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TEILDOKUMENT:
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Aus der aktuellen weiterbildungspolitischen Diskussion kommen Vorschläge, das Verhältnis von Arbeitszeit, Freizeit und Lernzeit neu zu organisieren. So empfiehlt das nationale Bündnis für Arbeit den Tarifvertragsparteien, Langzeitkonten einzurichten und diese u. a. für berufliche Weiterbildung zu nutzen
[Siehe hierzu die in Fußn. 4 zitierten Ausführungen.].
Vage bleibt allerdings die konkrete Ausgestaltung der Lernzeitkonten. Wer soll welche Zeiteinheiten in Lernzeitkonten investieren? Handelt es sich bei Lernzeiten um Arbeitszeit oder Freizeit? An welche Bedingungen ist die Nutzung der Lernzeitkonten geknüpft? Die nachfolgenden Ausführungen greifen diese Fragen auf und versuchen, die zeitorganisatorische Gestaltung von Lernzeitkonten etwas näher zu präzisieren.
1. Ausgangsüberlegungen
Als Ausgangspunkt für die Verteilung der Zeit bzw. Kosten von beruflicher Weiterbildung dienen üblicherweise humankapitaltheoretische Überlegungen. Danach hängt die Verteilung der Investitionen in Humankapital aufgrund unterschiedlicher Kalküle und asymmetrischer Nutzenverteilungen von Betrieben und Beschäftigten vom Spezifitätsgrad der beruflichen Qualifikationen ab. Je betriebsspezifischer die Weiterbildung ist, als desto geringer gilt der Anreiz der Beschäftigten, sich an den Bildungsaufwendungen zu beteiligen, da die erworbenen Qualifikationen in anderen Unternehmen nicht verwertbar sind. Anreize bestehen dagegen für den Arbeitgeber, da er aus den durch Bildungsinvestitionen gewonnenen Produktivitätssteigerungen zusätzliche Erträge erwarten kann.
Dieses Modell basiert aber auf Annahmen, die als in der betrieblichen Realität nicht oder nur eingeschränkt gegeben gelten (Alewell 1998). So ist von Informationsasymmetrien nicht nur zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten sondern auch zwischen den einzelnen Arbeitgebern auszugehen, die nicht immer den Wert der verschiedenen Trainingsmaßnahmen einschätzen können, vor allem wenn keine zertifizierten Abschlüsse existieren. Ebenso wenig ist gesichert, dass sich die von den Beschäftigten getätigten Investitionen in entsprechend höheren Erträgen niederschlagen. Hinzu kommt, dass die Erträge von Investitionen in Weiterbildung nur schwer zu messen sind (Gundlach 1998). Weiterbildung kann zudem als Instrument des Personalmarketings dienen (Sadowski 1980), so dass die Betriebe auch einen Anreiz haben, in allgemeine berufliche Weiterbildung zu investieren. Schließlich beinhaltet ein großer Teil der Weiterbildungsinvestitionen sowohl allgemeine als auch betriebsspezifische Elemente, deren Anteile sich erstens nicht genau quantifizieren lassen und die zweitens auch in einem engen funktionalen Zusammenhang stehen. Angesichts dieser Einschränkungen können humankapitaltheoretische Überlegungen nur bedingt Anhaltspunkte für eine Aufteilung der Weiterbildungszeiten liefern
[Backes-Gellner und Schmidtke zeigen, dass arbeitgeberseitig finanzierte allgemeine Elemente der beruflichen Weiterbildung nicht, wie humankapitaltheoretisch unterstellt, die Abwanderungsgefahr der Beschäftigten beeinflussen (Backes-Gellner/Schmidtke 2001).].
