FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:

VI. Europäische Regelungen für das Bauen und deren Umsetzung in Deutschland

[Seite der Druckausg.: 31]

VI.
Europäische Regelungen für das Bauen und deren Umsetzung in Deutschland
21

Seit jeher stellt in Deutschland das Bauordnungsrecht, ergänzt um Durchführungsregelungen und Technische Baubestimmungen, außerdem durch Rechtsvorschriften aus anderen Bereichen (Chemikalien-, Arbeitsschutz-, Immissionsschutz-, Gewerbe-, Abfallrecht u.a.), Anforderungen an bauliche Anlagen und an Bauprodukte.22 Die Vorgaben zielen alle darauf ab, dass sie brauchbar sind, d.h. dass sie Eigenschaften aufweisen, bei denen man davon ausgehen kann, dass von ihnen keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere für die Gesundheit der Nutzer, für die Umwelt und für die natürlichen Lebensgrundlagen ausgeht. Darüber hinaus gehende Erwartungen an die Qualität von Bauprodukten sind nicht Sache des Bauordnungsrechts, sie müssen vielmehr privatrechtlich vereinbart werden. Zuständig für das Bauordnungsrecht sind in Deutschland die Länder.

Europäisch werden seit 1989 aufgrund der EU-Bauproduktenrichtlinie23 in wachsender Zahl harmonisierte Anforderungen an Bauprodukte gestellt, soweit folgende sechs Anforderungen von Bedeutung sind:

  • Mechanische Festigkeit und Standsicherheit,
  • Brandschutz,
  • Hygiene, Gesundheit, Umweltschutz,
  • Nutzungssicherheit,
  • Schallschutz,
  • Energieeinsparung und Wärmeschutz.

Bauliche Anlagen müssen nach der EU-Richtlinie mit Bauprodukten errichtet werden können, die für einen wirtschaftlich angemessenen Zeitraum den genannten sechs Anforderungen entsprechen. Die Bauproduktenrichtlinie bestimmt außerdem die Voraussetzungen für das Inverkehrbringen und den freien Warenverkehr mit Bauprodukten, die

[Seite der Druckausg.: 32]

europäisch geregelt sind. Insbesondere enthält die Richtlinie Verfahrensregeln für den Nachweis der Brauchbarkeit und der Konformität der Produkte mit den technischen Grundlagen.

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union können zum Schutz der in Art. 30 EU-Vertrag genannten Rechtsgüter - dazu gehören u.a. die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, der Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen - spezielle Anforderungen für die Verwendung von Bauprodukten aufrecht erhalten, selbst wenn diese den freien Warenverkehr behindern. Von der EU-Kommission wird diese Befugnis allerdings einschränkend gesehen. Bei Umsetzung der Bauproduktenrichtlinie in nationales Recht hatten die Mitgliedstaaten zwei Aufgaben:

  • Einmal mussten sie Regelungen über das "quot;Inverkehrbringen" von europäisch geregelten Bauprodukten treffen,
  • zum andern mussten sie für diese Bauprodukte "quot;Verwendungsregeln" aufstellen.

Deutschland ist beiden Anforderungen nachgekommen. Regelungen zum "quot;Inverkehrbringen" enthält das Bauproduktengesetz24, Bestimmungen zur "quot;Verwendung" finden sich in allen Landesbauordnungen, die nach 1992 auf der Grundlage der Musterbauordnung ergangen sind.

(1) Regelungen der Bauproduktenrichtlinie

Insgesamt gesehen ist die Harmonisierung technischer Anforderungen an Bauprodukte nach der Richtlinie auf zweierlei Weise möglich:

  • Einmal über harmonisierte europäische Normen, die aufgrund von Normungsaufträgen (= Mandaten) der Europäischen Kommission bei CEN25 erarbeitet werden. Die deutschen Beiträge dazu werden jeweils in den Spiegelgremien des DIN26 vorbereitet, in die Vertreter der Länderbauministerkonferenz (ARGEBAU) die Belange der Bauaufsicht einbringen können.

