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2. Erscheinungsformen der Partizipation von Zuwanderern in der Bundesrepublik

Zunächst einmal werden kurz die bislang vorliegenden Untersuchungen über die unterschiedlichen Beteiligungsformen von Zuwanderern in der Bundesrepublik dargestellt (2.1). Danach wird die Vorgehensweise bei den Analysen, die dieser Studie zugrundeliegen, erläutert (2.2). Schließlich wird auf die Erscheinungsformen und Einflußfaktoren der verschiedenen Partizipationsformen von Immigranten eingegangen (2.3).

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2.1. Stand der Forschung: Ergebnisse und methodische Probleme

Es gibt eine beträchtliche Anzahl neuerer Veröffentlichungen, die sich mit der Partizipation v.a. türkischer Zuwanderer in der Bundesrepublik auseinandersetzen. Diese widmen sich allerdings fast ausschließlich den Eigenorganisationen dieser Gruppe; umfassende Studien über die Partizipation in deutschen Organisationen gibt es kaum. Dies spiegelt zumindest teilweise das unbalancierte Verhältnis zwischen herkunftsland- und aufnahmelandorientierten Beteiligungsformen in der Praxis wieder. Sieht man einmal von der umfangreichen Literatur über die rechtlichen Rahmenbedingungen der Ausländerpartizipation ab, dann hat sowohl die gewerkschaftliche Partizipation von Immigranten (vgl. Keidel 1993, Kühne, Öztürk, West 1994, Kühne, Ötztürk, Ziegler-Schultes 1988, Schmitter 1981, Toksoiez 1989) als auch ihre politische Beteiligung im engeren Sinne (vgl. Blaschke 1988, Bommes 1992, Koch-Arzberger 1985, Schmollinger 1995) vergleichsweise wenig Beachtung gefunden.

Den zahlreichen Studien über ethnische Eigenorganisationen kommt das Verdienst zu, eine erste Exploration dieses in Deutschland lange ignorierten Phänomens geliefert zu haben. Sie behandeln vor allem die folgenden Aspekte: Erstens beschreiben sie die grundlegenden Funktionen dieser Vereine für ihre Mitglieder, die v.a. in der Partizipations-, Selbsthilfe-, Freizeit-, Sozialisations-, Repräsentations-, Dienstleistungs-, Integra-tions- und Interessenvertretungsfunktion gesehen werden (Fijalkowski, Gillmeister 1997; Schuleri-Hartje, Kodolitisch 1989; Schöneberg, 1993, Schultze 1994, Sen 1994). Zweitens liefern sie Informationen über die Mitgliederstruktur, die verschiedenen Vereins-arten und über die Interaktion zwischen den Vereinen und den Institutionen der Aufnahmegesellschaft (1993; Schuleri-Hartje, Kodolitsch 1989). Drittens bieten sie, vor allem was türkisch-islamische Vereine anbetrifft, schwer erhältliche Einblicke in das Innenleben dieser Organisationen (Gür 1993). Sie bringen Licht in die von außen kaum durchschaubare interne Organisationslandschaft verschiedener Vereine, ihre Beziehungen zueinander sowie zu Vereinen in der Türkei und beschreiben die Institutionalisierungsprozesse, denen sie unterliegen (Abdullah 1993; Binswanger 1990, Özcan 1992; Doomernink 1995; Karakasoglu 1996; Karakasoglu-Aydin 1996, Schiffauer 1993). Viertens liefern sie Beschreibungen der Organisationslandschaft verschiedener Nationalitätengruppen (Fijalkowski 1995, Fijalkowski, Gillmeister 1997). Fünftens versuchen sie, Ansätze einer Erklärung des Phänomens zu geben (Fijalkowski 1995; Radtke 1994). Sechstens diskutieren sie die möglichen integrativen bzw. desintegrativen Auswirkungen, die diese Gruppen auf ihre Mitglieder haben (Esser 1986; Elwert 1982; Fijalkowski 1995).

Trotz der wertvollen Informationen, die diese Studien bezüglich der verschiedenen Aspekte der Partizipation von Immigranten liefern, besteht vor allem über das Ausmaß

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und die Auswirkungen der unterschiedlichen Partizipationsformen von Immigranten in Deutschland noch weitestgehend Unklarheit.

So ist es bislang nur schwer möglich, verläßliche Aussagen darüber zu machen, wieviele Zuwanderer überhaupt in ethnischen und deutschen Organisationen partizipieren. Der Hauptgrund hierfür ist die schlechte Datenlage: So werden etwa im Rahmen einer der großen deutschen Bevölkerungsumfragen, der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage in den Sozialwissenschaften (ALLBUS), nur wenige Zuwanderer befragt. Das Sozio-ökonomische Panel (SOEP) hingegen, das Variablen aus verschiedensten Bereichen erfaßt und zudem eine größere und v.a. eine repräsentative Ausländerstichprobe umfaßt, enthält nur sehr beschränkt Informationen über die Vereinspartizipation, da hinsichtlich der Partizipation lediglich die ehrenamtliche Betätigung in Vereinen, Verbänden und Bürgerinitiativen erfragt wird. Dementsprechend ist die auf diese Art ermittelte Partizipationsquote sehr niedrig, was wohl der restriktiven oder zumindest unklaren Definition von „ehrenamtlicher Betätigung" zuzuschreiben ist.

Es gibt keine Repräsentativbefragung, die das gesamte Spektrum der Vereinspartizipation von Immigranten abdeckt und damit eine Quantifizierung des Phänomens auch für einzelne Vereinstypen ermöglichen würde. Die existierenden Studien weisen im wesentlichen zwei Probleme auf: Zum einen betrachten sie meistens nur einen Ausschnitt des Vereinsspektrums und lassen verschiedene Partizipationsformen außer acht, oder sie erfassen die Partizipation nur sehr unspezifisch. Zum anderen werden oft gezielt Vereinsmitglieder befragt, um den Anteil der Partizipierenden in der untersuchten Gruppe zu erhöhen, ohne den Aufwand eines großen Surveys unternehmen zu müssen. Die auf verschiedene Weisen geschätzten Partizipationsquoten sind nicht repräsentativ und variieren demzufolge auch beträchtlich.

Einer Befragung Frankfurter und Hanauer Migranten zufolge nehmen ca. 20% der türkischen Einwanderer an den Aktivitäten eines ethnischen Vereins teil, 42% haben schon einmal einen ethnischen Verein besucht (Schöneberg 1993: 152). Allerdings wurde im Zuge dieser Untersuchung den befragten Zuwanderern eine Liste mit - durch das Forschungsteam ausgewählten - Vereinen vorgelegt und deren Verbreitungsgrad ermittelt. In diese Liste wurden nur Vereine aufgenommen, die ihren Mitgliedern kulturelle Angebote machen; die Partizipation in rein politischen Gruppierungen und Dachverbänden wurde nicht erfaßt. In einer anderen Untersuchung wird keine Zufallsauswahl von Zuwanderern nach ihrer Vereinspartizipation befragt, sondern es wird die Zahl der bekannten Immigrantenvereine auf die Gesamtpopulation der Zuwanderer umgerechnet (vgl. etwa Schuleri-Hartje, Kodolitsch 1989).

Zudem beschränken sich die Erhebungen zumeist auf die Vereinspartizipation im engeren Sinne; dies dürfte die tatsächlichen Partizipationsraten unterschätzen, da nicht alle Immigrantenorganisationen eingetragene Vereine sind.

Die folgende Tabelle stellt die Ergebnisse einiger neuerer Studien über ethnische Vereine dar und verdeutlicht, daß es beim derzeitigen Forschungsstand nur schwer möglich ist, das Phänomen der Vereinspartizipation genauer zu quantifizieren.

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Tab. 2.1:
Ermittelte Partizipationsquoten und -typen unterschiedlicher Studien

Weitaus schwieriger als die Schätzung der allgemeinen Partizipationsquote stellt sich die Quantifizierung der Partizipation in einzelnen Vereinstypen dar. Es ist bislang nahezu unmöglich, Angaben etwa darüber zu machen, wieviele Migranten in politischen oder religiösen Vereinigungen partizipieren. Dies liegt nicht nur an der unzulänglichen Datenbasis, sondern auch daran, daß die Grenzen zwischen politischen, religiösen und kulturellen Vereinigungen fließend sind, und - wie Tabelle 2.1 zeigt - die Vereinstypen in unterschiedlichen Studien unterschiedlich konzeptualisiert werden.

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2.2. Datenbasis und Aufbau der vorliegenden Analyse

Die folgende Betrachtung der Partizipationsformen von Zuwanderern in Deutschland soll sich an den unter 1.2 unterschiedenen Grundtypen der Partizipation orientieren. Dabei soll teilweise auf die Befunde existierender Studien zurückgegriffen werden, teilweise sollen diese - soweit dies angesichts der zur Verfügung stehenden Daten möglich ist - mit eigenen Berechnungen ergänzt werden. Die verschiedenen Befunde sollen zusätzlich vor dem Hintergrund der Erkenntnisse der allgemeinen Partizipations- und Integrationsforschung beleuchtet werden.

Unseren eigenen empirischen Auswertungen liegen die Daten des „Sozio-oekonomischen Panels" (SOEP) zugrunde. Das SOEP wird seit 1983 jedes Jahr vom Deutschen Institut für Wirtschaft (DIW) in Auftrag gegeben und bearbeitet. Die Befragten müssen zum Erhebungszeitpunkt mindestens 16 Jahre alt sein, um in die Stichprobe aufgenommen zu werden.

Das SOEP besteht hauptsächlich aus drei Einzelstichproben; die Zuordnung der im Haushalt befragten Personen erfolgt durch eine Kombination der Nationalität des Haushaltsvorstandes und der geographischen Lage des Haushaltes. Da Haushalte in Ostdeutschland mit ausländischem Vorstand bislang noch keine Aufnahme in den Datensatz gefunden haben, beinhaltet der Datensatz: (1) Haushalte in Westdeutschland mit deutschem Vorstand, (2) Haushalte in Ostdeutschland mit deutschen Vorstand und (3) Haushalte in Westdeutschland mit ausländischem Vorstand. Seit 1994 existiert eine Zu-

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satzstichprobe für Haushalte, deren Vorstand deutschstämmiger Zugewanderter aus Osteuropa ist.

Das Auswahlkriterium der im Rahmen des SOEP befragten Zuwanderer ist die Zugehörigkeit zu der Gruppe der im Zuge der Anwerbephase in die Bundesrepublik immigrierten sogenannten „Gastarbeiter". Es werden deshalb nur Personen in Haushalten befragt, die einen türkischen, spanischen, griechischen, (ex-)jugoslawischen oder italienischen Vorstand haben. Insofern ist das SOEP hinsichtlich der nationalitätenspezifischen Struktur der ausländischen Befragten nicht repräsentativ für die gesamte ausländische Bevölkerung der Bundesrepublik. Allerdings stellen die berücksichtigten Nationalitäten der Arbeitsmigranten auch in der Gesamtbevölkerung die zahlenmäßig stärksten Segmente dar.

Als Grundlage für die im folgenden dargestellten empirischen Analysen wird die 13. Welle des SOEP, d.h. die im Jahr 1996 befragten Personen, gewählt. Die Ausländer-Stichprobe wird komplett einbezogen, während seitens der Deutschen bei allen Berechnungen, die den Vergleichen von Zuwanderern und Einheimischen zugrundeliegen, nur die Stichprobe der Westdeutschen berücksichtigt wird. Diese Beschränkung ist notwendig, da sich bei zentralen Variablen so große Varianzen zwischen West- und Ostdeutschen zeigen, daß die Bildung von Durchschnittswerten zu starken Verzerrungen führt.

Unsere eigenen Berechnungen sollen zum einen dazu dienen, die zahlenmäßige Bedeutung der durch den Datensatz erfaßten Beteiligungsformen zu verdeutlichen und zum anderen eine Art „Eigenschaftsprofil" der partizipierenden Zuwanderer aufzuzeigen. Für letzteres wurden logistische Regressionen durchgeführt, die solche unabhängigen, d.h. erklärenden Variablen enthalten, von denen angenommen werden kann, daß sie wichtige Einflußfaktoren der zu erklärenden Phänomene wie Gewerkschaftspartizipation und religiöses und politisches Interesse darstellen [ Um der Besonderheit logistischer Funktionen Rechnung zu tragen, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll (vgl. Kühnel, Jagodszinski, Terwey 1989) muß in den Tabellen der unstandardisierte Regressionskoeffizient E(X)=exp(B) betrachtet werden. Ein Effektkoeffizient von 1 besagt, daß eine unabhängige Variable keinen Effekt hat, Werte kleiner als 1 verringern die Wahrscheinlichkeit, daß das Ereignis eintritt, und Werte größer als 1 erhöhen diese Wahrscheinlichkeit gegenüber der Referenzkategorie.] . Dies sind:

  1. Sozio-Demographische Standardvariablen: Alter; Schulbildung; Nationalität.
  2. Assimilations-Indikatoren [ In der Literatur existieren verschiedene Ansätze zur Definition des Begriffes „Assimilation", die sich vor allem hinsichtlich der von ihnen fokussierten Bereiche der Eingliederung unterscheiden (vgl. Gordon 1964). Hier soll nach Esser (1980) Assimilation als die Eingliederung von Zuwanderern im kognitiven, strukturellen, sozialen und identifikativen Bereich definiert werden. Der strukturelle Bereich bezieht sich auf die Angleichung an die Einheimischen entlang wichtiger Statusdimensionen wie Bildung und Berufsposition. Er wird hier nur über die Bildung berücksichtigt.] : Deutschkenntnisse (kognitive Assimilation);
    Besuche bei Deutschen (soziale Assimilation);
    Identifikation als Deutsche/r (identifikative Assimilation).
  3. Zurechtfinden mit den Verhältnissen; Benachteiligungsgefühl aufgrund der Herkunft; Sorgen um die Situation der Ausländer in Deutschland.

