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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.:22]





III. Voraussetzungen für Lernzeitkonten




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1. Ausgangsüberlegungen

Sollen Lernzeitkonten die zeitlichen Voraussetzungen für lebensbegleitendes Lernen schaffen, dann haben sie eine Reihe von (auch normativen) Kriterien zu beachten. Erstens gehen die nachfolgenden Überlegungen von der oben explizierten Annahme aus, dass der Bedarf an beruflicher Weiterbildung, verteilt über eine gesamte Erwerbsbiografie, zukünftig zunehmen wird. Der Bedarf lässt sich allerdings nicht genau quantifizieren. Deshalb bleiben Annahmen über den insgesamt oder auch individuell zusätzlich zu leistenden finanziellen und zeitlichen Aufwand für berufliche Weiterbildung spekulativ. Angesichts dieses ungelösten Problems erscheint es sinnvoll, sich für ein in der betrieblichen Praxis flexibel handhabbares System der Weiterbildung auszusprechen, das unterschiedlichen und zudem im zeitlichen Ablauf wechselnden Bedarfsanforderungen gerecht werden kann. Hierfür spricht auch die Beschäftigtenperspektive. Da nicht auszuschließen ist, dass instabile Beschäftigungsverläufe allein schon wegen der weiteren Ausbreitung atypischer Beschäftigungsformen noch an Bedeutung gewinnen werden, gerät berufliche Weiterbildung zur Schlüsselgröße, um möglichst nahtlose Übergänge zwischen einzelnen Beschäftigungsverhältnissen bewältigen und nachhaltig „employability„ sichern zu können. Das Employability-Kriterium gilt universell für sämtliche Beschäftigtengruppen. Daraus ergibt sich als zweites Kriterium, dass jede employability stärkende Weiterbildungspolitik im Ansatz für Zugangsgerechtigkeit zu sorgen und Exklusion zu verhindern hat. Als drittes Kriterium ist bei der Konzipierung von Lernzeitkonten darauf zu achten, dass diese eine Balance zwischen individueller Eigenverantwortung und betrieblicher oder öffentlicher Förderung herstellen (Baethge/Lanfer 2001:105).

Unter Beachtung der genannten Kriterien hat investive Zeitpolitik mit Hilfe von Lernzeitkonten zusätzliche Zeitkontingente für berufliche Weiterbildung zu reservieren, die sich bedarfsgerecht während des gesamten Erwerbslebens nutzen lassen. Die nachfolgenden konzeptionellen Überlegungen zur Etablierung von Lernzeitkonten knüpfen an bereits bestehenden und in der betrieblichen Praxis bewährten Ansätzen an. Zum einen handelt es sich um bereits eingeführte Arbeitszeitkonten und zum anderen um bestehende gesetzliche, tarifliche und betriebliche Lernzeitansprüche.

Dieses Vorgehen ist zunächst einmal pragmatisch begründet, da es zumindest in Teilbereichen der Wirtschaft auf erprobten und eingeschliffenen Zeit- und Weiterbildungsstrukturen sowie –regelungen aufbauen kann. Zudem sprechen Kalküle der vermuteten politischen Durchsetzungschancen dafür, sukzessive bislang nur rudimentär etablierte Grundlagen zu komplettieren und gegen einen Systemwechsel, der stets schwieriger durchzusetzen ist als pfadabhängige Evolution. Für diesen Weg sprechen schließlich auch die bereits oben zitierten wegweisenden Empfehlungen, auf die sich die im Bündnis für Arbeit kooperierenden Akteure, die Bundesregierung sowie die Tarifvertragsparteien, verständigt haben. Unter diesen Vorzeichen sind in den weiteren Erörterungen folgende Fragen zu klären: Erstens interessiert, in welchem Maße Betriebe bereits ihre Arbeitszeitorganisation über Zeitkonten abwickeln und zweitens inwieweit bestehende Zeitkonten für berufliche Weiterbildung nutzbar sind. Neben diesen zeitorganisatorischen Fragen ist bei der Etablierung von Lernzeitkonten drittens zu klären, aus welchen Quellen die Zeitguthaben stammen können bzw. sollen. Weiterbildung kann entweder während oder außerhalb der Arbeitszeit stattfinden. Ihre Verteilung auf Arbeits- und Freizeit ist zugleich eine Frage der

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Kostenverteilung. Auch hier knüpfen die nachfolgenden Überlegungen an bereits bestehenden gesetzlichen, tariflichen sowie betrieblichen Lernzeitregelungen bzw. -ansprüchen an, die sie miteinander verflechten und um weitere Elemente ergänzen.

