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2. Theoretischer Ansatz: Politik und Medien als Handlungssystem

Im Rahmen der politischen Kommunikation und der Politikvermittlung kommt den Medien heute eine zentrale Stellung zu. Politische Kommunikation findet in modernen, ausdifferenzierten Gesellschaften vor allem über die Medien statt (vgl. u.a. Sarcinelli

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1994). Das ist der Grund, weshalb von „Mediengesellschaft" gesprochen werden kann. Da Politik in demokratischen Systemen auf die Unterstützung der Regierten angewiesen ist, ist die Darstellung und Wahrnehmung von Politik in der Öffentlichkeit eine grundlegende Funktion von Politik selbst. Politische Kommunikation ist damit nicht nur ein „Anhängsel" von Politik, sie ist selbst Politik: Um Aufmerksamkeit und Anschlusshandeln bei anderen Akteuren wie auch den Bürgerinnen und Bürgern zu erzielen, können politische Akteure nicht darauf verzichten, ihr Handeln und politische Entscheidungsprozesse öffentlich darzustellen. Politische Akteure sind in arbeitsteilig und sozial hoch differenzierten Gesellschaften zunehmend auf die Thematisierungsfunktion (wie auch Thematisierungsleistung) der Medien angewiesen. Und zugleich werden die Informationsleistungen der Medien, beispielweise bestimmte Fernsehsender und/oder bestimmte Sendeformate (Talkshows), immer mehr zur Voraussetzung für die Kommunikationsmöglichkeiten gesellschaftlicher Organisationen ganz allgemein. Insbesondere politische Organisationen haben sich auf die im Wandel befindlichen medialen Vermittlungsformen einzurichten, ein Stück weit anzupassen, wenn sie denn bei den Medienschaffenden und damit in der Folge auch bei einem Publikum Aufmerksamkeit erringen wollen.

Politische Akteure sind also zunehmend auf die (zunehmend recht differenzierten) Vermittlungsleistungen der Medien angewiesen, zugleich wird es aber für sie aber aufgrund der allgemeinen Zunahme an Informationen (so durch den anstieg der PR-Aktivitäten zahlreicher Organisationen) und der wachsenden Selektion der Medien und des Publikums immer schwieriger, sich öffentlich Gehör zu verschaffen. Unabhängig von den Medien und vom Journalismus: Die Aufmerksamkeit des Publikums ist aufgrund zeitlicher und monetärer Faktoren begrenzt und die Themen stehen in hoher Konkurrenz zueinander. Politische Akteure, die mit ihren Themen öffentliche Aufmerksamkeit erreichen und in der Informationsflut nicht untergehen wollen, müssen folglich interessanter, wichtiger, kompetenter und glaubwürdiger sein oder erscheinen als ihre Mitkonkurrenten (vgl. Neidhardt 1994: 7). Sie müssen in der Lage sein, unter kompetetiven Bedingungen attraktive Inhalte anzubieten. Das macht auf die Notwendigkeit von Öffentlichkeitsarbeit aufmerksam (vgl. Bentele 1998).

Die starke Orientierung der politischen Akteure auf die Medien hat Rückwirkungen auf die Art und Weise der Politikentwicklung, -formulierung und -vermittlung: Um in die Medien zu kommen, orientieren sich die politischen Akteure mit ihren Themenangeboten an den Formaten, Regeln und Routinen der Medien. Sie müssen sich insbesondere an den Nachrichtenfaktoren orientieren. Die Anpassung der politischen Themenangebote an die Handlungsorientierung und Sichtweise der Medien hat allerdings ihren Preis: Aufgrund der Schwierigkeiten der Medien, komplexe politische Sachverhalte und Zusammenhänge im Kontext (meist lang andauernder) politischer Prozesse medienwirksam darzustellen, gewinnen in der Politikdarstellung zunehmend Formen der Inszenierung, Symbolisierung und Personalisierung an Bedeutung. Und so zählen Kommunikationsfähigkeit, Telegenität und Kompetenzen im Umgang mit Medien heute fast schon zu den Basiskompetenzen erfolgreicher Politiker. Einzelne Akteure handeln auf der Medienbühne und symbolisieren Lösungskompetenz und Lösungsinteresse jenseits der vielfach langanhaltenden politischen Prozesse. Einzelne Akteure scheinen damit Stabilität und Sicherheit zu garantieren. Die Beispiele gerade aus der Sozialpolitik sind zahlreich; besonders eindrücklich: „Die Renten sind sicher". Stichworte wie das der „symbolischen Politik" oder der „Darstellungspolitik" beschreiben diese Formen der Politikvermittlung als Schauspiel und als inszenierte Politik, die weitgehend losgelöst ist von der politischen Realität (vgl. grundlegend Sarcinelli 1994) auch und gerade der Sozialpolitik. Dies ist auch deshalb erklärlich, weil es in vielen sozialpolitischen Konflikten

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um grundsätzliche Fragen von Gerechtigkeit und sozialer Ordnung, um „den" Sozialstaat und um Entscheidungen für ganze Generationen geht.

Angesichts dieser Bedeutung der Medien für die Politik generell ist das Verhältnis beider Systeme zueinander von hohem theoretischem und empirischen Interesse. In der wissenschaftlichen Diskussion gibt es unterschiedliche Ansätze über das Verhältnis von Medien und Politik, die mit jeweils spezifische Erkenntnisinteressen und Fragestellungen verbunden sind (vgl. grundlegend Sarcinelli 1994):

  • Das Gewaltenteilungsparadigma postuliert, dass sich die Massenmedien im Sinne einer Kontrollinstanz betätigen sollen, die der Legislative, Exekutive und Judikative gegenübergestellt wird (Medien als „vierte Gewalt" im Statt). Die Ausübung dieser Kontrollfunktion setzt neben wirtschaftlicher Unabhängigkeit (auf Seiten der Medien) voraus, dass zwischen Politik und Medien ein Verhältnis der Autonomie und Distanz besteht.

  • Typisch für das vielfach vertretene Instrumentalisierungsparadigma ist ein Dependenz-Dominanz-Verhältnis zwischen dem Mediensystem und dem politischen System; die dominante Beziehungsform ist die Steuerung des einen über das andere System. Zwei Einflussrichtung sind bei dieser Steuerung zu unterscheiden:
    • Die These von der „Übermacht" der Medien gegenüber dem politischen System vertreten v.a. Noelle-Neumann, Kepplinger und Oberreuter. Zwar wird die gegenseitige funktionale Abhängigkeit zwischen den beiden Systemen nicht bestritten, gleichzeitig aber eine wachsende Einflussnahme der Medien, insbesondere des Fernsehens, auf das politische System festgestellt. Die politischen Institutionen seien zunehmend von den Massenmedien abhängig und die Medien selbst zu einer politischen Macht geworden, die auf das politische System nicht mehr nur reagiere, sondern wesentlich selbst agiere und indirekt mitregiere. Das System der Massenkommunikation sei in einigen Fällen gar „zur funktionellen Voraussetzung für andere Systeme geworden" (Kepplinger 1985: 261).
    • Im Gegensatz geht die These von der „Übermacht der Politik", vertreten u.a. durch Schatz und Langenbucher, von einem Autonomieverlust des Massenkommunikationssystems gegenüber dem politischen System aus. Aufgrund von Verteil- und sozio-ökonomischen Konflikten steht nach Schatz das politische System unter einem erhöhten Legitimationsdruck den Bürgern gegenüber und bekundet daher ein wachsendes Interesse daran, die Massenmedien als Steuerungsinstrument einzusetzen. Zu solchen Instrumentalisierungsversuchen zählen die direkte oder indirekte Einflussnahme auf die Medien, der Ausbau von Pressestellen, die Professionalisierung der politischen Öffentlichkeitsarbeit, die Entwicklung von persuasiven PR-Strategien etc.( vgl. Schatz 1979; vgl. Langenbucher 1983)

  • In der Publizistikwissenschaft dominiert mittlerweile das Paradigma der Interdependenz oder Symbiose. Dahinter steht die Ansicht, zwischen dem Mediensystem und dem politischen System bestehe eine komplexe Interaktion mit wechselseitigen Abhängigkeiten und Anpassungsprozessen. Grundmodell der Beziehung zwischen dem politischen System und dem Mediensystem ist eine Tauschbeziehung, bei der „Information gegen Publizität – und umgekehrt – eingetauscht wird" (Sarcinelli 1994: 39).

Dieses Paradigma der Interdependenz oder Symbiose bildet den Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen.