[Seite der Druckausg.: 33]

  • Zum andern über europäische technische Zulassungen (European Technical Approvals - ETA's), wenn Normen nicht oder noch nicht erarbeitet sind oder wenn von Normen nicht nur unwesentlich abgewichen werden soll. Zulassungen werden anhand von Leitlinien, die aufgrund von Mandaten der Europäischen Kommission an EOTA27 erarbeitet werden, oder auch ohne Leitlinien erteilt. Die Zulassungsstellen, die ETA's vergeben, sind in der EOTA zusammengeschlossen. Für Deutschland ist das Deutsche Institut für Bautechnik in Berlin als Zulassungsstelle bestimmt.

Bekannt gemachte harmonisierte Produktnormen müssen in den Mitgliedstaaten eingeführt werden. Entgegenstehende nationale Normen sind zurückzuziehen.

(2) Die Bedeutung der Eurocodes

Neben den harmonisierten Bauproduktnormen stehen die Eurocodes. Sie schaffen einheitliche Bemessungsverfahren (Grundsätze, Methoden und Anwendungsregeln), die jeweils den Nachweis erlauben, dass die Grenzen der Standsicherheit und der Gebrauchstauglichkeit beachtet wurden. Sie sind wichtig als Regelungen für Bauteile und Bauarten (Gebäude, Türme, Silos, Brücken u.a.). Im Grundlagendokument I27[a] der Europäischen Kommission zur Bauproduktenrichtlinie werden sie zum Nachweis der mechanischen Festigkeit und Standsicherheit sowie des Brandschutzes in Bezug genommen. In harmonisierten europäischen Produktnormen und in europäischen technischen Zulassungen dienen sie als Bezugsdokumente.

Die Eurocodes umfassen technische Regelungen aus folgenden Bereichen:

  • Grundlagen der Tragwerksplanung,
  • Einwirkungen auf Bauwerke,
  • Planung von Betonbauwerken,
  • Planung von Stahlbauten,
  • Planung von Verbundkonstruktionen aus Stahl und Beton,
  • Planung von Holzbauten,

[Seite der Druckausg.: 34]

  • Planung von Mauerwerksbauten,
  • Geotechnik,
  • Planung von Bauten in Erdbebengebieten,
  • Planung von Aluminiumbauten.

Der weitaus größten Zahl von Bauprodukten liegen heute noch deutsche technische Regelungen zugrunde. Harmonisierte europäische Spezifikationen gewinnen aber allmählich an Bedeutung.

Unterschiedlichen Bedingungen in geographischer und klimatischer Hinsicht, in den Lebensgewohnheiten und in den national, regional und lokal vorhandenen Schutzniveaus tragen Stufen und Klassen Rechnung, die die Eurocodes vorsehen und die von den Mitgliedstaaten - den nationalen Anforderungen entsprechend - daraus ausgewählt werden. Dabei besteht allerdings die Gefahr, dass die Mitgliedstaaten bzw. ihre Länder (Regionen) zu kleinteilig differenzieren. Im Interesse europäischer Harmonisierung sollte die Länderbauministerkonferenz (ARGEBAU) darauf hinwirken, dass in Deutschland möglichst einheitliche Schutzniveaus festgesetzt werden. Differenzierungen bei unterschiedlichen Risikolagen (wie etwa hinsichtlich der Erdbebengefahr) sind natürlich geboten.

