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Monika Alisch
Die reale Chance: städtische Strategien gegen soziale Ausgrenzung


1. Ein Horrorszenario oder die Basis zum Umdenken *
* [Fn.1: Der folgende Abschnitt ist eine gestraffte Version aus Alisch/Dangschat 1998, S. 157ff.).]


Die Frage, ob und wie die Ausgrenzungsspirale unterbrochen werden kann, hängt zunächst davon ab, wie sich die städtische Gesellschaft unter den kurzfristig nur wenig beeinflußbaren ökonomischen Rahmenbedingungen weiterentwickeln wird. Eine derartige Status-quo-Prognose muß davon ausgehen, daß der Druck zur Umstrukturierung auf die regionale Wirtschaft nicht nachlassen wird. Das bedeutet, daß Rationalisierungen zu weiterem Arbeitsplatzabbau führen werden oder Beschäftigungsverhältnisse kreiert werden, die den Beschäftigten weniger soziale Sicherheit bieten und die Einkommenssituation der Stadt verschlechtern. Inzwischen betrifft das auch die einst so sicheren Bereiche Banken, Versicherungen, Forschung und Entwicklung und die sonstigen unternehmensbezogenen Dienstleistungen. Außerhalb des Kernarbeitsbereiches wird das Segment sehr niedriger Qualifikationen jedoch größer werden, weil unter den Bedingungen einer zunehmenden Dequalifizierung von Arbeitslosen, insbesondere aber der Zuwanderung von eher schlecht Qualifizierten, es verstärkt zu deregulierten, billigen Produktionsstrukturen kommen wird. Diese Tendenzen sind - neben den USA - in den Metropolen London und Paris seit geraumer Zeit sichtbar („Vierte Welt in der Ersten Welt") und auch in Mittel- und Osteuropa entstehen wieder vorindustrielle Strukturen aufgrund neuer Formen (unfreiwilliger) Selbständigkeit. Die Schere aus angebotener und nachgefragter Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt wird sich weiter öffnen und strukturelle Arbeitslosigkeit und damit unweigerlich verbunden die Dauerarbeitslosigkeit werden als städtische Probleme bestehen bleiben.

Unter den Bedingungen der ökonomischen Entwicklungen werden die gesellschaftlichen Polarisierungen weiter zunehmen, d.h. sowohl die Armut als auch der Reichtum werden spürbar anwachsen. Die Zunahme der Armut hat zwei Quellen: Die eine ist die Verarmung von Teilen der Bevölkerung über

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Arbeitslosigkeit, aber auch durch eine Zunahme der Wohnkosten oder den Verlust der Wohnung. Die andere Quelle sind die Zuwanderungen, die auch unter Rezessionsbedingungen auf die Großstädte gerichtet sind. Die Städte und Kommunen werden sich darauf einstellen müssen, daß eine wachsende Zahl von Menschen ohne gezielte staatliche, d.h. arbeitsmarkt- und sozialpolitische Intervention auf Dauer von der Teilhabe an gesellschaftlichem Wohlstand ausgeschlossen bleiben wird.

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2. Das Ziel: Politik sozialer Integration

Die Situation bringt die lokalen Entscheidungsträger in eine schwierige Situation. Als Folge der nicht nachlassenden Konkurrenz auf nationaler und internationaler Ebene aber, auch durch die tief verwurzelte Annahme, daß nur ein wirtschaftliches Wachstum politische Handlungsspielräume eröffne und erweitere, wird Wachstumspolitik weiterhin als existentiell notwendig angesehen. Damit steht sie - unter knapperen Mitteln - in Konkurrenz zur Verteilungspolitik.

