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1. Ursachen und Bedingungen der Partizipation von
Zuwanderern




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1.1. Die Partizipationsbereitschaft

Die soziale und politische Partizipation von Zuwanderern in Deutschland ist ein sehr vielschichtiges Phänomen. Die Beteiligung in deutschen Vereinen existiert neben der Gründung rein ethnischer Vereinigungen; politisch ausgerichtete Partizipationsformen gibt es ebenso wie kulturelle, religiöse und sportliche Vereinigungen, und Gruppierungen, die sich stark am Herkunftsland orientieren, lassen sich ebenso finden wie solche, die die Lage der Zuwanderer in Deutschland zu ihrem zentralen Anliegen erklärt haben.

So unterschiedlich wie die Vereinigungen sind auch die Partizipationsmotive ihrer Mitglieder. Eine Gemeinsamkeit haben aber alle Gruppierungen: Einerseits machen sie ihren Mitgliedern bestimmte Angebote, d.h. sie bieten ihnen die Möglichkeit, Sport zu treiben, Landsleute zu treffen oder ein politisches Ziel zu verfolgen. Andererseits verlangen sie etwas von ihren Mitgliedern, z.B. Zeit, Geld oder das Einbringen bestimmter Fähigkeiten. Da die Mitgliedschaft in diesen Vereinigungen freiwillig ist, werden sich die Zuwanderer ihnen natürlich nur dann anschließen, wenn die Abwägung der Vor- und Nachteile eines Vereinsbeitritts positiv ausfällt.

Eine derartige Betrachtungsweise der Partizipation von Zuwanderern scheint zunächst im Widerspruch zu dem Bild zu stehen, das in den Medienberichten über „Ausländervereine" vermittelt wird. Vor allem in den Beiträgen über religiöse Gruppierungen von Zuwanderern wird der Eindruck erweckt, diese seien Überbleibsel einer traditionellen Kultur, die aus den Herkunftsländern mitgebracht wurde und jetzt quasi in den Hinterhöfen deutscher Großstädte fortgesetzt wird. Es wird dann allenfalls noch die Frage gestellt, warum sich die Migranten ihrer „Modernisierung" so hartnäckig widersetzen.

Dieser „Erklärung" wurde allerdings in der amerikanischen Migrationsforschung schon früh eine ganz andere Hypothese entgegengesetzt: Ethnische Organisationen als besonders sichtbare Formen der Bindungen von Zuwanderern an ihre eigene ethnische Gruppe sind keine „emotionalen Mitbringsel" aus den Heimatländern, sondern durchaus rationale Reaktionen auf die besonderen Bedingungen, mit denen Immigranten in den Aufnahmeländern konfrontiert sind. Ausgangspunkt dieser neuen Sichtweise waren Probleme, die im Rahmen des alten Erklärungsansatzes nicht erklärt werden konnten:

Wieso sind diese Vereinigungen für manche Einwanderer attraktiv und für andere nicht? Wie kommt es, daß die Bindungen an die eigene Gruppe oftmals erst in der zweiten oder dritten Generation aufleben, nachdem man sie schon vergessen geglaubt hat? Wieso entwickeln sie sich in manchen Zuwanderergruppen und in anderen nicht? Viele empirische Einzelstudien haben gezeigt, daß die gleichen Zuwanderergruppen bei unterschiedlichen sozialen und politischen Rahmenbedingungen völlig unterschiedliche Integrationsverläufe zeigen.

Dies legt die Vermutung nahe, daß auch die Entstehung von Selbstorganisationen religiöser, politischer oder kultureller Natur Mustern folgt, die mehr mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als mit der „Natur" oder „Kultur" der jeweiligen Gruppe selbst zu tun haben. Die Auffassung, daß ethnische Solidaritäten und damit auch ethnische Organisationen als Reaktion auf bestimmte gesellschaftliche Bedingungen entstehen, legt die Frage nahe, welche allgemeinen Bedingungen es sind, die diese Bindungen

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attraktiv erscheinen lassen. Diese Frage stellt sich vor allem dann, wenn es sich um Gruppen handelt, bei denen die Mitgliedschaft mit hohen Zeit- und Geldkosten verbunden oder Gegenstand von Diskriminierung und Ausgrenzung ist.

