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TEILDOKUMENT:




Horst Bickel
Demenzkranke in Alten- und Pflegeheimen:
Gegenwärtige Situation und Entwicklungstendenzen
[Danksagung: Das diesem Bericht zugrundeliegende Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministers für Forschung und Technologie (Förderkennzeichen 0701777/0) gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentli chung liegt beim Autor. Ich danke sehr herzlich den Leitungen der Mannheimer Altenheime und den städtischen Ämtern für ihre beständige Unterstützung und den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen des Projekts (Dipl. - Psych. Christine Ambros, Barbara Schulze - Beerhorst, Tamara Ch. Uhlmann) für ihren großen Einsatz bei der Datenerhebung.]

Über die Heime und ihre Bewohner haben wir in Deutschland nur sehr lückenhafte Kenntnisse. Dies gilt nicht nur für den Gesundheitszustand und die Versorgungsbedürftigkeit der Bewohner, es gilt auch für Fragen der Inanspruchnahmewahrscheinlichkeit, der Verweildauer und ihrer Veränderungen in den zurückliegenden Jahren. Da eine maßstabsgetreue Beschreibung der Versorgungslage von Demenzkranken Informationen sowohl über die Verbreitung der Erkrankungen in der Altenbevölkerung als auch über den Anteil der Heimbewohner voraussetzt, soll im folgenden zunächst die allgemeine Inanspruchnahme von Heimen geschildert werden, bevor epidemiologische Resultate zu diesen Zahlen in Beziehung gesetzt werden.

Wegen des Mangels an überregionalen Daten beschränkt sich die Darstellung vorwiegend auf die Verhältnisse in der Stadt Mannheim. Die Ergebnisse sind deshalb nicht ohne weiteres zu verallgemeinern, dürften aber, da Mannheim den gleichen Anteil von über 65jährigen an der Bevölkerung und etwa den gleichen Anteil an Heimplätzen wie der Bundesdurchschnitt hat, innerhalb relativ enger Grenzen auch auf andere Regionen übertragbar sein.

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1. Inanspruchnahme von Alten- und Pflegeheimen

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (1992) gibt es in Deutschland rund 700.000 Plätze in Altenwohnheimen, Altenheimen und Pflegeheimen. Bezogen auf die Altenbevölkerung heißt das, daß weniger als 6% der 12 Millionen über 65jährigen in einem Heim betreut werden können. Dieser geringe Prozentsatz wurde oftmals dahingehend fehlinterpretiert, die Heime spielten eine untergeordnete Rolle bei der Versorgung der Älteren, da ja offenkundig fast 95% ihren Lebensabend in Privathaushalten verbringen.


Abbildung 1:
Anteile der Heimbewohner an der Altenbevölkerung Mannheims nach Altersgruppen



Dabei übersieht man jedoch, daß sich die stationäre Versorgung sehr ungleich auf die Altersgruppen jenseits von 65 Jahren verteilt und weitaus höhere Prozentsätze resultieren, wenn man die Altersgrenze nicht bei 65 Jahren, sondern erst bei 75 oder 80 Jahren zieht. Denn wie Abb. 1 zeigt, befindet sich nur eine verschwindende Minderheit der unter 75jährigen in Heimen, nämlich O,7% der 65-69jährigen und 1,9% der 70-74jährigen. Mit wachsendem Alter aber steigen die Anteile der Heimbewohner an der altersgleichen Bevölkerung steil an und zwar auf 5,1% der 75-79jährigen, 12,3% der 80-84jährigen, 23,1% der 85-89jährigen, nahezu 30% der 90-94jährigen und fast 40% der über 95jährigen. Die Hochbetagten, die nach demographischen Prognosen die am stärksten zunehmende Bevölkerungsgruppe sind, müssen somit zu einem beträchtlichen Prozentanteil stationär versorgt werden.