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2.3. Formen und Determinanten der Partizipation von Zuwanderern

Die den nächsten Abschnitten zugrundeliegende Zuordnung beobachtbarer Vereinigungen und Partizipationsformen zu den hier unterschiedenen Kategorien „herkunftsland- und aufnahmelandorientiert" sowie „politisch und sozial" stößt an einigen Stellen auf Schwierigkeiten. Diese hängen hauptsächlich mit einigen besonderen Merkmalen der Partizipation von Zuwanderern zusammen, die die eindeutige Zuordnung erschweren:

  1. Zum einen sind die meisten ethnischen Vereine weniger monofunktional ausgerichtet als viele deutsche Vereine. Die Teilnehmer herkunftslandorientierter Vereinigungen sind insgesamt stärker in die Vereine eingebunden, d.h. die Identifikation mit dem Verein ist größer und die Partizipation intensiver. Dies ergibt sich vor allem aus der dargestellten Funktion herkunftslandorientierter Vereinigungen als Rückzugsmöglichkeiten in ein Umfeld, innerhalb dessen die Zuwanderer allgemeine Bedürfnisse wie das nach sozialer Anerkennung befriedigen können. Damit hat die Vereinsmitgliedschaft für viele Zuwanderer eine grundlegendere Funktion als für die Deutschen. Letzteren dient die Partizipation primär dazu, „ihren Werten, Interessen und ihrem Status symbolisch Ausdruck zu verleihen, während Minderheitsangehörige dazu tendieren, statt Vereinen formal beizutreten, diese zu besuchen, um in ihnen materielle, soziale, politische und kulturelle Bedürfnisse zu befriedigen" (Schöneberg 1993: 153). Immigrantenvereine haben neben dem offiziellen Vereinsziel die Aufgabe, zusätzliche Dienstleistungen anzubieten, das Bedürfnis nach einem sozialen Rückzugs- und Kontaktraum zu befriedigen und sind darüber hinaus oft ein Ort, wo allgemeine Probleme diskutiert und bearbeitet werden. Die Trennung zwischen religiösen, politischen, Freizeit- und Kulturvereinen ist insofern schwer durchzuhalten; dies erschwert die Abgrenzung der unterschiedlichen Partizipationsformen.
  2. Zum anderen besteht in vielen ethnischen Vereinen eine große Diskrepanz zwischen der Partizipationsmotivation der Vereinseliten und der einfachen Mitglieder. Neben einem Umfeld, innerhalb dessen die Identität als Zuwanderer positiv bewertet und nicht mit Diskriminierungen und Abwertungen verbunden ist, bieten diese Vereinigungen ihren Mitgliedern wichtige private Anreize wie Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Diese Angebote reichen oft schon aus, um eine Partizipationsbereitschaft entstehen zu lassen. Die Position der Eliten, d.h. der Personen, die Führungspositionen innerhalb der Vereinigung innehaben, zeichnet sich hingegen oft dadurch aus, daß sie diese Angebote „nach unten" (an die einfachen Mitglieder) mit politischen Forderungen „nach oben" (an die politischen Entscheidungsinstanzen) verbinden. Da die Unterstützung ihrer Forderungen durch die größtenteils wenig politisch interessierten und gebildeten Mitglieder ohne zusätzliche Motivationsfaktoren unsicher wäre, stellen sie die Mobilisierung einer breiten Mitgliederbasis durch diese zusätzlichen Angebote sicher. Gleichzeitig profitieren die Eliten von den internen Aufstiegsmöglichkeiten, die im Zuge des Wachstums erfolgreicher Organisationen entstehen. Diese Mobilisierungsstrategie führt dazu, daß die Partizipationsmotivation der einfachen Mitglieder oftmals herkunftslandorientiert-unpolitisch ist, während die Vereinseliten häufig auch politisch motiviert sind. Der Zulauf zu derartigen Vereinigungen sagt somit oft wenig über das Ausmaß der Politisierung der einfachen Mitglieder aus (vgl. auch Fijalkowski, Gillmeister 1997: 209).

Diese Besonderheiten der Partizipation in ethnischen Vereinigungen werden vor allem bei den im nächsten Abschnitt diskutierten religiösen Vereinigungen deutlich, die zumindest auf der Ebene der Dachverbände auch politische Ziele verfolgen.

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2.3.1. Die herkunftslandorientierte politische Partizipation



2.3.1.1. Politisch-religiöse Vereinigungen

Es soll und kann hier kein Überblick über den Vereinssektor im Hinblick auf politisch-religiöse Organisationen der türkischen Zuwanderer gegeben werden. Dies ist, soweit es die vorliegenden Informationen erlauben, an anderer Stelle bereits geschehen (vgl. Gür 1993, Lemmen 1998, Schiffauer 1993, Özcan 1992, Abdullah 1993, Sezer, Thränhardt 1983, Karakasoglu 1996, Karakasoglu-Aydin 1996, Sen, Goldberg 1994, für die international vergleichende Perspektive vgl. Doomernik 1995, Kroißenbrunner 1997). Hier wird vielmehr der Frage nach den Evidenzen für eine zunehmende Bedeutung religiöser Bindungen unter v.a. jüngeren Zuwanderern nachgegangen, ein Thema, das in letzter Zeit in der öffentlichen Diskussion sehr präsent war (vgl. Heitmeyer, Müller, Schröder 1997). Aus datentechnischen Gründen können sich die folgenden Ausführungen nur auf die allgemeine Bedeutung von Religion beziehen und nicht auf das Ausmaß der tatsächlichen Beteiligung an ethnischen Vereinigungen, in denen religiöse und politische Ambitionen vermischt werden.

Der Tenor der Berichterstattung über diesen Partizipationstyp ist relativ eindeutig: Gerade die zweite Generation fühle sich zwischen den beiden Kulturen hin- und hergerissen und sei nirgends heimisch. Aufgrund dieser Bindungslosigkeit seien die Jugendlichen zunehmend anfällig für rigide religiöse Einstellungen, die ihnen Halt geben, und zeigten eine zunehmende Bereitschaft, ihr Handeln an diesen Einstellungen auszurichten. So macht etwa Heitmeyer mit der These eines religiösen Gewaltpotentials von 23,2 % bis 35,7 % unter den türkischen Jugendlichen von sich reden (ebd.: 130) und erklärt dies im wesentlichen mit den alltäglichen Diskriminierungserfahrungen und mangelnden Identifikationsangeboten in der Aufnahmegesellschaft, sowie allgemeinen gesellschaftlichen Disintegrationsprozessen im Zuge der Modernisierung (ebd.: 183).

In der Diskussion um verfassungsrechtlich bedenkliche Umtriebe unter türkischen Zuwanderern wird oft auf die Anziehungskraft großer und gut organisierter islamischer und islamistischer [ Die Begriffe „islamisch" und „islamistisch" müssen sorgfältig unterschieden werden. Diese Begriffsklärung soll hier allerdings nicht dargestellt werden, sie ist bei Schiffauer (1993) nachzulesen.] Verbände verwiesen. Einige der wichtigsten Gruppierungen, die sich im Bereich der religiösen Partizipation der in Deutschland lebenden türkischen Zuwanderer finden lassen, sollen hier kurz erwähnt werden:

  • 1984 wurde vom Ministerium für religiöse Angelegenheiten die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB) gegründet, um auf die religiösen Bedürfnissen der türkischen Emigranten einzugehen. Sie vertritt das laizistische Islamverständnis des türkischen Staates und gilt zur Zeit als die stärkste islamische Gruppierung in Deutschland. Die Imame, die in ihren Moscheen arbeiten, werden vom türkischen Staat bezahlt und entsand (BfAE 1996: 3).
  • Daneben existiert die Organisation Nationale Sicht (AMGT), die sich 1995 in zwei Organisationen geteilt hat: Zum einen in die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. und zum anderen in die Europäische Moscheenbau- und Unterstützungsgemeinschaft e.V. (EMUG). Das Ziel dieser Organisationen ist die Abschaffung des laizistischen Islams und die Einführung eines auf der Scharia beruhenden Regierungs- und Gesellschaftssystems in der Türkei; sie sind quasi die Auslandsorganisation der islamischen Refah-Partei. Die AMGT wird vom Verfassungsschutz als bedenklich eingestuft (BAfV 1996).

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  • Neben diesen beiden großen Organisationen gibt es den Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ e.V.). Diese Vereinigung, die sich mit einem breiten Angebot vor allem an religiösen Unterweisungen an die in Deutschland lebenden türkischen Muslime wendet, ist aus der streng hierarchisch organisierten Süleymanli Bewegung hervorgegangen. Während einige Beobachter davon ausgehen, daß zwischen beiden Gruppen enge Verflechtungen bestehen (vgl. Karakasoglu-Aydin 1996:271), betonen andere, daß sich diese auf der organisatorischen Ebene kaum nachweisen lassen (Lemmen 1998:39). Nachdem der Verband Anfang der 80er Jahre aufgrund seiner Verbindungen zu der Süleymanli Bewegung als islamistisch und integrationsfeindlich eingestuft wurde (Thränhardt und Sezer 1983:128, Zentrum für Türkeistudien 1994:383), gilt er heute eher als neo-traditionalistische und primär religiöse Gruppierung.
  • Von Bedeutung ist auch die Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Europa e.V., die unter dem Namen Graue Wölfe bekannt sind. Hierbei handelt es sich um einen Kulturverein mit nationalistischer Ausrichtung, bei dem allerdings die Synthese mit dem Islam eine zunehmend wichtige Rolle spielt. Sie wenden sich in vielen Städten mit einem breiten Freizeitangebot gezielt an türkische Jugendliche. Der Untersuchung von Heitmeyer, Müller und Schröder zufolge soll sich ca. ein Drittel der Jugendlichen gut oder teilweise von ihnen vertreten fühlen (1997: 137).

Es ist sehr schwer, verläßlich Angaben darüber zu finden oder zu machen, wie groß die Anhängerschaft der verschiedenen Organisationen wirklich ist. Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen über die Motivation gerade der einfachen Mitglieder herkunftslandorientierter Organisationen ist allerdings ein prinzipielle Bemerkung zu machen: Die Radikalität der Forderungen einiger Gruppierungen sagt unter Umständen wenig über die tatsächliche Interessenlage der einfachen Mitglieder aus, sondern mehr über die der politisch motivierten Eliten dieser Vereinigungen. So räumt der Verfassungsschutz etwa im Falle Milli Görüs ein, daß „nicht davon ausgegangen werden [kann], daß alle Mitglieder/ Anhänger bewußt islamisch-extremistische Ziele verfolgen oder uterstützen" (BfV 1996: 15).

Angesichts der Diskrepanz zwischen den Einstellungen der Eliten religiöser Vereinigungen und der einfachen Mitglieder ist es besonders wichtig, Informationen über letztere zu gewinnen. Dennoch sind die von Heitmeyer, Müller und Schröder in Umlauf gebrachte Zahlen zu hinterfragen. Ihre in den Medien vielfach erwähnte Studie, in der die These eines hohen religiös motivierten Gewaltpotentials bei den in Deutschland lebenden türkischen Jugendlichen aufgestellt wird, weist zum Beispiel einige methodische Probleme wie eine hohe Suggestivität und Komplexität der Fragen auf, auf die hier jedoch nicht näher eingegangen werden soll.

Zudem ist die Repräsentativität der Befragtenauswahl fraglich: So liegt der Studie eine Befragung an „Schulen mit einem ausreichend hohen Anteil türkischer Jugendlicher" (45) zugrunde. Nun ist allgemein bekannt, daß sich die Schulen hinsichtlich ihres Zuwandereranteils stark unterscheiden; nur Schüler an Schulen mit einem überdurchschnittlichen Zuwandereranteil zu befragen, bedeutet aller Wahrscheinlichkeit nach eine starke Verzerrung der Stichprobe zugunsten von Jugendlichen aus sozial schwachen Gegenden mit hohen Zuwandereranteilen. Des weiteren ist die Stichprobe verzerrt, was das Alter der Befragten anbetrifft. Eine Quantifizierung des Phänomens „religiöser Fundamentalismus unter türkischen Migranten" ist deshalb u.E. auch angesichts dieser Studie noch nicht möglich.