(3) Verwendung von europäisch spezifizierten Bauprodukten

Die §§ 17 ff. MBO28 bestimmen für Bauprodukte auf deutscher und europäischer Grundlage, unter welchen Voraussetzungen ihre Verwendung möglich ist. Dies ist der Fall, wenn ein Bauprodukt

  • von den in der Bauregelliste A Teil I genannten deutschen technischen Regeln (Normen) nicht oder nicht wesentlich abweicht (= geregeltes Bauprodukt) und das Ü-Zeichen29 trägt,
  • einen Verwendbarkeitsnachweis in Form
    • einer allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung des Deutschen Instituts für Bautechnik,
    • eines allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnisses einer dafür anerkannten Stelle oder
    • [Seite der Druckausg.: 35]

    • eine Zustimmung im Einzelfall der zuständigen obersten Bauaufsichtsbehörde aufweist, soweit es von technischen Baubestimmungen wesentlich abweicht oder es solche nicht gibt (= nicht geregeltes Bauprodukt) und das Ü-Zeichen trägt, oder

  • - hier kommt es zur europäischen Verknüpfung - nach den Vorschriften des Bauproduktengesetzes in Umsetzung der Bauproduktenrichtlinie in Verkehr gebracht werden darf, das CE-Zeichen30 trägt und dieses Zeichen die national erforderliche Klasse und Leistungsstufe des Produkts ausweist.

Auf Einzelheiten zur Verwendung von Bauprodukten, die allein auf deutschen Grundlagen beruhen, soll hier nicht weiter eingegangen werden.

Für Produkte, denen europäische Regelungen zugrunde liegen, gilt nach §§ 17 ff. MBO - wie eben schon zitiert -, dass in der Bauregelliste B Teil 1 festzulegen ist, welche der Klassen und Leistungsstufen, die die harmonisierte Norm (oder auch die Leitlinie bzw. die europäische technische Zulassung) nennt, sowie sonstige bauaufsichtliche Verwendungsbedingungen das Bauprodukt in Deutschland unter Sicherheitsaspekten erfüllen muss.

Der Ministerrat der EU hat das Instrument der Stufen und Klassen in die Bauproduktenrichtlinie eingeführt, weil auch im Rahmen der Produktnormen gilt, dass die Schutzniveaus von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat wegen der unterschiedlichen geographischen, klimatischen oder lebensgewohnheitlichen Bedingungen variieren. Die Schutzniveaus sollten allerdings bei den Produktnormen im Interesse europäischer Harmonisierung ebenfalls nur differieren, wenn dies zwingend geboten ist. Für Deutschland sollte die Länderbauministerkonferenz (ARGEBAU) auch für diesen Normungsbereich darauf hinwirken, dass von Differenzierungen nur zurückhaltend Gebrauch gemacht wird.

Insgesamt bieten Bauproduktenrichtlinie, Bauproduktengesetz und die Landesbauordnungen ein für das Inverkehrbringen und die Verwendung von Bauprodukten in sich geschlossenes und einleuchtend gegliedertes System.

[Seite der Druckausg.: 36]

Nun kommt es leider vor, dass europäische Normen (oder Zulassungen) nicht alle Arten und Verwendungskategorien eines Bauprodukts erfassen, sie sind deshalb aus deutscher Sicht unzureichend. Dies ist etwa dann der Fall, wenn ein Bauprodukt gefährliche Substanzen freisetzen kann, dazu aber in der Norm keine Regelungen getroffen sind, oder wenn zur Dauerhaftigkeit eines Bauprodukts für einen sicherheitsrelevanten Zeitraum nichts gesagt ist.

Man behilft sich in solchen Fällen bisher damit, dass für die zusätzlichen Anforderungen in Deutschland sog. "quot;Restnormen" erarbeitet oder eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung des Deutschen Instituts für Bautechnik, ein Prüfzeugnis oder auch eine Zustimmung im Einzelfall gefordert werden. Ein Bauprodukt, das von einer solchen notwendigen Ergänzung betroffen ist, muss zusätzlich zur CE-Kennzeichnung das nationale Ü-Zeichen zum Nachweis der Übereinstimmung mit den ergänzenden Festsetzungen tragen. Eine solche Doppelkennzeichnung widerspricht zwar grundsätzlich dem Harmonisierungsansatz der EU. Da die Produkte jedoch sonst nicht oder nur sehr eingeschränkt verwendbar wären, bleibt aktuell kein anderer Weg.

