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3. Sozialpolitik als Politikfeld

Ziel dieses Abschnittes ist es, einen Überblick über die Merkmale des Politikfeldes Sozialpolitik zu geben, soweit sie für die Thematik der politischen Kommunikation in diesem Politikfeld relevant sind. Dabei geht es zunächst darum, den Begriff „Politikfeld" aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive in allgemeiner Sicht zu beleuchten (Abschnitt 3.1), um dann auf Besonderheiten des Politikfeldes Sozialpolitik einzugehen (Abschnitt 3.2)

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3.1 Politikfelder als Policy-Netzwerke

Ein Politikfeld wie das der Sozialpolitik lässt sich mit Pappi/König definieren als „ein inhaltlich abgegrenzter Bereich von Regelungen und Programmen, also von policies, wie sie normalerweise organisatorisch im Zuständigkeitsbereich von Ministerien oder Parlamentsausschüssen zusammengefasst sind" (Pappi/König 1995: 111). Mit dem Begriff der „Policy" wird innerhalb der Politikwissenschaft die inhaltliche Dimension von Politik bezeichnet, d.h. die Verarbeitung gesellschaftlicher Probleme und

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die Art und Weise, wie diese in konkreten Politikfeldern angegangen werden. Der Policy-Begriff differenziert damit die inhaltliche Dimension von Politik von deren formalen Rahmen („Polity") und der Analyse politischer Verfahren oder Prozesse („Politics") (vgl. u.a. Kaase 1998) - auch wenn diese analytischen Dimensionen von Politik in der Realität nicht immer trennscharf voneinander abgegrenzt werden können. Die Thematisierung von Problemen und Regelungsvorschlägen innerhalb eines bestimmten Politikfeldes ist immer auch mit Fragen von Einfluss und Macht der dort handelnden Akteure verbunden (Politics-Dimension), die wiederum im Rahmen bestimmter Institutionen, Strukturen und Normen handeln, die ihr Verhalten auf der einen Seite strukturieren und zugleich durch ihr Handeln fortlaufend strukturiert werden (Polity-Dimension).

In den 60er und 70er Jahren war die Policy-Analyse im deutschsprachigen Raum noch stark von einem mechanistischen Modell geprägt, nach dem der Staat in einzelnen Politikfelder eine dominante Rolle einnahm und diese - eine rationale Planung vorausgesetzt - steuern konnte. Als diese Vorstellungen durch Ergebnisse der Implementationsforschung widerlegt wurden, erfuhr die Policy-Analyse in den 80er Jahren eine Neuorientierung. Die Leitvorstellung eines hierarchisch steuernden Staates wurde von verschiedenen Forschungsrichtungen für unterschiedliche Politikfelder in Frage gestellt. Der analytische Ansatz der Policy-Analyse wurde modifizert und insbesondere um die Erklärungsansätze der Policy-Netzwerk Analyse und der Policy Advocacy-Koalitionen erweitert (vgl. grundlegend Héritier 1993).

Seit dieser Zeit nehmen Netzwerkanalysen einen zunehmend wichtigeren Stellenwert innerhalb der Policy-Analyse ein. Dennoch kann noch nicht von einer „Theorie sozialer Netzwerke" gesprochen werden, da es sich bei Netzwerkanalysen eher um eine Methode handelt und bislang von einem gewissen Theoriemanko gesprochen werden muss (vgl. Trezzini 1998: 515). In der klassischen Definition von Mitchell werden soziale Netzwerke beschrieben als „specific set of linkages among a defined set of persons, with the additional property that the characteristics of these linkages as a whole may be used to interpret the social behavior of the persons involved" (Mitchell 1969: 2). Der zentrale Gedanke der Netzwerkanalyse ist also, dass soziale Akteure in einem Geflecht sozialer Beziehungen stehen, die ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten sowohl erweitern als auch einschränken, und die ihre Wahrnehmungen, Einstellungen und Handlungen beeinflussen (vgl. Trezzini 1998: 537). In diesem Sinne sind Netzwerke mehr als einzelne „Tauschnetzwerke", sondern für die beteiligten Akteure auch handlungsprägend (vgl. Liebert 1994: 161). Mit dem Begriff des Netzwerkes ist noch nichts über die Qualität der mit ihm bezeichneten Beziehungen gesagt, auch wenn beispielsweise Liebert (1994: 159) schreibt, der Begriff suggeriere „eine komplexe Fülle von nicht-zentralisierten Beziehungen". Ein Netzwerk kann vielmehr durchaus auch eine oder mehrere Zentren aufweisen, die Beziehungen in Netzwerken können reflexiv oder nicht reflexiv, symmetrisch oder asymmetrisch sein (vgl. Pappi 1993: 85).