Wirtschaftlicher Fortschritt und gesellschaftliche Modernisierung scheinen nur um den Preis erreichbar zu sein, daß sich die (städtischen) Gesellschaften weiter polarisieren, im Lebensstil differenzieren und daß ihre Bewohner ihre Wohngebiete und Aktionsräume in der Stadt immer mehr gegeneinander abschotten. Darüber ist schon jetzt die Solidarität verlorengegangen. Mit der zunehmenden Zahl gesellschaftlicher Distinktions-Dimensionen sind Menschen, die als „gleich" und „gleichwertig" empfunden werden, immer seltener auszumachen. Damit setzt sich die soziale Desintegration mit erheblichen Negativfolgen für das „Gemeinwesen Stadt" fort. Es bleibt insbesondere offen, welche soziale Gruppe gegen diesen Trend noch eine Re-Integration leisten, vermitteln oder moderieren kann. Selbst wenn es solche Integrationsinstanzen gäbe, ist es fraglich, auf welcher Ebene eine soziale Integration sinnvoll und noch möglich ist. Liegen die Ursachen für die Desintegration vor allem auf globaler Ebene, wird man auf großstädtischer Ebene wegen deren Orientierung am globalen Wettbewerb und dessen Folgen kaum noch zu der städtischen Gesellschaft kommen können. Das bedeutet, man wird die Hoffnung auf „gesamtstädtische Interessen", breite Konsensfindung gegenüber zentralen Planungen oder aber breite Zustimmungen zu irgendeiner Partei bei Kommunalwahlen früher oder später aufgeben müssen.

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In der Konsequenz bedeutet das jedoch auch, mit Bildern über die gewünschte Gesellschaft zu brechen und die Vorstellung vom einzig gültigen und verpflichtenden „richtigen Leben" zu revidieren, weil das Gesellschaftsbild immer heterogener und undeutlicher wird. Zunehmend entsteht eine Diskrepanz aus dem idealen Gesellschaftsbild, das sich an einer breiten Mittelschicht bei hoher vertikaler Durchlässigkeit orientiert (nivellierte Mittelstandsgesellschaft), und der empirischen Realität, die von Polarisierungen und Heterogenisierungen gekennzeichnet ist.

Alle planerischen und wohnungspolitischen Versuche (sensible Belegungsverfahren), die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in benachteiligten Quartieren zu beeinflussen und damit zu stabilisieren sowie die Integration von Migranten, Aussiedlern sowie von einkommens- und artikulationsschwachen sozialen Gruppen zu ermöglichen, drohen daran zu scheitern, daß die Gruppe derer, in die hinein integriert werden soll, immer kleiner und statusniedriger wird, denn die „Leistungsstärkeren" stellen sich für diese Integrationsarbeit immer weniger zur Verfügung. Dennoch wird in den von Armut gekennzeichneten Wohnvierteln die gesellschaftliche Integration dieser sozialen Gruppen - oftmals mehr schlecht als recht - geleistet. Eine gesellschaftliche Belohnung im Sinne einer bevorzugten Ausstattung mit sozialer Infrastruktur und anderen öffentlichen Einrichtungen eines subventionierten gewerblichen Sektors zur Bedienung der örtlichen Nachfrage oder gar zur Bereitstellung von Arbeitsplätzen und Qualifizierungsmöglichkeiten innerhalb des Wohnquartiers etc. gibt es dafür kaum.

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3. Soziale Integration im Quartier

Da die Städte nur bedingt Einfluß auf ihren regionalen Arbeitsmarkt nehmen, fehlt ihnen der Zugang zu der bislang wichtigsten Integrationsinstanz in unserer Gesellschaft. Auf der anderen Seite haben die Städte mit der Instrumentalisierung der Stadtentwicklung, dem Wohnungsbau und der Stadterneuerung für eine überwiegend ökonomisch ausgerichtete Standortpolitik die Basis für eine Preisentwicklung gelegt, die sich eher an den Lebensstilen und Bedürfnissen der Modernisierungsgewinner ausgerichtet hat. Also müssen die Städte sich solche Integrationsinstanzen schaffen oder vorhandene stärken, auf die sie selbst einen Einfluß haben oder nehmen wollen.

Eine, wenn auch nicht die einzige zu mobilisierende Instanz sozialer Integration kann das Wohnquartier sein, insbesondere wenn die Bewohner dort

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auf diese Nachbarschaft angewiesen sind: Relativ selbstbestimmte Arbeit im eigenen Quartier zusammen mit anderen Bewohnern, vermittelt durch lokale (intermediäre) Einrichtungen, kann ein Instrument sein, über soziale Grenzen hinweg Vorurteile über „die Anderen" aufzugeben und das Gemeinsame der Ziele gegenüber dem Trennenden der Sozialstruktur in den Vordergrund zu stellen. Eine dort greifende Politik gegen soziale Ausgrenzung wäre eine Alternative zu den bisher erfolglosen Versuchen, Segregation durch eine räumliche Gleichverteilung zu vermeiden.