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2.1 Politik in den Medien als Interaktion

Politische Themen in den Medien können als das Ergebnis unterschiedlicher Beobachtungs-, Selektions- und Interaktionsprozessen zwischen den Akteuren beider Systeme begriffen werden, die nicht in sozial beliebiger Weise ablaufen, sondern für die spezifische Regeln gelten, die empirisch festzustellen sind. Für das Politik- und das Mediensystem sind dabei spezifische, jedoch vielfältige Formen der Interaktion festzustellen. Es ergibt sich eine Art neuer Vielfalt aufgrund der Tatsache, dass sich das Mediensystem immer stärker ausdifferenziert. Für die Politik heißt dies, dass Politik es mit unterschiedlichen Medien und daraus resultierenden Anforderungen zu tun hat. Politik ist keine einfach und an alle Medien gleichermaßen zu vermittelndes Angebot mehr. Doch: Dadurch aber, dass beide Systeme aufeinander bezogen interagieren, wird soziale Varianz und Vielfalt wiederum reduziert und die Beziehungen sind damit insgesamt „stabil" bzw. im gewissen Sinne berechenbar: Makrostabilität trotz hoher Mikrovariabilität. Politik muss also höchst unterschiedliche Formen der Politikvermittlung pflegen und entwickeln, wenn sie dem Gesamtziel einer Politikvermittlung dienen will.

So besteht zwischen Politik- und Mediensystem auf der Mikro-Ebene (der Handlungsebene der Akteure) durch Interaktionen ein spezifischer - wenngleich hoch variabler - Handlungsraum, den wir als ein Handlungssystem auffassen können. In diesem Handlungssystem wird nach eigenen Regeln und Normen fortdauernd gehandelt und das Handlungssystem bildet den Rahmen für das Verhalten aller beteiligter Akteure. Regeln sind Verhaltenserwartungen. Sie setzen sich zusammen aus kognitiven Erwartungen, das sind Erwartungen, die nicht gegen den Fall der Enttäuschung stabilisiert sind und normativen Erwartungen, das sind solche Erwartungen, bei denen im Enttäuschungsfall Sanktionen angedroht oder durchgesetzt werden können.

Für das Verhältnis Politiker zu Journalisten gelten - neben den allgemeinen gesellschaftlichen Normen - in der konkreten Interaktion vor allem partikulare Regeln: Die partikularen Normen können sich im bezug auf eine soziale Stellung zu einer Rolle - bzw. zu Rollen - bündeln. Rollen bestehen somit wesentlich aus Normen. In neu entstehenden Interaktionen ist davon auszugehen, dass sich Politiker und Journalisten zunächst so zueinander verhalten, wie es zwischen Politikern und Journalisten allgemein als „üblich" gilt. Bekommt diese Interaktion eine gewisse Dauer, so können die Akteure nach und nach eigene Normen in Geltung setzen, die von den generellen und auch den allgemein berufsspezifischen Normen abweichen können: Es können sich dann milieugeprägte Normen herausbilden. Milieubedingte Normen sind überaus stabilisierend und werden auch erkannt, wie man am Wechsel von Bonn nach Berlin feststellen konnte. Politiker wie auch Journalisten reflektieren diesen Wechsel indem sie Unterschiede zwischen „Bonner Verhältnissen" und den neuen „Berliner Bedingungen" beschreiben. Regeln und Normen stabilisieren also ganz allgemein Verhaltenserwartungen und werden zum Bestandteil von Rollen, und dadurch wird die Interaktion innerhalb des Handlungssystems sozial berechenbar (soziale Stabilität). Beobachtungs- und Selektionsprozesse finden zwar in den jeweiligen Systemen und anhand der jeweiligen systemeigenen Regeln statt. Sie erfahren aber in der Interaktion zwischen den Gruppen aus beiden Teilsystemen - durch die Ausbildung eines auf relative Dauer gestellten Handlungssystems und aufgrund spezifischer Regeln - eine Art Zentrierung und soziale Stabilisierung. Eine Destabilisierung kann dieses Handlungssystem durch das Hinzutreten neuer Medien mit anderen Organisationsformen (vgl. Abschnitt 2.2) oder eben durch den Wechsel des sozialen Handlungsortes (von Bonn nach Berlin) erfahren. Dazu liegen jedoch keine umfangreichen empirischen Studien vor (vgl. zusammenfassend die Analyse in Becker 1998).

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2.1.1 Die Rolle der Politiker

Auf der einen Seiten stehen also die politischen Akteure: Sie formulieren und aggregieren politische Probleme, treffen Entscheidungen und versuchen, diese durchzusetzen. Damit treffen sie auch immer Auswahlentscheidungen für politische Themen. Generelles Ziel des Politikers ist der Erhalt bzw. der Erwerb von Macht für die Organisation, die er vertritt, sowie für sich selbst. Alle seine Handlungen, also auch die Interaktionen mit Journalisten, beinhalten zumindest auch diesen Aspekt.

Gleichzeitig ist der Politiker als Teil des politischen Systems an der Systemfunktion der Produktion und Vermittlung verbindlicher Entscheidungen beteiligt. Zur Erreichung dieses Ziel ist der Politiker wie auch die von ihm repräsentierte Organisation auf die Massenmedien zur Vermittlung und Rechtfertigung nach außen (vor allem die Wahlbürger als Öffentlichkeit, wie auch bezogen auf Verbände und andere intermediäre Organisationen), aber zunehmend auch nach innen (Partei- oder Fraktionsmitglieder als Öffentlichkeit) angewiesen. Da zum Erhalt innerorganisatorischer Macht, die vielfach ja die Voraussetzung für politische Macht darstellt – zum Beispiel bei der Auswahl und Aufstellung von Kandidaten für öffentliche Ämter oder für Mandate – zunehmend Aspekte der Öffentlichkeitswirksamkeit ausschlaggebend sind, wird der Politiker zudem aktiv bestrebt sein, persönliche Publicity zu erreichen. Dadurch ist es ihm möglich, generellen Vertrauenskredit und eine allgemeine Aufmerksamkeit zu erlangen: mit diesem Bonus kann der einzelne Politiker leichter in verschiedenen Konfliktlagen öffentlich agieren. Der Politiker kann, generell gesprochen, dem Zwang zur öffentlichen Auseinandersetzung im Machtkampf nicht entgehen. Und damit ist er immer auf ein Maximum an Kommunikationsleistung und -wirkung angewiesen, und die wird ihm in der Regel durch medienbezogene Aktivitäten möglich.

Die Handlungen des Politikers in der Interaktion mit Journalisten stellen sich also aus seiner Sicht als politisches Handeln dar. Die Arbeit mit Journalisten ist für Politiker ein „Zug" im „Spiel" um politische Macht bzw. den Erhalt oder die Erhöhung des politischen Einflusses. Der Politiker spielt dabei immer ein „doppeltes Spiel", da er sowohl als Repräsentant einer Organisation (Partei, Fraktion, Regierung etc.) als auch für sich persönlich handelt.

Und Politiker, die ja zumeist untereinander in Konkurrenz stehen, sind auf die informatorischen Zulieferungen durch Journalisten angewiesen, da bekanntlich nicht alles publiziert wird und auch nicht alles beispielsweise von der jeweiligen politischen Führung an alle Angehörigen weitergegeben wird. „Der Abgeordnete muß natürlich ein offenes und sehr intensives Verhältnis zum Journalismus, zu den Medien haben..., um für sich auch noch die Informationen zu bekommen, die nicht gedruckt, nicht gesendet werden, die aber der Journalist hat und nur im persönlichen Gespräch noch verbreitet" (Patzelt 1983: 327). Dabei zeigt sich innerhalb der Gruppe der politischen Akteure eine Hierarchie: Da für die Medien nicht alle politischen Akteure gleich relevant sind, spielen vor allem Spitzenpolitiker eine große Rolle als Gesprächspartner für Journalisten. Damit entstehen hierarchische Kommunikationsstrukturen, die wiederum die im Politiksystem – zum Beispiel in politischen Parteien – existierenden Machtstrukturen reproduzieren und auch die Karrierechancen einzelner Politiker beeinflussen. So dürfte es vor allem einen Unterschied zwischen Parteibasis und Parteiführung oder von Fraktionsführung und sogenannten einfachen Fraktionsmitgliedern geben.

2.1.2 Die Rolle der Journalisten

Der Journalist nimmt an der Funktion des Mediensystems, nämlich der Veröffentlichung von in anderen Systemen generierten Themen, teil. Aufgrund der Konkurrenz zwischen

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den Medien und zwischen den Journalisten ist der politische Journalist ständig auf der Suche nach neuen, möglichst exklusiven Informationen. Aus seiner Perspektive ist die Interaktion mit dem Politiker oder dem politischen Öffentlichkeitsarbeiter jedoch kein „Spiel" im politischen System. Selbst wenn er – wie manche politische Journalisten in Deutschland (vgl. Sarcinelli 1991: 478) – eine aktive Rolle im politischen Prozess anstrebt, wird er regelhaft nicht selbst nach einer politischen Machtpositionen streben. Für ihn ist die Interaktion primär ein Teil des „Spieles" mit journalistischen Konkurrenten um journalistische Leistungen und Positionen: Mit „guten" Informationen kann er innerhalb seiner Redaktion Aufmerksamkeit erreichen, das zumal dann, wenn er für diese Themen aus ein breites Medienpublikum zu erreichen vermag.

