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Christian Dufour
Beschäftigungspolitik in Frankreich - Maßnahmen für Geringqualifizierte



[Seitenzählung analog zur Druck-Ausgabe: Seite 37]


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1. Die Arbeitslosigkeit und ihre Entwicklung



1.1. Umfang und Entwicklung der Arbeitslosigkeit

Die Arbeitslosigkeit nimmt in Frankreich bei einer gleichbleibenden Anzahl von Arbeitsplätzen immer mehr zu. Die Arbeitslosenquote liegt ungefähr bei 13% der erwerbstätigen Bevölkerung.

Zwischen 1991 und 1997 (dies ist für eine längere Zeitdauer nicht ganz repräsentativ)

  • ist die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer konstant geblieben;
  • hat die Arbeitslosigkeit bis 1997 stark zugenommen;
  • wäre ohne staatlich geförderte Arbeitsverträge die Arbeitslosigkeit stärker gestiegen;
  • sind die meisten Arbeitslosen Frauen; bei Frauen unter 24 Jahren ist die Arbeitslosenquote besonders hoch;
  • hat die Frauenerwerbstätigkeit zugenommen; Frauen sind öfter halbtags beschäftigt;
  • ist die Zahl der Arbeitnehmer gestiegen, die Zahl der "Freiberufler" gesunken;
  • haben unsichere Beschäftigungsverhältnisse zugenommen;
  • sind Arbeitnehmer ohne Ausbildung von Arbeitslosigkeit stärker betroffen; die Anzahl ausgebildeter Arbeitsloser steigt jedoch schneller.


1.2. Besonders betroffene Personengruppen

Die etwa 3,5 Millionen Arbeitslosen stellen eine sehr heterogene Gruppe dar. Diese läßt sich nicht einfach analysieren. Die Wege, die in die Arbeits-

[Seitenzählung analog zur Druck-Ausgabe: Seite 38]

losigkeit führen, sind sehr unterschiedlich. Es ist jedoch möglich, für Frankreich einige typische Merkmale zu identifizieren:

  • Der Mangel an neuen Arbeitsplätzen ist zwar ein Grundproblem, aber die ungleiche Verteilung der vorhandenen Arbeitsplätze zwischen den verschiedenen sozialen Schichten ist symptomatisch;
  • Nur ein Drittel der Jugendlichen unter 24 Jahren ist berufstätig. D.h. einerseits, daß viele immer länger in den Schulen bzw. den Universitäten bleiben und andererseits, daß, wenn sie auf den Arbeitsmarkt kommen, sie nur schwer einen Arbeitsplatz finden. Die Arbeitslosigkeit der Jugendlichen in Frankreich ist zu einem großen Problem geworden. Es gibt heute viele Jugendliche (bis 30 Jahre), die noch nie einen festen Arbeitsplatz besessen haben.
  • Die Langzeitarbeitslosigkeit nimmt zu. 37% der Arbeitslosen ist im Juni 1997 länger als ein Jahr in dieser Situation.


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2. Institutionen und Strukturen

Zwei Institutionen sind in Frankreich dafür verantwortlich, den Arbeitslosen zu helfen:

  • UNEDIC (Union Nationale Interprofessionelle pour l'Emploi dans l'lndustrie et le Commerce - Nationaler branchenübergreifender Verband für die Beschäftigung in der Industrie und im Handel).

    Dieser Verband, 1958 von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden gegründet, erhebt die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Sehr lange hat diese Einrichtung nur die Aufgabe einer finanziellen Unterstützung wahrgenommen. Seit kurzem ist sie auch in der aktive Arbeitsmarktpolitik präsent. Sie ist die Institution, die das Arbeitslosengeld verteilt. Sie ist paritätisch zusammengesetzt und hat eine starke sozialpolitische Bedeutung. Diese Zusammenarbeit hat in Frankreich ihren besonderen sozialen Stellenwert. Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden sind in der Regel sehr schwierig, aber diese Institution sichert in Frankreich den Stellenwert der Organisationen, die sie bilden.

