die Majorität (‘wie dumm und rappelköpfig sie auch sein mag’) provozierte gezielt: „Ich glaube, die Kerle sind wütend wie Stiere und werden nicht eher ruhen, als bis sie es zum Bruche gebracht haben" (ebd., S. 307). Durch geschicktes Taktieren mit der Stimmung in der Partei selbst wäre es aber dem „Sozialdemokrat" und der radikaleren Fraktionsminderheit gelungen, die Spaltung zu verhindern, so daß es wohl zu einigen Ausschlüssen kommen könnte, aber die Einheit der Partei gewahrt bliebe, „natürlich immer noch mit rechtem und linkem Flügel, aber mit dem linken als führenden" (ebd., Hervorhebung im Orig.). Das Vertuschen der politischen Gegensätze aber führte nicht weiter: „Die ewigen Beteuerungen des Soldaten, daß jeder ein Esel sei, der von Uneinigkeit und Differenzen spricht, machen uns bloß lächerlich und tragen zur Einigkeit nichts bei" (ebd.).

Zum Eklat in der Fraktion kam es, als Karl Frohme die erwähnte Erklärung der Frankfurter Genossen zum Anlaß nahm, dieselben in einer bürgerlichen Zeitung als ‘Krakehler’ zu diffamieren. August Bebel wies diesen Vorwurf scharf zurück. Danach begann erneut ein Machtkampf, in dessen Verlauf Karl Frohme versuchte, einige Fraktionsmitglieder um sich zu sammeln – in der festen Überzeugung, die Mehrheit der Fraktion hinter sich zu haben: „Ich nenne Ihnen die Namen", schrieb er an Wilhelm Liebknecht, „Auer, Grillenberger, Hasenclever, Kräcker, Meister, Blos, Geiser, Dietz, Kayser, Schumacher, Wiemer, Pfannkuch. – Singer glaube ich auch dazu rechnen zu dürfen. Ist das keine Majorität?" (1. 6. 1885, zit. in: Im Kampf 1977, S. 243; Hervorhebungen im Orig.). In diesem Sinne lud er Wilhelm Liebknecht ein, Ende Juni zu ihm nach Frankfurt-Bockenheim zu kommen. „An Grillo, Dietz, Blos und Geiser habe ich dieselbe Bitte gerichtet" (25. 6. 1885, in: Im Kampf, S. 296f.). Es gelang Frohme und seinen Anhängern jedoch nicht, sich zur geplanten Versammlung die offizielle Unterstützung der Mehrheit zu verschaffen. Auch Heinrich Dietz hatte – wie zu erwarten war – eine Teilnahme abgelehnt. August Bebel traf ihn in Hamburg und stellte fest: „Dietz war über das Vorgehen Geisers sehr wenig erbaut" (AB an JM, 13. 6. 1885, IML, NL Motteler, 12/12, Im Kampf 1977, S. 262ff.). Bruno Geiser hatte sich in einer Stuttgarter Zeitung gegen Bebels Kritik an Karl Frohme geäußert, dieselbe als ‘unerhört’ bezeichnet und „bestätigt, daß die Mehrheit der Fraktionsgenossen für Frohme und entschieden gegen Bebel sei" (Im Kampf 1977, S. 253).

Nach all diesen harten Auseinandersetzungen beharrte Heinrich Dietz schließlich darauf, er hätte immer und überall die Übersicht behalten. Mitleid darüber, daß man wohl ‘auch mit ihm Komödie gespielt hätte’, also ihn für eine Richtung instrumentalisierte, verbat er sich: „Mit mir hat noch niemand solches fertig gebracht, es dürfte auch einigermaßen schwer werden, sei es in politischer oder in geschäftlicher Beziehung. Meine Freunde, wirkliche und sogenannte, mögen sich dessen versichert halten" (ebd.). Ganz so unschuldig an den Auseinandersetzungen, wie er sich gern darstellte, war er aber selbst doch nicht.