Während der Netzwerkbegriff auf sämtliche sozialen Beziehungen hin anwendbar ist und beispielsweise auch Familien als soziale Netzwerke angesehen werden können, stellen Policy-Netzwerke eine Unterform dar. Policy-Netzwerke sind „Beziehungsnetze politischer Akteure, die auf politische Willensbildungsprozesse in einem Problem- bzw. Politikfeld bezogen sind" (Prittwitz 1994: 93), d.h. sie verbinden die handlungsrelevanten korporativen Akteure miteinander. Nach Schubert (1991) ist dabei wesentlich, „dass die Mitglieder eines Netzwerkes ‚ingroup’-Positionen entwickeln, die sie unabhängig von ihren sonstigen - durchaus kontroversen - Interessen, Forderungen und Aufträgen gemeinsam beziehen. Gegenüber diesen gemeinsamen Positionen sind dann die Interessen von Außenstehenden - auch außenstehenden Politikern - nur schwer vermittelbar und durchsetzbar" (Schubert 1991: 36). Damit verweist Schubert zugleich auf das de-

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mokratietheoretische Problem, das Policy-Netzwerke aufweisen: Ein „ingroup"-Verhalten der beteiligten Akteure lässt auf der einen Seite Vertrauen entstehen, „das heute wohl am häufigsten herausgestellte Strukturmerkmal von Netzwerken" (Sydow/Windeler 2000: 13), auf dessen Basis sich Netzwerke erst als eigenständige Organisationsform entwickeln können, schließt zugleich aber nicht beteiligte Akteure aus dem Netzwerk aus.

In der sozialwissenschaftlichen Literatur ist umstritten, welche Akteure eines Politikfeldes zu einem Policy-Netzwerk zu zählen sind. Nach (Marin/Mayntz 1991) können nur die Akteure dem Policy-Netzwerk zugeordnet werden, die an seiner Funktion, d.h. dem Entscheidungs- oder Implementationsprozess, teilhaben. Pappi/König (1995: 111) rechnen hingegen „die an einem Politikfeld interessierten einflussreichen Akteure" zum Policy-Netzwerk. Innerhalb eines Politikfeldes kann nach Pappi/König jedoch erst dann von einem Policy-Netzwerk gesprochen werden, „wenn die Akteure eines Politikfeldes die inhaltlichen Bezüge und Grenzen aus ihrer Sicht bestätigen" (Pappi/König 1995: 111). Im gleichen Sinn schreibt Kappelhoff (1995), dass die Grundlage eines Policy-Netzwerkes eine gemeinsame Orientierung der Akteure aneinander sei, „die wiederum durch eine gemeinsame Symbolorientierung vermittelt wird, d.h. konkret durch die Themenbereiche des Politikfeldes inhaltlich bestimmt wird. Strategisch bedeutet diese gemeinsame Orientierung, dass sich die Akteure eines Politikfeldes bei ihren Handlungen gegenseitig in Rechnung stellen müssen, also etwa als Verbündete oder Gegner in Machtdurchsetzungsstrategien" (Kappelhoff 1995: 25).

Aus der Überlegung, sich Politikfeldern aus der Perspektive der Netzwerkanalyse heraus zu nähern, wird bereits der immense Stellenwert politischer Kommunikation für solche Politikfelder deutlich: Politikfelder und ihre entsprechenden Policy-Netzwerke konstituieren sich aus der politischen Kommunikation von Akteuren heraus und werden durch politische Kommunikation verändert. „Benennungen und Abgrenzungen von Politikfeldern sind selbst Gegenstand und Resultat politischer Kommunikation und unterliegen deren Konjunkturen" (Nullmeier 1998: 574).