    Der Staat ist jedoch immer stärker gezwungen, hier mitzuwirken, weil er sich stärker an der finanziellen Ausstattung von UNEDIC beteiligen

    [Seitenzählung analog zur Druck-Ausgabe: Seite 39]

    muß. Der Staat überträgt dieser Institution auch die Verantwortung, bestimmte Hilfen zu verteilen oder spezifische Maßnahmen an die Berechtigten weiterzuleiten wie Frühpensionierung, berufliche Bildung etc. So wurde z.B. 1994 vom Staat und UNEDIC gemeinsam eine neue Beschäftigungsmaßnahme entwickelt und durch die Regierung finanziert (TRILD, Temps réduit indemnisé de long durée): Diese Maßnahme erlaubt es den Unternehmen, ihre Arbeitnehmer langfristig weniger Stunden arbeiten zu lassen, anstatt Entlassungen vorzunehmen. Eine Tendenz zur Ausweitung der Maßnahmen zeichnet sich ab, wie eine im Februar 1994 zwischen Staat und Sozialpartnern getroffene Vereinbarung zeigt.

    UNEDIC ist auch ein interessantes Modell, um spezifische Branchenprobleme zu regeln.

  • ANPE (Agence Nationale pour l'Emploi - Nationale Anstalt für Beschäftigung).

    Sie hat das alleinige Recht, die Vermittlung von Arbeitslosen auf neue Arbeitsplätzen vorzunehmen. Ihr Etat wird vom Staat finanziert. Theoretisch sollen die Arbeitgeber ihre Nachfrage nach Arbeitnehmern immer an die ANPE weiterleiten. ANPE ist eine staatliche Institution, die Sozialpartner können jedoch ihre Orientierung beeinflussen. Sie organisiert selbst Weiterbildungsmaßnahmen für unterschiedliche Zielgruppen oder gibt sie in Auftrag. Sie kann für Berechtigte auch spezifische Beschäftigungsmaßnahmen entwickeln.

    Sie ist nicht die einzige staatliche Institution, die für Beschäftigungsmaßnahmen zuständig ist. Weitere wurden gegründet, um direkt oder indirekt Beschäftigungsmaßnahmen zu organisieren oder zu finanzieren (z.B. Bildungsinstitutionen, "Alternative" Unternehmen).



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3. Die Maßnahmen

Bei den Maßnahmen lassen sich vier Zielrichtungen unterscheiden:

  1. Maßnahmen, die die Arbeitskosten senken, um dadurch neue Arbeitsplätze zu schaffen. Der Einsatz dieser Maßnahmen ist an die Einstellung von Arbeitslosen geknüpft. Ziel ist es, Arbeitslose wieder in ein Arbeitsverhältnis zu bringen.
  2. Maßnahmen, um von Arbeitslosigkeit Bedrohten Unterstützung zu sichern, indem ihre neuen Arbeitsplätze teilfinanziert werden.

    [Seitenzählung analog zur Druck-Ausgabe: Seite 40]


    Bild Seite 40:
    Die wesentlichen Instrumente zur Beschäftigungsförderung



    [Seitenzählung analog zur Druck-Ausgabe: Seite 41]

  3. Maßnahmen, die Jugendlichen helfen, berufliche Erfahrungen zu sammeln.
  4. Maßnahmen, die darauf zielen, Entlassung zu vermeiden, wie z.B. Arbeitszeitverkürzung, Kurzarbeit.


3.1. Maßnahmen zu Verringerung der Arbeitskosten

Eine Senkung der Arbeitskosten wird erreicht, indem der Staat anstelle des Unternehmens einen Teil der Sozialbeiträge zahlt. Solche Maßnahmen gelten für Arbeitnehmer, die niedrige Löhne erhalten (zwischen 1,2 und 1,6 SMIC, d.h. 6.000 Francs bis 8.000 Francs bzw. 1.700 DM bis 2.300 DM). Diese Hilfen werden gewährt, wenn Unternehmen neu gegründet oder bestehende weitergeführt werden. Die Mittel werden auch gezahlt, wenn Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit verkürzen. 1995 wurden von dieser Maßnahme 3,5 Millionen Arbeitnehmer erfaßt. Der Staat hat dafür Mittel in Höhe von 11,4 Mrd. Francs (ca. 3,5 Mrd. DM) aufgewendet.

