FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Finanzen. Satzungsgemäß bildeten „Mitgliedsbeiträge, Beitrittsgebühren, Einnahmen aus gewerkschaftlichen Einrichtungen und andere Einnahmen“ die finanziellen Mittel des FDGB. Deren absolute Höhe und die Verteilung auf die verschiedenen Einnahmequellen gab der FDGB ungern preis. So war weder aus dem Rechenschaftsbericht des FDGB-Vorsitzenden Harry Tisch noch aus dem Bericht der Zentralen Revisionskommission an den 10. FDGB-Kongress 1982 etwas darüber zu erfahren; und während der BuV in seiner im selben Jahr herausgegebenen Bilanz gewerkschaftlicher Interessenvertretung eine recht detaillierte Aufschlüsselung der Ausgaben präsentierte, wurde dies in derselben Publikation für die Einnahmeseite unterlassen. Zu erfahren war lediglich, dass Mitgliedsbeiträge die „Haupteinnahmequelle“ darstellten. Sie betrugen in den 1980er Jahren je nach Einkommenshöhe zwischen 0,50 und 35,- Mark, was gut 1% des jeweiligen Bruttoeinkommens ausmachte.
Ob die Einzelverbände oder der Bund über die Gewerkschaftseinnahmen verfügungsberechtigt waren, ließ die auf dem FDGB-Gründungskongress 1946 beschlossene „vorläufige Satzung noch offen. In den nächsten Jahren bildete sich heraus, dass die größeren Verbände über 30% und die kleineren Verbände über 15% ihrer Einnahmen selbst bestimmen konnten. Der Rest war an den BuV abzutreten. Der 3. FDGB-Kongress schuf diese nur partielle Finanzhoheit der IG/Gew. ganz ab und beließ ihnen laut der neuen Satzung lediglich einen nunmehr unbezifferten „Anteil der von den Mitgliedern gezahlten Beiträge“. In der Satzung der 1980er Jahre hieß es, dass die Vorstände des FDGB und der IG/Gew. „mit dem vom Präsidium des BuV des FDGB bestätigten Finanzplan […] die für die Lösung ihrer gewerkschaftlichen Aufgaben notwendigen Mittel“ erhielten. Auch die Höhe der in den gewerkschaftlichen Grundorganisationen verbleibenden Beitragsanteile legte das Präsidium fest. 1982 sollen sie bei knapp 46% gelegen haben.
Wenn man unterstellt, dass die vom BuV in der 1982er Bilanz publizierten Zahlen stimmen und vollständig sind, umfasste der FDGB-Jahreshaushalt in diesem Zeitraum ca. 1 Mrd. Mark. Der weitaus größte Anteil hiervon, nämlich fast 330 Mio. Mark, wurde für Urlaub und Erholung, Neubau und Rekonstruktion von Ferienheimen ausgegeben. Hierin dürften auch die Staatszuschüsse für den Feriendienst des FDGB enthalten gewesen sein. Der zweitgrößte Posten waren „Unterstützungen und Ehrungen“ (ca. 200 Mio. M), es folgten „Vorstands- und Kommissionstätigkeit“ (ca. 152 Mio. M), Kultur (ca. 94 Mio. M), Jugend und Sport sowie „Agitation - Propaganda - Bildung“ (jeweils ca. 50 Mio. M), Verwaltung (ca. 39 Mio. M, wobei gewiss ein nicht unerheblicher Anteil der Vorstands- und Kommissionsausgaben eigentlich hier hinein gehört hätte), Neubau und Rekonstruktion von Gewerkschaftsschulen und -häusern (ca. 30 Mio. M) und Arbeitsschutz (ca. 20 Mio. M).
Erwähnenswert ist überdies, dass der FDGB auch das Budget der Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten verwaltete, in der ca. 85% der DDR-Bevölkerung pflichtversichert waren. Hiermit waren ihm zum Schluss ca. 30 Mrd. M an die Hand gegeben.
Wie selbstherrlich man gerade unter Harry Tisch mit den F. umging, wurde 1989/90 offenbar. Abgesegnet von Erich Honecker (*25.8.1912-†29.5.1994) hatte das Präsidium des BuV 1988 aus Gewerkschaftsmitteln 100 Mio. M für das FDJ-Pfingsttreffen zur Verfügung gestellt, also zweckentfremdet. Der 1988 vollendete, prunkvolle Neubau des letzten Sitzes des BuV an der Jannowitzbrücke in Berlin (danach als Kongresszentrum/Hotel und jetzt als Chinesische Botschaft genutzt) sorgte für einen weiteren Finanzskandal.
Der Vollständigkeit halber soll nicht unerwähnt bleiben, dass die letzte, nicht mehr in vollem Umfang wirksam gewordene FDGB-Satzung vom 31.1.1990 den Fluss der Finanzströme umkehrte: Die Finanzhoheit sprach sie den Einzelverbänden und dem Bund nur „die Abführung eines jährlich zu vereinbarenden Anteils der Einnahmen aus den Mitgliedsbeiträgen“ zu.
U.G.