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Aushandlungspolitik andere Muster möglich, Lernzeiten auf Arbeitszeit und Freizeit zu verteilen. Die weiteren Überlegungen zur Etablierung von Lernzeitkonten gehen von folgenden Grundannahmen aus:
Einige der hier formulierten Annahmen sind erst rudimentär realisiert. Um Lernzeitkonten flächendeckend in den Betrieben einführen zu können, sind vor allem die Tarifvertragsparteien gefordert, entsprechende Schritte einzuleiten. Die Chancen, Weiterbildungszeiten tarifvertraglich zu vereinbaren, sind weniger pessimistisch einzuschätzen als noch vor einigen Jahren (Baethge 1992), da in verteilungspolitischer Hinsicht die Konkurrenz zu kollektiven Arbeitszeitverkürzungen zumindest auf absehbare Zeit entfallen ist. Kollektive Vereinbarungen über Weiterbildungszeiten kommen nicht additiv zu kollektiven Arbeitszeitverkürzungen hinzu, sondern können (zumindest zeitweilig) an deren Stelle treten. Die grundsätzlichen Konflikte zwischen den Tarifvertragsparteien speziell über Fragen der Definition von Lernzeiten und generelle Anspruchsrechte sind damit zwar noch nicht ausgeräumt. Mit den im Rahmen des Bündnisses für Arbeit getroffenen Vereinbarungen, Zeitkonten auch für Weiterbildungszwecke zu nutzen, haben die Tarifvertragsparteien aber immerhin eine gemeinsame Linie für weiterführende konzeptionelle Überlegungen gefunden. [Seite der Druckausg.:34]
2. Modelle für Lernzeitkonten
2.1 Dezentrale Lernzeitkonten
Für dezentral auf der betrieblichen Ebene organisierte Lernzeitkonten bieten sich folgende Eckpunkte an. Als Ausgangsbasis kommen die bereits bestehenden gesetzlichen, tariflichen sowie betrieblichen Zeitansprüche auf (berufliche) Weiterbildung in Frage, die im vorangegangenen Abschnitt skizziert sind. Sie liefern das zeitliche "Startkapital" für individuelle Lernzeitkonten. Als bislang noch isolierte zeitliche Elemente sind sie erstens zu einer gemeinsamen Plattform zusammenzufügen. Um für sämtliche Beschäftigte generelle Ansprüche auf Weiterbildungszeiten zu generieren, sind zweitens die bestehenden Lücken in den Anspruchsgrundlagen auf Weiterbildungszeiten zu schließen. Dieser Schritt soll Benachteiligungen einzelner Beschäftigtengruppen möglichst ausschließen. Sämtliche Beschäftigte erhalten individuelle Lernzeitkonten. Diese sind als Langzeitkonten zu bewirtschaften, um größere Zeitguthaben ansammeln und sie je nach Bedarf auch für zeitaufwendige Weiterbildungsmaßnahmen nutzen zu können. Drittens sind die scharfen Trennlinien, die betriebliche und öffentliche Weiterbildung separieren und für Beschäftigte und Arbeitslose unterschiedliche Lernorte vorsehen, zu lockern und durchlässiger zu organisieren. Den Brückenschlag zwischen den beiden Bereichen können Jobrotationsmodelle bilden. Lernzeitkonten ließen sich dann nach folgendem Muster konstruieren.
