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TEILDOKUMENT:
Werner Sesselmeier
[Seitenzählung analog zur Druck-Ausgabe: Seite 23 ]
Die gegenwärtige Arbeitsmarktsituation ist durch das Verharren der Arbeitslosigkeit auf einem neuen historischen Rekordniveau gekennzeichnet. Die damit einhergehenden Reaktionen lassen mitunter den Eindruck entstehen, als ob jetzt erst das schon seit zwanzig Jahren bestehende Problem der Massenarbeitslosigkeit realisiert wird. So verwunderlich dies ist, so hat es doch zu einer stärkeren Dynamik in der arbeitsmarktpolitischen Diskussion geführt, in deren Verlauf Instrumente berücksichtigt werden, die im Ausland zumindest teilweise bereits Anwendung finden und die auch in Deutschland zumindest in Modellversuchen getestet werden sollen. Im folgenden wird kurz die Arbeitsmarktsituation und ihre Ursachen skizziert. Im Anschluß daran werden unter dem Stichwort "Einkommenstransfers" die beiden möglichen Varianten "negative Einkommensteuer" und " Lohnsubventionen" vorgestellt und diskutiert. Der Beitrag schließt mit einigen Anmerkungen im Hinblick auf die Vorziehenswürdigkeit eines der beiden Instrumente.
1. Zustand und Ursachen der gegenwärtigen Arbeitsmarktsituation
Die Bundesrepublik Deutschland hat nicht nur ein Arbeitslosigkeitsproblem, sondern auch und vor allem ein (Wieder-)Beschäftigungsproblem, denn die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in den letzten 25 Jahren ist vor allem durch ihren treppenförmigen Anstieg um jeweils etwa 800.000 Personen nach jeder Rezession zu charakterisieren, ohne daß dieser Anstieg bis zur folgenden konjunkturellen Schwächephase wieder abgebaut worden wäre. Insgesamt erscheint diese Arbeitslosigkeit aus einem Zusammenspiel zweier ökonomischer und eines institutionellen Phänomens erklärbar zu sein:
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Persistenzphänomen
Theoretisch formuliert kann die vorliegende Arbeitslosigkeit als persistente oder hysterese Arbeitslosigkeit bezeichnet werden (siehe hierzu ausführlich Sesselmeier 1997). Dies bedeutet, daß es keine gleichgewichtige (natürliche) Arbeitslosenquote gibt, die langfristig, also nach vorübergehender Störung, wieder erreicht wird, sondern daß die vorherrschende Arbeitslosenquote ihren eigenen langfristigen Gleichgewichtswert beeinflußt. Bei vollständiger Hysterese läßt sich dann keine eindeutige gleichgewichtige Arbeitslosenquote mehr berechnen. Folglich wird auch nicht das Niveau der Arbeitslosigkeit zur relevanten Größe, sondern die Veränderung der Arbeitslosigkeit unabhängig von ihrem Niveau. Empirisch zeigt sich dies in entsprechenden Schätzungen seit Anfang der sechziger Jahre für die Bundesrepublik Deutschland. Die Erklärungsansätze für persistente Arbeitslosigkeit, die nicht den Anstieg sondern das Verharren von Arbeitslosigkeit auf einem bestimmten Niveau erklären wollen, können entweder auf der Arbeitsangebotsseite oder Arbeitsnachfrageseite oder in deren Zusammenspiel gesehen werden: Im einzelnen sind dies vor allem der Lohnfindungsprozeß und Mismatchgründe. Zunächst muß allerdings die Rolle des Humankapitals innerhalb der folgenden Argumentationsketten erläutert werden. Der Begriff des Humankapitals umfaßt alle produktiven Eigenschaften eines Individuums, die es sich durch irgendeine Form von Erziehung oder Ausbildung aneignen kann. Neben Schul- und Berufsausbildung führt auch die Einübung von Eigenschaften wie Lernfähigkeit, Zuverlässigkeit, Teamarbeit oder die Fähigkeit, neue Aufgaben schnell zu übernehmen, zu einer Erhöhung des Humankapitals und damit zu einer Erhöhung der individuellen Produktivität. Diese umfassende Enumeration verdeutlicht, daß das Humankapitalproblem nicht nur die formale Bildung und Qualifikation erfaßt, sondern darüber hinaus auch die Person des Arbeitnehmers sowie dessen Sozialisation umfaßt (extrafunktionale Qualifikation). In der Summe hat das Humankapital sowohl für Arbeitnehmer als auch für Unternehmer eine strategische Bedeutung, die sich auch in den Löhnen widerspiegelt. Grundlage der theoretischen Erklärungen für Hysterese mit Hilfe von Humankapitalüberlegungen ist die These, daß (Langzeit-)Arbeitslosigkeit De