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Die repräsentativen Daten des SOEP hingegen lassen nur sehr bedingt Schlüsse über dieses Phänomen zu, da sie lediglich die Wichtigkeit der Religion für die Lebenszufriedenheit und die Besuchshäufigkeit religiöser Veranstaltungen erfragen. Dennoch sollen im folgenden einige auf diesen Daten beruhende Ausführungen über das Thema „Religiösität von Zuwanderern" gemacht werden. Tabelle 2.2 zeigt zunächst ein Profil derjenigen türkischen Zuwanderer, die religiöse Veranstaltungen besuchen.

Tab. 2.2:
Determinanten der Besuchshäufigkeit von Gottesdiensten und religiösen Veranstaltungen bei türkischen Einwanderern in der Bundesrepublik im Jahre 1996 [ Laut „Repräsentativuntersuchung 1995" sind 81% der in Deutschland lebenden Türken Muslime. ]

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Die Berechnungen zeigen, daß die jüngeren Türken relativ selten religiöse Veranstaltungen besuchen. Der schulische Bildungsabschluß hingegen hat kaum einen Einfluß auf die Besuchshäufigkeit. Von den berücksichtigten Assimilationsindikatoren weist der Grad der sozialen Assimilation einen deutlichen Effekt auf: Türken, die innerhalb des letzten Jahres keine Deutschen besucht haben und deshalb vermutlich wenig Kontakte zu Deutschen haben, besuchen häufiger religiöse Veranstaltungen als sozial assimilierte Personen. Hinsichtlich der kognitiven und der identifikativen Assimilation läßt sich hingegen festhalten, daß in diesen Bereichen assimilierte Personen eine größere Neigung haben, religiöse Veranstaltungen zu besuchen. Personen, die sich keine Sorgen um die Situation der Ausländer in Deutschland machen, besuchen häufiger religiöse Veranstaltungen als solche, bei denen dies nicht der Fall ist. Ähnliches gilt für das Ausmaß des „sich Zurechtfindens" in Deutschland: Je besser sich die befragten Zuwanderer zurechtfinden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß sie religiös partizipieren. Die Häufigkeit der wahrgenommenen Benachteiligung aufgrund der Herkunft ist hingegen positiv mit der religiöser Partizipation korreliert: Die Personen, die sich am häufigsten benachteiligt fühlen, besuchen gleichzeitig am häufigsten religiöse Veranstaltungen. Auch bezüglich der Frage, inwieweit die Wichtigkeit, Gesetz und Ordnung zu respektieren, mit der Besuchshäufigkeit religiöser Veranstaltungen einhergeht, zeigt sich ein deutlicher positiver Zusammenhang.

Versucht man nun, diese Befunde vor dem Hintergrund der oben angesprochenen Diskussion zu beleuchten, so ist vor allem interessant, daß sich hinsichtlich der Besuchshäufigkeit religiöser Veranstaltungen keine Anzeichen für eine stärkere Hinwendung der jüngeren Zuwanderer zur Religion finden lassen. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Je jünger die Befragten sind, desto seltener besuchen sie religiöse Veranstaltungen.

Hinsichtlich der identifikativen und der kognitiven Assimilation sind keine Anzeichen für die Existenz eines nicht-assimilierten, aber stark religiös engagierten Bevölkerungssegments zu finden. Einzig für die soziale Assimilation gilt, daß wenige Kontakte zu Deutschen relativ deutlich mit einer stärkeren Besuchshäufigkeit religiöser Veranstaltungen zusammentreffen. Ein häufiger Besuch religiöser Institutionen geht also offensichtlich nicht mit geringen deutschen Sprachkenntnissen oder einer geringen Identifikation mit Deutschland einher, wohl aber mit vielen Kontakten zu Mitgliedern der eigenen Nationalität und wenigen Kontakten zu Deutschen. Hier kann jedoch keine Aussage über die Kausalrichtung des Zusammenhangs gemacht werden: Führt die starke religiöse Partizipation erst zu einer stärkeren sozialen Segregation oder führt umgekehrt eine ohnehin vorhandene Isolation von der deutschen Gesellschaft zu einer verstärkten Hinwendung zum Islam?

Die niedrige soziale Assimilation der Besucher religiöser Veranstaltungen entspricht insofern den theoretischen Erwartungen, als Personen mit wenigen Kontakten zu Deutschen besonders stark auf die mit der Partizipation verbundenen sozialen Kontakte im eigenethnischen Kontext angewiesen sind. Zudem sind für die Personen, die bereits eng in ethnische Netzwerke eingebunden sind, die Partizipationskosten (z.B. die Suchkosten) niedriger als für diejenigen, bei denen das nicht der Fall ist. Allerdings ist hierbei zu beachten, daß sich diese Daten lediglich auf Moscheebesucher beziehen und noch nichts über die Merkmale der Teilnehmer religiöser Organisationen aussagen. So ist zum Beispiel auch ungeklärt, ob der Befund, daß es keinen Zusammenhang zwischen der kognitiven und der identifikativen Assimilation einerseits und dem Ausmaß der religiösen Partizipation andererseits gibt, auch für die Partizipierenden religiöser Vereinigungen im engeren Sinne gilt.

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Interessant ist auch der negative Zusammenhang zwischen dem Ausmaß des sich-Zurechtfindens sowie des sich-Sorgens um die Situation der Ausländer und dem Grad der religiösen Partizipation: Dies könnte ein Indikator dafür sein, daß die Teilnahme an religiösen Veranstaltungen dazu führt, daß sich die Zuwanderer tatsächlich besser in Deutschland zurechtfinden. Auf diese mögliche Funktion der Einbindung in einen eigenethnischen Kontext soll im dritten Teil dieser Studie noch näher eingegangen werden. Der positive Zusammenhang zwischen der religiösen Partizipation und der wahrgenommenen Benachteiligung durch Angehörige der Mehrheitsgesellschaft kann darauf zurückzuführen sein, daß das offene Bekenntnis zum Islam zu verstärkter Diskriminierung führt.

Schließlich zeigt der positive Zusammenhang zwischen der Wichtigkeit der Respektierung von Gesetz und Ordnung und der Besuchshäufigkeit religiöser Veranstaltungen, daß es gerade die religiösen türkischen Migranten sind, die dieser Respektierung die höchste Bedeutung beimessen. Allerdings steht die Überprüfung dieses Zusammenhangs bei tatsächlich organisierten Migranten noch aus.

Abschließend soll der Frage nachgegangen werden, ob Religion und der Besuch religiöser Veranstaltungen für türkischen Zuwanderer generell überhaupt eine wichtigere Rolle spielt als für andere Zuwanderergruppen oder für die Deutschen. Dazu werden die Wichtigkeit von Religion und die Besuchshäufigkeit religiöser Veranstaltungen für Türken und andere Nationalitäten im Überblick dargestellt:

Tab. 2.3:
Wichtigkeit von Religion für die Lebenszufriedenheit nach Nationalität im Jahr 1996 (absolut und in %)

Die Tabelle zeigt, daß der Islam für die in Deutschland lebenden Türken eine wesentlich wichtigere Rolle für die Lebenszufriedenheit spielt als christliche Religionen für die einheimische Bevölkerung: Der überragende Anteil der Türken findet Religion wichtig (33,6%) oder sehr wichtig (43,3%) für die Lebenszufriedenheit, wohingegen dies nur 33,0% bzw. 11,3% der Deutschen angeben. Die Werte für die restlichen Nationalitäten zeigen jedoch, daß es sich bei diesem zentralen Stellenwert der Religion bei den türkischen Migranten nicht primär um ein „islamtypisches" Phänomen handelt: Für alle Zuwanderer hat Religion unabhängig von ihrer Konfessionszugehörigkeit einen höheren Stellenwert als für die Deutschen. Sehr viel weniger deutlich sind die Unterschiede zwischen den Nationalitäten hinsichtlich des Besuchs religiöser Veranstaltungen, wie Tabelle 2.4 zeigt.

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Tab.2.4:
Besuchshäufigkeit von Gottesdiensten und religiösen Veranstaltungen nach Nationalität im Jahr 1996 (absolut und in %)

Der Anteil der häufig an religiösen Veranstaltungen teilnehmenden Deutschen unterscheidet sich so gut wie nicht von dem der Migranten insgesamt. Bei der isolierten Betrachtung der Türken zeigt sich jedoch analog zur Wichtigkeit von Religion, daß sie den höchsten Anteil an regelmäßigen Besuchern religiöser Veranstaltungen aufweisen. Dennoch besuchen insgesamt über 60% selten oder nie eine religiöse Veranstaltung. Zusammen mit dem obigen Befund, daß eher ältere Türken religiös partizipieren, scheint auch dieses Ergebnis im Widerspruch zur Behauptung von Heitmeyer, Müller und Schröder (1997) zu stehen, daß lediglich ca. 45% der Jugendlichen nie oder „nur an Feiertagen" in die Moschee gehen (116f). Nach Angaben der Repräsentativuntersuchung ´95 (Mehrländer, Ascheberg, Ueltzhöffer 1996) besuchen 55,1% der Türken zwischen 15 und 25 Jahren selten oder nie bzw. mehrmals im Jahr (was wohl am ehesten der Kategorie „nur an Feiertagen" entspricht) religiöse Veranstaltungen; lediglich 4,1% von ihnen besuchen mehrmals in der Woche eine Moschee. Diese Zahlen beziehen sich allerdings nur auf die Türken islamischen Glaubens, und dies sind, wie die gleiche Untersuchung zeigte, 81% der Türken. Damit sind die Ergebnisse des SOEP und der Repräsentativuntersuchung ´95 sehr ähnlich.

Hinsichtlich einer der wenigen Fragen, bei der ein Vergleich der Ergebnisse Heitmeyers, Müllers und Schröders mit Befunden, die auf repräsentativen Datensätzen beruhen, möglich ist, sind also eklatante Divergenzen festzustellen [ Eine, wenn auch u.E. unwahrscheinliche Erklärung dieser Unterschiede könnte darin liegen, daß im SOEP nur Personen ab 16 Jahren befragt werden, während der Schwerpunkt Heitmeyers Befragung bei den 15-17jährigen liegt. Gegen diese Interpretation sprich die Tatsache, daß laut der logistischen Regression mit den SOEP-Daten die Besuchshäufigkeit religiöser Veranstaltungen mit dem Alter zunimmt.] . Damit scheint die Validität der These eines hohen fundamentalistischen Gewaltpotentials zumindest fraglich. Auch Schönebergs, wenn auch weder aktuelle noch wirklich repräsentative, Daten zeigen hinsichtlich des Alters der Besucher religiöser Zentren andere Ergebnisse: 81% von ihnen waren ihren Befunden zufolge vor 1973 eingereist und nur 11% waren jünger als 25 Jahre.

Eine abschließende Beurteilung der These einer Re-Ethnisierung junger Türken ist auf der Grundlage der verfügbaren Daten nicht möglich. Allein bei der Betrachtung der „Alltagsreligion" der Zuwanderer, die ja zunächst vollkommen unabhängig von einer Organisationsmitgliedschaft einerseits und religiösem Fundamentalismus andererseits ist,

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zeigen sich jedoch keine Anzeichen für eine besonders starke Hinwendung zum Islam bei jüngeren und schlecht-assimilierten Zuwanderern.

Bei der prinzipiellen Einschätzung des Ausmaßes an Unterstützung islamistischer Organisationen müssen zudem die Befunde über die Diskrepanz in den Partizipationsmotiven der Eliten und der einfachen Mitglieder berücksichtigt werden. Dennoch können auch unpolitische Organisationsmitglieder ein wichtiges Potential für Politisierungsprozessse darstellen. Wie in Abschnitt 2.3.3 ausgeführt wird, sind unter bestimmten Bedingungen unpolitische Gruppen relativ leicht für politische Aktivitäten zu mobilisieren. Das durch die einfachen Mitglieder islamistischer Vereinigungen gebildete Potential für derartige Politisierungsprozesse sollte nicht zugunsten der spektakuläreren Befunde über „religiöse motivierte Gewaltbereitschaft" übersehen werden.

2.3.1.2. Partizipation in linken und kurdischen Vereinigungen

Neben den islamischen Vereinigungen machen bezüglich der türkischen Migranten insbesondere die kurdischen Vereine seit längerer Zeit von sich reden. Von den ca. 450.000 bis 500.000 in Deutschland lebenden Kurden sind ca. 8.900 Anhänger der seit November 1993 verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans, der PKK (BfV 1996). Ähnlich wie die im letzten Abschnitt erwähnten Organisationen sind auch das Auftreten und die Aktivität der PKK, die 1978 in der Türkei gegründet wurde, stark durch die politischen Verhältnisse in der Türkei bestimmt.