Seit Dezember 1994 existiert auch ein sogenannter Chèque Emploi Service (Dienstleistungsscheck). Dieser Scheck ist für Haushalte oder kleine Unternehmen verfügbar. Er ist in Banken und bei der Post zu erwerben. Er kann genutzt werden, um Haushaltshilfen zu bezahlen. Seine Verwendung bringt Steuervorteile. 1995 haben 106.000 Haushalte Arbeitgeber diese Schecks genutzt, und damit für 100.000 Arbeitnehmer Beschäftigung ermöglicht.

Geringere Sozialbeiträge zahlen auch Arbeitslose, die ein Unternehmen gründen.

3.2. Maßnahmen für von Arbeitslosigkeit Bedrohte

Da inzwischen 1,3 Millionen Menschen länger als ein Jahr arbeitslos sind, werden zahlreiche Programme etabliert, um ihre Rückkehr in Beschäftigung zu erleichtern. Heute kann man Programme für unterschiedliche Zielgruppen unterscheiden:

  • Arbeitslose, die älter als 50 Jahre sind,
  • junge Arbeitslose, die nie beschäftigt waren,
  • behinderte Arbeitslose.

[Seitenzählung analog zur Druck-Ausgabe: Seite 42]

Nimmt man das Jahr 1994 als Referenzjahr, kann man eine Reihe von Maßnahmen nennen: [Fn 1: 1997 sind diese Maßnahmen nicht alle in Kraft. Aber andere Hilfen werden angeboten, die ähnlich wirken. Die Daten stehen aber nur mit zeitlicher Verzögerung zur Verfügung.]

Sogenannte Contracts de Retour à l'Emploi (Arbeitsrückkehrverträge) können von privaten Unternehmen in Anspruch genommen werden. 1994 waren davon mehr als 170.000 Menschen betroffen. Weitere Contracts Emploi Solidarité (Arbeits- und Solidaritätsverträge) sind für öffentliche oder nicht kommerzielle Unternehmen bestimmt. 1994 waren hiervon 410.000 Menschen betroffen.

Zu diesen Programmen kann man auch die Hilfen für die Associations Intermédiaires (Beschäftigungsgesellschaften) oder Entreprises d'lnsertion (Unternehmen zur Wiederbeschäftigung oder zur ersten Beschäftigung) zählen. Ca. 750.000 Menschen wurden mit diesen Programmen unterstützt.

3.3. Maßnahmen für Jugendliche

Mit zahlreichen Anleihen beim deutschen dualen System wurden Initiativen ins Leben gerufen, um Jugendliche vollzeit oder teilzeit in Betrieben auszubilden. 1994 waren 440.000 Jugendliche in derartigen Maßnahmen beschäftigt. Die Arbeitgeberverbände haben ein Protokoll unterzeichnet, um diese Maßnahmen ganz besonders zu fördern.

3.4. Maßnahmen zur Vermeidung von Entlassungen

Weil Arbeitslosigkeit häufig Folge von Entlassungen ist (500.000 - 600.000 pro Jahr) werden verschiedene Maßnahmen erprobt, um Entlassungen zu vermeiden. Ein Gesetz (loi quinquennale) sieht Mittel vor, um die Betriebe zu motivieren, ihr Personal zu halten und statt dessen Arbeitszeitverkürzungen vorzunehmen. In diesen Fällen hilft UNEDIC mit, um während einer Zeit von 12-18 Monaten die Löhne weiter zu zahlen. 1995 wurden im Rahmen dieser Maßnahmen 315 Verträge für 800.000 Arbeitsstunden abgeschlossen.

Diesen Maßnahmen kann man auch die Umstellungsverträge zuordnen. Von solchen Verträgen waren mehr als 150.000 Personen betroffen.