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2. Ansprüche auf Weiterbildungszeiten

Berufliche Weiterbildung findet überwiegend ohne geregelte Anspruchsgrundlagen statt. Nur ein Teil der Weiterbildungsaktivitäten beruht auf entweder per Gesetz oder Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung abgesicherten Freistellungsansprüchen. Zusammengenommen bilden sie (1997) die Basis für etwa ein Drittel (vgl. Abb. 3) aller Weiterbildungsfälle (Kuwan et al. 2000).

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Quelle: Kuwan et al. 2000

2.1 Gesetze

Gesetzliche Ansprüche auf Weiterbildungszeiten bieten die Bildungsurlaubsgesetze in 11 der insgesamt 16 Länder sowie das Sozialgesetzbuch III (SGB III). Während das erstgenannte Gesetz für Beschäftigte eine fünftägige Weiterbildungszeit pro Jahr reserviert, bietet das zweite Gesetz Anspruchsgrundlagen für arbeitslose Leistungsempfänger, die eine Förderdauer von bis zu zwei Jahren gestatten. Die Inanspruchnahme der Bildungsurlaubsgesetze ist zwar gering; die Teilnahmequoten erreichen im Bundesdurchschnitt nicht einmal 1,5%. Von den im Rahmen der Bildungsurlaubsgesetze praktizierten Maßnahmen entfällt aber immerhin etwa die Hälfte auf berufliche Weiterbildung. In der kontroversen Debatte um die Bedeutung der Bildungsur-

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laubsgesetze geht deren Beitrag zur beruflichen Weiterbildung meistens unter. Bei dieser Form der beruflichen Weiterbildung tragen die Betriebe zwar die indirekten Kosten in Form der Lohnfortzahlung, die Beschäftigten leisten aber nicht unerhebliche Eigenbeiträge, indem sie die direkten Kosten für Gebühren, Lernmaterialien usw. übernehmen.

2.2 Tarifverträge

Tarifvertraglich ist berufliche Weiterbildung nur vereinzelt vor allem im Kontext bestimmter Problemkonstellationen geregelt. Flächendeckende Vereinbarungen analog zu den traditionellen Regelungsgegenständen Einkommen und Arbeitszeit fehlen. Bei den bestehenden Tarifverträgen mit Weiterbildungsbezug handelt es sich nur in Ausnahmefällen um originäre Bildungsziele. In den meisten Fällen wird berufliche Weiterbildung als Instrument zur Lösung spezieller, eng definierter Ziele wie Rationalisierungsschutz, Frauenförderung oder Entgeltfragen angesehen (Sadowski/Decker 1993; Ochs/ Seifert 1994; Bispinck 2001). Die bestehenden Tarifverträge zur beruflichen Weiterbildung lassen keine konsistente Konzeption erkennen (Hardes/Schmitz 1991). Die maßgeblichen Weiterbildungsziele sind ebenso heterogen wie die vereinbarten Verteilungsmuster von Arbeits-, Frei- und Weiterbildungszeit.

Kontextunabhängige Weiterbildungsregelungen, die generelle Ansprüche auf berufliche Qualifizierung generieren, sind noch rar (Bispinck 2001). Die bislang fehlende Thematisierung und Behandlung dieses Regelungsgegenstandes wird als Beleg für ein mangelndes Interesse der beiden Tarifparteien interpretiert (Bispinck/Tarifarchiv 2000: 19), solange nicht verschärfter Wettbewerbs- und Modernisierungsdruck Betriebe und Tarifvertragsparteien zu gesonderten Qualifizierungsanstrengungen zwingt. Diese Voraussetzungen erscheinen zunehmend gegeben.