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fallsrisiko ließe sich mit Hilfe eines organisatorisch einfachen Verfahrens ausschließen, das die bedrohten Zeitelemente zugunsten einer investiven Zeitverwendung reserviert. Die Betriebsparteien - oder auch die Tarifvertragsparteien - müssten vereinbaren, dass sämtliche auf Kurzzeitkonten angesammelten Zeiteinheiten bei Erreichen von Grenzwerten automatisch auf ein Lernzeitkonto umgebucht werden. Vorschläge, zukünftige Arbeitszeitverkürzungen und Guthaben aus Zeitkonten auch für berufliche Weiterbildung zu nutzen, brechen mit drei in der beruflichen bzw. betrieblichen Weiterbildungspolitik verteidigten Prinzipien und dürften deshalb nicht ohne weiteres konsensfähig sein. Erstens setzen sie die Bereitschaft der Gewerkschaften voraus, Weiterbildungszeit (für berufliche Qualifizierung) nicht ausschließlich als Teil der Arbeitszeit zu definieren. Zweitens müssten sich die Arbeitgeberverbände mit generellen Weiterbildungsansprüchen für sämtliche Beschäftigte (eines Unternehmens oder Wirtschaftszweiges) arrangieren können. Und drittens müssten beide Tarifvertragsparteien sowie die Bundesländer die hier vorgeschlagene modifizierte Funktion der Bildungsurlaubsgesetze akzeptieren. Verschiedene Anzeichen lassen Hoffnung aufkommen, dass diese Prinzipien unter dem Druck, bei Konzeption und Realisierung von lebensbegleitendem Lernen international nicht ins Hintertreffen zu geraten, neu überdacht werden könnten. So zeigen die beiden erstgenannten Prinzipien ohnehin deutliche Auflösungserscheinungen. Erstens haben verschiedene, oben beschriebene tarifliche und betriebliche Vereinbarungen zur beruflichen Weiterbildung mit den traditionellen Verteilungsmustern von Arbeits-, Lern- und Freizeit gebrochen. Zweitens haben sie sowohl für einzelne Unternehmen als auch für ganze Wirtschaftszweige generelle Freistellungsansprüche auf berufliche Weiterbildung verankert. Überwiegend definieren sie Lernzeiten nach einem differenzierten Muster und behandeln Zeiten für betrieblich notwendige Weiterbildung als Arbeitszeit, die von den Beschäftigten initiierten Lernzeiten dagegen nach dem Prinzip des Time-sharing. Die hier vorgeschlagenen Lernzeitkonten orientieren sich an diesem Grundmuster. Deren flächendeckende Einführung würde die bisherige, sich weitgehend noch ungeregelt wildwüchsig in den Freizeitbereich hinein ausbreitende Praxis der Lernzeitorganisation beenden und in einem verbindlichen Rahmen institutionalisieren. [Seite der Druckausg.:36] Für eine Neuinterpretation der Bildungsurlaubsgesetze spricht schließlich deren bisherige Praxis. Wie oben ausgeführt, entfällt etwa die Hälfte aller Bildungsmaßnahmen auf berufliche Weiterbildung. Würde man eine solche Verwendung zweckgebunden festschreiben und außerdem die Inanspruchnahme den gleichen Regularien unterwerfen wie bei den übrigen tariflich oder betrieblich geregelten Weiterbildungsansprüchen, dann müßte sich das von den Arbeitgeberverbänden gegen die Bildungsurlaubsgesetze ins Feld geführte Argument des Missbrauchs weitgehend entkräften lassen. Gleichzeitig ist mit einer Aufwertung der Freistellungsregelungen zu rechnen.
2.2 Lernzeitkonten auf Basis von Überstundenguthaben
Ein anderer Vorschlag grenzt die auf Lernzeitkonten anzusparenden Arbeitszeitelemente enger ein und bezieht lediglich Zeitguthaben aus Überstunden ein (Pannenberg 2001). Die Grundidee sieht für transitorische Überstunden, die auf Zeitkonten mit dem Ziel des späteren Zeitausgleichs gutgeschrieben werden, die Option vor, die angesparten Zeitguthaben nicht nur wie bisher für entsprechende Freizeit sondern alternativ auch für Weiterbildungszeiten zu nutzen. Dieser Vorschlag läuft auf einen weiterbildungspolitischen Modellwechsel hinaus. Er definiert beruflich-betriebliche Weiterbildungszeit als Freizeit. Die Möglichkeiten, über diesen Weg die berufliche Weiterbildung zu forcieren, werden allerdings als begrenzt eingeschätzt. Begründet ist diese Auffassung mit dem gerade bei den geringer Qualifizierten vergleichsweise niedrigen durchschnittlichen Überstundenvolumen, das nur geringe Zeitkontingente für Weiterbildung biete (Pannenberg 2001). Skepsis gegenüber diesem Vorschlag erscheint aus mehreren Gründen angebracht. Es sind zunächst einmal weniger die qualifikationsspezifischen Differenzen im Überstundenniveau, die gegen den Vorschlag sprechen. Differenziert man die Beschäftigten nicht nur nach zwei sondern nach drei Qualifikationsgruppen, dann relativieren sich die Unterschiede in der Zahl der geleisteten Überstunden zwischen Un- und Angelernten und Facharbeitern/ mittleren Angestellten sowie Meistern/leitenden Angestellten
[So leisteten 1999 un- und angelernte Arbeiter durchschnittlich 0,7 transitorische, durch Freizeit ausgeglichene Überstunden, die Facharbeiter 0,9 Std., die Meister 1,5 Std., einfache und mittlere Angestellte 0,9 bzw. 1,3 Std. und leitende Angestellte 1,4 Std. (Groß et al. 1999: 507).].