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3.2 Besonderheiten des Politikfeldes Sozialpolitik

Auf den ersten Blick ist Sozialpolitik ein Politikfeld von immenser Bedeutung: Durch sozialpolitische Maßnahmen ist eine hohe Anzahl von Bürgerinnen und Bürger unmittelbar betroffen. Und da diese Maßnahmen meist redistributiver Art sind, d.h. Einkommen in der Weise übertragen werden, dass deutlich wird, welche gesellschaftliche Gruppe profitiert und welche verliert, werden durch Sozialpolitik „grundlegende soziale Identitäten konstituiert" (Winter 1992: 401). Redistributive Policies erweisen sich als sehr konfliktorientiert, sofern sie auch im Bewusstsein der Betroffenen eine Polarisierung zwischen „Gewinnern" und „Verlierern" aufweisen. Sie neigen damit zur ideologischen Untermauerung und werden in der politischen Öffentlichkeit vorrangig von organisierten Gruppen vertreten, wobei Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände dominieren (vgl. Windhoff-Héritier 1987: 52).

Als Politikfeld ist Sozialpolitik „durch ein hohes Maß an institutioneller und politikprozeduraler Fragmentierung, durch die Aufspaltung bis hin zur Aufsplitterung in eine Vielzahl von Teilpolitiken gekennzeichnet" (Nullmeier 1998: 575). Es handelt sich im Sinne der oben genannten Definition von Pappi/König gerade nicht um ein Politikfeld, das organisatorisch im Zuständigkeitsbereich von Ministerien oder Parlamentsausschüssen zusammengefasst ist. Die einzelnen Teilbereiche der Sozialpolitik werden vielmehr von unterschiedlichen Ministerien und anderen staatlichen Stellen bearbeitet. Dies

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zeigt sich allein an unterschiedlichen Zuständigkeiten innerhalb der Bundesregierung. Mit Sozialpolitik im weitesten Sinne sind u.a. befasst:

  • Bundesministerium (BM) für Arbeit und Sozialordnung,

  • BM für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (u.a. Familie, Ältere Menschen, Wohlfahrtspflege, Kinder und Jugend, Gleichstellung),

  • BM für Gesundheit,

  • BM des Innern (Aussiedler-, Ausländer- und Asylangelegenheiten),

  • BM für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Gesellschafts- und Sozialpolitik im ländlichen Raum),

  • BM für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (Wohnungsbauförderung, Mieten- und Eigentumspolitik),

  • Bundesministerium für Verteidigungen (Sozialangelegenheiten der Bundeswehr).

Um diese einzelnen Teilpolitikfelder herum bilden sich je eigene Akteursnetzwerke und dazugehörige Teilöffentlichkeiten aus. Und einige dieser Teilpolitiken, etwa die Gesundheits- oder die Arbeitsmarktpolitik, verselbstständigen sich zu eigenen Kommunikations- und Politikfeldern. Doch dieser Fragmentierung des Politikfeldes in eine Vielzahl spezialisierter Kommunikationsnetze steht auf der anderen Seite ein „genereller Sozialstaatsdiskurs" gegenüber (Nullmeier 1998: 575), der Einfluss auf die Diskurse in den einzelnen Teilpolitikfeldern nimmt. Seit der Nachkriegszeit verfügt die Sozialpolitik. so Evers (1989) allerdings kaum mehr über ein breitenwirksames Leitbild: „Während (..) angesichts der laufenden gesellschaftlichen Desintegrationsprozesse gerade die sozialkulturellen Integrationsleistungen der Sozialpolitik wieder an Bedeutung gewinnen, sind deren traditionelle Elemente nicht mehr und neue 'alternative' Orientierungen längst noch nicht tragfähig, um ein neues Leitbild sozialpolitischer Gestaltung der 'Post-welfare'-Ära zu entwickeln" (Evers 1989: 938).