So nimmt es auch nicht Wunder, dass jüngst einige Bewegung in die tarifpolitische Landschaft gekommen ist. Verschiedene Vereinbarungen, weit überwiegend in Form von Haustarifverträgen für einzelne Unternehmen, bieten innovative Ansatzpunkte, die als wegweisend für die zukünftige zeitorganisatorische Gestaltung der betrieblichen Weiterbildung angesehen werden können. Es lässt sich allerdings noch nicht genau ausmachen, welche Regelungsmuster sich durchsetzen und als Folie für flächendeckende Vereinbarungen dienen werden. Vereinbarungen mit Weiterbildungsansprüchen definieren Lernzeiten nach folgenden vier Mustern:

  1. Die gesamte betrieblich-berufliche Weiterbildung wird nach dem Prinzip des Time-sharing behandelt. Weiterbildungszeit besteht zu gleichen Teilen aus Arbeits- und aus Freizeit.

  2. Betriebsnotwendige Weiterbildung ist Arbeitszeit. Darüber hinaus bestehen Freistellungsansprüche für von den Beschäftigten selbstinitiierte Weiterbildung nach dem Prinzip des Time-sharing.

  3. Betriebsnotwendige Weiterbildung fällt in die Arbeitszeit, während für Freistellungsansprüche, die selbstinitiierter Weiterbildung dienen, Freizeit aufzuwenden ist.

  4. Freistellungsansprüche definieren die gesamte Zeit der betrieblichen Weiterbildung als Arbeitszeit.

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Unabhängig von den jeweiligen zeitlichen Verteilungsmustern tragen in allen Fällen die Betriebe die direkten Kosten der Weiterbildung. Beispielhaft für die einzelnen Regelungsvarianten stehen folgende Vereinbarungen:

  1. Das Prinzip des Time-sharing für die gesamte betriebliche Weiterbildung liegt dem im Sommer 2001 für die "Auto 5000 GmbH", einem Tochterunternehmen der Volkswagen AG, abgeschlossenen Tarifvertrag zugrunde (Meine/Schwitzer 2001). Er sieht einen Anspruch der Beschäftigten auf eine dreistündige Weiterbildungszeit pro Woche vor. Eine Hälfte dieser Qualifizierungszeit ist Arbeitszeit, die andere Hälfte haben die Beschäftigten als Freizeit aufzubringen. Die Vereinbarung verknüpft den Anspruch auf Weiterbildung und die dafür benötigte Qualifizierungszeit mit dem Anspruch auf einen individuellen Entwicklungs- und Qualifizierungsplan. Die Beschäftigten sind verpflichtet, vereinbarte und angebotene Qualifizierungen zu leisten.

  2. Den Grundgedanken des Time-sharing für selbstinitiierte Qualifizierung in Verbindung mit generellen Weiterbildungsansprüchen haben einige Haustarifverträge vor allem im Bereich der Informationstechnologien aufgegriffen und umgesetzt. Hierzu gehören die Vereinbarungen bei der Debis AG oder bei der Deutschen Telekom AG [Weitere Beispiele nennen Bispinck/Trautwein-Kalms (1997) sowie Heidemann (1999).]. Die erstgenannte Vereinbarung unterscheidet zwei Varianten der Weiterbildung: Maßnahmen, die für die Erfüllung der aktuellen und geplanten Aufgaben erforderlich sind, und sonstige Qualifizierungen. Während im ersten Fall der Betrieb sämtliche Kosten übernimmt und die Weiterbildung während der Arbeitszeit stattfindet, teilen sich im zweiten Fall Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Zeitaufwand für Weiterbildung je zur Hälfte. Für die nach dem Prinzip des Time-sharing organisierten Bildungsmaßnahmen haben die Beschäftigten einen Mindestanspruch von fünf Arbeitstagen, der über einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren zu insgesamt 25 Tagen gebündelt werden kann.

