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Einführung


[Seite der Druckausg.: 9]

Zu Beginn eines neuen Jahrhunderts, in Zeiten von Globalisierung, nie gekannter Mobilität und -Beschleunigung des Lebens, gelten für das Wohnen und die Stadtentwicklung die gleichen veränderten Anforderungen wie für andere Politikbereiche: neue Herausforderungen und komplexere Problemkonstellationen erfordern neue Lösungswege.

Die Instrumente der Wohnungs- und Städtebaupolitik müssen neu justiert und besser miteinander verzahnt werden. Integrative Konzepte sind notwendig, also auch eine Vernetzung mit anderen Politikbereichen. Nur so finden wir vernünftige und tragfähige Antworten, schöpfen Synergiepotentiale aus und schaffen mehr Effizienz und ein besseres Verständnis für die Zusammenhänge der neuen Probleme.

In den letzten drei Jahren wurde dieser Weg bereits begonnen. Neue Programme wie die „Soziale Stadt„ weisen die Richtung. Die stärkere Orientierung auf Maßnahmen im Wohnungsbestand, seine nachhaltige Modernisierung und das Drängen auf neue Stadtentwicklungskonzepte und damit integrierte Ansätze beim „Stadtumbau Ost„, verstärkte Forschungsanstrengungen für eine bessere Innenstadtentwicklung und die „Kompakte Stadt„ zeigen, in welche Zukunft die Wohnungs- und Städtepolitik gehen muss.



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Die erfolgreiche Wohnungs- und Städtebaupolitik der Vergangenheit steht vor einem Paradigmenwechsel


Die Wohnungs- und Städtebaupolitik hat in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland stets einen hohen Stellenwert gehabt. Sie war geprägt von der Wohnraumversorgung für breite Schichten der Bevölkerung zu bezahlbaren Preisen.

Im Mittelpunkt stand dabei stets die Beseitigung von Wohnungsnot bzw. die Überwindung von in unterschiedlicher Ausprägung vorhandenem Wohnraummangel. Sowohl der soziale Wohnungsbau als auch die Platte in den neuen Ländern gehören zu dieser Geschichte Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg. Ein gravierender Unterschied ist allerdings, dass in der alten Bundesrepublik Städtebaupolitik in den Städten und Gemeinden aktiv betrieben wurde, Substanzpflege und -erneuerung sowie die zurückhaltende Inanspruchnahme zusätzlicher oder neuer Siedlungsflächen immer selbstverständlich waren. In der alten Bundesrepublik konnten seit Beginn der 70er Jahre mit Hilfe des Städtebauförderungsgesetzes und der Finanzhilfen der Städtebauförderung viele vom Verfall bedrohte Innenstädte und Ortszentren in ihrer baulichen Vielfalt erhalten und revitalisiert werden. Die Städtebauförderung kann auf eine eindrucksvolle Erfolgsgeschichte zurückblicken, die sich insbesondere in der neu gewonnenen Attraktivität zahlreicher Klein- und Mittelstädte wiederspiegelt. Die Städte und Gemeinden in der DDR kannten diese aktive Städtebaupolitik nicht, und statt dessen wurde alles auf den Neubau in der Platte, also den komplexen Wohnungsbau, konzentriert. Alte Bausubstanz und die Stadtentwicklung wurden dabei vernachlässigt. Darunter leiden heute fast alle Städte und Gemeinden in Ost-Deutschland.

Weil es im Osten wie im Westen Wohnungsmangel gab, wurde der Wohnungsbau auf breiter Front gefördert, Wohnungen wurden zugeteilt, die Quadratmeterzahl rationiert, die Bauformen typisiert und alles auf Mengeneffekte nach relativ einheitlichen Maßstäben ausge-

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richtet. In der alten Bundesrepublik ist auch der sog. frei finanzierte Wohnungsbau diesen Standards weitgehend gefolgt.

Das Ergebnis sind die heutigen Bestandsstrukturen, in denen der Wohnungszuschnitt, die Zimmergröße und nicht selten auch die Architektur das Ergebnis staatlicher Interventionen und Vorgaben sind und damit ausdrücklich nicht einer „Marktnachfrage„. Diese Wohnraumversorgung, also das quantitative Angebot von Wohnungen, befindet sich heute auf einem vorher nie gekannten hohen Niveau.

Geändert hat sich jedoch das Umfeld. Die Gesellschaft und die Wirtschaft befinden sich in einem außerordentlich dynamischen Wandel. Daraus folgt u. a., dass neben der Grundforderung nach angemessenem Wohnen die regionalen Unterschiede zwischen den Städten und Gemeinden und damit zugleich auch die wohnungspolitischen Erfordernisse sehr verschieden geworden sind. Diese Verschiedenheit muss, wo geboten, auch unterschiedliche wohnungspolitische Erfordernisse und Konzepte ermöglichen. Wir nennen das die Entwicklung zu Teilmärkten. Diese Verschiedenartigkeit und Verschiedenwertigkeit werden die Inhalte der Wohnungs- und Städtepolitik, orientiert an den Erfordernissen von Städten, Gemeinden und Regionen, in Zukunft sehr viel stärker prägen als in der Vergangenheit. Sie dürfen allerdings die gemeinsame Finanzierungsverantwortung der Aufgabenträger nicht verringern.

Wir haben in vielen regionalen Teilmärkten bereits heute eine stagnierende oder rückläufige Bevölkerungsentwicklung. Langfristig wird auf der Grundlage der Ergebnisse der 9. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes generell mit Bevölkerungsrückgang, aber auch mit einer zunehmenden Alterung der vorhandenen Bevölkerung gerechnet werden müssen. Daraus resultieren gravierende Veränderungen, bei denen in vielen Teilmärkten im Zeitablauf, beginnend in Ostdeutschland und einigen Bereichen Westdeutschlands, mehr Wohnungen als Menschen (Haushalte) vorhanden sind, während gleichzeitig in anderen Teilmärkten mittel- und langfristig weiterer Wohnraumbedarf besteht.

