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TEILDOKUMENT:
Zwischenbilanz [Seite der Druckausg.: 63]
Ich bedanke mich bei der Friedrich-Ebert-Stiftung für die Einladung zur heutigen Veranstaltung Qualitätssicherung in der Pflege" und für die Gelegenheit zur einer Zwischenbilanz. Gemeint ist damit offenbar nicht eine Zwischenbilanz am Abend des ersten Tages der Veranstaltung, gemeint ist wohl auch nicht eine allgemeine Zwischenbilanz nach fünf Jahren Pflegeversicherung, sondern gemeint ist eine Zwischenbilanz zu den bisherigen Bemühungen um die Qualitätssicherung der pflegerischen Leistungen, und zwar in der ambulanten und stationären Pflege und bei der häuslichen Krankenpflege im Sinne des § 37 SGB V. Aber gestatten Sie mir als einem, der an der Schaffung der Pflegeversicherung in den Jahren 1991 bis 1994 unmittelbar beteiligt war, einige generelle Anmerkungen zur aktuellen Situation der Pflegeversicherung insgesamt zu machen, auch zur Qualität der Pflegeversicherung, denn ohne Qualität der Pflegeversicherung kann es auch keine Qualität in der Pflege geben. Mängel in der Pflegeversicherung führen auch zu Mängeln bei den pflegerischen Leistungen. Ich war nämlich nicht nur beteiligt bei der konzeptionellen Vorbereitung und der politischen Durchsetzung der Pflegeversicherung, sondern habe auch heute noch Gelegenheit, an der praktischen Umsetzung mitzuwirken, und zwar insbesondere auf der Landesebene, in mehreren Landespflegeausschüssen, Schiedsstellen, Landesarbeitsgemeinschaften zur Bemessung der Vergütung von ambulanten und stationären Pflegeleistungen und auch in Gremien zur Gewährleistung und Verbesserung der Pflegequalität. Eine Gesamtwürdigung der Pflegeversicherung unter Einbeziehung der zahlreichen noch ungelösten und vielfältigen Probleme ist auch geeignet, eine einseitige Überbewertung einzelner, besonders aktueller Fragestellungen, wie beispielsweise die Qualitätssicherung, zu vermeiden oder sie zumindest auf das gebotene Maß zu relativieren. [Seite der Druckausg.: 64] Denn - offenbar angeregt durch das Vorbild in der GKV-Gesundheitsreform 2000", die den bisherigen Neunten Abschnitt im Vierten Kapitel des SGB V mit dem Ziel der Weiterentwicklung der Qualitätssicherung" grundlegend umgestalten will (vgl. §§ 135 bis 138) - soll jetzt wohl auch die Pflegeversicherung mit einer wahren Orgie von Qualitätsregulierungen überzogen werden. Zumindest geben zwischenzeitlich bekannt gewordene erste Diskussionsentwürfe eines Pflege-Qualitätssicherungsgesetzes" zu den schlimmsten Befürchtungen Anlaß. Derartigen Exzessen mit einer schier uferlosen Ausweitung und Aufblähung der Grundsatzregelungen zur Qualitätssicherung in § 80 SGB XI muß entschieden entgegengetreten und der Regelungsbedarf auf ein realistisches Ausmaß beschränkt werden.