Abbildung 2:
Anteile der Heimbewohner an den Verstorbenen nach Geschlecht und Sterbealter


Nichtsdestoweniger verschleiert auch diese Darstellung noch die tatsächliche Bedeutung der Heime für die Versorgung älterer Menschen, die sich eindrucksvoller an der Zahl der Älteren ablesen läßt, die vor ihrem Tod in ein Heim eintreten. Abb. 2 bezieht sich auf die im Jahre 1992 in Mannheim verstorbenen über 65jährigen und zeigt an, welcher Anteil zum Zeitpunkt des Todes in einem Heim untergebracht war (Bickel 1994). Daraus ist zu ersehen, daß von den Frauen, die ein Lebensalter zwischen 65 und 69 Jahren erreichten, 8,5% stationär betreut wurden, und von denen, die älter als 85 Jahre wurden, sogar mehr als die Hälfte die letzte Lebenszeit in einem Heim verbrachte. Insgesamt ergibt sich, daß 36,7% der Frauen und 17% der Männer, die über 65 Jahre alt wurden, am Lebensende ein Heim in Anspruch nahmen. Nimmt man beide Geschlechter zusammen, so waren rund 29% im Altersverlauf für kürzere oder längere Zeit auf stationäre Betreuung angewiesen.

Abbildung 3:
Kumulative Wahrscheinlichkeit eines Heimeintritts im Altersverlauf


Die Wahrscheinlichkeit einer Heimaufnahme ist eng an das Lebensalter bzw. an die altersassoziierten Erkrankungen und Behinderungen gekoppelt. In Abb. 3 ist dargestellt, wie wahrscheinlich es ist, bis zu einem bestimmten Alter in ein Heim einzutreten. Daraus wird deutlich, daß die "jungen" Alten ein nur geringes Risiko aufweisen. Es beläuft sich bis zum Alter von 75 Jahren auf lediglich 5%. Jenseits von 75 Jahren steigt das Risiko - insbesondere das Risiko für eine Pflegeheimaufnahme - hingegen steil an und beträgt bis zum Alter von 85 Jahren 32%, bis 90 Jahre 56% und bis 95 Jahre etwa 75%. Im höchsten Lebensalter ist demnach ein Verbleib im Privathaushalt eher unwahrscheinlich, stationäre Versorgung in einem Heim indessen die Regel.

Tabelle 1:
Durchschnittliche Verweildauer in Heimen nach dem Alter bei Heimaufnahme (Angabe in Jahren)


Die Verweildauer ist umgekehrt proportional zum Eintrittsalter. Im Mittel beläuft sie sich für die Bewohner von Pflegeheimen, die im Alter von mehr als 65 Jahren aufgenommen wurden, auf 2,2 Jahre und vermindert sich von 4,4 Jahren bei einem Aufnahmealter zwischen 65 und 69 bis auf 1,1 Jahre bei einer Aufnahme im Alter von über 90.

Frauen verbringen durchschnittlich neun Monate länger im Pflegeheim als Männer. In den Wohn- und Altenheimen beträgt die mittlere Verweildauer 5,5 Jahre; sie verringert sich mit steigendem Alter bei Heimeintritt von 10,8 Jahren unter den 65-69jährigen auf 2,5 Jahre bei den über 90jährigen.

Tabelle 2
Prozentuale Verteilung der Verweildauer in Heimen

Hinter diesen Mittelwerten verbirgt sich allerdings eine große Streuung der Verweilzeiten, da viele Heimbewohner bald nach der Heimaufnahme verstarben. In Mannheim waren es, wie aus Tab. 2 hervorgeht, fast 50%, die das erste Jahr des Pflegeheimaufenthaltes nicht überlebten. Innerhalb von fünf Jahren waren 85,5% verstorben. Von den Altenheimbewohnern hingegen - das unterstreicht ihre im Vergleich mit den Pflegeheimbewohnern gänzlich verschiedenartige gesundheitliche Verfassung - verstarben im ersten Jahr nur 13%. 47% verblieben länger als fünf Jahre und 10% sogar länger als zwölf Jahre im Heim.

