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[Seite der Druckausg.: 9 ]


Einleitung
[ Für hilfreiche Kommentare danken wir Stephan Ganter, Nadia Granato und Frank Kalter.]


Die Partizipation von Zuwanderern in kulturellen, politischen und religiösen Vereinigungen ist ein Thema, das Konjunktur hat. Als hätten Medien und Wissenschaft plötzlich festgestellt, daß auch „Gastarbeiter" einen Alltag jenseits des Arbeitsmarktes haben, mehren sich seit einigen Jahren die Fachpublikationen und Medienberichte über die Teilnahme von Einwanderern an organisierten sozialen und politischen Aktivitäten. Zwei Themen stehen dabei im Mittelpunkt:

Zum einen wird darüber diskutiert, wie sich die politische Partizipation von Einwanderern in den deutschen Institutionen gestalten läßt. Die in regelmäßigen Abständen auflebende Debatte über die Möglichkeiten der stärkeren Einbindung von Immigranten in die politischen Entscheidungsprozesse und die Bedingungen, die an den Zugang zur Staatsbürgerschaft geknüpft sein sollten, beherrschen dabei die Diskussion. Zum anderen werden von den Kritikern einer solchen Öffnung der deutschen Gesellschaft gegenüber Nichtdeutschen oft Zweifel an der Vereinbarkeit der Einstellungen vieler Immigranten zu Gesellschaft, Politik und Religion mit den hiesigen Wertvorstellungen geäußert.

Diese Debatte bezieht sich vor allem auf die Gruppe der türkischen Einwanderer, die schon aufgrund ihrer zahlenmäßigen Stärke besonders sichtbar ist. Für die türkischen Zuwanderer als dauerhaft in Deutschland lebende Drittstaatenangehörige, für die viele Vergünstigungen für Immigranten aus den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nicht gelten, stellt sich einerseits die Frage nach ihrer Integration in das politische und soziale System der deutschen Gesellschaft besonders dringlich. Andererseits wird das Argument, daß die türkischen Immigranten aus einem „anderen Kulturkreis" kommen, oft als Grund dafür genannt, daß eine zunehmende Einbeziehung in die deutsche Gesellschaft gar nicht möglich und wünschenswert sei, wobei gleichzeitig Befürchtungen über eine sich entwickelnde „Parallelgesellschaft" laut werden, die in vielen Städten durch den Bau von Moscheen, die Einrichtung türkischer Kindergärten und die Ausbreitung türkischer Supermärkte sichtbar wird.

In diesem Zusammenhang mehren sich die Medienberichte über die Aktivitäten religiöser oder politischer „Ausländerorganisationen", die oft als ein Zeichen dafür interpretiert werden, daß hinsichtlich des Integrationsprozesses der Kinder der „Gastarbeiter" eine Trendwende dahingehend eingetreten ist, daß eine zunehmenden Hinwendung zum Herkunftsland und zur Herkunftskultur an die Stelle einer in der Generationenfolge zunehmenden Loslösung davon getreten ist. Berichte über die Mobilmachung religiöser Fundamentalisten und den Rückhalt, den gut organisierte islamistische Gruppierungen in der Migrantenbevölkerung haben, tun ihr übriges, um Vorbehalte gegenüber einer Politik der Öffnung der bundesdeutschen Gesellschaft gegenüber den hier lebenden Minderheiten zu wecken.

Das wachsende öffentliche Interesse an diesen Problemen steht bislang noch in einem eklatanten Mißverhältnis zu dem vorhandenen Wissen darüber. In diesem Klima gedeihen ad hoc Erklärungen, die zumeist darauf hinauslaufen, entweder ein natürliches Bedürfnis nach Bewahrung der Herkunftskultur für die scheinbar anhaltende „Heimatorientierung" vieler Zuwanderer verantwortlich zu machen, oder aber darin vorschnell eine „normale" Reaktion auf Diskriminierung und Ausgrenzung zu sehen.

[Seite der Druckausg.: 10 ]

Aus einer sozialwissenschaftliche Perspektive stellt sich dieses vermeintliche Phänomen sehr viel unspektakulärer dar. Die Überraschung darüber, daß scheinbar in der dritten Generation das Herkunftsland noch lange nicht vergessen ist, ist in der klassischen amerikanischen Migrationsforschung schon seit den 30er Jahren Ausgangspunkt für ganze Serien von Veröffentlichungen gewesen. So gaben nicht zuletzt die deutschen Einwanderer in den USA Anfang des Jahrhunderts Anlaß zur Sorge, ob da nicht eine Gruppe heranwächst, die weder willens noch in der Lage ist, sich den amerikanischen Gepflogenheiten unterzuordnen (vgl. Child 1970 [1939]: 10).