    Die bei der Deutschen Telekom AG Ende 1998 in Kraft getretene Vereinbarung differenziert ebenfalls zwischen verschiedenen Varianten der Weiterbildung. Sie unterscheidet zwischen (1) der betrieblich-fachlichen Weiterbildung, die sich an den aktuellen betrieblichen Notwendigkeiten orientiert und bestimmten Beschäftigten vorbehalten ist, (2) der beruflichen Weiterbildung, die der Erweiterung des allgemeinen Qualifikationsniveaus dienen soll und (3) der freiwilligen Weiterbildung. Für die berufliche Weiterbildung (Variante 2) werden Mittel in Höhe von zehn Prozent des jährlichen Gesamtbudgets für Weiterbildung reserviert. Paritätische, von Arbeitgeber und Betriebsrat gebildete Weiterbildungsausschüsse entscheiden, für welche Maßnahmenarten die Mittel eingesetzt werden und welche Beschäftigtengruppen teilnehmen können. Sowohl bei den betrieblichen als auch den beruflichen Maßnahmen werden die Teilnehmer von der Arbeit freigestellt, allerdings mit dem Unterschied, dass im zweiten Fall kein Freizeitausgleich erfolgt, falls die Bildungsmaßnahmen im Anschluss an die Arbeit oder während arbeitsfreier Wochenenden durchgeführt werden.

  3. Der Gedanke der investiven Zeitverwendung lag auch den 1988 im Bereich der Mineralölwirtschaft (Deutsche Shell AG) vereinbarten Arbeitszeitverkürzungen zugrunde. Der hier abgeschlossene Firmentarifvertrag bietet den Beschäftigten die Option, die vereinbarte Verkürzung der tariflichen Wochenarbeitszeit um eine Stunde (von 39 auf 38 Stunden) entweder als Freizeit oder aber als Zeit für

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    selbstinitiierte Weiterbildung in kumulierter Form zu nutzen. Entscheiden sich die Beschäftigten für Weiterbildungszeiten, dann übernimmt der Betrieb sämtliche weiteren Kosten. Die möglichen Inhalte der Weiterbildung umfassen einen breiten Kanon und bieten den Beschäftigten vielfältige Möglichkeiten, sich für zukünftige höherwertige Tätigkeiten auf dem betrieblichen wie auch dem externen Arbeitsmarkt zu qualifizieren. Hiervon unberührt bleibt betrieblich initiierte Weiterbildung, die den aktuellen Anpassungsbedarf abdeckt, und als Arbeitszeit definiert ist. Die betriebliche Praxis zeigt, dass die qualifikationsorientierte Arbeitszeitverkürzung zu einer Ausweitung der Weiterbildungsmaßnahmen geführt hat. Etwa jeder vierte Beschäftigte optiert für Lernzeiten und rund ein Drittel der gesamten betrieblichen Weiterbildungszeiten geht auf dieses Modell zurück.

  4. Weiterbildungspolitisches Neuland hat der 1997 im Bereich der Textil- und Bekleidungsindustrie abgeschlossene Tarifvertrag zur Förderung von Aus-, Fort- und Weiterbildung betreten. Er bietet den Beschäftigten einen Anspruch auf eine bezahlte Freistellung für Weiterbildungsmaßnahmen bis zu fünf Tagen pro Jahr, ohne zwischen betriebsnotwendiger und beschäftigteninitiierter Weiterbildung zu unterscheiden. Ansprüche aus anderen Rechtsvorschriften werden angerechnet. Dies gilt auch für die Bildungsurlaubsgesetze. Zur Finanzierung zahlen die Arbeitgeber pro Beschäftigten und Jahr einen Bildungsbeitrag in Höhe von 10 DM in einen Branchenfonds, über dessen Verwendung eine paritätische Kommission aus Vertretern der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände entscheidet. Mit den Fonds-Mitteln können maximal 2% der Beschäftigten eine Woche lang qualifiziert werden.