(4) Defizite bei der Harmonisierung

Bei Beratung von Problemen der eben geschilderten Art im "quot;Ständigen Ausschuss für das Bauwesen", dem nach der Bauproduktenrichtlinie dafür zuständigen europäischen Gremium, kann sich Deutschland bei seinem Bemühen um vollständige Regelungen häufig nicht durchsetzen. Solche Situationen führen natürlich zu der Frage, ob die deutsche Haltung - auch wenn sie sich voll an der Bauproduktenrichtlinie orientiert - nicht revidiert werden muss und in Übereinstimmung mit den übrigen Mitgliedstaaten der EU

  • zum Teil andere Anforderungsniveaus akzeptieren,
  • zum Teil aber auch auf die genormte Festlegung bestimmter Anforderungen verzichten sollte.

Zusätzliche, durchaus sinnvolle Anforderungen müssten bei einer solchen Umstellung nicht untergehen, sie würden aber aus der Normung

[Seite der Druckausg.: 37]

in privatrechtlich zu vereinbarende Qualitätsprüfungen verlagert. Verläuft eine Prüfung dort positiv, könnte dies durch ein Gütesiegel auf dem Bauprodukt kenntlich gemacht werden.

Diesen Schritt zu tun, ist für Deutschland schwierig, aber wohl unvermeidlich. Er fällt schwer, weil hier traditionell die Vorstellung verankert ist, dass eine Norm eine "quot;Vollregelung" bringt und gleichzeitig die gute Qualität deutscher Bauprodukte als Markenzeichen nachweist. Man mag die deutschen Grundsätze weiterhin für richtig halten, nachdem sie aber im Kreis der übrigen Mitgliedstaaten der EU nur wenig Akzeptanz finden, lassen sie sich kaum unverändert aufrecht erhalten. Die Länderbauministerkonferenz (ARGEBAU), sollte deshalb vorgeben, dass sich die deutschen Vertreter der Bauaufsicht im Rahmen der europäischen Bauproduktnormung auf engere Anforderungen (auf den Brandschutz und wenige andere wesentliche Aspekte) zurücknehmen und weitere Regelungen privatrechtlichen Vereinbarungen überlassen.

Doch auch bei einem solchen Kurswechsel verbleiben schwierige Aufgaben, denn selbst wenn man geringere Anforderungen zugrundelegt, weisen europäische Normen Mängel auf. - Nachdem bis 2003 rund 70 europäische Normen im Amtsblatt der EU als harmonisierte Normen bekannt gemacht worden sind, ergibt eine Zwischenbilanz folgendes:

  • Die harmonisierten Normen erfassen nicht alle Produkte einer Produktfamilie, die bisher durch die nationalen Normen erfasst waren (dies gilt z.B. bei Spezialzementen),
  • die Aufgaben der Hersteller und die der anerkennenden Stellen im Konformitätsbescheinigungsverfahren (= Bestätigung der Übereinstimmung des Bauprodukts mit der Norm) sind unzureichend oder fehlen ganz,
  • Angaben zu wesentlichen Eigenschaften der Bauprodukte, zur Dauerhaftigkeit und zu Merkmalen, die für eine wirtschaftliche Verwendung erforderlich sind, fehlen oder sind unzureichend,
  • für einzelne Eigenschaften existiert zum Teil nur ein einziger Wert, es fehlt damit an einer Unterteilungsmöglichkeit in Stufen und Klas-

[Seite der Druckausg.: 38]

    sen, die eine nationale Differenzierung im Blick auf unterschiedliche Schutzniveaus zulässt,

  • die Verbindlichkeit der zu deklarierenden Produkteigenschaftswerte ist höchst unterschiedlich oder gänzlich unbestimmt, weshalb im Ergebnis oft keinerlei Aussagen zur Brauchbarkeit der CE-gekennzeichneten Produkte möglich sind.