Die Ziele der PKK in Deutschland beziehen sich im wesentlichen auf die Finanzierung der Partei, die ideelle und praktische Mobilisierung der in Deutschland lebenden Kurden für die militärische Auseinandersetzung in der Türkei sowie auf die Öffentlichkeitsarbeit. In Deutschland wird das Mobilisierungspotential der PKK seitens des Verfassungsschutzes auf ein Zehntel der hier lebenden Kurden, d.h. auf ca. 50.000 Personen geschätzt. Auf das Verbot der PKK und einige ihrer Teilorganisationen hat die Partei mit Neugründungen und Reorganisationen reagiert (BfV 1996).

Die PKK und andere kurdische Organisationen haben teilweise Kontakt zu linken türkischen Gruppierungen wie etwa der Föderation der Arbeiterimmigranten aus der Türkei e.V. Insgesamt gilt die extreme türkische Linke als sehr zersplittert. Die bekanntesten und neben der PKK als extrem militant geltenden Gruppen sind die Devrimci Sol und die Türkische Kommunistische Partei/ Marxisten-Leninisten (TKP/ML), die wie die radikal-islamischen Organisationen in ihren Aktivitäten stark türkeiorientiert sind.

Einige Befunde weisen darauf hin (vgl. Schöneberg 1993), daß zunehmend auch die herkunftslandorientierten linksgerichteten Vereinigungen der Türken und Kurden Interesse für die Belange der Türken in Deutschland zeigen. Dies könnte daran liegen, daß diese Vereinigungen, anders als viele religiöse Gruppierungen, nicht nur auf der Ebene der Vereinseliten politisiert sind. Die Voraussetzungen für eine Umstellung ihres politischen Fokus auf die Lage der türkischen Migranten im Aufnahmeland dürften bei diesen Gruppen deshalb günstiger sein. Das Haupthindernis einer solchen Entwicklung scheint aber die Zersplitterung der linksorientierten türkischen Migrantenbevölkerung darstellen, die zum jetzigen Zeitpunkt ein Hintanstellen der politischen Differenzen zugunsten einer konzertierten Aktion für die hier lebenden Zuwanderer unwahrscheinlich macht. Wie in dem Exkurs über Frankreich dargestellt wurde, hat dort allerdings, nachdem die Partizipationsrechte für Immigranten erweitert wurden, eine deutliche Verlagerung des Interessenschwerpunktes von der herkunftsland- zur aufnahmelandorientierten Partizipation stattgefunden. Basierend auf den oben dargestellten Erkenntnissen der politischen Parti-

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zipationsforschung ist für die Bundesrepublik davon auszugehen, daß eine solche Veränderung in der politischen Opportunitätsstruktur am wahrscheinlichsten zunächst für die linksorientierten Vereinigungen derartige Auswirkungen haben wird, da diese hinsichtlich der mobilisierbaren Partizipationsressourcen am ehesten das Potential für ein solches Engagement aufzuweisen scheinen.

Solange allerdings für die linksgerichteten herkunftslandorientierten Gruppierungen nicht einmal eine Quantifizierung ihrer Anhängerschaft möglich ist, müssen derartige Überlegungen begründete Spekulationen bleiben.

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2.3.2. Die aufnahmelandorientierte politische Partizipation



2.3.2.1. Politisches Interesse

Die aufnahmelandorientierten politisch ausgerichteten Partizipationsformen sind zahlenmäßig von geringerer Bedeutung als das herkunftslandorientierte politische Engagement der Zuwanderer: Von den knapp 6% Türken, die laut Repräsentativuntersuchung ´95 Mitglied einer politischen Vereinigung oder Partei sind, partizipieren gut vier Fünftel in einer herkunftslandorientierten Organisation (Mehrländer, Ascheberg, Ueltzhöffer 1996: 411). Insgesamt gibt es über die verschiedenen Formen der politischen Partizipation von Immigranten deutlich mehr Informationen als über die nicht-politischen Formen. Dies gilt nicht nur für die deskriptiven Informationen über die Aktivitäten verschiedener Gruppierungen, sondern auch für den theoretischen Forschungsstand.

Zunächst soll hier auf das politische Interesse eingegangen werden, von dem innerhalb der Partizipationsforschung angenommen wird, daß es bei der Entstehung der politischen Partizipationsbereitschaft eine zentrale Rolle spielt. Es ist vor allem für die Partizipationsformen eine wichtige Determinante, die über die Beteiligung an Wahlen und das Diskutieren politischer Themen hinausgehen (Uehlinger 1988: 177), d.h. vor allem für die Beteiligungsmöglichkeiten, die Immigranten weitgehend offenstehen. Außerdem soll geklärt werden, ob hinsichtlich dieser Partizipationsvoraussetzung systematische Unterschiede zwischen Deutschen und Zuwanderern existieren. Hinsichtlich der Zuwanderer ist vor allem interessant, wie hoch ihr politisches Interesse ist und ob es eher auf Deutschland oder eher auf das jeweilige Herkunftsland bezogen ist. Leider differenzieren die Daten, auf denen die hier vorgestellten Berechnungen basieren, nicht zwischen dem herkunftslandorientierten und dem aufnahmelandorientierten politischen Interesse.

Tabelle 2.5 (s. S. 34) stellt das politische Interesse unterschiedlicher Nationalitäten dar. Es werden neben den Deutschen die „klassischen" Nationalitäten der Arbeitsmigranten berücksichtigt.

Insgesamt zeigt sich, daß das Interesse für Politik bei der Mehrheit der Befragten gar nicht vorhanden oder nicht sehr stark ist. Weniger als 30% äußern ein starkes oder sehr starkes politisches Interesse. Hinsichtlich der nationalitätenspezifischen Unterschiede ist zu erkennen, daß der Anteil der Migranten, die überhaupt kein Interesse an Politik haben, über alle Nationalitäten hinweg deutlich größer ist als der der Deutschen mit 14,1%. Die aufgrund ihrer zahlenmäßigen Stärke in der Bundesrepublik hier besonders interessierende Gruppe der Türken weist ein vergleichsweise geringes politisches Interesse auf.

Auf die - relativ geringen - nationalitätenspezifischen Unterschiede innerhalb der Gruppe der Zuwanderer soll weiter unten eingegangen werden. Hier interessieren zunächst die möglichen Erklärungen für die Unterschiede zwischen Zuwanderern und Deutschen.

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Tab. 2.5:
Interesse für Politik nach Nationalität im Jahr 1996 (absolut und in %)

Das geringe politische Interesse der Zuwanderer ist möglicherweise auf das (mit der oben beschriebenen Ausnahme des Kommunalwahlrechts für EU-Bürger) fehlende Wahlrecht und die damit verbundenen Einschränkungen in ihren Partizipationsmöglichkeiten zurückzuführen. Diese Hypothese basiert auf der Annahme, daß unter „Politik" von den Zuwanderern in erster Linie die Politik der Wahlheimat Deutschland verstanden wird - was angesichts der meist recht langen Aufenthaltsdauer der Arbeitsmigranten in der Bundesrepublik eine gewisse Plausibilität besitzt. Aber auch wenn man davon ausgeht, daß sich das politische Interesse der Befragten stärker auf die Politik des Herkunftslandes bezieht, verwundert das deutlich geringere politische Interesse dieses Bevölkerungssegmentes nicht sehr: Mit steigender Aufenthaltsdauer im Aufnahmeland und schwindenden Rückkehrabsichten dürfte die Identifikation mit dem Herkunftsland und somit auch das Interesse an dem dortigen politischen Geschehen sinken. Dies trifft allerdings nur unter der Annahme zu, daß die momentan viel diskutierten Re-Ethnisierungstendenzen bei Zuwanderern in nicht so breitem Maße vorhanden sind, daß tatsächlich eine zahlenmäßig bedeutsame Identifikation mit dem Herkunftsland und der dortigen politischen Entwicklung vorliegt.

Eine weitere naheliegende Erklärung, die unabhängig von der „geographischen" Ausrichtung des politischen Interesses ist, bezieht sich auf die Abhängigkeit der Stärke des politischen Interesses vom Bildungsniveau. Da politisches Interesse und Bildungsniveau im allgemeinen positiv korreliert sind und die Mehrzahl der Arbeitsmigranten eine eher niedrige schulische und berufliche Bildung aufweist, könnte dies eine Ursache ihres niedrigen politischen Interesses sein. Die dargestellten Hypothesen können teilweise durch die Betrachtung des Eigenschaftsprofils der an Politik interessierten Migranten überprüft werden.

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Tab. 2.6:
Determinanten des politischen Interesses bei Migranten in der Bundesrepublik im Jahr 1996

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Zunächst einmal zeigen die Ergebnisse der logistischen Regression, daß das Interesse für Politik mit dem Alter steigt; Zuwanderer im Alter von 16 bis 25 Jahren interessieren sich deutlich weniger für Politik als Personen höheren Alters. Zudem steigt erwartungsgemäß das Interesse konsistent mit dem Bildungsabschluß: Je höher der Abschluß, desto größer ist das politische Interesse. In einer hier nicht dargestellten Analyse des Interesses für Politik bei Deutschen nach Alter und Schulbildung zeigen sich ein ähnlicher Zusammenhang. Allerdings zeigt sich bei einer hier ebenfalls nicht dargestellten Analyse, daß auch bei Kontrolle des Faktors Bildung Zuwanderer ein geringeres politisches Interesse aufweisen als die Deutschen. Hinsichtlich der Nationalität ist festzuhalten, daß sich in Deutschland lebende Spanier und Griechen am wenigsten für Politik interessieren, während es zwischen Italienern, Türken und (Ex-)Jugoslawen kaum einen Unterschied gibt, wenn man die übrigen Variablen kontrolliert [ Dieses Ergebnis unterscheidet sich hinsichtlich der nationalitätenspezifischer Unterschiede im politischen Interesse von dem in Tabelle 2.2. Dieser Unterschied kommt durch die Eigenschaft der logistischen Regression zustande, daß hier „reine" Effekte" einzelner Variablen gemessen werden, da die Wirkungen aller anderen berücksichtigten Determinanten kontrolliert wird. Die abweichenden Ergebnisse der Tabelle 2.2 kommen demnach durch systematische Differenzen verschiedener Nationalitäten in anderen berücksichtigten Determinanten zustande.] .

Die Wirkung des Assimilationsgrades ist für die soziale und die kognitive Assimilation recht eindeutig: Je stärker eine Person assimiliert ist, desto wahrscheinlicher ist es, daß sie sich für Politik interessiert. Dieser Effekt tritt bei der kognitiven Assimilation am deutlichsten zu Tage: Zuwanderer, die gar nicht oder nur schlecht deutsch sprechen, interessieren sich in weit geringerem Ausmaß für Politik. In bezug auf die identifikative Assimilation zeigt sich, daß die Zuwanderer, die sich in mancherlei Hinsicht als Deutsche fühlen, ein stärkeres politisches Interesse zeigen als diejenigen, die sich ganz oder gar nicht als Deutsche fühlen.

Von Interesse ist zudem die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen der subjektiven Einschätzung ihrer Lage und dem politischen Interesse der Zuwanderer besteht. Betrachtet man die Zustimmung zu der Aussage „Die Verhältnisse sind so kompliziert geworden, daß ich mich fast nicht mehr zurecht finde", dann zeigt sich, daß das Interesse für Politik um so größer ist, je geringer diese Zustimmung ist. Das subjektive Diskriminierungsgefühl wird durch die beiden Variablen „Ausmaß der Sorge um die Situation der Ausländer in Deutschland" sowie die „Häufigkeit einer wahrgenommenen Benachteiligung aufgrund der Herkunft" operationalisiert. Hier zeigt sich, daß das Interesse für Politik bei denen, die sich keine Sorgen um die Situation der Zuwanderer machen, am größten ist. Umgekehrt stellt sich allerdings der Zusammenhang zwischen wahrgenommener Benachteiligung und politischem Interesse dar. Die Migranten, die sich aufgrund ihrer Herkunft nicht benachteiligt fühlen, interessieren sich am wenigsten für Politik, wohingegen diejenigen, die sich häufig benachteiligt fühlen, das größte Interesse zeigen.

Die Differenzen in der Stärke des politischen Interesses zwischen den unterschiedlichen Zuwanderernationalitäten lassen sich offensichtlich nicht durch den unterschiedlichen rechtlichen Status der EU- und der Nicht-EU Bürger erklären. Italiener, Türken und (Ex-)Jugoslawen interessieren sich ähnlich wenig für Politik, weshalb die zumindest eingeschränkt bestehenden politischen Partizipationsmöglichkeiten für EU-Bürger in Form des Kommunalwahlrechts bislang keine Auswirkungen auf das Ausmaß des politischen Interesses zu haben scheinen.