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2. Demenzkranke in Alten- und Pflegeheimen

Die Beschreibung der generellen Inanspruchnahme von Heimen sollte verdeutlichen, daß nicht nur eine unbedeutende Minorität der Älteren auf stationäre Versorgung angewiesen ist. Vielmehr verbringen fast 30% ihre letzte Lebenszeit in Heimen und zwar vor allem in Pflegeheimen, in denen sich zur Zeit ihres Todes rund 26% der über 65jährigen befinden. Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Demenzen, deren Prävalenz und deren Neuerkrankungsrisiko steil mit dem Alter ansteigt, die in den schwereren Krankheitsstadien zu umfassender Pflege- und Beaufsichtigungsbedürftigkeit führen und die ebenfalls im letzten Lebensabschnitt auftreten, da sie in der Regel irreversibel progredient verlaufen und bis zum Tode andauern?

Tabelle 3:
Prävalenz von Demenzen in Institutionen:
Resultate aus europäischen und nordamerikanischen Studien


Tab. 3 enthält die Ergebnisse einiger großangelegten internationalen Studien zur Prävalenz schwererer Demenzen in stationären Einrichtungen. Unter schwereren Demenzen sind die fortgeschrittenen Erkrankungsstadien zu verstehen, in denen die Betroffenen nicht mehr zur Bewältigung von Alltagsverrichtungen in der Lage sind, sondern beständiger Pflege und Aufsicht bedürfen. Obwohl also leichtere dementielle Störungen ausgeschlossen sind, zeigt sich, daß Demenzkranke in den skandinavischen und anglo-amerikanischen Ländern den überwiegenden Anteil der Plätze in stationären Einrichtungen in Anspruch nehmen. Unter Altenheimbewohnern schwanken die Prävalenzraten zwischen 17% und 36%; im Mittel leidet etwa einer von vieren an einer Demenz. In den Pflegeheimen reichen die Anteile von 51% bis 72% - durchschnittlich werden zwei Drittel als dement beurteilt - und sämtliche Institutionen zusammengenommen, die eine Langzeitversorgung für Ältere anbieten, sind es zwischen 35% und 69% aller Bewohner, die an einer Demenz erkrankt sind.

Diese Zahlen bestätigen die Resultate der aus methodischen Gründen nicht direkt vergleichbaren Untersuchungen in Deutschland (Cooper et al. 1984, Lehmkuhl et al. 1985, Steinkamp et al. 1993). Sie bewegen sich auch in derselben Größenordnung wie die Ergebnisse einer jüngeren, Ende 1994 abgeschlossenen Studie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim. Diese Untersuchung beschränkte sich nicht auf die Heimbewohnerschaft, sondern schloß die in Privathaushalten lebenden Älteren ein, indem sie in Form einer retrospektiven Längsschnittstudie den gesamten Altersverlauf einer Zufallsstichprobe von nahezu eintausend verstorbenen älteren Menschen nachzeichnete und festhielt, ob und wann sich eine Demenz entwickelt hatte und ob und wann stationäre Versorgung in Anspruch genommen wurde.

Wie Tab. 4 zeigt, ergab sich in dieser Studie, daß 43,7% aller intramural betreuten Älteren an einer Demenz litten. Unter den Heimbewohnern, die in ein Wohn- oder Altenheim eingetreten waren, belief sich der Anteil der Dementen auf weniger als 20%, von den Pflegeheimbewohnern hingegen waren mehr als 60% an fortgeschrittenen Demenzen erkrankt. Über die Hälfte der Demenzen entsprach den diagnostischen Kriterien für eine Alzheimer Krankheit, ein Drittel ging auf vaskuläre Ursachen zurück und weniger als 10% entfielen auf spezifische oder nicht näher bekannte Ursachen. Die diagnostische Verteilung entsprach damit der Verteilung, die man auch in Untersuchungen an der gesamten Altenbevölkerung fand.

