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TEILDOKUMENT:
5. Sozialpolitik in der Europäischen Union 5.1. Sozialpolitik im Europäischen Gemeinschaftsrecht zwischen "Rom" und "Maastricht" Grundlage der Europäischen Union (Art. A Abs. 3 EUV) sind die Europäischen Gemeinschaften - Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), Europäische (Wirtschafts-)Gemeinschaft (E(W)G) und Europäische Atomgemeinschaft (EAG) - einerseits und die durch den Vertrag über die Europäische Union eingeführten Politiken und Formen der Zusammenarbeit - Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und Zusammenarbeit in den Bereichen Inneres und Justiz (ZBIJ) - andererseits. Das "Europäische System" ist insofern ein rechtlich sehr heterogenes Gebilde, innerhalb dessen die supranationalen Europäischen Gemeinschaften einen auf den mit Souveränitätsverzichten zugunsten der Gemeinschaften einhergehenden Zustimmungsgesetzen der einzelnen Mitgliedstaaten zu diesen Gründungsverträgen gründenden Kern darstellen. Die Europäische Gemeinschaft ist - wie sich bereits aus der ursprünglichen Bezeichnung Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ergibt - anfänglich ein Projekt gewesen, welches das Vorhaben einer zunächst politischen Befriedung und zu diesem Zweck und zugleich darüber hinausgehend einer politischen Integration Europas auf seine Fahnen geschrieben hatte, weiches dieses Ziel aber mit wirtschaftlichen Schritten angegangen ist. Demgegenüber haben soziale Fragen, hat die soziale Dimension der Gemeinschaft stets nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Die Gründe für diese sozialpolitische Zurückhaltung reichen in die Gründungsphase der Gemeinschaft zurück. Während der Aushandlung des EWG-Vertrages unter den ursprünglich Sechs- Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, die Niederlande - sprach sich Frankreich für eine umfassende Angleichung der Sozialleistungssysteme im Hinblick auf die damit verbundenen sozialen Lasten der Unternehmer aus, weil es befürchtete, höhere Lohnnebenkosten würden sich im künftigen Gemeinsamen Markt als Nachteil erweisen. Von deutscher Seite wurde hingegen die Auffassung vertreten, der Sozialaufwand sei wie etwa auch die steuerliche Belastung der Unternehmen sowie sonstige Standortfaktoren ein Kostenfaktor unter vielen und als solcher im Wettbewerb des Gemeinsamen Marktes anzusehen und hinzunehmen, nicht aber im Wege einer umfassenden sogenannten sozialen Harmonisierung zu beseitigen. Der damit verbundene Verzicht auf eine umfassende Regelung sozialpolitischer Fragen und insbesondere die Absage an eine umfassende soziale Harmonisierung in Gestalt u.a. einer Vereinheitlichung des Arbeits- und Sozialrechts der Mitgliedstaaten im EWGVertrag, welcher der damaligen Konzeption der deutschen "sozialen Marktwirtschaft" entsprach, ist
(1) Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Gestalt der Verankerung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit in Art. 119 E(W)GV und (2) im Zusammenhang mit der Durchführung der auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer notwendigen Schritte nach Maßgabe des Art. 51 E(W)GV. Bis zum heutigen Tage nehmen diese beiden Bestimmungen des primären Gemeinschaftsrechts - Art. 119 EGV und Art. 51 EGV - insoweit eine herausragende Stellung im Europäischen Gemeinschaftsrecht ein, als sie von Anbeginn an einen festen und unbestrittenen Platz im Vertrag von Rom gehabt haben und die Übertragung von Kompetenzen auf die Gemeinschaft in diesen beiden Bereichen offenkundig zu den "Essentials" des Vertragswerks gehörte. Gemeinsam ist den Vorschriften des Art. 51 EGV und des Art. 119 EGV, daß sie aus wirtschaftlichen Gründen Aufnahme in den EG-Vertrag gefunden haben: Das auf Art. 51 EGV fußende "Regime" der sozialen Sicherheit der Wanderarbeitnehmer, welches die einschlägigen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten koordiniert, ist gleichsam "Annex" der Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 48 EGV) und damit einer Grundfreiheit des Gemeinsamen Marktes, während der in Art. 119 EGV niedergelegte Grundsatz der Entgeltgleichheit für gleich(wertig)e Arbeit für Männer und Frauen aus Wettbewerbsgründen (nämlich wegen von Frankreich befürchteter Wettbewerbsnachteile einem seinerzeit bereits höheren Grad der Lohngleichheit praktizierender französischer Unternehmen im künftigen Gemeinsamen Markt) in den EWG-Vertrag Aufnahme gefunden hat. Beiden Vorschriften ist ferner gemeinsam, daß sie Diskriminierungen verhindern sollen: Im Falle des Art. 51 EGV geht es um die Gleichbehandlung von EG-Wanderarbeitnehmern mit inländischen Arbeitnehmern auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit und in diesem Zusammenhang um Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit, in Art. 119 EGV um die - namentlich durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs - sanktionierte Diskriminierung wegen des Geschlechts. Dabei ist der persönliche Anwendungsbereich allerdings unterschiedlich: Während der Grundsatz des Art. 119 EGV - und entsprechend auch die fünf Richtlinien (EWG), die mittlerweile zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeits- und Sozialrecht erlassen worden sind -, die Staatsangehörige eines EG-Mitgliedstaats oder diesen gleichgestellt sind und unmittelbar für jedermann gelten mit der Folge, daß sich die Bürger der Mitgliedstaaten darauf unmittelbar gegenüber nationalen Behörden, Gerichten und sonstigen Dritten (z.B. Arbeitgebern) berufen können, betrifft der Grundsatz der Inländergleichbehandlung im Zusammenhang mit der Freizügigkeit lediglich Erwerbstätige - ursprünglich allein Arbeitnehmer und seit Anfang der 80er Jahre auch Selbständige -, die vom Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen und zum Zwecke der Ausübung einer Erwerbstätigkeit die Grenze überschreiten ("wandern"). (3) Seit Ende der 80er Jahre ist das Arbeitsschutzrecht - heute geregelt in Art. 118a EGV und in dem im Rahmen des Vertragswerks von Maastricht auf der Grundlage des Protokolls über die Sozialpolitik geschlossenen Abkommen über die Sozialpolitik (der - ursprünglich Elf und heute Vierzehn ohne das Vereinigte Königreich) - gleichsam als "dritte Säule" hinzugetreten zu den beiden erwähnten Schwerpunktbereichen der EG-Sozialpolitik. Auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes können seit Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte aus dem Jahre 1987 aufgrund des seinerzeit eingeführten Art. 118a EGV Verbesserungen insbesondere der sogenannten Arbeitsumwelt zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer in Gestalt von Mindestvorschriften gemeinschaftsweit eingeführt werden, wovon seither reger Gebrauch gemacht worden ist. Das Abkommen über die Sozialpolitik von "Maastricht" hat für die "Vierzehn" auch diesem Bereich der Sozialpolitik eine zusätzliche Dynamik verliehen. (4) Das allgemeine Ziel der Förderung einer beschleunigten Hebung der Lebenshaltung in der Gemeinschaft i.S. des Art. 2 EGV ist demgegenüber nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs " ein mit der Schaffung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft verbundenes Ziel..., das aufgrund seiner Allgemeinheit und seines systematischen Zusammenhangs mit der Errichtung des Gemeinsamen Marktes und der fortschreitenden Annäherung der Wirtschaftspolitik weder rechtliche Pflichten der Mitgliedstaaten noch Rechte einzelner begründen kann". [ Vgl. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), Rechtssache (RS) 126/86 (Zaera), in: Allgemeine Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGHE) 1987, 3697ff.] Auch die mit "Abstimmung der Sozialordnungen " überschriebene sogenannte Sozialvorschrift des Art. 117 EGV enthält lediglich soziale Ziele programmatischer Natur, die auf der Erwartung fußen, die zunehmende wirtschaftliche Integration werde auch die Lebens und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte verbessern und einander annähern. Dies bedeutet freilich nicht, daß diese Vorschriften keinerlei Rechtswirkungen haben - sie stellen vielmehr (so der Europäische Gerichtshof) " wichtige Anhaltspunkte ... für die Auslegung anderer Vorschriften des Vertrages und des sekundären Gemeinschaftsrechts im Sozialbereich dar"-, doch muß die Verwirklichung dieser Ziele "das Ergebnis einer Sozialpolitik sein, deren Festlegung Sache der zuständigen Stellen ist". Soweit Art. 118 EGV der Europäischen Kommission die Aufgabe überträgt, "eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in sozialen Fragen zu fördern", und die Europäische Kommission in diesem Zusammenhang "durch Untersuchungen, Stellungnahmen und die Vorbereitung von Beratungen tätig wird", erkennt auch diese Bestimmung die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten in sozialen Fragen an, soweit letztere nicht zu den bereits erwähnten Bereichen gehören, die durch andere Vorschriften des Vertrages, nämlich diejenigen über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die Freizügigkeit der Erwerbstätigen und den Arbeitsschutz geregelt werden und für die der Gemeinschaft ausdrücklich Kompetenzen eingeräumt worden sind. [ Vgl. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), Rechtssache (RS) 126/86 (Zaera), in: Allgemeine Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGHE) 1987, 3697ff.] Die Süderweiterung der Europäischen Gemeinschaft in den 80er Jahren hat seinerzeit zu einer Vergrößerung der Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten in bezug auf die Arbeitskosten im Verhältnis von bis zu 1: 5 - etwa zwischen Deutschland und Portugal - geführt (wenn auch im Hinblick auf die im Wettbewerb praktisch bedeutsameren Lohnstückkosten das Gefälle stets sehr viel geringer war und ist). Zugleich rückte jeder Gedanke an eine Angleichung der Lebensverhältnisse und an eine europäische soziale Harmonisierung etwa auch von Sozialabgaben- und Sozialleistungsniveaus angesichts der Vertiefung der Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten in bezug auf wirtschaftlichen Entwicklungstand Einkommensentwicklung, Lebensstandard u.a. und ihre Auswirkungen im Bereich der sozialen Sicherheit in weite Ferne. Die Verwirklichung des Binnenmarktes Anfang der 90er Jahre hat dann zum Wegfall zahlreicher Hindernisse auf den Güter- und Faktormärkten geführt, zugleich aber Befürchtungen namentlich der Gewerkschaften vor einer Schwächung des sozialen Schutzes geweckt. Der Ruf nach einer Stärkung der "sozialen Dimension" der Gemeinschaft führte schließlich bereits vor Wirksamwerden des Binnenmarktes zur Verabschiedung der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer als (rechtlich unverbindlicher) politischer Erklärung im Jahre 1989. [ Europäischer Rat, Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, Straßburg 1989.] Mit dem Inkrafttreten des Vertrages über die Europäische Union - "Vertrag von Maastricht" - am 1. November 1993 sind dann mit in dem Abkommen über die Sozialpolitik, welches auf der Grundlage des Protokolls über die Sozialpolitik aller - ursprünglich 12 und heute 15 - Mitgliedstaaten abgeschlossen worden ist und als Bestandteil des Vertragswerks von "Maastricht" für ursprünglich 11 und heute 14 Mitgliedstaaten (mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs) gilt, auch zusätzliche Kompetenzen der Gemeinschaft für den Sozialbereich begründet werden, die insbesondere durch eine - allerdings begrenzte - Ausweitung des Anwendungsbereichs des Mehrheitsprinzips eine intensivere arbeits- und sozialrechtliche EG-Rechtssetzung für die 14 Abkommensstaaten gestatten. Von den Möglichkeiten des Abkommens ist auch nur wenig Gebrauch gemacht worden. Dies bedeutet zugleich allerdings auch, daß die seit Inkrafttreten des Abkommens über die Sozialpolitik grundsätzlich gegebene Möglichkeit, EG-Sozialpolitik "a deux vitesses" - einmal zum moderaten Tempo des EG-Vertrages (Art. 117ff.) und zum anderen mit der erhöhten Geschwindigkeit des Sozialabkommens - zu betreiben, bisher zu keinem tiefen "Graben" zwischen den 14 Abkommens-Mitgliedstaaten einerseits und dem Vereinigten Königreich andererseits geführt hat. So ist die Richtlinie 94/45/EG des Rates vom 22. September 1994 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zu Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen - die sogenannte Richtlinie über den Europäischen Betriebsrat auf der Grundlage des Abkommens über die Sozialpolitik, wonach der Rat u.a. im Wege von Richtlinien Mindestvorschriften auf dem Gebiet des Arbeitsrechts erlassen kann, zustande gekommen. Der von der neuen britischen Regierung ausgesprochene Beitritt des Vereinigten Königreichs zum Abkommen über die Sozialpolitik hat dieses Intermezzo des "sozialen Europas der zwei Geschwindigkeiten" de facto beendet; de iure wird es mit Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam beendet sein (siehe unten 5.2). Im Sozialabkommen hat der Übergang zum Mehrheitsprinzip lediglich im begrenztem Umfang stattgefunden: (i) Während Arbeitsentgelt, Koalitionsrecht, Streik- sowie Aussperrungsrecht nämlich zur Gänze der ausschließlichen Kompetenz der Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben, (ii) beschließt der Rat nach wie vor mit Einstimmigkeit in den Bereichen Kündigungsschutz, kollektive Wahrnehmung und Vertretung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen, Beschäftigungsbedingungen Drittstaatsangehöriger sowie auch soziale Sicherheit und sozialer Schutz der Arbeitnehmer, und (iii) nur in den anderen arbeits- und sozialrechtlichen Angelegenheiten gilt das Prinzip der qualifizierten Mehrheit. Damit ist zugleich auch noch keine Möglichkeit für eine Vereinheitlichung des Arbeits- und Sozialrechts der Vierzehn - und demnächst der Fünfzehn - oder gar ihrer Arbeits- und Sozialordnungen eröffnet worden, die das Etikett "Sozialunion" verdient (jedenfalls wenn man diesem Begriff die Aufgabe zuweist, einen Grad der Annäherung bzw. Vereinheitlichung zu bezeichnen, wie er beispielsweise mit der Sozialunion im Rahmen des deutschen Vereinigungsprozesses, der mit einer Vereinheitlichung des Arbeits- und Sozialrechts einher ging, verbunden gewesen ist und wie er in Gestalt von Politischer Union und der Wirtschafts- und Währungsunion auf Gemeinschaftsebene angestrebt wird). Allerdings besteht nunmehr die Möglichkeit, einvernehmlich auch im Bereich der sozialen Sicherheit alle für erforderlich gehaltenen Maßnahmen zu treffen. Ein Resümee zur Frage der Zuständigkeitsverteilung zwischen Europäischer Gemeinschaft und Mitgliedstaaten im Bereich der Sozialpolitik i.w.S. kommt deshalb zu dem Schluß, daß es im Grundsatz bei der von Anbeginn an bestehenden grundsätzlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für den Sozialsektor geblieben ist: Sozialpolitik ist in der Europäischen Union nach wie vor in erster Linie Angelegenheit der Mitgliedstaaten. Dort, wo nach dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der begrenzten Einzelzuweisung (Art. 3b EGV) der Europäischen Gemeinschaft Zuständigkeiten ausdrücklich eingeräumt worden waren, hat die Gemeinschaft durch Verordnungen und Richtlinien dem nationalen Recht vorgehendes Europäisches (i.S. von EG-) Arbeits- und Sozialrecht geschaffen. In den übrigen Sozialpolitikbereichen haben die einschlägigen Aktivitäten der Gemeinschaftsorgane, namentlich der Europäischen Kommission, aber auch von Rat und Parlament in rechtlicher Hinsicht durch Empfehlungen, Stellungnahmen, Mitteilungen etc. im wesentlichen lediglich unverbindliches Soft Law "produziert"; allerdings darf der damit verbundene Informations- und Erfahrungsaustausch auf vielfältigen Ebenen im Hinblick auf sozialpolitische Regelungen und ihre Auswirkungen, sowie für Beispiele von 'best practice' etc. und dürfen die damit einhergehenden politischen Einwirkungen; auf die nationale Sozialpolitik, die nicht zuletzt auch in bestimmtem Umfang zu einer nachweisbaren De-factoKonvergenz der Entwicklung der Sozialpolitik der Mitgliedstaaten in wichtigen Punkten geführt haben, bereits für die Vergangenheit nicht unterschätzt werden. Auch in ihren jüngsten programmatischen Verlautbarungen zur Sozialpolitik unterstreicht die Europäische Kommission in diesem Sinne, daß "selbstverständlich die Mitgliedstaaten weiterhin verantwortlich für Gestaltung und Finanzierung ihrer eigenen speziellen Sozialschutzsysteme" seien, betont jedoch zugleich, daß angesichts der für alle Mitgliedstaaten gemeinsamen Herausforderungen einer Debatte über die Zukunft der Sozialschutzsysteme auf Europäischer Ebene erheblicher Wert zukomme. [ Vgl. in diesem Sinne, z.B. Europäische Kommission, a.a.O. (Fn. 7 = Europäische Kommission, Mitteilung: Die Zukunft des Sozialschutzes. Ein Rahmen für eine europäische Debatte (KOM (95) 466 endg.) ), Brüssel, 1995, S. 2f.] Der Vertrag von Amsterdam eröffnet nunmehr die Möglichkeit, in diesem Zusammenhang auch rechtlich-verbindliche Regelungen zu treffen.