In Rechnung zu stellen ist auch, wie Beschäftigte und Betriebe auf die vorgeschlagene veränderte Nutzung von Überstundenguthaben reagieren. In welchem Maße ändern sie ihre Bereitschaft, weiterhin Überstunden zu leisten, wenn diese weder in Geld noch in frei verfügbarer Zeit vergütet werden? Die Reaktionen dürften wesentlich von der Frage abhängen, ob die Verwendung der Überstundenguthaben [Seite der Druckausg.:37] für Weiterbildung als Option eingeräumt wird. Offen lässt der Vorschlag ferner die Frage, für welche Teile der betrieblichen Weiterbildung die Überstundenkonten genutzt werden sollen. Würde man die Freizeitoption ausschließen, dann gäbe es aus betrieblicher Sicht einen starken Anreiz, die Überstundenarbeit auszudehnen und stärker als bisher Freizeitanteile in Weiterbildungszeit umzuwandeln. Die indirekten Kosten der Weiterbildung ließen sich spürbar senken. Umgekehrt ist mit einer wachsenden Überstundenresistenz der Beschäftigten vor allem dann zu rechnen, wenn die Überstundenkonten auch die betriebsnotwendige Weiterbildung finanzieren sollen. Es käme zu einer Umverteilung der Weiterbildungskosten, ohne dass eine entsprechende Verteilung auch der Erträge aus den Investitionen in Humankapital gesichert ist. Angesichts dieser Bedenken und Unsicherheiten erscheint der Vorschlag, Lernzeitkonten ausschließlich oder vorrangig auf Überstunden zu basieren, als wenig überzeugend. Der zeitliche Grundstock für Lernzeitkonten sollte vielmehr, wenn diese für einen möglichst großen Kreis der Beschäftigten tragfähig sein sollen, aus anderen Quellen stammen, wie sie im vorigen Kapitel skizziert sind.
2.3 Zentral organisierte Lernzeitkonten
Ein dritter Ansatz schlägt vor, Lernzeitkonten für sämtliche Erwerbspersonen, also einschließlich der Selbständigen sowie der Arbeitslosen, zentral bei der Bundesanstalt für Arbeit (BA) einzurichten (Senatsverwaltung 2001). Der BA soll nicht nur die Aufgabe zufallen, die Lernzeitkonten zu verwalten. Sie soll auch eine zentrale Rolle bei deren Finanzierung übernehmen. Ansonsten stützt sich auch dieser Vorschlag auf mehrere Aufbringungsquellen, an denen sowohl Betriebe als auch Beschäftigte beteiligt sind. Den zeitlichen bzw. finanziellen Grundstock für die Lernzeitkonten soll die BA einbringen, indem sie einen Prozentpunkt der Beitragsätze zweckgebunden für den Aufbau von Lernzeitkonten einsetzt. Weitere Zeitelemente steuern die Beschäftigten bei. Sie sollen Elemente aus bestehenden Zeitguthaben auf Lernzeitkonten transferieren können. Ferner wird vorgeschlagen, zukünftig den Zuwachs der Produktivität zumindest teilweise für eine investive Arbeitszeitpolitik im Rahmen der Tarifaushandlungen zu verwenden. Schließlich sollen auch nicht-ausgeschöpfte Ansprüche aus den Bildungsurlaubsgesetzen auf die Lernzeitkonten fließen. Die Bildungskonten sollen mit den durchschnittlichen Zinssätzen auf Sparguthaben verzinst werden. Vorgeschlagen wird ferner, die Bildungskonten ähnlich wie das Bausparen öffentlich - vor allem steuerlich - zu fördern. Die Etablierung von Lernzeitkonten begründet einen generellen Rechtsanspruch auf Weiterbildung, deren Einlösung die Zustimmung des Arbeitgebers voraussetzt. Organisatorisch soll die Inanspruchnahme von Lernzeitguthaben nach dem Muster von Jobrotation umgesetzt werden. Die Qualifizierungskosten sollen zu Lasten der Arbeitnehmer gehen und über die Bildungskonten verbucht werden. [Seite der Druckausg.:38]
2.4 Vergleichende Bewertung
Vergleicht man die beiden Lernzeitkontenmodelle, die sich auf mehrere Zeitquellen stützen [Die Idee des Überstundenkontos wird hier wegen der genannten Einwände nicht weiter verfolgt.], dann lassen sich folgende Gemeinsamkeiten und Unterschiede ausmachen.
