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[Seite der Druckausgabe: 6 = Leerseite] [Seite der Druckausgabe: 7] Franz Müntefering Das Thema ist wichtig genug. Es ist nicht neu, aber es hat in den letzten Jahren zusätzliche Brisanz bekommen. Das Problem Ausbildungsplätze ist in 1995 keines mit nur konjunkturellem Hintergrund. Es reicht nicht. Ausbildungsplatzmangel ein paar Jahre lang so gut es geht zu überbrücken, bis konjunktur- und demographische Entwicklung die Situation vielleicht entspannen. Es geht um mehr:
Daraus ergeben sich viele Bezüge zu anderen Politikbereichen und viele Fragen. Aber die beiden entscheidenden Ansatzpunkte für unsere Diskussion sind hier bezeichnet:
Modernisierung der Wirtschaft und Modernisierung der beruflichen Bildung gehen zusammen. Denn: Wirtschaftliche Modernisierung ohne Modernisierung der beruflichen Ausbildung wäre ein Konzept ohne Fundament. Projektgruppe Jugend-Beruf-Zukunft" Es wird immer deutlicher: Eine Reform des Berufsausbildungssystems ist überfällig. Oder müßte man sagen: der Ausbildungssysteme, denn die [Seite der Druckausgabe: 8] Landschaft wird bunter? Wie sieht die duale Ausbildung heute aus und wie muß sie weiterentwickelt werden? Es geht dabei um wichtige gesellschaftspolitische, ökonomische und bildungspolitische Fragen. Sie können nur in einem gemeinsamen Dialog gelöst werden. Aus diesem Grunde hat der Parteivorstand der Sozialdemokratischen Partei eine Arbeitsgruppe unter dem Titel Jugend-Beruf-Zukunft" eingesetzt. Sie soll:
Klar ist: Das duale System, wenn es nicht irgendwann kollabieren soll, braucht neue Impulse. Jeder Jugendliche hat Anspruch auf eine qualifizierte Ausbildung. Sie ist noch immer die Grundlage für eine erfolgreiche berufliche Perspektive. Die Arbeitsmarktzahlen belegen: Arbeitslose Jugendliche haben zumeist keine abgeschlossene berufliche Ausbildung. Je weniger Ausbildung, um so größer die Gefahr der Arbeitslosigkeit. Und: Qualifikation ist eine Schlüsselgröße für die ökonomische Entwicklung von Industrienationen: Ein Wirtschaftsstandort ist nur so gut, wie die Qualifikation seiner Beschäftigten es zuläßt. Der Ausbildungsstellenmarkt Seit Beginn der neunziger Jahre haben wir es mit einem steigenden Problem auf dem Ausbildungsstellenmarkt zu tun:
Die Fakten:
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Die Ausbildungs-Neuverträge sind in den Jahren von 1987 bis 1993 deutlich gesunken:
Eine Trendwende ist leider nicht in Sicht. Dabei waren die Anstrengungen der letzten Jahre keineswegs erfolglos:
[Seite der Druckausgabe: 10] In allen Zahlen, die ich kenne, ist dieses Ziel nicht erreicht. Im Gegenteil:
Rein rechnerisch lag das Angebot noch knapp über der Nachfrage, aber
Wenn sich dieser Trend fortsetzt, dann wird auch im Westen künftig noch nicht einmal rechnerisch ein Ausgleich erreicht werden. Im Osten Deutschlands stagniert das Angebot, während die Nachfrage wächst. Angebot 120.129 (-1.893 = -1,6%) Nachfrage 191.692 (+20.589 = +12%) Die Zahl der unversorgten Jugendlichen liegt am Ende des Ausbildungsjahres bei 5.566 (4.280 in Sachsen). Wir brauchen eine Gemeinschaftsinitiative Ausbildungsplatzsicherung", wie sie von uns seit langem vorgeschlagen wird. Aktuell: Antrag der SPD-Bundestagsfraktion Handlungsvorschläge zur Rettung des dualen Systems". Wir brauchen eine Offensive: Ausbildung für alle! Aber: Selbst wenn es gelingt, das derzeitige Problem auf dem Ausbildungsstellenmarkt zu lösen, sind wir noch lange nicht über den Berg. Denn anders als in Phasen der siebziger oder achtziger Jahre haben wir es heute nicht nur mit kurzfristig zu lösenden Problemen zu tun. Das Problem wächst qualitativ und es wächst quantitativ; es gibt strukturelle Umbrüche. [Seite der Druckausgabe: 11] Strukturelle Probleme Die Ursachen für die strukturellen Probleme auf dem Ausbildungsstellenmarkt sind vielfältig. Umstrukturierungsprozesse der Wirtschaft:
Modernisierungsprozesse
Fehlende personelle und finanzielle Ressourcen
Wenn es auf diese strukturellen Probleme keine Antworten gibt, die bald gefunden werden und die tragfähig und zukunftsträchtig sind, wird die [Seite der Druckausgabe: 12] duale Ausbildung die quantitativen und qualitativen Anforderungen an einen modernen Wirtschaftsstandort nicht mehr erfüllen. Die Aufgabe der Projektgruppe Jugend-Beruf-Zukunft" beim Parteivorstand der SPD Angesichts der Bedeutung der Berufsbildung und ihrer unverkennbaren Probleme hat der Parteivorstand der SPD eine Projektgruppe Jugend-Beruf-Zukunft" eingesetzt, die
Die Bundesregierung sieht diesen Handlungsbedarf leider nicht. Ja, sie versucht sogar mit statistischen Spielereien, die Situation auf dem Ausbildungsmarkt schönzureden. Die Bundesregierung versucht nicht nur an dieser Stelle, die Probleme statistisch, aber nicht tatsächlich zu lösen. Die Vorzüge des dualen Systems der Berufsausbildung Es besteht aber nicht nur aktueller, sondern grundsätzlicher Handlungsbedarf. Die Projektgruppe Jugend-Beruf-Zukunft" hat vor dem Hintergrund
die Chancen und Risiken für das duale System diskutiert. Faßt man die Debatte in zwei Sätzen zusammen, so kommt man zu folgender Bewertung: [Seite der Druckausgabe: 13]
Wir müssen das Positive bewahren und weiterentwickeln. Vor allem die folgenden fünf Vorzüge sprechen für eine Beibehaltung und Weiterentwicklung:
Die Herausforderungen In der Projektgruppe haben wir aber auch die Entwicklungen diskutiert, die erforderlich sind.
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Kosten und Finanzierung der beruflichen Bildung Wir alle wissen: Berufliche Bildung kostet Geld, viel Geld. Die Kosten können gesenkt bzw. in Grenzen gehalten werden, wenn es uns gelingt, die bestehenden Einrichtungen optimal auszulasten, z.B. als
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Hier sind Staat und Wirtschaft in der Pflicht. Nüchtern betrachtet: Die einzelbetriebliche Finanzierung ist ein wichtiger Grund für die starken konjunkturellen Schwankungen im Ausbildungsangebot. Wenn es der Wirtschaft schlechter geht, dann wird vor allem in den Großunternehmen zuerst an der Ausbildung gespart, um dann im Aufschwung die selbstverschuldete Fachkräftelücke zu beklagen. So geht das nicht. Ein tragfähiges Finanzierungssystem muß - unabhängig von strukturellen Entwicklungen und konjunkturellen Schwankungen - ein bedarfsdeckendes Angebot sichern. In unserem Wirtschaftssystem liegt die Verantwortung für die betriebliche Ausbildung bei den Arbeitgebern. Auch im Interesse der verantwortungsbewußten Unternehmen muß es zu einer solidarischen Ausbildungsfinanzierung kommen. Vorschläge zur gesetzlichen Verankerung des finanziellen Ausgleichs zwischen ausbildenden und nicht-ausbildenden Betrieben sind zu entwickeln. Dabei geht es in erster Linie nicht um eine globale Umlage. Betriebe mit durchschnittlicher, dem Fachkräftebedarf entsprechender Ausbildungsquote sollen nicht zusätzlich belastet, unterdurchschnittlich ausbildende Betriebe in zumutbarem Umfang belastet werden. Der Antrag der SPD-Bundestagsfraktion sieht hier ein differenziertes Maßnahmenpaket vor. Ganz klar: Je mehr Lösungen in Eigenverantwortung gefunden werden, wie etwa in der Bauwirtschaft, desto besser. Ansonsten bleibt staatliches Handeln erforderlich. Schluß Ich habe versucht. Ihnen einige Aspekte deutlich zu machen, in denen wir die Ansatzpunkte sehen. Wir haben in der Politik eine große Mitverantwortung dafür, die Möglichkeiten der Jugendlichen, ausgebildet zu werden und eine berufliche Perspektive zu finden, zu verbessern. Das haben wir über Jahre getan. Wir müssen auch weiterhin große Anstrengungen unternehmen. Jeder Jugendliche hat den Anspruch auf eine angemessene Ausbildung. Dazu muß die Politik die notwendigen Antworten entwickeln. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2000 |