Doch auf Seite der Medien wird dieser Diskurs als ein generelles (innen-, wirtschafts-, sozial-)politisches Thema behandelt – also innerhalb unterschiedlicher Ressorts und an unterschiedlichen Plätzen (Seiten oder Sendungen). Ein einheitlicher journalistischer oder medialer „Zugriff" auf die Sozialpolitik ist also nicht auszumachen.

Es gilt also: Als Folge der Fragmentierung des Politikfeldes Sozialpolitik wird es sowohl in der massenmedialen Beobachtung als auch in der Darstellung in unterschiedlichen Kontexten bearbeitet. So gibt es bei kaum einem Medium ein Ressort „Sozialpolitik", sondern sozialpolitische Themen werden primär von Ressorts wie (Innen-)Politik oder Wirtschaft bearbeitet. Auch bei der Darstellung werden sozialpolitische Themen kaum als solche ausgeflaggt. Sozialpolitik hat somit nicht nur im politischen System unterschiedliche Zuständigkeiten und Orte, sondern auch im Bereich des medialen Vermittlungssystems. Es ist damit mehrfach fragmentiert.

Unter den verschiedenen Akteursgruppen gelten die Verbände als wichtige Handlungsakteure in allen Feldern der Sozialpolitik, und zwar sowohl im Gesetzgebungsprozess als auch bei der Konkretisierung und Durchführung gesetzlicher Maßnahmen (Windhoff-Héritier 1989: 108). Nullmeier/Rüb zeichnen am Beispiel der Gesetzgebung im Teilpolitikfeld Rentenpolitik Prozesse der Deinstitutionalisierung und Deparlamentarisierung nach. Durch die Deparlamentarisierung „verlagerte sich das relevante Geschehen in eine Mehrzahl von Verhandlungsgremien, die allesamt nicht den Bedingungen der Öffentlichkeit und Repräsentativität genügten, aber auf Ausschaltung der Reste parlamentarischer Opposition hinausliefen" (Nullmeier/Rüb 1993: 222).

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Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, die an der Sozialpolitik beteiligten Verbände zu systematisieren und zu typologisieren. Eine für den Gegenstand der politischen Kommunikation sinnvolle Systematik ist die nach den Mechanismen der Interessentransformation, den die einzelnen Verbände ausüben. Von Winter differenziert diese möglichen Mechanismen in fünf Grundmuster (vgl. Winter 1992: 402-403):

  • Direkte Interessenrepräsentation
    durch selbstorganisierte Aktivitäten und sozialpolitische Forderungen der verschiedenen (potentiellen) Klientelen des Sozialstaates. Unter den Bedingungen eines unmittelbaren Lebens- und Soziallagenbezugs legen Personen gleichen Interesses ihre Ressourcen zusammen, um gemeinsam ein kollektives Gut zu erzeugen und zu verbrauchen.

  • Advokatorische Interessenformulierung
    durch Akteure oder eine Gruppe von Akteuren, die selbst nicht Nutznießer der erwirkten Leistungen sind.

  • Professionspolitische Interessenformulierung
    durch die ihre berufsbezogenen Primärinteressen verfolgenden Berufsgruppen, die mit der Bereitstellung von sozialpolitischen Transfer- und Dienstleistungen befasst sind.

  • Erwerbswirtschaftliche Interessenformulierung
    durch die Wahrnehmung von sozialpolitischen Rollen durch kollektive Akteure, deren Handlungsfeld primär im Bereich einkommenspolitischer oder gewinnorientierter Anspruchsrealisierung liegt.

  • Wahlpolitische Interessenberücksichtigung
    durch um Wählerstimmen konkurrierende Parteien ohne Vermittlung durch das Handeln organisierter Gruppen.