Insgesamt trifft die Wohnungsnachfrage auf Strukturen, gebaute Siedlungen und Wohnungen, die in ihrer Entstehungsgeschichte nicht durch eine vom Markt gesteuerte Nachfrage, sondern in Zeiten

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des Mangels und der Knappheit durch gesteuerte Belegung (Wohnungsvergabe durch Wohnungsämter) entstanden sind.

Parallel zu dieser - trotz Zuwanderung - stagnierenden und langfristig rückläufigen Bevölkerungsentwicklung gibt es mindestens zwei beachtliche gegenläufige Tendenzen, die sich auf der Nachfrageseite zunehmend mehr auswirken. Zum einen ist es die Tendenz zu immer mehr Einpersonenhaushalten, wodurch die Nachfrage nach Wohnungen steigt. Zum anderen wird, wie in der Vergangenheit, der Wohnflächenverbrauch der Bevölkerung abhängig von der Wirtschaftsentwicklung und Kaufkraft weiter zunehmen. Dieser Wohnflächenverbrauch pro Kopf der Bevölkerung ist nicht nur abhängig von Wachstumsentwicklungen und Wohnkaufkraft, sondern auch von der Preisentwicklung für das Wohnen zur Miete und im Eigentum und damit von der Entwicklung der Marktpreise.

Beide Prozesse werden langfristig unter der Annahme eines eher niedrigen bis mittleren Wirtschaftswachstums nicht zu einer Kompensation des wachsenden Angebotsüberhangs führen. Dies ist selbstverständlich immer in Abhängigkeit von den jeweiligen Teilmärkten zu sehen.

Aus all dem folgt zunächst, dass sich die quantitative Nachfrage ändern wird, da sich Bevölkerung und Gesellschaft wandeln und wir eine stärkere Tendenz zur Differenzierung der Nachfrage nach Alter, Einkommen und sozialem Milieu erleben werden. Dieser Prozess hat bereits begonnen.

Die quantitative Nachfrage wird jedoch trotz des Bevölkerungsrückganges in einigen Teilmärkten in den nächsten 10 – 15 Jahren nach wie vor hoch sein, so dass wir es mit sehr unterschiedlichen Szenarien zwischen Wohnungsleerstand auf der einen Seite und Wohnraummangel in Wachstumsregionen gleichzeitig zu tun haben.

Am Beispiel Ostdeutschlands sind die Ursachen für den Leerstand eng verknüpft mit der Tatsache, dass es mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Zentralverwaltungswirtschaft und dem Übergang zu einer wettbewerbsfähigen, modernen sozialen Marktwirtschaft bis heute nicht gelungen ist, für die Menschen in den neuen Ländern in ausreichendem Umfang Arbeit zu schaffen und anzubieten. Dahinter steht die volkswirtschaftliche Erkenntnis, dass die Wohnung

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der Arbeit folgt und nicht umgekehrt. Es ist zwar wünschenswert, dort, wo Wohnungen in ausreichendem Umfang vorhanden sind, die Infrastruktur zu nutzen und auch Unternehmen mit einer ausreichenden Zahl an Arbeitsplätzen anzusiedeln. Die Investitionsentscheidungen der Privatwirtschaft aber sind geprägt von einer Fülle von Kosten- und Standorterwägungen, bei denen nicht nur, und in aller Regel auch nicht in erster Linie, die Wohnraumversorgung im Mittelpunkt der Unternehmensentscheidung steht. Von einer solchen Entwicklung wie im Osten werden auch andere Teile und Teilmärkte der Bundesrepublik Deutschland in Zukunft betroffen sein.

Für die Städte und Kommunen resultiert daraus eine neue Herausforderung und Aufgabe in der Stadtentwicklung. Soweit sie sich nicht in den heute erkennbaren Wachstumsregionen befinden, werden sie auf der Grundlage neuer Stadtentwicklungskonzepte ihre Infrastruktur, und dazu gehören ausdrücklich und in erster Linie auch die Wohnungen, Wohnsiedlungen und das Wohnumfeld, aber auch die städtebauliche Zukunft, der langfristigen Entwicklung ihres kommunalen Arbeitsmarktes und der vorhersehbaren Zahl der nachfragenden Haushalte anpassen müssen.

Wir brauchen also für diese Regionen fast flächendeckend neue Konzepte für realisierbare Durchführungsschritte der Stadtentwicklung. Deren Ziel muss die Modernisierung ihrer Infrastruktur und die Anpassung der Städte und Gemeinden an erkennbare langfristige Trends sein, die finanziell von Bund und Ländern mitgetragen werden. Städte und Gemeinden, die diese Aufgabe rechtzeitig, d. h. heute, in Angriff nehmen, schaffen damit zugleich die Voraussetzung, ihre Standortqualität für die Ansiedlungsentscheidungen von Unternehmen zu verbessern. All jene, die sich diesen Aufgaben nicht stellen, werden zunehmend ökonomischen, sozialen und gesellschaftlichen Erosionsprozessen ausgesetzt sein. Deshalb muss die Politik in den Städten und Gemeinden darauf konzentriert werden, solche Erosionstendenzen zu stoppen bzw. Fehlentwicklungen rechtzeitig entgegenzuwirken. Unser Ziel ist die attraktive, kompakte, vitale und dynamische Stadt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2002

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