Erster Teil: Allgemeine Zwischenbilanz
Die Pflegeversicherung war und ist auch heute noch ein Erfolg. Aus der heutigen Erfahrung war das Jahr 1994 die letzte Möglichkeit zur Schaffung einer Pflegeversicherung als fünfter Säule der Sozialversicherung, finanziert im Umlageverfahren durch paritätische Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber. Schon ein oder zwei Jahre später hätte die Forderung nach Senkung der Beiträge zur Sozialversicherung und die Beschwörung der Lohnnebenkosten als Problem Nr. 1 für die Gefährdung der Arbeitsplätze die Schaffung einer umlagefinanzierten Pflegeversicherung verhindert. Vorangegangen waren mehr als zwanzig Jahre politischer Diskussionen um eine bessere soziale Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit. Vorangegangen war ein dreijähriges Gesetzgebungsverfahren
[Seite der Druckausg.: 65] Harte Diskussionen, schwierige politische Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Befürwortern der Pflegeversicherung auf der einen Seite und notwendige Kompromisse als Preis für den Erfolg des Unternehmens auf der anderen Seite sind bis heute ein Wahrzeichen und ein Symbol der Pflegeversicherung. Für den Außenstehenden, der an den politischen Auseinandersetzungen nicht unmittelbar teilgenommen hat und die Entscheidungen zwischen Kompromiß oder Scheiternlassen nicht selbst zu treffen hatte, erscheinen die notwendigen Kompromisse aus heutiger Sicht vielfach als unentschuldbare Fehler oder Mängel, sie sind nicht selten Anlaß für eine unbegründete Kritik. Vor diesem politischen Hintergrund und angesichts der früheren Ausgangssituation für die Pflegebedürftigen - Pflegebedürftigkeit war damals gleichbedeutend mit der Abhängigkeit von Sozialhilfe - ist die Durchsetzung der Sozialen Pflegeversicherung ein Erfolg im Interesse der Pflegebedürftigen und ihrer Familien. Das wird heute auch im politischen Raum übereinstimmend so gesehen, und zwar nicht nur auf Seiten der damals regierenden CDU/CSU und FDP-Koalition, sondern auch auf Seiten der damaligen Opposition und heutigen Regierungskoalition. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Professor Dr. Martin Pfaff hat bei der Verabschiedung des Vierten Änderungsgesetzes zum SGB XI am 24.06.1999 im Bundestag die Pflegeversicherung einen Meilenstein in der Entwicklung des Sozialstaates Deutschland" genannt. Die Bundesministerin für Gesundheit, Frau Andrea Fischer, die seit Herbst 1998 für die Pflegeversicherung zuständig ist, hat in derselben parlamentarischen Debatte am 24.06.1999 die Einführung der Pflegeversicherung als einen großen Fortschritt bezeichnet und versprochen, daß sie dieses Erbe annehmen und es sorgsam verwalten werde. Eine Ausnahme gilt lediglich für die PDS: Der Abgeordnete Dr. Ilja Seifert hält die Pflegeversicherung für eine Sackgasse und nicht für ein erfolgreiches Werk, sie habe im Gegenteil eine Menge Schaden angerichtet, zahlreiche Behinderteneinrichtungen würden heute in Pflegeheime umgewandelt, zum Schaden der Behinderten. Erforderlich sei eine Demokratisierung, die Alleinherrschaft der Pflegekassen und des Medizinischen Dienstes müsse gebrochen werden. [Seite der Druckausg.: 66] Lassen wir den Abgeordneten Dr. Seifert mit seiner Meinung allein, er vertritt eine Außenseiter-Position. Die grundsätzliche Bewertung der Pflegeversicherung als Erfolg darf natürlich den Blick nicht davor verschließen, daß es auch Schwachstellen und Reformbedarf gibt. Die allseits beklagten Schwachstellen sind weniger konzeptionelle oder handwerkliche Fehler des Gesetzgebers, sie waren vielmehr die zwangsläufige Folge der damaligen politischen Vorgabe, die den Beitragssatz für die Pflegeversicherung auf 1,7 % festgeschrieben hatte, bezogen auf die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung. Mit dem aus diesem Beitragssatz zu erwartenden Finanzvolumen von ca. 30 Mrd. DM jährlich mußte die Pflegeversicherung auskommen, an diesem Finanzvolumen hatte sich die Ausgestaltung der Pflegeversicherung zu orientieren. Das galt insbesondere für