Tabelle 4:
Prävalenz von Demenzerkrankungen und von Schweerpflegebedürftigkeit unter Heimbewohnern nach Art des Heimes bei Erstaufnahme


Männliche Heimbewohner waren in größerem Umfang von Demenzen betroffen als weibliche. Zwei Drittel der Männer litten an einer Demenz, während es unter den Frauen weniger als 40% waren. Dieses Ergebnis erklärt sich vor allem dadurch, daß in den Wohn- und Altenheimen mit ihren vergleichsweise geringen Anteilen von Demenzkranken nahezu ausschließlich Frauen lebten. Berücksichtigt man nur die Pflegeheimbewohner, so gleichen sich die Prävalenzraten von weiblichen und männlichen Bewohnern stärker aneinander an.

Wie des weiteren aus Tab. 4 hervorgeht, war etwa die Hälfte aller Heimbewohner schwerpflegebedürftig - 15,3% in den Wohn- und Altenheimen, 78,2% in den Pflegeheimen. Bemerkenswert erscheint dabei vor allem die enge Verknüpfung von Pflegebedürftigkeit und Demenzerkrankung, denn nicht weniger als 82% aller schwerpflegebedürftigen Bewohner waren dement und 93% der dementen Bewohner waren schwerpflegebedürftig.

Das führt zu der Frage, ob die Demenzen in ähnlichem Ausmaß ursächlich verantwortlich für den Heimeintritt waren oder ob sie eher als Begleiterkrankungen zu verstehen waren bzw. sich sogar erst nach der Heimaufnahme entwickelten. Nach den in Tab. 5 dargestellten Ergebnissen, die auf Angaben der Angehörigen, der Heimleitungen und des Pflegepersonals beruhen, ist festzustellen, daß Demenzen nicht nur sehr häufig unter Heimbewohnern sind, sondern daß sie auch mit großem Abstand der wichtigste Grund für den Eintritt in ein Heim waren. In mehr als der Hälfte aller Fälle waren sie für die Aufnahme in ein Pflegeheim ausschlaggebend und in 18% der Fälle für die Aufnahme in ein Altenheim. Sämtliche Heimeintritte zusammengenommen, wurden 43% wegen einer Demenzerkrankung und den damit verbundenen Einschränkungen der Selbstversorgungsfähigkeit erforderlich. Dieses Resultat deckt sich mit den Befunden von Bergener et al. (1976), die schon in den 70er Jahren in Nordrhein-Westfalen bei 49% der Neuaufnahmen in ein Heim ein hirnorganisches Psychosyndrom diagnostizierten und es liegt noch deutlich unter dem Anteil von 67,4% Dementen an den neuaufgenommenen Pflegeheimbewohnern, den Rovner et al. (1990) aus den USA berichteten.

Tabelle 5:
Ursachen des Heimeintritts nach Heimtyp


Ferner zeigen die Ergebnisse, daß sich die Demenzen überwiegend außerhalb des Heimes entwickelten und im weiteren Verlauf zur Einweisung führten, nachdem zuvor Angehörige oder andere Pflegepersonen für kürzere oder längere Zeit die Versorgung gewährleistet hatten. Sofern sich die Demenzerkrankungen erst während des Heimaufenthaltes einstellten, was bei weniger als einem Viertel aller Betroffenen der Fall war, so handelte es sich entweder um Personen, die bereits mit leichteren dementiellen Störungen ins Heim eingetreten waren, oder - in der Mehrheit der später manifest werdenden Erkrankungen - um Bewohner von Wohn- und Altenheimen, die die Störungen erst nach langjährigem Aufenthalt in den Heimen entwickelten.