Einen anderen Weg hat der Qualifizierungs-Tarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg eingeschlagen. Er verzichtet auf generelle Weiterbildungsansprüche mit quantifizierten Zeitkontingenten (Huber/Hofmann 2001). Vielmehr sichert er den Beschäftigten einen Anspruch auf ein jährliches Personalgespräch, bei dem der individuelle Qualifizierungsbedarf festgestellt werden soll. Auf dieser Basis sind dann entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen zu treffen. Die Feststellung des Qualifizierungsbedarfs fußt auf einer breiten Definition von beruflicher Qualifizierung. Sie umfasst die Anpassungsqualifizierung, die sich aufgrund veränderter Arbeitsaufgaben ergibt, ebenso wie die Erhaltungsqualifizierung, die "die ständige Fortentwicklung des fachlichen, methodischen und sozialen Wissens im Rahmen des eigenen Aufgabengebietes während des gesamten Berufslebens" (Huber/Hofmann 2001: 465) sichern soll. Berufliche Qualifizierung umfasst schließlich auch Maßnahmen, die der beruflichen Entwicklung dienen und auf andere gleichwertige oder höherwertige Arbeitsaufgaben vorbereiten sollen. Außerdem bietet der Tarifvertrag den Beschäftigten einen Anspruch auf befristete Freistellung bzw. Teilzeitarbeit bis zu drei Jahren, um diese Zeiten für persönliche Weiterbildung nutzen zu können. Insgesamt stärkt der Tarifvertrag die Individualrechte und definiert den Weiterbildungsbedarf aus der Beschäftigten- und nicht allein aus der Betriebsperspektive.

Die hier hervorgehobenen tarifvertraglichen Vereinbarungen behandeln nicht nur Lernzeiten nach unterschiedlichen Prinzipien. Teilweise beziehen sie das Time-sharing-Prinzip nur auf nicht-betriebsnotwendige Qualifizierungsaktivitäten, teilweise aber auch auf jede Form der Qualifizierung. Sie gehen auch die Verknüpfung von Weiterbildung und Personalentwicklung unterschiedlich an. Nur einige Vereinbarungen beziehen beide Handlungsfelder systematisch aufeinander.

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2.3 Betriebsvereinbarungen

Betriebliche Weiterbildung findet überwiegend ohne formalisierte Regelungen statt. Nur knapp jeder fünfte Betrieb [Nach den Ergebnissen der WSI-Betriebsrätebefragung von 1999/2000 haben 18% der Betriebe mit Betriebsrat und mehr als 20 Beschäftigten eine Betriebsvereinbarung zur beruflichen Weiterbildung abgeschlossen, weitere 16% haben feste Absprachen getroffen. Wenn dieser Wert deutlich den in Tabelle 3 ausgewiesenen Wert übersteigt, dann hat die Differenz vor allem mit dem unterschiedlichen Sample der beiden Untersuchungen zu tun. Die erste Erhebung bezieht sich lediglich auf Betriebe mit Betriebsrat und mindestens 20 Beschäftigten, während die andere Erhebung sämtliche Betriebe mit mindestens einem sozialversicherungspflichtig Beschäftigten einbezieht.] mit betrieblicher Interessenvertretung hat bislang eine Betriebsvereinbarung zur beruflichen Weiterbildung abgeschlossen. Deren Verbreitung korreliert eng mit der Betriebsgröße. In gut einem Drittel der Betriebe mit mehr als 1.000 Beschäftigten existieren Betriebsvereinbarungen, die Qualifizierungsaspekte thematisieren. Weitere 22% der Betriebe haben feste Absprachen getroffen, davon etwa die Hälfte in schriftlicher Form (vgl. Tabelle 3).



Tabelle 3:

Regelungsgrundlagen betrieblicher Weiterbildung 1)
Angaben in %, Westdeutschland ohne Berlin (West)


Anzahl der Beschäftigten


bis zu 19

20 - 199

200 - 499

500 und mehr

Gesamt

Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung

3

4

7

13

3

Tarifvertragliche Regelungen

5

4

8

8

5

Betriebsvereinbarungen

6

11

15

26

7

Regelungsabsprachen

4

16

21

20

6

Einzelvertragliche Regelungen

2

2

3

3

2

Informelle Absprachen

5

9

7

6

5

Keine Regelungen

74

54

38

23

71

1) Anteil der Betriebe an Betrieben mit Weiterbildung.