Die Ursachen dieser Mängel liegen im unterschiedlichen Verständnis von den Aufgaben der Normung in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft. Sie sind insbesondere zu suchen

  • in den unterschiedlichen Rechtssystemen und Traditionen der Mitgliedstaaten,
  • im unterschiedlichen Verständnis der Beteiligten von "quot;Harmonisierung",
  • in den begrenzten Erfahrungen mit technischer Harmonisierung und
  • in der begrenzten Bereitschaft zum Interessenausgleich.

Ein Überblick über die vorhandenen baurechtlichen und anderen Vorschriften (etwa zum Gesundheitsschutz, zum Umweltschutz, zum Arbeitsschutz u.a.) sowie zur Regelungsdichte und Regelungstiefe in den einzelnen Mitgliedstaaten weist der Normung jeweils ganz unterschiedliche Aufgaben zu. Davon abgesehen werden etwa in Frankreich die Anforderungen an Bauprodukte nur zum Teil in Normen bzw. Zulassungen geregelt, daneben spielen die Versicherungsbedingungen der Gebäudeversicherer eine wichtige Rolle. Auch Großbritannien beschränkt sich auf Teilregelungen in Normen und schöpft ergänzende Sicherheit aus anderen Quellen bzw. aus Festlegungen, die ein "quot;Consultant" im Einzelfall trifft. Die EU-Kommission ist allerdings bemüht, die Stellung der Versicherungen in Frankreich abzubauen, da sie in deren Regelungen Hindernisse für die europäische Harmonisierung sieht.

Bei Absprachen zur Reichweite der Harmonisierung ist auch das Problem zu lösen,

[Seite der Druckausg.: 39]

  • wie man sinnvolle Unterschiede in den Mitgliedstaaten beachtet, also gerade nicht "quot;total" harmonisiert und
  • wie man gleichzeitig innovativen Produkten Raum lässt.

An sich erlaubt das Klassensystem der Bauproduktenrichtlinie solche sachgerechten Differenzierungen, wenn es denn konsequent angewandt würde.

Mangelnde Erfahrung mit technischer Harmonisierung drückt sich etwa darin aus, dass sich die Vertreter der Mitgliedstaaten in den Normungsausschüssen nur wenig um Differenzierungen bemühen; sie erkennen in diesem Stadium die Probleme noch zu wenig, die bei der späteren Umsetzung harmonisierter Normen in nationales Recht auftreten können. Daneben lassen sich - was immer wieder versucht wird - nationale Normen nicht ohne Weiteres als "quot;nationale Stellungnahmen" in die europäischen Regelungen einbringen, denn Geltungsbereich, Eigenschaften u.a. entsprechen sich nicht unmittelbar. Weitere Mängelursachen beruhen auf dem Bemühen, in die Normen nicht nur Regeln für allgemein gebräuchliche und bewährte Produkte aufzunehmen, sondern auch für Neues Platz zu schaffen. Normen sollten aber nur das "quot;Übliche" regeln. Sie sollten nur eine Art "quot;Grundlast" abdecken. Das Innovative gehört in den Bereich der Zulassungen.

Entscheidend für den Erfolg der Normung ist jedoch vor allem die Bereitschaft der Akteure zu sachgerechten Kompromissen. Bei fast zwanzig beteiligten Staaten, bei einer Vielzahl wissenschaftlicher Einrichtungen und einer breit beteiligten Industrie ist dies nicht einfach. Das Normungsverfahren ist jedoch grundsätzlich so angelegt, dass es bei ausgewogener Besetzung der Ausschüsse zu keinen Defiziten in den technischen Regelwerken kommen muss. Gerade in der Besetzung liegt allerdings oft das Problem.