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qualifizierungsprozesse und damit eine Veralterung und einen Abbau von Humankapital verursachen kann. Wird ein Arbeitnehmer arbeitslos, kommt es im Verlauf seiner Arbeitslosigkeit zu einer Entwertung des Humankapitals in zweierlei Hinsicht (vgl. Grassinger 1993, 50):
Folge dieser humankapitaltheoretischen Überlegungen ist, daß im Zeitablauf nicht der gesamte Arbeitslosenpool als Drohpotential für die beschäftigten Arbeitnehmer anzusehen ist, sondern nur ein Teil davon. Diese sogenannte effektive Arbeitslosenquote hat dann Einfluß auf den Lohnbildungsprozeß und die Mismatchproblematik. Der Einfluß einer persistenten Entwicklung auf den Lohnfindungsprozeß läßt sich dann folgendermaßen modellieren: Nach einem exogenen Schock werden in einer Periode eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern entlassen, es kommt also zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit. In der Folgeperiode haben diese erst seit kurzem Arbeitslosen noch Einfluß auf die Lohnbildung. Folglich wird es zu eher moderaten Lohnabschlüssen kommen, da die Unternehmen eine outside-Option haben, die dazu führt, daß - je nach theoretischem Betrachtungswinkel - sowohl die Insider keine hohen Lohnforderungen durchsetzen als auch die Unternehmen geringere Effizienzlöhne zahlen können. Diejenigen Arbeitslosen, die jedoch keine Anstellung finden, können in den sich anschließenden Perioden als Langzeitarbeitslose mit entsprechend entwertetem Humankapital interpretiert werden. Aus diesem Grund haben sie keinen Einfluß mehr auf den Lohnbildungsprozeß: Die beschäftigten Insider können wieder höhere Lohnforderungen durch
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setzen bzw. die Unternehmen müssen wieder höhere Effizienzlöhne bezahlen, weil die bestehende Arbeitslosigkeit nicht mehr als Drohpotential wirkt. Eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik kann das Arbeitslosigkeitsproblem folglich nicht mildern. Im Hinblick auf die Begründung von Hysterese durch Mismatch geht es schließlich um die Frage, ob und inwieweit die Charakteristika der Arbeitslosen mit den Anforderungen der zu besetzenden Arbeitsplätze übereinstimmen. Im wirtschaftlichen Entwicklungsprozeß fallen regelmäßig unrentable Arbeitsplätze weg und es entstehen neue. Ein beschleunigter Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt kann bei den Erwerbstätigen und Arbeitslosen zu einer Entwertung des Humankapitals führen. Profildiskrepanzen zwischen Arbeitslosen und offenen Stellen, die sich infolge des Humankapitalabbaus bei länger Arbeitslosen ergeben, führen dann zu regionalem und qualifikatorischem Mismatch. Hysterese wird in dieser Argumentation empirisch dadurch sichtbar, daß sich die Arbeitslosenquote nach jedem Konjunkturzyklus bei gleicher Vakanzrate erhöht. Dies kann vor allem durch einen im Zeitablauf steigenden Anteil der Langzeitarbeitslosigkeit an der Gesamtarbeitslosigkeit erklärt werden. Der Problemkern persistenter Arbeitslosigkeit ist also insbesondere in den mangelnden Wiederbeschäftigungschancen der Arbeitslosen zu sehen. Dabei kann diese Arbeitslosigkeit nicht als Marktversagen bezeichnet werden, da der Lohnsatz seiner Allokationsfunktion hinsichtlich der Knappheitsverhältnisse jeweiliger, nach Humankapitalbesitz unterschiedlicher Arbeitnehmergruppen nachkommt.