Durch die Kommunikations- bzw. PR-Aktivitäten politischer Organisationen und einzelner politischer Akteure entsteht ein politischer Informationsmarkt, auf dem aus Sicht der Journalisten und Medien ein Überangebot existiert, aus dem es auszuwählen gilt. Journalisten und Medien müssen aufgrund der Angebotslage ständig Selektionsentscheidungen treffen. Dabei gilt: Nur sehr wenig von dem, was Journalisten durch eigene Beobachtung über politische Prozesse mitbekommen, kann in die Medienberichterstattung einfließen. Zum einen, weil ihnen zur eigenständigen Dauerbeobachtung zumeist die Zeit fehlt, und zum anderen bedürfen sie in Interaktionsbeziehungen auch immer der Rückversicherung: Was sagen andere politische Akteure, was nehmen andere Journalisten wahr, was publizieren andere Medien? Journalisten beobachten mehr als nur Politik, sie beobachten auch andere Beobachter – also die Konkurrenzmedien und vor allem die Leitmedien – und entwickeln daraus Relevanzkriterien für die Thematisierung.

Die Rolle der Journalistinnen und Journalisten ist durch den Zuwachs an Medienangeboten und neuen Organisationsformen im Medienbereich erheblichen Veränderungen unterworfen (vgl. Abschnitt 2.3). Der Zuwachs an Medienangeboten führt für die Journalistinnen und Journalisten zu erhöhten Formen der Konkurrenz um die Aufmerksamkeit des Publikums und damit auch auf dem politischen Informationsmarkt. Zugleich bringt der Zuwachs an Medienangeboten auch ein Zuwachs der Anzahl der Journalistinnen und Journalisten mit sich, was das Handlungssystem der Interaktion – zumindest phasenweise - destabilisiert. Auch das ist ein Phänomen, über das die Journalisten bei Wechsel von Bonn nach Berlin wiederholt reflektiert haben.

Bei neuen Organisationsformen im Medienbereich, bei denen Journalistinnen und Journalisten nicht mehr in festen und dauerhaft angelegten Strukturen wie etwa Ressorts arbeiten, erfolgt eine zusätzliche Destabilisierung. Der beobachtete Umweltbereich ist hier nämlich kleiner, die Journalistinnen und Journalisten wechseln zwischen verschiedenen Themenbereichen und können innerhalb eines Themenbereiches keine nachhaltige, für ihre Wahrnehmung ihrer Rolle jedoch notwendige Kompetenz erwerben (vgl. Abschnitt 2.3.2). Ein Faktor, der dann besondere Relevanz hat, wenn ohnehin keine ausgeprägte Ressort- und damit Kompetenzstruktur innerhalb einer Medienorganisation ausgemacht werden kann. Das Themenfeld Sozialpolitik als Beispiel: Wenn es ohnehin keine Ressorts oder ähnlich festen Strukturen für die Berichterstattung über Sozialpolitik gibt, so ist davon auszugehen, dass allenfalls einzelne personelle Kompetenzen (wohl zumeist bei Medien mit größeren Politikressorts) herausbilden können. Die Beobachtungs- und Analysestrukturen sind damit gesamt aber nur schwach ausgeprägt.

2.1.3 Die Rolle der Öffentlichkeitsarbeiter

Die Fachleute für Öffentlichkeitsarbeit in der Politik gehören zu einer teilautonomen Grenzorganisation des politischen Systems. Sie sind der Logik des politischen Systems verpflichtet, die dort tätigen Personen haben aber persönlich nur ein mittelbares

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Interesse am politischen Machterhalt bzw. -erwerb. Ihr Wert für den Politiker besteht darin, dass sie auch die Logik des Mediensystems kennen und die Regeln von Medien und (politischen) Journalisten professionell beherrschen. Vielfach handelt es sich bei den in der politischen Öffentlichkeitsarbeit tätigen Personen deshalb auch um ehemalige Journalisten. Politische Öffentlichkeitsarbeiter sind regelhaft weder Mitspieler im politischen noch im publizistischen „Spiel". Aufgrund der normativen Anforderungen und ihrer Systemzugehörigkeit sind sie stärker auf das politische als auf der Mediensystem angewiesen: Ein Wechsel in die Politik ist den einzelnen Akteuren deshalb durchaus möglich, während eine Rückkehr in den Journalismus vielfach Probleme bereitet.

Politische PR, die ja von den politischen Akteuren organisiert wird, kann als Versuch zur strukturellen wie auch prozessualen Steuerung des Mediensystems, der Medien, von Journalisten wie auch von einzelnen Prozessen aufgefasst werden. Zum einen soll durch PR-Stellen das Verhältnis zwischen den beiden Systemen ganz generell reguliert werden: Die PR-Stelle als Teil der Kommunikationspolitik politischer Akteure ergänzen insoweit politisch-administrative Bemühungen im Rahmen der Medienpolitik, die der Ausgestaltung des Mediensystems und die Verpflichtung von Medien und Medienberichterstattung auf die Politik und bezüglich politischer Themen dient. So werden politische Journalisten in die politischen PR-Presse- und Öffentlichkeitsarbeitsstellen geholt, um damit eine Form der „Durchdringung" zwischen Politik- und Mediensystem zu erreichen. Zum anderen ist politische PR vor allem aber Programm- oder Inhaltspolitik: Durch entsprechende Angebote wird den Medien ein spezifisches politisches Inhaltsangebot unterbreitet. Damit soll auf das konkrete inhaltliche Angebot, auf die Themensetzung wie die Deutung von Problemen, der Medien eingewirkt werden. Die Akteure der politischen PR müssen sich sowohl mit den Entscheidungsregeln im politischen System wie auch mit den Veröffentlichungsregeln im Mediensystem (Nachrichtenfaktoren; Personalisierung; Dramatisierung; Timing u.a.m.) auskennen.

2.1.4 Politiker, Journalisten und Öffentlichkeitsarbeiter in der Interaktion

Generell, also mit Bezug auf ihre jeweiligen systembezogenen Rollen, haben Politiker, Öffentlichkeitsarbeiter und Journalisten bei ihrer Interaktion dasselbe Ziel. Sie konkurrieren jeweils mit Vertretern des eigenen Systems, aber nicht untereinander. Sowohl Politiker und Öffentlichkeitsarbeiter als auch Journalisten sind befriedigt, wenn eine Information vom Politiker oder Öffentlichkeitsarbeiter zum Journalisten fließt und von ihm veröffentlicht wird. Ihre Beziehung ist nicht grundsätzlich von einem Interessengegensatz geprägt, sie sind „vergleichbar mit zwei Branchen, die auf Zulieferung der jeweils anderen angewiesen sind" (Sarcinelli 1991: 477).

Nutzen des Politikers

  1. Persönliche Publicity

  2. Thematisierung eines ihm nützlichen Themas

  3. De-Thematisierung eines ihm schadenden Themas

  4. Informierung durch Journalisten (z.B. über Konkurrenten)

  5. Gewogenhalten des Journalisten (späterer Nutzen a-d)

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Nutzen des Journalisten

  1. Erhalten eines ihm nützlichen Themas

  2. Gewogenhalten des Politikers (späterer Nutzen a)

Die Interessen der Akteure sind zwar entsprechend ihren jeweiligen „Systeminteressen" unterschiedlich, aber im übergeordneten Ziel weitgehend kongruent: Politische Akteure möchten mit einem möglichst geringen Ressourcenaufwand (an Geld und Personal) erreichen, dass sie möglichst andauernd und den Zielen entsprechend ihre Themen in den Medien unterbringen können. Auf der anderen Seiten wollen sie durch die Beziehungspflege zum Journalismus sicherstellen, dass sie bei Thematisierungen durch die politische Konkurrenz von den Journalisten auch angehört werden und insoweit in der Berichterstattung – entweder prospektiv oder reaktiv – Berücksichtigung finden. Um das zu erreichen, pflege sie andauernde soziale Beziehungen und investieren in die „Beziehungsarbeit".

Aber auch die Journalisten haben aufgrund ihrer beschränkten Personal- und Geldressourcen ein Interesse an einem hohen Maß an Überschaubarkeit und sozialer Stabilität: Sie wollen im Routinefall möglichst kostengünstig, also rasch und zuverlässig – und nach Möglichkeit auch exklusiv – die notwendigen Informationen erhalten, um dann zu entscheiden, ob sie für ein bestimmtes Thema mehr Zeit aufwenden wollen, also um bspw. weitergehende Recherchen, anzustellen. Sie haben dabei in der Konkurrenzsituation ihre „Kunden", sowohl die Redaktion wie auch die Rezipienten mit ihren Interessen, im Auge.