5.2. "Sozialverfassung" und Sozialpolitik in der Europäischen Union nach "Amsterdam
In Abschnitt I. Freiheit, Sicherheit und Recht des " Vertrags von Amsterdam" (hier und im folgenden zitiert nach dem deutschen Wortlaut des Entwurfsvertrages vom Juni 1997) wird der Präambel des Vertrags über die Europäische Union (im folgenden: EU-Vertrag - EUV) ein neuer Absatz 4 hinzugefügt, in dem auf die Bedeutung hingewiesen wird, welche die Teilnehmer der Regierungskonferenz den sozialen Grundrechten beimessen, "die in der am 18. Oktober 1961 in Turin unterzeichneten Europäischen Sozialcharta und in der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer von 1989 festgelegt sind". Auch wenn damit auch nicht ansatzweise die weitreichenden Vorschläge aufgegriffen worden sind, die der zur Vorbereitung der Regierungskonferenz 1996/ 1997 eingesetzte "Ausschuß der Weisen" in seinem Bericht "Für ein Europa der Bürgerrechte und der sozialen Rechte" im März 1996 [ Kommission der EG (Hrsg.), Für ein Europa der Bürgerrechte und der sozialen Rechte. Bericht des Ausschusses der Weisen unter Vorsitz von Maria de Lourdes Pintasielgo (V/497/96), Brüssel 1996.] unterbreitet hat, bringt doch durch diese Ergänzung die Präambel zum Ausdruck, daß die Europäische Union sich ausdrücklich auch zu sozialen Grundrechten bekennt. Dies ist bemerkenswert auf dem Hintergrund der Tatsache, daß eine Reihe von Mitgliedstaaten - und in diesem Zusammenhang ist vor allem auch die Bundesrepublik Deutschland zu nennen - sich, was die Verankerung sozialer Grundrechte in ihren Verfassungen angeht, nach wie vor sehr zurückhalten. (So hat ja bekanntlich die Gemeinsame Verfassungskommission, die im Anschluß an die deutsche Einigung einberufen worden ist, der Einfügung sozialer Grundrechte in das Grundgesetz eine deutliche Absage erteilt und sich darauf beschränkt, ein Diskriminierungsverbot wegen Behinderung in Art. 3 Abs. 3 GG aufzunehmen.) Die jüngst im deutschen Grundgesetz - in Art. 3 Abs. 3 GG - vorgenommene Verstärkung der Rechtsposition Behinderter findet auf Unionsebene insoweit ihre Entsprechung, als die Konferenz in der Erklärung für die Schlußakte Personen mit einer Behinderung übereinkommt, " daß die Organe der Gemeinschaft bei der Ausarbeitung von Maßnahmen nach Art. 100a den Bedürfnissen von Personen mit einer Behinderung Rechnung tragen". (Die Bestimmung des Art. 100a EG-Vertrag (EGV) betrifft das Verfahren der Rechtsangleichung im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Verwirklichung des Binnenmarktes gemäß Art. 7a EGV.) Darüber hinaus ist ein neuer Art. 6a in den EG-Vertrag eingefügt worden, demzufolge der Rat im Rahmen der Gemeinschaftszuständigkeiten auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments einstimmig geeignete Vorkehrungen treffen kann, um "Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion oder des Glaubens, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung" zu bekämpfen. Dieser Katalog möglicher Maßnahmen (die allerdings Einstimmigkeit im Rat voraussetzen) ist geeignet, Ausgangspunkt für eine Antidiskriminierungspolitik der Gemeinschaft in den genannten Bereichen zu sein. Dabei gilt es zu berücksichtigen, daß die Politik der Gemeinschaft im Hinblick auf den Grundsatz des gleichen Entgelts für gleiche Arbeit für Männer und Frauen in Art. 119 EGV sowie im Zusammenhang mit den insgesamt fünf Richtlinien zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeits- und Sozialrecht bereits nachdrücklich unter Beweis gestellt hat, daß - nicht zuletzt aufgrund der einschlägigen Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - das Gemeinschaftsrecht in diesem Bereich in der Vergangenheit sehr viel effektiver gewesen ist als das einschlägige nationale Recht der Mitgliedstaaten. Dies läßt sich insbesondere auch am deutschen Beispiel illustrieren, hat doch das Europäische Gemeinschaftsrecht in den vergangenen 25 Jahren - beginnend mit der Entscheidung vom 25. Mai 1971 in der Rechtssache 80/70 (Defrenne I) - sehr viel mehr zur Durchsetzung der rechtlichen Gleichbehandlung von Männern und Frauen beigetragen als das Bundesverfassungsgericht auf der Grundlage des - von ihm eher zurückhaltend ausgelegten - Gleichberechtigungsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 2 GG. Festzuhalten ist im Zusammenhang mit dieser neuen gemeinschaftsrechtlichen Antidiskriminierungsvorschrift allerdings auch, daß bestimmte Tatbestände, die gleichfalls Ausgangspunkt einer Diskriminierung sein können und im Vorfeld der Regierungskonferenz diskutiert worden sind, nicht in die Vorschrift aufgenommen worden sind: Hautfarbe, Sprache, Kultur, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Klasse, Schicht oder Gruppe, Nationalität (wobei in bezug auf das letztgenannte Merkmal allerdings anzumerken ist, daß die Vorschrift des Art. 6 EGV - früher: Art. 7 EWGV - seit jeher ein im Hinblick auf die vier Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts - z.B. in Art. 48 Abs. 2 EGV in bezug auf die Freizügigkeit der Arbeitnehmer- ein jeweils bereichsspezifisch konkretisiertes allgemeines Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit im Hinblick auf Bürger der Mitgliedstaaten der Union enthält). Überdies stellt der neue Art. 6a EGV lediglich eine Ermächtigung zum Handeln dar; er wirkt anders als Art. 1 19 EGV somit nicht unmittelbar. Die Bedeutung des bereits erwähnten Diskriminierungsverbots wegen des Geschlechts für die Europäische Gemeinschaft ist im Vertrag von Amsterdam insofern noch hervorgeboben worden, als die Gleichstellung von Männern und Frauen durch eine entsprechende Ergänzung des Art. 2 EGV ausdrücklich in die Umschreibung der in dieser Vorschrift niedergelegten Aufgabe der Gemeinschaft aufgenommen worden ist. Die Bestimmung des Art. 119 EGV über den Grundsatz der Entgeltgleichheit von Männern und Frauen hat überdies dadurch eine Präzisierung erfahren, daß in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs dieser Grundsatz nunmehr ausdrücklich sowohl bei gleicher als auch bei gleichwertiger Arbeit gilt. Diese Formulierung des Absatzes 1 geht über den Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 des Abkommens über die Sozialpolitik (Sozialabkommens) hinaus, an den sich die Vorschrift im übrigen anlehnt. Dasselbe gilt für den neuen Absatz 4 dieser Vorschrift, der entsprechend Art. 6 Abs. 4 des Sozialabkommens feststellt, daß der Grundsatz der Gleichbehandlung einen Mitgliedstaat nicht daran hindert, im Hinblick auf die effektive Gewährleistung der vollen Gleichstellung von Männern und Frauen im Arbeitsleben zur Erleichterung der Berufstätigkeit des unterrepräsentierten Geschlechts oder zur Verhinderung bzw. zum Ausgleich von Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn spezifische Vergünstigungen beizubehalten oder zu beschließen. In einer Erklärung zu Artikel 119 Absatz 4 für die Schlußakte wird zudem ausdrücklich darauf hingewiesen, daß Maßnahmen der Mitgliedstaaten nach Art. 119 Abs. 4 EGV in erster Linie der Verbesserung der Lage der Frauen im Arbeitsleben dienen sollten. Diese Ergänzung des Art. 119 EGV stellt eine Reaktion der Mitgliedstaaten auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-450/93 (Kalanke), EuGHE 1995, 1-3051) dar, worin der Gerichtshof in Zusammenhang mit dem Bremer Gleichstellungsgesetz befunden hat, daß ein "automatischer" Vorrang von Frauen gegenüber Männern u.U. gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt. Diese Entscheidung, die in der Öffentlichkeit sehr kritisiert worden ist, ist im Lichte des Umstandes, daß der Grundsatz der Gleichbehandlung letztlich ein individuelles Grundrecht auf Gleichbehandlung für Frauen wie aber auch für Männer verbürgt, jedenfalls insoweit vertretbar, als sie vorschreibt, daß im Einzelfall - z.B. dem (gewiß seltenen) Fall der "Konkurrenz" eines alleinerziehenden Vaters mit minderjährigen Kindern und einer in einer kinderlosen Doppelverdienerehe lebenden Arbeitnehmerin bei gleicher Qualifikation - soziale Erwägungen auch zugunsten eines Angehörigen des nicht allgemein unterrepräsentierten Geschlechts (gemeinhin des männlichen) gegenüber dem gem. Art. 119 Abs. 4 EGV i.d.R. "automatisch" zu bevorzugen unterrepräsentierten Geschlechts zur Anwendung gelangen können; ansonsten steht die Entscheidung Maßnahmen der sogenannten positiven Diskriminierung von Frauen, die nicht schematisch und "automatisch" an der statistischen Ungleichverteilung von Männern und Frauen ansetzen, nicht entgegen. Der neue Art. 119 Abs. 4 EGV hat insofern eine Klarstellungsfunktion. Schließlich verdient die Einfügung des neuen Art. 213b in den EG-Vertrag Erwähnung, wonach ab 1. Januar 1999 die Rechtsakte der Gemeinschaft über den Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und dem freien Verkehr solcher Daten auf Gemeinschaftsorgane und -Einrichtungen Anwendung finden. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Rat eine unabhängige Kontrollinstanz einzurichten, welche für die Beachtung der Anwendung derartiger Rechtsakte verantwortlich ist, und um erforderlichenfalls weitere einschlägige Bestimmungen zu erlassen. Diese Vorschrift verstärkt den - zumal gegenüber der Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland - bislang sehr unzureichenden - Schatz natürlicher Personen bei der Verarbeitung und der Verbreitung personenbezogener Daten auf Gemeinschaftsebene. Bilanziert man diese Vorschriften zu sozialen Grundrechten und Diskriminierungsverboten, so ist der durch die Neuregelungen unmittelbar bewirkte Fortschritt gewiß bescheiden. Zugleich eröffnen die Neuregelungen aber die Möglichkeit, sowohl auf Gemeinschaftsebene - nicht zuletzt durch Initiativen des Europäischen Parlaments - als auch politisch weitergehende Forderungen aufzustellen und ggf. auch durchzusetzen. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die "Geschichte" der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, die im Jahre 1989 auf dem Hintergrund der die soziale Dimension nicht nur vernachlässigenden, sondern ursprünglich völlig außer acht lassenden Politik zur Verwirklichung des Binnenmarktes rechtlich unverbindliche und zugleich in sowohl verfassungs- als auch sozialpolitisch überholter Weise - nämlich im wesentlichen beschränkt auf die Erwerbstätigen und namentlich die Arbeitnehmer als traditionelle Adressaten der Gemeinschaftssozialpolitik - formulierte soziale Zielvorstellungen als "soziale Grundrechte" "ausgeflaggt" und damit thematisiert hat (siehe oben 5.1). In Zusammenhang mit dem Aktionsprogramm zur Umsetzung der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, den einschlägigen Aktivitäten des Europäischen Parlaments sowie durch eine intensive Diskussion in der Öffentlichkeit ist es gelungen, die sozialen Grundrechte auf Gemeinschaftsebene weiter auf der Tagesordnung zu halten mit dem Ergebnis, daß heute mit dem vorstehend bereits erwähnten "Bericht der Weisen" erstmalig ein Szenario für die Einführung sozialer Grundrechte auf Gemeinschaftsebene vorliegt und diese nunmehr in Gestalt der vorstehend erwähnten bescheidenen Verbesserungen ansatzweise Eingang in das primäre Gemeinschafts- und Unionsrecht gefunden haben. Bei dem heute bereits erreichten Stand der Europäischen Integration und angesichts des Einflusses, den die supranationale und im Rahmen ihrer Kompetenzen mit Vorrang vor dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten handelnde Europäische Gemeinschaft auf die - in den Mitgliedstaaten verfassungsgerichtlich geschützte - Sphäre des einzelnen Bürgers hat, erscheint eine positivrechtliche Verankerung der Grundrechte - einschließlich sozialer Grundrechte - auf Gemeinschaftsebene letztendlich unverzichtbar. Im Anschluß an die vorstehenden Bemerkungen zur Reform der Gemeinschaftsinstitutionen und damit zugleich der rechtlichen Voraussetzung der Gemeinschaftspolitik ist zum Verfahren des Abschlusses des Vertrags von Amsterdam zunächst kritisch anzumerken, daß einmal mehr versäumt worden ist, die Europäische Öffentlichkeit im Vorfeld sowohl der vorbereitenden Regierungskonferenz als auch das den Vertrag von Amsterdam zum Abschluß bringenden Gipfeltreffens ausreichend über die dort zur Diskussion stehenden Inhalte zu informieren und an der politischen Diskussion zu beteiligen. Diese mangelnde Offenheit der Gemeinschaftspolitiken und das der Gemeinschaft innewohnende - bisher gleichsam systemimmanente - demokratische Defizit, welches auch auf dem Hintergrund der immer noch allzu beschränkten Kompetenzen des Europäischen Parlaments und dessen unzureichender Beteiligung am Zustandekommen des Vertrags von Amsterdam gesehen werden muß, sind in entscheidender Weise mitverantwortlich für die mangelnde Akzeptanz von Gemeinschaftsrecht und -politik bei den Bürgern der Mitgliedstaaten, die ihres besonderen Status als Unionsbürger nicht zuletzt aus diesem Grunde bislang sowohl nicht hinreichend teilhaftig als auch dessen noch nicht richtig bewußt geworden sind. Die Sozialpolitik ist grundsätzlich in besonderer Weise geeignet, die Distanz zwischen Unionsbürgern und Europäischer Gemeinschaft/Union zu verringern und zugleich zur Stärkung der Akzeptanz der Gemeinschaft wie der Union insgesamt beizutragen, da ihre Inhalte die Bürger unmittelbar betreffen. Aus diesem Grunde ist es zunächst sehr zu begrüßen, daß mit Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam die Zweigleisigkeit der Europäischen Sozialpolitik - Europäische Sozialpolitik i.e.S. gemäß Art. 117ff. EGV - ursprünglich aller zwölf, später nach dem EG-Beitritt "Finnlands, Österreichs und Schwedens" aller fünfzehn Mitgliedstaaten - einerseits und Europäische Sozialpolitik i.S. des Abkommens über die Sozialpolitik der - ursprünglich Elf und dann Vierzehn (mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs auf der Grundlage des Protokolls über die Sozialpolitik) andererseits - beendet und durch eine einheitliche gemeinschaftliche Sozialpolitik auf der Grundlage der Art. 117 - 120 EGV n.F. abgelöst werden wird; dies ist zugleich die wichtigste Änderung im Bereich der Sozialpolitik, die der Vertrag von Amsterdam gebracht hat. Damit ist die Gemeinschaftssozialpolitik zugleich - und aber auch lediglich - auf dem Stand angelangt, der an sich bereits mit dem Vertrag über die Europäische Union und damit Ende 1993 erreicht werden sollte, war doch vor "Maastricht" geplant, die Vorschriften, die dann in das Abkommen über die Sozialpolitik Eingang gefunden haben, an die Stelle der Art. 117-122 EWGV treten zu lassen. Die heutige Fassung der Vorschriften über die Sozialpolitik - Art. 117-120 EGV n.F. - bleibt allerdings hinter den Vorstellungen zurück, welche die seinerzeitige niederländische Präsidentschaft im Vorfeld von "Maastricht" entwickelt hatte, war doch damals ursprünglich beabsichtigt, das Einstimmigkeitsprinzip, welches heute nach wie vor für den sozialen Schutz der Arbeitnehmer und die soziale Sicherheit als Kernbereich der Sozialpolitik gilt, zugunsten des Prinzips der qualifizierten Mehrheit zu ändern. Dementsprechend stellt sich die Frage der Gemeinschaftskompetenz im Bereich der Sozialpolitik i.e.S. künftig wie folgt dar: Wie bereits erwähnt "eingedenk der sozialen Grundrechte, wie sie sich namentlich aus der Europäischen Sozialcharta und der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer von 1989 ergeben" verfolgen die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten gemeinsam nach Maßgabe des Art. 117 Abs. 1 EGV n.F. folgende sozialpolitischen Ziele: - die Förderung der Beschäftigung, - die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, um dadurch auf dem Wege des Fortschritts ihre Angleichung zu ermöglichen, - einen angemessenen sozialen Schutz, - den sozialen Dialog, - die Entwicklung des Arbeitskräftepotentials im Hinblick auf ein dauerhaftes hohes Beschäftigungsniveau sowie - die Bekämpfung von Ausgrenzungen. Der Erreichung dieser Ziele dienen gemäß Art. 118 EGV n.F. Maßnahmen, die sowohl den überkommenen Praktiken in den Mitgliedstaaten als auch - ein in der Praxis maßgeblicher Vorbehalt - der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in der Gemeinschaft Rechnung zu tragen haben. Bemerkenswert ist, daß die Verfolgung der vorgenannten Ziele und die Durchführung der zu ihrer Erreichung bestimmten Maßnahmen nunmehr gemeinsame Angelegenheit der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten ist (während nach der alten Fassung des Art. 117 EGV die Mitgliedstaaten allein Akteure der Sozialpolitik waren). Was diesen Beitrag der Europäischen Gemeinschaft angeht, so " unterstützt und ergänzt" sie die Aktivitäten der Mitgliedstaaten, wobei in einigen Bereichen das Prinzip der qualifizierten Mehrheit für die Beschlußfassung im Rat gilt, in anderen Bereichen, namentlich in dem kostenträchtigen und innenpolitisch sensiblen Kernbereich der sozialen Sicherheit weiterhin als Einstimmigkeitsprinzip gilt, und einige Angelegenheiten, namentlich Fragen der Lohnfindung sowie das Arbeitskampfrecht jeglicher Gemeinschaftszuständigkeit entzogen sind. Dies bedeutet im einzelnen: (i) im Hinblick auf Verbesserung, insbesondere der Arbeitsumwelt zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer, Arbeitsbedingungen, Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer, Eingliederung der aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Personen, sowie Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt und Gleichbehandlung am Arbeitsplatz kann der Rat gemäß dem Verfahren der Mitentscheidung gemäß Art. 189b EGV, d.h. mit qualifizierter Mehrheit durch Richtlinien Mindestvorschriften erlassen (wodurch die Gemeinschaftskompetenz, die in der Vergangenheit auf berufliche Eingliederung beschränkt war, eine Ausweitung erfahren hat und die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung damit zugleich eine solidere Rechtsgrundlage erhalten haben); (ii) hingegen gilt nach wie vor das Einstimmigkeitsprinzip nach Anhörung des Europäischen Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses in den Bereichen soziale Sicherheit und sozialer Schutz der Arbeitnehmer, Schutz der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsvertrags, Vertretung und kollektive Wahrnehmung der Arbeitnehmer und Arbeitgeberinteressen, einschließlich der Mitbestimmung (mit Ausnahme von Fragen des Arbeitsentgelts, des Koalitionsrechts, des Streikrechts sowie des Aussperrungsrechtes), Beschäftigungsbedingungen der Staatsangehörigen aus Drittstaaten, die sich rechtmäßig im Gebiet der Gemeinschaft aufhalten, sowie finanzielle Beiträge zur Förderung der Beschäftigung und zur Schaffung von Arbeitsplätzen (unbeschadet der Bestimmungen über den Europäischen Sozialfonds) - Art. 118 Abs. 3 EGV -; (iii) keinerlei Gemeinschaftszuständigkeit besteht im Hinblick auf Arbeitsentgelt, Koalitionsrecht, Streikrecht und Aussperrungsrecht- Art. 118 Abs. 6 EGV -. Hinzuweisen ist insbesondere darauf, daß damit Fragen der Lohnfindung der Gemeinschaftskompetenz generell entzogen sind. Darüber hinaus ist festzuhalten, daß nach wie vor Einstimmigkeit erforderlich ist für die soziale Sicherheit. Dies bedeutet, daß die Gemeinschaft, die auch durch ihr umfangreiches Liberalisierungs- und Deregulierungsprogramm zur Schwächung der Autonomie der Mitgliedstaaten in bezug auf die Politik der sozialen Sicherheit entscheidend beigetragen hat - nicht zuletzt dadurch, daß den Unternehmen in zuvor nie bestehendem Ausmaß möglich ist, (schlagwortartig formuliert) "Arbeitsplätze und Gewinne zu exportieren sowie Arbeitskräfte und Kosten zu importieren" und sich dadurch den Zugriff des Steuerstaates zu entziehen -, diesen auch auf Gemeinschaftsebene entstandenen Autonomieverlust der Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene in keiner Weise auf Gemeinschaftsebene ausgleicht.
Hervorzuheben ist ferner die - partielle - Ersetzung des Verfahrens der Zusammenarbeit durch diejenige der Mitentscheidung seitens des Europäischen Parlaments (Art. 189b EGV) und die damit verbundene Aufwertung der Rolle des Parlaments. Durch das ihm jetzt durch dem Wirtschafts- und Sozialausschuß eingeräumte Anhörungsrecht ist auch die Stellung des Ausschusses der Regionen gestärkt worden. Im Einklang mit dem Abkommen über die Sozialpolitik ist schließlich den Sozialpartnern die Möglichkeit eingeräumt worden, im Rahmen eines in Art. 118b EGV im einzelnen niedergelegten Verfahren in den von Art. 118 EGV erfaßten Bereichen eigenständige Vereinbarungen zu treffen. In diesem Verfahren treten die Sozialpartner auf Gemeinschaftsebene in gewissem Umfang an die Stelle der Gemeinschaftsinstitutionen. Allerdings wäre es voreilig, hierin auch in der praktischen Sozialpolitik eine entscheidende Machtverschiebung zugunsten der Sozialpartner und zu Lasten der Gemeinschaftsorgane zu sehen, sprechen doch die bisherigen Erfahrungen mit der Tätigkeit der Sozialpartner auf Gemeinschaftsebene dafür, daß von diesem Verfahren nur höchst selten Gebrauch gemacht werden wird. Überhaupt sind seit Inkrafttreten des Abkommens über die Sozialpolitik von Maastricht lediglich zwei Vereinbarungen - über Betriebsräte und Elternurlaub - im Verfahren nach dem Sozialabkommen zustande gekommen. Angesichts des tendenziell eher sinkenden Einflusses der Sozialpartner und ihrer sehr unterschiedlichen Repräsentativität in den einzelnen Mitgliedstaaten steht für die Zukunft zu erwarten, daß die Sozialpartner auch nur in Fragen, die zu ihrer ureigensten Domäne gehören, das Rechtssetzungsverfahren an sich ziehen werden; gegenwärtig stehen Regelungen einmal über Teilzeitarbeit und zum anderen über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zur Beratung an. Im übrigen begegnet allerdings auch die bloße Möglichkeit, daß die Sozialpartner "gleichsam exklusiv" Regelungen vornehmen, sowohl überhaupt als auch im Hinblick auf die unzureichend geregelte Beteiligung des Parlaments an diesem Verfahren "EG-verfassungsrechtlichen" Bedenken. Hier wäre eine entsprechende Klarstellung gegenüber dem Sozialabkommen wünschenswert gewesen; sie sollte nunmehr im Rahmen der weiter auch angestrebten Reform der Gemeinschaftsinstitutionen und -verfahren erfolgen. Mit Inkrafttreten des Ende Oktober 1997 unterzeichneten Vertrages, - womit nicht vor 1999 zu rechnen ist (zumal in einigen Mitgliedstaaten Referenden stattfinden müssen) - wird die soziale Dimension der Gemeinschaft insgesamt eine Aufwertung erfahren, da die Gemeinschaft sehr viel mehr Handlungsmöglichkeiten haben wird als in der Vergangenheit. Aufgabe künftiger Politik wird es sein, zum einen das Einstimmigkeitsprinzip namentlich im Bereich der sozialen Sicherheit zurückzudrängen und zum zweiten für eine Abstimmung von Sozial- und Steuerpolitik zu sorgen.