Es ist danach nicht das in der EU-Bauproduktenrichtlinie geschaffene System europäischer technischer Regelungen für das Bauen, das Probleme verursacht, diese ergeben sich vielmehr aus der Art ihrer Umsetzung und Anwendung. Die gegenwärtig unbefriedigende Lage zwingt die obersten Bauaufsichtsbehörden in Deutschland - vergleiche oben -,

[Seite der Druckausg.: 40]

Lückenschließung insbesondere über die schon erwähnten "quot;Restnormen" zu betreiben. Die Einschränkung der Erwartungen wird gewisse Erleichterungen im Sinne einer Beschränkung der Ergänzungen bringen. Es werden aber fehlende Festlegungen bleiben, die ergänzende Regelungen fordern.

Doch nicht einmal auf diesem mühseligen Weg über die Restnormen lassen sich die bei der europäischen Normung auftretenden Probleme lösen, wie folgendes Beispiel der harmonisierten Dämmstoffe zeigt:

Probleme der europäischen Harmonisierung von Baustoffnormen am Beispiel von Dämmstoffen

Die europäischen Normen für Dämmstoffe sehen vor, dass nur 90% der Produktion und dieser Anteil wiederum nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 90% dem vom Hersteller angegebenen Dämmwert entsprechen müssen. Das bedeutet, dass rund 20% der Produktion die nach der Norm als zusätzliche Angabe zur CE-Kennzeichnung "quot;deklarierten" Werte nicht zu erfüllen brauchen und dennoch als normkonform gelten. Als Folge hat das DIN in der Anwendungsnorm einen nationalen Sicherheitsbeiwert von 1,2 vorgesehen. Im Ergebnis bedeutet dies, dass 20% mehr Dämmstoff der gleichen Wertigkeit als bisher benötigt werden, um die erforderlichen energetischen Nachweise zu erbringen. Aufwendige Konstruktionsänderungen können geboten sein und im Vergleich zu konkurrierenden Bauarten kann der Fall eintreten, dass der Einsatz genormter Dämmstoffe möglicherweise unwirtschaftlich wird, obwohl sie dies an sich nicht "quot;verdient" haben.

Das Beispiel und die bisher bearbeiteten Fälle, in denen "quot;Restnormen" erarbeitet wurden, zeigen, dass die auftretenden Probleme selbst bei einer Reduktion der deutschen Erwartungen an den Inhalt europäischer Normen bei den zu erwartenden rund 500 harmonisierten Baunormen schwerlich zu lösen sind.

Einen gangbaren Lösungsweg bietet wohl nur eine konzertierte Aktion, die folgende Ziele aufgreift:

[Seite der Druckausg.: 41]

  • Einmal die Einschränkung deutscher Erwartungen an harmonisierte Bauproduktnormen auf das Niveau anderer EU-Mitgliedstaaten,
  • zum andern die baldige Schaffung von Qualitätsrichtlinien und deren Anwendung,
  • schließlich das nachdrückliche Bemühen, die für die Normung unverzichtbaren Sicherheitsanforderungen auch tatsächlich in den europäischen Baunormen unterzubringen.

Die Reduzierung deutscher Anforderungen wird allerdings in einer Übergangszeit Folgen für alle am Bauen Beteiligten (Bauträger, Architekten, Bauunternehmen, Handwerker u.a.) mit sich bringen. Sie müssen umdenken. Dies gilt insbesondere für die Geltendmachung und die Durchsetzung von Erwartungen und Ansprüchen. Verkürzte Lebensdauer und damit erhöhter Abschreibungsbedarf können sich als Problem stellen. Vieles, was bisher durch die deutschen Normen als abgesichert galt, wäre dies künftig nicht mehr unbedingt. Qualitätsrichtlinien und Qualitätszeichen mögen die Lücken schließen. Bis es sie gibt, wird jedoch einige Zeit vergehen.