Mit diesen Mängeln muß die Pflegeversicherung vorerst leben, es sei denn, es finden sich politische Mehrheiten für die Ausweitung des Finanzvolumens; derartige Mehrheiten sind allerdings angesichts der allgemeinen Forderung nach Beitragssatzstabilität nicht in Sicht. Vorrangige Aufmerksamkeit verdienen deshalb diejenigen Mängel, die sich aus einer fehlerhaften oder unzureichenden Umsetzung der Pflegeversiche- [Seite der Druckausg.: 67] rung oder aus fragwürdigen Regelungen des Gesetzgebers herleiten. Dazu gehören:
Es ist sicher an der Zeit, daß nach fünf Jahren Erfahrungen mit der Pflegeversicherung diese und andere Mängel abgestellt werden. Das heißt aber nicht, daß dabei allen Kritikern und allen Reformvorschlägen Rechnung zu tragen wäre. Denn den Wünschen und Forderungen sowie der Phantasie der Kritiker sind offenbar keine Grenzen gesetzt, insbesondere auch deshalb, weil im Einzelfall der Sachverstand nicht immer im Ein- [Seite der Druckausg.: 68] klang steht mit der Lautstärke und dem Inhalt der erhobenen Reform-Forderungen. Das gilt insbesondere für folgende Vorschläge:
Diese durchweg wenig realistischen oder gar utopischen Forderungen dürfen nicht davon ablenken, daß gleichwohl ein beachtlicher Änderungs- und Korrekturbedarf vorhanden ist, dem möglichst bald mit einem umfassenden Fünften Änderungsgesetz zum SGB XI Rechnung getragen werden sollte. Zur Vorbereitung eines solchen Änderungsgesetzes bedarf es Geduld, Sorgfalt und auch einer detaillierten gesetzgeberischen Kleinarbeit, um die er- [Seite der Druckausg.: 69] kannten Mängel und Schwachstellen durch bessere und auch funktionsfähige Regelungen zu ersetzen. Ich will hier und heute nicht ein Konzept des Fünften Änderungsgesetzes vortragen, aber aus meinen konkreten Erfahrungen auf einige Probleme aufmerksam machen, die bei einer gesetzgeberischen Initiative rechtzeitig beachtet werden sollten:
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Zweiter Teil: Zwischenbilanz zur Pflegequalität und zur Qualitätssicherung
Bei einer Sichtung und Würdigung der vielfältigen und lautstarken Kritik an der Pflegeversicherung fällt auf, daß dabei das Thema Qualität der Pflegeleistungen" keineswegs im Vordergrund gestanden hat. Erst als in jüngerer Zeit in der Presse über Abrechnungsmanipulationen, Mängel, Mißstände, unzureichende Versorgung mit Essen und Trinken, Vernachlässigung bei der pflegerischen Versorgung und auch von Gewalt gegen Pflegebedürftige berichtet worden ist, hat das Thema Qualität der Pflege eine größere Aufmerksamkeit gefunden und sind einzelne Aktivitäten eingeleitet worden, um diesen Zuständen entgegenzutreten. So ist in Bayern eine Anhebung des Stellenschlüssels für Pflegeheime veranlasst worden, nachdem Fälle von ungenügender Flüssigkeitszufuhr mit Todesfolge berichtet worden waren. In Hamburg hat das Institut für Rechtsmedizin eine Dekubitus-Studie vorgelegt, die in der Öffentlichkeit, in der Politik und in Fachkreisen großes Aufsehen erregt hat. Um in deutschen Pflegeheimen tatsächlich vorhandene Mängel und Mißstände einmal losgelöst von jeder medienträchtigen oder gar einseitigen und tendenziösen Aufbereitung in konkreter Form deutlich zu machen, darf ich die wichtigsten Ergebnisse von Qualitätsprüfungen im Sinne des § 80 Abs. 2 SGB V kurz darstellen: Bei 24 sogenannten anlassbezogenen" Qualitätsprüfungen des Medizinischen Dienstes eines nördlichen Bundeslandes in 15 Pflegeheimen sind folgende Mängel festgestellt worden:
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lich, nicht eindeutig festzustellen, welche Personen für die eigentliche Pflege und welche Personen für sonstige Betreuungsleistungen zuständig sind.
Was die verschiedenen Hilfeleistungen angeht, wurden teils katastrophale, teils sogar strafrechtlich relevante Zustände angetroffen:
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Trotz dieser schlimmen Mängel im Einzelfall hat der MDK keine allgemeinen Schlüsse für die Gesamtsituation in allen Heimen des betreffenden Landes ziehen wollen, weil die geprüften 15 Heime statistisch nicht repräsentativ sind und es sich außerdem um sogenannte veranlaßte Prüfungen gehandelt hat. Erschwerend fällt jedoch ins Gewicht, daß die Prüfungen jeweils angemeldet waren und in neun Fällen sogar Wiederholungsprüfungen gewesen sind, bei denen festgestellt werden mußte, daß die bei der Erstprüfung gerügten Mängel weiterhin andauerten. Die aufgedeckten Mißstände werden zwar in den Medien und von den Beteiligten allgemein beklagt und auch von den Verbänden der Leistungserbringer nicht entschuldigt, sie werden aber durchweg als bedauerliche Einzelfälle hingestellt und grundsätzlich und allgemein eine gute Pflegequalität in deutschen Heimen behauptet. Dabei steht nach heutiger objektiver Beweislage keineswegs fest, ob es sich bei den konkret festgestellten Mängeln tatsächlich nur um Einzelfälle oder in Wirklichkeit um die Spitze eines Eisberges handelt. Für eine Gesamtbewertung fehlt es bislang an der notwendigen Zahl durchgeführter Qualitätsprüfungen vor Ort, zu denen aber offenbar weder der MDK noch die Heimaufsicht oder die Kostenträger in der Lage sind - aus welchen Gründen auch immer. Von einer systematischen Inangriffnahme oder gar einer Lösung der Qualitätsprobleme kann bislang keine Rede sein. Pflegekassen, Medizinischer Dienst, Sozialhilfeträger und die Behörden der Heimaufsicht stehen den zahlenmäßig durchaus ins Gewicht fallenden Einzelfällen" vielfach eher hilf- und ratlos gegenüber. Im Ersten Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Pflegeversicherung" vom 19.12.1997 (BT-Drucksache: 13/9528) spielen Probleme der Qualitätssicherung in Heimen und bei Pflegediensten eher eine untergeordnete Rolle, es wird von einzelnen Maßnahmen von Pflegekassen zur Qualitätssicherung berichtet, von einem bundesweiten und bundeseinheitlichen Gesamtkonzept zur Pflegequalitätssicherung ist nicht die Rede (vgl. Seite 43 bis 45, aaO). Erfreulich erscheint demgegenüber der Vorstoß des Freistaates Bayern im Bundesrat mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Effizienz [Seite der Druckausg.: 77] von Qualitätsprüfungen in Pflegeeinrichtungen (Qualitätsprüfungsgesetz)" vom 05.03.1999 (Bundesrats-Drucksache: 140/99). Der bayerische Gesetzentwurf geht davon aus, daß es angesichts der bekanntgewordenen pflegerischen Defizite notwendig sei, die Heimaufsicht personell zu verstärken und das gesetzliche Kontrollinstrumentarium der zuständigen Behörden und Stellen - sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich der Pflege - auszubauen und zu verbessern. Das soll durch gezielte Änderungen im SGB XI, im Bundessozialhilfegesetz und im Heimgesetz erreicht werden, vor allem durch Bildung örtlicher Arbeitsgemeinschaften der beteiligten Behörden, durch gegenseitigen Datenaustausch und durch das uneingeschränkte Recht, Kontrollen jederzeit und ohne vorherige Anmeldung durchführen zu können. Erst im August dieses Jahres hat die Bundesgesundheitsministerin eine eigene Gesetzesinitiative zur Verbesserung der Pflegequalität angekündigt und für den Herbst 1999 die Vorlage eines entsprechenden Gesetzentwurfs zugesagt. Parallel dazu laufen Bemühungen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur Änderung auch des Heimgesetzes, um von dieser Seite ebenfalls einen Beitrag zur Qualitätssicherung und zur Verhinderung von Mißständen in der Pflege zu leisten. Diese Aktivitäten und Initiativen in Bund und Ländern sind meines Erachtens ein Beweis dafür, die bisher auf der Grundlage des § 80 Abs. 1 SGB IX entwickelten Gemeinsamen Grundsätze und Maßstäbe zur Qualität und Qualitätssicherung einschließlich des Verfahrens zur Durchführung von Qualitätsprüfungen in der ambulanten und stationären Pflege" bislang nicht die notwendigen Wirkungen und Erfolge herbeigeführt haben; andernfalls würde man nämlich nicht weitergehenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf für notwendig halten. Das überrascht allerdings schon deswegen nicht, weil die Gemeinsamen Grundsätze" als freiwillige Vereinbarungen der zahlreichen Spitzenverbände von Kostenträgern und Leistungserbringern eine Einigung offenbar lediglich auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner herbeigeführt haben; die in § 80 Abs. 5 für den Fall des Nichtzustandekommens der Grundsätze und Maßstäbe angedrohte Ersatzvornahme durch den Verordnungsgeber war anscheinend keine ausreichende Sank- [Seite der Druckausg.: 78] tion, um wesentliche konkretere Qualitätsvorgaben auf der Bundesebene durchzusetzen.