5.3. Rahmenbedingungen Europäischen Rechts und Europäischer Politik für die Sozialpolitik
Was die Bedeutung der Europäischen Gemeinschaft für die nationale Sozialpolitik angeht, so gilt es heute deshalb zwischen rechtlicher Kompetenz und faktischer Einflußnahme zu unterscheiden. In der Tat ist die Europäische Gemeinschaft auf sozialem Gebiet im wesentlichen dazu berufen, zur Verwirklichung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und der Niederlassungsfreiheit der Selbständigen die sozialen Sicherheitssysteme zugunsten der " Wandererwerbstätigen" zu koordinieren und dadurch zu gewährleisten, daß diese in ihrem jeweiligen Beschäftigungsland in sozialer Hinsicht einheimischen Arbeitnehmern gleichgestellt werden und ihnen insbesondere im Hinblick auf Versicherungsverläufe, Sicherung von Anwartschaften und Gewährung von Leistungen aus dem Umstand, daß sie in mehreren Mitgliedstaaten beschäftigt sind (oder gewesen sind) oder in dem einen Mitgliedstaat gearbeitet haben oder arbeiten und in einem anderen wohnen, sowohl während dieser ihrer Erwerbstätigkeit als auch nach Ausscheiden aus dem Erwerbsleben, wenn sie beispielsweise in einen anderen Mitgliedstaat (z.B. ihr Heimatland) umziehen, keine Nachteile im Bereich der sozialen Sicherheit erwachsen. [ Vgl. zu den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften Schulte, B. (Hrsg.), Soziale Sicherheit in der EG. Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und 574/72 sowie andere Bestimmungen, 3. Aufl., München 1997; Nomos Kommentar zum Europäischen Sozialrecht, Baden - Baden 1994 (2. Aufl. 1998 in Vorb.).] Darüber hinaus gehört die Durchsetzung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für gleiche Arbeit für Männer und Frauen (Art. 119 EGV) sowie der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in arbeits- und sozialrechtlicher Hinsicht überhaupt, wie sie von insgesamt fünf EWG-Richtlinien zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen [ Vgl. dazu Richtlinien (EWG) - 75/117/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen v. 10. Februar 1975 ABI. EG Nr. L45/19); - 76/207/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen vom 9. Februar 1976 (ABI. EG Nr. L 39/40); - 79/7/EWG zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit vom 19. Dezember 1978 (ABI. EG Nr. L 6/24); - 86/378/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit vom 24. Juli 1986 (ABI. EG Nr. L 225/48); - 86/613/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit - auch in der Landwirtschaft - ausüben, sowie über den Mutterschutz vom 11. Dezember 1986 (ABI. EG Nr. L 359/56).] geregelt wird, zu den Essentials der Europäischen Gemeinschaft. An dritter Stelle zu nennen ist der Arbeitsschutz, für den mittlerweile - vor allem seit Einfügung des Art. 118a EGV in den (seinerzeit noch) EWG-Vertrag durch die Einheitliche Europäische Akte als juristischer "Blaupause" des Binnenmarktes - gleichfalls Gemeinschaftskompetenzen begründet worden sind. [ Vgl. zu einem Oberblick über das Europäische (= EG - ) Arbeits - und Sozialrecht beispielsweise zum einen Birk, R., Arbeitsrecht - Freizügigkeit der Arbeitnehmer und Harmonisierung des Arbeitsrechts, in: Lenz, C. (Hrsg.), EG Handbuch Recht im Binnenmarkt, 2. Aufl., Herne 1994, S. 365ff., und Schulte, B., Sozialrecht, ebd., S. 407ff., jeweils m.w.N.; einen materialreichen Einstieg und eine breite Obersicht über die gesamte Problematik geben Oetker, R./Preis, U., Arbeits - und Sozialrecht, Heidelberg 1994ff. (Loseblatt); zu einer aktuellen Problemsicht über das Europäische Sozialrecht vgl. die Beiträge in: Maydell, B. von/Schulte, B. (Hrsg.), Zukunftsperspektiven des Europäischen Sozialrechts, Berlin 1995.] Von diesen Bereichen abgesehen ist die Sozialpolitik nach dem bereits Gesagten nach wie vor in erster Linie Angelegenheit der Mitgliedstaaten. Daran wird sich auch in Zukunft - zumal unter dem Vorzeichen der Subsidiarität, die nunmehr im EG-Vertrag in Art. 3b Abs. 2 EGV ausdrücklich verankert ist - nichts ändern. Allerdings gilt auch: Sowohl der rechtliche als auch der politische Rahmen, den das Gemeinschaftsrecht und die Gemeinschaftspolitik der nationalen Sozialpolitik setzen, wird immer enger und es werden auch die Wechselwirkungen zwischen EG-Recht und -Politik einerseits und nationalem Sozialrecht und nationaler Sozialpolitik andererseits immer Intensiver. [ Vgl. für das Sozialrecht exemplarisch die Beiträge in Schulte, B./Zacher, H. (Hrsg.), Wechselwirkungen zwischen dem Europäischen Sozialrecht und dem Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1991, sowie in Deutscher Sozialrechtsverband e.V. (Hrsg.), Europäisches Sozialrecht, Wiesbaden 1992.] Nicht zuletzt Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften in Luxemburg haben auch einer breiteren Öffentlichkeit diesen Umstand ins Bewußtsein gerufen. Auch für eine breite Öffentlichkeit besonders spektakulär war jüngst das Urteil in der Rechtssache Bosman, [ EuGH, Urt. v. 15.12.1995, RS C - 415/93 (Bosman), EuGHE 1995, I - 4921 der Europäischen Gemeinschaften (EuGHE) - noch nicht veröffentlicht.] wonach das Recht auf Freizügigkeit der Arbeitnehmer gemäß Art. 48 EGV der Anwendung durch Sportverbände aufgestellter Regeln entgegensteht, wonach Berufsfußballspieler, die Staatsangehörige eines EU-Mitgliedstaates sind, bei Ablauf des Vertrages, der sie an einen Verein bindet, nur dann für einen anderen Verein aus einem EU-Mitgliedstaat freigegeben werden, wenn dieser dem früheren Verein eine Transfer-, Ausbildungs-, Förderungsentschädigung o.ä. zahlt; auch eine Begrenzung der Anzahl von Spielern, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, pro Spiel, d.h. eine sogenannte "Ausländerklausel", verstößt gegen den vorstehend erwähnten gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Freizügigkeit, da er eines für derartige Einschränkungen der Freizügigkeit erforderlichen hinreichenden rechtfertigenden Grundes entbehrt. Letztlich sehr viel stärker als die eigentlichen Vorschriften über die Sozialpolitik und auch die bereits erwähnten Vorschriften, die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer, Gleichbehandlung von Mann und Frau und den Arbeitsschutz betreffend sind für die künftige Entwicklung in Europa diese gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen über die Grundfreiheiten - Freizügigkeit, Niederlassungsfreiheit, Warenverkehrsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit - sowie etwa auch die gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln (Art. 85ff. EGV) von Bedeutung. Hier stellt sich nämlich zum einen die Frage, inwieweit nicht der von den Grundfreiheiten und vom Wettbewerbsrecht bestimmte Bereich privater Wirtschaftstätigkeit nach Maßgabe der einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben auch auf solche Tätigkeiten ausgedehnt werden muß, die in der Vergangenheit durch öffentliche Träger der sozialen Sicherheit wahrgenommen worden sind, geht es mithin um die Abgrenzung zwischen staatlicher Sozialpolitik und insbesondere Politik der sozialen Sicherheit einerseits und freier Wirtschaftstätigkeit andererseits, m.a.W. um die Abgrenzung zwischen staatlichem bzw. öffentlichem Handeln und "Markt", d.h. privatem Handeln. Infrage steht dabei zum einen die rechtliche Zulässigkeit der öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung des sozialen Schutzes dahingehend, daß etwa den Trägern der sozialen Sicherheit bestimmte Aufgaben mehr oder weniger ausschließlich übertragen werden, sowie zum anderen um die Ausgestaltung der Leistungserbringung durch diese öffentlichen Träger dergestalt, daß sie im Hinblick auf die Inanspruchnahme von Leistungserbringern nach Maßgabe des Territorialitätsgrundsatzes im wesentlichen auch auf Leistungserbringern aus ihrem jeweiligen Herkunftsland beschränkt sind. Hier geht es zum einen darum, inwieweit die Tätigkeit von Trägern der sozialen Sicherheit - etwa von Sozialversicherungsträgern - als Ausübung öffentlicher Gewalt insbesondere auch im Lichte der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs der Anwendbarkeit der gemeinschaftsrechtlichen Regelungen über Grundfreiheiten und Wettbewerb entzogen ist. Kriterien in diesem Zusammenhang sind etwa die im Vergleich zu privaten Wirtschaftsobjekten fehlende Absicht der Gewinnerzielung sowie das die Tätigkeit der Träger der sozialen Sicherheit typischerweise prägende Merkmal der Solidarität und damit die spezifische sozialpolitische Zielsetzung, die sich nicht zuletzt darin ausdrückt, daß entweder alle oder doch alle sozial schutzbedürftigen Personen in den personellen Anwendungsbereich der einschlägigen sozialrechtlichen Regelungen einbezogen sind und zwischen diesen Personen ein auf Umverteilung gründender sozialer Ausgleich stattfindet. Soweit diese sozialpolitischen Aufgaben nicht oder jedenfalls nicht in derselben Weise und mit derselben Effektivität von privaten Anbietern wahrgenommen werden können, dürfte auch vom Gemeinschaftsrecht eine Sonderstellung im Hinblick auf die Einschränkung bzw. den Ausschluß der Geltung der Grundfreiheiten und des Wettbewerbsrechts bestehen. Die Finanzierung der sozialen Sicherheit nach dem Umlageverfahren dürfte ein weiteres Kriterium sein, welches die genannten Sonderstellung der Einrichtungen des öffentlichen Sozialschutzes unterstreicht. An der Frage der Vereinbarkeit des "Monopols" der gesetzlichen Unfallversicherung mit dem Gemeinschaftsrecht, das vor allen Dingen auch wegen der für die deutsche gesetzliche Unfallversicherung typischen Koppelung von Unfallprävention und -kompensation und der damit verbundenen spezifischen Art der Umlagefinanzierung, ließe sich die vorstehend angesprochene Problematik verdeutlichen. [ Vgl. zu dieser Problematik von Maydell, B., Erbringung von Sozialleistungen (insbesondere im Gesundheitswesen) und Marktfreiheit, in: von Maydell, B./Schnapp, F. (Hrsg.), Die Auswirkungen des EG - Rechts auf das Arbeits- und Sozialrecht der Bundesrepublik - unter besonderer Berücksichtigung der neuen Bundesländer - , Berlin 1992, S. 25ff., Giesen, R., Sozialversicherungsmonopol und EG - Vertrag, Baden - Baden 1990, Fuchs, M., Die Vereinbarkeit von Sozialversicherungsmonopolen mit dem EG - Recht, in: Zeitschrift für ausländisches und internationales Arbeits - und Sozialrecht (ZIAS) 10 (1996), S. 338ff.; jüngst Schulz - Weidner, W., Die Konsequenzen des europäischen Binnenmarktes für die deutsche Rentenversicherung, in: Deutsche Rentenversicherung (DRV) 1997, S. 449ff., ders./Felix, F., Die Konsequenzen der europäischen Wirtschaftsverfassung für die österreichische Sozial versicherung, in: Soziale Sicherheit (SozSi) 1997, S. 1120ff.] In ähnlicher Weise steht auch der Grundsatz, daß insbesondere Sachleistungen im Bereich der sozialen Sicherung grundsätzlich nur im übrigen Inland erbracht werden (wie der in § 34 SGB Xl jüngst noch für die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung gesetzlich festgeschrieben worden ist), auf dem gemeinschaftsrechtlichen "Prüfstand", bedeutet diese Regelung doch eine Einschränkung sowohl der aktiven Dienstleistungsfreiheit - d.h. der Freiheit in anderen Mitgliedstaaten tätiger Dienstleistungserbringer, in dem jeweiligen Mitgliedstaat ihrerseits Dienstleistungen erbringen zu können - als auch der passiven Dienstieistungsfreiheit - d.h. der Freiheit der Bürger und Versicherten, Dienstleistungen (z.B. ärztliche Behandlung, stationäre Behandlung im Krankenhaus, Heilmittel und Hilfsmittel) in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch nehmen zu können. Auch hier kommt es letztlich darauf an, ob derartige Einschränkungen durch einen spezifischen öffentlichen Zweck, zu dem neben der Gewährleistung eines bestimmten Qualitätsstandards auch die Wahrung des finanziellen Gleichgewichts des jeweiligen Systems der sozialen Sicherheit gehört, gerechtfertigt werden können. Hier sind für die Zukunft erhebliche Zweifel daran anzumelden, ob sich die bisherige Praxis der grundsätzlich nationalen Leistungserbringung gemeinschaftsrechtlich wird halten lassen. Vor diesem Hintergrund läßt sich in der Tat von einer " Transformation des Handlungspotentials" sprechen, welche die wohlfahrtsstaatlichen Systeme der Mitgliedstaaten in der Konsequenz der Europäischen Integration erfahren haben, und die dazu geführt hat, daß " dieses uns allen noch selbstverständliche, fast 'natürliche' nationalstaatliche Fundament des Wohlfahrtsstaats ... schon im Integrationsprozeß - wenn auch später und möglicherweise weniger intensiv als in anderen Politikbereichen - rissig geworden" ist. [ Vgl. so Leibfried, S., Wohlfahrtsstaatliche Perspektiven der Europäischen Union: Auf dem Wege zu positiver Sou veränitätsverflechtung?, in: Jachtenfuchs, M./Kohler - Koch, P. (Hrsg.), Europäische Integration, Opladen 1996, S. 455ff.] Ursächlich für diese Entwicklung (die m.E. noch nicht so weit fortgeschritten ist wie es in diesem Zitat anklingt), für die Ansätze in der Tat vorhanden sind, ist nicht lediglich der vorstehend beschriebene, kontinuierliche, im Bereich der Sozialpolitik sich allerdings weniger stark als in anderen Politikbereichen auswirkende Souveränitatsverlust, den die Mitgliedstaaten dadurch erlitten haben, daß sie in den Europäischen Verträgen Teile eben dieser ihrer Souveränität auf die supranationale Europäische Gemeinschaft übertragen haben, die gestützt darauf ihrerseits nationalem Recht der Mitgliedstaaten eigenes Recht - sekundäres Gemeinschaftsrecht - setzen kann, sondern verantwortlich dafür ist in sehr größerem Maße die Einschränkung der Autonomie der Mitgliedstaaten, im Rahmen der ihnen verbliebenen Souveränität sozialpolitisch zu handeln. Ob man bereits soweit gehen kann zu sagen, daß sich in der Europäischen Gemeinschaft "ein System geteilter politischer Verantwortung über die Sozialpolitik" herausgebildet habe [ Vgl. in diesem Sinne Leibfried, S./Pierson, P., Multitiered Institutions and the Making of Social Policy in: dies. (Hrsg.), European Social Policy. Between Fragmentation and Integration, Washington 1995, S. 1ff., dies., Semisovereign Welfare States. Social Policy in a Multitiered Europe, ebd., S. 43ff. u. dies., The Dynamics of Social Policy Integration, ebd., S. 432ff] , ist zwar fraglich, zutreffend ist aber jedenfalls die Beobachtung, daß das Vermögen der Mitgliedstaaten, sozialpolitisch zu handeln, in immer größerem Umfang innerhalb eines die Handlungsmöglichkeiten de facto einschränkenden supranationalen Rahmens angesiedelt ist: (i) Belege dafür sind sowohl der vorstehend bereits erwähnte, ständig wachsende Umfang des Gemeinschaftsrechts- des sogenannten "acquis communautaire" - und die sich daraus ergebenden Bindungen und Verpflichtungen der sozialpolitischen Akteure, als auch der Einfluß, den die Gemeinschaftspolitiken dadurch ausüben, daß nahezu alle staatlichen Tätigkeitsbereiche in der einen oder anderen Weise von den Gemeinschaftsaktivitäten berührt werden. So verpflichten die Konvergenzkriterien, die in Maastricht für die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion vereinbart worden sind und die sich auf Preisstabilität, Zinsniveau, Haushaltsdefizit und Wechselkursstabilität beziehen, die Mitgliedstaaten zu einer stabilitätsorientierten Wirtschaftspolitik, welche der Sozialpolitik eine entsprechende Zielvorgabe vorgibt und beispielsweise die Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten einem Konsolidierungsdruck aussetzt. [ Vgl. dazu illustrativ für die Rentenversicherung Rehfeld, U./Lankes, F./Grütz, J., Die Europäische Wirtschafts - und Währungsunion - Auswirkungen auf die Rentenversicherung, in: Deutsche Rentenversicherung (DRV) 1996, S. 799ff.] Vom Zustandekommen der Währungsunion, die zu einer Absenkung der Transaktionskosten führt und den Binnenmarkt vollendet, werden Effizienzgewinne erhofft, die auf den Arbeitsmarkt ausstrahlen und insofern sozialpolitisch sich positiv auswirken. (ii) Der Übergang vom Einstimmigkeits- zum Mehrheitsprinzip - wie im Abkommen über die Sozialpolitik und demnächst in den Vorschriften des EG-Vertrages über die Sozialpolitik lediglich punktuell vereinbart -, der mit jeder Erweiterung der Gemeinschaft um neue Mitglieder immer dringlicher wird, um die Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft zu erhalten, und der deshalb auch auf der Tagesordnung der Regierungskonferenz 1996/97 - "Maastricht II" - steht, führt gleichfalls dazu, daß das Gewicht der einzelnen Mitgliedstaaten abnimmt und diese immer häufiger gezwungen sind, im Wege des Kompromisses auch Entscheidungen mitzutragen, die ihren Wünschen eigentlich nicht entsprechen. (iii) Hinzu tritt der Einfluß, den gleichsam über den rechtlichen "acquis communautaire" "hinausschießend" die Gemeinschaftspolitiken dadurch ausüben, daß nahezu alle staatlichen Tätigkeitsbereiche in der einen oder anderen Weise nicht nur rechtlich von den Gemeinschaftsaktivitäten beeinflußt werden, sondern auch dadurch, daß die Gemeinschaft sich bemüht, durch die Schaffung der Grundlagen für einen regelmäßigen Informations- und Erfahrungsaustausch, durch Vorschläge für abgestimmtes Verhalten, Vermittlung von Beispielen für "good practice" usw. die Mitgliedstaaten dahin zu bringen, bei der Gestaltung ihrer Politik die Politiken der anderen Mitgliedstaaten zunächst zur Kenntnis zu nehmen, sie darüber hinaus aber auch möglichst freiwillig zu berücksichtigen und miteinander abzustimmen. (iv) Der Europäischen Kommission steht im gemeinschaftsrechtlichen Rechtsetzungsprozeß ein Initiativrecht zu. Damit bestimmt sie - durch das den Sozialpartnern im Abkommen über die Sozialpolitik eingeräumte Initiativrecht nur unwesentlich eingeschränkt - die Agenda des Rates als des maßgeblichen Rechtsetzungsorgans der Gemeinschaft. Inwieweit dieses Initiativrecht der Kommission freilich zugunsten eines Autonomiegewinns der Gemeinschaft im (auch sozial-)politischen Bereich genutzt werden kann, hängt nicht zuletzt von der jeweiligen politischen Konstellation ab, namentlich der Unabhängigkeit und Stärke der Kommission und insbesondere auch der Persönlichkeit und des politischen Gewichts ihres Präsidenten. Die Beschäftigungspolitik auf Europäischer Ebene ist geeignet, die Grenzen dieser Initiativmöglichkeiten der Kommission zu illustrieren. (v) Auch der Umstand, daß sich die Mitgliedstaaten immer stärker dessen bewußt werden, daß sie in einer immer enger zusammenwachsenden und deshalb kleineren Welt immer stärker aufeinander angewiesen sind und daß diese Interdependenz dazu führt, daß sie, wie vorstehend illustriert (siehe oben 3.), vor gleichen oder ähnlichen Problemen stehen, mag dazu beitragen, daß die Mitgliedstaaten künftig mehr als in der Vergangenheit bereit sein werden, sich bei der Suche nach Lösungen miteinander abzustimmen und auch nach gemeinschaftlichen (im Sinne von durch die Europäische Gemeinschaft bewirkten) Lösungen zu suchen. Dies bedeutet auf der anderen Seite freilich auch, daß der Hinweis auf - wirklich oder vermeintlich - von der Europäischen Gemeinschaft verlangte oder von ihr mittelbar erzwungene Maßnahmen nicht selten dazu dient, eigene Unzulänglichkeiten zu verdekken und unpopuläre Entscheidungen dem Verantwortungsbereich der Gemeinschaft zuzuweisen. Die Politik der Konsolidierung im Sozialbereich, die in einigen Mitgliedstaaten durchaus das Etikett "Politik des Sozialabbaus" oder des "Rückbaus des Sozialstaats" (Schewe) verdient und für die i.d.R. nicht zuletzt die Notwendigkeit ins Feld geführt wird, den Konvergenzkriterien der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion genügen zu müssen, illustriert diesen Umstand. (vi) Sucht man nach einer Bestätigung in der praktischen Sozialpolitik dafür, daß diese Entwicklungen zu der eingangs behaupteten Bedeutungseinbuße der nationalstaatlichen Ebene führen, so mag man ihn nicht zuletzt auch in den Aktivitäten unter zentralstaatlicher und nichtstaatlicher Akteure - Regionen bzw. Bundesländer, Gemeindeverbände, Kommunen, Wirtschaftsverbände, Arbeitgeberorganisationen, Gewerkschaften, Sozialversicherungsträger, Verbände der Freien Wohlfahrtspflege, Wissenschaftsorganisationen (ja selbst politischer Stiftungen) u.a. - finden, die sich nicht zufällig verstärkt auf der Europäischen Ebene betätigen, in Brüssel präsent sind, dabei den Kontakt und die Abstimmung zu ihresgleichen in anderen Mitgliedstaaten suchen, "Lobbying" bei den Gemeinschaftsinstitutionen betreiben usw., und die damit zugleich in verstärktem Maße außerhalb des überkommenen nationalstaatlichen Rahmens handeln. (vii) Den sozialen Dialog der Sozialpartner - Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften - auf Europäischer Ebene kann man als Ausdruck eines deutlichen Trends zu einer Art von "Euro-Korporatismus" ansehen. (viii) Das Europäische Forum für Sozialpolitik, welches Ende März 1996 - nicht zufällig zeitgleich zur Eröffnung der Regierungskonferenz "Maastricht II" in Turin - in Brüssel stattgefunden hat, zu dem repräsentative Nicht-Regierungsorganisationen des Sozialbereichs aus allen Mitgliedstaaten geladen waren, und welches im Juni 1998 eine Fortsetzung finden wird, dokumentiert darüber hinaus das neuerliche Interesse, welches auch die Europäische Kommission heute nichtstaatlichen Organisationen ("NGOs") im sozialen Bereich als Mittlern zu den Unionsbürgern entgegenbringt. Der neben den sozialen Dialog der Sozialpartner zu stellende zivile Dialog mit Nicht-Regierungsorganisationen des sozialen Bereichs als Vertretern der sogenannten "Zivilgesellschaft" soll die Distanz überbrücken helfen, die zwischen "Brüssel" und dem einzelnen Unionsbürger in den Mitgliedstaaten besteht (nicht zuletzt ausweislich der Referenden über den "MaastrichtVertrag" in den Mitgliedstaaten, in denen solche stattgefunden haben - besonders spektakulär in Dänemark und Frankreich -, und angesichts der politischen und vor allem psychologischen Vorbehalte gegen die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion und den "Euro" als künftiger Gemeinschaftswährung). Der Konsens zwischen den Sozialpartnern - der auf EG-Ebene in der Vergangenheit beispielsweise dazu geführt hat, daß die deutschen Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften eine gemeinsame Position "in Brüssel" zu der sozialen Dimension des Europäischen Binnenmarktes vertreten haben -, ist bislang ein wesentlicher Bestandteil des deutschen Sozialmodells gewesen, welches nicht zuletzt im Ausland aufmerksam beobachtet (und gelegentlich auch geneidet) worden ist, weil es mitverantwortlich zeichnet für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, das hohe Sozialleistungsniveau, die soziale Infrastruktur und insbesondere das hohe Ausmaß an sozialem Frieden in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten. Die Europäische Gemeinschaft, die sich anschickt, in Gestalt des "sozialen Dialogs" [ Vgl. dazu Art. 118b EGV und das auf der Grundlage des Protokolls über die Sozialpolitik der - seinerzeit Zwölf und heute Fünfzehn von den seinerzeit Elf und heute Vierzehn (mit Ausnahme - noch - des Vereinigten Königreichs) geschlossenen Abkommens über die Sozialpolitik von "Maastricht" im Rahmen der Vereinbarungen zum Vertrag über eine Europäische Union. Zu einer differenzierten Analyse aus dem Blickwinkel eines "teilnehmenden und handelnden Beobachters" vom Zustandekommen, Inhalt und den möglichen Konsequenzen des Sozialabkommens vgl. Schulz, O., Maastricht und die Grundlagen einer europäischen Sozialpolitik, Köln 1996; zu einem Überblick auch Eichenhofer, E., Das dem Vertrag über die Europäische Union angefügte "Protokoll über die Sozialpolitik", in: Rengeling, H. - W. (Hrsg.), Europäisierung des Rechts, Köln 1996, S. 151ff.; jüngst Birk, R., Vereinbarungen der Sozialpartner im Rahmen des sozialen Dialogs und ihre Durchführung, in: Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (EuZW) 1997, S. 453ff.] den Sozialpartnern auf Europäischer Ebene zusätzliche Kompetenzen bis hin zur Rechtsetzung im Sozialbereich zu geben, setzt damit für die Fortentwicklung der Europäischen Sozialpolitik gleichfalls auf die Sozialpartnerschaft. Im Zusammenhang mit der Schaffung des Europäischen Binnenmarktes, der am 1. Januar 1993 wirksam geworden ist, trat Ende der 80er Jahre auch für eine breitere Öffentlichkeit hierzulande deutlich die vorstehend bereits als für die Europäische Sozialpolitik charakteristisch hervorgehobene Kluft zutage, die zwischen der wirtschaftlichen und allgemein-politischen Entwicklung in der Europäischen Gemeinschaft einerseits und der sozialen Entwicklung in der Gemeinschaft andererseits bestand und besteht. Eine Reaktion auf dieses soziale Defizit war die Verabschiedung der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer durch die im Europäischen Rat versammelten Staats und Regierungschefs der Mitgliedstaaten in Straßburg im Jahre 1989. Allerdings ist diese Gemeinschaftscharta ein ausschließlich politisches Instrument, enthält sie doch keine rechtlich verbindlichen Verpflichtungen. Auch als "politische Erklärung" war die Gemeinschaftscharta dadurch noch in ihrer politischen Wirksamkeit beschränkt, daß das Vereinigte Königreich sie nicht unterzeichnet hatte. Im übrigen hat sich die Diskussion in Deutschland zum damaligen Zeitpunkt relativ einseitig bewegt zwischen der Beschwörung der Gefahr eines "sozialen Dumpings" einerseits und eines die deutschen "Sozialkassen" gefährdenden "Sozialtourismus" andererseits. Hinter dieser sehr beschränkten und zugleich sehr "defensiven" Diskussion stand und steht die Befürchtung, die im Europäischen Vergleich vergleichsweise hohen (wenn auch keineswegs höchsten) Sozialstandards hierzulande könnten sich im Binnenmarkt als Nachteil für die deutschen Unternehmen und den Wirtschaftsstandort Deutschland allgemein erweisen und zudem die Gefahr heraufbeschwören, daß verstärkt Sozialleistungen in Deutschland durch Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten in Anspruch genommen werden. Seit Vollendung des Europäischen Binnenmarktes und dem seither stärker spürbaren - und durch "Maastricht" noch verstärkten - Einfluß des EG-Rechts sind die in Deutschland (im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten recht spät) zum Thema geworden. Seither wächst das Bewußtsein um die zunehmenden Einschränkungen des sozialpolitischen Handlungsspielraums durch "Brüssel", d.h. durch die Organe jenes "Staatenverbundes" (in der Diktion des Bundesverfassungsgerichts), der Hoheitsrechte wahrnimmt, die von den Mitgliedstaaten auf ihn übertragen worden sind. Es wird in der aktuellen sozialpolitischen Diskussion hierzulande in diesem Zusammenhang die Gefahr heraufbeschworen, daß eine "europagemäße sozialpolitische Diskussion von ihren Zielvorstellungen und Standards her auf einen Abbau des bestehenden deutschen arbeits- und sozialrechtlichen Standards ausgerichtet sein könnte, wenn nicht sein müßte, [ Vgl. etwa die entsprechenden Ausführungen bei Heinze, M., Der Einfluß der Europäischen Integration auf die Sozialpolitik, in: Döring, D./Hauser, R. (Hrsg.), Soziale Sicherheit in Gefahr, Frankfurt/Main 1995, S. 183ff.] mit der Folge, daß die zunehmende Dominanz supranationaler Regelungen - nicht zuletzt auch infolge der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs - dazu führen könnte, daß eigenständige und originäre Entwicklungen einer nationalen Sozialpolitik mit Schaffung des Binnenmarktes notwendigerweise ihr Ende fänden. Derartigen Befürchtungen, die in dieser Form wohl unberechtigt sind, kann durch entsprechende Regelungen gleichfalls entgegen gewirkt werden.