(5) - Auch hier: Mehr personelle Präsenz geboten

Eine wirksame Verbesserung gerade im Hinblick auf die unverzichtbar durchzusetzenden Sicherheitsanforderungen setzt wiederum mehr personelle Präsenz voraus. Die Vertreter der Bauaufsicht aus den Ländern müssen die weitere europäische Normungsarbeit intensiver und straffer koordiniert begleiten und ihre Anliegen auch artikulieren und damit frühzeitig einbringen. Erforderlichenfalls müssen sie dafür gezielt geschult werden. Sie sollten insbesondere darauf achten,

  • dass die Mindestanforderungen an die für die Gefahrenabwehr wichtigen Standards insgesamt geregelt werden, und
  • dass die Nichtbeachtung dieser Kriterien durch CEN-Gremien frühzeitig festgestellt wird.
  • Darüber hinaus ist während der Normungsarbeit eine intensivere fachliche Begleitung, Information und Steuerung der zuständigen Gremien der EU-Kommission in dem Sinne erforderlich, dass diese
  • [Seite der Druckausg.: 42]

    schon im Entstehungsstadium mangelhaften Festlegungen entgegenwirken.

Diese Arbeit ist von den Vertretern der 16 deutschen Länder bei der noch zu erwartenden Flut an relevanten europäischen Baunormen in bisheriger Weise aus Kapazitätsgründen nicht zu leisten. Die Länderbauministerkonferenz (ARGEBAU) ist zwar bemüht, unter Einschaltung des von Bund und Ländern gemeinsam getragenen Deutschen Instituts für Bautechnik in Berlin die bestehenden Aufgaben in den nächsten fünf Jahren verbessert zu koordinieren, weist aber zugleich darauf hin, dass die anfallende Arbeit ohne zusätzlichen Mitteleinsatz für Personal und Reisekosten keinesfalls zu leisten ist.

Normung lässt sich nur durch intensive Beteiligung am Normungsprozess beeinflussen. Sind harmonisierte europäische Baunormen einmal ergangen, sind sie anzuwenden, auch wenn sie aus deutscher Sicht erhebliche Mängel aufweisen. Spätere Proteste bewirken wenig und der holprige Weg über ergänzende nationale "quot;Restnormen" ist schon wegen der Fülle der Normungsthemen nicht durchzuhalten.

(6) Mehr Engagement in Deutschland notwendig

Über die Fragen baulicher Sicherheit hinausgreifend, ist in Deutschland ein Aufbruch aller an der europäischen Regelsetzung beteiligten Kreise, einschließlich der Bundesregierung und der Landesregierungen, zugunsten eines verstärkten Engagements geboten. Die Chancen Deutschlands liegen in der hohen Qualität seiner Produkte und Dienstleistungen. Diese bleiben nur erhalten, wenn man sie europäisch einbringt, was bisher nicht ausreichend geschieht.

Erforderlich ist insbesondere,

  • die notwendigen Sicherheitsniveaus in Deutschland zu überprüfen, sie möglichst zu vereinheitlichen und damit zu vereinfachen,
  • die erhöhten Forschungsmittel der Länder für die Jahre zu erhalten, in denen die Hauptarbeit der europäischen Baunormung noch zu leisten ist,

[Seite der Druckausg.: 43]

  • deutsche "quot;Consultants" bei CEN zu etablieren,
  • verstärkt deutsche Vertreter in die Kommissionsdienste zu entsenden und
  • vermehrt deutsche Vertreter in europäisch agierenden Verbänden mitwirken zu lassen.

Dies erfordert zwar weiteres personelles und finanzielles Engagement bei Bund und Ländern, aber auch bei Verbänden und der Industrie. Wenn man die Folgen einer unzureichenden Beteiligung bedenkt, sollte dieser gesteigerte Einsatz aber gelingen.