Versucht man nun, in einer ersten Annäherung eine Typologie von Akteuren für das gesamte Politikfeld Sozialpolitik aufzustellen, so lassen sich die Mechanismen der Transformation verschiedenen Typen von sozialpolitischen Akteuren zuordnen, die diese Mechanismen dominant, wenn auch nicht ausschließlich, betreiben. Verschiedene Akteurstypen, die einen gemeinsamen dominanten Mechanismus der Interessentransformation aufweisen, lassen sich weiterhin in einer ersten groben Einteilung danach differenzieren, wie eng sie an das politisch-administrative System angebunden sind. Traditionelle Sozialverbände, wie beispielsweise die großen Kriegsopferverbände, unterscheiden sich beispielsweise in ihren Mechanismus der direkten Interessenrepräsentation nicht von Selbsthilfegruppen, beispielsweise Patientenorganisationen, wohl aber in ihren Ressourcen sowie ihren formellen und informellen Zugangsmöglichkeiten zu sozialpolitischen Entscheidungszentren (vgl. Abbildung 7).

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Abbildung 7: Sozialpolitische Akteure und ihre Mechanismen der Interessentransformation

Akteure

Dominanter Mechanismus der Interessentransformation

Anbindung an das politisch-administrative System

Parteien

wahlpolitisch

sehr hoch

Gewerkschaften

erwerbswirtschaftlich, auch advokatorisch,
auch direkt, auch professionspolitisch

sehr hoch

Arbeitgeberverbände

erwerbswirtschaftlich

sehr hoch

Traditionelle Sozialverbände

direkt

eher hoch

Wohlfahrtsverbände

advokatorisch, auch professionspolitisch

eher hoch

Soziale Berufsverbände

professionspolitisch

unterschiedlich
(je nach Status des Berufs)

Selbsthilfeorganisationen

direkt

eher niedrig

Sonstige politische Akteure (Politische Unternehmer)

advokatorisch

eher niedrig

(Quelle: Spalte 2 nach Winter 1990, eigene Zuordnung und Darstellung)

Einer solchen Systematik der Akteure im Politikfeld Sozialpolitik steht entgegen, dass in jedem sozialpolitischen Teilpolitikfeld, die den verschiedenen Institutionen des sozialen Sicherungssystems entsprechen, sich nach von Winter spezifische Politikinhalte, Interessen- und Verbandskonstellationen sowie bestimmte Kombinationen der aufgezeigten Mechanismen der Interessentransformation finden (vgl. Winter 1992: 403). Eine genauere Beschreibung der Akteurskonstellationen ist daher nur teilpolitikfeldspezifisch möglich. Für das Teilpolitikfeld der Rentenpolitik gehen Nullmeier/Rüb beispielsweise von einem „Inner Circle" von maximal 30 Personen aus (vgl. Nullmeier/Rüb 1993: 301). Als „Inner Circle" definieren die Autoren die „personale Vernetzung auf entscheidungsnaher Ebene im Rahmen eines nominellen Politikfeldes" (Nullmeier/Rüb 1993: 299). Ein solcher Inner Circle kann dann eine Policy Community ausbilden, „wenn ihm von seinen Mitgliedern attestiert wird, neben einer hohen Interaktions- und Kommunikationsdichte auch Formen von Gemeinschaftlichkeit, sozialer Integration und Übereinstimmungen entwickelt zu haben" (ebd.). Anhand des Fallbeispiels der Rentenpolitik zeigen Nullmeier/Rüb, wie sich die Policy Community der Rentenpolitik mit ihrem kleinen, dichten, über lange Jahre hinweg gleichbleibenden Interaktionsnetz von anderen sozialpolitischen Teilpolitikfeldern abgekoppelt hat, auch wenn inhaltlich zu einer Vielzahl dieser anderen Feldern Wirkungsbeziehungen bestehen.