Quelle: Betriebsbefragung 2000 Mercator-Universität Duisburg/ WSI Düsseldorf



Die Existenz einer formalisierten Regelung besagt aber auch noch nicht viel über das Spektrum der vereinbarten Regelungsinhalte, deren Detailliertheit und Verbindlichkeit. Einen ersten Einblick in die Regelungsinhalte bietet eine Sammlung von 80 eigenständigen Betriebs- und Dienstvereinbarungen aus 73 Betrieben bzw. Unternehmen (Heidemann 1999). Hauptsächlich zielen die untersuchten Regelungen darauf, eine formalisierte betriebliche Weiterbildungspolitik zu etablieren, die sich auf systematische Planungsverfahren mit einer regelmäßigen Bedarfsermittlung stützt. Etwa ein Viertel der Vereinbarungen unterscheidet zwischen einerseits individuell von den Beschäftigten gewählter und andererseits vom Betrieb initiierter Weiterbildung. Während bei der zweiten Kategorie die Lernzeiten als Arbeitszeiten gelten, müssen die Beschäftigten bei der ersten Weiterbildungskategorie Eigenbeiträge in Form von Zeit und Geld aufbringen. Mit der Unterscheidung zwischen individuell und betrieblich initiierter Weiterbildung ist noch nicht automatisch auch eine trennscharfe Abgrenzung der Weiterbildungsinhalte vollzogen. Auch im ersten Fall können die Maßnahmen

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durchaus der Erweiterung der fachlichen und persönlichen Kompetenz der Mitarbeiter dienen. Sie müssen zwar nicht für den aktuellen Arbeitseinsatz erforderlich sein, können aber prospektiv dazu beitragen, bevorstehenden technisch-organisatorischen Wandel im Betrieb von der Qualifikationsseite vorzubereiten, so dass Anpassungsfriktionen vermieden werden. Zwischen betrieblichem Bedarf und individuellen Qualifizierungsinteressen lässt sich nicht immer trennscharf unterscheiden. Es verbleibt Spielraum für Interpretationen und damit auch für Konflikte.

In der Tendenz zeigen die Regelungsinhalte der untersuchten Vereinbarungen, dass der als Eigenbeteiligung deklarierte Anteil der aufzubringenden Freizeit mit abnehmender Bedeutung des Kriteriums der Betriebsnotwendigkeit steigt (Heidemann 1999). Außerdem regeln einzelne Vereinbarungen die Verrechnung derjenigen Weiterbildungszeit, die über die betriebsübliche Arbeitszeit hinausgeht. Der getroffene Modus sieht vor, diese Zeitelemente auf einem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben und mit entsprechender Freizeit auszugleichen.

2.4 Resümee: Ansätze investiver Arbeitszeitpolitik

Resümierend lässt sich festhalten, dass ein systematisches Konzept der beruflichen Weiterbildung, das sämtliche Beschäftigte einschließlich der Arbeitsuchenden einbezieht und generelle Weiterbildungsansprüche normiert, bislang zwar fehlt. Die bestehenden Regelungen sind lückenhaft, zudem häufig kontextgebunden und außerdem auf verschiedenen Ebenen angesiedelt. Sie sind aber ausbaufähig und können als Grundlage für weiter führende Schritte dienen.

Einige (Haus-)Tarifverträge sowie Betriebsvereinbarungen haben in den letzten Jahren die betrieblichen Weiterbildungsstrukturen neu belebt. In Teilbereichen beenden sie den bislang regelungsfreien Zustand der betrieblichen Weiterbildung. Verschiedene Vereinbarungen verankern generelle Weiterbildungsansprüche und führen Lernzeitkonten ein, ohne jedoch Weiterbildungszeit nach einem einheitlichen Muster zu definieren. Einen weiteren innovativen Impuls haben die erstmals in einem Flächentarifvertrag vereinbarten Ansprüche auf Feststellung des individuellen Qualifizierungsbedarfs gegeben. Ob und in welchem Umfang die skizzierten Weiterbildungsregelungen die Weiterbildungsintensität beeinflussen und bislang vernachlässigte Beschäftigtengruppen fördern konnten, lässt sich aufgrund fehlender Evaluierungen noch nicht angeben.