[Seitenzählung analog zur Druck-Ausgabe: Seite 43]

Insgesamt wurden im Jahr 1994 mehr als 2,4 Millionen Personen durch Maßnahmen in diesem Bereich unterstützt.

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4. Konzepte, Akteure und die Diskussion

In Frankreich beinhaltet Arbeitsmarktpolitik vorrangig bzw. nahezu ausschließlich staatliche Maßnahmen. Die Institutionen, die diese Maßnahmen entwickeln sind sehr direkt mit politischen Institutionen und Interessen verbunden. Das kann man am Zusammenhang zwischen politischen Veränderungen und der Entwicklung neuer Maßnahmen deutlich erkennen: Jede neue Regierung hat eine ganze Reihe von "neuen" Maßnahmen geschaffen. Inzwischen ist es sehr schwierig geworden, darüber einen klaren Überblick zu behalten. [Fn 2: Der "Rapport Péricarde" (Assemblé nationale, juin 1996) nennt 81 Maßnahmen, die zwischen 1973 und 1996 durchgeführt wurden. Davon waren im Juni 1996 noch 33 gültig. Diese Zahl enthält nur die "bedeutendsten" Maßnahmen ("Principales mesures").]

Es gibt aber eine ausgeprägte Kontinuität zwischen den Regierungen und den Maßnahmen, auch wenn diese Maßnahmen nach einem Regierungswechsel ihren Namen wechseln. Sie sind immer dafür vorgesehen, besonderen Adressatengruppen zu helfen: jungen Leuten, alten Leuten, gering qualifizierten Arbeitslosen. Dies nicht nur wegen deren Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden, sondern auch, weil die soziale Stabilität des Landes gefährdet werden kann.

Deshalb werden in Frankreich unter dem Stichwort "Arbeitsmarktpolitik" Maßnahmen zusammengefaßt, die für diese verschiedenen Gruppen Hilfen bereitstellen. Politisches Ziel ist es, die "soziale Ausschließung" (exclusion sociale) zu bekämpfen. Dies ist sowohl für linke wie für rechte Parteien ein vorrangiges Thema.

Es ist jedoch fraglich und wird heftig diskutiert, ob die Vielfalt der Maßnahmen einen Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindert hat.

Bei einer Bewertung dieser Maßnahmen ist es erforderlich, verschiedene Beurteilungskriterien anzuwenden. Es scheint ziemlich eindeutig, daß die Maßnahmen mehr konjunkturell als strukturell wirken. Das gilt für die arbeitsplatzerhaltenden Maßnahmen (Frühverrentung etc.) aber auch Maßnahmen der Berufsausbildung. Die Arbeitsmarktpolitik kann insgesamt als

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eine flankierende Politik bezeichnet werden. Die Kosten steigen mit zunehmender Arbeitslosigkeit, aber sie führen nicht zu einer Tendenzänderung. Die Konsequenzen sind sehr problematisch, weil die schlechte Stimmung in der Bevölkerung zu Reaktionen führt.

Auch im wirtschaftlichen Bereich hat diese Stimmung ihre Effekte: Im Herbst 1994 haben in Frankreich die Verbraucher eine sehr vorsichtige Haltung eingenommen und der Verbrauch ist kräftig gesunken. Eine Deflationsspirale ist zukünftig nicht auszuschließen. Ein Grund ist die steigende Sparquote der Bevölkerung. Dies hat zur Folge, daß die Unternehmen schlechte Zeiten erwarten und ihre Produktionskapazitäten verringern.

Eine lange und heftige Diskussion über den Franc und über sein Verhältnis zur deutschen Mark hat vor 13 Jahren begonnen. Die sozialistische Regierung hat sich für einen "Franc fort" (starken Franc) entschieden. Seitdem haben sich alle wirtschaftlichen Entscheidungen an dieser grundlegenden politischen Entscheidung ausgerichtet. Eine Hoffnung war, daß ein vereintes Europa neue Arbeitsplätze schafft. Zu recht oder zu unrecht ist heute in großen Teilen der Bevölkerung die feste Überzeugung entstanden, daß Europa gegen die Interessen der sozial schwachen Franzosen wirkt. Das ist eine politische Situation, in der eine rechtsextreme Bewegung, wie die von Le Pen, ihren Anfang genommen hat und von der sie noch weiter profitieren wird.