Will man vor diesem Hintergrund erklären, warum sich bestimmte Vereinigungen eines starken Zustroms an Mitgliedern erfreuen und andere gar nicht erst entstehen oder sich wieder auflösen, so muß zunächst aufgezeigt werden, welche Ziele die potentiellen Mitglieder in einem Verein zu verfolgen suchen. Was muß ihnen „geboten" werden, damit sie bereit sind, die „Kosten" der Partizipation auf sich zu nehmen? Der Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage liegt in den Angeboten, die Vereinigungen ihren Mitgliedern machen.

Mit jeder Partizipation ist der Zugang zu bestimmten politischen, kulturellen, religiösen oder freizeitbezogenen Aktivitäten oder Dienstleistungen verbunden. Die Frage läßt sich dann folgendermaßen konkretisieren: Welche Personen interessieren sich unter welchen Bedingungen für die Aktivitäten, Angebote und Ziele welcher Vereinigung? Dies wird entscheidend davon abhängig sein, welche Chancen die potentiellen Mitglieder eines Vereins haben, diese Ziele auch außerhalb einer Vereinigung zu erreichen oder anders ausgedrückt: wie abhängig sie von der jeweiligen Organisation und ihren Angeboten sind (vgl. Hechter 1987).

Das Interesse an den Vereinsangeboten ist allerdings nur ein wichtiger Faktor, der über den tatsächlichen Vereinsbeitritt entscheidet; unter 2.1 soll genauer auf diesen Ursachenfaktor eingegangen werden. Aufgrund der mit der Partizipation verbundenen Kosten unterliegt jede Partizipation aber auch bestimmten Einschränkungen. Es ist zum Beispiel denkbar, daß eine Person gerne partizipieren würde, aber nicht kann, weil es ihr an den Voraussetzungen - etwa an Geld, Zeit oder bestimmten Fähigkeiten - mangelt, an die der Vereinsbeitritt geknüpft ist. Neben diesen individuellen Voraussetzungen spielen auch bestimmte gesellschaftliche Voraussetzungen wie z.B. die rechtlichen Rahmenbedingungen eine Rolle. Es ist möglich, daß die Partizipation in einem bestimmten Verein für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe untersagt ist. Dieser Punkt ist vor allem im Hinblick auf die politische Partizipation von Nichtdeutschen von Bedeutung. Die allgemeinen individuellen und gesellschaftlichen Voraussetzungen der Partizipation werden unter 1.3 diskutiert.

Das folgende Schaubild faßt die grundsätzlichen Faktoren, die über die Entstehung einer Partizipationsbereitschaft entscheiden, zusammen (vgl. auch Klandermans 1984: 585ff).

Abb. 1.1: Einflußfaktoren der Partizipationsbereitschaft

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1.2. Das Partizipationsinteresse

1.2.1. Herkunftslandorientiertes versus aufnahmelandorientiertes Partizipationsinteresse

Wie andere gesellschaftliche Gruppen verfolgen auch Zuwanderer bei der Partizipation in Vereinen und Freiwilligenorganisationen ein breites Spektrum an Interessen. Aus diesem Grund sollen hier zunächst die wichtigsten Unterschiede in der Art der verfolgten Ziele und Aktivitäten dargestellt werden.

