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[Seite der Druckausgabe: 16 = Leerseite] [Seite der Druckausgabe: 17] Rainer Brötz Es gibt zwei wesentliche Gründe für eine Reformierung der beruflichen Aus- und Weiterbildung:
Unser Wohlstand und wirtschaftlicher Erfolg gründet sich auf qualifizierte Arbeiter und Angestellte. Ein Grundpfeiler des Bildungssystems ist das duale System, darin eingebettet ist die Beruflichkeit. Dieses Bildungssystem muß erhalten, verbessert und ausgebaut werden. Die Bildungsdebatte darf nicht auf Qualifizierung à la just-in-time verkürzt werden. Ebenso falsch ist auch eine verengte betriebswirtschaftliche Kostenbetrachtung. Hier wird es darauf ankommen, die Betriebswirte und Ökonomisten im Zaum zu halten". Bildung ist mehr als berufliche Qualifizierung, sie soll den Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin dazu befähigen, ihre eigene Lebens- und Arbeitsplanung vorzunehmen. In der aktuellen Bildungsdebatte fällt auf, daß der Kostenaspekt dominiert, der Nutzen in den Hintergrund gerät und die Bildungspolitik insgesamt immer mehr in den Würgegriff von einseitigen wirtschaftlichen Interessen gerät. Für das letztgenannte sollen zwei Beispiele aufgerührt werden: 1. Der von Herrn Rüttgers eingeschlagene Weg der Modernisierung" entpuppt sich schnell als Rückgriff in die konservative Mottenkiste. Mit [Seite der Druckausgabe: 18] seinen Vorschlägen nach Schmalspurberufen fällt er sogar hinter das Berufsbildungsgesetz von 1969 zurück. Er möchte:
2. Der Versuch der Mc-Donaldisierung" der Berufe, frei nach der Devise: schlanke Produktion - schlanke Qualifikation! Ein Beispiel dafür ist der vom Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT) vorgeschlagene Katalog mit den sogenannten 23 neuen Berufen. Im folgenden soll auf drei Fragen eingegangen werden:
Zu 1. Ein kleiner Maklerverband meldet bei der Industrie- und Handelskammer Augsburg/Schwaben seinen Bedarf für den Kaufmann/frau für Versicherungsvermittler" an und beabsichtigt, ca. 20 neue Ausbildungsstellen zu [Seite der Druckausgabe: 19] schaffen. Zur gleichen Zeit wird die Ausbildungsordnung Versicherungskaufmann/frau reformiert und verabschiedet, die die gewünschten Qualifikationen in einem seriösen und geordneten Ausbildungsgang, unter Berücksichtigung des Innen- und Außendienstes, erfaßt. Außerdem gibt es eine Tarifvereinbarung zwischen den Versicherungsarbeitgebern und der Gewerkschaft HBV für die Quereinsteiger im Außendienst zum Versicherungsfachmann/fachfrau. Zwischenzeitlich haben die Spitzenverbände der deutschen Versicherungswirtschaft dem Vorschlag des DIHT widersprochen und auch der Maklerverband hat sich von seinem Vorschlag distanziert. Zu 2. Bei den vom DIHT vorgeschlagenen sogenannten Berufen handelt es sich um Anlerntätigkeiten für sogenannte Helferberufe. Für andere Berufsprofile gibt es bereits staatliche Regelungen, allerdings enthalten diese im Unterschied zum DIHT-Vorschlag eine breite Grundbildung. Bei näherer Hinsicht zeigt sich auch, daß der DIHT Arbeitsorganisation und Beruflichkeit verwechselt. Dies läßt sich deutlich an dem Vorschlag des Möbelservicetechnikers" belegen. Gefordert ist, daß der Auszubildende Auto fahren, Schrankwände aufbauen und mit elektrischem Strom umgehen kann. Wie bereits in den Vorbemerkungen ausgeführt wurde, stützt sich das deutsche Bildungssystem nicht auf Anlerntätigkeiten, sondern auf die Beruflichkeit im Sinne der Empfehlungen des Bundesausschusses für Berufsbildung von 1974. Unseriös ist, daß nicht gesagt werden kann, wie viele neue Ausbildungsplätze durch sogenannte neue Berufe real geschaffen würden. Fest steht jedoch auch hier, daß sie das quantitative Ausbildungsstellenproblem nicht lösen können. Zu 3. Anlerntätigkeiten haben negative Konsequenzen für die spätere berufliche Entwicklung und das Einkommen und sind nicht zuletzt unter sozialpolitischen Gesichtspunkten bei der Anerkennung der Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente mit Benachteiligungen verknüpft. Der Wirtschaft gehen nicht die Berufe, sondern die Ausbildungsplätze aus. In manchen Bran- [Seite der Druckausgabe: 20] chen würde durch eine Aufsplittung der Berufe eine verkappte Form der Stufenausbildung geschaffen. Die Reduzierung der Berufe von über 400 staatlich anerkannte auf derzeit 370 Berufe war ein Erfolg und sollte jetzt nicht rückgängig gemacht werden. Bleibt kritisch anzumerken, daß gerade der DIHT und seine Kammern in der Vergangenheit zu jenen Kräften gehörten, die dem Reformprozeß der Berufe und des Prüfungswesens den härtesten Widerstand entgegengesetzt haben. Jene schwingen sich nun zu den treibenden Kräften des Fortschritts auf!?! Vorschläge zu einer Modernisierung der Berufsausbildung
Welche Vorschläge gibt es zur Attraktivitätssteigerung des dualen Systems?
[Seite der Druckausgabe: 21]
Die Gewerkschaft HBV wird das vom DGB vorgeschlagene Finanzierungsmodell hinsichtlich der Übertragbarkeit auf ihre Branchen prüfen und unterstützen. Sie erwartet von der SPD-Fraktion die notwendige solidarische Unterstützung für eine gesetzliche Finanzierungsregelung. Die Gewerkschaft HBV favorisiert eine solidarische Umlagefinanzierung, die jene Betriebe belastet, die selbst nicht oder nur unzureichend - gemessen am gesellschaftlichen Bedarf - ausbilden. Zwei Drittel der Betriebe sind Nutznießer. Dies darf nicht sein. Alle Betriebe müssen sich engagieren, sonst ist die Sorge um das Wohl und die Zukunft der jungen Menschen pure Heuchelei. Im Unterschied zu den Arbeitgeberverbänden wollen die Gewerkschaften eine überschaubare gesellschaftliche Regelung und nicht die Selbstbedienungsmentalität aus der Staatsschatulle nach dem Gießkannenprinzip. Es drängt sich der Verdacht auf, daß zum Thema Sparen und Teilen" den herrschenden Kräften in unserer Gesellschaft die Moral abhandengekommen ist. Das Bündnis für Arbeits- und Ausbildungsplätze kann nicht nur einseitiger Lohnverzicht ohne Gegenleistung heißen. Notwendig in diesem Zusammenhang ist und bleibt auch die Finanzierungsregelung der Tarifparteien auf Branchenebene. Denkbar wäre das Bau-Modell, ein Bildungspfennig zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaften usw. [Seite der Druckausgabe: 22]
anforderungen bestimmte Wahlmöglichkeiten zu schaffen, wie in der Sekundarstufe II, in der sich der Auszubildende dann z.B. im Bereich Marketing oder in einer Fremdsprache vertiefen kann. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2000 |