Es ist vielleicht ein Signal, daß neuerlich Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände wieder eine fruchtbare Diskussion aufgenommen haben. Neue Vereinbarungen auf nationaler Ebene wurden geschlossen, um durch Frühverrentung und Veränderung der Arbeitszeit zwar keine neuen Arbeitsplätze zu schaffen, aber Arbeitslosen Beschäftigungsmöglichkeiten zu eröffnen.

Man kann vermuten, daß Frankreich auf nationaler Ebene nicht nur an einem Politikdefizit leidet, sondern zu allererst an einem Defizit beim Engagement der Akteure, die auf Branchen- und Betriebsebene Entscheidungen und Kompromisse entwickeln und durchsetzen können.

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5. Welche Bilanz kann aus der Bekämpfung der Geringqualifizierung gezogen werden?

Die Geringqualifizierung als Ursache für Arbeitslosigkeit ist ein altbekanntes Thema und war Gegenstand zahlreicher struktureller und konjunktureller Maßnahmen.

[Seitenzählung analog zur Druck-Ausgabe: Seite 45]

Schon zu Beginn der achtziger Jahre wurde das Ziel einer besseren Ausbildung der Jugendlichen in den Vordergrund gerückt. Nach dem französischen Verständnis von Ausbildung wird dies zuerst über eine Verlängerung der Schulzeit erreicht. Anerkanntes vorrangiges Ziel war, daß mehr als 80% einer Altersgruppe die allgemeine Hochschulreife erlangen sollten. Heute ist dieses Ziel fast erreicht. Dennoch kann man nicht feststellen, daß die Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt weniger "gefährdet" wären. Einerseits verringern sich die entsprechenden Arbeitslosenquoten unter Jugendlichen nur geringfügig und andererseits sind die ihnen angebotenen Arbeitsverträge zunehmend unsicherer Natur.

Versuche, dieser Schulzeitverlängerung durch Eingliederungsmaßnahmen in Betriebe zu begegnen und zwar mit dem Hinweis auf eine bessere Anpassung auf dem Arbeitsmarkt, können auch nicht vollständig überzeugen. Sicherlich ermöglichen sie den betroffenen Personen einen ersten Kontakt mit Unternehmen. Sie verhelfen dann auch zu einer besseren Position auf dem Arbeitsmarkt. Da diese Maßnahmen sehr oft mit steuerlichen Einstellungsanreizen verknüpft sind, kann jedoch vermutet werden, daß sie auf einen empfindlichen Bereich des Arbeitsmarktes eher destabilisierend wirken.

Die Ausbildung von geringqualifizierten Arbeitslosen hat zu zahlreichen Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen geführt. Im allgemeinen sind diese Maßnahmen recht wirkungsvoll. Die entsprechenden Zielgruppen - Langzeitarbeitslose, ältere Arbeitnehmer, Wiedereinsteigerinnen in den Beruf, Arbeitnehmer mit keinem oder niedrigem Schulabschluß - die diese Maßnahmen nutzen, haben eine deutlich verbesserte Chance, einen Arbeitsplatz zu finden. Wie bei den meisten der anderen Maßnahmen auch, sollte man diesen Modellen jedoch keine Tugenden zuschreiben, die sie nicht haben; den betroffenen Personen wird geholfen, doch die betroffenen Gruppen werden vom Volumen her gesehen nicht weniger.

Bei der Ergebnisanalyse der verschiedenen Maßnahmen muß man zwei Ergebnistypen voneinander unterscheiden:

  • die maßnahmenspezifischen Ergebnisse im Hinblick auf die hiervon profitierenden Personen. Diese Maßnahmen sind insgesamt (Ausnahmen bestehen) von hoher Güte und zwar vor allem dann, wenn den Personen ermöglicht wird, eine stärkere Anpassungsfähigkeit zu erwerben:

    [Seitenzählung analog zur Druck-Ausgabe: Seite 46]

    Erwerb von Wissen, Erwerb von Techniken, Kontaktaufnahme mit Unternehmen. Man kann sagen, daß mittlerweile Techniken für die berufliche Rehabilitation für breite und unterschiedlichste Arbeitnehmergruppen verfügbar sind.