  1. Herkunftslandorientierte Vereinigungen: Bei vielen organisierten Aktivitäten von Zuwanderern steht die Politik, die Kultur oder die Religion der Herkunftsländer im Mittelpunkt. Hierunter fallen z.B. Moscheevereine, Folkloregruppen, Kulturvereine oder kurdische Organisationen. Damit ist nicht gesagt, daß sich nicht viele dieser Vereinigungen auch den Problemen der Zuwanderer im Aufnahmeland widmen. Die Hilfe bei Problemen, die den deutsche Alltag betreffen, ist oft ein wichtiges zusätzliches Angebot dieser Gruppen an ihre Mitglieder, steht aber nicht im Mittelpunkt der Partizipation. Als herkunftslandorientiert sollen im folgenden auch die Vereinigungen bezeichnet werden, bei denen Freizeitaktivitäten wie etwa das Fußballspiel innerhalb der jeweils eigenen ethnischen Gruppe ausgeführt werden, obwohl sich dies nicht zwingend aus den Aktivitäten selbst ergibt.
  2. Aufnahmelandorientierte Vereinigungen. Dieser Partizipationstypus umfaßt Gruppierungen, die das Ziel verfolgen, sich mit den Problemen der Zuwanderer im allgemeinen oder bestimmter Untergruppen von ihnen, wie z.B. der Schüler oder Unternehmer, auseinanderzusetzen. Hierunter fallen z.B. Bürgerrechtsgruppen und „ethnische" Berufs- oder Unternehmerverbände, aber auch das Engagement von Zuwanderern in Gewerkschaften oder Parteien. Die erstgenannte Form entspricht weitest-gehend dem Typus der „Neuen Sozialen Bewegungen". Ähnlich wie bei der Frauenbewegung geht es hier um die Durchsetzung gesellschaftlicher Reformen im Sinne einer Abschaffung von Diskriminierungen aufgrund angeborener Merkmale wie Geschlecht oder Ethnizität. Als aufnahmelandorientierte Partizipation soll im folgenden auch die Beteiligung von Zuwanderern in deutschen Freizeit- und kulturellen Vereinigungen bezeichnet werden.

Auf der Grundlage dieser Unterscheidung können nun die Interessen, die Zuwanderer in ethnischen Vereinigungen verfolgen, genauer gefaßt werden. Herkunftslandorientierte Vereinigungen befriedigen das Interesse viele Zuwanderer an einem sozialen Umfeld, innerhalb dessen die Merkmale, Eigenschaften, Fähigkeiten und Kenntnisse, die sie als Angehörige ihrer ethnischen Gruppe auszeichnen, positiv bewertet und somit zur Quelle sozialer Anerkennung werden. Letztere ist ihnen im gesellschaftlichen Kontext des Aufnahmelandes oft verwehrt, häufig sind diese Merkmale sogar Gegenstand tatsächlicher oder wahrgenommener Abwertungsprozesse. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die vielzitierte Türkin, die morgens auf dem Weg zur Schule oder zur Arbeit ihr Kopftuch aus- und auf dem Heimweg wieder anzieht, weil es sich um ein Merkmal handelt, das im eigenen ethnischen Umfeld oft belohnt, im Kontext der deutschen Gesellschaft jedoch häufig Gegenstand der Mißbilligung wird.

Immigranten sind eine Bevölkerungsgruppe, deren typische Merkmale und Fähigkeiten in der Aufnahmegesellschaft bei der Erreichung wichtiger menschlicher Bedürfnisse wie z.B. sozialer Anerkennung im Wege stehen. Insofern droht in der Einwanderungssitua-tion, sei es nun durch Migration oder durch traditionelle Sozialisation (bei der zweiten

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Generation) ein Statusverlust, dem durch einen Rückzug in die ethnische Enklave begegnet werden kann.