Historische Entwicklung
Die gesetzliche Krankenversicherung nimmt - was rechtliche Vorgaben zur Qualität und zur Qualitätssicherung angeht - im Kreise der Sozialversicherungsträger eine Sonderstellung ein:
Darüber hinaus enthält das SGB V im Vierten Kapitel Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern einen Neunten Abschnitt mit der Überschrift Sicherung der Qualität der Leistungserbringung". In den §§ 135 bis 139 sind hier für fast alle Leistungserbringer der gesundheitlichen Versorgung, also
konkrete gesetzliche Vorgaben zur Qualität und Qualitätssicherung in der Krankenversicherung normiert. Das geschah im Jahr 1988 im Rahmen der Gesundheitsreform und war damals eine bahnbrechende Neuerung. Es war das erste Mal, daß der Gesetzgeber die Begriffe der Qualität und der Quali- [Seite der Druckausg.: 79] tätssicherung von gesundheitlichen Leistungen in einem System der Sozialen Sicherung eingeführt hat. Der Gesetzgeber hat sich dabei allerdings auf die Vorgaben beschränkt, daß Maßnahmen der Qualitätsprüfung und der Qualitätssicherung durchzuführen sind, und zwar als Aufgabe der Selbstverwaltung, in der Hauptsache der Verbände der Krankenkassen und der kassenärztlichen Vereinigungen. Angesichts der bislang noch mangelhaften Umsetzung der mit Wirkung vom 01.01.1989 den verschiedenen Selbstverwaltungen erteilten Aufträge, kann man die damaligen Regelungen des SGB V zur Qualitätssicherung als unzureichend kritisieren. Das gilt beispielsweise hinsichtlich konkreter Vorgaben für die Struktur-, Prozeß- und Ergebnisqualität der einzelnen Versorgungsbereiche oder von konkreten Aufträgen zur Entwicklung von Maßnahmen und Verfahren der internen Qualitätssicherung und der externen Qualitätskontrolle und schließlich auch für die Schaffung von Anreizen oder die Androhung von Sanktionen. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, daß der Gesetzgeber der Gesundheitsreform von 1988 hier Neuland betreten und sich deshalb verständlicherweise auf Verpflichtungen der Selbstverwaltung beschränkt hat. Wären diese Verpflichtungen entsprechend dem Willen des Gesetzgebers ernst genommen und in den vergangenen zehn Jahren auch in voller Breite umgesetzt worden, so wäre es heute um die Qualität der gesundheitlichen Versorgung in der Krankenversicherung besser bestellt. Vor dem Hintergrund einer höchst unbefriedigenden Umsetzung der bisherigen Qualitätsvorgaben im SGB V war es nicht überraschend, daß Fragen der Qualitätssicherung in der GKV-Gesundheitsreform 2000" einen breiten Raum einnehmen sollten. In den 15 Eckpunkten zur Gesundheitsreform" vom 02.03.1999 ist der Punkt 8 ausschließlich der Verbesserung der Qualität der gesundheitlichen Versorgung" gewidmet, und dort ist im einzelnen auch dargestellt, was die Koalition unter dieser Forderung verstanden wissen will, nämlich in erster Linie ein umfassendes internes Qualitätsmanagement: Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, daß es ergänzend zu den Maßnahmen der externen Qualitätssicherung auch Maßnahmen der internen Qualitätssicherung bedarf, um eine berufsgruppen- und fachübergreifende Gestaltung der Qualitätssicherung in den [Seite der Druckausg.: 80] Versorgungseinrichtungen zu erreichen. Hierzu ist die Einführung eines umfassenden Qualitätsmanagements, das die stetige Qualitätsverbesserung zum Ziele hat, unerlässlich. Nicht allein die von außen durchgesetzte Suche nach den schlechten Äpfeln" und ihre Sanktionierung (externe Qualitätssicherung) wird zu einer spürbaren Qualitätsverbesserung von medizinischer Versorgung führen, sondern die engagierte Anstrengung aller Berufsgruppen, die Versorgungsqualität insgesamt zu heben (interne Qualitätssicherung). Es werden daher alle ambulanten und stationären Einrichtungen verpflichtet, ein umfassendes Qualitätsmanagement einzuführen. Die Krankenkassen erhalten die Möglichkeit, das Engagement der Leistungserbringer für eine stetige Qualitätsverbesserung zu befördern und die Vergütungen von der Qualität der erbrachten Leistungen abhängig zu machen. Diese Vorstellungen, verbunden mit einer deutlichen Aufwertung der Qualitätssicherung in der GKV, haben zwischenzeitlich in dem Regierungsentwurf zur Gesundheitsreform 2000 ihren Niederschlag gefunden, und zwar in Form des weitgehend neugestalteten Neunten Abschnitts im Vierten Kapitel Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der Leistungserbringung", in den §§ 135 bis 139.