Beide beteiligten Gruppen, politische Akteure wie auch Journalisten, haben deshalb gewisse Routinen und Handlungsmuster im Umgang miteinander ausgebildet. Relativ stabile soziale Interaktionsbeziehungen sind in der politischen Kommunikation nötig, weil andauernd sehr viele Informationen produziert, geprüft und verarbeitet werden müssen. Deshalb bedarf es sowohl einer andauernden „Beziehungspflege" wie auch der Fähigkeit, sich situativ an laufenden Informations- und Kommunikationsprozessen beteiligen zu können.

Die Situation ist trotz aller Bemühungen labil, dies auch deshalb, weil Informations- und Kommunikationsarbeit nicht das „Kerngeschäft" von Politikern ist, zumal nicht mit allen möglichen Journalisten bzw. Medien. Zur strukturellen Stabilisierung der grundsätzlich als labil anzusehenden Situation auf der Ebene der Interaktion streben Journalisten und Politiker gemeinsam danach, Routine- und Vertrauensverhältnisse zu dem jeweils anderen Akteur zu schaffen, ohne dabei ihre eigene Autonomie einzubüßen. Der politischen PR-Stelle kommt dabei die Aufgabe zu, soziale Stabilität auf Dauer zu erzeugen. Die PR soll das auf Dauer stellen, was einzelne politische Akteure allenfalls von Fall zu Fall an Information und Kommunikation zu leisten vermögen.

Alle drei Akteursgruppen sind aber an einem stabilen Interaktionsfeld interessiert, und zur Stabilisierung werden spezielle Verhaltenserwartungen formuliert, Routinen und Regeln herausgebildet, die in der Interaktion ständig überprüft und situationsadäquat modifiziert werden. Alle Akteure streben somit – gleichsam nach dem Motto „Selbstschutz" – nach einer gewissen Formalisierung ihrer Beziehungen, um andererseits, und zwar aufgrund dieser Formalisierung, auch informelle Kontakte praktizieren zu können.

Kepplinger spricht im Zusammenhang mit Formalität und Informalität von zwei Bühnen auf denen Politiker und Journalisten miteinander interagieren und auf denen sie sich

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unterschiedlich verhalten können, weil jeweils andere Regeln gelten. Auf der Vorderbühne gilt die normative Grunderwartung nach Distanz und formalisierten Beziehungen, während auf der Hinterbühne Absprache stattfinden, man sich auch persönlich kennt und schätzt und vielerlei Geschäfte miteinander tätigt. Natürlich gelten auch für das informelle Verhalten, also für die Hinterbühne, Regeln, doch sind diese nicht kommunizierbar, „weil die Kommunikation über die Regeln der Hinterbühne die Abweichungen zu den Regeln der Vorderbühne offenlegen und damit die Hinterbühne zur Vorderbühne machen würde. Die Akteure bewegen sich deshalb auf der Hinterbühne in einer Grauzone, deren tatsächlichen Grenzen sie nur ungefähr abschätzen können" (Kepplinger 1993: 22).

2.1.5 Fazit: Politische Kommunikation als Handlungssystem

Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, dass zwischen politischem System und dem Mediensystem ein Handlungssystem existiert, das den funktionellen Bezug der Systeme zueinander garantiert. Dieses Handlungssystem wird durch Akteure und deren Interaktionen konstituiert. Für dieses Handlungssystem lassen sich spezifischen Regeln und Normen feststellen. Das Handeln der Akteure ist damit eine zentrale Voraussetzung intersystemischer Beziehungen. Politische Akteure und Journalisten haben dabei allerdings je einen anderen – eigenen – „Systemhintergrund" und ihre Handlungsorientierungen weisen dementsprechend Differenzen bei den verfolgten Zielen auf. Innerhalb dieses Handlungssystem der politischen Kommunikation lassen sich durch empirische Analyse Teilsysteme oder netzwerkähnliche Strukturen ermitteln. So ist anzunehmen, dass auch im Bereich der sozialpolitischen Berichterstattung ein entsprechendes Teilsystem bzw. Netzwerk existiert. Diese formalisierten oder wahrscheinlich eher gering formalisierten Strukturen sind jedoch von hoher Bedeutung, weil von ihnen grundsätzlich die Möglichkeiten der politischen Berichterstattung abhängen.

Die politische Medienberichterstattung insgesamt muss als das Produkt des gemeinsamen Handelns von Journalisten und Politikern sowie den entsprechenden politischen PR-Akteuren begriffen werden. In den interdependenten Prozessen wird die Medienberichterstattung gewissermaßen (ausge-) handelt. Zu den grundlegenden und empirisch fassbaren Faktoren in diesem Prozess gehören die – unterschiedlichen – Rollen von Politikern, éffentlichkeitsarbeitern und Journalisten. Rollen umfassen bestimmte Erwartungen, zum Beispiel an die Art der Berufsausübung oder an das Auftreten. Und über Rollen fließen spezifische Einflüsse der jeweiligen sozialen Systeme der Akteure in das Handeln ein. So beeinflussen spezifische Funktionen von Medien und Formen der Medienorganisation das berufliche Selbstverständnis der Journalisten, beispielsweise als Kontrolleur von Politik oder als Anwalt bestimmter Bevölkerungsgruppen.

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Abbildung 1: Interaktionen von Politikern und Journalisten

(Jarren/Röttger 1999: 208)

Rollen werden zwar von den Rollenträgern geschaffen, aber sie existieren von einzelnen Personen und bezogen auf einzelne soziale Prozesse prinzipiell unabhängig. Sie sind damit immer nur in gewissen Graden veränderbar. In dieser Perspektive sind Rollen so etwas wie „Vermittlungsstellen" zwischen System und Akteur, da sich in der Politikerrolle und in der Journalistenrolle die funktionalen Erwartungen der sozialen Systeme, zu dem die Rollenträger gehören und das daraus entwickelte Selbstverständnis der Akteure spiegeln. Die systemspezifischen Bedingungen, unter denen gehandelt wird, prägen zudem die Rolle. Im Hinblick auf den Bereich der politischen Kommunikation unterschieden sich Journalisten die bei einer politisch orientierten Qualitätszeitung arbeiten deutlich von denen, die bei einer Unterhaltungsillustrierten arbeiten. Und gleiches gilt für Politikerrolle: Von Regierungsmitgliedern wird anderes erwartet als von Angehörigen bspw. einer außerparlamentarischen politischen Partei. Entsprechend dieser unterschiedlichen, an die Rolle gebundenen Erwartungen verhalten sich die Akteure kommunikativ unterschiedlich.

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2.2 Formen politischer Kommunikation unterschiedlicher Akteure

Die unterschiedlichen Formen politischer Kommunikation sind für die empirische Analyse beispielsweise von sozialpolitischer Kommunikation relevant. Es werden deshalb Forschungsergebnisse zu vier Teilbereichen vorgestellt.

2.2.1 Parlamentskommunikation

Forschungsbefunde zur Parlamentskommunikation weisen darauf hin, dass die „kommunikativen Binnenstrukturen eines Parlamentes durch im Einzelfall schwer nachvollziehbare, mitunter lähmende, im Durchschnitt aber sehr kreative Überlagerungen formeller bzw. vertikaler und informeller bzw. horizontaler Kommunikationsprozesse gekennzeichnet" ist (Patzelt 1998: 437). Patzelt unterscheidet dabei drei parlamentarische Kommunikationsformen: Arbeits-, Durchsetzung- und Darstellungskommunikation. Die Arbeitskommunikation vollzieht sich dabei weitgehend unter Ausschluss einer breiteren Öffentlichkeit und ist nach Patzelt durch Kollegialität und Sachlichkeit geprägt. In der nach innen und außen vollzogenen Durchsetzungskommunikation geht es darum, die Mehrheitsfähigkeit der eigenen Position vorzubereiten. Für die massen-

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mediale politische Kommunikation relevant ist vor allem die Darstellungskommunikation in Form „zweckvolle(r) Zusammenfassungen und Interpretationen tatsächlich abgelaufener Kommunikations- und Entscheidungsprozesse (..); sie zielt darauf ab, die Attraktivität des eigenen politischen Lagers zu steigern, bezogenen Positionen nachträgliche Zustimmung zu verschaffen und abgelehnte Entscheidungen fragwürdig zu halten" (Patzelt 1998: 437).