Die zunehmende oder zumindest anhaltende Partizipation von Immigranten auch der zweiten oder gar dritten Generation in herkunftslandorientierten Gruppierungen kann unter diesem Gesichtspunkt des Erhaltes von sozialer Anerkennung für zuwanderertypische Merkmale und Fähigkeiten verstanden und erklärt werden: Gerade die türkischen Einwanderer, auf die sich die Befürchtungen über Reethnisierungstendenzen im allgemeinen beziehen, schneiden im Vergleich mit anderen Zuwanderernationalitäten (neben den Italienern) im Bildungssystem sehr schlecht ab (Thränhardt o.J., Mansel, Hurrelmann 1993). Für viele von ihnen sind aus diesem Grund die Möglichkeiten, über diesen Weg den Aufstieg in die deutsche Gesellschaft zu schaffen und so ihr Ansehen und ihren sozialen Status zu verbessern, sehr unwahrscheinlich. Sie sind insofern in besonders hohem Ausmaß auf andere Quellen sozialer Anerkennung angewiesen. Angesichts der vergleichsweise hohen sozialen Distanz von Deutschen gegenüber Türken (Datenreport 1997: 465) und des hohen subjektiven Diskriminierungs- und Bedrohungsgefühls, das wiederum bei Türken besonders stark ausgeprägt ist (vgl. Mehrländer, Ascheberg, Ueltzhöffer 1996: 446f), sind die Chancen, diese Anerkennung innerhalb der deutschen Gesellschaft zu erhalten, gering, während die ethnische Enklave diesbezüglich eine vergleichsweise sichere Quelle darstellt. Auch vor dem Hintergrund, daß jüngere Einwanderer oft in geringerem Maße in familiäre Netzwerke eingebunden sind als noch die erste Einwanderergeneration (vgl. Nauck, Kohlmann und Diefenbach 1997), können ethnische Organisationen hier zu einer wichtigen Quelle sozialer Anerkennung werden, zu der es gerade für viele jüngere Zuwanderer wenige Alternativen gibt.

Der aufnahmelandorientierten Partizipation liegt gerade nicht das Interesse an einem - zumindest partiellen - Rückzug in die ethnische Enklave zugrunde. Viele Einwanderer in der Bundesrepublik sind Mitglieder in verschiedenen deutschen Vereinigungen, wie z.B. Sportvereinen, andere schließen sich ethnischen oder gemischtethnischen Organisationen an, um offensiv einen Abbau von formellen und informellen Diskriminierungen zu fordern.

An der letztgenannten Partizipationsform werden insbesondere die Zuwanderer Interesse haben, die grundsätzlich über die Fähigkeiten für einen erfolgreichen Aufstieg innerhalb der deutschen Gesellschaft verfügen (z.B. eine hohe Bildung, gute Sprachkenntnisse), die aber unter Umständen aufgrund von Diskriminierungsprozessen nicht die gleichen Zugangschancen zu den verschiedenen Bereichen haben wie die Einheimischen. Für diese Gruppe stellt der Rückzug in die eigene ethnische Enklave vor allem dann kaum einen Ausweg dar, wenn sie gar nicht mehr über die Kenntnisse und Interessen verfügen, die innerhalb der Enklave mit Anerkennung verbunden sind. Aus dieser Situation, mit der oft die besser gebildeten Angehörigen der zweiten und dritten Generation konfrontiert sein werden, gibt es prinzipiell einen individuellen und einen kollektiven Ausweg. Ersterer besteht im individuellen Versuch, die Zugangsbarrieren zu umgehen und sich möglichst weitgehend der ethnischen Merkmale zu entledigen, der zweite in dem Versuch, die Interessen zu organisieren und diesen Benachteiligungen zu begegnen. Diese aufnahmelandorientierten Partizipationsformen sind vor allem für die jüngeren, besser gebildeten Zuwanderer attraktiv.

Selbstverständlich lassen sich neben diesen beiden hier unterschiedenen Grundformen der Partizipation und ihrer typischen „Klientel" viele Mischformen finden. So hat verschiedenen Studien zufolge in den letzten Jahren etwa die Partizipation von gutgebildeten jüngeren Immigranten in herkunftslandorientierten traditionalen politischen oder

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religiösen Gruppierungen zugenommen (vgl. Karakasoglu-Aydin 1996, Kroißenbrunner 1997: 458). Dieser neue Mitgliedertypus zeichnet sich auch hinsichtlich seiner Fähigkeiten dadurch aus, daß er „in beiden Kulturen beheimatet" ist. Er findet sich häufig bei den Eliten der herkunftslandorientierten Gruppierungen, die als oft gut organisierte Vereinigungen diesen Mitgliedern auch attraktive innerorganisatorische Aufstiegschancen bieten.

