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TEILDOKUMENT:


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Umweltrecht – Innovationsmotor für Umwelttechnologien

Dr. Paul Petter Aas
Direktor, Norsk Hydro ASA, Oslo, Norwegen


Hydro ist ein Unternehmen mit einer langen Tradition. Und wenn ich mir die Begriffe „Tradition„ und aus dem Titel meiner Anmerkungen „Recht und Technologie„ anschaue, so kommen sie mir als schlafende Riesen vor. Ich glaube aber, daß die Begriffe „Umwelt und Innovation„ uns wachhalten werden, und zwar nicht nur für die nächsten 20 Minuten. Ich rede heute über Technologie und Umwelt. Es freut mich, Ihnen mitteilen zu können, daß unsere Tochtergesellschaft, die Hydro Chemicals Deutschland, den Bundestag in Berlin und den Verfassungsschutz in Köln mit Chemikalien beliefert, um zusammen mit einem Siemens-Katalysator, die NOX-Emission der Heizungsanlagen dieser Gebäude zu vermindern.

Klimaschutz ist seit Jahren auch ein Markt. Unsere Firma wurde 1905 gegründet als Reaktion auf den weltweit akuten Bedarf an Düngemitteln für die landwirtschaftliche Produktion. Auf Grundlage der Nutzung von Energie, die aus natürlichen Wasserfällen gewonnen wird, war die Hydro der erste Hersteller von Stickstoffdünger. Mehr als 90 Jahre danach ist die Energie zum verbindenden Element unserer Geschäftstätigkeit geworden.

Wie im Jahr 1905, so richtet Hydro auch heute noch seine Aktivitäten auf die Nutzung der knappen Bodenschätze, um den Kunden überall in der Welt eine Palette von Produkten, die deren Bedürfnisse befriedigen und die kleinstmöglichen Einwirkungen auf die Umwelt haben, anzubieten. Hydro hat es sich ausdrücklich zum Ziel gesetzt, in Fragen des Umweltschutzes eine führende Rolle zu spielen. Nach unserer Kenntnis war die Norsk Hydro weltweit das erste börsennotierte Unternehmen, das bereits vor 10 Jahren damit begann, einen jährlichen Umweltbericht zu veröffentlichen.

Im 20. Jahrhundert hat sich die Weltbevölkerung vervierfacht. Es ist wahrscheinlich, daß sie sich in den kommenden 50 Jahren noch einmal verdoppelt. Gleichzeitig streben immer größere Bevölkerungsgruppen nach einer Verbesserung ihrer Lebensqualität und ihres Lebensstandards. Diese Entwicklung stößt an die Grenzen der natürlichen Ressourcen unseres Planeten. Eine Verringerung des Konsums, Recycling sowie Energieeinsparungen können höchstens ein Teil dieses Wachstums kompensieren. Pionierleistungen auf den Gebieten der technischen Entwicklungen, der Produktivität und der ökologischen Effektivität sind gefordert.

Einer der Motoren ist die Entwicklung des gesetzlichen und regulatorischen Rahmenwerkes.

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Die Einwirkung dieser Entwicklung muß frühzeitig durchdacht und geplant sein, mit Rücksicht auf die Interaktion anderer Veränderungsimpulse. Solche Impulse entstehen durch Interessenorganisation, durch die öffentliche Meinung, durch Kundenreaktion, nationale wettbewerbliche Position und viele andere Kräfte in einem immer globaler werdenden Markt.

Umweltbezogene Gesetze und Regelungen können in zwei Richtungen funktionieren. Einfach durch eine Vorschrift mit z.B. einer mengenmäßigen oder physischen Begrenzung, das wäre zum Beispiel kg/h Emission, so wie wir traditionell mit der Umweltgesetzgebung umgehen, oder dadurch, daß die Wirtschaftlichkeit der Akteure in der Wertkette verändert wird. Das könnte zum Beispiel bedeuten, daß Gesellschaften und Institutionen Emissionen zwar verursachen dürfen, aber dafür auch Gebühren zahlen müssen. Es gibt hinreichend Beispiele, daß dies zu einer Verhaltensänderung in die gewünschte Richtung führen kann. Hydro ist bemüht, auf der Basis eines dieser Modelle Lösungen anzubieten.