5.4. Subsidiarität und Europäische Sozialpolitik
Angesichts des Umstandes, daß die Europäische Gemeinschaft von Anbeginn an davon abgesehen hat, eine soziale Harmonisierung im Sinne einer Vereinheitlichung oder Annäherung der Sozialschutzsysteme und Sozialpolitiken "von oben" zu betreiben, und die Möglichkeit dazu mit jeder Erweiterung der EG in weitere Ferne gerückt ist, setzt sie seit Ende der 80er Jahre in zunehmendem Maße auf eine freiwillige Abstimmung der Ziele und der Politiken der Mitgliedstaaten in diesem Bereich (im Sinne einer "Politik der sozialen Konvergenz"). Eine derartige Vorgehensweise, die in der Empfehlung des Rates über die Annäherung der Ziele und der Politiken ins Bereich des sozialen Schutzes [ Empfehlung 92/442/EWG v. 27. Juli 1992, ABI. EG Nr. L 245/49 v. 26. August 1992 (siehe oben Fn. 27 = Empfehlung des Rates 92/442/EWG vom 27. Juli 1992 über die Annäherung der Ziele und der Politiken im Bereich des sozialen Schutzes, ABI. EG 1992 Nr. L 245/49 v. 26. August 1992. ).] von 1992 niedergelegt ist, entspricht dem insbesondere seit "Maastricht" geschärften Bewußtsein um die Bedeutung des Regionalismus einschließlich der Bundesstaatlichkeit, der kommunalen Selbstverwaltung, des Dezentralismus, der Rolle anderer sozialer Akteure und gesellschaftlicher Kräfte und damit letztlich auch des Subsidiaritätsprinzips sowohl für das Verhältnis supranationale Europäische Gemeinschaft - Mitgliedstaaten als auch für das Verhältnis Europäische Union - Unionsbürger. Insbesondere die Einbeziehung der Sozialpartner im Sinne des sozialen Dialogs auf europäischer Ebene [ Vgl. Europäische Kommission, Der soziale Dialog in der Gemeinschaft 1995: Eine Bestandsaufnahme. Soziales Europa 2/95, Brüssel 1996.] in die Gestaltung der Beschäftigungspolitik und des Sozialschutzes ist auch auf dem Hintergrund einer Subsidiarität i.w.S. zu verstehen, d.h. einer Subsidiarität, die über das entsprechende gemeinschaftsrechtliche Prinzip des Art. 3b EGV und damit über das Verhältnis von Europäischer Union einerseits und Mitgliedstaaten andererseits hinausgeht und stets fragt, ob eine nationale oder auch supranationale Problemlösung überhaupt notwendig ist oder ob nicht eine private bzw. gesellschaftliche Lösung genügt. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß das Instrument der vertraglichen Beziehungen der Sozialpartner, von denen in Art. 118b EGV die Rede ist, nur in einzelnen, nämlich in den ihrer Regelungskompetenz und ihrem Regelungsinteresse entsprechenden Bereichen "greift". Darüber hinaus betreiben die Sozialpartner naturgemäß in erster Linie eine Sozialpolitik für die ökonomisch Aktiven. Die Wohlfahrtsstaatlichkeit geht aber alle Bürger an und betrifft angesichts der gegenwärtigen Herausforderungen und sozialen Probleme die Nichtaktiven in besonderer Weise, da sie auf den Sozialschutz in besonderem Maße angewiesen sind. Das Procedere bei der Erstellung des "Grünbuchs" und des "Weißbuchs" zur Europäischen Sozialpolitik sollte deshalb Mitte der 90er Jahre einen Beitrag dazu leisten, sowohl den "active EU-citizen" als auch Sozialpartner, Nicht-Regierungsorganisationen, Sozialleistungsträger, Wohlfahrtsverbände und sonstige Assoziationen an der Politikformulierung zu beteiligen.
5.5. Annäherung der Ziele und der Politiken im Bereich des sozialen Schutzes
Die Strategie der sozialen Konvergenz der Europäischen Union geht aus von dem grundsätzlichen Verzicht der Gemeinschaft auf eine soziale Harmonisierung i.S. einer Vereinheitlichung oder doch weitgehenden Annäherung der Sozialleistungssysteme der Mitgliedstaaten nach Maßgabe entsprechender gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben und beruht auf dem Hintergrund der grundsätzlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für diesen Bereich auf der freiwilligen Abstimmung der Politiken der Mitgliedstaaten nach Maßgabe der vorstehend gleichfalls bereits erwähnten Empfehlung des Rates über die Annäherung der Ziele und der Politiken im Bereich des sozialen Schutzes von 1992 . Die "Konvergenz-Empfehlung" enthält Vorgaben für die sechs Funktionsbereiche Krankheit, Mutterschaft, Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfähigkeit, Alter und Familie. Allen "rechtmäßig im Hoheitsgebiet eins Mitgliedstaats ansässigen Personen" sollen u.a. der Zugang zur Gesundheitsversorgung und ein Mindesteinkommen bei Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfähigkeit und im Alter (nach Maßgabe der vorstehend erwähnten "Mindesteinkommens-Empfehlung") [ ABI. EG Nr. L 245/49 v. 26.8.1992; siehe oben Fn. 26 (= Empfehlung des Rates 92/441/EWG vom 24. Juni 1992 über die Gewährleistung ausreichender Leistungen und Hilfen in den Systemen des sozialen Schutzes, in: ABI. EG (= Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften) 1992 Nr. L 245/46 v. 26. August 1992 .)] garantiert, Arbeitnehmern darüber hinaus nach ihrem früheren Erwerbseinkommen berechnete Einkommensersatzleistungen in den Sozialversicherungssystemen gewährleistet werden. Ferner sind die Gleichbehandlung von Männern und Frauen vorzusehen und die soziale Integration zu fördern. Diese Strategie der sozialen Konvergenz steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zur - anders strukturierten und sehr viel verbindlicheren - wirtschaftlichen Konvergenz, wie sie den Mitgliedstaaten abverlangt wird auf dem Weg zur angestrebten Wirtschafts und Währungsunion. Angemahnt wurden in diesem Zusammenhang seinerzeit sowohl die Abstimmung dieser beiden unterschiedlichen "Konvergenzen" als auch die Abstimmung von Sozialpolitik i.S. des "Weißbuchs" zur Europäischen Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik i.S. des "Weißbuchs" über Wachstum, Wettbewerb und Beschäftigung. In Art. 2 EGV wird mit der Zielvorgabe eines beständigen, nichtinflationären und umweltverträglichem Wachstums, eines hohen Grades an Konvergenz der Wirtschaftsleistungen, eines hohen Beschäftigungsniveaus u.a. rechtsverbindlich eine langfristig angelegte politische Zielvorgabe formuliert, die vor allem stabilitätsorientiert ist. Bei der Beantwortung der Frage nach der Rolle der Europäischen Union bei der Bestimmung von Aufgaben, Handlungsmöglichkeiten und Zielsetzungen des Wohlfahrtsstaats sind zum einen die begrenzten Kompetenzen der Union zur Rechtsetzung - Schlagworte "Prinzip der Einzelzuweisung" bei der Begründung der Gemeinschaftskompetenzen sowie " Grundsatz der Subsidiarität" und " Übermaßverbot" bei der Kompetenzausübung (Art. 3b EGV) und zum anderen die gleichfalls in ihrer Wirksamkeit begrenzten Handlungsinstrumente der Union zu berücksichtigen. Gleichwohl hat die Europäische Kommission sowohl bei dieser Gelegenheit als auch in der Folgezeit beispielsweise eine engere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in der Beschäftigungspolitik vorgeschlagen. [ Europäische Kommission, Für Beschäftigung in Europa: ein Vertrauenspakt, Brüssel 1996.] Die Kompetenzverteilung zwischen Mitgliedstaaten und Union sowie das Einstimmigkeitsprinzip in den Kernbereichen der Sozialpolitik, namentlich im Bereich der sozialen Sicherheit setzen auch künftig dem Instrument der Gemeinschaftsrechtsetzung im Sozialbereich generell enge Grenzen. Typischerweise sind rechtlich unverbindliche Empfehlungen und Mitteilungen, sowie flexible, weil im Grundsatz nur in bezug auf das Ziel verbindliche Richtlinien derzeit die dominierenden gemeinschaftsrechtlichen Rechtsinstrumente, die lediglich einen gemeinschaft(srecht)lichen Rahmen für eine ansonsten durch nationales Recht der Mitgliedstaaten zu gestaltende Sozialpolitik abstecken können. Doch erscheint es in bestimmtem Umfang als möglich, von den Mitgliedstaaten gemeinsam konsentierte soziale Mindeststandards festzuschreiben (z.B. nach dem Vorbild der in Art. 118a EGV vorgesehenen Mindestvorschriften zur Verbesserung der "Arbeitsumwelt"). Auch die Empfehlung des Rates 92/441/EWG über gemeinsame Kriterien für ausreichende Zuwendungen und Leistungen im Rahmen der Systeme der sozialen Sicherung vom 24. Juni 1992 zielt auf Mindeststandards ab. Auf diesem Hintergrund ist die Festschreibung von Mindeststandards "nach unten" ein Pfad auch künftiger Europäischer Sozialpolitik, der zugleich die Abweichung "nach oben" und damit die Beibehaltung oder Einführung höherer nationaler Standards zuläßt. Soweit in diesem Zusammenhang im Rahmen der Diskussion um die Fortentwicklung der sozialen Dimension der Europäischen Integration die Forderung erhoben wird, sicherzustellen, daß eine Senkung sowohl des Lohnniveaus als auch des Niveaus der sozialen Sicherheit als Folge des verstärkten Standortwettbewerbs in den Mitgliedstaaten vermieden werden, ist darauf hinzuweisen, daß entsprechende, dem Europäischen Integrationsprozeß zuzurechnende Wirkungen innerhalb der Europäischen Union im Vergleich zu dem Wettbewerbsdruck aus Drittstaaten lediglich eine punktuelle und deshalb begrenzte - etwa im Zusammenhang mit der Entsendeproblematik auf dem BausektorRolle spielen. Soweit hier unter dem (in diesem Zusammenhang im übrigen häufig falsch verwendeten, da auch auf erlaubte Praktiken bezogenen) Schlagwort vom sogenannten "Sozialdumping" eine Diskussion geführt wird, die von der Befürchtung gespeist wird, das geringere Sozialschutzniveau nicht nur in den Ländern der Dritten Welt, in den sogenannten Schwellenländern, den MOE-Staaten und auch in den geringer entwickelten EU-Staaten könnte von diesen als Wettbewerbsvorteil eingesetzt werden, werden häufig die für die wirtschaftliche Entwicklung positiven Beiträge der Sozialpolitik übersehen. Es gibt nämlich auch gute Gründe für die Annahme, daß der Ausbau der Europäischen Sozialpolitik die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands verbessert hat. So haben z.B. die Arbeitsschutzrichtlinien der EG Wettbewerbsvorteilen der einen geringeren Arbeitsschutz vorsehenden Mitgliedstaaten Einhalt geboten haben. Mindestvorschriften in anderen Bereichen hätten eine vergleichbare Wirkung. Im übrigen weist die Entwicklung der Lohnstückkosten, d.h. das Verhältnis von Lohn zu Produktivität je Beschäftigten für Deutschland eher eine Verbesserung der Position im Vergleich zu den anderen Mitgliedstaaten aus. [ So etwa auch Tegtmeier, W., Auf dem Weg zu einer Europäischen Sozialunion, in: Zimmermann, A. (Hrsg.), Ord nungspolitische Aspekte der europäischen Integration, Baden - Baden 1996, S. 129ff., 133ff.] Die Europäische Kommission hat für die nächste Zeit eine Zusammenstellung der Verbindungen zwischen Sozial- und Wirtschaftspolitik in Aussicht gestellt. [ Europäische Kommission, a.a.O. (Fn. 8 = Europäische Kommission, Soziale Sicherheit in Europa 1995, Brüssel 1996 ), S. 6.] Unabhängig davon ist festzuhalten, daß sich das Lohn- und Sozialkostengefälle in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union in den letzten Jahren dadurch deutlich verringert hat, daß die diesbezüglich rückständigen südeuropäischen Mitgliedstaaten und Irland aufgeholt haben (siehe oben 1.). (Italien hat beispielsweise sowohl im Hinblick auf sein Bruttoinlandsprodukt wie in Ansehung seiner Sozialleistungsquote praktisch zum Vereinigten Königreich aufgeschlossen.) Allerdings wird jeder weitere Beitritt zur Union künftig angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Situation in den Beitrittsländern die "Schere" zwischen "arm" und "reich" erneut weit öffnen. Während höhere Sozial (wie im übrigen auch Umwelt)standards gegenwärtig und wohl auf absehbare Zeit weltweit nicht verbindlich festzulegen oder gar effektiv durchzusetzen sind (siehe oben 3.), können auf Europäischer Ebene Mindestvorschriften hingegen zumindest einem exzessiven Verdrängungswettbewerb Einhalt gebieten: Die Lage auf dem vieldiskutierten Bauarbeitsmarkt, auf dem aus anderen Mitgliedstaaten - Portugal, Vereinigtes Königreich u.a. - entsandte Arbeitnehmer und Selbständige zu ihren heimischen Entgelten sowie arbeits- und sozialrechtlichen Bedingungen tätig sind, und die, nachdem zunächst eine EG-Entsenderichtlinie nicht zustandekam, in Deutschland zu einem nationalen Entsendegesetz geführt hat, illustriert die Aktualität dieser Problematik und drängt auf ein Mehr an EU-weit einheitlich geltenden arbeits- und sozialrechtlichen Mindeststandards, die dann auch zu einer Eindämmung des Drucks auf die höheren Sozialstandards in entwickelteren Mitgliedstaaten beizutragen vermögen. Die zunehmende Deregulierung unter dem Vorzeichen von Binnenmarkt und Wirtschafts- und Währungsunion hat in wachsendem Maße solche arbeits- und sozialrechtlichen Standards zu Wettbewerbsfaktoren gemacht. Die angestrebte Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion ist deshalb ein wichtiges Datum auch in diesem Zusammenhang, weil das Instrument der Wechselkursänderung zum Zwecke des Ausgleichs unterschiedlicher Arbeits- und Sozialkosten entfallen wird. Hier liegt ein ökonomisches und wettbewerbspolitisches Argument für die Verankerung sozialer Mindeststandards.