Im europäischen Ausland sind quartiersbezogene Strategien gegen soziale Benachteiligung seit gut zwei Jahrzehnten in zentralen politischen Programmen verankert. In Deutschland fehlt eine politische Leitlinie bisher, aber ungeachtet dessen werden in verschiedenen Bundesländern und Kommunen seit Mitte der neunziger Jahre kommunale Strategien diskutiert und umgesetzt, die darauf abzielen, die Handlungsspielräume der Städte und Kommune mit Blick auf die städtische Armut besser zu nutzen oder gar auszuweiten. Die Merkmale Quartiersbezug, horizontale und vertikale Kooperation, Bürgeraktivierung und Vernetzung sind die immer wiederkehrenden Merkmale dieser Strategien. [Fn.2: Einige Beispiele für europäische und bundesdeutsche Ansätze sind die kommunale Sozialpolitik in Essen, das Programm für „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf" in Nordrhein-Westfalen, das Programm zur „Armutsbekämpfung" in Hamburg, das City Challenge Programm in Großbritannien, die Quartierspolitik in Frankreich und das PCG-beleid-Programm in den Niederlanden.]
Allerdings stoßen diese hohen Ansprüche immer wieder an die Grenzen der bestehenden (Politik- und Verwaltungs-)Strukturen, und drohen an eingeübten Denk- und Handlungsweisen ebenso zu scheitern wie an langgehegten Machtstrukturen: Bewohneraktivierung, Kooperation oder die Zusammenarbeit mit dem privaten Sektor sind strategische Momente, für deren Umsetzung es kaum Erfahrungen gibt. Dieser bunte Strauß innovativ gedachter Prinzipien soll nun in das recht starre politisch-administrative System eingefügt werden.

Die Bemühungen einer auf das Quartier gerichteten Politik sind deshalb einer dreifachen Kritik ausgesetzt: [Fn.3: Vgl. Alisch 1998, S. 10.]

  • Einige Kommunalpolitiker und andere Vertreter des politisch-administrativen Systems schätzen die Erfolgschancen grundsätzlich als gering ein. Der Handlungsspielraum der Kommunen sei nach wie vor entscheidend

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    von externen ökonomischen Entwicklungen und institutionellen, d.h. rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen bestimmt, auf die sie kaum Einfluß haben. Lokale Strategien würden deshalb weitgehend ins Leere laufen.

  • Die zweite Kritik wird von Seiten der Wissenschaft und von jenen Gruppierungen und Initiativen formuliert, die mit den quartiersbezogenen Konzepten gefördert werden sollen: Aus ihrer Sicht gehen die Bemühungen nicht weit genug. Die anspruchsvollen Ziele und die angestrebten Wirkungen würden an den inflexiblen Strukturen der Verwaltungen und dem halbherzigen Gebaren der Politik scheitern.

  • Drittens wird den Verantwortlichen entgegengehalten, daß es sich bei den Handlungsansätzen weniger um Maßnahmen handelt, die zur Lösung des Problems der Armut beitragen sollen, als vielmehr um „Beruhigungsstrategien", die lediglich den Eindruck aktiver Politik erwecken sollen.

Die Handlungsspielräume der Städte und Kommunen, auf die Probleme der Armut angemessen zu reagieren, sind zweifellos begrenzt, zumal die Ursachen in hohem Maße auf anderen Ebenen, national (Sozial- und Arbeitsmarktpolitik) oder global (ökonomische Umstrukturierung) bestimmt sind. Städte und Kommunen sind aber herausgefordert, zum einen die Auswirkungen der an Komplexität und Intensität zunehmenden gesellschaftlichen Probleme als städtische Aufgaben zu begreifen und zu bearbeiten. Zum anderen gilt es, die Wahrnehmung dafür zu schärfen, daß das vielschichtige Dilemma in erster Linie auf der kommunalen Ebene zu lösen ist, denn es betrifft die Strukturen des kommunalen politisch-administrativen Systems (intersektorale Kooperation, Sozialberichterstattung, Ausgestaltung von Beteiligungsverfahren) und die Aktivierung der städtischen Potentiale. Dies wird allerdings auch nur dann erfolgreich sein, wenn städtische Strategien ebenso differenziert und komplex angelegt sind wie die zu lösenden Probleme und bisheriges stadtpolitisches Handeln konstruktiv hinterfragt wird. Drei Ebenen sind bei der Formulierung eigener lokaler Strategien zu entwickeln:

  • Die doppelte Benachteiligung, nämlich der Konzentration benachteiligter Bevölkerungsgruppen in Wohn- und Wohnumfeldbedingungen, die sie zusätzlich benachteilige, ist zu verhindern und aufzulösen (Vermeidung von bestimmten Segregationen) und/oder

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  • die Lebensbedingungen der Bewohnerschaft in benachteiligten Quartieren sind nachhaltig zu entwickeln und zu verbessern (Umgang mit Segregation),

  • die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen, einer bedürfnisgerechten Wohnversorgung und eines angemessenen Wohnumfeldes sind herzustellen (Abbau innerstädtischer Disparitäten).

Obwohl alle drei strategischen Ansätze im Sinne der Zukunft einer sozialen Stadt nicht alternativ, sondern ineinandergreifend entwickelt werden müssen, liegt der Schwerpunkt der bundesdeutschen quartiersbezogenen Handlungsansätze auf dem Versuch, mit geeigneten Instrumenten und Projekten die Lebensbedingungen der Menschen in benachteiligten Quartieren nachhaltig zu verbessern.

Die wesentlichen Voraussetzungen, den Ansprüchen an eine derartige Politik sozialer Integration gerecht zu werden, sind die deutliche politisch-administrative Entscheidung für diese Zielsetzung, eine dem Ziel angemessene sachliche und personelle Ausstattung, ein grundlegender Umbau der Verwaltungsstrukturen, ein quer zu den „klassischen" Ressorts liegender Handlungsansatz und eine politische Kultur, die Bewohneraktivierung als Qualitätsverbesserung anerkennt und einsetzt.

Die politisch-administrative Entscheidung liegt unter anderem auch darin, die Gebiete zu definieren, in denen die Politik neuer Qualität greifen soll. Dabei geht es nicht darum, eine Liste von Kriterien zusammenzustellen, die ein „Problemgebiet" möglichst treffend beschreiben. Es ist vielmehr eine wesentliche stadtentwicklungspolitische Aufgabe, solche Gebiete festzulegen, in denen Einrichtungen im gesamtstädtischen Interesse ihren Platz finden oder die für Funktionen bestimmt sind, die dem Zusammenhalt des Gemeinwesens dienen. Gleichzeitig müssen jedoch auch diejenigen Gebiete und die Entscheidungsfelder festgelegt werden, für die das Bewohnerinteresse ausschlaggebend für die Entwicklung sein soll.

Eine den Zielen angemessene sachliche und personelle Ausstattung stößt bei den Städten und Kommunen am ehesten auf Widerstand. Der Schluß, daß eine städtische Politik sozialer Integration zusätzliche Mittel erfordere, greift allerdings zu kurz. Es geht hier mehr um qualitative Anpassungen: Die Konzentration von Armut kann nicht in erster Linie mit städtebaulichen oder sonstwie auf die Bausubstanz bezogenen Maßnahmen bearbeitet werden

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Es bedarf hier der angemessenen Reaktion auf wirtschaftliche und soziale Bezüge des Kontextes und des Quartiers. Dies muß sich auf alle Ebenen, Fachressorts und Qualifizierungen beziehen.