Der Vorschlag zentraler Zeitkonten hätte zudem zur Folge, das System der Beitragsfinanzierung neu zu organisieren. Da er Selbständige in die Förderung der beruflichen Weiterbildung einbezieht, müsste aufgrund des Äquivalenzprinzips deren Beitragspflichtigkeit eine automatische Folge sein. Generell erscheinen die mit diesem Ansatz implizierten institutionellen Umstrukturierungen als zu fundamental und deshalb kaum in absehbarer Zeit realisierbar. Zudem dürfte die massive Umverteilung der Weiterbildungskosten zu Lasten der Beschäftigten nicht widerstandslos bleiben.
2.5 Probleme der Handhabung
Das hier favorisierte, aus mehreren Quellen gespeiste Modell dezentral organisierter Lernzeitkonten wirft in der praktischen Handhabung eine Reihe von Problemen und Fragen auf. Zu klären sind alternative Verwendungsmöglichkeiten von Lernzeitguthaben einschließlich deren Konvertierbarkeit in Geld, der Insolvenzschutz, die zwischenbetriebliche Transferierbarkeit sowie die Abgrenzung von betrieblich oder individuell initiierter Weiterbildung. Mögliche Lösungen können hier angesichts nur
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bruchstückhafter Kenntnisse über die bisherigen Praxiserfahrungen lediglich angedeutet werden.
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Kommissionen, wie sie bereits in einigen Betrieben existieren, stellen einen praktikablen Weg der Konfliktlösung dar. Selbst wenn es gelingt, die angeschnittenen Probleme in befriedigender Weise zu lösen, verbleibt die Frage, inwieweit das vorgeschlagene Modell der Lernzeitkonten Ausmaß und Struktur der Weiterbildungsaktivitäten in die erforderliche Richtung beeinflussen kann. Hoffnungen, durch ein flächendeckendes Konzept der Lernzeitkonten, das den Beschäftigten zeitliche Ansprüche auf berufliche Weiterbildung einräumt, den zukünftigen Weiterbildungsbedarf besser abdecken zu können, gründen sich auf folgende Argumente:
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2.6 Ergänzung der Lernzeitkonten durch Jobrotation Der hier entwickelte Vorschlag für Lernzeitkonten ist auf Beschäftigte konzentriert, die Nicht-Erwerbstätigen bleiben ausgeklammert. Jobrotationsmodelle könnten die Brücke zur betrieblich organisierten Weiterbildung schlagen (Oschmiansky et al. 2001; Seifert 2001c). Jobrotation erfüllt eine doppelte Aufgabe. Qualifikationspolitisch bietet es beschäftigten Arbeitnehmern die Möglichkeit, für eine bestimmte Zeit an außerbetrieblichen Weiterbildungsveranstaltungen teilzunehmen, dadurch die beruflichen Einsatzmöglichkeiten sowohl im Betrieb als auch auf dem externen Arbeitsmarkt zu verbessern. Gleichzeitig können Betriebe aufgestaute Qualifikationsbedarfe decken, ohne dabei Arbeitsausfall und Engpässe bei Produktion oder Dienstleistung hinnehmen zu müssen. Die beschäftigungspolitische Funktion besteht darin, Arbeitslosen als Stellvertretern für die betrieblichen Bildungsteilnehmer zumindest befristet neue Arbeitsmöglichkeiten zu bieten, sie zu qualifizieren und betrieblich einzuarbeiten. Arbeitslose finden auf diese Weise wieder Anschluss an den Lern- und Arbeitsort Betrieb sowie die dort abgeforderten Leistungsstandards. Jobrotationsmodelle verwischen bei der beruflichen Weiterbildung die strikte institutionelle Grenzziehung zwischen externem und internem Arbeitsmarkt. Damit relativieren sie das bisherige Prinzip, das die Finanzierung der betrieblichen Weiterbildung als eine alleinige Aufgabe der Betriebe begreift. Zugleich können sie dazu beitragen, zeitliche und personelle Engpässe, die vor allem in kleineren und mittleren Unternehmen berufliche Weiterbildung behindern, abzubauen.