Interessant ist auch das Ergebnis, daß das Interesse für Politik annähernd konsistent mit dem Assimilationsgrad steigt. Dies spricht dafür, daß sich dieses Interesse vor allem auf die

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bundesdeutsche Politik bezieht. Mit dem Eingliederungsprozeß in verschiedenen Bereichen scheint also ein verstärktes Interesse am politischen Geschehen einherzugehen.

Betrachtet man diese Ergebnisse im Überblick, so zeigt sich hinsichtlich des Profils der politisch interessierten Migranten, daß diese tendenziell älter, besser gebildet und gut assimiliert sind. Das politische Interesse ist jedoch insgesamt sehr niedrig, hinsichtlich dieses Partizipationsfaktors sind folglich bei den in den nächsten Abschnitten diskutierten Formen des politischen Engagements eher niedrige Partizipationsraten zu erwarten.

2.3.2.2. Partizipation in und Präferenzen für deutsche Parteien

Wie bereits erwähnt, dürfen Zuwanderer in fast allen Parteien Mitglieder werden. Es ist allerdings schwierig, Zahlen über die tatsächlichen Parteimitgliedschaften zu erhalten, weil die Parteien sehr restriktiv mit diesen Informationen umgehen. Die Parteipräferenz von Immigranten ist allerdings ein vergleichsweise gut erforschtes Phänomen, sie wird auch im Rahmen des SOEP erfaßt. Die folgende Übersicht zeigt, ob die befragten Deutschen und Zuwanderer sich überhaupt mit einer deutschen Partei identifizieren und ob es nationalitätenspezifische Unterschiede hinsichtlich dieser allgemeinen Parteipräferenz gibt.

Tab.2.7:
Allgemeine Parteipräferenz nach Nationalität im Jahr 1996 (von oben: Absolutzahlen, % (Zeile) und % (Spalte))

Insgesamt scheint das Interesse an der deutschen Parteienlandschaft bei den Zuwanderern relativ gering zu sein. Lediglich zwischen 19,0% (Griechen) und 30,1% (Spanier) der Zuwanderer bekunden eine Präferenz für eine der deutschen Parteien. Somit gibt es deutliche Unterschiede zwischen Zuwanderern und Einheimischen, da mit 53,7% mehr als die Hälfte der befragten Deutschen angeben, eine Parteipräferenz zu haben. Wie oben dargestellt, läßt sich ein Teil dieser Differenzen sicherlich - ähnlich wie beim politischen Interesse - durch soziodemographische Unterschiede im Alters- und Bildungsdurchschnitt zwischen Migranten und Deutschen erklären.

Wenn man jedoch davon ausgeht, daß mit diesen soziodemographischen Unterschieden allein die große Differenz im Ausmaß der Parteipräferenz nicht erklärt werden kann, läßt sich analog zu den oben diskutierten möglichen Erklärungen des geringen politischen

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Interesses der Zuwanderer auch diesbezüglich die Hypothese aufstellen, daß die fehlenden politischen Partizipationsrechte und/oder das Gefühl, die eigenen Interessen nicht durch die deutsche Parteien vertreten zu sehen, eine wichtige Ursache darstellen.

Zwischen den Nationalitäten bestehen insofern Unterschiede, als vor allem Spanier, aber auch Italiener etwas stärkere Präferenzen als Migranten anderer Staatsangehörigkeiten aufweisen. Zwischen Türken, Griechen und (Ex-)Jugoslawen bestehen mit Anteilen von jeweils ca. 20% kaum Unterschiede. Dies ist ein weiterer wichtiger Befund: Da sich unter diesen Nationalitäten sowohl EU-Angehörige (Griechen) als auch Nicht-EU-Angehörige (Türken und (Ex-)Jugoslawen) befinden, hat das kommunale Wahlrecht für EU-Zuwanderer offenbar (noch) keinen großen Einfluß auf die Einstellungen gegenüber den deutschen Parteien.

Es stellt sich nun die Frage, zu welchen Parteien sich Deutsche und Zuwanderer hingezogen fühlen. Ebenso ist von Interesse, ob es hier Unterschiede zwischen den Nationalitäten gibt. Die folgende Darstellung in Tabelle 2.8 berücksichtigt nur die Befragten, die angegeben haben, überhaupt eine Präferenz für eine deutsche Partei zu haben.

Tab. 2.8:
Spezifische Parteipräferenz nach Staatsangehörigkeit der Zuwanderer im Jahr 1996
von oben: Absolutzahlen,
% (Zeile) und % (Spalte))

Bei der Interpretation dieser Daten ist zu beachten, daß es sich hier aufgrund der geringen noch verbleibenden Fallzahl nur um vorsichtige Bewertungen handeln kann. Die Präferenzverteilung der Immigranten unterscheidet sich sehr stark von der der Deutschen: Mit Prozentwerten zwischen 68,6% ((Ex-) Jugoslawen) bis 86,7% (Italiener) fühlt

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sich der überragende Anteil der Zuwanderer, die überhaupt eine Parteipräferenz haben, zur SPD hingezogen. Die CDU/CSU erreicht hier lediglich Anteile von rund einem Zehntel (der Türken) bis einem Viertel (der (Ex-)Jugoslawen). Bemerkenswert ist zudem die mit 17,6% vergleichsweise hohe Affinität der Türken zu den Grünen/Bündnis 90. FDP, PDS und Republikaner werden von den Zuwanderern überhaupt nicht als präferierte Parteien genannt.

Es kann anhand der Daten nicht geklärt werden, wie die deutliche Affinität zur SPD zustande kommt. Eine naheliegende Erklärung hierfür ist die Tatsache, daß sehr viele der Migranten aus dem Arbeitermilieu stammen, das traditionell eine hohe Affinität zu so-zialdemokratischen Parteien aufweist. Untersuchungen in den Niederlanden haben
allerdings gezeigt, daß die Präferenz der dortigen Einwanderer für die niederländische Arbeiterpartei P.v.d.A. nicht reiner sozialstrukturell erklärbar ist, sondern daß auch viele Selbständige und Unternehmer diese sozialdemokratische Partei präferieren (Bukow 1989: 113). Dies wird mit dem großen Engagement der P.v.d.A. gerade auch im Zusammenhang mit dem Ausländerwahlrecht erklärt. Auch in Deutschland liegt die Interpretation nahe, daß viele Zuwanderer ihre Interessen von allen deutschen Parteien am ehesten von der SPD vertreten sehen. Neuere Untersuchungen haben aber gezeigt, daß von den eingebürgerten Türken, die allerdings eine spezifische Subgruppe unter den türkischen Migranten darstellen, laut einer vor den letzten Bundestagswahlen durchgeführten Umfrage lediglich 49% die SPD, 10% die FDP, 7% die CDU und 11% die Grünen gewählt hätten (Pressemitteilung des Zentrums für Türkeistudien vom 6. März 1998).

Die oben dargestellten Parteipräferenzen sind sicherlich vor allem im Hinblick auf die Fragestellung interessant, für welche der bundesdeutschen Parteien die Zuwanderer ein interessantes Wählerpotential darstellten. Es muß an dieser Stelle aber darauf verwiesen werden, daß diese Zahlen nur sehr bedingt Auskunft darüber geben, inwieweit sich die aktuellen Parteipräferenzen gegebenenfalls tatsächlich im Wahlverhalten widerspiegeln würden. Auch hier lohnt wieder ein Blick auf die Entwicklung in den Niederlanden. Seit der Einführung des kommunalen Ausländerwahlrechts 1985 haben die Zuwanderer ihre anfänglich sehr starke Präferenz für die P.v.d.A. im Laufe weniger Jahre dem der niederländischen Bevölkerung angeglichen (vgl. Gronendijk 1986).

Einen - vorsichtigen - Indikator dafür, ob ein solcher Prozeß auch in der Bundesrepublik bei Einführung des Wahlrechts für Zuwanderer stattfinden würde, liefert die in der folgenden Tabelle (s. S. 40) dargestellte Stärke der spezifischen Parteipräferenz. Bei den Befragten, die eine starke Präferenz für eine bestimmte Partei angeben, kann eher davon ausgegangen werden, daß sie diese Partei tatsächlich wählen würden.

Wenn zunächst die allgemeine Stärke der Parteipräferenzen ohne Berücksichtigung einzelner Parteien betrachtet wird, läßt sich konstatieren, daß die befragten Zuwanderer mit 62,9% der von ihnen präferierten Partei mehrheitlich nur mäßig stark zugeneigt sind. Die restlichen Personen geben an, die jeweilige Partei ziemlich stark oder sogar sehr stark zu präferieren (25,8%). Die Deutschen scheinen sich ihrer Parteipräferenz hingegen vergleichsweise sicher zu sein: 38,2% präferieren „ihre" Partei stark oder sehr stark, 54,5% mittelmäßig stark.

Es gibt allerdings Unterschiede zwischen den Parteien, was die Stärke ihrer Bevorzugung anbetrifft. Für die am häufigsten genannten Parteien Grüne/Bündnis 90, SPD und CDU/CSU stellt sich dies folgendermaßen dar: Für alle Parteien gibt die Mehrheit wiederum an, die jeweilige Partei nur mittelmäßig stark zu bevorzugen. Die stärksten Präferenzen für die jeweils bevorzugte Partei weisen jedoch mit 28,3% die SPD-Sympathisanten auf,

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Tab. 2.9:
Stärke der spezifischen Parteipräferenz von Deutschen und Zuwanderern im Jahr 1996 (absolut und in %)

gefolgt von 23,3% der Sympathisanten für die Grünen/Bündnis 90. Mit 18,8% präferiert ein etwas geringerer Anteil der CDU/CSU-Anhänger die Partei stark oder sehr stark. Diese Zahlen sprechen dafür, daß die Immigranten in ihren Parteipräferenzen keineswegs festgelegt sind und daß es durchaus wahrscheinlich ist, daß sie in dem Fall, daß sie tatsächlich wählen dürften, in ihren Wahlverhalten vergleichsweise flexibel wären.

Die prinzipielle Indifferenz vieler Zuwanderer hinsichtlich ihrer Parteipräferenzen ist kein neues Phänomen, wenn auch der Anteil der Zuwanderer ohne Parteipräferenz im Zeitverlauf schwankt (vgl. Tab. A2 im Anhang). Im Jahre 1989 und 1990 war ein Rückgang im Anteil derjenigen zu verzeichnen, die keine Parteipräferenz aufweisen. Dieser verlief eindeutig zugunsten der SPD, deren Präferenzkurve in diesem Zeitraum anstieg. Dementsprechend verlor sie ab 1992 aber auch Sympathisanten zugunsten der Gruppe der unentschiedenen Zuwanderer, ohne jedoch ihre deutliche Vorreiterstellung als von den Immigranten am stärksten präferierte Partei zu verlieren. Demgegenüber sind die Schwankungen bezüglich der Präferenzen für die anderen Parteien sehr gering. Diese Zahlen deuten darauf hin, daß von einer Mobilisierung der großen Gruppe der politisch indifferenten Migranten am ehesten die SPD profitieren würde.

Daß eine solche Mobilisierung möglich ist, hat wiederum die Erfahrung in den Niederlanden gezeigt, wo bereits bei den ersten Kommunalwahlen, an denen sich Immigranten beteiligen durften, deren Wahlbeteiligung mit über 60% recht hoch lag. Vor allem von den türkischen Einwanderern ging ein großer Anteil zur Wahl. Dem ging allerdings eine aufwendige Informationskampagne der Regierung voran. Der Erfolg der P.v.d.A. wird in erster Linie deren Mobilisierungsbemühungen zugeschrieben. Zur Gründung ei-

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gener Immigrantenparteien kam es vor diesem Hintergrund bis auf eine unbedeutende Ausnahme nicht (Bukow 1989: 101ff).

2.3.2.3. Partizipation in Gewerkschaften und Berufsverbänden

Die Beteiligung von Zuwanderern in Gewerkschaften und Berufsverbänden stellt insofern einen Sonderfall dar, als es sich hierbei um die politische Partizipation von Immigranten in einer deutschen Institution handelt, in der diese volle Partizipationsrechte haben. Es gilt in der Partizipationsforschung als ein gesicherter Befund, daß die wahrgenommenen Einflußmöglichkeiten, d.h. die subjektive politische Kompetenz, einen wichtigen Partizipationsfaktor darstellt: Personen, die der Meinung sind, sie könnten mit ihrem Engagement etwas ausrichten, partizipieren tatsächlich häufiger (Uehlinger 1988: 178). Dieser Befund steht in Übereinklang mit den im ersten Teil dieser Arbeit dargelegten theoretischen Ausführungen, wonach die Wahrscheinlichkeit, mit der Partizipation das Partizipationsziel tatsächlich erreichen zu können, die Partizipationsbereitschaft erhöht. Allerdings dürfte es schwierig sein, die Bedeutung dieses Faktors zu isolieren. Betrachtet man zunächst einmal die Partizipationsraten von Zuwanderern anhand von Berechnungen mit den SOEP-Daten, dann zeigt sich, daß diese tatsächlich ähnlich hoch sind wie die der Deutschen.