Heinrich Dietz hatte hier, wie die Mehrheit der sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten eine Wirtschaftspolitik vertreten, die, wie Brandis konstatierte, „aus der Ideenwelt der bürgerlichen Demokratie gewonnen waren". Die Fraktion war in dieser Frage bereit, alles zu fördern, was den Handel stützte, sie bekämpfte keineswegs – wie später die marxistisch argumentierende Linke – eine imperialistische Expansionspolitik, die „nur im Interesse feudaler Schichten und einzelner Kapitalistengruppen gelegen, unrentabel und irrationell vom Standpunkte der bejahten Entfaltung der Produktivkräfte durch die gesamte Bourgeoisie sei" (Brandis 1931, S. 88f.). Heinrich Dietz war der Meinung, man hätte den Widerspruch in der ‘praktischen Frage’ zu einem willkommenen Anlaß hochgespielt, „gegen die sog. Gemäßigten ein Ketzergericht abhalten zu dürfen." Falls die Absicht bestanden hätte, den Bruch der Partei herbeizuführen, hatte er nichts zur Versöhnung getan, obwohl er wenige Zeilen später in demselben Brief postulierte: „Pflicht eines jeden Parteigenossen, und namentlich der Führer, ist es, das Zerbrechen zu verhindern" (HD an WL, 23. 2. 1885, IML, NL Liebknecht, 34/18).

Ende Dezember notierte die Politische Polizei, daß August Bebel und Georg von Vollmar darauf hinarbeiteten, Karl Frohme auf dem nächsten Parteikongreß ausschließen zu lassen, „Frohme wird in diesem Falle sofort im Verein mit Meister und Dietz eine neue Partei gründen." Die letzteren hätten bereits auf einer Fraktionssitzung gedroht, falls ‘die revolutionäre Hetzerei’ nicht aufhöre, wäre eine Spaltung der Partei unvermeidbar [ „Die Majorität weiß recht gut, daß sie die Parteimasse nicht hinter sich hat, und sie weiß ferner, daß sie die Männer der Initiative nicht unter sich hat. Wir werden die Spaltung nicht provozieren, weil wir uns nicht ins Unrecht setzen wollen; da müssen stärkere Differenzen als bis jetzt vorliegen" (AB an KK, 16. 3. 1885, Bebel/ Kautsky 1971, S. 37). ] (BLHA, Pr.Br. Rep. 30, Berlin C, Nr. 13170, 4. 12. 1885). Daraus allerdings zu schließen, Heinrich Dietz hätte sich aktiv an der Spaltung seiner Partei beteiligt, scheint mehr als gewagt zu sein. Der anwesende Spitzel stand offenbar unter dem Druck, seiner Behörde einmal wirklich Aufsehenerregendes zu melden.

Die Konflikte traten recht bald in den Hintergrund, denn die Verfolgungen unter dem Sozialistengesetz und besonders der Prozeß gegen die Kongreßteilnehmer trafen beide Strömungen in der Partei gleichermaßen. Wilhelm Blos aber stellte im nachhinein – als wäre nichts gewesen – tatsächlich die Behauptung auf: „Die Partei als ganzes [sic] hatte an der Haltung der Fraktion nichts auszusetzen" [ Zur Unterstützung dieser Behauptung führte er einen entsprechenden Beschluß des Kopenhagener Kongresses – ohne Debatte gefaßt! – an, als ob die darauffolgenden Auseinandersetzungen gar nicht stattgefunden hatten.] (Blos 1919, S. 125).

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3.6.8. Eröffnung des Chemnitzer ‘Monstreprozesses’

„Um zu einer richterlichen, d.h. von einem Richterkollegium gutgeheißenen Anklage zu gelangen, müßte das Gesetz nicht bloß gebeugt, sondern geradezu gefälscht werden.
Ob das möglich?
Je nun, wir leben in Deutschland." [ Kommentar im „Sozialdemokrat" zum Chemnitz-Freiberger Sozialistenprozeß. „Daß schon nach dem Wydener Kongreß ähnliche Manöver gemacht wurden, aber nur zu schmählichem Fiasko führten, sei der historischen Vollständigkeit halber erwähnt. Das Fiasko wird auch diesmal nicht ausbleiben" (SD 6[1884]Nr. 39). Vgl. zum Freiberger Prozeß ausführlich Schwabe 1886, eine Rechtfertigungsschrift des Oberstaatsanwalts und Anklägers in Freiberg.]

Weitere drei der nach dem Kopenhagener Kongreß Verhafteten waren inzwischen in den neuen Reichstag gewählt worden. Die dickleibige staatsanwaltliche Anklageschrift (108 Bogenseiten mit 120 aufgezählten Belastungsstücken, BüZtg., 51885, 2. 6.) richtete sich nun gegen sechs Abgeordnete der sozialdemokratischen Fraktion und lag Heinrich Dietz als einem der Angeklagten im Januar 1885 vor [ Wie üblich stimmte der Reichstag zu, das Verfahren beim Chemnitzer Landgericht während der Dauer der laufenden Session einzustellen (Sten. Ber. 1885, S. 625ff., S. 818).] . Das Verfahren wegen ‘Geheimbünde-lei’ wurde im Sommer 1885 vor dem Chemnitzer Landgericht eröffnet. Gerade hatte Innenminister von Puttkamer die beteiligten Polizeibeamten auch noch öffentlich für ihr – verfassungswidriges – Verhalten gelobt (SD 7[1885]Nr. 30 u. 33).