5.6. Freizügigkeit und soziale Sicherheit
In der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer aus dem Jahre 1989 figuriert die Freizügigkeit an der Spitze der als "soziale Grundrechte" formulierten sozialpolitischen Tätigkeitsschwerpunkten der Europäischen Gemeinschaft und rangiert vor Beschäftigung und Arbeitsentgelt; Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen; sozialem Schutz; Koalitionsfreiheit und Tarifverhandlungen; Berufsausbildung; Gleichbehandlung von Männern und Frauen; Unterrichtung, Anhörung und Mitwirkung der Arbeitnehmer; Gesundheitsschutz und Sicherheit in der Arbeitsumwelt; Kinder- und Jugendschutz; älteren Menschen; Behinderten. Diese hervorgehobene Plazierung der Freizügigkeit unterstreicht die Bedeutung, die ihr als einer der Personenfreiheiten des Gemeinsamen Marktes und zugleich als rechtlicher Ausprägung der Mobilität des "Faktors Arbeit" seit jeher in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und heute in der Europäischen Gemeinschaft zukommt und rechtfertigt eine besondere Darstellung auch an dieser Stelle (illustriert freilich zugleich, daß es der Gemeinschaftsgesetzgeber bisher versäumt hat, einen vollständigen und der Werteskala sowie der Prioritätensetzung anderer internationaler Rechtsinstrumente - etwa der Europäischen Sozialcharta des Europarates - ebenbürtigen Grundrechtskatalog zu entwickeln, der dann auch dem Vorhandensein sozialer Grundrechte und allgemein der Verankerung des sozialen Staatsziels in den Verfassungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union angemessene Rechnung trägt [ Vgl. zu dieser Aufgabe die "Grundrechtlichkeit" im Gemeinschaftsrecht fortzuentwickeln, Europäische Kommission (Hrsg.), Für ein Europa der Bürgerrechte und der sozialen Rechte. Bericht des Ausschusses der Weisen unter Vorsitz von Maria de Lourdes Pintasilgo, Brüssel 1996; auch Schulte, B., Soziale Rechte im europäischen Recht - Fragestellungen und Lösungsansätze, in: Schulte, B./Mäder, W. (Hrsg.), Die Regierungskonferenz Maastricht II. Perspektiven für die Sozialunion, Bonn 1996, S. 117ff. - Zum Grundrechtsschutz im Europäischen Gemein schaftsrecht allgemein etwa Kokott, J., Der Grundrechtsschutz im europäischen Gemeinschaftsrecht, in: Archiv des öffentlichen Rechts (AöR) 121 (1996), S. 599ff., m.w.N.] . Nach dem Wortlaut der Gemeinschaftscharta hat "jeder Arbeitnehmer der Europäischen Gemeinschaft ... vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen das Recht auf Freizügigkeit im gesamten Gebiet der Gemeinschaft" (Artikel 1), verbrieft das Recht auf Freizügigkeit "jedem Arbeitnehmer die Ausübung jeden Berufes oder jeder Beschäftigung in der Gemeinschaft, wobei hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, der Arbeitsbedingungen und des sozialen Schutzes des Aufnahmelandes der Grundsatz der Gleichbehandlung gilt" (Artikel 2), und umfaßt dieses Recht "die Harmonisierung der Aufenthaltsbedingungen in allen Mitgliedstaaten, insbesondere für die Familienzusammenführung, - die Beseitigung von Hindernissen, die sich aus der Nichtanerkennung von Diplomen oder gleichwertigen beruflichen Befähigungsnachweisen ergeben, - die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Grenzgänger" (Artikel 3). Das Recht auf Freizügigkeit wird innerhalb der Europäischen Gemeinschaft seit jeher für Arbeitnehmer in Art. 48 EGV sowie für Selbständige in Gestalt der Niederlassungsfreiheit in Art. 52 EGV in Niederlassungsfreiheit gewährleistet. Art. 59 EGV verbrieft die Dienstleistungsfreiheit. Für den Bereich der sozialen Sicherheit, d.h. für das Sozialversicherungs-, Arbeitsförderungs- und Recht der Familienleistungen nach der Systematik des deutschen Sozialrechts enthielten ursprünglich die Verordnungen (EWG) Nr. 3/58 und 4/58 über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer und enthalten heute die Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und Nr. 574/72, welche die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige, sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Familie zu- und abwandern, zum Gegenstand haben, eine Regelung, die Nachteile im Bereich der sozialen Sicherheit als Folge der Binnenwanderung von einem Mitgliedstaat in einen anderen zum Zwecke der Ausübung einer Erwerbstätigkeit verhindern soll, und die der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die in Art. 7 Abs. 2 die Gleichbehandlung in bezug auf soziale und steuerliche Vergünstigungen vorsieht, als lex specialis vorgeht. [ Vgl. zur Diskussion der Abgrenzung der Anwendungsbereiche des Art. 7 VO (EWG) Nr. 1612/68 einerseits und der Verordnung (EWG) 1408/71 - Art. 4 - andererseits Gouloussis, D., Equality of Treatment and the Relationship between Regulations 1612/68 and 1408/71, in: Commission of the European Communities/Departamento de Relaçoes Internacionais e Convençoes de Segurança Social, Lisbon 1995, S. 75ff.] Eine derartige Deutung des Verhältnisses der beiden Vorschriften zueinander gewährleistet den größtmöglichen Schutz der Wanderarbeitnehmer und findet auch Anhaltspunkte in der im übrigen in dieser Frage allerdings letztlich unentschiedenen und keineswegs eindeutigen Judikatur des Europäischen Gerichtshofs. [ Vgl. etwa EuGH, RS 1/72 (Frilli), EuGHE 1972, 457; RS 187/73 (Callemeyn), EuGHE 1974, 553; RS 39/74 (Costa), EuGHE 1974, 1251; RS 63/76 (Inzirillo), EuGHE 1976, 2057; RS 94/84 (Deak), EuGHE 1995, 1744 u.a. - Vgl. jüngst im Sinne einer Deutung dieses Verhältnisses als lex specialis auch wohl Carl Otto Lenz, Schlußanträge in der RS C - 57/96 (Meints), EuGHE 1997 (in Druck), Rdnr. 8 - 12.] Die Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 setzen die Vorschrift des Art. 51 EGV um, die dem Umstand Rechnung trägt, daß die Freizügigkeit behindert würde, müßte ein Arbeitnehmer befürchten, bei der "Wanderung" von einem Mitgliedstaat in einen anderen zum Zwecke der Arbeitsaufnahme aufgrund daraus resultierender Zugehörigkeit zu verschiedenen Systemen der sozialen Sicherheit bestimmte Leistungen nicht zu erhalten oder bereits erworbene Leistungsansprüche einzubüßen. Aus diesem Grunde ist durch die genannten beiden Verordnungen ein System geschaffen worden, welches zum Zwecke der Ausübung einer Erwerbstätigkeit in Mitgliedstaaten der Gemeinschaft aus- und einwandernden Arbeitnehmern aus Staaten der Europäischen Gemeinschaft im jeweiligen Beschäftigungsstaat zum einen die Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Zeiten für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs sowie für die Berechnung der Leistungen sichert, und welches zum zweiten die Zahlung von Leistungen auch an Personen vorsieht, die nicht im Beschäftigungsstaat, sondern in anderen Mitgliedstaaten - z.B. in ihrem Heimatstaat - wohnen. Die Wirkungsweise dieses "Regimes" der sozialen Sicherheit der Wandererwerbstätigen mag folgendes Beispiel erhellen: Ohne Regelung des inter- und supranationalen Sozialrechts stünde einem EG-Wanderarbeitnehmer - z.B. aus Italien - der zwölf Jahre in seinem Heimatland und vier Jahre in einem anderen Mitgliedstaat - z.B. in der Bundesrepublik Deutschland - beschäftigt und versichert war, möglicherweise nach Ausscheiden aus dem Erwerbsleben kein Rentenanspruch zu, weil er die jeweiligen Wartezeiten von 15 - in Italien - bzw. fünf Jahren - in Deutschland - allein nach dem jeweiligen nationalen Recht dieser Staaten nicht erfüllt hätte. Nach Maßgabe des gemeinschaftsrechtlichen Zusammenrechnungsgrundsatzes muß der Arbeitnehmer hingegen für die Begründung seines Rentenanspruchs so behandelt werden, als hätte er sowohl in Italien als auch in Deutschland 16 (12 + 4) Jahre gearbeitet und entsprechende Versicherungsjahre zurückgelegt; im Rahmen der Rentenberechnung wird dann durch die sogenannte "Proratisierung" - pro rata temporis-Berechnung - sichergestellt, daß die jeweils eigenständige Rente in den beiden Beschäftigungsstaaten - z.B. jeweilige italienische und deutsche Rente - lediglich auf der Grundlage der tatsächlich in dem jeweiligen Staat zurückgelegten zu berücksichtigenden Zeiten berechnet wird. Ferner wird die Zahlung dieser Renten nach Rückkehr des Wanderarbeitnehmers in sein Heimatland und ggf. in jeden anderen Mitgliedstaat sichergestellt. Diese Vorschriften über die soziale Sicherheit der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen, die auf die Ermächtigungsgrundlage des nur für Arbeitnehmer geltenden Art. 51 EGV gestützt worden sind, gelten nach der auf die sogenannte "Vertragsabrundungskompetenz" des Art. 235 EGV gestützten Ausdehnung des persönlichen Geltungsbereichs der Verordnungen auch für Selbständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern. Durch zahlreiche Änderungsverordnungen sowie durch die sehr umfangreiche dazu ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften [ Vgl. dazu im regelmäßigen Oberblick Schulte, B., Das Sozialrecht in der Rechtsprechung des Europäischen Ge richtshofs, in: Wannagat, G. - seit Bd. 11 ((1989) Wannagat, G./Gitter, W. (Hrsg.), Das Jahrbuch des Sozialrechts der Gegenwart, Bd. 1 (1979) - 10 (1988), 12 (1990), 14 (1992), 16 (1994), 18 (1996) (Bde. 1 - 3 zus. mit H. Zacher) sowie ferner insbesondere die Monographien von Ewert, H., Der Beitrag des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Entwicklung eines Europäischen Sozialrechts, dargestellt am Beispiel der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, München 1987, Klang, K., Soziale Sicherheit und Freizügigkeit im EWG - Vertrag, Baden - Baden 1986; Ohler, R., Die Rechtsprechung des EuGH zur Koordinierung der Familienleistungen der Wanderarbeitnehmer nach Europäischem Gemeinschaftsrecht - Folgeprobleme und Friktionen, Münster Diss. jur. 1991; Pompe, P., Leistungen der sozialen Sicherheit bei Alter und Invalidität für Wanderarbeitnehmer nach Europäischem Gemeinschaftsrecht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundessozialgerichts, Köln 1986; Stahlberg, J., Europäisches Sozialrecht, Bonn 1997; Willms, B., Soziale Sicherung durch Europäische Integrationen. Auswirkungen des Gemeinschaftsrechts auf Ansprüche gegen deutsche Sozialleistungsträger, Baden - Baden 1990; ders., Erl. zu Art. 51 EGV, in: von der Groeben/Thiesing/ Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU - /EG - Vertrag, 5. Aufl., Baden - Baden 1997; ferner die Erläuterungen zu den einzelnen Vorschriften der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, in: Nomos Kommentar zum Europäischen Sozialrecht, Baden - Baden 1994.] , dem gemäß Art. 164 EG die endgültige und rechtsverbindliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts und damit auch der Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 obliegt, ist das koordinierende Europäische Sozialrecht durch mittlerweile über 400 Entscheidungen fortentwickelt worden. Diese häufige Befassung des Gerichtshofs mit Fragen der sozialen Sicherheit der Wanderarbeitnehmer ist nicht zuletzt auf die Komplexität und Technizität der einschlägigen Vorschriften der Verordnungen zurückzuführen, die allerdings verständlich werden, wenn man sich vor Augen hält, daß sie die Aufgabe lösen sollen, die an sich bereits äußerst komplizierten, sich nach wie vor sehr stark unterscheidenden, und sich gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt in einer raschen Entwicklung befindlichen Systeme der sozialen Sicherheit der fünfzehn Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie der drei nicht zur Union gehörenden Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums, für welche die Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 gleichfalls gelten, untereinander zu koordinieren. Für diese Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit der 15 EU- bzw. 18 EWR-Staaten gelten deshalb zwar zunächst grundsätzlich dieselben allgemeinen Prinzipien, die auch in bilateralen Abkommen über die soziale Sicherheit Anwendung finden, doch sind diese Regelungen im Lichte der vorstehend aufgeführten Grundfreiheiten des Gemeinsamen Marktes auszulegen und anzuwenden. Überdies sind sie mittlerweile im sekundären Gemeinschaftsrecht so sehr ausdifferenziert und mit Sonder und Ausnahmeregelungen - vor allem in den (allzu) umfangreichen Anhängen zu den Verordnungen - versehen worden, daß nicht zu Unrecht häufig über den undurchdringlichen "Paragraphendschungel" dieses Rechtsgebiets geklagt wird. Auf diesem Hintergrund hat sich die Europäische Kommission jüngst vorgenommen, die nunmehr bereits über 25 Jahre alte Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, die vorläufig zum letzten Mal durch die Verordnung (EG) Nr. 1290/97 des Rates vom 27. Juni 1997 [ ABI. EG 1997 Nr. L 176/1.] geändert worden ist, zu überarbeiten. Ein erster Schritt in diese Richtung ist im Juni 1996 getan worden in Gestalt einer Tagung in Stockholm, auf der aus Anlaß der 25. Wiederkehr des Erlassens der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 die vergangenen Erfahrungen, gegenwärtigen Probleme und künftigen Perspektiven der gemeinschaftsrechtlichen Koordinierung diskutiert worden sind [ Vgl. dazu Swedish National Social Insurance Board/European Commission (eds.), 25 Years of Regulation (EEC) No. 1408/71 on Social Security for Migrant Workers - Past Experiences, Present Problems and Future Perspectives. Report from the European Conference on Social Security, Sweden, June 1996, Stockholm 1997 (auch in französischer Sprache veröffentlicht). Zur Reformdiskussion ferner die Beiträge in: Eichenhofer, E. (Hrsg.), Reform des Europäischen koordinierenden Sozialrechts, Köln u.a. 1993, und in: ders. (Hrsg.) Social Security of Migrants in the European Union of Tomorrow, Osnabrück 1997. - Zu einzelnen Gesichtspunkten und Möglichkeiten einer Vereinfachung vgl. jüngst Igl, G., Probleme der europäischen Soziairechtskoordinierung auf Grund von Verände rungen in den Sozialleistungssystemen der EU - Mitgliedstaaten, in: Gitter, W./Schulin, B./Zacher, H. (Hrsg.) Fest schrift für Otto Ernst Krasney zum 65. Geburtstag, München 1997, S. 199ff.] . Eine Reihe von Grundsätzen prägen das Regelwerk der Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 und damit die gemeinschaftsrechtliche Koordinierung. (i) Dazu gehört, wie vorstehend bereits angemerkt, gemäß Art. 51 Buchst. a) EGV der sogenannte Grundsatz der Zusammenrechnung aller in Mitgliedstaaten nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten Zeiten für den Erwerb und die Aufrechterhaltung von Ansprüchen gegen den Leistungsträger eines Mitgliedstaats und die Berechnung der Leistungen. Eine Zusammenrechnung mitgliedstaatlicher Zeiten mit Zeiten eines Nichtmitgliedstaats - sogenannte "Multilateralisierung" - ist hingegen grundsätzlich nicht möglich. (ii) Das gleichfalls bereits erwähnte, in Art. 51 Buchst. b) EGV niedergelegte Gebot des Leistungsexports "entterritorialisiert" die nach nationalem Recht bestehenden Leistungsansprüche, so daß diese auch dann weiterbestehen und erfüllt werden müssen, wenn ein Anspruchsberechtigter in einem anderen Mitgliedstaat, z.B. in seinem Heimatstaat wohnt. Die Verlegung des Wohnsitzes innerhalb der Gemeinschaft führt also auch dann nicht zu einem Verlust von Leistungsansprüchen, wenn das nationale Recht des Beschäftigungsstaates den Leistungsanspruch an die Innehabung eines Wohnsitzes im Inland knüpft. Für bestimmte Geldleistungen, z.B. Renten werden mithin sogenannte Wohnortklauseln, welche die Gewährung von Leistungen an den Wohnsitz im Inland knüpfen, abgeschafft(Art. 10 VO (EWG) Nr. 1408/71). (iii) Personen, für welche die Gemeinschaftsverordnungen über die soziale Sicherheit gelten, werden Inländern gleichgestellt - sogenannter Grundsatz der Inländerglelchbehandlung -(Art. 3 VO (EWG) Nr. 1408/71), und zwar auch insoweit, als ihren Familienangehörigen Leistungen in demselben Umfang wie den Angehörigen einheimischer Leistungsberechtigter gewährt werden müssen. Diesen Angehörigen stehen allerdings i.d.R. nur abgeleitete Rechte zu, d.h. solche Rechte, die sie als Familienangehörige oder Hinterbliebene eines Erwerbstätigen, der seinerseits in den persönlichen Anwendungsbereich der Gemeinschaftsverordnungen fällt, erworben haben. Allerdings ist nicht zu übersehen, daß die gemeinschaftsrechtliche Regelung insoweit unvollständig ist, als sie keineswegs alle für die soziale Sicherheit relevanten Tatbestände "entterritorialisiert", sondern einzelne Tatbestände ausnimmt. So ist beispielsweise im Falle der Arbeitslosigkeit angesichts des Fehlens eines gemeinsamen Arbeitsmarktes die Verfügbarkeit auf dem jeweiligen Arbeitsmarkt des Beschäftigungslandes i.d.R. Voraussetzung für einen Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur sogenannten mittelbaren Diskriminierung hat hier allerdings insofern zu einem gewissen Ausgleich geführt, als die Anknüpfung an Tatbestände, von denen Staatsangehörige aus anderen Mitgliedstaaten typischerweise stärker betroffen werden als einheimische, ggf. als Verstoß gegen das vorstehend angesprochene Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit gemäß Art. 6 und 48 Abs. 2 EGV angesehen wird. Ähnlich wie in Zusammenhang mit der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hat der Gerichtshof damit über die Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung das Diskriminierungsverbot effektiviert. [ Vgl. zu diesem gemeinsamen Ausgangspunkt der Diskriminierungsverbote des EG - Vertrages Langer, R., Zu kunftsperspektiven des europäischen Sozialrechts. Koordinierendes Sozialrecht und Gleichbehandlung von Männern und Frauen, in von Maydell, B./Schulte, B. (Hrsg.), Zukunftsperspektiven des Europäischen Sozialrechts, Berlin 1995, S. 25ff.] (iv) Der Europäische Gerichtshof hat aus dem EG-Vertrag überdies eine Art " Günstigkeitsprinzip" des Inhalts abgeleitet, daß das Gemeinschaftsrecht möglichst vorteilhafte Voraussetzungen für die Wahrnehmung der Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft schaffen soll durch Beseitigung ihr entgegenstehender Hindernisse und Hemmnisse, und zwar ggf. auch um den Preis einer Besserstellung von Wanderarbeitnehmern gegenüber einheimischen Arbeitnehmern. Das bedeutet konkret, daß die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 nach Maßgabe des nach der dazu ergangenen Leitentscheidung des Europäischen Gerichtshofs [ EuGH, RS 24/75 (Petroni), EuGHE 1975, 1149.] so bezeichneten "Petroniprinzips" der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften insbesondere dann nicht entgegensteht, wenn diese bessere Leistungen vorsehen, als sie unter Berücksichtigung des Gemeinschaftsrechts gewährt würden. Denn das Ziel des Art. 51 EGV, die Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft zu fördern, würde nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs verfehlt, wenn Arbeitnehmer bei Wahrnehmung ihres Rechts auf Freizügigkeit Vergünstigungen der sozialen Sicherheit einbüßten, die ihnen nach nationalem Recht eines Mitgliedstaats ohne Rücksicht auf die gemeinschaftlichen Regelungen zustehen. Da die Gemeinschaftsvorschriften lediglich koordinieren und nicht harmonisieren, d.h. das nationale Recht der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten nicht vereinheitlichen, sind die aus der Unterschiedlichkeit der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten resultierende Konsequenzen - und ggf. auch Besserstellungen von Wanderarbeitnehmern gegenüber heimischen Arbeitnehmern - hinzunehmen. Rechtsansprüche, die sich aus dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten ergeben, durch die Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften auch dann nicht gekürzt werden können, wenn Wanderarbeitnehmer dadurch gegenüber einheimischen Arbeitnehmern begünstigt werden. (Rechtsdogmatisch bedeutet dies, daß den Art. 48-51 EGV und in ihrem Gefolge auch den Gemeinschaftsverordnungen über die soziale Sicherheit seitens des Europäischen Gerichtshofs lediglich ein insoweit begrenzter Koordinierungsauftrag zugrundegelegt wird, als einer umfassenden international-sozialrechtlichen Nachteilsausgleichung eine nur begrenzte international-sozialrechtliche Vorteilsausgleichung gegenübersteht, welche sich auf gemeinschaftsrechtlich begründete Leistungen beschränkt, rein innerstaatlich begründete Leistungsansprüche hingegen unangetastet läßt und somit dem Grundsatz des Schutzes wohlerworbener nationaler Rechte verpflichtet ist.) (v) Art. 1 VO (EWG) Art. 1408/71 enthält Bestimmungen für die wichtigsten in der Verordnung verwandten Begriffe - z.B. Arbeitnehmer, Selbständige, Grenzgänger, Rechtsvorschriften, zuständige Behörde, zuständiger Träger, Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten u.a. -, die ein gemeinschaftsrechtliches Begriffsverständnis gewährleisten und damit dazu beitragen, daß die Gemeinschaftsverordnungen in allen Mitgliedstaaten mit gleichem Inhalt mit Vorrang vor jeglichem nationalen Recht gelten. Hier besteht in einigen Fällen - etwa bereits im Hinblick auf den Begriff "Selbständiger" - ein Bedürfnis nach einer eindeutigeren Definition. (vi) In Ansehung ihres persönlichen Anwendungsbereichs erfaßt die Verordnung Arbeitnehmer und Selbständige, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten und welche die Staatsangehörige eines Mitgliedstaates sind (oder als Staatenlose oder als Flüchtlinge in einem Mitgliedstaat wohnen, sowie unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit deren Familienangehörige und Hinterbliebene, die mithin auch Drittstaatsangehörige sein können). Maßgeblich ist also i.d.R. der Besitz der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats. Bei Staatenlosen oder anerkannten Flüchtlingen kommt es auf den Wohnsitz in einem Mitgliedstaat an (Art. 2 (EWG) Nr. VO 1408/71). Diese Familienangehörigen können nach der jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht mehr lediglich abgeleitete Rechte - z.B. einen Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente - geltend machen [ Vgl. dazu etwa EuGH, RS 40/76 (Kermaschek), EuGHE 1976, 1669; RS 94/84 (Deak), EuGHE 1985, 1873.] , sondern auch eigene Rechte [ EuGH, RS C - 308.93 (Cabanis - lssarte), EuGHE 1996, I - 2097.] . (vii) Hinsichtlich ihres sachlichen Anwendungsbereichs gilt die Verordnung für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft, Invalidität, Alter, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, Arbeitslosigkeit, Tod (in Hinblick auf Leistungen an Hinterbliebene und Sterbegeld) sowie Familienleistungen betreffen, und zwar unterschiedslos für allgemeine und besondere, beitragsbezogene und beitragsfreie Systeme sowie, auch für solche Systeme, deren Durchführung Arbeitgebern