Tab.2.10:
Gewerkschafts-/Berufsverbandsmitgliedschaften nach Nationalität im Jahr 1994 * (absolut und in %)
*[ Bezüglich der Mitgliedschaft in Gewerkschaften und Berufsverbänden mußte auf Daten aus dem Jahr 1994 zurückgegriffen werden, da diese Frage in den folgenden SOEP-Wellen nicht mehr gestellt wurde. ]

Es ergibt sich der erstaunliche Befund, daß unter den Migranten die (Ex-)Jugoslawen sowie die Spanier mit 26,0% bzw. 24,6% höhere Partizipationsquoten aufweisen als die Deutschen mit 21,7%. Auch wenn türkische Migranten am wenigsten stark in Gewerkschaften und Berufsverbänden organisiert sind, liegt ihr Anteil mit 19,6% doch nur geringfügig unter dem der Deutschen.

Der hohe gewerkschaftliche Organisationsgrad von Immigranten gilt als einer der großen Erfolge der deutschen Gewerkschaften (Karahasan, Öztürk 1994: 285). Vor dem Hintergrund des deutlich geringeren politischen Interesses von Zuwanderern wirft dies die Frage nach den möglichen Ursachen für die praktisch nicht vorhandenen Differenzen im gewerkschaftlichen Organisationsgrad zwischen Deutschen und Zuwanderern auf. Handelt es sich um eine statistische Verzerrung aufgrund der Tatsache, daß ein höherer Anteil der Zuwanderer als die Deutschen im berufsfähigen Alter ist und/oder es unter ersteren einen höheren Arbeiteranteil gibt? Oder sehen die Zuwanderer in einer Gewerkschafts- und Berufsverbandsmitgliedschaft eine Chance, ihre Interessen angesichts

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geringer sonstiger politischer Partizipationsmöglichkeiten zu vertreten und vertreten zu sehen (vgl. Schmitter 1980: 320)? Zumindest die Gewerkschafter Karahasan und Öztürk argumentieren: „Der hohe Organisationsgrad von Migranten erklärt sich einerseits damit, daß sie ein besonderes Schutzbedürfnis haben; andererseits betrachten viele Migranten aufgrund fehlender politischer Beteiligungsrechte die Gewerkschaften auch als Menschenrechtsorganisationen" (285). Gerade im Bereich der Integrations- und Einbürgerungspolitik haben die Gewerkschaften eine zunehmend wichtige Rolle als Interessenvertretung der Zuwanderer gespielt. Dabei haben sich eventuell die relativ hohen Organisationsraten der Zuwanderer und die von den Gewerkschaften für sie übernommene Advokatenrolle in einwanderungs- und integrationspolitischen Fragestellungen wechselseitig verstärkt.

Die folgende Analyse (s. S. 43) soll klären, inwieweit hohe Partizipationsraten in beruflichen Interessenverbänden durch die erwähnten soziodemographischen und -ökonomischen Faktoren zustande kommen oder ob sich Hinweise auf eine besondere Motivation von Zuwanderern für diese Art der Partizipation finden lassen.

Ähnlich wie hinsichtlich des politischen Interesses weisen auch bezüglich der Gewerkschafts- bzw. Berufsverbandsmitgliedschaft die älteren Zuwanderer die höchsten Werte auf. Den deutlichsten Effekt hat allerdings der Erwerbsstatus. Das Ergebnis, daß Arbeiter am häufigsten und Selbständige am seltensten in beruflichen Interessenverbänden organisiert sind, ist wenig erstaunlich. Daß arbeitslose Zuwanderer am zweitstärksten zu Mitgliedschaften neigen, hängt vermutlich damit zusammen, daß ein Großteil von ihnen vor ihrer Arbeitslosigkeit Arbeiter war und die Gewerkschaften bei Arbeitslosigkeit lediglich einen symbolischen Mitgliedsbeitrag verlangen.

Die Auswirkungen des schulischen Bildungsabschlusses sind vernachlässigbar gering, ebenso hat die nationale Zugehörigkeit nur einen unbedeutenden Effekt; Spanier und (Ex-)Jugoslawen weisen etwas geringere Organisationswahrscheinlichkeiten als die Angehörigen der übrigen Nationalitäten auf. [ Auch hier zeigt sich wie bei den Tabellen 2.2 und 2.3 eine Abweichung der Ergebnisse der Kreuztabelle (Tabelle 2.4) von denen der logistischen Regression (Tabelle 2.5). Der Grund liegt wiederum in einer Scheinkorrelation, wie die Kontrolle anderer Determinanten in der logistischen Regression deutlich macht.]

Auch hinsichtlich des Einflusses des Assimilationsgrads zeigen sich bei der Gewerkschafts- und Berufsverbandszugehörigkeit ähnliche Ergebnisse wie bei dem politischen Interesse: Je stärker nach der hier zugrundeliegenden Operationalisierung eine Person assimiliert ist, desto eher ist sie Mitglied. Zuwanderer mit gar keinen oder nur schlechten deutschen Sprachkenntnissen sind seltener Mitglied einer solchen Organisation. Für die soziale Assimilation ist allerdings nur ein schwacher Zusammenhang aufzuweisen.

Die Personen, die angeben, sich in der Gesellschaft nicht mehr zurecht zu finden, sind seltener in Gewerkschaften organisiert, während das Ausmaß, in dem sich eine Person Sorgen um die Situation der Ausländer in Deutschland macht, keinen Einfluß auf die gewerkschaftliche Partizipation hat.

Die Ausgangsfrage, ob der ähnlich hohe Organisationsgrad von Deutschen und Zuwanderern in Gewerkschaften und Berufsverbänden durch die besondere soziodemographische und -ökonomische Zusammensetzung der Gruppe der Zuwanderer zu erklären ist, läßt sich auf der Grundlage der Daten also teilweise bejahen: Offensichtlich kommt dieses Ergebnis auch dadurch zustande, daß ein großer Teil der Migranten der Erwerbskategorie der Arbeiter zuzuordnen ist (in der Regression: 66,1%).

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Tab. 2.11:
Determinanten der Gewerkschafts-/Berufsverbandsmitgliedschaft bei Migranten in der Bundesrepublik im Jahr 1994

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Dieser Effekt überwiegt offensichtlich den der Altersstruktur der Zuwanderer: Hiernach wäre eher ein niedriger Organisationsgrad der Immigranten zu erwarten, da sie im Durchschnitt jünger als Deutsche sind und gerade die älteren Migranten höhere Partizipationsraten in Gewerkschaften und Berufsverbänden aufweisen. Es kann an dieser Stelle nicht geklärt werden, ob dies durch eine andere Erwerbsstruktur jüngerer, besser gebildeter Zuwanderer zustande kommt, oder durch ein prinzipiell geringeres Interesse dieser Befragten an beruflichen Interessenvertretungen.

Es zeigt sich durchgängig, daß die kognitive und identifikative Assimilation der Neigung zur Gewerkschafts- bzw. Berufsverbandsmitgliedschaft förderlich ist. Deutsche Sprachkenntnisse sowie eine Identifikation mit dem Aufnahmeland scheinen eine zentrale Rolle zu spielen. Wenn man bedenkt, daß, wie oben ausgeführt, die Kenntnis der Sprache und der Institutionen des Aufnahmelandes zentrale Partizipationsvoraussetzungen darstellen, dann verwundert auch der Befund nicht, daß gerade die Zuwanderer, die angeben, sich in Deutschland zurechtzufinden, gewerkschaftlich aktiv sind. Dabei muß allerdings berücksichtigt werden, daß es sich bei der hier erfaßten Partizipationsform zunächst nur um die Mitgliedschaft in Gewerkschaften bzw. Berufsverbänden handelt und damit noch nichts über das Ausmaß des tatsächlichen Engagements gesagt ist.

Der nur schwache Zusammenhang zwischen der sozialen Assimilation und dem Organisationsgrad stimmt ebenfalls mit dem überein, was aufgrund der theoretischen Ausführungen zu erwarten wäre: Angesichts des hohen Zuwandereranteils in dieser Art von Vereinigungen ist auch für die Zuwanderer, die aufgrund ihrer sozialen Nichtassimilation die Interaktion mit ihresgleichen vorziehen, die Gewerkschaftspartizipation attraktiv, da aufgrund des hohen Ausländeranteils diesbezüglich genügend soziale Anreize existieren.

Die Frage, ob der vergleichsweise hohe Organisationsgrad der Zuwanderer tatsächlich der Tatsache zuzuschreiben ist, daß die Gewerkschaften die politische Partizipation auch für Nichtdeutsche ermöglichen, kann hier nicht beantwortet werden. Ein Indikator dafür, daß die Gewerkschaften tatsächlich, wie von ihnen postuliert wird, zu einer Art Bürgerrechtsgruppe für die Zuwanderer geworden sind, denen ansonsten die politische Partizipation weitgehend verwehrt ist, wäre eine überdurchschnittlich hohe Beteiligung der Zuwanderer mit starken Diskriminierungsgefühlen. Leider ist aus datentechnischen Gründen keine Überprüfung des Einflusses des subjektiven Diskriminierungsgefühls auf den Organisationsgrad möglich. Auch vor dem Hintergrund, daß die allgemeine Sorge, die sich eine Person um die Situation der Zuwanderer in Deutschland macht, keinen Einfluß auf den Organisationsgrad hat, muß zusammenfassend festgestellt werden, daß bislang lediglich theoretische Argumente für diese Hypothese sprechen.

2.3.2.4. Partizipation in „Bürgerrechtsgruppen"

Da die Möglichkeiten der konventionellen politischen Partizipation in der Bundesrepublik für Zuwanderer so beschränkt sind, stellt sich die Frage, wie es um ihre „außerparlamentarische" Beteiligung in aufnahmelandorientierten Gruppierungen steht, deren Ziel im weitesten Sinne der Abbau von formellen und informellen Diskriminierungsprozessen gegenüber Zuwanderern ist.

Hier sind zunächst einmal die linksorientierten Immigrantenvereine zu nennen, die teilweise noch enge Kontakte zu türkischen Linksparteien haben, in ihren Aktivitäten aber eindeutig aufnahmelandorientiert sind. Von Bedeutung sind hier beispielsweise die Föderation der Immigrantenvereine aus der Türkei e.V. oder die Föderation sozial-

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demokratischer Volksvereine der Türkei in Europa e.V. (vgl. Sen, Goldberg 1994: 105ff). Ebenso wie in den Ausländerbeiräten (vgl. Öner 1994: 41) sind auch in diesen Vereinigungen die Angehörigen der zweiten Generation unterrepräsentiert. Deren aufnahmelandorientiertes politisches Engagement scheint eher in Gruppen stattzufinden, die keinerlei Kontakte mehr zum Herkunftsland pflegen und bei denen oft Zuwanderer unterschiedlicher Nationalität zusammenarbeiten. Ein Beispiel hierfür ist etwa die Mannheimer Gruppe Die Unmündigen e.V., die seit einigen Jahren mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen wie dem „Fest des deutschen Mitbürgers" auf sich aufmerksam macht.

Verfolgt man die bundesrepublikanische Debatte um Reformen im Staatsbürgerschafts- und Einwanderungsrecht, so gewinnt man dennoch den Eindruck, daß die aktive Beteiligung der Zuwanderer selbst hier eine vergleichsweise untergeordnete Rolle spielt. Selbst in vielen im Zuge der 70er Jahren gegründeten Initiativen für „Ausländerarbeit" partizipieren oft hauptsächlich Deutsche (Bendit 1994: 52).

Zwei mögliche Erklärungen lassen sich hierfür vorbringen: Zum einen ist die Partizipation in diesen bürgerrechtsähnlichen Vereinigungen eine Partizipationsform, die im Hinblick auf die individuellen Partizipationsvoraussetzungen (vgl. Abschnitt 1.3) relativ voraussetzungsvoll ist. Sie setzt gute Sprach- und Institutionenkenntnisse voraus und ist, wie bereits erwähnt, gemeinhin an ein hohes politisches Interesse sowie, damit verbunden, an ein hohes Bildungsniveau gekoppelt. Die in Deutschland lebenden Einwanderer sind aber durchschnittlich auf diesen Dimensionen am unteren Spektrum angesiedelt.