Empirische Studien weisen bezüglich der Parlamentskommunikation auf eine Reihe von Kommunikationsproblemen hin. Nicht jede Art der politischen Entscheidung ist für die Medien in gleicher Weise relevant: „Nur die restriktiven und extensiven Entscheidungen einerseits und die redistributiven andererseits fordern die Medien zu intensiver Beobachtung und Kommentierung des politischen Entscheidungsprozesses heraus" (Beyme/Weßler 1998: 319). Regulative und distributive Entscheidungen – wie sie vor allem in der Sozialpolitik üblich sind – fordern die Medien hingegen wenig zur Berichterstattung heraus. Auch passen Abläufe und Relevanzstrukturen parlamentarischer Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse nicht von vornherein – und oft auch gar nicht – zu den Themenkarrieren und Prioritäten der Massenmedien. Bis aktuelle Probleme in einen parlamentarischen Vorgang münden, sind sie vom „Bildschirm" der journalistischen bzw. massenmedialen Aufmerksamkeit schon häufig verschwunden. Auch sind die Massenmedien in hohem Maße auf die Plenarsitzungen fixiert, während die – für den Parlamentsbetrieb relevanteren – Sitzungen von Ausschüssen, Arbeitsgruppen etc. nur wenig beachtet wird (vgl. Patzelt 1998: 438). Die (vielfach hoch komplexe) Sachpolitik, wie sie vielfach in der Sozialpolitik vorkommt, findet damit bei den allgemeinen Massenmedien erwartbar wenig Aufmerksamkeit. An Aufmerksamkeit gewinnt diese Politik immer dann, wenn Entscheidungen von allgemeiner Relevanz anstehen oder wenn es zu einem politischen Streit innerhalb oder zwischen politischen Akteuren kommt. Eine systematische Beobachtung der zahlreichen parlamentarischen Vorgänge durch die allgemeinen Massenmedien ist nicht anzunehmen, zumal die Plätze dafür in Zeitungen wie auch Radio- und Fernsehprogrammen eher gering sind.

2.2.2 Parteienkommunikation

Parteien sind vorrangig Akteure der Interessenaggregation: Sie fassen Interessen zusammen, bündeln diese und sind bestrebt, entsprechende Ziele in den politischen Entscheidungsprozess einzubringen. Parteien sind damit zum einen voluntaristische Mitglieder- und Willensbildungsorganisationen, und zum anderen aber auch professionelle Machterwerbsorganisationen (vgl. Wiesendahl 1998). So bestehen Parteien aus ehrenamtlich tätigen Mitgliedern und solchen Personen, die „Berufspolitiker" sind oder aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit öffentliche, administrative Ämter innehaben. Diese heterogene Struktur ist es vor allem, die die politische Kommunikation in Parteien kennzeichnet. Aufgrund der höchst unterschiedlichen Kulturen innerhalb von politischen Parteien kann nicht viel an Systematisierung geleistet werden.

In der Binnenkommunikation sind Parteien sowohl territorial als auch sozial vielfach gegliedert: Auf den unterschiedlichen politischen Ebenen existieren Parteiorganisationsformen wie auch in fachlicher und/oder sozialer Hinsicht (bspw. die Wirtschaftsexperten, die Sozialpolitikerinnen und -politiker). Es handelt sich um komplexe Kommunikationsnetzwerke, die in der Regel durch hauptamtliches Personal koordiniert werden. Auffällig ist jedoch, dass die Binnenkommunikation politischer Parteien sehr stark von unvermittelten Formen bestimmt wird (Fachgruppen; Ausschüsse; Parteitage u.a.m.). Ansonsten existieren zumeist zentrale - und vereinzelt auch lokale/ regionale oder fachspezifische - Parteiorgane. Aufgrund der Notwendigkeit, innerhalb von politischen Parteien immer wieder zu Positionen zu gelangen, um entscheiden zu können oder ent-

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sprechende Medienanfragen beantworten zu können, ist der gesamte Diskussionsprozess stark von Eliten kontrolliert bzw. abhängig.

Akteure politischer Parteien sind, auch aufgrund der lokalen/regionalen Ausrichtung, im Vergleich zu anderen politischen Akteure sehr stark in der Lebenswelt verankert. Parteimitglieder wirken an unterschiedlichen gesellschaftlichen Organisationen, wie bspw. Vereinen, aktiv mit und sie übernehmen vielfach Ämter und Aufgaben „vor Ort" auch in sozialen oder karitativen oder religiösen Bereichen. Für Akteure politischer Parteien ist dieses Umfeld zentral: Hier werden sie bekannt, hier können sie Unterstützer finden für mögliche Wahlen oder für öffentliche Ämter. Die ausgesprochen starke Orientierung politischer Parteien im gesellschaftlichen Leben wird häufig kritisiert, so indem unterstellt wird, Parteien würden zu stark und dominant „nicht-politische Bereich" gleichsam besetzen oder gar politisieren. Parteien können sowohl auf der Gesellschaftsebene wie auch im politischen Entscheidungsbereich, mitwirken. Diese Präsenz auf allen Ebenen macht die politischen Parteien zu Schlüsselorganisationen in der politischen Kommunikation und für politische Entscheidungen. Und weil Parteien normativ wie auch faktisch eine besondere Stellung im politischen Prozess zukommt, sind die Medienzugangsmöglichkeiten von Akteuren politischer Parteien im Unterschied zu den anderen Akteuren grundsätzlich besser.

2.2.3 Verbändekommunikation

Verbände sind als Gegenstand publizistikwissenschaftlicher Forschung nicht eindeutig zu definieren. Dies wird zum einen daran deutlich, dass Bezeichnungen wie „Interessengruppe", „Verbände", „organisierte Interessen", „Interessenverbände" etc. häufig synonym verwendet werden, oder die Wahl des jeweiligen Begriffes nicht begründet wird. Nach einem verbreiteten Definitionsvorschlag v. Alemanns sind organisierte Interessen „freiwillig gebildete, soziale Einheiten mit bestimmten Zielen und arbeitsteiliger Gliederung (Organisationen), die individuelle, materielle und ideele Interessen ihrer Mitglieder im Sinne von Bedürfnissen, Nutzen und Rechtfertigungen zu verwirklichen suchen. Sie tun dies innerhalb der sozialen Einheit (..) und/oder gegenüber anderen Gruppen, Organisationen und Institutionen" (Alemann 1987: 30). Als Teildisziplin der Politikwissenschaft hat sich die Bezeichnung „Verbändeforschung" eingebürgert, die jedoch unter dem Manko leidet, dass „von einer allgemeinen Verbändetheorie heute noch nicht die Rede sein kann: weder ist auf der analytischen Ebene der Objektbereich eindeutig definiert, noch finden sich in der empirischen Praxis verbindende Elemente, die nur auf Verbände und dann auch auf alle Verbände zutreffen" (Kleinfeld 1994: 16). Die Abgrenzung zu Parteien wird nach dem Merkmal vorgenommen, dass Verbände nicht an Wahlen teilnehmen, sondern vorrangig die Interesse ihrer Mitgliedschaft repräsentieren. Von Organisationen der Neuen Sozialen Bewegungen unterscheiden sie sich vor allem durch ihre innere Struktur mit festen Mitgliedschaftsregeln, Satzungen und Rollenspezifikationen (vgl. Abbildung 2).

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Abbildung 2: Unterscheidungskriterien zwischen Parteien, Verbänden, Bewegungen

Kriterium

Partei

Verband

Bewegung

Operationsmodus

Besetzung
politischer Ämter

Repräsentation von
Mitgliederinteressen

Protesthandlungen

Zentrale Ressource

Wählerstimmen

Expertenwissen; Geld;
Zugang zum
Entscheidungs-
system;
Leistungsverweige-rung

Emphase der
Anhängerschaft

Interne Verfahrensgrundlage

Satzung; hohe
Rollenspezifikation

Satzung; hohe
Rollenspezifikation

freies Aushandeln;
geringe Rollenspezifikation

(Quelle: Rucht 1991: 15)

Wichtig für die Analyse der Politischen Kommunikation von Verbänden sind Ergebnisse der Organisationsforschung, die auf Dilemmata der Handlungslogiken von Verbänden aufmerksam machen. Verbände als eigenständige Akteure, die in Interaktionszusammenhängen agieren, in denen weitere Organisationen als strategische Akteure auftreten, verfolgen im wesentlichen drei Handlungsziele (vgl. Wiesenthal 1987):

  1. Repräsentation der Mitgliederinteressen, d.h. Interessenselektion und –aggregation

  2. Administration der Organisation, d.h. Bestandssicherung und effektive Zielverfolgung

  3. Mitgliederrekrutierung und Sicherung von Teilnahmebereitschaft.

    Nicht alle dieser drei Handlungsziele, so argumentiert Wiesenthal (vgl. 1987 und 1993), können gleichzeitig verfolgt werden, da zwischen ihnen jeweils Zielkonflikte auftreten:

    „Repräsentative strategische Akteure sind mit drei Generalproblemen befasst: (1) Mitglieder gegen den Trittbrettfahreranreiz des Kollektivgutdilemmas zu rekrutieren, (2) administrative und repräsentative Rationalität im Interesse der kollektiven Handlungsfähigkeit auszubalancieren und (3) aus einem heterogenen Interessenspektrum einen operativen und Identifikation ermöglichenden Kollektivwillen zu destillieren. (..) Keine dieser Aufgaben kann ohne nachteilige Rückwirkungen auf mindestens eine der beiden übrigen bearbeitet werden" (Wiesenthal 1993: 6).