Strukturwandelprobleme
Das Wiederbeschäftigungsproblem der persistenten Arbeitslosigkeit führt zu der Frage, in welchen Sektoren zusätzliche Arbeitsnachfrage zu erwarten ist. Zunehmende Beschäftigung wird aufgrund der empirischen Situation in beschäftigungspolitisch erfolgreicheren Ländern und der vorliegenden Prognosen nur noch im Dienstleistungssektor zu erwarten sein. Will eine Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik erfolgreich sein, also Arbeitslosigkeit abbauen und die Beschäftigung erhöhen, so muß sie diese Zusammenhänge berücksichtigen. Innerhalb dieses Bereiches sind bereits gegenwärtig Angebotslücken in den haushaltsnahen bzw. konsumbezogenen Dienstleistungen feststellbar. Allerdings kann daraus nicht unmittelbar auf eine höhere Beschäftigung ge
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schlossen werden, da gerade in diesen Bereichen andere Preis- und Einkommenselastizitäten der Nachfrage als im sekundären Sektor vorliegen (vgl. hierzu vor allem Schettkat 1996; Lindheck 1996): Generell kann zunächst eine für reife Volkswirtschaften typische abnehmende Preiselastizität der Nachfrage als Folge sinkender Innovation konstatiert werden. Industriegüter stoßen demnach in industrialisierten Ländern zunehmend auf gesättigte Märkte mit preisunelastischer Nachfrage, so daß der arbeitsplatzsparende Effekt von Produktivitätssteigerungen vorherrscht und zu abnehmender Industriebeschäftigung führt. Daß diese Situation in den OECD-Ländern dominiert, kann mit einer Fülle von Beispielen aufgezeigt werden: Man denke nur an die überall im Vordergrund stehenden Marketinganstrengungen verbunden mit Produktdifferenzierung und Markenbildung, aber auch an die fast flächendeckende Ausstattung der weit überwiegenden Zahl von Haushalten mit langlebigen Konsumgütern. Daneben ist die Entwicklung des Dienstleistungssektors zu betrachten. Die Nachfrage vor allem nach haushaltsnahen Dienstleistungen unterliegt einer hohen Einkommenselastizität. Da der Produktivitätsfortschritt nur den kleineren Teil der von den privaten Haushalten nachgefragten Dienstleistungen berührt und sich die Produktivität zwischen Eigen- und Fremdproduktion in diesem Bereich kaum unterscheidet, hängt die makeorbuyEntscheidung wesentlich von der Differenz zwischen eigenem Nettolohn und dem Preis der Dienstleistung ab. Letzterer wird insbesondere durch das Lohnniveau determiniert.