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1.2.2. Politisches versus soziales Partizipationsinteresse

Das Partizipationsinteresse von Zuwanderern läßt sich allerdings nicht nur unter dem Aspekt seiner Ausrichtung auf das Herkunfts- oder das Aufnahmeland kategorisieren, sondern auch danach, ob es politisch motiviert ist oder nicht.

  1. Politische Vereinigungen: Wenn Zuwanderer in Gruppierungen partizipieren, die politische Ziele im Sinne von Gesetzesänderungen oder gesellschaftlichen Reformen verfolgen, wie dies etwa bei Gewerkschaften, Bürgerrechtsgruppen oder einigen religiösen Gruppierungen der Fall ist, soll von politischer Partizipation gesprochen werden.
  2. Soziale Vereinigungen: Mit diesem Begriff sollen solche Gruppierungen bezeichnet werden, deren Aktivitäten nicht - wie bei den politischen Vereinigungen - in erster Linie „Mittel zum Zweck", d.h. zur Erreichung eines politischen Ziels sind, sondern im Mittelpunkt des Partizipationsinteresses stehen, wie es bei Tanzgruppen oder Sportvereinen der Fall ist [ Zum Unterschied zwischen der politischen und der sozialen Partizipation vgl. van Deth (1997).] .

Der Hauptunterschied zwischen politischen und unpolitischen Gruppierungen besteht darin, daß erstere Ziele verfolgen, die auch denjenigen zugutekommen, die sich nicht an den Gruppenaktivitäten beteiligt haben (z.B. Gesetzesänderungen). Die von den Gruppen produzierten Güter werden deshalb auch „Kollektivgüter" genannt (vgl. Olson 1968: 51). Unpolitische Gruppierungen hingegen verfolgen Ziele, von denen nur diejenigen profitieren können, die tatsächlich an den Gruppenaktivitäten teilnehmen (z.B. Freizeitaktivitäten). Diese werden deshalb auch als „Klubgüter" bezeichnet.

Diese Unterschiede sind deshalb von Bedeutung, weil sie sich auf das Verhältnis von Kosten und Nutzen der Beteiligung und damit auf die Entstehung der Partizipationsbereitschaft auswirken: Die Ziele politischer Gruppierungen sind oft nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erreichbar und zumeist nur langfristig durchsetzbar. Da aber – sind sie erst einmal durchgesetzt – ohnehin jeder in ihren Genuß kommt, reicht das Interesse an ihnen oft nicht aus, um die damit immer auch verbundenen Kosten, sei es der Zeitaufwand, die möglichen Nachteile der Beteiligung an einer solchen Gruppe oder die geforderten Mitgliedsbeiträge, auszugleichen. Um dennoch Mitglieder für eine Partizipation zu mobilisieren, bieten politische Vereinigungen ihren Mitgliedern immer auch „exklusive" Anreize wie Freizeit- oder Beratungsangebote und „erkaufen" sich so quasi die Mitarbeit ihrer Mitglieder an der Verfolgung der politischen Ziele.

Wie erfolgreich eine Vereinigung bei der Mobilisierung von Mitgliedern sein wird, hängt vor allem von zwei Faktoren ab: Zum einen davon, welche Mittel ihr für die Bereitstellung solcher „exklusiver" Angebote zur Verfügung stehen, und zum anderen davon, wieviele alternative Quellen dieser Angebote es gibt. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die genannten Partizipationstypen deutlich.

Eine Vereinigung zum Beispiel, die sich mit Identitäts- und Identifikationsangeboten ge-

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rade an die Zuwanderer wendet, die aus den genannten Gründen Schwierigkeiten haben, in der Aufnahmegesellschaft Anerkennung und Status zu erhalten, wird wenig Schwierigkeiten haben, Mitglieder zu gewinnen: Sie bietet etwas, worauf ihre Mitglieder einerseits besonders angewiesen sind und woran sie folglich großes Interesse haben, das sie aber andererseits nur schwer aus anderen Quellen erhalten können.