Das andere Hemmnis bezieht sich auf die gesellschaftlichen Partizipationsvoraussetzungen. Bei der aufnahmelandorientierten politischen Partizipation stellen sich besondere Organisationsprobleme wie etwa das oben dargestellte Kollektivgutproblem, das oft die Umsetzung des Interesse an dem politischen Ziel einer Gruppe in eine Partizipation verhindert. Alle haben ein Interesse daran, daß sich die jeweils anderen für die Reform einsetzen, ohne selbst die Kosten der Partizipation tragen zu müssen. Diese Organisationsprobleme werden in Deutschland durch die restriktiven politischen Rahmenbedingungen für das politische Engagement von Immigranten verschärft. Sie verringern einen wichtigen Motivationsfaktor der Partizipation - ihre Erfolgswahrscheinlichkeit (vgl. Uehlinger 1988: 178, Hechter, Freedman, Applebaum 1982). Aufgrund des fehlenden Wahlrechts werden viele Zuwanderer ihr Engagement von vornherein als wirkungslos betrachten. Viele erfolgreiche soziale Bewegungen und Interessengruppen wie die Umwelt- oder Frauenbewegung konnten damit drohen, daß ihre Mitglieder das zur Debatte stehende politische Thema zur Grundlage ihrer Wahlentscheidung machen würden. Diese Drohung ist für Personengruppen ohne Wahlrecht nicht möglich.

Sieht man einmal von diesen Organisationsproblemen ab und betrachtet das Partizipationspotential für Interessenvertretungen der Zuwanderer in Deutschland, so ist zu erwarten, daß diese Partizipationsform in Zukunft an Bedeutung gewinnt. Anders als noch für die „Gastarbeiter", deren sichtbare Präsenz im Aufnahmeland sich fast nur auf den ökonomischen Sektor bezog und die im politischen Bereich keine Rolle spielten (Miller 1981), sprechen verschiedene Entwicklungen dafür, daß sich unter der zweiten Generation ein größeres Potential für diese Form der politischen Partizipation findet. Vier Argumente lassen sich für diese Vermutung anführen:

  1. Erstens ist damit zu rechnen, daß die Bindung der zweiten Generation an die Herkunftsländer nachläßt, da diese nicht dort aufgewachsen und von daher auch mit deren Institutionen nicht vertraut sind. Der schwindende Glaube innerhalb der zweiten Generation an eine Rückkehr in das Land der Eltern (vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW 1994: 223) rechtfertigt die Annahme, daß

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    diese Einwanderergruppe im Vergleich mit der Elterngeneration ein stärkeres Interesse an ihrer eigenen Lage in der Aufnahmegesellschaft hat.

  2. Zweitens sind mit den verbesserten sprachlichen Kompetenzen und der besseren Kenntnis der deutschen politischen Institutionen zwei weitere notwendige, wenn auch keineswegs hinreichende Bedingungen für eine steigende aufnahmelandorientierte politische Partizipation der zweiten und folgenden Generationen der Zuwanderer gegeben. Wie oben dargestellt wurde, ist die Verfügung über die nötigen individuellen Partizipationsvoraussetzungen ein wichtiger Faktor bei der Entstehung der Partizipationsbereitschaft. Insofern stellt eine allgemeine Steigerung dieser Fertigkeiten in der Migrantenbevölkerung eine wichtige Veränderung bezüglich der potentiellen Mitglieder aufnahmelandorientierter Gruppierungen dar.
  3. Drittens zeichnete sich die erste Generation der „Gastarbeiter" durch eine sehr einheitliche Arbeitsmarktsituation aus. Ihre Interessen ließen sich von daher noch größtenteils innerhalb des Betriebes organisieren. Die zweite Generation hingegen ist in Bezug auf ihre Arbeitsmarktlage diversifizierter (Datenreport 1994). Man kann davon ausgehen, daß sich ihre Interessen deshalb nicht mehr nur innerhalb der Gewerkschaft organisieren lassen. Die vergleichsweise niedrige Gewerkschaftspartizipation der jüngeren Zuwanderer (vgl. Tab. 2.10) kann als ein Indikator hierfür betrachtet werden.
  4. Viertens gibt es empirische Evidenzen dafür, daß die zweite Generation stärker als die erste unter dem rechtlichen Status als Bürger zweiter Klasse leidet, als dies noch bei ihren Eltern der Fall war, die selbst lange Zeit der Illusion von dem temporären Aufenthalt in Deutschland anhingen. Eine (hier nicht dargestellte) Auswertung der SOEP Daten zeigt, daß die Wichtigkeit, politischen Einfluß auszuüben, umso größer eingeschätzt wird, je jünger die befragten Zuwanderer sind. Dieser Zusammenhang läßt sich bei Deutschen interessanterweise nicht finden. Auch laut „Repräsentativuntersuchung ´95" haben 51% der Türken über 45 Jahren, aber 62% der 15- bis 24jährigen Interesse an der Einführung des Kommunalwahlrechts für Drittstaatenangehörige bekundet (Mehrländer, Ascheberg, Ueltzhöffer 1996: 408). Gleichzeitig scheinen die von den Angehörigen der ersten Generation dominierten „Sonderformen" der Partizipation etwa in Ausländerbeiräten oder auch in den Gewerkschaften von den jüngeren Migranten nicht mehr als adäquate Mitbestimmungsmöglichkeit betrachtet zu werden.

Dieses höhere Potential für ein aufnahmelandorientiertes politisches Engagement wird aber voraussichtlich nur dann umgesetzt werden, wenn die dargestellten Mobilisierungshemmnisse überwunden werden. Nur unter dieser Bedingung wird die häufig gestellte Prognose zutreffen „daß im Laufe der Zeit, wenn die Frage der Bürgerrechte für sie nicht zufriedenstellend geregelt wird, diese Jugendlichen bzw. ethnischen Vereinigungen sich zu einer größeren Protestbewegung organisieren und ihre Recht auch auf der Straße einklagen werden" (Bendit 1994: 52). Angesichts der derzeitigen politischen Rahmenbedingungen stellt sich vielmehr die Frage, was an die Stelle einer solchen „Protestbewegung" treten könnte. Eine der zentralen Erkenntnisse der politischen Partizipationsforschung lautet, daß das Ausmaß des „Leidensdrucks" einer Bevölkerungsgruppe nicht der entscheidende Faktor bei der Mobilisierung ist, sondern daß zunächst die Organisationsprobleme gelöst werden müssen (McCarthy, Zald 1987). In diesem Prozeß kommt den politischen Rahmenbedingungen eine entscheidende Bedeutung zu.

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Exkurs: Aufnahmelandorientiertes politisches Engagement:
Das Beispiel Frankreich

Die Erfahrungen in anderen europäischen Ländern haben gezeigt, daß die formale politische Gleichberechtigung von Einwanderern deren politische Partizipation in den Institutionen des Aufnahmelandes durchaus verstärken kann. In Frankreich etwa nehmen die Immigranten zu einem viel größeren Ausmaß am politischen Diskurs teil als in Deutschland und sind sowohl lokal als auch national besser organisiert (Wihtol de Wenden 1994). Ethnische Konflikte, die vor allem innerhalb ethnischer Ghettos entstehen und von dort aus in die Aufnahmegesellschaft getragen werden, sowie soziale Bewegungen von Einwanderern, die sich mit Fragen wie Staatsbürgerschaftsrecht (code de la nationalité) und Bürgerrechten von Einwanderern befassen, gibt es dort in sehr viel stärkerem Maße als in Deutschland (Wihtol de Wenden 1994, vgl. auch FAZ vom 10. 7. 1995). Vor allem die zweite Generation der Maghrebins in Frankreich, d.h. die Kinder der Einwanderer aus Nordafrika, beteiligt sich intensiv an der politischen Diskussion über Einwanderung in Frankreich. Wie wichtig formale politische Partizipationsrechte für das politische Engagement im Aufnahmeland sind, hat in Frankreich etwa die Einführung der Versammlungsfreiheit für Nichtfranzosen im Jahre 1981 gezeigt, in deren Folge es erst zu der Politisierung und Mobilisierung der Einwanderer in der Form, wie sie heute existiert, gekommen ist (Wihtol de Wenden 1994: 93, 101, Leistico 1994: 24, 33).

Am deutlichsten wird dies am Beispiel der zu Beginn der 80er Jahre gegründeten Gruppe SOS-Racisme, einer gut organisierten Interessengruppe der Einwanderer, die zu allen wichtigen einwanderungspolitischen Fragen Stellung nimmt und ihre Forderungen nach einer radikal-egalitären Konzeption der französischen Gesellschaft in das Zentrum der Politik trägt. Die SOS-Racisme als ein sich mit der Lage der Einwanderer im Aufnahmeland beschäftigender Verband, der sowohl über eine breite Mitgliederbasis als auch über eine professionelle Führungsriege verfügt, existiert in dieser Form nur in Frankreich. Diese Bewegung ist insofern Teil des politischen Systems Frankreichs geworden, als die Politiker die Reaktionen dieser Gruppe bei ihren Entscheidungen antizipieren und es sich keine Partei leisten kann, auf ein paar „Parade-Beurs" zu verzichten (Leggewie 1991: 144). In der Einwandererbewegung in Frankreich ist vor allem die zweite Generation engagiert, die sich für eine politische Partizipation ohne den Zwang zur kulturellen Assimilation einsetzt, wie sich in dem Slogan vivre ensemble avec nos differences ausdrückt. In einer Untersuchung über die politische Partizipation von Immigranten in der Schweiz und in Frankreich vertritt Patrick R. Ireland die These, daß sich nach dem Ausbau von politischen Rechten Anfang der 80er Jahre Einwanderer der zweiten Generation zunehmend organisiert haben, was zur Folge hatte, daß sie sich insgesamt politisiert und, sofern es sich um religiös orientierte Gruppen gehandelt hat, zumeist auch säkularisiert haben. Im Gegensatz zu der Zeit vor der Mobilisierung ist dieses Engagement nicht länger herkunftsorientiert, sondern auf die Integration der Einwanderer im Aufnahmeland bezogen. „The legal changes of 1981 provided the occasion for the interethnic movement to widen its scope and develop a truly political mission" (Ireland 1994: 69). Interessant ist in diesem Zusammenhang vor allem, daß er dieses Muster der Abwendung von den Problemen des Herkunftslandes und die Konzentration auf Bürgerrechtsfragen und damit auf die Integration im Aufnahmeland auch für die Türken bestätigt findet. Irelands Beschreibung der türkischen Verbände in den 70er Jahren - also vor der institutionell induzierten Umorientierung - erinnert stark an das Bild, das die türkischen Assoziationen in der Bundesrepublik heute bieten: „The Turkish network of organizations was polarized along ideological lines, with the full panolpy of turkish political currents reproduced on French soil" (ebd.: 67).

Die Abkehr von der Herkunftsorientierung bezieht sich dabei sowohl auf die gemeinsame ethnische Herkunft als Basis der ethnischen Mobilisierung, als auch auf die politischen Ziele der Mobilisierung: „French citizenship law and naturalization policies were such that second- generation immigrants were already or potentially full-fledged members of the national political community. The result was a multifaceted second-generation social movement fighting against socioeconomic marginalization and racism" (Ireland 1994: 83).

Auch wenn es angesichts der v.a. in ökonomischer Hinsicht oft noch desolaten Lage der Einwanderer in

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Frankreich überzogen klingen mag, so könnte man doch sagen, daß hinsichtlich der politischen Integration der Einwanderer die institutionellen Reformen zu Beginn der 80er Jahre als Katalysator gewirkt haben: Durch ihr verstärktes Engagement in Bürgerrechts- Fragen haben die Immigranten ihre eigene Integration in diesem Bereich vorangetrieben. Trotz ihrer ökonomischen Marginalisierung und trotz der rassistischen Ressentiments, mit denen ihnen oft begegnet wird, sind in Frankreich die Einwanderer zumindest nicht von der politischen Identität als Franzosen ausgeschlossen.

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2.3.3. Herkunftslandorientierte soziale Partizipation: Kulturelle, religiöse und Freizeitvereine

Die Überlegung, in dieser Studie nicht nur die politische, sondern auch die soziale Partizipation von Immigranten zu behandeln, obwohl es zum einen vergleichsweise wenig Informationen darüber gibt und zum anderen die nicht-politische Partizipation unter verschiedenen Gesichtspunkten von weniger großer Relevanz zu sein scheint als die politisch motivierte Beteiligung, beruht auf verschiedenen Befunden der Partizipationsforschung über den Zusammenhang zwischen diesen beiden Formen. Die Voraussetzung für die Entstehung von Organisationen und Vereinen besteht darin, potentielle Mitglieder zu einer Partizipation zu mobilisieren, obwohl diese mit den verschiedensten Kosten verbunden ist. Anders als für die dargestellten politischen (und damit: Kollektivgüter verfolgenden) Organisationen ist der Mobilisierungsprozeß für Gruppierungen, die ihren Mitgliedern in erster Linie private Anreize anbieten, weniger problematisch. Dies liegt daran, daß diese Anreize der Partizipation, z.B. Freizeitangebote oder die Möglichkeit, Freunde zu treffen, anders als die Ziele politischer Vereine unmittelbar durch die Partizipation erreicht werden.