Die sogenannte Armutsfalle
Hinzu kommt als drittes Problem die institutionell bedingte Sozialhilfe- oder Armutsfalle. Dahinter steht die Ansicht, daß die Lohnspreizung nach unten insbesondere durch Sozialhilferegelungen determiniert wird. Da Langzeitarbeitslosigkeit ein immer häufigerer Grund für den Bezug von Sozialhilfe ist und sich die Sozialhilfeausgaben seit 1985 verdoppelt haben (vgl. Deutsche Bundesbank 1996, 35), erscheint es an dieser Stelle angebracht, die externe Effizienz der Sozialhilfe als typisches Beispiel für die institutionell bedingte Anreizproblematik zu analysieren. Externe Effizienz bedeutet dabei, die Wirkungen der Sozialhilfe in bezug auf das Arbeitsangebot zu betrachten, wohingegen interne Effizienz die materielle Absicherung durch die Sozialhilfe zum Gegenstand hat. Allerdings muß festgehalten werden,
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daß die "Schuld" der Sozialhilfeempfänger an einer eventuell zu geringen Arbeitsneigung nicht ihnen, sondern den institutionellen Regelungen anzulasten ist, die für die betroffenen Personen als exogen gegebene Rahmenbedingungen zu sehen sind, innerhalb deren sie sich nutzenmaximierend verhalten. Die konsequente Anwendung des Subsidiaritätsprinzips führt zu einer negativen Beeinflussung der externen Effizienz der Sozialhilfe bezüglich des beschäftigungspolitischen Ziels, speziell auf der Angebotsseite, denn eigene Einkünfte werden in nahezu voller Höhe auf die Sozialhilfe angerechnet. Bereits Nettoerwerbseinkommen, die nur 25% des Regelsatzes betragen, werden mit 85% angerechnet. Dies ist gemäß dem Prinzip der "Hilfe zur Selbsthilfe" durchaus zwar so gedacht, weil die Sozialhilfe nur der Sicherung des Existenzminimums dienen soll und in dem Maße, wie eigenes Einkommen hinzuverdient wird, überflüssig wird. Aus der Sicht des Hilfeempfängers stellt sich die Situation jedoch anders dar: Das verfügbare Einkommen würde sich trotz einer Arbeitsaufnahme praktisch nicht erhöhen, der Quasigrenzsteuersatz betrüge also 85%. Betrachtet man die Entscheidungssituation des Hilfeempfängers, nämlich Arbeit aufzunehmen oder weiter Hilfe zu empfangen aus mikroökonomischer Sicht, so bewirkt die Arbeitsaufnahme keine nennenswerte Steigerung des Einkommens, wohl aber eine Reduktion der zur Verfügung stehenden Freizeit. Aus diesem Blickwinkel wird der Hilfeempfänger die Aufnahme der Arbeit aus rationalen Gründen ablehnen, man spricht von einer "Armutsfalle" oder "Sozialhilfefalle". Es ist also festzustellen, daß der gegenwärtige Gewährungsmodus der Sozialhilfe unweigerlich starke negative Anreize zur Aufnahme von Arbeit bzw. eine starke externe Ineffizienz mit sich bringt. Somit ist es für den einzelnen unter den herrschenden Sozialhilfebestimmungen kurzfristig rational, nicht zu arbeiten. Gesamtwirtschaftlich entstehen dadurch zwar auch in kurzfristiger Hinsicht suboptimale Zustände, denn es werden Mittel "verschwendet". Gravierender ist die bestehende Regelung jedoch in langfristiger Perspektive, und dies sowohl für das Individuum als auch für die Gesellschaft. Die kurzfristig rationale Entscheidung, nicht zu arbeiten, führt zu einem zunehmenden Humankapitalabbau bei den betroffenen Personen, der sie im Zeitablauf immer weniger konkurrenzfähig gegenüber den beschäftigten Arbeitnehmern macht. Es kommt also wieder zu typischen Persistenzphänomenen mit der Folge, daß die davon Betroffenen langfristig alimentiert werden müssen.
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Vor diesem Hintergrund stellt sich nun die Frage, wie Einkommenstransfers in Form von Lohnsubventionen oder einer negativen Einkommensteuer dazu beitragen können, die bestehende Arbeitslosigkeit abzubauen, ohne den amerikanischen oder auch britischen Weg der alleinigen Lohnspreizung nach unten verbunden mit dem Phänomen der working poor zu gehen.
2. Einkommenstransfers als preisorientierte Instrumente der Arbeitsmarktpolitik
Einkommenstransfers haben in dieser Situation die Aufgabe
Sie sollen also im Unterschied zur Alimentationsfunktion der Lohnersatzleistungen aktivierend wirken.