Eine Bürgerrechtsgruppe, die sich für das Ausländerwahlrecht einsetzt, verfolgt hingegen ein Ziel, das erstens von weniger essentiellem Interesse für ihre Mitglieder ist und von dem zweitens auch diejenigen profitieren können, die sich nicht an seiner Durchsetzung beteiligt haben. Zudem ist Erreichung des politischen Ziels ohnehin unsicher. Aufnahmelandorientierte politische Vereinigungen haben außerdem oft den Charakter von relativ spontan entstandenen Bürgerrechtsgruppen, denen es, im Vergleich zu vielen in Dachverbänden organisierten Organisationen (vgl. 2.3.1) an finanziellen Mitteln mangelt, um attraktive zusätzliche Angebote für ihre Mitglieder zur Verfügung zu stellen.

Diese Unterschiede in der Art der verfolgten Interessen und Ziele der herkunftslandorientierten und der aufnahmelandorientierten sowie der politischen und der nicht-politischen Partizipation sind von entscheidender Bedeutung, wenn man erklären will, warum manche Zuwanderer sich bei ihrer Partizipation in die ethnische Enklave zurückziehen, während andere ein langfristiges Engagement für die Verbesserung der Lage der Immigranten in der Bundesrepublik vorziehen.

Das Phänomen, daß in Deutschland die Diskussion um einwanderungs- und integrationspolitische Fragestellungen mit nur vergleichsweise geringer Beteiligung der Zuwanderer selbst stattfindet (vgl. den Exkurs S. 47), sowie die Attraktivität, die herkunftslandorientierte Vereinigungen teilweise auch für die zweite Generation der Zuwanderer noch besitzen, kann vor diesem allgemeinen Hintergrund verstanden werden. Die typische sozialstrukturelle Positionierung der Immigranten in der deutschen Gesellschaft, die daraus resultierende besondere Bedeutung eigenethnischer Organisationen für die Befriedigung grundlegender Interessen und die politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen der Partizipation sind dabei die entscheidenden Faktoren. Auf letztere soll im nächsten Abschnitt noch näher eingegangen werden.

Das folgenden Schaubild gibt einen Überblick über die Grundformen der Partizipation, die sich auf der Grundlage der Kategorisierung der bei der Partizipation verfolgten Interessen unterscheiden lassen.

Tab. 1.1: Grundformen der Partizipation



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1.3. Die individuellen und gesellschaftlichen Partizipationsbedingungen

Die Tatsache, daß manche Immigranten in herkunftslandorientierten und andere in aufnahmelandorientierten Vereinigungen partizipieren und einige politisch aktiv sind und andere nicht, ist aber nicht nur auf die unterschiedlichen Interessen bezüglich der Ziele und Angebote verschiedener Vereinigungen zurückzuführen. Es liegt auch darin begründet, daß die unterschiedlichen Partizipationsformen jeweils hinsichtlich der Anforderungen, die sie an ihre Mitglieder stellen und der rechtlichen Restriktionen, denen sie unterliegen, variieren.

Wie viele gesellschaftliche Aktivitäten setzt auch die Partizipation in Vereinen und Organisationen bestimmte persönliche Fähigkeiten sowie die Verfügung über Zeit und Geld voraus. In der politischen Partizipationsforschung gelten diese sogenannten „Partizipationsressourcen" als eine zentrale Voraussetzung für die soziale und politische Beteiligung (vgl. Brady, Verba, Schlozman 1995: 288, Jenkins 1981: 114). Wenn man weiß, über wieviele dieser Ressourcen eine Personengruppe verfügt, kann man schon Aussagen darüber machen, wie wahrscheinlich es ist, daß sie Mitglied einer bestimmten Art von Vereinigung ist.

Dies hat verschiedene Gründe: Zum einen sind diese Ressourcen innerhalb der Gesellschaft unterschiedlich verteilt. Personen mit hoher Bildung verfügen beispielsweise oft nicht nur über mehr Geld und Zeit als weniger Gebildete, sondern auch über mehr „zivile Kompetenzen". Damit sind Fähigkeiten wie Sprachvermögen gemeint, aber auch allgemeine Kommunikationsfähigkeit und Erfahrungen in der Artikulation eigener Meinungen, die bei bestimmten Formen der Beteiligung benötigt werden (Brady, Verba, Schlozman 1995).