obliegt. Nicht anwendbar ist die Verordnung auf die Sozialhilfe, auf Leistungssysteme für Opfer des Krieges und seiner Folgen sowie auf Sondersysteme für Beamte und diesen gleichgestellte Personen (Art. 4 (EWG) Nr. VO 1408/71). (viii) Sowohl ein positiver - mehr als eine Rechtsordnung ist zuständig - als auch ein negativer - keine Rechtsordnung ist zuständig - Gesetzeskonflikt sollen vermieden werden. Personen, welche unter die Verordnung fallen, sollen überdies für ein- und denselben Zeitraum prinzipiell immer nur den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates unterliegen - sogenannter Grundsatz der Einheit des anwendbaren Rechts -. Vorbehaltlich einer anderweitigen besonderen Regelung findet auf Arbeitnehmer das Recht des Beschäftigungsstaates Anwendung, und zwar auch dann, wenn der Beschäftigte im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt oder sein Arbeitgeber dort seinen Wohnsitz hat. Selbständige unterliegen dem Recht des Staates, in dem sie ihre selbständige Tätigkeit ausüben. Es gilt mithin die lex loci laboris (Art. 13 Abs. 2 Buchst. a VO (EWG) Nr. 1408/71). Entsandte Arbeitnehmer unterliegen weiterhin dem Recht des Staates, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat. Das Vorliegen eines Entsendungstatbestandes setzt voraus, daß die in dem anderen Mitgliedstaat ausgeübte Beschäftigung voraussichtlich nicht länger als ein Jahr dauert; eine entsprechende Bescheinigung des Trägers des zuständigen Staates über den sogenannten Ausstrahlungstatbestand ist für den Mitgliedstaat, in den der Arbeitnehmer entsandt wird, bindend. Eine Verlängerung des Entsendungstatbestandes über den 12-Monats-Zeitraum hinaus muß von dem anderen Staat genehmigt werden. Diese und weitere genannten Regelungen, von denen im Interesse bestimmter Personengruppen Ausnahmen vereinbart werden können (Art. 17 (EWG) Nr. VO 1408/ 71), verfolgen den Zweck, Doppelversicherungen zu vermeiden, die zur Folge haben könnten, daß in mehreren Mitgliedstaaten Sozialabgaben entrichtet werden müßten oder aber Leistungskumulierungen auftreten. Während durch diese Regelungen mithin eine Doppelversicherung und damit eine Benachteiligung von Wanderarbeitnehmern beispielsweise aufgrund des Umstandes, daß sie in dem einen Mitgliedstaat arbeiten und in dem anderen Mitgliedstaat wohnen, vermieden wird, fehlt es bislang an einer entsprechenden Abstimmung zwischen Sozialversicherungsrecht und Steuerrecht. Diese mangelnde Abstimmung kann in bestimmten Fällen für Wanderarbeitnehmer günstig oder aber auch ungünstig sein. [ Vgl. zu dieser Problematik jüngst Verschueren, H., Funding of Social Security and Regulation (EEC) 1408/71 (Paper presented at the Conference "Meeting the Challenge of Change". European Co - ordination of Modern ized Social Security Schemes for Regulation (EEC) No. 1408/71, organised by the Sociale Verzekeringsbank, The Netherlands, in co - operation with the Netherlands' Ministry of Social Affairs and Empioyment and the European Commission, Noordwijk aan Zee, 30 - 31 October (Veröff. i. Vorb. 1998).] (ix) Konkurrenzprobleme zwischen supranationalen und sonstigem internationalen Sozialrecht werden i.d.R. in der Weise gelöst, daß die Bestimmungen Eierverordnung (EWG) Nr. 1408/71 im Grundsatz in dem Umfang an die Stelle der zwischen den Mitgliedstaaten bestehenden Sozialversicherungsabkommen treten, in welchem sie den in den Abkommen geregelten Tatbestand gleichfalls regeln und vorrangige Geltung beanspruchen (Art. 6-8 (EWG) Nr. VO 1408/71). Allerdings lassen es Art. 48 Abs. 2 und 51 EGV als Vorschriften des primären Gemeinschaftsrechts nach Auflassung des Europäischen Gerichtshofs nicht zu, daß Arbeitnehmer in der Vergangenheit entstandene Vergünstigungen deshalb verlieren, weil in das nationale Recht eingeführte Abkommen zwischen Mitgliedstaaten aufgrund des Inkrafttretens der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 unanwendbar geworden sind. Mitgliedstaaten können untereinander auch neue Abkommen abschließen, soweit deren Regelungsgegenstand und Umfang mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. [ Vgl. dazu EuGH, RS C - 227/89 (Rönfeldt), EuGHE 1991, I - 323; einschränkend RS C - 475/93 (Thévenon), EuGHE 1995,I - 3813.] (x) Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 enthält eine Anzahl von Sonderregelungen für einzelne Leistungsarten. (1) So werden nach den Vorschriften über Leistungen bei Krankheit (Art. 18-36 (EWG) Nr. VO 1408/71) Sachleistungen - z.B. ambulante oder stationäre medizinische Behandlung - grundsätzlich vom Träger des Wohn- oder Aufenthaltsortes gewährt, Geldleistungen hingegen unmittelbar vom zuständigen Träger des Beschäftigungsstaates bzw. des Staates der selbständigen Tätigkeit. Setzt das Vorliegen des Leistungsanspruchs die Erfüllung von Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten voraus, so werden nach den Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten zurückgelegte Zeiten berücksichtigt, gilt m.a.W. der Grundsatz der Zusammenrechnung. Diese Regelung hat in Deutschland, wo für die Regelleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung keine Wartezeiten erfüllt werden müssen, keine Bedeutung, spielt hingegen künftig eine Rolle im Zusammenhang mit Leistungen der sozialen Pflegeversicherung, die grundsätzlich Vorversicherungszeiten voraussetzt. Auch die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung fallen in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, obgleich die Pflegebedürftigkeit im Katalog der sozialen Risiken des Art. 4 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71 nicht ausdrücklich ausgewiesen ist. Die Pflegebedürftigkeit wird nämlich nach heute wohl überwiegend vertretener Auffassung von den Leistungen bei Krankheit miterfaßt (wie dies auch im Rahmen der §§ 53ff. SGB V a.F. vor Inkrafttreten der sozialen Pflegeversicherung der Fall war). Umstritten ist allerdings nach wie vor die Frage, inwieweit das gesetzlich angeordnete Ruhen des Anspruchs auf Leistungen der sozialen Pflegeversicherung bei Auslandsaufenthalt (§ 34 SGB Xl) mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht in Einklang steht und ob nicht zumindest das Pflegegeld, welches derzeit für längstens sechs Wochen auch ins Ausland gezahlt wird, generell als exportpflichtig zu sehen ist. [ Vgl. zu dieser Problematik - zu den Vorlagebeschlüssen auf Vorabentscheidung gemäß Art. 177 EGV des SG Karlsruhe und des SG Hamburg an den Europäischen Gerichtshof vorliegen - jüngst die Beiträge von Eberhard Eichenhofer, Rose Langer, Gerhard Plute, Bernd Schulte, Christoph Schumacher und Manfred Zuleeg in: Sieveking K. (Hrsg.), Soziale Sicherung bei Pflegebedürftigkeit in der Europäischen Union, Baden - Baden 1998 (in Druck). - Grundlegend zu dieser Problematik demnächst auch Schulz - Weidner, W., Die Konsequenzen des europäischen Binnenmarktes für die deutsche Rentenversicherung, in: Deutsche Rentenversicherung (DRV) 1997, S. 449ff.; auch Schulz - Weidner, W./Felix, F., Die Konsequenzen der europäischen Wirtschaftsverfassung für die österreichi sche Sozialversicherung, in: Soziale Sicherheit (Wien) 1997, S. 1120ff., Füßer, K., Transfer sozialversicherungsrechtlicher Komplexleistungen ins Ausland - zur Öffnungsbereitschaft des aktuellen Sozialversicherungsrechts aus der Sicht des europäischen Gemeinschaftsrechts Heft 9/10, in: Arbeit und Sozialpolitik 1997, und Heine, W., Transfer sozialversicherungsrechtlicher Komplexleistungen ins Ausland - zur Öffnungsbereitschaft des aktuellen Sozialversicherungsrechts aus der Sicht des Territorialitätsprinzips, in: Arbeit und Sozialpolitik 1997, Heft 9/10; S. 9ff.] Die Frage, die letztendlich wohl zu bejahen sein dürfte, wird im Laufe des Jahres 1998 wohl vom Europäischen Gerichtshof entschieden werden (Rechtssache Molenaar). Von zentraler Bedeutung für das Europäische Krankenversicherungsrecht und zugleich für das gesamte koordinierende Europäische Sozialrecht von exemplarischer Bedeutung ist die Bestimmung des Art. 22 VO (EWG) Nr. 1408/71, welche die Frage betrifft, unter welchen Voraussetzungen in einem Mitgliedstaat gegen Krankheit versicherte Personen im Rahmen ihrer Versicherung eine Krankenbehandlung im EG-Ausland in Anspruch nehmen können. Gemäß Art. 22 Abs. 1 Buchst. a VO) EWG Nr. 1408/71 haben Personen bei vorübergehendem Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat dort Anspruch auf Sachleistungen auf Kosten des zuständigen Trägers, wenn eine unverzügliche Behandlung notwendig ist (Art. 22 Abs. 1 Buchst. c. Abs. 2 S. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71), d.h. - so die Praxis -, wenn die Leistungsinanspruchnahme nicht bis zur beabsichtigten Rückkehr in den zuständigen Staat aufgeschoben werden kann. [ So für die deutsche Praxis etwa Neumann - Duesberg, R., Krankenversicherung, in: Schulte, B./Zacher, H. (Hrsg.), Wechselwirkungen zwischen dem Europäischen Sozialrecht und dem Sozialrecht der Bundesrepublik Deutsch land, Berlin l991, S. 83ff.] Ansonsten ist eine Genehmigung der zuständigen Krankenkasse erforderlich, wobei ein Rechtsanspruch auf die Genehmigung einer solchen Behandlung im Ausland nur besteht in bezug auf Leistungen, die im zuständigen Staat nicht in medizinisch angemessener Zeit erbracht werden Können [ Vgl. dazu etwa Mavridis, P., Leistungen bei Erkrankungen und Mutterschaft, in: Kommission der EG (Hrsg.), Die soziale Sicherheit der Personen, die innerhalb der Gemeinschaft zu - und abwandern, Soziales Europa 3/92, Lu xemburg 1993 S. 32ff., 34.] (nachdem dies früher vor einer entsprechenden Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen bereits dann der Fall war, wenn im EG-Ausland eine effizientere Behandlung möglich war). Damit sind gegenwärtig (noch?) die grenzüberschreitende Inanspruchnahme medizinischer Leistungen und damit auch die Möglichkeit, sich etwa - in Grenzregionen - in der Nähe des Wohnorts behandeln oder aber eine Behandlung im Herkunftsland vornehmen zu lassen, stark eingeschränkt. Für eine Lockerung der bestehenden Regelungen spricht auch die dadurch möglich werdende effizientere Nutzung vorhandener medizinischer Einrichtungen namentlich in Grenzregionen. Die Einführung des Euro wird auch insofern die Markttransparenz erhöhen und die Voraussetzungen schaffen für einen grenzüberschreitenden Wettbewerb auch in diesem Bereich. Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 findet Anwendung auf alle gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit, unabhängig davon, ob sie öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich organisiert sind oder ob es sich um ein Grund- oder ein Zusatzsystem handelt. (Ausdrücklich ausgenommen sind lediglich Vereinbarungen der Tarifpartner, selbst wenn sie für allgemeinverbindlich erklärt worden sind (Art. 1 Buchst. j VO 1408/71).) Unter die Verordnung fallende gesetzliche Systeme der sozialen Sicherheit unterliegen auch nicht den gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien über die Direktversicherung [ Vgl. Richtlinie (RL) 79/267/EWG, ABI. EG Nr. 1979 Nr. L 63; RL 90/1916/EWG, ABI. 1990 Nr. 330 RL 92/96/EWG ABI. EG 1992 Nr. L 360 (Lebensversicherung); RL 73/239/EWG, ABI. EG 1973 Nr. L 228; RL 88/357/EWG, ABI. EG 1992 Nr. L 268 (Direktversicherung mit Ausnahme der Lebensversicherung).] , soweit sie auf dem Solidarprinzip beruhen und deshalb im Hinblick auf ihre spezifische finanzielle Ausgestaltung zur Erreichung des von ihnen angestrebten spezifischen Zwecks auch nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs von den Gesetzen des Marktes und damit auch von den Regelungen über das Versicherungswesen freigestellt sein müssen. [ EuGH, RS C - 238/94 (Garcia), EuGHE 1996, I - 1679ff.] Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Systeme der sozialen Sicherheit auch vollständig den Grundfreiheiten des Gemeinsamen Marktes wie Warenverkehrsfreiheit, Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit entzogen sind, sondern im Gegensatz zur Verwaltung und Finanzierung der Systeme der sozialen Sicherheit spricht jedenfalls im Bereich der Leistungserbringung viel dafür, daß ihm gegenüber die soziale Sicherheit keine undurchdringliche Festung - "îlot "impermeable" [ Vgl. so Generalanwalt Tesauro in seinen Schlußanträgen in den verb. RS C - 120/95 (Kohll) u. 158/96 (Decker) - noch unveröff. (hier zitiert nach Langer, R., Consequences of Privatisation of the Co - ordination of Social Security Schemes in Regulation (EEC) No.1408/71: Problems and Solutions, Paper presented at the Conference "Meeting the Challenge of Change", organized by The Netherlands' Sociale Verzekeringsbank/The Netherlands' Ministry of Labour and Social Affairs, Noordwijk aam Zee, November 1997) (publication forthcoming 1998).] - ist, sondern daß ein Krankenversicherter z.B. aus Luxemburg - in einem anderen Mitgliedstaat - z.B. in Deutschland - unter Berufung auf die Warenverkehrsfreiheit auf Kosten seiner Krankenversicherung eine Brille kaufen oder aber mit Blick auf die Dienstleistungsfreiheit die Zähne seiner Tochter auch von einem in einem benachbarten Mitgliedstaat niedergelassenen Kieferorthopäden richten lassen kann. Es ist zumindest mittelfristig damit zu rechnen, daß der Zugang zu Leistungen der Krankenversorgung oder auch der Rehabilitation im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung über die heute sowohl nach nationalem Recht als auch nach Europäischem Koordinationsrecht bestehenden - engen - Möglichkeiten und darüber hinaus erweitert werden wird. [ Vgl. zu einem umfassenden Überblick über diese Problematik Schulz - Weidner, W., Die Konsequenzen des euro päischen Binnenmarktes für die deutsche Rentenversicherung, in: Deutsche Rentenversicherung (DRV) 1997, S. 449ff.] Diese vorstehend beschriebene enge Regelung des Art. 22 VO (EWG) Nr. 1408/71 wird nämlich sowohl den rechtlichen Rahmenbedingungen in der Europäischen Gemeinschaft allgemein, die sich insbesondere aus den Grundfreiheiten ergeben, als etwa auch im besonderen den tatsächlichen Verhältnissen in Grenzregionen nicht gerecht: zum einen fallen medizinische Behandlungen unter den Begriff der Dienstleistungen i. S. d. Art. 60 EGV [ EuGH, RS C - 159/90 (Erogan u.a.) EuGHE 1991, I - 4685.] mit der Folge, daß der freie Dienstleistungsverkehr i. S. d. Art. 59 EGV auch die Freiheit der Unionsbürger als Leistungsempfänger einschließt, grenzüberschreitende medizinische Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch zu nehmen [ EuGH, Verb. RS 286/82 und RS 26/83 (Luisi u. Carbone), EuGHE 1984, 377.] , mit der weiteren Folge, daß die Vereinbarkeit von Vorschriften, die diese Freiheit einschränken, mit dem Gemeinschaftsrecht davon abhängt, ob sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses fertig sind. [ EuGH, RS 279/80 (Webb), EuGHE 1981, 3305 und RS C - 76/90 (Säger), EuGHE 1991, I - 4221.] Als solche zwingende Gründe des Allgemeininteresses kommen zum einen der Schutz der Gesundheit der Versicherten, zum anderen die finanzielle Leistungsfähigkeit der zuständigen Leistungsträger in Betracht. Angesichts des durchschnittlichen Standards der Gesundheitsfürsorge in den Mitgliedstaaten dürfte eine Einschränkung der Behandlungsmöglichkeiten zum Schutz einer Gesundheit der Versicherten in der Regel nicht geboten sein. Angesichts fehlender Möglichkeiten der Krankenkassen, Abrechnungen von Leistungsanbietern aus anderen Mitgliedstaaten auf deren Wirtschaftlichkeit zu überprüfen, ist allerdings andererseits nicht gänzlich auszuschließen, daß zumindest die unbeschränkte Zulassung von Auslandsbehandlungen Mehrkosten für die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung zur Folge hätte. Diese Konsequenz ist aber möglicherweise zu vermeiden, ohne daß die Dienstleistungsfreiheit im Bereich der Krankenbehandlung völlig aufgehoben wird. Auch mag der transnationale Wettbewerb durchaus finanzielle Erleichterungen für die Leistungsträger bringen. Es ist deshalb nach Wegen zu suchen, das Allgemeininteresse an ihrer finanziellen Stabilität der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung einerseits und die gemeinschaftsrechtliche Dienstleistungsfreiheit andererseits in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu bringen. Dazu können beispielsweise eine Verbesserung der transnationalen Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten sowie möglicherweise auch bilaterale Regelungen zwischen einzelnen Mitgliedstaaten einen Beitrag leisten. Möglich ist es auch, daß Träger der gesetzlichen Krankenkassen - zumal im grenznahen Bereich - Regelungen mit ausländischen Leistungserbringern vereinbaren, welche Abrechnungs- und Prüfungsmodalitäten einschließen. Derartige Vereinbarungen bestehen mittlerweile in einzelnen Grenzregionen sowohl des Benelux-Bereichs - als auch Frankreichs und Spaniens. Exemplarisch ist der grenzüberschreitende "Versorgungsvertrag", der am 29. Januar 1997 zwischen der Universitätsklinik St. Radboud in Nijmegen, zwei niederländischen Versicherungen und der AOK Rheinland für den Kreis Kleve abgeschlossen worden ist. Für die Zukunft ist daran zu denken, das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung dahingehend zu ändern, daß die Krankenkassen zum Abschluß von Vereinbarungen mit ausländischen Leistungserbringern zum Zwecke der Erstreckung ihres Leistungsrechts auf medizinische Behandlung im Ausland ermächtigt werden. [ Vgl. zu dieser Problematik Zechel, S., Die territorial begrenzte Leistungserbringung der Krankenkassen im Lichte des EG - Vertrages, Berlin 1995; Plute, G., Dienstleistungsfreiheit und Leistungserbringer im Markt der EU, in: Die Ortskrankenkasse (DOK) 1994, S. 421ff.; Vgl. zu Einzelheiten Godry, R., Krankenbehandlung ohne Grenzen - Anmerkungen zu einem Modellprojekt im niederländisch - deutschen Grenzgebiet, in: Zeitschrift für Sozialhilfe und Sozialgesetzbuch (ZFSH/SGB) 36 (1997), 416ff. (Rainer Godry ist Leiter des Referates für Europa - und Bundesratsangelegenheiten im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein - Westfalen.)] Eine derartige - beschränkte - Ausweitung der Leistungserbringung könnte nicht nur zu einer punktuell besseren Versorgung der Versicherten führen, sondern auch zu mehr Wettbewerb unter den Leistungserbringern und deshalb auch ein Beitrag sein zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen. (2) Invalidität wird in den nationalen Gesetzgebungen der EU-Mitgliedstaaten entweder als verlängerte Krankheit behandelt (so z.B. in Frankreich) oder nach den Grundsätzen, die für das Alter gelten (so in Deutschland). Dementsprechend wird gemeinschaftsrechtlich - in den Art. 37ff. VO (EWG) Nr. 1408/71 - danach unterschieden, ob für den Anspruchsteller (A) ausschließlich Rechtsvorschriften gegolten haben, nach denen die Leistungshöhe von der Dauer der Versicherungszeit unabhängig ist (wie dies auch beim Krankengeld der Fall ist), (B) oder ob (wie nach dem deutschem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung) bei der Festsetzung der Leistungshöhe auf die Dauer von Versicherungs- oder Wohnzeiten abgestellt wird. Gelangen lediglich Vorschriften der - zeitunabhängigen - erstgenannten Art (Typ A) zur Anwendung, so werden die Leistungen nur nach dem Recht des Staates gewährt, dessen Rechtsordnung bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, an die sich die Invalidität dann anschloß, anwendbar war, und zwar auch dann, wenn der Anspruchsteller in mehreren Mitgliedstaaten beschäftigt gewesen ist; auf in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegte Beschäftigungsverhältnisse kommt es bei dieser Fallgestaltung nur dann an, wenn auch bei Zusammenrechnung sämtlicher innerhalb der Gemeinschaft zurückgelegter Zeiten des Typs A kein Leistungsanspruch besteht. Treffen Leistungsansprüche dieses sogenannten Typs A mit solchen des Typs B zusammen, so gelten grundsätzlich die Vorschriften für die Berechnung von Leistungen bei Alter und Tod. Dasselbe gilt in Fällen, in denen ausschließlich Vorschriften Anwendung finden, die auf die Zeitdauer abstellen (d.h. solche des Typs B). Sind Zeiten in mehreren Mitgliedstaaten zurückgelegt worden, so prüft der zuständige Träger jedes Mitgliedstaats eigenständig, ob der Versicherungsfall eingetreten ist. Es gibt dabei im Regelfall keine Bindung an in einem anderen Staat getroffene Entscheidungen. (Eine Ausnahme enthält Anhang V der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 für Belgien, Frankreich, Italien und Luxemburg insofern, als zwischen diesen Staaten eine Bindungswirkung an in einem anderen Staat getroffene Entscheidungen in dem Umfang eintritt, in dem die Erwerbsminderungsstufen der einschlägigen nationalen sozialrechtlichen Vorschriften im Verhältnis zueinander als übereinstimmend anerkannt werden; dadurch soll die Feststellung von Invaliditätsrenten beschleunigt und sollen Unterschiede in der Beurteilung der Invalidität bei ein- und demselben Antragsteller in verschiedenen Ländern vermieden werden.) Für Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten, die unter Berücksichtigung deutscher Zeiten berechnet werden, gelten stets die Vorschriften über Alter und Tod (Renten). Danach ist der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Recht Erwerb, Ausgestaltung oder Wiederaufleben eines Rentenanspruchs von der Zurücklegung bestimmter Versicherungs- oder Wohnzeiten abhängig ist, verpflichtet, ggf. auch nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten zurückgelegte Zeiten zu berücksichtigen. Auf diese Weise wird der vorstehend erwähnte Grundsatz der Zusammenrechnung in der Verordnung konkretisiert. Hat beispielsweise ein Antragsteller in Deutschland, Belgien und Italien je zwei Versicherungsjahre zurückgelegt, so ist kraft Gemeinschaftsrechts die deutsche fünfjährige Wartezeit für das Altersruhegeld (§ 50 Abs. 1 SGB Vl) erfüllt. (3) Der Regelung über die Rentenberechnung liegt im übrigen die grundsätzliche Unterscheidung zugrunde zwischen (a) den Fällen, in denen der Rentenanspruch allein nach innerstaatlichem Recht bereits erfüllt ist (= nationale Rente) und (b) solchen, in denen der Rentenanspruch nur bei Rückgriff auf in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegte Zeiten, und dann unter Anwendung von Gemeinschaftsrecht auf der Grundlage der Gemeinschaftsverordnungen über die soziale Sicherheit besteht (= Verordnungsrente). (A) In den erstgenannten Fällen hat der zuständige Träger jedes Mitgliedstaats zunächst den sich nach seinem nationalen Recht ergebenden Leistungsbetrag zu ermitteln; insofern findet ausschließlich nationales Recht Anwendung. Im Anschluß daran ist der sogenannte theoretische Betrag zu ermitteln, d.h. der Betrag, der sich ergäbe, wären alle in Mitgliedstaaten überhaupt zurückgelegte Zeiten nur in dem betreffenden Staat zurückgelegt worden. Es schließt sich eine sogenannte pro-rata-temporis-Berechnung ("Proratisierung") an, d.h. der theoretische Betrag ist nach dem Verhältnis aufzuteilen, in welchem die in dem jeweiligen Staat zurückgelegten Zeiten zu den gesamten mitgliedstaatlichen Zeiten stehen. Von den beiden so ermittelten Beträgen wird dann der höhere Betrag tatsächlich berücksichtigt. (B) Besteht hingegen nur bei Anwendung des gemeinschaftsrechtlichen Zusammenrechnungsgrundsatz ein Rentenanspruch, so ist zunächst ebenfalls der sogenannte theoretische Betrag zu ermitteln. Danach wird auch hier eine Proratisierung vorgenommen im Verhältnis der jeweiligen nationalen Zeiten zu den gesamten mitgliedstaatlichen Zeiten.