2.1. Negative Einkommensteuer
Der Grundgedanke des Konzepts der negativen Einkommensteuer ist denkbar einfach, er sieht die Integration von Transferzahlungen in das Steuersystem vor, so daß letzteres einen positiven und einen negativen Bereich besitzt-. Derjenige, dessen Einkommen aus Arbeit oder Vermögen einen bestimmten Betrag nicht überschreitet, bekommt eine einkommensabhängige Transferleistung des Staates. Hintergrund dieser Idee ist die Tatsache, daß bei Einkommensteuern normalerweise Freibeträge zur Sicherung des Existenzminimums gewährt werden. Entlastet werden allerdings nur die Steuerpflichtigen, deren Einkommen über dem Freibetrag bzw. Existenzminimum liegen. Die negative Einkommensteuer als logische Fortsetzung des Einkommensteuertarifs in Form eines negativen Astes ermöglicht eine konsistente Unterstützung dieser Bezieher von Niedrigeinkommen.
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Für die konkrete Ausgestaltung sind drei Faktoren ausschlaggebend: Das garantierte Mindesteinkommen, der negative Steuersatz und das kritische Einkommen, ab dem Steuern zu zahlen sind. Eine negative Einkommensteuer ist nun gerade dafür konzipiert, die Armutsfalle zu überwinden. Denn diese Armutsfalle resultiert aus einem unkoordinierten Nebeneinander von Steuer- und Transfersystem, das mit Hilfe einer negativen Einkommensteuer überwunden werden soll. Im Falle einer negativen Einkommensteuer kommt es immer zu einem höheren verfügbaren Einkommen, weil nur ein Teil des Erwerbseinkommens angerechnet wird. Zusätzliche Arbeitsverhältnisse können nun mit einer negativen Einkommensteuer deshalb realisiert werden, da die Unternehmen Arbeitsplätze zu einem geringeren Produktlohn anbieten können, welche die Arbeitnehmer auch nachfragen, weil das daraus resultierende Erwerbseinkommen durch den zusätzlichen Transfer erhöht wird, und damit der Konsumlohn steigt. Obwohl sich die Differenz zwischen möglichem Erwerbseinkommen und Transferhöhe im Sinne des Lohnabstandsgebots sogar verringert, wird die Grenzbelastung beim Einstieg in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis so weit abgesenkt, daß ein Arbeitsanreiz entsteht.
2.2. Lohnsubventionen
Im Unterschied zur negativen Einkommensteuer sind Lohnsubventionen - hinsichtlich des Ziels, spezifische Arbeitnehmergruppen zu fördern - als zielgruppengenaues Instrument einzustufen. Dabei geht es um direkte Geldleistungen an Unternehmen oder Arbeitnehmer, um deren Lohn(kosten) zu senken. Es geht also - methodisch betrachtet - um Lohnsubventionen, wie sie nach dem Zusammenbruch der DDR und der Wiedervereinigung von einer Gruppe US-amerikanischer Ökonomen angedacht wurden (vgl. Akerlof/Rose/Yellen/Hessenius 1991). Die sich daran anschließende Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland ließ jedoch zum damaligen Zeitpunkt eine weitgehende Ablehnung derartiger Pläne aufgrund ordnungspolitischer Überlegungen deutlich werden. Lohnsubventionen können zunächst bezüglich der Bezugsdauer, des begünstigten Personenkreises und der Bemessungsgrundlage klassifiziert werden:
3. Wirkungen von Einkommenstransfers Betrachtet man als erstes die Arbeitsangebotsseite, so sollten eine negative Einkommensteuer oder Lohnsubventionen an Arbeitnehmer mit einer Transferentzugsrate bzw. Transferleistung von ca. 50% einen Anreiz zur Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses bieten. Dieser Anreiz ist im Niedriglohnbereich nach der mit den Einkommentransfers verbundenen Beseitigung der Armutsfalle gegeben, da der Quasigrenzsteuersatz von 85% bei Sozialhilfeempfängern und die an der Bedürftigkeitsprüfung orientierte Arbeitslosenhilfe wegfallen. Insbesondere die Lohnsubventionen an Arbeitnehmer sollen untertariflich entlohnte Beschäftigung attraktiv machen, denn