Zum anderen stellen unterschiedliche Formen der Partizipation unterschiedliche Anforderungen an die Fähigkeiten ihrer Mitglieder. Dies gilt auch für die verschiedenen Arten von Immigrantenorganisationen: So wird die Partizipation in einem aufnahmelandorientierten politischen Verein höhere Anforderungen an Bildung, Sprachkenntnisse und Kenntnis der Institutionen des Aufnahmelandes stellen, als die in einer ethnisch homogenen Folkloregruppe, die wiederum ganz andere Fertigkeiten voraussetzt. Die für die politische Partizipation benötigten Ressourcen werden oft durch die Partizipation in nicht-politischen Organisationen erworben. Insofern besteht auch ein Zusammenhang zwischen der sozialen und der politischen Beteiligung, auf den im Abschnitt 2.3.3 noch genauer eingegangen werden soll.

Damit eine vorhandene Partizipationsbereitschaft tatsächlich umgesetzt werden kann, muß aber nicht nur ein potentielles Mitglied, sondern auch das gesellschaftliche Umfeld bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Jede Partizipation ist auch mit bestimmten Kosten verbunden, und letztendlich entscheidet die Abwägung zwischen den Nachteilen und den Vorteilen der Partizipation über deren Zustandekommen. Die Kosten der Partizipation sind von Faktoren wie etwa Entfernung eines Vereins vom Wohnort abhängig, werden aber auch maßgeblich von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bestimmt, innerhalb derer die Vereine sich bilden und fortbestehen. Hier sind insbesondere die rechtlichen Möglichkeiten der Beteiligung von Bedeutung, die die Kosten vor allem der politischen Partizipation beeinflussen. So ist z.B. die Partizipation in einer verbotenen Vereinigung mit höheren Kosten verbunden als die in einer legalen Organisation. Neben den Kosten der Partizipation beeinflussen sie noch einen weiteren wichtigen Faktor der Partizipationsbereitschaft: die Wahrscheinlichkeit, daß ein bestimmtes Partizipationsziel

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durch die Partizipation erreicht wird. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen der unterschiedlichen Partizipationsformen von Zuwanderern in Deutschland gegeben werden:

  1. Die Religionsfreiheit, die Koalitionsfreiheit und das Petitionsrecht stehen gemäß dem Grundgesetz auch Nichtdeutschen zu.
  2. Dies ist für die Versammlungsfreiheit und die Vereins- und Vereinigungsfreiheit nicht der Fall. Die Gründung von Vereinen ist in Deutschland zwar nicht an die Staatsbürgerschaft gebunden, allerdings ist sie Nichtdeutschen lediglich durch einfache Gesetze und nicht durch das Grundgesetz zugesichert (Bischoff, Teubner 1992: 90ff).
  3. Die Erlaubnis der politische Betätigung ist im Ausländergesetz verankert. Ähnlich wie Deutschen ist aber auch Zuwanderern diese Betätigung verboten, wenn es sich um rechtswidrige Aktivitäten handelt und wenn sie den Interessen der Bundesrepublik Deutschland zuwiderlaufen. Dies wäre etwa der Fall, wenn die politische Einflußnahme im Herkunftsland mit den außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik konfligiert. Organisationen, deren Aktivitäten in diese Kategorie fallen, können aufgelöst werden. Darüber hinaus kann die Mitgliedschaft in ihnen unter Strafe gestellt werden. Immigranten dürfen also (auch politische) Vereinigungen und Vereine gründen und haben davon gerade auch in den letzten Jahren ausgiebig Gebrauch gemacht.
  4. Der Hauptunterschied in den Partizipationsmöglichkeiten von Deutschen und Nichtdeutschen besteht hinsichtlich des aktiven und passiven Wahlrechts und der Möglichkeit, Parteien zu gründen. Nichtdeutsche dürfen in Deutschland zwar Parteimitglieder werden (eine Ausnahme bildet die CSU, die nur Deutsche als Mitglieder zuläßt). Das Wahlrecht und das Recht, Parteien zu gründen, sind hingegen Deutschen vorbehalten, sieht man einmal davon ab, daß EU-Bürger seit 1994 auf kommunaler Ebene wählen dürfen. Per Verfassungsgerichtsurteil vom 31. Oktober 1990 wurde das damals von Hamburg und Schleswig-Holstein eingeführte Kommunalwahlrecht auch für Zuwanderer aus Nicht-EU Staaten für verfassungswidrig erklärt.
  5. Mit dem Argument, daß zwar durch das Grundgesetz nicht festgelegt sei, wer zum Staatsvolk gehöre, aber daß letzteres von Deutschen gebildet würde, wurde darauf verwiesen, daß der Zugang der Einwanderer zur politischen Mitbestimmung über die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts und nicht über die Reform des Wahlrechts erfolgen müsse („Das Parlament" vom 9.11.1990). 1996 wurden in Deutschland von den rund 2 Millionen Türkinnen und Türken 46 294 eingebürgert (Statistisches Bundesamt 1998). Umfragen zufolge ist der Hauptgrund für die relativ niedrigen Einbürgerungszahlen die Nichtakzeptanz der doppelten Staatsbürgerschaft: Viele türkische Immigranten würden zwar gerne die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen, jedoch nur unter der Bedingung, daß sie ihre türkische Staatsbürgerschaft behalten dürfen. Dies ist in Deutschland aber in der Regel nicht möglich.