    Verbände müssen demnach einen Mittelweg zwischen den genannten Zielen finden. Insbesondere gilt es, die Interessen der einzelnen Mitglieder zu aggregieren und gleichzeitig eine Selektion dieser Interessen vorzunehmen: „Durch Aggregation kommt das kollektive Handlungspotential zustande, die Exklusion von Möglichkeiten erlaubt seine Ausrichtung auf kollektive Ziele" (Wiesenthal 1987: 33). Zu einem Kollektivakteur wer-

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    den Interessengruppen nur dann, wenn sie die Interessen der Mitglieder in Strategien umsetzen können, d.h. Ziele in einem weiten Zeithorizont und einer sozialen Umwelt verfolgen können, die mit anderen Kollektivakteuren durchsetzt und damit im Prinzip unberechenbar ist (vgl. Wiesenthal 1993: 5).

    Verbände stehen damit vor dem grundsätzlichen Dilemma, Repräsentation und Effektivität vereinbaren zu müssen: je stärker die Interessen der einzelnen Mitglieder berücksichtigt werden, desto geringer der Handlungsspielraum der Funktionäre. Dies wird insbesondere dann problematisch, wenn Organisationen in Netzwerken agieren, d.h. die Interesse der Mitglieder verhandelbar machen, diplomatisch taktieren und gegebenenfalls flexibel reagieren müssen (vgl. auch Offe 1969: 170f.). Erweitern die Organisationen ihren Handlungsspielraum durch verstärkte Selektion der Mitgliederinteressen, desto mehr laufen sie Gefahr, Mitglieder - und damit ihre Beiträge, welche die Ressourcen der Vereinigung darstellen - zu verlieren.

    Verbände sind also nicht auf bestimmte Aufgaben allein festzulegen, und dementsprechend ist ihre Kommunikation insgesamt vielfältig und sie kann sich laufend - auch bei einem einzelnen Verband - ändern. Da Verbände nur sehr wenigen normativen Verpflichtungen unterliegen, sind sie eben auch in der politischen Kommunikation hoch flexibel. Vor allem die verbändeinternen Gesichtspunkte sind entscheidend dafür, welche Formen Verbände in der politischen Kommunikation wählen. Verbände, die über ausreichend finanzielle Ressourcen und das benötigte Expertenwissen verfügen, werden sich in der Artikulation ihrer Interessen vorwiegend nicht öffentlicher Kommunikationsformen (z.B. Lobbying) bedienen. Verbände, die über diese Ressourcen nicht verfügen, sind hingegen auf die öffentliche und massenmediale Form der politischen Kommunikation angewiesen (vgl. Hackenbroch 1998: 484). Öffentlichkeit werden die Verbände immer sorgsam einsetzen, um sich damit bestehende informelle und gleichsam vertraulich-persönliche Einflussmöglichkeiten zu erhalten. Verbände, die bereits politisch anerkannt und gleichsam ökonomisch bedeutsam (relevante Steuerzahlergruppe; Spitzentechnologie; Relevanz für den Export u.a.m.) sind, werden eher unauffällige Formen wählen. Allenfalls dann, wenn bestimmte Ziele nicht durchsetzbar erscheinen, können verschiedene Teilöffentlichkeiten angesprochen werden - letztlich kann eine allgemeine Mobilisierungs- oder Imagekampagne realisiert werden.

    In jüngster Zeit gibt es eine verstärkte Diskussion über den Wandel von Verbänden. Die Individualisierung und die Auflösung traditioneller sozialer Milieus äußert sich insbesondere für die Verbände in einer nachlassenden Bindungsfähigkeit gegenüber ihrer sozialen Basis. Mitgliedschaftsverhältnisse „verarmen" affektiv und vororganisatorische Quellen formaler Organisierung und organisatorischer Loyalität trocknen aus (Streeck 1987: 474 f.). Dies führt dazu, dass Verbände von ihrer Klientel zunehmend instrumentell und immer weniger als Bestandteil der eigenen Lebenswelt begriffen werden. Individuen kalkulieren ihre Mitgliedschaft in Interessengruppen zunehmend nach den Kosten und dem Nutzen, während früher die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen durch die soziale Stellung quasi vorgegeben war. Punktuelle, einmalige und funktional spezifische Unterstützung von Interessengruppen, etwa durch die einmalige Zahlung einer Spende für ein bestimmtes Projekt, löst andere Formen der Unterstützung wie feste, auf Dauer angelegte Mitgliedschaft ab (vgl. Streeck 1987: 479).

    2.2.4 Kommunikation Sozialer Bewegungen

    Eine soziale Bewegung kann definiert werden als „ein auf gewisse Dauer gestelltes und durch kollektive Identität abgestütztes Handlungssystem mobilisierter Netzwerke von Gruppen und Organisationen, welche sozialen Wandel mittels öffentlicher Proteste her-

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    beiführen, verhindern oder rückgängig machen will" (Rucht 1994: 338f.). Organisationen innerhalb sozialer Bewegungen sind zumeist durch eine spezifische kollektive Identität und geteilte Überzeugungen gekennzeichnet.

    Konstitutiv für die Akteure der Soziale Bewegungen sind Formen des kollektiven, öffentlichen Protestes. Dies führt dazu, dass Soziale Bewegungen noch stärker als andere Akteursgruppen in der Politischen Kommunikation auf massenmediale Vermittlung angewiesen sind. Präsenz in der Berichterstattung der Massenmedien ist für Soziale Bewegungen daher eine notwendige, wenn auch keine hinreichende Voraussetzung für ihren politischen Erfolg (vgl. Schmitt-Beck 1998: 476). Zugleich wird durch die öffentliche Kommunikation und Interaktion die kollektive Identität einer Sozialen Bewegung immer wieder neu hergestellt

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    2.3 Voraussetzungen der Interaktion auf Seiten der Medien

    2.3.1 Differenzierung des Mediensystems

    Auch auf Seiten des Mediensystems müssen für eine Analyse der Politischen Kommunikation weitere Differenzierungen vorgenommen werden. Anhand eines Modells der Informationsverarbeitung durch die Medien können zunächst Agenturen, Leitmedien und (Folge-)Medien differenziert werden (vgl. Abbildung 3).

    Agenturen sind dabei der erste Selektionsfilter, die das Mediensystem anlegt, um den zahlreichen Informationen, die es als Input bekommt, gewachsen zu sein. Ebenfalls folgenreich für die weitere Informationsverarbeitung sind die Leitmedien. Welche Medien als Leitmedien fungieren, ist von zahlreichen Bedingungen abhängig. Im Rahmen einer breiteren Öffentlichkeit übernehmen in der Regel die überregionalen Qualitätszeitungen, Nachrichtenmagazine sowie die Nachrichtensendungen des öffentlichen Rundfunks die Funktion von Leitmedien, da sie sowohl von breiten Kreisen der Bevölkerung als auch von politischen Akteuren zur Information genutzt werden. Für bestimmte Themen oder im Rahmen politischer Kampagnen können jedoch auch andere Medien, etwa Boulevardzeitungen, für eine Weile Leitmedienfunktionen ausüben. Andere Medien, sog. Folgemedien, orientieren sich dann in ihrer Berichterstattung an den jeweiligen Leitmedien.

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    Abbildung 3: Modell der Informationsverarbeitung durch Medien

    (Quelle: Jarren/Donges 1996: 23)

    Für die Kommunikation zwischen den politischen Akteuren innerhalb eines Politikfeldes können Fachpublikationen die relevanten Leitmedien sein, wie etwa Informationsdienste, Verbandspublikationen etc. Dazu liegen keine Studien vor.

    2.3.2 Redaktionelle Strukturen als Voraussetzung politischer Berichterstattung

    Auf Seiten der Journalisten ist eine wesentliche Voraussetzung zur Berichterstattung das Vorhandensein von redaktionellen Strukturen, d.h. Zuständigkeiten (etwa in Form von Ressorts) und damit verbundene Zugriffsmöglichkeiten auf redaktionelle Ressourcen wie Personal, Agenturen etc. Redaktionelle Strukturen entscheiden mit darüber, ob es überhaupt zu einer Beobachtung der Umwelt, zu einer Bearbeitung der Informationen und zu einer Berichterstattung kommt.