Die ersten Verhandlungen fanden vom 28. bis 30. September statt (SD 7[1885]Nr. 41), nachdem ein Antrag auf Vertagung wegen der Erkrankung von Louis Viereck abgelehnt worden war (BüZtg, 5[1885], 13. 9. ). Die Sozialdemokraten konnten zu ihrer Verteidigung die Rechtsanwälte und Abgeordneten der Deutsch-Freisinnigen Justizrat August Carl Munckel aus Berlin und Julius Lenzmann aus Dortmund sowie Otto Freytag (Leipzig) gewinnen [ Rechtsanwalt Munckel war Abgeordneter des Wahlkreises Berlin III und hatte 1884 gegen den ‘Zähl-kandidaten’ Dietz das Mandat gewonnen (vgl. Kapitel 3.5.5). Lenzmann vertrat den Wahlkreis Arnsberg, trat im Prozeß aber nicht auf.] (SD 7[1885]Nr. 38). Der ‘Chemnitzer Monstreprozeß’ („Sozialdemokrat") gegen August Bebel, Ignatz Auer, Stephan Heinzel, Carl Ulrich, Philipp Müller, Karl Frohme, Louis Viereck, Georg von Vollmar und Heinrich Dietz versprach, lange zu dauern [ Heinrich Dietz glaubte nicht an eine Verurteilung (HD an KK, 22. 9. 1885, IISG, K D VIII, Br. 80). Er machte sich am 26. September auf die Reise und rechnete damit, erst am 4. Oktober wieder nach Stuttgart zurückkehren zu können, „Chemnitzer Adresse: Hôtel zur goldenen Eiche" (HD an KK, 22. 9. 1885, IISG, K D VIII, Br. 80). ] , da die Beweisaufnahme in der Voruntersuchung nicht erledigt wurde (SD 7[1885] Nr. 30) und man längere Reden aller neun Angeklagten erwartete.

Diese hatten sich aber darauf geeinigt, August Bebel stellvertretend für sie sprechen zu lassen und nur auf persönliche Befragung Auskunft zu erteilen [ „Cicero hat, wenn auch erst nach einige Widerstreben, verzichtet, die Welt mit einer oratorischen Leistung zu beglücken" (AB an WL, 29. 9. 1885, in: Bebel 1978 2, S. 204). ] . Die Beweisaufnahmen gingen deswegen viel schneller voran als erwartet. Schon am Dienstag Nachmittag langweilten sich die Angeklagten, und August Bebel schrieb an Wilhelm Liebknecht: „Vater Dietz hat, um die Zeit heute nachmittag totzuschlagen, eine Kegelpartie arrangiert, an der wir alle teilnehmen" (29. 9. 1885, ZPA Moskau, zit. in: Bebel 1978 Bd. 2, S. 205).

Nach insgesamt nur drei Verhandlungstagen hielten die Verteidiger ihre Plädoyers: „Es war ein Hochgenuß, die beiden Verteidiger [Freytag und Munckel, agr.] zu hören, wie der eine mit dem schweren Geschütz der Tatsachen, die gegen die staatsanwaltschaftlichen Ausführungen sprachen, in’s Feld rückte, der andere mit ätzender Ironie und feiner, aber schneidiger Logik das künstliche Gebäude staatsanwaltschaftlicher Phantasie zertrümmerte" (SD 7[1885]Nr. 41). Am 7. Oktober waren alle Angeklagten freigesprochen (Chemnitz-Freiberg 1886).

Die sächsische Oberstaatsanwaltschaft legte daraufhin Revision ein. Unterschätzt hatten die Sozialdemokraten dieses Mal die Wut der Behörden, die nicht lockerließen, bis sie ein Gericht fanden, das die Verurteilung doch noch ermöglichte: „Das Reichsgericht hat in dem Chemnitzer Sozialistenprozeß der Revision stattgegeben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung an das Landgericht in Freiberg verwiesen" (BüZtg. 51885, Nr. 302, 25.12.; vgl. auch Schwabe 1886).


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