(Dabei bleiben z.B. rein fiktive Zeiten - etwa solche, die dem Versicherten eine Mindestrente gewähren sollen - außer Betracht.) Der sich aus dieser Berechnung ergebende Betrag steht dem Versicherten als Rentenleistung zu. Im übrigen stellt dieses sogenannte "Rentenkapitel" - Art. 44-51 VO (EWG) Nr. 1408/71 -mit seiner Vielfalt weiterer Detailregelungen gewiß das "komplizierteste Stück EG-Sozialrecht" überhaupt dar. [ Vgl. dazu etwa Ruland, F., Rentenversicherung, in: Schulte, B./Zacher, H. (Hrsg.), Wechselwirkungen zwischen dem europäischen Sozialrecht und dem Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1991; ferner Schuler, R., ebd.; ders., in: Deutscher Sozialrechtsverband e.V. (Hrsg.), Europäisches Sozialrecht, Wiesbaden 1993; ders., Erläuterungen des Rentenkapitels, in: Nomos Kommentar zum Europäischen Sozialrecht, Baden - Baden 1994.] (4) Die Regelungsprinzipien, welche den Vorschriften über Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten (Art. 52ff. VO (EWG) Nr. 1408/71) zugrunde liegen, weisen starke Parallelen zu denjenigen über die Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft auf: Sachleistungen erhält der Berechtigte vom Träger des Wohnorts zu Lasten des Trägers des Versicherungsstaates, Geldleistungen von dessen zuständigem Träger unmittelbar. Hat ein Versicherter, der sich eine Berufskrankheit zugezogen hat, in zwei oder mehr Mitgliedstaaten eine Tätigkeit ausgeübt, die geeignet war, eine solche Krankheit hervorzurufen, so werden Leistungen ausschließlich nach den Rechtsvorschriften des letzten Beschäftigungsstaats gewährt, um Doppel- oder Mehrfachentschädigungen zu vermeiden. [ Vgl. im übrigen zu den Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten die ausführliche und erkenntnisreiche Darstellung Raschke, U., Europäisches Unfallversicherungsrecht, in: Schulin, B, (Hrsg.), Handbuch der gesetzlichen Unfallversicherung, München 1995.] (5) Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit (Art. 67ff. VO (EWG) NR. 1408/71) hat ein arbeitsloser Arbeitnehmer grundsätzlich in seinem früheren Beschäftigungsstaat. Dort hängt sein Anspruch davon ab, daß er der Arbeitsverwaltung zur Verfügung steht. Allerdings ist im Blick auf die künftige Schaffung eines echten europäischen Arbeitsmarktes sowie in Hinblick auf die Verbesserung der Aussicht auf einen neuen Arbeitsplatz dieses Erfordernis dahingehend gelockert worden, daß ein Vollarbeitsloser, der die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates erfüllt, sich unter bestimmten Voraussetzungen vorübergehend - bis zu drei Monaten -zur Arbeitssuche in ein anderes Land der Gemeinschaft begeben darf (Art. 69 VO (EWG) Nr. 1408/71). Gleichwohl ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer bei Arbeitslosigkeit nach wie vor beschränkt, da der Leistungsbezug grundsätzlich an das Territorium des früheren Beschäftigungsstaates gebunden ist. [ Vgl. zu Wanka, R., Arbeitsförderung - Soziale Sicherung für Arbeitslose, in: Schulte/Zacher (Hrsg.) Wechselwirkungen (Fn 24), S. 111ff.] Aus diesem Grunde stehen Überlegungen, die dahin gehen, die Frist zu verlängern, binnen derer ohne Verlust des Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit die Suche einer Beschäftigung in anderen Mitgliedstaaten als demjenigen der letzten Beschäftigung zulässig ist, durchaus im Einklang mit dem gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitskonzept. Arbeitslos gewordene Arbeitnehmer, die in einem anderen Mitgliedstaat einen anderen Arbeitsplatz suchen, haben nur für einen begrenzten Zeitraum von drei Monaten Aufenthalt in einem solchen anderen Mitgliedstaat Anspruch auf Arbeitslosengeld des Staates ihrer letzten Beschäftigung. Im Anschluß an die Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs, wonach für den Aufenthalt von Unionsbürgern, die in einem anderen Mitgliedstaat einen Arbeitsplatz suchen, eine Frist von sechs Monaten grundsätzlich ausreichen müsse, um sich im Aufnahmeland ein Bild von den dort bestehenden Arbeitsmöglichkeiten zu machen, wird für eine zeitliche Erweiterung auch der Leistungsgewährung bei der Arbeitssuche in einem anderen Mitgliedstaat plädiert. Darüber hinaus wird grundsätzlich die in Art. 51 und 235 EGV verankerte Einstimmigkeit zur Diskussion gestellt: zum einen zeige die Erfahrung, daß der Einstimmigkeitsgrundsatz der Lösung bestimmter Probleme im Wege stehen, zum anderen bestehe eine Diskrepanz zwischen der Freizügigkeitsregelung, die bereits seit jeher dem Prinzip der qualifizierten Mehrheit unterliege, und der Beibehaltung des Einstimmigkeitsprinzips bei der doch die Durchsetzung der Freizügigkeit dienenden Regelung der Koordinierung im Bereich der sozialen Sicherheit. (6) Weiter im einzelnen geregelt, sind das Sterbegeld (Art. 64ff. VO (EWG) Nr. 1408/71, Familienleistungen (Art. 72ff. VO (EWG) Nr. 1408/71) und Leistungen für unterhaltsberechtigte Kinder von Rentnern und für Waisen (Art. 77ff. VO (EWG) N r.1408/71). (xi) Drittstaatsangehörige, d.h. Personen, die nicht Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Union sind, fallen grundsätzlich nicht in den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und Nr. 574/72, es sei denn, sie würden ausnahmsweise als Flüchtlinge oder Staatenlose, die in einem Mitgliedstaat leben, oder als Hinterbliebene von EU Staatsangehörigen gemäß Art. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 erfaßt. Die Nichteinbeziehung in die gemeinschaftsrechtliche Koordinierung hat zur Folge, daß Wanderarbeitnehmer aus Drittstaaten, die in zwei oder mehreren Mitgliedstaaten arbeiten und wohnen, häufig sozialrechtliche Nachteile hinzunehmen haben, die nicht nur Folge der Verlegung des Beschäftigungs- und Wohnortes sein können, sondern auch daraus herrühren, daß das nationale Sozialrecht der Mitgliedstaaten ggf. Differenzierungen anhand der Staatsangehörigkeit vornimmt und deshalb ggf. Leistungen Bürgern aus Drittstaaten vorenthalten werden, obwohl sie in gleichem Umfang wie Einheimische Steuern, Sozialversicherungsbeiträge und sonstige Abgaben entrichten. [ Vgl. zu dieser Form der Diskriminierung Drittstaatsangehöriger Schumacher, Ch., Die soziale Sicherheit von Dritt staatsangehörigen in der Europäischen Union unter besonderer Berücksichtigung der Abkommen des Europarates und der Assoziierungs - /Kooperations - und Europaabkommen, in: Barwig, K./Sieveking, K., Baden - Baden 1997, S. 135ff., 135. - Zu einem Überblick über die einschlägigen Regelungen der Mitgliedstaaten, die für die jeweilige rechtliche Stellung Drittstaatsangeböriger maßgebend sind, vgl. die Landesberichte für die einzelnen EU - Staaten in: von Maydell, B./Schulte, B. in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission/Generaldirektion V: Ar beitsbeziehungen, Beschäftigung und Soziale Angelegenheiten (Hrsg.), Treatment of Third Country Nationals in the EU and EEA Member States in Terms of Social Security Law, Leuven 1995; zu einem Gesamtüberblick von Maydell, B., General Report, in: von Maydell/Schulte (Hrsg.), op. cit. 1995, S. 325ff.; ders., Die sozialrechtliche Stellung von Drittstaatlern in den Mitgliedstaaten der EU und des EWR, in: Due, O./Lutter, M./Schwarze, J. (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Everling, Baden - Baden 1995, S. 819ff.; dazu auch Schumacher, op. cit., 1997, sowie Eichenhofer, E., Die sozialrechtliche Stellung von Ausländern aus Nicht - EWR sowie Nicht - Abkommensstaaten, in: Barwig u.a. (Hrsg.), Sozialer Schutz von Ausländern, a.a.O., S. 63ff.] Das Aktionsprogramm zur Anwendung der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer [ Brüssel 1989; vgl. dazu Soziales Europa 1/90 2, S. 57ff.] , welches zur Umsetzung der in der Gemeinschaftscharta definierten Rechte seinerzeit gleichzeitig verabschiedet wurde, enthielt für den Bereich der Freizügigkeit u.a. bereits den Vorschlag für eine Verordnung zur Ausdehnung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 als deren Durchführungsverordnung auf sämtliche Versicherten. Die für Arbeitnehmer und Selbständige bereits vollzogene gemeinschaftliche Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit soll damit auf andere, bisher nicht einbezogene Gruppen, namentlich auch in Sondersystemen gesicherte Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, Studenten und sonstige nichterwerbstätige Personen - ausgedehnt werden, damit letztendlich alle Unionsbürger erfaßt werden. Nur bei ausreichendem sozialen Schutz bei Aufenthalt in anderen Mitgliedstaaten ist auch für diese Gruppen das Recht auf Freizügigkeit gewährleistet. (xii) Gemäß Art. 7a EGV (früher: Art. 8a EWGV) umfaßt der Binnenmarkt "einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen dieses Vertrages gewährleistet ist". Die Dienstleistungsfreiheit (Art. 59 EGV) ist erst vergleichsweise spät - nach der Waren-, Kapitalverkehrsfreiheit sowie der Personenverkehrsfreiheiten - Freizügigkeit für Arbeitnehmer (Art. 48 EGV) und Niederlassungsfreiheit für Selbständige (Art. 52 EGV) - stärker ins Blickfeld sowohl der Gemeinschaftsinstitutionen als auch der Öffentlichkeit gerückt. Der Umstand, daß im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat in bestimmten Wirtschaftszweigen - insbesondere in der Bauwirtschaft und im Transportwesen - Arbeitskräfte sowohl aus Mitgliedstaaten als auch aus Drittstaaten in andere Mitgliedstaaten entsenden, wirft die Frage auf, wie die Arbeitsbedingungen dieser entsandten Arbeitnehmer in dem Land, in welchem sie tätig werden, ausgestaltet sein müssen. In der Regel gilt für die entsandten Arbeitnehmer das Recht des Landes, in dem das entsendende Unternehmen seinen Sitz hat. Die daraus resultierenden unterschiedlichen Arbeitsbedingungen zwischen den entsandten Arbeitnehmern einerseits und einheimischen Arbeitnehmern können im Aufnahmeland zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Dafür liefert die Situation auf dem deutschen Bausektor reichhaltiges Anschauungsmaterial. [ Vgl. dazu exemplarisch die Beiträge in: Köbele, B./Leuschner, G. (Hrsg.), Industriegewerkschaft Bau - Steine - Erde–Konferenz "Arbeitsmarkt. Grenzenlos mobil?", Baden - Baden 1995.] Die EG-Kommission hatte bereits Anfang der 90er Jahre einen Vorschlag unterbreitet für ein Rechtsinstrument der Gemeinschaft über die Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer eines anderen Mitgliedstaates, die im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs im Aufnahmeland Arbeiten für Rechnung eines Subunternehmens ausführen. Mittlerweile ist daraufhin die sogenannte Entsenderichtlinie verabschiedet worden, die gewisse Mindeststandards [ Vgl. Richtlinie 96/71 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, EuZW 1997, 623ff.; zum Inhalt der Richtlinie vgl. im einzelnen Däubler, W., Die Entsenderichtlinie und ihre Umsetzung in das deutsche Recht, in: EuZW 1997 S. 613ff.] vorgibt. Für die soziale Sicherheit stellt sich die Frage, ob die Regelung des Art. 14 VO (EWG) Nr. 1408/71 der Entsendeproblematik in diesem Bereich gerecht wird oder aber modifiziert werden muß. [ Zu einem Überblick über diese Problematik vgl. Borgmann, B., Entsendung drittstaatsangehöriger Arbeitnehmer durch EU - Unternehmen nach Deutschland, in: Zeitschrift für Ausländerpolitik und Ausländerrecht (ZAR) 1996, S. 119ff.; Cornelissen, R., Die Entsendung von Arbeitnehmern innerhalb der Europäischen Union und die soziale Sicherheit, in: Recht der Arbeit (RdA) 49 (1996), S. 329ff., Deinert, O., Arbeitnehmerentsendung im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen innerhalb der Europäischen Union, in: Recht der Arbeit (RdA) 49 (1996), S. 339ff.; zur zuvor bereits ergangenen deutschen Regelung vgl. Hanau, P., Das Arbeitnehmer - Entsendungsgesetz, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 49 (1996), S. 1369ff.] (xiii) Die bislang fehlende Koordinierung im Rahmen der Zusatzsysteme der sozialen Sicherheit kann dazu führen, daß Arbeitnehmer bei Wechsel in einen anderen Mitgliedstaat ihre Ansprüche gegenüber ihrem früheren Arbeitgeber und den von diesem betriebenen Zusatzsystemen der sozialen Sicherheit verlieren. Angesichts der Bedeutung von Zusatzsystemen der sozialen Sicherheit - namentlich Betriebsrentensystemen - für bestimmte Kategorien von (zumeist besser gestellten) Arbeitnehmern kann diese fehlende Koordinierung ein wesentliches Mobilitätshindernis darstellen. [ Vgl. dazu Langlois, P., The Coordination of State Pension Schemes and the Non - Coordination of Occupational Pension Schemes, in: Eichenhofer, E. (Hrsg.), Social Security of Migrants in the European Union of Tomorrow, Osnabrück 1997, S. 117ff., ferner Steinmeyer, H. - D., Grundfragen des Europäischen Sozialrechts, in: Arbeit und Arbeitsrecht. 1992, S. 212ff., ders., Europäische Rechtsprechung.]
Die Europäische Kommission hat Ende 1997 einen Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Wahrung ergänzender Rentenansprüche von Arbeitnehmern und Selbständigen, die sich innerhalb der Europäischen Union bewegen, vorgelegt. [ KOM (97) 486 endg. Ratsdokument 11325/97 (BRat - Drucks. 966/97 v. 27.11.1997).] Ziel der Richtlinie soll es sein, die Rentenansprüche der Arbeitnehmer und ihrer Familien, die sich von einem Mitgliedstaat der Union in einen anderen bewegen, durch ergänzende Rentensysteme für die Risiken Alter, Invalidität und Tod (Hinterbliebenensicherung) zu schützen. Damit soll zum einen dem Umstand Rechnung getragen werden, daß ergänzende Rentensysteme eine wichtige - und in Zukunft aller Voraussicht nach noch wichtiger werdende - Rolle als zweiter Pfeiler der sozialen Sicherheit spielen, und zum anderen der gegenwärtige Rechtszustand ein Hindernis für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union darstellt. Die Kommission weist in ihrer Begründung darauf hin, daß der EG-Vertrag nicht nur die Beseitigung jeglicher Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch die Beseitigung aller nationalen Maßnahmen vorsieht, welche die Ausübung der personellen Grundfreiheiten des Gemeinsamen Marktes durch die Arbeitnehmer, wie sie im Vertrag gewährleistet und in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs ausgelegt worden ist [ Vgl. Rechtssachen C - 279/93 (Schumacher), EuGHE 1995, I - 225; RS C - 19/92 (Kraus), EuGHE 1993, I - 1663; RS C–80/94 (Wielockx), EuGHE 1995, I - 2493; RS C - 107/94 (Asscher), EuGHE 1996, I - 3089.] , verhindern oder behindern. Um eine tatsächliche Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit zu ermöglichen, sollen den Arbeitnehmern deshalb bestimmte Garantien im Hinblick auf die Beibehaltung einmal gegründeter Rechtsansprüche auf Leistungen eines ergänzenden Rentensystems eingeräumt werden. Dies soll in der Weise geschehen, daß die Mitgliedstaaten nach Maßgabe der Richtlinie die erforderlichen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, daß Leistungen im Rahmen ergänzender Rentensysteme an Mitglieder und frühere Mitglieder derartiger Systeme sowie an deren Familienangehörige und Hinterbliebenen in sämtlichen Mitgliedstaaten erbracht werden. Um die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit zu erleichtern, sollen die nationalen Vorschriften einander insoweit angepaßt werden, daß Beiträge weiterhin in ein zugelassenes und in einen Mitgliedstaat eingerichtetes Ergänzungsrentensystem durch oder für solche Arbeitnehmer eingezahlt werden können, die für kurze Zeit in einen anderen Mitgliedstaat entsandt werden. Dabei soll die Gemeinschaft angesichts der Verschiedenartigkeit der ergänzenden Sozialschutzsysteme lediglich einen allgemeinen Rahmen für Zielsetzungen festlegen und den Mitgliedstaaten im übrigen die freie Wahl der Maßnahmen überlassen, die sie zur Verwirklichung dieser Zielsetzungen treffen möchten. Die Richtlinie stellt das geeignete juristische Instrument dar, um die Anpassung der nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zu erreichen. Nach Maßgabe des Art. 1 der geplanten Richtlinie ist es Ziel dieser Richtlinie sicherzustellen, daß die früher oder gegenwärtig erworbenen Ansprüche von Mitgliedern ergänzender Rentensysteme, die sich von einem Mitgliedstaat zum anderen bewegen, geschützt sind. Dieser Schutz betrifft insbesondere die Wahrung der Rentenansprüche aus sowohl freiwilligen als auch aus gesetzlich vorgeschriebenen ergänzenden Rentensysteme mit Ausnahme der bereits von der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 abgedeckten Systeme. Gemäß Art. 2 gilt die Richtlinie nur für Mitglieder ergänzender Rentensysteme, die ihre Ansprüche in einem Mitgliedstaat oder mehreren Mitgliedstaaten erworben haben oder erwerben, sowie für die Mitglieder ihrer Familien und ihrer Hinterbliebenen. Art. 3 enthält Begriffsbestimmungen. (xiv) Da im Verlauf der weiteren wirtschaftlichen Integration innerhalb der Europäischen Union absehbar ist, daß vor allem in den Grenzregionen der Gemeinschaft, in denen rund 10% der Unionsbürger leben, mehr Personen als bisher von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen werden, ist künftig der spezifischen Situation von Grenzarbeitnehmern verstärkt Rechnung zu tragen. Dies kann u.a. in der Weise geschehen, daß ihnen ermöglicht wird, der uneingeschränkte Zugang zu den unterschiedlichen Dienstleistungen, namentlich im Bereich der Bildung und Gesundheit unabhängig von ihrem jeweiligen Wohn- oder Aufenthaltsort, gestattet. Nach Maßgabe des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung des Vertrags über die Europäische Union von Maastricht hat nunmehr zwar jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten "vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen" frei zu bewegen und aufzuhalten (Art. 8a Abs. 1 EGV), doch steht die Freizügigkeit als allgemeines "Unionsbürgerrecht" damit gleichsam unter dem Vorbehalt der sonstigen primär- und sekundärrechtlichen Regelungen des EG-Vertrages. Dies bedeutet, daß es rechtlich nach wie vor keine umfassende Personenfreizügigkeit für alle Unionsbürger gibt, sondern daß die Freizügigkeit für Arbeitnehmer, selbständig Erwerbstätige, Empfänger und Erbringer von Dienstleistungen und selbständig Erwerbstätige sowie schließlich sonstige Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Union -Studenten, Rentner, sonstige Nichtergverbstätige unterschiedlich geregelt ist. [ Vgl. dazu etwa Hailbronner, K., D. Freizügigkeit. D. I. Grundregeln, in: Dauses, M. (Hrsg.), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, München 1993, S. 2.] Immerhin ist dem vorstehend bereits genannten Art. 8a EGV zu entnehmen, daß diese Vorschrift gleichsam einen Mindeststandard insoweit vorgibt, als der Rat in ihrem Absatz 2 lediglich ermächtigt wird, weitere Vorschriften zu erlassen, mit denen die Ausübung der in Absatz 1 verbrieften Rechte erleichtert wird. Hinter den bereits erreichten Rechtszustand im Hinblick auf die Gewährleistung der Freizügigkeit kann somit nicht zurückgegangen werden. [ Vgl. dazu Kaufmann - Bühler, W., in: Lenz, C. (Hrsg.), EG - Vertrag. Kommentar, Köln 1995, Art. 8a Rn. 5.] (xv) Im Frühjahr 1997 hat die von der Europäischen Kommission eingesetzte Arbeitsgruppe zu Fragen der Freizügigkeit ihren Bericht vorgelegt, der als einen grundlegenden Aspekt der Freizügigkeit auch den sozialen und familiären Status derjenigen Personen behandelt, die innerhalb der Union zu- und abwandern. [ Europäische Kommission (Hrsg.), Bericht der hochrangigen Arbeitsgruppe zu Fragen der Freizügigkeit unter dem Vorsitz von Frau Simone Veil, Brüssel 1997 (Ausschußmitglieder: Helena André/Guido Bolaffi/David O'Keeffe/Kay Hailbronner/Anna Hedborg/Pierre Pescatore/Tony Venables).] Im Anschluß an die Feststellung, daß im Bereich der sozialen Sicherheit der Personen, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, bereits viel erreicht sei, so daß die Personen, die sich von einem Mitgliedstaat in einen anderen begeben, bereits ein Ausmaß an sozialer Sicherheit genießen - im wesentlichen dank des guten Funktionierens des Verfahrens zur Koordinierung der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit auf der Grundlage der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 -, werden eine Reihe von Lücken des geltenden Gemeinschaftsrechts sowie ein gewisses Zurückbleiben der Koordinierung der Entwicklung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten aufgezeigt: - Der familiäre Status, zu dem gehört, daß Bürger, die sich in einem anderen Mitgliedstaat niederlassen, das Recht haben, ihre Familienangehörigen mitzunehmen und daß Bedingungen geschaffen werden, welche der Eingliederung dieser Familien im Aufnahmestaat dienlich sind, wird vor allem von der Verordnung (EWG) Nr. 1612/60 sowie den Richtlinien (EWG) Nr. 68/360 sowie 73/348 - für Selbständige -, 90/565 - für Rentner, 90/464 für Personen, die über ausreichende Existenzmittel und eine Versicherung für Krankheit und Mutterschaft verfügen - und 93/96- für Studenten - geregelt. Probleme bestehen hier noch im Hinblick auf die Familienzusammenführung und den Zugang zu sozialen Vergünstigungen. Gemäß Art. 10 Abs. 1 VO (EWG)Nr. 1612/68 "dürfen bei dem Arbeitnehmer, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist, folgende Personen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit Wohnung nehmen. a) sein Ehegatte sowie die Verwandten in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird, b) seine Verwandten und die Verwandten seines Ehegatten in aufsteigender Linie, denen er Unterhalt gewährt. " Eine entsprechende Bestimmung findet sich auch in den genannten Richtlinien. Probleme bestehen deshalb im Hinblick auf Verwandte des Ehegatten in aufsteigender und absteigender Linie, denen kein Unterhalt gewährt wird, im Hinblick