Eine Stadtpolitik sozialer Integration ist eine Querschnittsaufgabe, die horizontal (zwischen den Fachressorts) und vertikal (zwischen den Ebenen der kommunalen Verwaltung, den Landesbehörden und nach außen) die vorhandenen Mittel und Kapazitäten zusammenfügt: Während Grundsatzentscheidungen (Strategie und Controlling) möglichst hoch angesiedelt sein sollten, kommt es darauf an, die Ziele, Handlungswege und Umsetzungsmöglichkeiten vor Ort zu entwickeln und die distanzierte Planung „von oben" durch eine Planung „von unten" zu ersetzen. Diese Aufgabe kann und sollte die Verwaltung nicht allein bewältigen: Sie ist nur ein Akteur unter vielen, die mit Kompetenzen und Ressourcen den Rahmen für eine quartiersbezogene Politik formen.

Was gemacht werden muß, wie, mit wem und in welchem Tempo, wird von den jeweiligen lokalen Rahmenbedingungen abhängen. Hier kann „Bürgernähe" ihre Realisierung finden. Die Verbindung von Stadterneuerung, Beschäftigungs-, (Aus-)Bildungs- und Wirtschaftsförderung kann auf der Ebene des Quartiers geregelt werden.

Ein entscheidendes Prinzip dieser Politik ist dabei die Bewohnerbeteiligung, die zwar jetzt schon gesetzlich geregelt ist, jedoch so viel Spielraum läßt, daß die Skeptiker und Kritiker aus Angst vor zu viel Demokratie am liebsten ganz auf eine ernsthafte Bewohnerbeteiligung oder gar Aktivierung verzichten möchten.

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4. Akteure und Instrumente: Stadtteilmanagement

Ohne sich der Mühe einer klaren Definition hinzugeben, wird inzwischen fast jede auf das Quartier bezogene Arbeit als „Stadtteil- oder Quartiersmanagement" bezeichnet. Die Stadterneuerung sieht darin die logische Fortsetzung der behutsamen Stadterneuerung, wie sie in den achtziger Jahren umgesetzt wurde. Experten der Gemeinwesenarbeit fragen sich, warum ihr Arbeitsfeld einen neuen Namen braucht. Eher selten sind Definitionsversuche, die ohne sektorale Heimat auszukommen scheinen: „Stadtteilmanagement als 'multidimensionaler, strategisch geplanter stadtentwicklungspolitischer Handlungsansatz zur Erneuerung benachteiligter Stadtviertel', der

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Umsetzungsinstrumente jenseits des öffentlichen Sektors einbezieht" [Fn.4: Nerlich/Kirchberg 1998, S. 251.]
In jedem Fall kommt der Begriff derzeit in Mode und eröffnet so zumindest die Möglichkeit, gewisse Standards zu definieren, die bei einem quartiersbezogenen Handlungsansatz gegen Armut und soziale Benachteiligung erfüllt sein müssen.

Dazu dient der folgende Vorschlag: [Fn.5: Vgl. Alisch 1998, S. 12.]
Ein Stadtteilmanagement soll auf der Quartiersebene Rahmenbedingungen für nachhaltige Entwicklungsprozesse schaffen. Es umfaßt damit weit mehr als das, was derzeit in den Verträgen mit Sanierungsträgern ausgehandelt wird und geht weit über die betreuende und fürsorgliche Aktivität der stadtteilbezogenen Sozialarbeit hinaus. Die wesentlichen Handlungsprinzipien des Stadtteilmanagements werden umrissen mit den Begriffen quartiersbezogen, prozeßhaft und bewohnerorientiert. Die Aufgaben sind in mehrfacher Hinsicht auf das Quartier gerichtet:

  1. Alle Projekte, Vorhaben und Strategien gehen von den personellen, räumlichen, finanziellen und institutionellen Ressourcen aus, die im Quartier vorhanden sind.

  2. Es gibt keine normative Vorstellung des „Idealstadtteils", sondern es gilt, sich an dem, was im Stadtteil machbar und milieugerecht ist, zu orientieren. Das Stadtteilmanagement richtet sich nach den vorhandenen baulichen und sozialen Strukturen sowie der gegebenen Nutzungsstruktur.

  3. Es knüpft an die in der Bewohnerschaft vorhandenen Potentiale, Fähigkeiten und Aktivitäten an und stärkt sie. Sichergestellt werden muß dabei, daß Projekte und Verfahren sozial- und umweltverträglich sind und somit auch ungewollte Nebenwirkungen rechtzeitig abgeschätzt werden können.