Es scheint das Schicksal eines überwiegenden Anteils der dementen Älteren zu sein, früher oder später in einem Heim versorgt werden zu müssen. Selbst wenn pflegende Angehörige zur Verfügung stehen, kommt für viele irgendwann im Krankheitsverlauf der Zeitpunkt, an dem sie sich entschließen, den Demenzkranken in einem Pflegeheim unterzubringen. Aus amerikanischen Untersuchungen ist bekannt, daß innerhalb eines Jahres zwischen 20% und 30% aller Dementen in ein Pflegeheim eingewiesen werden (Lieberman & Kramer 1991, Welch et al. 1992) und über die gesamte Dauer der Erkrankung betrachtet schließlich drei Viertel der Patienten die letzte Lebenszeit im Heim verbringen. Nicht nennenswert anders verhält es sich in Deutschland. Nahezu 30% der Dementen wurden nach Befunden aus Mannheim (Bickel et al. 1993) und München (Haupt & Kurz 1993) im Verlauf eines Jahres in Heime aufgenommen. Haupt & Kurz (1993) konnten feststellen, daß die Wahrscheinlichkeit einer Heimeinweisung umso höher wurde, je älter der Demente und je stärker er beeinträchtigt war, je häufiger er die Kontrolle über Blase und Mastdarm verlor und je mehr er Depressionen und Verhaltensstörungen zeigte. Das heißt, es endete Jahr für Jahr nicht nur ein hoher Anteil der Dementen in einem Heim, sondern es handelte sich dabei auch um die Gruppe der am stärksten pflegebedürftigen und in der Versorgung belastendsten Patienten.

Bei wievielen Kranken schließlich eine stationäre Betreuung unausweichlich wird, zeigt Tab. 6. Hier ist, getrennt nach Altersgruppen, dargestellt, welcher Anteil der Demenzkranken im Vergleich mit den nicht-dementen Älteren sein Lebensende in einem Heim verbrachte. Wie daraus zu ersehen ist, gab es in bezug auf Wohn- und Altenheime praktisch keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. In Pflegeheimen befanden sich indessen vor ihrem Tod 60% aller Demenzkranken; nur 35% verblieben bis zuletzt in Privathaushalten. Von den Nicht-Dementen hingegen waren nur 10% im Pflegeheim untergebracht; 86% nahmen bis zu ihrem Lebensende keine der stationären Versorgungsformen in Anspruch.


Tabelle 6:
Wohnform der nicht-dementen und der dementen Verstorbenen am Lebensende

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3. Entwicklungstendenzen

Obwohl auch in den zurückliegenden Jahrzehnten viele der Pflegeheimbewohner dement waren, veranschlagte man den Prozentanteil der intramural versorgten Patienten an der Gesamtheit der Demenzkranken noch zu Beginn der 80er Jahre auf lediglich etwa 20% (Cooper & Sosna 1983). Vier Fünftel der Betroffenen, so schätzte man, würden in ihrer häuslichen Umgebung von Familienangehörigen betreut. Von ähnlichen Zahlenverhältnissen wird bis heute ausgegangen, wie ein Blick in Publikationen aus jüngerer Zeit zeigt. Die vorliegenden Resultate deuten jedoch darauf hin, daß diese Relationen nicht mehr zutreffen, es sei denn, man rechnete auch die weniger schwerwiegenden, sog. leichten Demenzen, die noch eine weitgehend selbständige Lebensführung erlauben, zur Gesamtzahl der Krankheitsfälle hinzu. Beschränkt man sich indessen auf die fortgeschrittenen Erkrankungen, die mit einer autonomen Existenz unvereinbar sind, dann kommt man zu einer anderen Einschätzung.

Mittlerweile wissen wir, daß in vielen industriellen Ländern die Hälfte und mehr aller Demenzkranken stationär betreut werden. Auf diesen Anteil scheinen wir uns auch in Deutschland zuzubewegen. Nach den Befunden aus Mannheim werden derzeit rund 40% der Patienten mit einer mittelschweren oder schweren Demenz in Heimen versorgt und 60% in Privathaushalten. Es wäre unangebracht, aus diesem Rückgang des Anteils der häuslich Betreuten eine Verminderung der Pflegebereitschaft der Angehörigen abzuleiten, zumal etwa 30% der Älteren überhaupt keine Nachkommen haben, die im Bedarfsfall die Betreuung übernehmen könnten. Man muß aber feststellen, daß häusliche Pflege häufiger in den frühen und mittleren Krankheitsstadien geleistet wird und nur ein Drittel der Dementen bis zu ihrem Tod in Privathaushalten verbleiben, während die Pflegeheime insbesondere die schwereren Krankheitsstadien versorgen und die Betreuung von zwei Dritteln der Dementen in den Endphasen der Erkrankung gewährleisten.