Transformation in das Recht der Pflegeversicherung
Bei den vielfältigen Gemeinsamkeiten zwischen Krankenversicherung und Pflegeversicherung darf es nicht überraschen, daß bei der Schaffung des SGB XI auch hinsichtlich der Regelungen zur Qualität der Pflegeleistungen gewisse Anleihen bei der Krankenversicherung gemacht worden sind, und zwar sowohl im Kapitel Leistungsrecht" und auch im Kapitel Beziehungen der Pflegekassen zu den Leistungserbringern". Nach § 28 Abs. 3 SGB XI haben die Pflegekassen und die Leistungserbringer sicherzustellen, daß alle Leistungen der Pflegeversicherung nach allgemein anerkanntem Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse erbracht werden; in § 11 Abs. 1 ist dieser Verpflichtung noch einmal ausdrücklich gegenüber den Pflegeeinrichtungen normiert. [Seite der Druckausg.: 81] Die zentralen Vorgaben zur Qualitätssicherung der Pflegeleistungen enthält § 80 SGB XI, der folgende Maßnahmen zu einem einheitlichen System der Qualitätssicherung miteinander verbindet:
Für die häusliche Pflege durch Angehörige oder andere nahestehende Pflegepersonen ist die Qualitätssicherung nicht förmlich geregelt. Hier ist es jedoch einmal Aufgabe des Medizinischen Dienstes, dafür zu sorgen, daß bei Inanspruchnahme des Pflegegeldes die Qualität der damit beschafften Pflege gewährleistet ist (§ 37 Abs. 1). Zum anderen soll durch die in § 37 Abs. 3 geregelte Kontrollpflege" u.a. auch eine Sicherung der Qualität der häuslichen Pflege erreicht werden. Prof. Martin Pfaff kommt in seinem Beitrag Die Mobilisierung von Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsreserven" in der Reihe Tagungsberichte des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung", Band 9 (vgl. S. 41ff) unter dem Aspekt von fehlenden Anreizen und Sanktionsmechanismen zur Förderung der Qualitätssicherung im SGB V zu der für die Pflegeversicherung sehr schmeichelhaften Feststellung: [Seite der Druckausg.: 82] Hier bietet sich ein Blick zur Pflegeversicherung an, für die die Qualitätssicherung in § 80 SGB XI geregelt ist. Dieser jüngste Zweig der Sozialen Sicherung in Deutschland impliziert bereits die Einhaltung umfassender Qualitätssicherungsvorgaben, wenn ambulante, teilstationäre oder stationäre Hilfe und Pflegeeinrichtungen überhaupt eine Zulassung erhalten wollen bzw. die Zulassung fortbestehen soll. Was hier den Leistungsanbietern von Beginn an klar war, muß sich bei einem Sozialversicherungszweig mit mehr als hundertjähriger Geschichte erst etablieren. Den Leistungsanbietern der gesetzlichen Krankenversicherung, die bislang primär unter dem Nimbus der Unbezahlbarkeit von Leben und Gesundheit" agierten, muß im gleichen Maße, wie zunehmend auch Aspekte der Wirtschaftlichkeit das Handeln beeinflussen werden, auch das Gedankengut der Qualitätssicherung geläufig werden". Offenbar war Herrn Prof. Pfaff bei dieser wohlwollenden Beurteilung der Pflegeversicherung die sehr pauschale und großzügige Zulassung der Pflegeeinrichtungen im Wege des sog. Bestandsschutzes im Sinne von § 73 Abs. 3 und 4 SGB XI nicht mehr in Erinnerung. Durch diese als einstweilige Übergangsregelung gedachte ad-hoc-Entscheidung ist es bisher leider versäumt worden, vor allem im stationären Bereich, die notwendigen Qualitätsanforderungen zur Erlangung eines Versorgungsvertrages jeweils konkret festzustellen; die Vorschrift des § 73 ist dringend durch eine Regelung zu ergänzen, die es den Pflegekassen zur Pflicht macht, das Vorliegen der fachlichen Voraussetzungen für den Fortbestand der Versorgungsverträge in bestimmten Zeitabständen von Amts wegen zu überprüfen.
