FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Mitgliederentwicklung und -struktur. Da eine Mitgliedschaft im FDGB nicht nur die beruflichen und sozialen Aufstiegschancen erhöhte und weitere materielle Vorteile mit sich brachte, sondern auch einigen gravierenden organisator. Zwängen unterlag, wies die M. schon in der zweiten Hälfte der 40er Jahre sehr schnell steigende Zahlen auf. Der Anteil der Frauen lag dabei zunächst weit hinter dem der Männer zurück, bis sich 1977 das Verhältnis umkehrte und fortan ein dauerhaftes leichtes Übergewicht der Frauen bestand.

Mitgliederentwicklung des FDGB
Jahr
Mitglieder (in Mio.)
 
insgesamt
Männer
Frauen
1946
3,3
2,3
1,0
1947
4,0
2,8
1,2
1950
4,7
3,2
1,5
1955
5,4
3,3
2,1
1959
6,1
3,6
2,5
1963
6,4
3,55
2,85
1968
6,8
3,7
3,1
1972
7,3
3,76
3,58
1977
8,3
4,1
4,2
1981
9,0
4,4
4,6
1985
9,4
4,4
4,9
1987
9,5
4,5
5,0


Kennzeichnend für die Mitglieder des FDGB blieb bis zum Mauerbau am 13. August 1961 jedoch eine relativ schwache Bindekraft und dementsprechend hohe Fluktuation, die bei den Angestellten allerdings weniger stark ausgeprägt war als bei den Arbeitern. Das ist in erster Linie mit dem Funktionswandel des FDGB von einer anfangs zumindest formell überparteilichen Interessenvertretung ihrer Mitglieder zu einer weisungsabhängigen Massenorganisation der SED zu erklären. Die Unzufriedenheit mit diesem Wandel drückten viele Mitglieder mit dem verspäteten oder ganz eingestellten Zahlen ihres Mitgliedsbeitrages und mit der Rückgabe ihres Mitgliedsbuches aus. Dieses Zeichen des Protestes wurde insbesondere in polit. Krisensituationen wie dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953, den Unruhen in Ungarn 1956 und Polen 1956, nach der Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 genutzt. Doch in der langfristigen Entwicklung konnten solche Austrittswellen immer wieder durch neue Mitglieder kompensiert und überkompensiert werden. Schon 1977 lag der Organisationsgrad des FDGB bei 96,7%, 1983 dann bei 97,4% und 1987 hatte er schließlich annähernd 98% erreicht. In anderen Worten: Nur zwei Prozent der potenziell rekrutierbaren Mitglieder gehörten nicht dem FDGB an.
Angesichts dieses hohen Organisationsgrades entsprach die soziale Zusammensetzung des FDGB weitgehend der der Erwerbstätigen; auffallend ist allerdings - insbesondere beim Vergleich mit westdeutschen Gewerkschaften - der hohe Anteil der Rentner, Hausfrauen und sonstigen nicht Erwerbstätigen. Für das Jahr 1982 ergab sich das folgende Bild:

Mitgliederstruktur des FDGB 1982
 
Anteil in %
Arbeiter
51,5
Angestellte
19,4
Technische Intelligenz
11,4
Rentner und andere nicht Berufstätige
17,7
   
darunter Jugendliche
15,9

Die Fluktuation der Mitgliedschaft war in den 70er und 80er Jahren niedrig, gleichzeitig ging nun aber auch die aktive Beteiligung der formellen Mitglieder am Gewerkschaftsleben zurück. Von den übergeordneten Gewerkschaftsleitungen wurde immer wieder über die unzureichende Vorbereitung und den schlechten Besuch der monatlichen Mitgliederversammlungen in den Gewerkschaftsgruppen geklagt. Desinteresse und Lethargie griffen um sich. Um diesem Trend entgegen zu wirken, schuf der BuV immer zahlreichere ehrenamtlich auszuübende Funktionen an der Basis. Doch diese Strategie der gezielten Ausweitung des ehrenamtlichen Apparates zur Mobilisierung und besseren sozialen Integration der Mitglieder ging nur bedingt auf (vgl. Betrieb als Sozialisationsinstanz).
Erst im Sommer 1989 schlug die Lethargie der Mitglieder allmählich in neue Aktivitäten um: Während der friedlichen Revolution von 1989/90 erreichte die Einbehaltung von Beiträgen und die Rückgabe der Mitgliedsbücher drastische Ausmaße. In einigen Bezirken brachten fast 20% der Mitglieder so ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck und trugen damit zur Selbstauflösung des FDGB bei, die am 14.9.1990 auf dem letzten FDGB-Kongress vollzogen wurde.
F.S.