Auch aus der gesellschaftlichen Perspektive werden Organisationen, die nur kulturelle oder freizeitbezogene Ziele verfolgen, als weniger problematisch erachtet, als einige der oben diskutierten Vereinigungen. Die soziale Partizipation von Zuwanderern ist aber unter zwei Gesichtspunkten dennoch von Interesse: Zum einen stellt sich angesichts der Partizipation vieler Zuwanderer in ethnisch homogenen Vereinen die Frage nach deren Auswirkungen auf den weiteren Integrationsverlauf und auf die Integration in anderen Lebensbereichen (vgl. Teil 3). Zum anderen können unpolitische Vereinigungen unter bestimmten Bedingungen zu politischen Vereinigungen werden.

Letzteres ist besonders wahrscheinlich, wenn die Aktivitäten entlang eines Merkmals wie Ethnizität organisiert sind, dessen Träger gemeinsame Erfahrungen teilen und mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind. Es ist dann möglich, daß bestimmte ökonomische oder politische Problemlagen mit einem „angeborenen" Merkmal wie der Herkunft gekoppelt und zur Grundlage politischer Aktivitäten werden. In verschiedenen Studien ist gezeigt worden, daß gerade in modernen Gesellschaften, in denen traditionelle Bindungen an die Familie oder die Dorfgemeinschaft an Bedeutung verlieren und eher wechselnde Interessenlagen zur Grundlage kollektiven Handeln werden, gemeinsame angeborene Merkmale wie Hautfarbe, Geschlecht, Herkunft etc. wieder eine starke Bindungswirkung bei der Mobilisierung dieser Interessen haben können (vgl. Esser 1988). Gruppen, denen eine solche Koppelung dieser oft emotional besetzten Zugehörigkeiten mit objektiven Interessen gelingt, sind häufig rein interessenbedingten Gruppierungen hinsichtlich der Stärke der Bindungen der Mitglieder an die Vereinigung weit überlegen.

Bezüglich der Mechanismen, die bei der möglichen Umsetzung unpolitischer in politische Aktivitäten eine Rolle spielen, lassen sich in der Partizipationsforschung im wesentlichen zwei Argumente finden:

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Zum einen können unpolitische Gruppierungen „Vorformen" politischer Aktivitäten darstellen, die aus verschiedenen Gründen besonders leicht mobilisiert werden können, wenn die Interessen der Gruppenmitglieder (z.B. durch eine Gesetzesänderung) gefährdet sind (Jenkins 1981: 117). In Gruppen, deren Mitglieder sich bereits kennen und Loyalitäten zueinander entwickelt haben, ist oft die Bereitschaft höher, die für eine politische Mobilisierung nötigen Ressourcen wie Zeit, Geld oder Fähigkeiten in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen. Zudem können gemeinsame Unzufriedenheiten und Ideen über die Lösung bestimmter kollektiv wahrgenommener Probleme leichter innerhalb einer Bevölkerungsgruppe verbreitet werden, die bereits organisiert ist. Diese Effekte sind allerdings nur für Gruppen nachweisbar, deren Organisation in Vereinen und Gruppierungen „parallel" zu den Konfliktlinien verläuft. Dies haben verschiedene Studien anhand des historischen Beispiels der Politisierung einer vormals unpolitische Bevölkerungsgruppe gezeigt: der Arbeiter. Die Existenz von freizeitorientierten Clubs und Ver-einen war nur dort der Ausbreitung der Arbeiterbewegung förderlich, wo der Vereinssektor nicht entlang ethnischer Linien organisiert war, die „quer" zu dem Konflikt Kapital-Arbeit lagen. Umgekehrt läßt sich der Schluß ziehen, daß Unzufriedenheiten, die eine bestimmte Zuwanderergruppe betreffen, nur in solchen Vereinen leichter kommuniziert und möglicherweise Gegenstand kollektiven Handelns werden, die auch ethnisch segregiert sind, d.h. in denen ausschließlich Mitglieder der eigenen ethnischen Gruppe sind (ebd.: 118f, Oberschall 1973: 125, McAdam 1988:125ff).

Zum zweiten werden auch in unpolitischen Vereinigungen allgemeine Fähigkeiten erlernt, die zentrale Partizipationsressourcen für die politische Partizipation darstellen, wie z.B. Führungs- und Kommunikationskompetenzen. Außerdem werden die Mitglieder dort mit Informationen konfrontiert und knüpfen neue Kontakte. Dieses ist eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung eines allgemeinen Interesses an öffentlichen Angelegenheiten (van Deth 1997).

Diese Argumente dürfen allerdings nicht dahingehend interpretiert werden, daß es einen in irgendeiner Form zwingenden Zusammenhang zwischen der sozialen und der politischen Partizipation gibt. Dies wäre ebenso falsch wie die Annahme, daß beide Partizipationstypen nichts miteinander zu tun haben.

Hinsichtlich der sozialen Partizipation bezeichnet der Begriff „herkunftslandorientiert" lediglich die Tatsache, daß das Umfeld, innerhalb dessen die Aktivitäten dieser Vereine vonstatten gehen, ethnisch segregiert ist, unabhängig davon, ob die Aktivitäten als solche herkunftslandorientiert sind (wie z.B. bei einer Folkloregruppe) oder nicht (wie z.B. bei einem Sportverein).

Anders als viele politisch orientierte Gruppierungen bieten diese Vereine ihren Mitgliedern Freizeitangebote oder die Pflege der Religion und Kultur des Herkunftslandes nicht als zusätzliche Partizipationsanreize. Diese Aktivitäten stellen vielmehr das eigentliche Vereinsziel dar. In der Untersuchung von Schuleri-Hartje und Kodolitsch (1989) stellte sich heraus, daß von den 39 befragten Immigrantenvereinen acht ausschließlich sportliche Aktivitäten verfolgten und fünf Kulturvereine waren, die ihren Mitgliedern zusätzlich ein Freizeitangebot zur Verfügung stellten, während sechs Vereine unorganisierte Freizeitmöglichkeiten anboten. Die Bereitstellung von Freizeitangeboten scheint auch deshalb eine so große Rolle zu spielen, weil sie von vielen Vereinen unter dem Gesichtspunkt, die „Jugendlichen von der Straße zu holen" betrachtet wird (ebd.: 103). In der gleichen Untersuchung ergab sich, daß die „Bewahrung der kulturellen Identität" für die meisten Vereine (85%) ein Vereinsziel darstellt. Allerdings sind hier sehr große Unterschiede bezüglich der Intensität auszumachen, mit der dieses Ziel verfolgt wird.

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Auch in der Untersuchung von Fijalkowski und Gillmeister zeigt sich, daß die Wahrnehmung von Kulturangeboten neben dem Treffen von Landsleuten das wichtigste Partizipationsmotiv darstellt (1997: 224).

Über die Partizipation in kulturellen Vereinigungen liegen erst sehr wenige Informationen vor, da die rein kulturellen, religiösen und freizeitorientierten Vereinigungen wenig in der Öffentlichkeit auftreten und ihre Aktivitäten sehr unspektakulär bleiben. Viele zentrale Fragen können deshalb nicht beantwortet werden. So ist z.B. fraglich, inwiefern gerade die kulturellen, aber auch rein religiösen Vereinigungen der stark zersplitterten türkischen Bevölkerungsgruppe von politischen Auseinandersetzungen berührt werden. Im Rahmen einer kürzlich in Mannheim durchgeführten qualitativen Vorstudie zu einem Forschungsprojekt über die Partizipation von Zuwanderern haben verschiedene Befragte, v.a. Nichtpartizipanten, die Klage geäußert, daß sie kaum eine (z.B. Folklore-) Gruppe fänden, die nicht irgendeiner politischen Richtung angehöre und es aus diesem Grund aufgegeben hätten, die Kultur ihres Herkunftslandes aktiv zu pflegen. Die gleiche Skepsis wurde auch im Hinblick auf die verschiedenen Moscheevereine laut.

Während die aktive Pflege der eigenen Kultur per se innerhalb eines ethnisch homogenen Kontextes stattfindet, wenn man einmal von den wenigen ethnisch gemischten kulturellen (z.B. Folklore) Gruppen absieht, ist dies für andere Freizeitbeschäftigungen nicht der Fall. Die Existenz reiner Freizeitvereine der unterschiedlichen Zuwandererminoritäten wirft die Frage auf, warum und unter welchen Bedingungen diese Beschäftigungen ethnisch segregiert vonstatten gehen. Neben der oben dargestellten Rückzugsfunktion, die ethnische Vereine für viele Zuwanderer haben, lassen sich hier drei Gründe anführen:

Erstens fühlen sich viele Zuwanderer in deutschen bzw. gemischtethnischen Vereinen nicht erwünscht oder haben sogar schon Diskriminierungserfahrungen gemacht.

Zweitens sind in Vereinen, in denen viele Zuwanderer der eigenen Ethnie partizipieren, die Such- und Informationskosten niedriger, die einem Vereinsbeitritt vorangehen. Für diejenigen Zuwanderer, deren soziale Kontakte sich hauptsächlich aus der eigenen ethnischen Gruppe rekrutieren, sind zudem die sozialen Anreize der Partizipation höher. Für sie bestehen oft bereits Kontakte zu dem Verein; zudem stellt die Partizipation eine gute Möglichkeit dar, anderen Angehörigen der eigenen Zuwanderergruppe zu begegnen. Dies kann den Ausschlag für die Partizipation in einem ethnisch homogenen Verein geben, obwohl das eigentliche Vereinsziel in deutschen wie in ethnischen Vereinen verfolgt werden könnte.

Drittens fördert noch eine praktische Ursache die Entstehung ethnisch homogener Freizeitvereine: Wie sich im Rahmen der qualitativen Vorstudie in Mannheim gezeigt hat, sind in vielen Stadtteilen mit einem hohen Migrantenanteil die traditionellen deutschen Sportvereine zu fast rein türkischen Vereinen geworden, weil die meisten Jugendlichen des Stadtteils Zuwanderer sind und im jeweils nächstgelegenen Verein partizipieren.

Die genauere Untersuchung der Entstehungsbedingungen gerade auch solcher ethnisch segregierter Vereine, bei denen die Segregation nicht unmittelbar aus dem Vereinsziel folgt, steht noch aus. Dennoch sollte festgehalten werden, daß Diskriminierungsgefühle, die viele Zuwanderer von einer Partizipation in deutschen Vereinen abhält, nicht den einzigen Erklärungsfaktor darstellen.

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2.3.4. Aufnahmelandorientierte soziale Partizipation

Die Partizipation von Zuwanderern in Freizeitvereinigungen des Aufnahmelandes ist Ausdruck einer Partizipationsentscheidung, bei der ethnische Kriterien keine Rolle mehr spielen. Über die Partizipation von Immigranten in deutschen Freizeitvereinigungen liegen noch weniger Informationen vor als für die anderen hier diskutierten Partizipationsformen. Dies hat den Grund, daß diese gemeinhin aus den Forschungsprojekten über ethnische Vereine herausfallen. Dabei ließen sich gerade anhand von Vereinigungen, von denen ethnisch segregierte und ethnisch gemischte Formen existieren (wie z.B. bei Fußballvereinen), die Ursachen ethnischer Segregation im Vereinssektor exemplarisch studieren.

Unseres Wissens ist die Repräsentativuntersuchung´ 95 die einzige repräsentative Studie, die Immigranten verschiedener Altersklassen nach der Partizipation in eigenethnischen und deutschen Vereinen befragt hat. Dabei stellte sich heraus, daß knapp ein Viertel aller befragten Zuwanderer (Türken, (Ex-)Jugoslawen, Griechen und Italiener) unter 24 Jahren Mitglied eines deutschen Vereins ist und nur 17% in einem eigenethnischen Verein partizipieren. Dabei nimmt die Partizipation in deutschen Vereinen mit zunehmenden Alter der Zuwanderer ab; von den über 45jährigen ist nicht einmal jeder Fünfte Mitglied eines deutschen Vereins. Es kann allerdings aus den Daten nicht geschlossen werden, ob dies einen Indikator für eine bessere Integration der jüngeren Zuwanderer in den deutschen Vereinssektor darstellt, oder ob der Befund in erster Linie darauf zurückzuführen ist, daß die Älteren insgesamt weniger in Freizeitvereinen und mehr in kulturellen Vereinigungen partizipieren, die per se eher ethnisch segregiert sind. Zu überprüfen wäre auch, ob es sich bei den deutschen Vereinen tatsächlich um gemischtethnische handelt, oder ob es sich zwar um formal deutsche Vereine handelt, in denen aber faktisch fast ausschließlich Immigranten partizipieren.


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