Der Hauptunterschied in den Partizipationsrechten von Deutschen und Zuwanderern bezieht sich also auf die politische Partizipation: Einerseits ist ihre aktive und passive Beteiligung an den Wahlen für die meisten Gruppen auch auf kommunaler Ebene verfassungsrechtlich unterbunden. Andererseits ist der alternative Weg zu dieser Form der politischen Partizipation, die Einbürgerung, an die Aufgabe der Staatsbürgerschaft des Herkunftslandes gebunden. Die Anfang der 90er Jahre beschlossenen Einbürgerungserleichterungen für die länger in Deutschland lebenden Zuwanderer haben aus diesem Grund bislang nicht dazu geführt, daß der Großteil der Immigranten mit einem Rechts-

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anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft einen Antrag auf diese gestellt und damit den Zugang zur wichtigsten Form der politischen Partizipation erworben hat.

Zusammenfassend läßt sich hinsichtlich der allgemeinen Ursachen und Bedingungen der Partizipation von Zuwanderern folgendes festhalten: Herkunftsland- und aufnahmelandorientierte und politische und unpolitische Vereinigungen unterscheiden sich wesentlich in der Art ihrer Angebote und Ziele und in den Voraussetzungen, die sie an ihre Mitglieder stellen. Durch die unterpriviligierte Lage, in der viele Zuwanderer in der deutschen Gesellschaft leben, sind sie oft in besonderem Maße darauf angewiesen, innerhalb der eigenen ethnischen Gruppe Anerkennung und Status zu erhalten. Hierbei spielen herkunftslandorientierten Gruppierungen eine wichtige Rolle. Die Tatsache, daß diese ihren Mitgliedern etwas bieten, das gleichzeitig wichtig und für viele Zuwanderer innerhalb der deutschen Gesellschaft schwer erhältlich ist, macht die Attraktivität dieser Vereinigungen aus.

Aufnahmelandorientierte Vereinigungen hingegen sind für solche Immigranten attraktiv, die aufgrund ihrer Fähigkeiten und Merkmale weniger auf einen Rückzug in die ethnische Enklave angewiesen sind. Die Bindung an diese Vereinigungen ist deshalb im allgemeinen schwächer. Hinzu kommt, daß die rechtlichen Rahmenbedingungen für die aufnahmelandorientierte Beteiligung in Deutschland restriktiv sind und daß diese Partizipationsform hohe Anforderungen an die persönlichen Fähigkeiten der Mitglieder stellt.

Vor dem Hintergrund dieser grundsätzlichen Ausführungen soll nun genauer auf die einzelnen Partizipationsformen eingegangen werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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