So verstanden, kann Stadtteilmanagement die Leitprinzipien von Kooperation und Beteiligung mit Inhalt füllen, denn es „moderiert und unterstützt die Aushandlungsprozesse von Interessensgegensätzen und die Entwicklung von Projekten." [Fn.6: Vgl. Alisch 1998,5. 13.]
Dieses Instrument einer stadtteilbezogenen Politik gegen Ausgrenzung kann und darf nicht von oben verordnet werden. Es muß vielmehr

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als Angebot entwickelt werden, das dabei hilft, selbsttragende Strukturen und Arbeitsroutinen im Stadtteil herauszubilden. Insofern ist staatlich finanziertes Stadtteilmanagement immer eine begrenzte Aufgabe, die sich nicht - wie die „klassische" Stadterneuerung - als Daueraufgabe definieren darf.

Ein gelungenes Stadtteilmanagement eröffnet somit auch die Chance, die Bewohner der benachteiligten Quartiere selbst zu Akteuren der Entwicklung zu machen: Beteiligung soll sich dabei entwickeln von dem Angebot an „von oben" und „von außen" gesteuerten Planungsprozessen hin zu einer kooperativen, eigenverantwortlichen Partizipation an den Entwicklungsprozessen selbst. Es geht insbesondere darum, jene Menschen zu erreichen, die außerhalb der formellen und informellen kommunalpolitischen Zirkel stehen. Gefragt sind hier auch neue Organisationsformen der Bürgerbeteiligung.

Ohne angemessene Rahmenbedingungen wird es aber schwierig bleiben, ein derartiges Stadtteilmanagement als strategisches Politikelement zu etablieren. Es ist deshalb auch von entscheidender Bedeutung, im politisch-administrativen System Weichen für eine funktionierende intersektorale Politik zu stellen und jene Faktoren herauszuarbeiten, die ein innovatives Stadtteilmanagement „politikfähig" machen.

Es wäre ein Widerspruch in sich, ein Konzept, dessen Erfolg - im Sinne sozialer
Integration - auf intersektoraler Kooperation basiert, in die Zuständigkeit eines „klassischen" Verwaltungsressorts zu legen, ohne die Wege für Kooperationen geebnet zu haben. Ebenso wird es nicht gelingen, die oben formulierten Ansprüche an ein effektives Stadtteilmanagement zu erfüllen, wenn die gute Idee mehr oder minder „top down" verordnet wird.

Ebenso falsch wäre es, diese quartiersbezogene Politik doch nur als sozial-politische Herausforderung zu begreifen. Zumindest in den bundesdeutschen Handlungsansätzen für benachteiligte Quartiere kommt die ökonomische Dimension der Quartiersentwicklung viel zu kurz. Das wirkliche Nachdenken über andere nicht am Gewinn orientierte Formen des Wirtschaftens hat die politische Ebene noch nicht erreicht. Auch die umfangreichen und gut dokumentierten Erfahrungen mit Strategien und Projekten einer lokalen Ökonomie, der sozialen Ökonomie oder der Gemeinwesenökonomie sind bisher kaum in die politischen Gehversuche der Quartiersentwicklung eingegangen: während der Begriff der „lokalen Ökonomie" auch schon mal von Kommunalpolitikern in die „örtliche Wirtschaft" umdefiniert wird und fortan

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nur noch die Gruppe der Gewerbetreibenden in einem Quartier beschreibt. So allerdings wird der Blick abgelenkt von der nicht immer in staatliche Konzepte passenden Idee selbstorganisierter Stadtteilbetriebe hin zum sogenannten „privaten Sektor". Damit ist jedoch ein nicht minder komplexes Themenfeld eröffnet: Auf der Ebene des Quartiers tritt das private Wirtschaftsunternehmen meist selbst als Betroffener der Krisensituation auf und findet in der lokalen Wirtschaftsförderung kaum das passende Überlebenskonzept. Der private Sektor als Partner bei der Quartiersentwicklung stößt als Option zur Erweiterung der kommunalen Handlungsspielräume ebenfalls noch auf sozialstaatliche Traditionen: Auf seiten der sozialmotivierten Projektträger macht sich Skepsis breit, wenn sich ein Unternehmen in die Projektentwicklung „einmischt" (wer zahlt, bestimmt). Die Unternehmen hingegen sehen sich erst in jüngerer Zeit und nur vereinzelt in einer gesellschaftlichen Verantwortung. Beide Seiten müssen somit für innovative Finanzierungswege durch Social-Investment oder Social-Sponsoring noch gewonnen werden. [Fn.7: Vgl. u.a. Nerlich/Kirchberg 1998.]