Kritisch wird in der vorliegenden Literatur vor allem die starke Rolle der Gewerkschaften und Arbeitgebervrbände in der Sozialpolitik bei gleichzeitiger geringer Berück-

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sichtigung von Verbänden mit direkter Interessenvertretung betrachtet. Für die Willensbildungsstrukturen im Teilpolitikfeld Rentenpolitik stellt Winter (1992) eine dreistufige Hierarchie auf: Auf der untersten Ebene siedelt er die Alten- und Rentnerverbände an, die als direkte Repräsentanten von Leistungsempfängerinteressen im politischen Entscheidungssystem allenfalls eine marginale Rolle spielen. Auf der zweiten Ebene siedelt er die Kriegsopferverbände an, die zwar ebenfalls direkte Interessen repräsentieren, aber aufgrund ihrer langen Verbandsgeschichte und zahlreichen personellen Verflechtungen in öffentlichen Institutionen einen besseren Zugang zum Entscheidungssystem haben. Aber „wirklich machtvoll scheinen in der Rentenpolitik nur diejenigen Verbände zu sein, die vor allem die Interessen von Beitragszahlern repräsentieren, also die Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaften" (Winter 1992: 422). Windhoff-Héritier schließt aus der Dominanz dieser beiden Akteursgruppen auf eine generell nachrangige Bedeutung des Politikfeldes Sozialpolitik: „Die Tatsache, dass die Institutionen, die Möglichkeiten einer verbandsmäßigen Interessenrepräsentation eröffnen, sich häufig an der Konfliktlinie Arbeit - Kapital orientieren, obwohl diese Konflikte für die sozialpolitische Bedarfsbestimmung häufig irrelevant sind, macht deutlich, dass die Sozialpolitik ein Politikfeld mit nachrangiger Bedeutung darstellt, deren Handlungsparameter wesentlich durch Tarifpartner und Staat gesetzt werden" (Windhoff-Héritier 1989: 124).

Auf die Besonderheiten einzelner Akteursgruppen soll hier nur kursorisch eingegangen werden. Hervorzuheben ist bei den Gewerkschaften ein mehrfacher Rollenkonflikt, in dem sie sich in sozialpolitischen Arenen befinden: Sie vertreten einerseits Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einem erwerbswirtschaftlichen Interesse an der Verbesserung ihrer jeweiligen Einkommensposition - was niedrige Sozialabgaben einschließt -, als auch das zum Teil advokatorische Interesse an einer umfassenden sozialen Sicherung andererseits. Ferner nehmen einzelne Gewerkschaften für Beschäftige im Sozialbereich professionspolitische Interessen wahr, fungieren für Teile ihrer Mitgliedschaft, etwa Rentner, ältere Erwerbstätige oder Behinderte, als direkte Interessenvertretung (vgl. Winter 1990: 333).

Auch die Wohlfahrtsverbände befinden sich in einem Spagat. Sie sind auf der einen Seite Betriebe - und damit einer ökonomischen Handlungslogik verpflichtet -, als auch politische Organisationen. Sie sind damit einem Prozess ausgesetzt, den Heinze/Schmid/Strünck als „Politisierung durch Diversifizierung" (Heinze/Schmid/Strünck 1997: 261) beschreiben und in dem Ökonomisierung und Politisierung dialektisch ineinander greifen: Wohlfahrtsverbände müssen intern verstärkt auf ihre Wirtschaftlichkeit achten und sich nach betriebswirtschaftlichen Erfordernissen organisieren, eben weil sie ihre Wirtschaftlichkeit zunehmend politisch rechtfertigen müssen. Die zunehmend in Verhandlungssystemen erzielten Ergebnisse verlagern sozialpolitische Konflikte in die Wohlfahrtsverbände hinein, die beispielsweise in der Pflegeversicherung dann neue Finanzierungsmodelle und Kontrollansprüche der Pflegekassen organisieren müssen.

Angesichts der oben angesprochenen Dominanz der Interessen der Beitragszahler in Teilpolitikfeldern wie der Rentenpolitik weisen Nullmeier/Rüb den Parteien hier eine besondere Rolle: „Während auf die Rentner- und Rentnerinnenverbände nur geringe Rücksicht zu nehmen ist, führt die Antizipation der gewaltigen politischen Bedeutung der Rentner als unorganisierte Wählergruppe zu einer impliziten Berücksichtigung grundlegender Interessen der Rentenbezieher auf Seiten der Parteien" (Nullmeier/Rüb 1993: 315).


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2001

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