Zum Stand der Umsetzung von Qualitätsanforderungen in die Pflege-Wirklichkeit
Die in § 80 SGB XI den Spitzenverbänden erteilten Aufträge sind formal erfüllt: Es gibt für die ambulante, teilstationäre, vollstationäre und auch für die Kurzzeitpflege die im Gesetz geforderten Gemeinsamen Grundsätze und Maßstäbe zur Qualität und Qualitätssicherung", die mit Datum vom 31.05. und 21.10.1996 im Bundesanzeiger Nr. 152a und 213 veröffentlicht sind. Diese Vereinbarungen der Spitzenverbände, die für alle Beteiligten unmittelbar verbindlich sind, haben aber bisher die Pflegedienste und Pfle- [Seite der Druckausg.: 83] geheime weder erreicht noch haben sie dort die Leistungserbringung nachhaltig beeinflussen können. Das liegt nicht zuletzt daran, daß bisher eine allgemein akzeptierte Definition über das, was Pflegeleistungen im Sinne des allgemein anerkannten Standes medizinisch-pflegerische Erkenntnisse" sind, bisher nicht gefunden worden ist. Solange aber diese Zielvorstellung als zentraler Orientierungspunkt fehlt, können wohl auch keine allgemeingültigen Maßstäbe entwickelt werden, die erforderlich sind, um die verschiedenen Ziele der Qualität und die notwendigen Maßnahmen zur Qualitätssicherung für die Alltagspraxis zu konkretisieren. Deshalb kann es auch nicht überraschen, daß es bisher keine allgemein gültigen, validen Aussagen über die heute in deutschen Pflegeeinrichtungen vorhandene Pflegequalität gibt. Es gibt nur einzelne Meinungsäußerungen, allerdings mit höchst unterschiedlichen Aussagen. Angesichts dieser sicher unbefriedigenden Situation kann es heute - unabhängig von den dringend notwendigen Bemühungen um eine alsbaldige Definition der Pflege nach dem allgemein anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse" - nur darum gehen, die aktuellen Aufgaben in der pflegerischen Versorgung in den einzelnen Handlungsfeldern pragmatisch und Schritt für Schritt anzugehen. Aus meiner Sicht sind dabei drei Handlungsebenen zu unterscheiden:
zu a): Sofortmaßnahmen Hierzu möchte ich aus Zeitgründen verweisen auf das Aktionsprogramm des Landespflegeausschusses in Schleswig-Holstein", das dieser zur Sicherstellung und Weiterentwicklung der Qualität [Seite der Druckausg.: 84] in Pflegeeinrichtungen am 06.04.1999 beschlossen hat, insbesondere mit der Zielvorstellung, aus den in Einzelfällen festgestellten Mängeln offensiv entgegenzutreten. zu b): Die durchweg sehr allgemein formulierten Gemeinsamen Grundsätze und Maßstäbe" der Spitzenverbände sollten durch konkrete Anforderungen zur Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität ergänzt werden; auf diese Weise würden für alle Pflegeeinrichtungen Vorgaben geschaffen, die auch im Einzelfall vor Ort mit Erfolg überprüft werden könnten. Dazu gehören für die Strukturqualität die Mindestanforderungen an die sachliche und technische Ausstattung der Pflegeeinrichtungen, beispielsweise auch zu Art und Zahl der erforderlichen Pflegehilfsmittel. Notwendig erscheinen zu Gewährleistung der erforderlichen personellen Ausstattung auch die Festlegung vernünftiger, fachlich fundierter Personalanhaltszahlen. Diesem Instrument ist zwar bislang mit Blick auf die Überwindung des Selbstkostendeckungsprinzips eine Absage erteilt worden; die Erfahrungen zeigen indes, daß ohne beiderseits akzeptierte Anhaltszahlen sachgerechte Vergütungsvereinbarungen wohl kaum zu erreichen sind; hier erscheint deshalb ein Umdenken angezeigt. Was die Ergebnisqualität angeht, müssen in diese Bewertung selbstverständlich auch die Erfahrungen und Einschätzungen der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen mit einfließen. Aber das Instrument der Patientenbefragung, das bei den Rehabilitationsleistungen der Renten- und Krankenversicherung bisher noch weitgehend das einzige Messinstrument für die Erfolgsqualität darstellt, kann für die Pflege nur eine Messgröße neben anderen Parametern sein, beispielsweise den objektiven ärztlichen und pflegerischen Befunden bei Stichprobenprüfungen. Große Vorsicht erscheint geboten bei der heute üblich gewordenen Erteilung von Zertifikaten für Pflegeeinrichtungen zum angeblichen Nachweis von Pflegequalität. Insbesondere ist zu warnen vor sog. Binnen-Bescheinigungen durch den eigenen Verband oder auch durch nicht fachkundige Prüfstellen. Das Zertifizierungsverfahren kann erst dann gewissermaßen als Schluss- [Seite der Druckausg.: 85] punkt eines internen Qualitätsmanagements Sinn und Bedeutung erlangen, nachdem die fachlichen Anforderungen an die Pflegeeinrichtungen objektiv und auf wissenschaftlicher Grundlage definiert sind. Solange das nicht der Fall ist, sind Zertifikate in aller Regel entweder eine Möglichkeit, schnelles Geld zu verdienen, oder aber der Versuch, eine in Wirklichkeit nicht vorhandene Pflegequalität vorzuspiegeln. zu c):