  • die Ergebnisse der Maßnahmen am Arbeitsmarkt selbst. Zum heutigen Zeitpunkt ist es zumindest unwahrscheinlich, daß die ergriffenen Maßnahmen zu einer Schaffung von neuen Arbeitsplätzen führen. Sie helfen den Arbeitgebern zwar, gewisse Kosten zu senken, aber mittlerweile besteht Einvernehmen darüber, daß die Frage der Kosten bei der Schaffung von Arbeitsplätzen nicht allein ausschlaggebend ist; dies gilt vor allem für geringqualifizierte Arbeitnehmer. Eine Gefahr besteht darin, daß die Hilfen für spezifische Zielgruppen, die besonders von Arbeitslosigkeit bedroht sind, zu einer Destabilisierung des Arbeitsmarktes für die breiten Bevölkerungsschichten führen.

Heute richtet sich daher das Hauptaugenmerk eher auf die Schaffung von Arbeitsplätzen. In diesem Zusammenhang sind die auf Grundlage des Robien-Gesetzes (Juni 1996) ergriffenen Maßnahmen interessant, auch wenn sie nur vorübergehender und begrenzter Natur sind.

Dieses Gesetz sieht eine Festschreibung und Ausweitung von Maßnahmen mit experimentellem Charakter vor, die seit Dezember 1993 im Bereich der Arbeitszeitverkürzung existieren. Grundtenor hierbei ist, daß die Unternehmen im Anschluß an eine Betriebs- bzw. Branchenvereinbarung mit den zuständigen Abteilungen des Arbeitsministeriums Vereinbarungen zur Arbeitszeitverkürzung abschließen können und so in den Genuß von Erleichterungen bei den Nebenkosten kommen, wenn eine entsprechende Anzahl von Beschäftigten eingestellt wird. Der französische Staat übernimmt die den Sozialversicherungsträgern entgangenen Einnahmen. Ein Unternehmen, das demnach eine Vereinbarung über eine 10%ige Arbeitszeitverkürzung abschließt und 10% Beschäftigte zusätzlich einstellt (für eine Dauer von mindestens zwei Jahren), erfährt eine 40%ige Verringerung der betrieblichen Sozialabgaben im ersten Jahr und eine Verringerung um 30% in den sechs Folgejahren. Das Verhältnis zwischen dem Nettogehalt der Arbeitnehmer und den Sozialabgaben sieht so aus, daß das effektive Einkommen hiervon möglicherweise kaum betroffen ist und die Kosten für das Unternehmen konstant sind. Das "offensive" Instrumentarium dieses Gesetzes gilt ausdrücklich der Schaffung von Arbeitsplätzen und wird von "defensi-

[Seitenzählung analog zur Druck-Ausgabe: Seite 47]

ven" Maßnahmen begleitet, die von Abbau bedrohte Arbeitsplätze erhalten sollen. Im wesentlichen wirkt das Gesetz dem letzten Bereich.

Nach sechsmonatiger Anwendung und in Ermangelung von verläßlichen Statistiken ist das Robien-Gesetz außerordentlich erfolgreich und steht somit im Mittelpunkt von öffentlichen Diskussionen über die Frage der Arbeitszeitgestaltung und -verkürzung. Viele Unternehmen in Schwierigkeiten haben dieses Gesetz genutzt, um die direkten sozialen Folgen von Massenentlassungen zu begrenzen (Moulinex ...). Aufgrund der Begeisterung der Arbeitgeber und Arbeitnehmer für diese Maßnahme, mit der Kaufkraft gewahrt und eine erhöhte Arbeitsflexibilität gewährleistet wird, mußten schnell zusätzliche präzise Anwendungsinformationen formuliert werden. Unternehmen, die nicht im Wettbewerb stehen sowie öffentliche Einrichtungen wurden aus dem Anwendungsbereich gestrichen. Der vorgenannte Erfolgt belastet den Staatshaushalt in bedrohlichem Ausmaß.