Die weiterhin steigende Lebenserwartung wird die absolute Zahl von Patienten in den kommenden Jahren zweifellos erhöhen, denn es handelt sich bei den Demenzen um Erkrankungen, deren Entstehungsrisiko eng an das Lebensalter gekoppelt ist, deren altersbezogene Inzidenz sich in den letzten Jahrzehnten nicht vermindert hat, denen man noch nicht oder nur in engen Grenzen vorbeugen kann und die man, von wenigen Ausnahmen abgesehen, derzeit nicht erfolgreich behandeln kann. Da die Demenzen zu völliger Abhängigkeit von Pflegepersonen führen, im Familienkreis aber häufig niemand für die Pflege vorhanden oder zur Pflege in der Lage ist, wird vermehrt auf die stationäre Altenhilfe zurückgegriffen werden müssen. Die ambulanten Dienste können bei ihrem gegenwärtigen Leistungsangebot nur einen ergänzenden Beitrag zur familiären Pflege leisten und die psychiatrischen Krankenhäuser haben sich seit dem Ende der 70er Jahre fast vollständig aus der Langzeitversorgung chronisch psychisch kranker Älterer zurückgezogen. Dadurch wird die Betreuung im Pflegeheim zur Regelversorgung für den Demenzkranken, der keine Angehörigen hat oder nicht länger von Angehörigen gepflegt werden kann.

Es gibt derzeit weder Anzeichen dafür, daß sich die gesundheitliche Lage der Altenbevölkerung in absehbarer Zukunft spürbar verbessern wird, noch dafür, daß der Bedarf an Pflegeplätzen zurückgehen wird. Im Laufe der letzten zehn Jahre, in denen die ambulante Versorgung - nicht zuletzt in der Hoffnung auf eine Entlastung des stationären Bereichs - ausgebaut wurde, ließ sich ein solcher Nachfragerückgang nicht beobachten. In der Stadt Mannheim z.B. ist der Heimbewohneranteil zwischen 1982 und 1992 sogar erheblich angestiegen.



Abbildung 4:
Anteile der Heimbewohner



Abbildung 5:
Anteile der Heimbewohnerinnen

Den Abbildungen 4 und 5 ist zu entnehmen, daß sich der Anteil der vor ihrem Tod in einem Heim untergebrachten Älteren auf allen Altersstufen erhöht hat. Waren im Jahre 1982 insgesamt noch weniger als 20% der über 65jährigen am Lebensende in stationärer Versorgung (Bickel & Jaeger 1986), so waren es im Jahre 1992 fast 30%.