auf nichteheliche Lebensgemeinschaften, sowie im Hinblick auf den Wohnort der Familie im Hinblick darauf, daß die Mitglieder einer Familie nicht zwangsläufig zusammenleben. - Im Hinblick auf die Erhaltung der Familieneinheit wird in diesem Zusammenhang in dem Bericht dafür plädiert, Kindern über 21, die von ihren Eltern keinen Unterhalt bekommen, oder Verwandte in aufsteigender Linie, die von ihren Kindern nicht unterhalten werden, gleichwohl nicht das Recht vorzuenthalten, sich mit ihren Familienangehörigen in deren Wohnstaat aufzuhalten. In Ansehung der sich aus Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1612/68 ergebenden Gleichstellung von Wanderarbeitnehmern mit inländischen Arbeitnehmern im Hinblick auf soziale und steuerliche Vergünstigungen wird darauf hingewiesen, daß die praktische Gleichstellung in vielen Fällen noch zu wünschen übrig läßt. So wird beispielsweise gelegentlich die Gewährung sozialer Vergünstigungen von der Vorlage einer gültigen Aufenthaltserlaubnis abhängig gemacht und werden bestimmte Vergünstigungen, welche unter die Verordnung fallen und im Hinblick auf die deshalb Gleichbehandlung geboten ist, inländischen Staatsangehörigen vorbehalten. - In bezug auf die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten wird auf eine Intensivierung der bereits bestehenden Zusammenarbeit zwischen den nationalen Verwaltungen gedrängt; so könne ein Ausbau der Zusammenarbeit auf gemeinschaftlicher aber auch auf nationaler und lokaler Ebene zu einer Entschärfung bestimmter Probleme im Zusammenhang mit den unterschiedlichen nationalen Rechtsvorschriften führen und die Kumulation von Vor- oder Nachteilen, insbesondere für Grenzgänger vermeiden helfen. Plädiert wird in diesem Zusammenhang für einen Ausbau der in Art. 80-84 VO (EWG) Nr. 1408/71 niedergelegten Regelungen über den Beratenden Ausschuß für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer. - In persönlicher Hinsicht beschränkt sich der Anwendungsbereich der Verordnung auf alle Arbeitnehmer und Selbständige, für welche die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gelten (oder galten), soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, sowie für deren Familienangehörige oder Hinterbliebene (unabhängig von deren Staatsangehörigkeit). Nicht erfaßt werden hingegen Unionsbürger, die weder selbst erwerbstätig noch Familienangehörige eines Erwerbstätigen sind, sowie Angehörige von Drittstaaten, auch soweit sie sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten (es sei denn, daß sie Familienangehörige eines Arbeitnehmers sind, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt). Die Arbeitsgruppe kommt zum Abschluß ihrer Überlegungen u.a. zu dem Schluß, daß es um den sozialen Schutz der Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, voll zum Tragen kommen zu lassen, gelte, die Kommission in folgenden Initiativen zu unterstützen: - Erweiterung des persönlichen Geltungsbereichs der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 auf Studenten und andere nichterwerbstätige Personen, denen das Recht auf Freizügigkeit zusteht, die über ausreichende Existenzmittel verfügen und in einem Mitgliedstaat versichert sind, auf die Sonderregelungen für Beamte und ihnen gleichgestellte Personen sowie auf Vorruhestandsregelungen. - Flexiblere Handhabung der Voraussetzungen für den Zugang zu grenzüberschreitenden medizinischen Versorqungsleistungen (außerhalb von Notfällen) in genau festgelegten Fällen, in denen Mißbrauch ausgeschlossen werden kann, sowie Förderung von Übereinkommen über die Übernahme grenzüberschreitender medizinischer Versorgungsleistungen zwischen den Leistungsträgern benachbarter Länder; - Prüfung der Möglichkeiten, hinsichtlich der Anwendung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 die nationalen Computerkarten der Sozialversicherungen in allen Mitgliedstaaten lesbar zu machen; - Durchführung einer qualitativen und quantitativen Bewertung der Vorteile und Folgen einer eventuellen Verlängerung des Zeitraums für den Export von Leistungen bei Arbeitslosigkeit über drei Monate hinaus; - nachdrückliche Forderung einer Überprüfung der Frage der Einstimmigkeit, die derzeit für eine Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 erforderlich ist, im Rahmen der Regierungskonferenz; - Intensivierung der Information über das mit der Verordnung ((EWG) Nr. 1408/71 eingeführte Verfahren sowie Schaffung von Anreizen für einen Ausbau der Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Verwaltungen. Die mit der Einbeziehung Drittstaatsangehöriger verbundenen Probleme sind im Jahre 1994 auf einer von der Europäischen Kommission und dem portugiesischen Arbeits- und Sozialministerium durchgeführten internationalen Konferenz diskutiert worden. [ Vgl. Commission of the European Communities/Departamento de Relaçoes Internacionais e Convençoes de Segurança Social Security in Europe. Equality between Nationals and Non - Nationals (European Conference Oporto November 1994), Lisbon 1995.] Ende 1997 hat die Kommission den Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 in bezug auf dessen Ausdehnung auf Staatsangehörige von Drittländern vorgelegt. [ KOM (97) 561 endg. vom 12.11.1997.] Der Vorschlag zielt darauf ab, die durch die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 festgelegte gemeinschaftliche Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit auf in einem Mitgliedstaat versicherte Arbeitnehmer und Selbständige aus Nichtmitgliedstaaten auszudehnen. Die Kommission läßt sich dabei von der Überlegung leiten, daß bereits seit langem eine Verbesserung der Rechtsstellung der rechtmäßig in der Gemeinschaft lebenden Staatsangehörigen von Drittländern auf der Tagesordnung steht. Dieses Ziel war bereits enthalten im "Weißbuch" zur Europäischen Sozialpolitik [ KOM (94) 333 v. 27. Juli 1994.] und lag auch dem von der Kommission am 30. Juli 1997 [ KOM (97) 387 v. 30. Juli 1997.] verabschiedeten Entwurf eines Übereinkommens zur Regelung der Zulassung von Staatsangehörigen von Drittländern in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zugrunde. Im Bestreben, die Gleichbehandlung der rechtmäßig niedergelassenen Staatsangehörigen von Drittstaaten zu fördern, schlägt die Kommission die Einführung eines Mechanismus vor, der es gestattet, seit langem ansässige Staatsangehörige von Drittländern als dauerhaft niedergelassene anzuerkennen. Nach dem Vorschlag der Kommission sollten diese Personen sowohl in dem Mitgliedstaat, in dem sie als dauerhaft niedergelassen anerkannt sind, als auch in den anderen Mitgliedstaaten wie Bürger der Union besondere Rechte genießen. Die Festschreibung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Staatsangehörigen von Drittstaaten sowohl im innerstaatlichen Recht als auch im Gemeinschaftsrecht wird zugleich als Teil einer Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit angesehen. Die vorgeschlagene Regelung betrifft eine rein interne Koordinierung, d.h. sie bezieht sich ausschließlich auf die Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten. Die Systeme von Drittstaaten, d.h. der Staaten, die nicht Mitglieder der Gemeinschaft und des Europäischen Wirtschaftsraums sind, bleiben dementsprechend außer Betracht. Die Systeme der Mitgliedstaaten sollen mithin auch künftig nicht "extern" mit Drittstaaten koordiniert werden. Dies bedeutet, daß nach den Rechtsvorschriften eines Drittstaates zurückgelegte Versicherungszeiten bei der gemeinschaftsinternen Koordinierung nicht berücksichtigt werden, daß Wohnzeiten in einem Drittstaat nicht Wohnzeiten in einem Mitgliedstaat gleichgestellt werden, und daß die vorgeschlagene Neuregelung auch keinen "Export" von Leistungen in einen Drittstaat vorsieht. Bisher ist die Mehrzahl der rund 13 Mio. Drittstaatsangehörigen, die rechtmäßig in einem Mitgliedstaat leben, von der Koordinierung der Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 nicht erfaßt. Vielmehr ist die Rechtsstellung im Hinblick auf die "interne Koordinierung" gegenwärtig von der jeweiligen Staatsangehörigkeit und von dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaats abhängig, dessen Rechtsordnung für sie gilt. Dementsprechend lassen sich gegenwärtig folgende Gruppen unterscheiden: - von der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 bereits erfaßte Staatsangehörige von Drittstaaten, d.h. in einem Mitgliedstaat lebende Staatenlose und Flüchtlinge; - als Familienangehörige eines Gemeinschaftsstaatsangehörigen durch die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 insoweit teilweise erfaßte Staatsangehörige von Drittstaaten, als ihnen abgeleitete Ansprüche zustehen, - Staatsangehörige aus Drittstaaten, die von Abkommen zwischen der Gemeinschaft und Drittstaaten erfaßt sind, welche Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit enthalten (z.B. das Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei mit dem Assoziationsrats-Beschluß 3/80 vom 19. September 1980, sowie die Kooperationsabkommen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mit Marokko, Tunesien und Algerien; - von zweiseitigen Abkommen zwischen zwei oder mehr Mitgliedstaaten erfaßte Staatsangehörige aus Drittstaaten (wobei diese Abkommen i.d.R. nicht alle Zweige der sozialen Sicherheit erfassen und damit eine weniger vollständige Sicherung bieten als die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71; - die vom Europäischen Interimsabkommen des Europarates vom 11. Dezember 1953 oder von anderen mehrseitigen Übereinkommen erfaßten Staatsangehörigen von Drittstaaten; - Staatsangehörige aus Drittstaaten, die von bilateralen Abkommen zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittstaat erfaßt sind (wobei diese Abkommen eine "externe" Koordinierung); - Staatsangehörige von Drittstaaten, die zu keiner der vorstehend genannten Kategorien gehören und deshalb bei der "Wanderung" innerhalb der Gemeinschaft keinerlei Privilegierung genießen. Die vorstehend aufgezeigte Vielfalt verschiedener Schutzniveaus führt zu einer Unsicherheit über den jeweiligen Rechtsstatus von Drittstaatsangehörigen, der nicht nur diese Personengruppe benachteiligt, sondern auch die damit befaßten Verwaltungen der Mitgliedstaaten vor Probleme stellt und Verwaltungskosten verursacht. Darüber hinaus stellt sich seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Rechtssache Gaygusuz vom 16.9.1996 die Frage, ob nicht bereits die von der Europäischen Union in Art. 11 Abs. 2 EuGV eingegangene Verpflichtung zur Achtung der Grundrechte, wie sie insbesondere in der Europäischen Konvention zum Schatz der Menschenrechte enthalten sind, die Gleichbehandlung von Staatsangehörigen von Drittländern mit Unionsbürgern vorschreibt, da der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der vorstehend genannten Entscheidung für Recht erkannt hat, daß das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit auch für Ansprüche auf Leistungen der sozialen Sicherheit gilt. [ Vgl. dazu Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urt. v. 16.9.1996 - Nr. 39/1995/631 (Gaygusuz ./. Öster reich, in: Informationsbrief Ausländerrecht (InfAuslR) 1997, S. 1ff. (m. Anm. Rittstieg).] Die von der Kommission vorgeschlagene Erstreckung des persönlichen Geltungsbereichs der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 auch für Staatsangehörige von Drittstaaten hätte Auswirkungen auf - die Zusammenrechnung von Versicherungs-, Erwerbstätigkeits- und Wohnzeiten innerhalb der Gemeinschaft, - den "Export" von Leistungen bei Alter, Invalidität oder für Hinterbliebene innerhalb der Gemeinschaft, - die Berücksichtigung der innerhalb der Gemeinschaft wohnenden Familienangehörigen bei der Berechnung von Familienleistungen oder Leistungen bei Arbeitslosigkeit; - die Gewährung von Leistungen der sozialen Sicherheit an Erwerbstätige, die in einem Mitgliedstaat wohnen, aber in einem anderen arbeiten. Auf der Rechtsgrundlage der Art. 51 und 235 EGV schlägt die Europäische Kommission vor, in Art. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 jeden Hinweis auf die Staatsangehörigkeit zu streichen und Art. 2 VO (EWG) Nr. 1408/71 dahingehend zu ändern, daß die Verordnung künftig auf alle Arbeitnehmer und Selbständige und ihre Familienangehörigen ausgeweitet wird. (Dementsprechend wären die de lege lata in der Vorschrift genannten Hinweise auf besondere Personen, die keine Gemeinschaftsangehörigen sind, für welche die Verordnung aber gleichwohl gilt - Staatenlose, Flüchtlinge, Hinterbliebene von Staatsangehörigen aus Drittstaaten - zu streichen.) (xvi) Insbesondere im Hinblick auf die vorstehend erwähnten Richtlinien über das Aufenthaltsrecht von Rentnern, Studenten und sonstiger Personen, die über ausreichende Existenzmittel und eine Absicherung bei Krankheit verfügen, bleibt die Regelung der Verordnung (EWG) Nr.1408/71 im Hinblick auf bestimmte Gruppen von Unionsbürgern hinter der Regelung über die Freizügigkeit zurück. Auch die Nichteinbeziehung Drittstaatsangehöriger schafft Lücken im Bereich der sozialen Sicherheit, da die betreffenden Personen bei Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als ihrem Beschäftigungsstaat trotz Einbeziehung in dessen System der sozialen Sicherheit nicht der gemeinschaftsrechtlichen Koordinierung unterliegen und ggf. keinen Versicherungsschutz genießen (mit der Folge, daß entweder sie oder auch die Sozialhilfe des Aufenthaltsstaates ggf. als "Ausfallsbürge" eintreten muß). Lücken im sachlichen Geltungsbereich der Verordnung (EWG) Nr.1408/71 betreffen beispielsweise die in Art. 4 Abs. 4 VO (EWG) Nr.1408/71 ausdrücklich ausgenommenen Sondersysteme für Beamte und ihnen gleichgestellte Personen. Die diesen Regelungen unterliegenden Personen sind mithin nicht von den Koordinierungsmaßnahmen abgedeckt, die in der Verordnung vorgesehen sind. In dem Maße, in dem die öffentlichen Dienste der Mitgliedstaaten - nicht zuletzt aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 48 Abs. 4 EGV und der Eingrenzung der dort zugelassenen Ausnahme vom Bereich der Freizügigkeit für die "Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung" -für Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten geöffnet werden, ergeben sich aus der mangelnden Koordinierung Probleme. Mittlerweile hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, daß der Rat dadurch, daß er für diese Fälle keine einschlägigen Koordinierungsregelungen vorgesehen hat, die Verpflichtungen nicht eingehalten hat, die sich aus Art. 51 EGV ergeben. [ EuGH, RS 443/93 (Vougakis), EuGHE 1995, I - 4033.] (xvii) Auch Vorruhestandsregelungen sind vom Geltungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 ausgenommen, auch wenn sie im Rahmen von Sozialversicherungssystemen gewährt werden, weil sie weder als Leistung bei Alter noch als Leistungen bei Arbeitslosigkeit i.S.d. Art. 4 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71 qualifiziert werden, mit der Folge, daß es gegenwärtig keine gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften gibt, welche den "Export" derartiger Leistungen in einen anderen Mitgliedstaat vorsehen. Von dem Fehlen der Koordinierung sind insbesondere Grenzgänger betroffen. Überdies stellt das Fehlen einer Koordinierung naturgemäß ein wichtiges Hindernis für die Mobilität von "Vorruheständlern" dar. (xviii) Zu denken ist schließlich an die über 500.000 Freiberuflichen, die in Versorqungswerken- für Ärzte, Apotheker, Notare, Rechtsanwälte u.a. - sozial gesichert sind, die der gemeinschaftsrechtlichen Koordinierung nicht unterliegen. Auch diesbezüglich mag künftig Handlungsbedarf bestehen. (xix) Art. 48 Abs. 2 EGV, der die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen vorschreibt, konkretisiert das allgemeine Diskriminierungsverbot wegen der Staatsangehörigkeit des Art. 6 EGV, wonach "unbeschadet besonderer Bestimmungen des Vertrages" jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit untersagt ist, und verbietet darüber hinaus im Bereich der Freizügigkeit als einer Grundfreiheit des Gemeinsamen Marktes auch jede ungerechtfertigte Einschränkung dieses Freiheitsrechts. [ So besonders nachdrücklich EuGH, RS C - 415/93 (Bosman), EuGHE 1995, I - 4921ff., 5040 (siehe auch FN 54 = EuGH, Urt. v. 15.12.1995, RS C - 415/93 (Bosman), EuGHE 1995, I - 4921 der Europäischen Gemeinschaften (EuGHE) - noch nicht veröffentlicht. )] Für die arbeits- und sozialrechtliche Stellung der Wanderarbeitnehmer aus EU- bzw. EWR-Staaten von besonderer Bedeutung ist die Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (sogenannte "Freizügigkeitsverordnung"). Sie konkretisiert und ergänzt den in Art. 48 Abs. 2 EGV verankerten Grundsatz der Gleichbehandlung, der sich expressis verbis lediglich auf die Beschäftigungsbedingungen und den Berufszugang bezieht, in besonderen Bestimmungen über Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen (Art. 7 Abs. 1), die Inanspruchnahme von Bildungseinrichtungen (Art. 7 Abs. 3), die gewerkschaftliche Betätigung (Art. 8), den Zugang zu Wohnungen (Art. 9) sowie die Teilnahme von Wanderarbeitnehmerkindern an der allgemeinen und beruflichen Bildung (Art. 12). Besonders große praktische Bedeutung hat die Bestimmung des Art. 7 VO (EWG) Nr. 1612/68. Danach darf ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf seine berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer; gemäß Absatz 2 dieser Bestimmung genießt er in seinem Beschäftigungsstaat auch die "gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer"; dies gilt auch für solche Vergünstigungen, die nicht dem Wanderarbeitnehmer selbst, sondern seinen Familienangehörigen zugute kommen. Diese Gleichbehandlungsvorschrift in bezug auf "soziale Vergünstigungen" ist insbesondere von Bedeutung für solche Sozialleistungen, die nicht zur sozialen Sicherheit im Sinne des Europäischen Gemeinschaftsrechts gehören, wie - aus der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs - z.B. Hilfen für Behinderte, Wohn- und Familiendarlehen, Zugang zu Sozialwohnungen, Fahrpreisermäßigungen bei öffentlichen Verkehrsmitteln, Leistungen der Ausbildungsförderung, Wohngeld und Sozialhilfe. [ Vgl. zu einem umfassenden Überblick über diese Regelung Lippert, R., Soziale Vergünstigungen und Arbeitneh merfreizügigkeit in Europa, Aachen 1995; sehr instruktiv jüngst Brinkmann, G., Soziale Vergünstigungen für EG- Angehörige, in: Barwig, K. u.a. (Hrsg.), Sozialer Schutz von Ausländern in Deutschland, Baden - Baden 1997 S. 201 ff.]
Ein derartiger Anspruch auf Gleichbehandlung in bezug auf soziale Vergünstigungen besteht nach der jüngsten Judikatur des Gerichtshofs nicht nur, solange der Wanderarbeitnehmer und seine Familienangehörigen sich im Beschäftigungsstaat aufhalten, sondern ggf. hat auch ein "Leistungsexport" - etwa zugunsten von Grenzgänger, die in einem anderen Staat als ihrem Beschäftigungsstaat wohnen - bei Anwendung des Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1612/68 stattzufinden. [ Vgl. EuGH, Urt. v. 27.11.1997, RS - 57/96 (Meints) - in EuGHE noch nicht veröff.] Selbständige und sonstige Personen, welche die aktive Dienstleistungsfreiheit in Anspruch nehmen, d.h. Dienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten nachsuchen, können allerdings ähnliche Rechte aufgrund des allgemeinen Diskriminierungsverbots des Art. 6 EGV geltend machen. Insoweit kann die Inanspruchnahme von Rechten auf Zugang zu sozialen Leistungen durchaus auch auf andere Rechte als das Recht auf Freizügigkeit gestützt werden. [ Vgl. zu derartigen nicht - freizügigkeitsakzessorischen Partizipationsrechten des Gemeinschaftsrechts von Wilmowsky P., Zugang zu den öffentlichen Leistungen anderer Mitgliedstaaten (Das Integrationskonzept des EWG - Vertrags in der Leistungsverwaltung), in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRVR) 1990, S. 331ff.] (xx) Der Vertrag von Amsterdam [ Vgl. Rat der Europäischen Union/Generalsekretariat, Regierungskonferenz Tagung des Europäischen Rates in Amsterdam. Vertragsentwurf, Brüssel, Juli 1997.] hat auch für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer insofern eine Neuerung gebracht, als zwar die Bereiche soziale Sicherheit und sozialer Schutz der Arbeitnehmer wie bisher wegen ihrer Finanzwirksamkeit und ihrer politischen Bedeutung dem Einstimmigkeitsprinzip im Rat unterliegen, zugleich jedoch künftig (d.h. nach Inkrafttreten des Vertrages, womit wegen der langwierigen Ratifizierungsverfahren und der Notwendigkeit von Referenden in einzelnen Mitgliedstaaten Ende 1997 zu rechnen ist) unter das Mitentscheidungsverfahren (statt wie bisher das Anhörungsverfahren) fallen und insofern in diesem Bereich die Stellung des Europäischen Parlaments gestärkt worden ist. Der künftige Art. 42 EGV, der an die Stelle des heutigen Art. 51 EGV treten und weiterhin dem Kapitel 1. Die Arbeitskräfte des Titels lll. Die Freizügigkeit, der freie Dienstleistungs- und Kapitalverkehr angehören wird und damit zugleich den Art. 39ff. EGV n.F. (ex-Art. 48ff. EGV) zugeordnet bleibt, enthält einen Hinweis auf das Beschlußverfahren des Rates "gemäß Art. 251". Damit hat sich der Europäische Rat überdies konkludent auch für eine Beibehaltung der Freizügigkeitsbezogenheit der sozialen Sicherheit ausgesprochen. In der Vergangenheit ist verschiedentlich für eine Abkehr von diesem Prinzip plädiert worden, weil die soziale Sicherheit nicht nur Arbeitnehmer oder Selbständige und ihre Familienangehörigen, sondern alle versicherten Bürger Europas angeht. Vor diesem Hintergrund könnte ein eigenes Kapitel "Soziale Sicherheit der Europäischen Bürger" o.ä. im EG-Vertrag neue Perspektiven nicht zuletzt auch für die Auslegung der Verordnungen schaffen. [ Vgl. in diesem Sinne etwa Kaupper, H., Familienleistungen, in: Schulte, B./Zacher, H. (Hrsg.), Wechselwirkungen (FN 82), S. 133ff., 145.] (xxi) Gegenwärtig fehlt es ganz generell der in den Artikeln 8 - 8 e EGV niedergelegten Unionsbürgerschaft noch an Substanz, ist sie doch auf das Recht auf Freizügigkeit vorbehaltlich seiner sekundärrechtlichen gruppenspezifischen Ausdifferenzierung-, auf die Teilnahme an den Wahlen zum Europäischen Parlament und an den Kommunalwahlen, auf das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament, auf die Inanspruchnahme des Bürgerbeauftragten sowie auf diplomatischen und konsularischen Schutz beschränkt und eröffnet bislang insbesondere keine Perspektive auf Teilhabe an wirtschaftlichen und sozialen Rechten. [ Siehe zum Vertrag von Amsterdam unten 5.] © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 1998 |