Im Herbst hat das Robien-Gesetz zu einer heftigen Attacke von Seiten der Arbeitgeberverbände geführt. In Anbetracht der günstigen Anwendungsbestimmungen durch die staatliche Übernahme von Lasten fürchten die Arbeitgeberverbände, daß sie mit einer Welle der Arbeitszeitverkürzung konfrontiert werden, die sie eigentlich durch ein gezieltes Scheiternlassen der nationalen Verhandlungen verhindern wollten. Die parlamentarische Rechte hat den Willen, die Flexibilität "vor Ort" durch direkte Verhandlung in den Betrieben zu fördern, was die Tür zur Arbeitszeitverkürzung geöffnet hat. Die Arbeitgeber fürchten, daß sich dies nicht mehr rückgängig machen läßt.

Dieses Gesetz, das inmitten laufender Verhandlungen der Sozialpartner zum Thema Arbeitszeit verabschiedet worden ist, ohne das - wie von der Regierung zugesagt - auf deren Verhandlungsausgang gewartet wurde, bürdet dem Staat finanzielle Mittel auf, die sicherlich nicht verfügbar gewesen wären, wenn die Berufsverbände ein Instrumentarium dieser Art ersonnen hätten. Privaten Arbeitgebern bietet das Gesetz die Möglichkeit, Produktivitätszuwächse durch eine Umgestaltung bzw. Flexibilisierung der Arbeitszeit und eine Personalverjüngung zu sichern. Den Beschäftigten und ihren Vertretern bietet das Gesetz die Möglichkeit, das Niveau der Löhne und Gehälter bei Senkung der Arbeitszeit fast beizubehalten und die Unternehmen für Arbeitsuchende zu öffnen. Das Gesetz setzt Betriebsverhandlungen voraus (die möglichen Branchenvereinbarungen haben noch keine sichtba-

[Seitenzählung analog zur Druck-Ausgabe: Seite 48]

ren Ergebnisse gezeitigt), [Fn 3: Bei der Verhandlungspflicht wird davon ausgegangen, daß entweder Gewerkschaftsdelegierte als klassische Konstellation bzw. gewählte Vertreter aus der Arbeitnehmerschaft (vorbehaltlich einer Billigung der Vereinbarung durch eine paritätisch besetzte Branchenkommission) oder ein durch eine externe gewerkschaftliche Organisation beauftragter Arbeitnehmer (falls in einer Branchenvereinbarung vorgesehen, It. Gesetz vom 12. November 1996, der die branchenübergreifende Vereinbarung vom 31. Oktober 1995 überarbeitet, vgl. Bericht über die Verhandlungen im Jahre 1995) eingeschaltet werden. Die durch das Robien - Gesetz entstandene Möglichkeit scheint verstärkt dafür gesorgt zu haben, daß den Arbeitgebern bewußt geworden ist, wie bedeutend es für sie ist, Arbeitnehmervertreter gleich welchen Typs zu haben.]
was in verschiedenen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen zu Unruhe geführt hat, da die Möglichkeit besteht, daß viele unterschiedliche lokale Vereinbarungen getroffen werden. Das Gesetz erlaubt eine großzügige Vorgehensweise bei der lokalen Behandlung von Fragen der Arbeitszeit und der Löhne und Gehälter nach Maßgabe der Verhandlungen.

Es ist sicherlich genau diese Verhandlungsflexibilität, die ein interessantes Argument zugunsten einer Beschäftigungsförderung von Geringqualifizierten sein kann. In der Tat wird ein direkteres Engagement der lokalen sozialen Akteure vorausgesetzt, die für die Merkmale der Arbeitsplatznachfrage vor Ort offener sind. Auf diese Weise kann man hoffen, daß dem direkten Wettbewerb unter Arbeitsuchenden ein kleinerer Raum eingeräumt wird, einem Wettbewerb, der per definitionem für die Geringqualifizierten immer nachteilig ist.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1999

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