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durch die Subvention werden die von den Unternehmen gezahlten Löhne auf ein sozialpolitisch akzeptables Niveau gehoben. Bei der negativen Einkommensteuer steht dem zwar ein negativer Anreizaspekt im mittleren und hohen Einkommensbereich aufgrund der zur Finanzierung der Transfers eventuell notwendigen Erhöhung direkter oder indirekter Steuern entgegen. Allerdings wird dies zumindest teilweise durch den Wegfall der hohen Grenzbelastungen an Fördergrenzen für Wohngeld, BAföG, Kindergeld und Erziehungsgeld im mittleren Einkommensbereich kompensiert. Die Zielgruppe der Beschäftigungswirkungen einer negativen Einkommensteuer auf der Angebotsseite sind aufgrund der beschriebenen Anreizwirkungen vor allem die Empfänger von Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe. Erstere machten 1993 rund 760.000 Personen aus. Hinzuzufügen sind diejenigen Empfänger von laufender Sozialhilfe, die für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und nicht gleichzeitig Arbeitslosenhilfe erhalten. Mit Hilfe der haushaltsbezogenen Statistik der Sozialhilfe kann eine Näherung der Größe der Zielgruppe bestimmt werden. Zu dieser zählen nach Abzug der wegen Krankheit, Alter oder Erziehungsaufgaben nicht Arbeitsfähigen etwa 1,5 Mio. Personen. Die Zielgruppe der negativen Einkommensteuer bezüglich einer Arbeitsaufnahme oder Erweiterung der Arbeitszeit beträgt somit rund 2,3 Mio. Personen (Sesselmeier/Klopfleisch/Setzer 1996, 148ff.). Soll eine zielgruppenorientierte Lohnsubvention der Beschäftigungsförderung von Langzeitarbeitslosen dienen, so erfaßt man damit einen immer größer werdenden Anteil der Arbeitslosen. Dieser stieg von 1975 bis 1994 von 9,6% bis 32,5% in Westdeutschland an und betrug in Ostdeutschland zuletzt 34,7%. Damit waren insgesamt in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1994 ca. 831.000 registrierte Arbeitslose langzeitarbeitslos. Je nach Ausgestaltung einer Lohnsubvention für Langzeitarbeitslose sind aber weitere Personen aus der stillen Reserve mit hinzuzuziehen, da für sie dann ein Anreiz bestehen könnte, sich arbeitslos zu melden, um in den Genuß einer Förderung zu kommen. Bezieht man die Arbeitsnachfrageseite in die Analyse mit ein, so müssen neben den mit den preisorientierten Instrumenten intendierten Beschäftigungseffekten auch die - insbesondere bei der Lohnsubvention auftretenden- Substitutions- und Mitnahmeeffekte berücksichtigt werden. Das Ausmaß dieser Verdrängung ist in erster Linie von der Substituierbarkeit der Arbeitskräfte untereinander im Produktionsprozeß und von der zeitli
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chen Dauer der Subventionierung abhängig und kann reduziert werden, wenn die Lohnsubvention so bemessen ist, daß sie nur die Produktivitätsnachteile der Zielgruppe ausgleicht. Die Mitnahmeeffekte von arbeitgeberbezogenen Lohnsubventionen dürften höher als bei Subventionen an Arbeitnehmer sein und das "Abtasten" der marginalen Zahlungsbereitschaft der Unternehmen dürfte bei einer Arbeitgebersubvention schwieriger sein (Klös 1997, 83). Bei allgemeinen Lohnsubventionen und einer negativen Einkommensteuer ist demgegenüber weder ein Arbeitskräfteaustausch noch ein Mitnahmeeffekt möglich, da die Förderung alle Beschäftigten bzw. Bürger betrifft. Bei pauschalen Lohnsubventionen besteht zudem ein moral-hazard-Problem, da dann Verträge zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu Lasten des Staates möglich werden. Aber auch anders ausgestalteten Lohnsubventionen