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3. Arbeitszeitkonten als zeitorganisatorische Voraussetzung

Neben den bestehenden Weiterbildungsansprüchen stellen die bereits eingeführten Arbeitszeitkonten die zweite zentrale Grundlage dar, um Lernzeitkonten einzurichten. Arbeitszeitkonten haben sich in den letzten Jahren in weiten Teilen der Wirtschaft als neues Instrument der Arbeitszeiterfassung etabliert [Die Anteilswerte für Betriebe mit Zeitkonten bewegen sich zwischen 18% (Bellmann/Ludewig 2000) und 65% (DIHT 2000).] (DIHT 2000; Bellmann / Ludewig 2000; Bundesmann-Jansen et al. 2000; Dobischat/Seifert 2001; Seifert 2001b). Von den Betrieben in Westdeutschland, die in den letzten drei Jahren Weiterbildungsaktivitäten durchgeführt haben, nutzt etwa ein Drittel auch Arbeitszeitkonten (Dobi-

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schat/Seifert 2001) [Die nachfolgenden Angaben über Zeitkonten beziehen sich nur auf Betriebe mit Weiterbildungsaktivitäten, falls nicht explizit andere Quellen genannt werden .].
Der Verbreitungsgrad von Arbeitszeitkonten korreliert positiv mit der Betriebsgröße. Kleinbetriebe dürften variable Arbeitszeitformen auch häufig ohne formalisierte Zeitkontenregelungen praktizieren.

Überall dort, wo Arbeitszeitkonten existieren, sind es in den Weiterbildungsbetrieben vorrangig die Fachkräfte (84 %), die ihre Arbeitszeit im Rahmen von Arbeitszeitkonten bewirtschaften, ebenso die un- und angelernten Belegschaftsmitglieder (73%). Dagegen verfügt nur jede zweite Führungskraft (50%) über ein Arbeitszeitkonto. Formelle Arbeitszeitregelungen, auch auf Basis von Zeitkonten, spielen bei dieser Beschäftigtengruppe wegen deren weitgehender Selbstbestimmung der Arbeitszeit eine geringere Rolle. Diese Beschäftigtengruppe dürfte die Arbeitszeit eher nach dem Modell der Vertrauensarbeitszeit praktizieren.

Nahezu jeder Betrieb mit Weiterbildungsangeboten (96 %) nutzt die Konten zum Ausgleich von akkumulierten Überstunden. Andere Ausgleichsgründe (vgl. Tabellen 4 und 5) fallen dagegen deutlich ab.



Tabelle 4:

Zeitkonten: Verbreitung und Zeitelemente (nach Betriebsgröße) (Angaben in %) -
Westdeutschland ohne Berlin (West) -


Anzahl der Beschäftigten

Ge-
samt


bis zu 19

20–199

200–499

500 und mehr


Verbreitung von Arbeitszeitkonten*

Anteil Betriebe

33

49

56

66

35

Anteil Beschäftigte

18

34

41

43

32

Welche Zeitelemente können verbucht werden

Guthaben aus tariflicher Arbeitszeitverkürzung

13

18

26

27

14

Überstunden

97

93

90

86

96

Gleitzeit

35

55

77

84

39

Ungleichmäßige Arbeitszeitverteilung

33

43

52

52

35

Zeitzuschläge Nacht-/Wochenendarbeit

17

20

20

25

18

Tarifurlaub

15

9

8

9

14

Sonstiges

1

3

1

4

2

Verwendung von Zeitguthaben für betriebliche Weiterbildung

Anteil Betriebe

11

10

13

21

11

* nur weiterbildungsaktive Betriebe

Quelle: Betriebsbefragung 2000 Mercator-Universität-Duisburg / WSI Düsseldorf



[Seite der Druckausg.:30]