Aus dem deutlich angestiegenen Durchschnittsalter bei der Heimaufnahme wird gelegentlich gefolgert, der Heimeintritt habe sich zumindest verzögert. Ältere hilfsbedürftige Menschen blieben heute längere Zeit in ambulanter Versorgung, kämen deshalb in höherem Alter erst in ein Heim und nähmen folglich die Heime auch nur für kürzere Zeit in Anspruch. Diese Annahmen erweisen sich jedoch nach den vorliegenden Daten als Trugschluß. Zwar ist auch in Mannheim das mittlere Alter bei Heimaufnahme innerhalb des letzten Jahrzehnts um mehr als zwei Jahre angestiegen, auf den einzelnen Altersstufen aber hat sich die Wahrscheinlichkeit des Heimeintritts keineswegs vermindert, sie ist im Gegenteil sogar noch geringfügig angestiegen. Das höhere Eintrittsalter erklärt sich nämlich einfach dadurch, daß es in jüngerer Zeit weitaus mehr hochbetagte Menschen als noch vor zehn Jahren gab. Nur wenn die Alterszusammensetzung der über 65jährigen die gleiche geblieben wäre, könnte man einen Verzögerungseffekt vermuten. Außerdem sprechen auch die Verweildauern gegen eine tatsächliche Hinauszögerung der Heimaufnahme, denn sie müßten sich eigentlich verkürzt haben, wenn der Heimeintritt heute später als in früheren Jahren erfolgte. Im Gegensatz dazu hat sich die Verweildauer auf Pflegeplätzen jedoch in allen Altersgruppen - mit Ausnahme der über 90jährigen, bei denen sie gleich geblieben ist - um durchschnittlich fünf Monate erhöht.

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4. Resümee

Demenzerkrankungen scheinen die mit Abstand häufigste Ursache für eine Heimeinweisung zu sein. Fast zwei Drittel der Betroffenen müssen schließlich im Verlauf ihrer Erkrankung stationäre Versorgung in Anspruch nehmen. Auf der Basis unserer Untersuchung in Mannheim ist zu vermuten, daß etwa 40% aller Heimbewohner und mehr als 60% aller Pflegeheimbewohner an einer fortgeschrittenen Demenz leiden. An den schwerpflegebedürftigen Heimbewohnern haben die Dementen sogar einen Anteil von mehr als vier Fünfteln.

Ferner deuten die Ergebnisse darauf hin, daß mittlerweile 40% der Demenzkranken intramural und nur noch 60% in der häuslichen Umgebung betreut werden. Diese hohe Zahl steht im Gegensatz zu den bisherigen Schätzungen, die von weitaus geringeren Anteilen dementer Heimbewohner ausgingen. Sie liegt aber noch unterhalb der Zahlen aus anderen westlichen Industrieländern, die ebenfalls unterstreichen, daß die Demenzerkrankungen zum größten Gesundheits- und Versorgungsproblem im höheren Lebensalter geworden sind.

Eine Extrapolation der Mannheimer Resultate auf die Altenbevölkerung in Deutschland kann naturgemäß nur einen groben Orientierungsrahmen bieten. Demnach aber befänden sich bis zu 300.000 der schätzungsweise rund 750.000 Dementen mit schwereren Erkrankungsstadien in einer Einrichtung der stationären Altenhilfe. Von den jährlich frei werdenden und neu zu belegenden 225.000 HeimPlätzen würden 90.000 aufgrund einer dementiellen Erkrankung in Anspruch genommen. Dies entspricht einem Anteil von 40% an den Neuaufnahmen und einer Einweisungsrate unter den noch in Privathaushalten versorgten 450.000 Dementen in Höhe von jährlich 20%. Schreibt man die Prävalenzraten auf der Basis der demographischen Vorausschätzungen fort, so ist innerhalb der nächsten drei Jahrzehnte ein Anstieg der Zahl von Demenzkranken um mehr als 40% zu erwarten, d.h. von derzeit 750.000 Fällen auf mehr als eine Million. Schon bei gleichbleibenden Anteilen von stationärer und häuslicher Versorgung ergäbe sich dadurch eine Zahl von über 400.000 dementiell erkrankten Heimbewohnern.

Man muß aber nicht die künftigen Entwicklungen bemühen, um zu dem Schluß zu kommen, daß sowohl im Interesse der Patienten als auch im Interesse der Einrichtungen und ihrer Mitarbeiter eine dringende Aufgabe darin besteht, die gerontopsychiatrische Betreuung der Heimbewohner zu verbessern, die Ausbildung der Pflegekräfte stärker an den durch die hohe psychiatrische Morbidität in den Heimen gegebenen Erfordernissen auszurichten und sich noch nachdrücklicher um geeignete stationäre Versorgungsangebote zu bemühen.

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