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5. Ein realistisches Fazit

Um die Zeit langer Vernachlässigung und Desinvestition zu kompensieren, muß eine politisch-planerische Strategie entwickelt werden, die von dem Quartier als wesentliche Integrationsinstanz ausgeht und die Entwicklung der benachteiligenden Gebiete vorrangig an den Interessen und Bedürfnissen der dort Wohnenden und Arbeitenden ausrichtet und weniger an überlokalen, instrumentalisierenden Zielen. Das kann ein Weg sein, die Lebensbedingungen der Ausgegrenzten und Abgehängten in ihrem Wohnviertel zu verbessern und positiv zu gestalten, auch wenn die normative Forderung einer gesamtstädtischen Integration damit auf der Strecke zu bleiben scheint. Eine solche Strategie kann und muß selbstverständlich kritisch hinterfragt werden. Sie wirkt fast resignativ, findet sich mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten ab und richtet sich darauf ein oder kommt als Aktivismus daher, der um Glaubwürdigkeit ringen muß.

Gerade im Umgang mit dem Problem Armut in der Stadt muß der Eindruck vermieden werden, daß die damit verbundenen sozialen und ökonomischen Probleme durch Stadt- und stadtteilbezogene Projekte und Konzepte auf

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Landesebene ohne weiteres lösbar seien. Es geht hier vor allem um das Erkennen von ursächlichen Zusammenhängen, nicht um Schuldzuweisungen über Gebietskörperschaftsgrenzen hinweg. Es geht auch nicht um die Vorspiegelung sozialtechnologischer Regelbarkeit oder die Illusion von Beherrschbarkeit und Machbarkeit, wie sie von Politikern, Planern oder anderen „Sachverständigen" gern vorgeführt wird.

Wachstumspolitik erzeugt aber nicht nur eine Polarisierung der Wohnbevölkerung durch die Modernisierung des Arbeitsmarktes, einen Rückgang der strukturpolitischen Steuerungssysteme (insbesondere der Prävention) sowie eine Hierarchisierung städtischer Teilgebiete, sondern es besteht die Gefahr, daß die noch jungen Ansätze städtischer, quartiersbezogener Strategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung nicht bestehen können. Wenn erkannt wird, daß es nicht um „Armut im Wohlstand" oder „Armut trotz Wohlstand" geht, daß es um Ausgrenzungsmechanismen geht, die durch die breite Orientierung an einem nahezu bedingungslosen wirtschaftlichen Wachstum, durch die selbstverständliche Art der Mehrung und Entwicklung des Wohlstands entsteht, wird eine Problemlösung oder zumindest eine Schadensbegrenzung nur möglich sein, wenn eine städtische Politik, kommunale Verwaltung und Stadtentwicklung mit neuer Qualität entsteht, die diese Zusammenhänge berücksichtigt.

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Literatur

Alisch, M. (1998): Stadtteilmanagement. Zwischen politischer Strategie und Beruhigungsmittel, in: M. Alisch (Hrsg.): Stadtteilmanagement. Voraussetzungen und Chancen für die soziale Stadt, Opladen, S. 7-24.

Alisch, M., J.S. Dangschat (1998): Armut und soziale Integration. Strategien sozialer Stadtentwicklung und lokaler Nachhaltigkeit, Opladen.

Nerlich, M.R., V. Kirchberg (1998): Social-Sponsoring und Social-Investment - Unternehmerische Förderung für soziale Projekte im Quartier, in: M. Alisch (Hrsg.):

Stadtteilmanagement. Voraussetzungen und Chancen für die soziale Stadt, Opladen, S. 251-274.

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