Für den Gesetzgeber des SGB XI verbleibt die Schaffung einer Reihe zusätzlicher Regelungen, um das Konzept von Qualität und Qualitätssicherung in der Pflege weiter auszubauen und voll funktionsfähig zu gestalten. Dazu gehört in erster Linie die Zuordnung konkreter Pflichten Dazu gehört ferner die notwendige Koordinierung der auf Seiten der Kostenträger und der staatlichen Aufsicht beteiligten Stellen, nämlich der Pflegekassen einschließlich des Medizinischen Dienstes, der Sozialhilfeträger und der Heimaufsicht. Deren Aufgaben müssen sinnvoll verteilt, aufeinander abgestimmt und effizient wahrgenommen werden, möglichst durch gemeinsame Prüfungen vor Ort. Der Gesetzgeber ist auch gefordert, damit Prüfungen bei konkreten Anlässen ohne vorherige Anmeldung in den Pflegeeinrichtungen zulässig sind. Angesichts der weitgehenden Abhängigkeit der Heimbewohner ist zu prüfen, ob die Effizienz der Heimbeiräte durch Außenstehende verstärkt werden kann, beispielsweise auch durch Bestellung eines Beauftragten" für jedes Heim oder durch die Mitgliedschaft von Ombudsleuten" in den Heimbeiräten. [Seite der Druckausg.: 86] Die Sanktionen bei schlimmen Verstößen gegen die Grundsätze der Pflegequalität, insbesondere bei Vernachlässigungen, Körperverletzung, Freiheitsberaubung usw. sind zu verstärken, die Auflösung von Versorgungsverträgen ist zu vereinfachen, um langwierige Prozesse zu vermeiden. Weiterhin bedarf es der Hilfe des Gesetzgebers, um den notwendigen Datenaustausch zwischen den beteiligten Stellen zu gewährleisten; der richtig verstandene Datenschutz kann und darf kein Hindernis sein, um gegen Pflegemängel wirksam vorzugehen. In § 80 Abs. 5 ist schließlich sicherzustellen, daß auch bei einer künftigen Änderung der Gemeinsamen Grundsätze und Maßnahmen" eine Konfliktlösung stattfinden kann, weil sonst substanzielle Veränderungen jederzeit blockiert werden könnten. Diese Anregungen bedeuten zwar für den Gesetzgeber gegenüber der relativ bescheidenen Ausgestaltung des heutigen § 80 SGB XI einige zusätzliche Regelungen, aber keineswegs eine derartige Flut neuer Vorschriften, wie das in dem aktuellen Diskussionsentwurf eines Qualitätssicherungsgesetzes" offenbar angedacht ist. Qualität und Wirtschaftlichkeit sind keine Gegensätze Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen hat schon in seinem Jahresgutachten 1989 Qualität, Wirtschaftlichkeit und Perspektiven der gesundheitlichen Versorgung" zutreffend die Qualitätssicherung in eine enge Verbindung zur Wirtschaftlichkeit gestellt (vgl. S. 38, 39): Die Sicherung und Verbesserung der Versorgungsqualität hat gleichberechtigt neben den Zielen der Wirtschaftlichkeit zu stehen. Effektive Qualitätssicherungsmaßnahmen verletzen nicht das Wirtschaftlichkeitsgebot, im Gegenteil, sie entsprechen ihm. Eine treffsichere Diagnostik und die Verhinderung unnötiger ärztlicher und pflegerischer Maßnahmen oder vermeidbare Fehler, Män- [Seite der Druckausg.: 87] gel und Komplikationen erhöhen die Effizienz der Versorgung. Zudem stärkt das Wissen um die Durchführung qualitätssichernder Maßnahmen das Vertrauen der Patienten. Schließlich regt die Feststellung und Demonstration qualitativ guter medizinischer Versorgung den Wettbewerb der Leistungserbringer untereinander an." Ich meine, diesen überzeugenden Argumenten ist zur Begründung der Notwendigkeit von Qualitätssicherungsmaßnahmen nichts hinzuzufügen. Es geht nicht mehr um das Ob", sondern nur noch um das Wie" der Qualitätssicherung. Dabei sollte für jedermann
klar sein, daß Qualitätssicherung unteilbar ist und nicht auf einzelne Teilaspekte beschränkt werden kann und darf - so wie das in der Vergangenheit von einzelnen Gruppen der Leistungserbringer durchaus erfolgreich versucht worden ist, indem sie über lange Jahre von der Ergebnisqualität abgelenkt haben. Erforderlich sind vielmehr Anstrengungen und Ergebnisse für alle Dimensionen der Qualitätssicherung, nämlich
Bei zunehmenden Verteilungskämpfen um vorhandene knappe Budgets und Vorgaben zur wirtschaftlichen Leistungserbringung mit Kontroll- und Sanktionsmechanismen müssen sich Qualitätssicherungsmaßnahmen als integraler Bestandteil des Handelns aller Akteure im Gesundheitswesen etablieren. [Seite der Druckausg.: 88 = Leerseite] © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000 |