    Mit der Frage, wie redaktionelle Strukturen die Entstehung politischer Berichterstattung beeinflussen, befasst sich eine Studie, die von den Autoren 1995 in Hamburg durchgeführt wurde (vgl. Jarren/Donges 1996; Donges/Jarren 1997). Gegenstand der Studie war die Berichterstattung über landespolitische Themen in öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunksendern der Hansestadt. Ausgangspunkt war die Überlegung, dass die Menge der Informationen, die einer Redaktion als Input zufließen, bekanntlich erheblich höher ist als die Menge der bearbeitbaren und vor allem der publizierbaren Informationen. Für die Beobachtung der gesellschaftlichen Teilsysteme, die systematische und kontinuierliche Beschaffung und Bearbeitung von Informationen haben sich die Medien deshalb intern weiter differenziert und entsprechende Organisationseinheiten ausgebildet (Ressorts). Diese redaktionellen Strukturen dienen dazu, Umwelten kontinuierlich zu beobachten, diese Beobachtungen intern zu kanalisieren und entsprechend den publizistischen Zielsetzungen bearbeitungsfähig zu machen und zu verarbeiten. Traditionell hat sich dabei eine redaktionelle Struktur herausgebildet, die sich im Kernbereich mit den gesellschaftlichen Teilsystemen deckt. Mit der redaktionel-

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    len Strukturierung und der damit verbundenen Zuweisung von Ressourcen (Personal, Geld etc.) wird festgelegt, welche Umwelten von der Redaktion wie beobachtet werden sollen - und welche nicht. Im traditionellen Fall (vgl. Abbildung 4), wie wir ihn bei den meisten Tageszeitungen und auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vorfinden, korrespondiert jeweils ein Ressort mit einem zu beobachtenden gesellschaftlichen Teilsystem. Zugleich bestimmt die redaktionelle Binnenstruktur innerhalb der Ressorts den Ort sowie die Art und Weise, in der Informationen verarbeitet werden können. So ist das Vorhandensein von redaktionellen Gruppen oder einzelnen (Fach-) Redakteuren beispielsweise für Gesundheits-, Verteidigungs- oder Bildungspolitik für die Verarbeitung entsprechender Informationen relevant. Damit wird auch wesentlich die Programmleistung - der Output - bestimmt: Wenn nämlich Medien bestimmte gesellschaftliche Teilbereiche nicht selbst beobachten, keinen Ort für die Verarbeitung der Informationen einrichten oder über kein entsprechend spezialisiertes und qualifiziertes Personal verfügen, so können sie in ihrer Berichterstattung allenfalls auf Agenturen und andere Medien zurückgreifen.

    An der Ausbildung von Ressorts oder Programmbereichen, an ihrer Bezeichnung, an der personellen Ausstattung sowie der Zurverfügungstellung von Ressourcen ist abzulesen, welches publizistische Profil ein Medium anstrebt. Es wird erkennbar, welchen gesellschaftlichen Bereichen in der Berichterstattung besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden soll. Und erst eine erkennbare redaktionelle Struktur ermöglicht es Außenstehenden, mit Journalisten aus einer Redaktion in Kontakt zu treten und eine Beziehung aufzubauen, die für den redaktionellen Input eine wesentliche Bedeutung hat. Redaktions- und Beziehungsstrukturen sind damit letztlich für die politische Berichterstattung insgesamt relevant (Quantität und Qualität).

    Neu etablierte Medien weisen hingegen andere Organisations- und Redaktionsstrukturen auf als die traditionellen Tageszeitungen und öffentlich-rechtliche Rundfunkanbieter: Sie sind nicht nach traditionellen Ressorts organisiert und müssen mit weniger Ressourcen für die redaktionelle Arbeit auskommen. Es lassen sich höchst hybride redaktionelle Organisationsformen finden (vgl. Abbildung 5): Bei Redaktionen des neuen Organisationstypus existieren keine Ressorts, wohl aber redaktionelle Zuständigkeiten („Absprachen"), die jedoch stark von einzelnen Personen abhängig sind. Innerhalb der Redaktion müssen diese Zuständigkeiten - insbesondere bei personeller Fluktuation - immer wieder neu „ausgehandelt" werden. Umweltbeobachtung und redaktionelle Leistung sind demnach in höherem Maß von einzelnen Journalisten abhängig. Die so institutionalisierten Medien werden aufgrund ihrer redaktionellen Struktur, den zur Verfügung stehenden Ressourcen sowie der journalistischen Kompetenz wahrscheinlich nur Teilbereiche ihrer Umwelt beobachten und die Umweltbeobachtung und Informationsbeschaffung sowie -verarbeitung auf eine spezifische Weise organisieren. In der Tendenz stellen sie somit kein Beobachtungssystem der Gesellschaft als Ganzes mehr dar, sondern sie beobachten nur gesellschaftliche Teilbereiche entsprechend ihrer Programmziele.

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    Abbildung 4 und Abbildung 5

    Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass in der politischen Kommunikation Hamburgs aus Sicht der Journalisten, politischen Öffentlichkeitsarbeiter und Politiker nur diejenigen Medien relevant sind, die über eine differenzierte Redaktionsstruktur und ein hohes Maß an personaler Kontinuität in der landespolitischen Berichterstattung verfügen. Rundfunksender mit geringer redaktioneller Struktur zeichnen sich, so ist zu erwarten und wäre durch entsprechend angelegte Inhaltsanalysen zu prüfen, durch eine relative Beliebigkeit in der landespolitischen Berichterstattung aus, da keine festen Kooperationsbeziehungen aufgebaut werden können. Beziehungen zwischen den Sendern und politischen Akteuren sind hier an einzelne Journalisten gebunden und treffen nicht auf Strukturen wie Ressorts. Verlassen bei geringer redaktioneller Struktur einzelne Journalisten den Sender, so müssen neue Beziehungen von neuen Personen aufgebaut werden. Die Abhängigkeit von Personen bedeutet zudem, dass Wissen in Redaktionen - insbesondere in kleinen redaktionellen Einheiten, in Redaktionen ohne Struktur und feste Arbeitsteilung sowie ohne Archiv - nicht „gespeichert" wird und bei personeller Fluktuation verloren geht. Dieser Befund, der für die gesamte politische Kommunikationspraxis gilt, dürfte auch für ein Teilgebiet wie das der sozialpolitischen Berichterstattung Gültigkeit haben.

    Die Befunde dieser Studie zur Politikberichterstattung wurden in einer weiteren, zwei Jahre später durchgeführten Studie aufgegriffen und empirisch vertieft. Gegenstand dieser weiteren Studie waren die Arbeitsbedingungen im privaten Rundfunk in Norddeutschland (vgl. Altmeppen/Donges/Engels 1999). Privatfunkredaktionen, die üblicherweise in Großraumbüros arbeiten, sind auch nach den Befunden dieser Studie nicht nach Ressorts, sondern allenfalls nach Bereichen gegliedert, die wiederum nur wenig differenziert sind (vgl. Abbildung 6). Insgesamt lassen sich dabei die Bereiche Nachrichten, Wort, Unterhaltung und Programmorganisation ausmachen. Diese Bereichsdifferenzierung wird umso weniger trennscharf, je kleiner die personelle Besetzung der Sender ist. Bei kleineren Sendern findet sich allenfalls eine duale Trennung (Wort / Musik bzw. Nachrichten / Unterhaltung). Je größer die personellen Ressourcen der Sender, desto mehr gibt es neben der dualen Struktur weitere redaktionelle Strukturierungen, an denen sich bereits die unterschiedlichen Programmprofile zeigen, etwa durch die Institutionalisierung von Bereichen wie Sport, Kino, Veranstaltungen. Stärker als bei

    [Seite der Druckausg.: 26 ]

    kleinen Sendern findet hier eine Spezialisierung einzelner Redakteure statt. Spezialisierung meint in diesem Fall, dass die betreffenden Personen neben den allgemeinen Tätigkeiten auch für ihr Spezialgebiet zuständig sind. Aber selbst bei großen Sendern sind die bestehenden redaktionellen Differenzierungen (z. B. Veranstaltungshinweise als eigenständige Rubrik) personell so dünn besetzt, dass bei Urlaub oder Krankheit die übrigen Redakteurinnen und Redakteure die jeweilige Aufgabe mit übernehmen müssen.

    Abbildung 6: Redaktionelle Organisation bei privaten Rundfunksendern

    Bereichsgliederung

    Nachrichten

    Wort

    Unterhaltung

    Programmorganisa-
    tion

    Rollengliederung

    Leitungsrollen

    Teilleitungsrollen

    Redakteursrollen

    Themengliederung

    Sendestrecken

    Themensendungen
    (vereinzelt)

    Musik, Lifestyle, Auto,
    Quiz-/Hörerspiele, Politik

    Themen
    (konstant)

    Sport

    Themen
    (vereinzelt)

    Kino, Kirche,
    Lifestyle

    Rubriken

    Veranstal-tungs-hinweise

    (Altmeppen/Donges/Engels 1999: 147)

    Der Bereich Nachrichten entspricht in privaten Hörfunksendern wohl als Einziger den bekannten Ressorts in anderen Medien. Die Aufgaben der dort arbeitenden Journalistinnen und Journalisten sind klar strukturiert: Ihnen obliegt die halbstündige und/oder stündliche Versorgung mit Nachrichten. Angegliedert sind dem Nachrichten-Bereich teilweise noch die Bereiche Wetter und Verkehr.

