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TEILDOKUMENT:


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Die Wohnung wird zum Stabilitätsanker für die Menschen


Allgemein wird das Wohnen für die Menschen eine neue größere Bedeutung erhalten, ausgelöst durch die Entwicklung hin zu einer globalen Netzwerkökonomie. Sie fordert von den Menschen ein höheres Maß an Autonomie und Beweglichkeit. Diese neuen Anforderungen, die die nachindustrielle Gesellschaft prägen, machen vielen Menschen Angst, obwohl sie andererseits auch ganz neue Chancen und Optionen für die individuelle Lebensführung und Lebensgestaltung sowie das Zusammenleben in Familie und Gesellschaft eröffnen.

Diese Chancen und Optionen können vor allen Dingen dann genutzt werden, wenn es als Gegengewicht zu den globalen Veränderungen und der zunehmenden Mobilität im Berufsleben sichere Rückzugsmöglichkeiten gibt, einen Ort, an dem man sich auskennt und zu Hause fühlen kann. Die wieder stärker spürbare Sehnsucht nach Nähe, nach Vertrautem, nach Gemeinschaft und Nachbarschaft liegt darin begründet. Die Wohnung, das Wohnumfeld und die Urbanität der Städte und Gemeinden müssen diese neuen Ansprüche der Menschen befriedigen. Wenn in der Vergangenheit die Wohnraumversorgung und der Wohnungsneubau, also der quantitative Aspekt, die Wohnungspolitik geprägt hat, so stehen wir heute vor einem Paradigmenwechsel, bei dem mehr als die Quantität die qualitativen Aufgaben die Wohnungs- und Städtebaupolitik in den Städten und Gemeinden prägen.

Diese Bedürfnisse werden in der Europäischen Stadt mit dem ausgeprägten Spannungsverhältnis zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, das sie auszeichnet, in hohem Maße befriedigt. Sie sollten künftig auch verstärkt in regionaler Verflechtung gesichert werden. Als wichtigster menschlicher Ruhepunkt und Ankerplatz bekommt dabei die Wohnung einen immer größeren Stellenwert.

Das Wohnen kann angesichts der höheren Veränderungsrate moderner Gesellschaften das Bewusstsein dafür schärfen, dass das Leben

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einen Sinn in sich selbst trägt und nicht nur durch (Arbeits-)Leistung erhält.

Diese Sinndimension des Wohnens wird in den kommenden Jahren nicht nur sozial und ästhetisch, sondern auch politisch in den unterschiedlichsten Formen immer virulenter werden.

Die Tatsache, dass man über das Internet aus dem Wohnzimmer heraus mit der Welt vernetzt ist und global kommunizieren kann, wird dazu führen, dass Wohnen und Arbeiten räumlich wieder näher zusammenrücken können. Nachbarschaft bekommt einen neuen Stellenwert, denn das menschliche Bedürfnis nach unmittelbarem Austausch und Gemeinsamkeit, das virtuell nicht befriedigt werden kann, wird zunehmen. Ebenso die Gefahr, dass die Wohnung immer mehr zum elektronischen Schneckenhaus wird.

Diese wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen sind von einer so weitreichenden Dimension, dass sie auch das Handeln in der Wohnungs- und Städtebaupolitik prägen und beeinflussen. In jedem Fall können wir davon ausgehen, dass das Wohnen und die Wohnung in den kommenden Jahren im Spannungsfeld von Entprivatisierung und forciertem Rückzug ins Private stehen werden.

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Unsere Antwort auf die überforderten Nachbarschaften muss die Soziale Stadt sein


Der soziale und ökonomische Wandel wird neben vielem anderen auch geprägt von sozialen Erosionen in den Wohnsiedlungen. Vandalismus, Jugendliche ohne Ausbildung und Arbeit, Kleinkriminalität, zunehmender Drogenkonsum, aggressives Verhalten und Lethargie kennzeichnen Entwicklungen und menschliches Verhalten, das zunehmend häufiger in Teilen der Wohnsiedlungen anzutreffen ist und ausgelebt wird. Diese Wohnquartiere sind geprägt von dem, was wir „Überforderte Nachbarschaften„ nennen.

Die gemischten Belegungsstrukturen lösen sich auf, und der soziale Friede in diesen Wohnquartieren wird gefährdet bis hin zu Verslumungstendenzen, von denen die Bundesrepublik Deutschland in der Vergangenheit durch ihre alles in allem erfolgreiche Wohnungs- und Städtebaupolitik kaum betroffen war.

Die erste richtungsweisende Initiative, um diesen Tendenzen zu begegnen, war, ist und bleibt das Programm „Soziale Stadt„. Es steht jedoch erst am Anfang und muss fortgeführt werden. Sein Erfolg wird in Zukunft u. a. davon geprägt sein, ob wir in der öffentlichen Verwaltung das traditionelle Ressortdenken überwinden und – wie auf Bundesebene und in einigen Bundesländern begonnen – die Bewältigung dieser Probleme als Querschnittsaufgabe aller begreifen, die für die Menschen am Wohnort Verantwortung haben. Das betrifft nicht nur die Wohnungs- und Städtebaupolitik, sondern auch Schule, Polizei, Einwanderungsbehörde, Arbeitsamt und viele andere mehr. Was wir auf breiter Front initiieren müssen, sind Projekte der Selbsthilfe, bei denen die Anschubfinanzierung durch Förderung nicht nur im investiven, sondern auch im konsumtiven Bereich liegt. Aus überforderten Nachbarschaften müssen geforderte Nachbarschaften mit zunehmender sozialer Kompetenz werden. Unser Maßstab ist und bleibt dabei die Stärkung der Zivilgesellschaft.

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Wir müssen mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln und Maßnahmen Sorge tragen, dass sich die aktuellen Probleme der Stadt in Zukunft nicht weiter verschärfen. Dazu gehören auch die rechtzeitige Modernisierung älterer Mietwohnungsbestände, die Verbesserung des Wohnumfeldes und geeignete Infrastrukturmaßnahmen als Voraussetzung für das Erreichen dieser Ziele.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2002

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