und der negativen Einkommensteuer wird der Vorwurf der Tarifaufweichung entgegengebracht, da die Subventionen von den Tarifparteien antizipiert werden könnten und damit zu allgemein niedrigeren oder höheren Lohnabschlüssen führten. Mit welchem Vorzeichen diese Lohnniveauverschiebungen versehen sind, hängt von der Ausgestaltung des Instruments und der Verhandlungsmacht der Tarifpartner ab. Eine negative Einkommensteuer entgeht zudem dem Zielkonflikt zwischen Zielgruppenförderung und ökonomischer Effizienz, da bei ihr die - nur normativ mögliche - Bestimmung eines Abschneidekriteriums der Zielgruppe - z.B. die Dauer der Arbeitslosigkeit - entfällt (Klös 1997, 68f.). Nachfrageseitig kann man zur Abschätzung der zu erzielenden Beschäftigungsverhältnisse einen Vergleich des Niedriglohnsektors der USA mit Deutschland vornehmen. In den USA kommen auf 100 Bürger knapp 7 Niedrigentlohnte. Angewandt auf Deutschland bedeutet diese Quote ein Potential von ca. 5,5 Mio. Arbeitsplätzen. Bereinigt um eine kürzere Arbeitszeit in den USA in diesem Lohnsegment, um die sozialversicherungsfrei Beschäftigten in diesen Bereichen in Deutschland sowie die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in ähnlichen Berufen ergibt sich ein Potential von zusätzlichen Beschäftigungsverhältnissen von ca. 2,75 Mio. (Klös 1996, 13) kommt nach einem Vergleich der zivilen Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor zwischen Deutschland und den USA zu dem Schluß: "Hochgerechnet auf die gesamte Bevölkerung fehlen damit gemessen an der US-amerikanischen Dienstleistungsdichte in Deutschland rein rechnerisch rund
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6,5 Millionen Dienstleistungsarbeitsplätze." Strukturiert man diese Zahl bezüglich der verschiedenen Dienstleistungsklassen, so fallen auch hier rund 85% in den Bereich niedrig qualifizierter und entlohnter Arbeitsplätze, was wiederum dem Potential von 5,5 Millionen entspricht. In den übrigen Lohnbereichen könnten eine negative Einkommensteuer und im Prinzip auch Lohnsubventionen eine zur Vorbeugung von Massenentlassungen erforderliche Arbeitszeitflexibilisierung und Lohndifferentiale sozial flankieren und die Einrichtung und Besetzung von Teilzeitarbeitsplätzen anregen. Insgesamt erscheint das Beschäftigungspotential einer negativen Einkommensteuer über dem von Lohnsubventionen zu liegen, da zum einen die Zielgruppe einer negativen Einkommensteuer größer ist und zum anderen die wohlfahrtsmindernden Substitutions- und Mitnahmeeffekte sowie die moral-hazard-Probleme geringer sind.
4. Schlußbemerkungen
Betrachtet man nochmals die aus der Analyse gewonnenen Aufgaben der Einkommenstransferleistungen, so kann man ihnen durchaus einen erfolgversprechenden Charakter zubilligen, denn sie ermöglichen als erstes die Akzeptanz von Arbeitsplätzen zu niedrigen Löhnen. Zweitens wird durch eine Mehrbeschäftigung schwer vermittelbarer Personen deren extrafunktionale Arbeitsqualifikation gefördert, d.h. deren "Arbeitsfähigkeit" bleibt erhalten. Im Gegensatz zur mengenorientierten Arbeitsmarktpolitik ist diese Qualifizierung auch knappheitsrelevant, da sie auf dem ersten Arbeitsmarkt stattfindet. Bei einer zielgruppenorientierten Lohnsubvention - insbesondere für Langzeitarbeitslose - muß dieser Effekt allerdings relativiert werden, da während der "Wartezeit" von zumindest einem Jahr bis zum Greifen der Förderung weiterhin Dequalifizierungen zu befürchten sind. Dies gilt verstärkt vor dem Hintergrund der sinkenden Halbwertszeiten des Wissens und unterstützt damit die persistente Arbeitslosigkeit. Dies tangiert auch die möglichen Renditen für Humankapitalinvestitionen: Denn man kann argumentieren, daß die nach unten eher starre Lohnstruktur in Deutschland eher die Humankapitalbildung fördert und somit dafür sorgt, daß die Abstände zwischen den Einkommenssegmenten zumindest im unteren Bereich nicht so groß werden, daß hinsichtlich der Humankapitalinve