(7) Marktüberwachung bei den Bauprodukten

Bauprodukte, die nach harmonisierten europäischen Normen hergestellt und mit dem CE-Zeichen gekennzeichnet sind, dürfen - wie dargestellt - in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gehandelt werden. Dabei hat sich die EU bei vielen Bauprodukten dafür entschieden, deutlich niedrigere Anforderungen an die Bescheinigung der Übereinstimmung des Produkts mit den Anforderungen der zugrundeliegenden Norm zu stellen, als dies für die Erlangung des deutschen Ü-Zeichens erforderlich war.

Von der Möglichkeit einer Fremdüberwachung vor Markteinführung eines Bauprodukts hat die EU-Kommission nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht. Statt umfassender vorbeugender Kontrolle vertraut sie in hohem Maß auf Konformitätsnachweisesysteme, die lediglich eine Erstprüfung oder gar nur die werkseigene Produktionskontrolle vorsehen. Allerdings belässt sie es nicht voll beim Vertrauensprinzip, sie möchte die Bauprodukte vielmehr unter dem Gesichtpunkt des Verbraucherschutzes einer effektiven Marktüberwachung unterwerfen.

Die Bauproduktenrichtlinie sieht dazu vor, dass ein Mitgliedstaat, der feststellt, dass ein Bauprodukt, dessen Konformität zwar bescheinigt wurde, tatsächlich aber nicht gegeben ist, alle zweckdienlichen Maßnahmen zu treffen hat, um dieses Produkt aus dem Markt zu nehmen.

[Seite der Druckausg.: 44]

Diese Vorgaben der EU-Richtlinie sind durch das Bauproduktengesetz in deutsches Recht überführt. In Deutschland ist die Marktüberwachung Sache der Länder.

Seit harmonisierte Normen vorliegen, hat die zuvor faktisch nicht wahrgenommene Aufgabe der Marktüberwachung praktische Bedeutung erlangt. Nunmehr können sich Bürger und Unternehmen mit der Bitte an ein Land wenden, im Rahmen der Marktaufsicht Maßnahmen gegen Bauprodukte zu ergreifen, die nicht den harmonisierten Normen entsprechen. Die Überwachung von Bauprodukten war zwar in Deutschland immer schon Aufgabe der Bauaufsicht, sie führte allerdings bisher nur ein Schattendasein, da nach deutschen Normen häufiger und intensiver Fremdüberwachung vor Verwendung der Bauprodukte vorgesehen ist.

Man mag die europäische Entscheidung hin zu mehr Vertrauen begrüßen, sie nötigt aber zum Auf- und Ausbau von Verwaltungsstrukturen, die es in Deutschland bisher nicht gegeben hat. Neu ist insbesondere, dass die Marktaufsicht sich nicht erst - wie zuvor die Bauaufsicht - um die Verwendung von Bauprodukten kümmern muss, sondern dass sie bereits dann aktiv werden soll, wenn möglicherweise fehlerhafte Bauprodukte in Verkehr gebracht und gehandelt werden.

Die Überprüfung der technischen Eigenschaften eines Bauprodukts kann sehr aufwendig und schwierig sein. Flächendeckende Marktaufsicht mit laufenden präventiven Stichproben - wie sie ein vorbeugender Verbraucherschutz wohl wünschen würde - ist finanziell und organisatorisch nicht darstellbar. Möglich ist allein eine anlassbezogene, d.h. repressive Prüfung begründeter Verdachtsfälle. Und selbst deren Bearbeitung zu organisieren, fällt den Ländern in gegebener personeller und finanzieller Enge schwer. Sie versuchen, sich länderübergreifend unter Einbeziehung des Deutschen Instituts für Bautechnik zu koordinieren, haben aber auch dabei große Probleme.

Es bleibt zu hoffen, dass das Vertrauensprinzip, das die EU zugrundelegt, die Erwartungen rechtfertigt, und dass es nur in sehr wenigen Fällen zu Marktaufsichtmaßnahmen kommen muss.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2003

Previous PageTable Of ContentsNext Page