Fazit
Angesichts der absehbaren langfristigen Veränderungen sowohl auf der Nachfrage- als auch der Angebotsseite des Arbeitsmarktes ist eine tiefgreifende Reform des bestehenden Systems der beruflichen Weiterbildung überfällig. Lernzeitkonten nach dem hier vorgeschlagenen Muster können einen Baustein für ein Konzept des lebenslangen Lernens liefern. Zumindest in zeitorganisatorischer Hinsicht erweitern sie die Zugangsvoraussetzungen für sämtliche Beschäftigte, an beruflicher Weiterbildung teilzunehmen. Ausgangsbasis bilden bereits bestehende gesetzliche, tarifliche und betriebliche Ansprüche auf Lernzeiten, die zusammengeführt und um weitere Zeitelemente komplettiert werden. Jede/r Beschäftigte erhält ein individuelles Lern- [Seite der Druckausg.:42] zeitkonto. Für den Aufbau von Zeitguthaben dienen unterschiedliche Quellen. Das Ansparen erfolgt nach dem Prinzip des Time-sharing. Betriebe bringen Arbeitszeit ein, Beschäftigte beteiligen sich mit Freizeit. Mit diesem in der betrieblichen Praxis längst verbreiteten Prinzip versucht der hier entworfene Ansatz individueller Lernzeitkonten eine Perspektive für lebenslanges Lernen zu entwerfen, die wegen ihres vorgeschlagenen Verteilungsmusters als Kompromissformel dienen könnte. Die bloße Etablierung von Lernzeitkonten kann aber weder garantieren, dass die Weiterbildungsbeteiligung in dem erforderlichen Maße steigt noch dass die bislang vernachlässigten Personengruppen besser in berufliche Weiterbildung einbezogen werden. Hierzu bedarf es weiterer Voraussetzungen. Zur umfassenden Reform der beruflichen Weiterbildung gehört ebenso auch, die bestehenden Curricula entsprechend auszurichten und zu modularisieren, die Lernformen auf neue Zielgruppen zuzuschneiden, das bestehende System der Zertifizierung zu überprüfen usw. Entscheidend dürfte ferner sein, ob es gelingt, den Gedanken der Lernzeitkonten mit einer individuellen Qualifizierungs- und Entwicklungsplanung zu verknüpfen und als festen Bestandteil in die Personalentwicklung zu integrieren, wie er im Tarifvertrag der Metallindustrie Baden-Württemberg vereinbart wurde. Außerdem erscheint es unverzichtbar, wenn die bislang noch weiterbildungsabstinenten Betriebe und Beschäftigtengruppen aktiviert werden sollen, flankierende Hilfestellungen in Form überbetrieblicher Beratungs- und Betreuungseinrichtungen zu etablieren. Die Weiterbildungspraxis zeigt bereits verschiedene erfolgreiche Ansätze, deren Erfahrungen es aufzuarbeiten und auszubauen gilt. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2002 |