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stitionen ein Entmutigungseffekt eintritt. Auch wenn dies den Einkommenstransfers zunächst zum Nachteil gereicht, so muß man auch sehen, daß nicht alle Transferempfänger weiterqualifiziert werden können. Schließlich stellt sich die Frage, ob man eine "große" Lösung mit Hilfe der negativen Einkommensteuer will oder eine rein arbeitsmarktbezogene Lösung unter Rückgriff auf Lohnsubventionen. Denn die negative Einkommensteuer wurde ursprünglich zur Verzahnung des Steuer- und Sozialsystems mit dem Ziel, deren Effizienz zu erhöhen, konstruiert. Somit würde deren Einführung eine wesentlich größere Reformbereitschaft bedeuten, da mit diesem Instrument eine andere Sichtweise des Wohlfahrtsstaates und ein relativ hoher Transformationsbedarf des existierenden Systems verbunden ist. Die Transparenz des Systems kann dadurch gesteigert werden, wohingegen Lohnsubventionen u.U. als eine von mehreren Maßnahmen kaum wahrgenommen werden und somit verpuffen. Egal jedoch, welchem Instrument man den Vorzug gibt, entscheidend für den Erfolg dürfte letztendlich die Einbettung in einen Rahmen komplementärer Politikmaßnahmen sein, die eine zu den Einkommenstransfers unterstützende Funktion haben und deren Charakter als marktkonforme und sozialverträgliche Instrumente einer aktiven Arbeitsmarktpolitik unterstreichen.
Literatur
Akerlof, G./Rose, A./Yellen, J./Hessenius, H. (1991): East Germany in frim the Cold: The Economic Aftermath of the Currency Union, in: Brookings Papers of Economic Activity 1/1991, 1-87 Coe, D./Snower, D. (1996): Policy Complementarities: The Case for fundamental Labour Market Reform, CEPR Discussion Paper No. 1585, London Deutsche Bundesbank (1996): Die Ausgaben für Sozialhilfe seit Mitte der achtziger Jahre, in: Monatsbericht 48 (4), 35-52 Grassinger, R. (1993): Verfestigte Arbeitslosigkeit, Nürnberg (BeitrAB 174) Institut für Weltwirtschaft (1996): Das "Bürgergeld" - ein sinnvolles Konzept? Abschlußbericht zum Forschungsauftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung, Kiel Klös, H.-P. (1996): Der Beitrag von Einfacharbeitsplätzen zur Verringerung der Sockelarbeitslosigkeit- Eine ökonomische Analyse, Diskussionspapier Institut der deutschen Wirtschaft, Köln
[Seitenzählung analog zur Druck-Ausgabe: Seite 36]
Klös, H.-P. (1997): Arbeitsmarktpolitik in der Beschäftigungskrise - Grundzüge eines ordnungskonformen "zweitbesten" Arrangements, in: Sadowski, D./Pull, K. (Hrsg.): Vorschläge jenseits der Lohnpolitik. Optionen für mehr Beschäftigung II, Frankfurt/New York, 63-94 Lindbeck, A. (1996): The West European Employment Problem, in: Weltwirtschaftliches Archiv 132, 609-637 Schettkat, R. (1996): Das Beschäftigungsproblem der Industriegesellschaften, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 26/96, 25-35 Sesselmeier, W./Klopfleisch, R./Setzer, M. (1996): Mehr Beschäftigung durch eine Negative Einkommensteuer. Zur beschäftigungspolitischen Effektivität und Effizienz eines integrierten Steuer- und Transfersystems, Frankfurt/Main u.a. Sesselmeier, Werner (1997): Einkommenstransfers als Instrumente der Beschäftigungspolitik. Negative Einkommensteuer und Lohnsubventionen im Lichte der modernen Arbeitsmarkttheorien und der Neuen Institutionenökonomik, Frankfurt/Main u.a. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1999 |