    Die Zuständigkeit der Wortbereiche liegt zunächst einmal in der Produktion all der Wortbeiträge, die nicht als Nachrichten im Programm erscheinen. Die Abgrenzung zu den Nachrichten wird in der Praxis allerdings dadurch durchbrochen, dass Nachrecherchen zu Nachrichten (meistens mit lokalem oder regionalem Bezug) von den Wortbereichen übernommen werden, da die Nachrichtenressorts dafür teilweise personell zu schwach besetzt sind. Außerdem liefern insbesondere die Journalistinnen und Journalisten, die als Reporter oder Korrespondenten arbeiten, für die Nachrichten zu.

    Empirisch lässt sich aufgrund der Ergebnisse konstatieren, dass Unterhaltung in allen Sendern organisatorisch verankert ist: als eigenständiger Bereich hauptsächlich bei den größeren Sendern (und nur dort kann es vorkommen, dass mehr als nur eine Person in der Unterhaltung tätig ist), in kleinen Sendern werden die unterhaltenden Anforderungen des Programmformats auf die jeweils anwesenden Redakteurinnen und Redakteure verteilt. Als eigenständige Arbeitsleistung kann die Unterhaltung die Produktion von Hörerspielen und Comedy-Beiträgen für sich beanspruchen (vgl. Altmeppen/Donges/Engels 1999: 165 f.), die breit gestreuten Tätigkeitsanforderungen der Journalisten im Unterhaltungsbereich zeigen darüber hinaus jedoch an, dass die Unterhaltung vielfach zuliefernde Aufgaben für die anderen Bereiche erfüllt, indem zum Beispiel musikalische Unterleger und Effekte zur Verfügung gestellt werden.

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    Gleiches gilt für die Programmorganisation. In diesem Bereich werden Tätigkeiten ausgeübt, die sich mit der Gestaltung, Änderung und Kontrolle des täglichen Programmablaufs befassen, also mit der Sendeplanung, Sendeablaufkontrolle und mit der Überwachung des senderspezifischen Formats. Während dies bei den kleinen Sendern zwischen den Journalistinnen und Journalisten wechselt, findet sich in großen Sendern eine Spezialisierung in unterschiedlicher Form: Einerseits ist die Programmorganisation Aufgabe von Teilleitungsrollen (Chef vom Dienst, Schichtleiter, Redakteur vom Dienst), andererseits entwickeln sich durchaus Konturen eines neuen Berufsbildes, das in der Praxis mit Producer bezeichnet wird.

    Zu den Spezifika im privaten Hörfunk gehört auch, so die Aussagen der Programmverantwortlichen, dass die redaktionelle Struktur großen Veränderungen unterworfen ist und häufig an den aktuellen Bedarf angepasst wird. Darüber hinaus belegen einzelne Fälle, dass sich bestimmte Teilbereiche der Redaktion gleichsam von selbst über die Jahre entwickeln, ohne dass dies von der Programmleitung intendiert ist. Beispielsweise werden einzelne Aufgaben von einer Person auch dann weiterhin erledigt, wenn sie innerhalb des Senders in einen anderen Bereich wechselt.

    Kennzeichnend für die Struktur der Redaktionen im privaten Hörfunk ist auch, dass die meisten Journalistinnen und Journalisten in mehreren Arbeitsbereichen tätig sind. Durchschnittlich 2,8 Arbeitsbereiche geben die Journalistinnen und Journalisten im privaten Hörfunk an. Auch ist die Festlegung auf nur eine Rolle, wie wir sie bei den Tageszeitungen mit dem Lokalredakteur oder dem Reporter kennen, bei den privaten Sendern eher die Ausnahme als die Regel. Die Befunde legen den Schluss nahe, dass auch bislang noch als arbeitsteilig vorausgesetzte Grenzen entfallen. Prinzipiell müssen Journalistinnen und Journalisten im privaten Hörfunk in der hierarchischen wie in der funktionalen Ebene alle Tätigkeitsanforderungen erfüllen können. Hierarchisch ist das fluktuierende Prinzip der CvD- oder RvD-Verantwortung ein deutlicher Beleg hierfür, zugleich müssen Journalistinnen und Journalisten aus funktionaler Sicht in der Lage sein, einen Unterhaltungsbeitrag ebenso herzustellen wie einen Informationsbeitrag oder in der Nachrichtenredaktion zu arbeiten; außerdem müssen sie eine Vor-Ort-Recherche genauso erledigen wie die Arbeit in der Redaktion und die Moderation im Selbstfahrerstudio; und nicht selten entwickeln Nachrichtenredakteure eine Idee zu einem Comedy-Beitrag und setzen das Konzept dann auch produktionstechnisch um.

    Als Fazit ihrer Studie konstatieren Altmeppen/Donges/Engels eine „Transformation im Journalismus" hin zu einem Formatjournalismus, bei dem die zielgruppenspezifische Programmgestaltung den Vorrang vor themenzentrierten Angeboten hat. Ausgehend von den Unternehmenszielen der privat-kommerziellen Sender entwickelt sich ein quotenabhängiger und kostengesteuerter Produktionsprozess (vgl. Altmeppen/Donges/Engels 1999: 264 ff.). Da verzweigte Redaktionsstrukturen nicht finanzierbar und bei formatgeprägten Quotenprogrammen auch nicht notwendig sind, findet auf der Ebene der Organisationsformen eine Entdifferenzierung statt. Dies hat seinen Niederschlag ebenso auf der Ebene der journalistischen Rollen wie im gesamten journalistischen Arbeitsprozess des Sammelns, Bearbeitens und Präsentierens von Medienangeboten, was sich wiederum auf die journalistischen Qualifikationsprofile auswirkt. Organisationsziele sind somit entscheidende Faktoren für die Ausbildung von Organisations- und Arbeitsprogrammen und damit auch für die Gestaltung der journalistischen Arbeitsprozesse. Über die Programme werden zugleich die Ressourcen der journalistischen Arbeit bestimmt. Die sachliche Ausstattung in Redaktionen, die personelle Redaktionsstärke und damit auch die zeitlichen Ressourcen im Arbeitsprozess sind ein Ergebnis der Vorgaben der journalistischen Organisation in Abhängigkeit von den jeweiligen Etats, während die Organisationsziele sich aus der Wettbewerbssituation und dem

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    Markthandeln der Hörfunksender ableiten. Anhand der weitgehend über die Höhe von Werbeeinnahmen bestimmten Etats müssen die Sender die kostenmäßig passenden Herstellungsprozesse konstruieren. Die Etats wiederum werden aufgrund der Quoten des abgelaufenen Geschäftsjahres ermittelt, sodass gleichbleibende oder steigende Hörerzahlen den Zustand der Redaktionen stabilisieren, während sinkende Hörerzahlen eine destabilisierende Wirkung haben, die sich einerseits in Anpassungen auf der Kostenebene und andererseits auf der Ebene des Programmangebots als Veränderung im Format äußern.

    Die Folgen dieses Prozesses sind auch den Programmverantwortlichen bewusst. Die Perspektiven journalistischer Arbeit werden nach ihrer Ansicht mehrheitlich von einem verschärften Wettbewerb und einem kommerziellen Druck mit der Folge fortschreitender Marktorientierung der Hörfunkangebote beherrscht. Sie erwarten überwiegend eine generell sinkende Bedeutung des Journalismus und einen Rückgang journalistischer Anteile im Hörfunk. Durch die schnellere Umsetzung der Themen, die knappe Darstellung und wenig Zeit für Recherche findet eine Reduzierung auf „Basisinformationen" statt. Gute Konsumierbarkeit und eine steigende Bedeutung von „Effekten" gegenüber Inhalten sind darüber hinaus Charakteristika künftiger journalistischer Tätigkeit. Unter diesen Bedingungen wird Journalismus, so eine Einschätzung der befragten Programmverantwortlichen, zunehmend zum Vehikel des Verkaufs, da wirtschaftlicher Druck zwangsläufig die Durchsetzung von Kundeninteressen in der Programmgestaltung zur Folge habe, was wiederum faktisch zur weitgehenden Aufhebung der Trennung von Werbung und redaktionellem Programm führe (vgl. Altmeppen/Donges/Engels 1999: 227 ff.).

    Es ist zu vermuten, dass sich die politischen Akteure noch nicht - oder noch nicht hinreichend - auf die neuen Programmveranstalter und ihre Programme eingestellt haben. Zwar denkt auch die Politik bei der Politikvermittlung in „Zielgruppen", aber die Zielgruppendefinition entspricht zumeist politisch-sozialen Kategorien: So denkt die politische Öffentlichkeitsarbeit in Kategorien wie beispielweise „Entscheidungsbetroffene", „Arbeitslose" oder „Jugendliche", doch noch orientiert sie sich zu wenig an medialen Zielgruppen. Vor allem aber muss die Politik bemüht sein, für alle Sendeformate entsprechende Informationsangebote bereitzustellen und mit unterschiedlichen Sendern zu kooperieren, um mit für eine zielgruppen- und medienorientierte Politikvermittlung zu sorgen.


    © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2001

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