Die prinzipielle Frage, von welchen Bedingungen es abhängt, ob auch in der zweiten oder dritten Generation ethnische Kriterien bei der Partner- oder Wohnortwahl oder eben bei der Partizipation in Vereinen und Organisationen eine Rolle spielen, kann als die klassische Ausgangsfrage der Integrationsforschung betrachtet werden. Aber auch die moderne Partizipations- und soziale Bewegungsforschung geben wichtige Instrumente zur Beantwortung der Frage an die Hand, wann die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe Grundlage des Handelns wird.

Auf den folgenden Seiten soll dieser Frage im Hinblick auf das Phänomen der Partizipation von Zuwanderern in Vereinen, Verbänden und Organisationen nachgegangen werden. Dabei wird die Analyse der Ursachen, Formen und Folgen der Partizipation von Immigranten in Deutschland anhand der Verknüpfung von existierenden theoretischen Einsichten mit den verfügbaren Daten und Informationen im Mittelpunkt stehen. Neben der Bündelung der bestehenden Erkenntnisse über das zu behandelnde Phänomen sollen dabei mögliche Ursache-Wirkungszusammenhänge diskutiert und, soweit dies möglich ist, überprüft werden.

Dabei stellen sich eine ganze Reihe von Einzelfragen: Welche Partizipationsformen stehen den in Deutschland lebenden Zuwanderern offen? Inwiefern unterscheiden sich „Ausländervereine" von deutschen Vereinen? Inwieweit dürfen Zuwanderer bei uns politisch partizipieren? Interessieren sie sich überhaupt für die deutsche Politik? Welche Ursachen könnte es haben, daß auch jüngere Einwanderer Vereine attraktiv finden, in denen nur Mitglieder der eigenen Zuwanderergruppe sind? Hat Religion eine größere Bedeutung für muslimische Immigranten als für andere Nationalitäten? Wovon hängt es ab, ob ein Migrant oder eine Migrantin sich einem deutschen Verein oder einem eigenethnischen Verein anschließt? Dies sind einige der Fragen, denen auf den folgenden Seiten nachgegangen werden soll.

Dabei soll sowohl auf die politische als auch auf die nicht-politische (im folgenden: soziale) Partizipation eingegangen werden. Dies hat nicht nur den Grund, daß in der Diskussion um die Möglichkeiten der politischen Partizipation der Zuwanderer oft der Verweis auf ihre religiösen und kulturellen Aktivitäten auftaucht, sondern ist auch der Tatsache zuzuschreiben, daß unpolitische Aktivitäten unter bestimmten Bedingungen in politische umschlagen können. Viele der Ausführungen und Überlegungen werden aufgrund der unzureichenden Datenlage vorläufigen Charakters sein. Es mangelt bislang trotz einer Vielzahl lokal beschränkter deskriptiver Studien an repräsentativen Umfragedaten, die eine Quantifizierung der einzelnen Beteiligungsformen und eine abschließende Analyse ihrer Ursachen und Folgen erlauben würde.

Die Studie gliedert sich in drei Teile: Die Ausführungen über die Ursachen und Voraussetzungen der Partizipation bilden den Gegenstand von Teil 1. Sie werden aufgrund der Datenlage weitgehend theoretischen Charakter haben. Im zweiten Teil wird dann nach einer kurzen Darstellung der bisherigen Forschungsergebnisse genauer auf die unterschiedlichen Partizipationsformen von Zuwanderern in der Bundesrepublik eingegangen.

[Seite der Druckausg.: 11 ]

Diese Ausführungen basieren teilweise auf eigenen Berechnungen mit den Daten des sozio-ökonomischen Panels. Dabei soll kein Überblick über die einzelnen Vereinigungen der verschiedenen Nationalitäten gegeben werden, sondern die Fragestellungen sollen exemplarisch - zumeist anhand der türkischen Immigranten, die die größte Zuwanderergruppe in der Bundesrepublik darstellen - ausgeführt werden. Auf einzelne Organisationen soll dabei nur eingegangen werden, um die unterschiedenen Grundtypen der Partizipation zu veranschaulichen. Im dritten Teil werden einige Aspekte der möglichen Auswirkungen der Partizipation in unterschiedlichen Typen von Vereinigungen auf den Integrationsprozeß diskutiert.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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