Tabelle 5:

Zeitkonten: Verbreitung und Zeitelemente (nach Wirtschaftsbereichen) (Angaben in %) –
Westdeutschland ohne Berlin (West)


Wirtschaftsbereiche



Ver-
brauchs-
güter

Produk-
tions-
güter

Investi-
-tions-/ Ge-brauchs-
-güter

Bau-
gewerbe

Handel

sonst. Dienst-
leistun-
gen

öffent-
liche Dienst-
leistun-
gen

sonst. Verar-
beiten-
des Ge-
werbe

Gesamt

Verbreitung von Arbeitszeitkonten*

Anteil Betriebe

32

44

38

67

32

28

22

78

35

Anteil Beschäftigte

36

49

62

31

17

23

29

46

32

Welche Zeitelemente können verbucht werden

Guthaben aus tariflicher Arbeitszeitverkürzung

21

8

7

18

13

12

9

19

14

Überstunden

99

96

99

99

97

92

95

98

96

Gleitzeit

65

41

56

20

38

36

92

69

39

Ungleichmäßige Arbeitszeitverteilung

44

38

41

32

42

35

23

20

36

Zeitzuschläge Nacht-/ Wochenendarbeit

27

3

7

18

14

22

17

31

19

Tarifurlaub

30

6

16

19

8

10

13

3

14

Sonstiges

0

0

0

5

1

1

0

0

2

Verwendung von Zeitguthaben für betriebliche Weiterbildung

Anteil Betriebe

24

4

3

6

4

15

2

53

11

* nur weiterbildungsaktive Betriebe

Quelle: Betriebsbefragung 2000 Mercator-Universität-Duisburg/ WSI Düsseldorf



Sollen Arbeitszeitkonten die Möglichkeit bieten, Zeitguthaben für berufliche Weiterbildung im Sinne des lebenslangen Lernens akkumulieren und bei Bedarf auch nutzen zu können, dann sollten sie möglichst als Langzeitkonten organisiert sein. Ansonsten bleibt der Rahmen, Lernzeiten ansparen zu können, zu eng begrenzt [Im Vordergrund betrieblicher Weiterbildungsaktivitäten stehen zwar kurzfristige Maßnahmen in Form von eintägigen Lehrgängen, Fachvorträgen, selbstgesteuertem Lernen. Vor allem aber Umschulungsmaßnahmen erfordern einen erheblich höheren Zeitaufwand (Weiß 2000).].
Diese Voraussetzung erfüllt bislang nur ein geringer Teil der bestehenden Arbeitszeitkonten. Bei etwa 80% aller Arbeitszeitkonten (in Betrieben mit Betriebsrat und mehr als 20 Beschäftigten) handelt es sich um Kurzzeitkonten. Die Ausgleichszeiträume sind auf maximal ein Jahr limitiert. Nur 20% der Arbeitszeitkonten gestatten längere Ausgleichsphasen oder verzichten sogar völlig auf Begrenzungen (vgl. Abb. 5). Um aber Langzeitkonten etablieren zu können, müssten in den meisten tarifgebundenen Betrieben die bestehenden tariflichen Arbeitszeitregelungen modifiziert und die Ausgleichszeiträume auf die Anforderungen von Lernzeitkonten zugeschnitten werden.

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Abb. 5: Ausgleichszeiträume für Zeitkonten (in %)

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Quelle: WSI-Betriebs-/Personalrätebefragung 1999/2000

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Nur eine Minderheit der Betriebe nutzt bislang Arbeitszeitkonten für berufliche Weiterbildung. In jedem zehnten Weiterbildungsbetrieb, der die Arbeitszeit mittels Konten bewirtschaftet, besteht die Möglichkeit, angesparte Zeitguthaben für berufliche Weiterbildung zu verwenden. Diese Nutzungsmöglichkeit gilt eher in Großbetrieben. Sie gilt ferner eher für Fachkräfte sowie Führungskräfte, für Randbelegschaften dagegen kaum. Lernzeitkonten stellen also noch eine gewisse Rarität dar.


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