Die zusätzlichen Ernten durch den Einsatz von Mineraldünger von Hydro schaffen Lebensmittel für 100 Mio. Menschen. Leitmetallanwendungen und Recycling in der Bau- und Fahrzeugindustrie sparen riesige Energiemengen ein. Über einen gesamten Lebenszyklus hinweg betrachtet, bietet PVC eine breite Palette von energie- und kosteneinsparenden Einsatzbereichen. Neue innovative Bohrverfahren haben uns in die Lage versetzt, aus den vorhandenen Feldern noch mehr Erdöl und Erdgas zu gewinnen und so diese lebenswichtige Ressource noch effektiver zu nutzen. In den vergangenen Jahrzehnten haben wir erhebliche Anstrengungen unternommen, um Emissionen und Abfallmengen zu verringern. Und wir können hier auf beachtliche Erfolge verweisen. Doch sind wirkliche Verbesserungen für die Umwelt nur im Kontext einer Gesamtbewertung der Umweltverträglichkeit über ihren Lebenszyklus hinweg zu verstehen. Mit dieser Lebenszyklusperspektive als Ausgangspunkt gehen wir in unseren Bemühungen zur Erhaltung der Umwelt noch einen Schritt weiter. Wir erkennen das wirtschaftliche Potential, das aus Produkten und Dienstleistungen mit reduzierten negativen ökologischen Einwirkungen gewonnen werden kann. Wir verfügen auch über die Fachkompetenz und den Willen, da etwas zu tun.

Die Entstickung von Rauchgasen ist in Steinkohlekraftwerken und Müllverbrennungsanlagen hier in Deutschland durch die strenge Umweltgesetzgebung seit Jahren Standardtechnologie. Mit der Hydro Reduktan Produktpalette liefern wir kundenwunschspezifisch für den Denox-Bereich. Für neueste Entwicklungen im Bereich der Entstickung im mobilen Sektor, und das sind LKW- und Schiffsdieselmotoren, ist Hydro schon heute gerüstet und unterstützt aktiv die Durchsetzung höheren Umweltstandards in diesem Segment. Hier stimmen die umweltpolitischen Rahmenbedingungen. Wenn nun die Europäische Gemeinschaft erweitert wird, müssen auch in den neuen Ländern die umweltpolitischen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um die hohen Umweltstandards zu erreichen.

Von Hydro wurde vor einigen Jahren der Nutriox-Prozeß entwickelt. Er verhindert Fäulnis und entfernt bereits gebildeten Schwefelwasser-

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stoff in kommunalem und industriellem Abwasser. Um eine optimale Anpassung dieses Prozesses zu gewährleisten, ist eine sehr enge partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem Kunden unabdingbar. Nur nach gemeinsamer Problemdefinition und Ursachenanalyse ist eine individuelle, technisch ausgereifte und kostenoptimierte Problemlösung möglich. In vielen Gesprächen mit kommunalen und industriellen Kunden und den zuständigen Verwaltungsstellen wurden Erkenntnisse gesammelt, die dazu führten, daß heute allein in Deutschland 14 hoch qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesem Marktsegment tätig sind.

Die jahrelangen Forschungen und Anstrengungen von Hydro Chemicals Deutschland, das Entsorgungsproblem von Mischbeizen bei der Feuerverzinkungsindustrie zu lösen, kommt nicht von ungefähr. Als Produzent der Salzsäure fühlt sich das Unternehmen dazu verpflichtet, auch die Entsorgung in die Unternehmenswertkette mit einzubeziehen. Das Ziel ist es, so viel Rohstoff wie möglich wieder dem Wirtschaftskreislauf zurückzuführen, ohne eine größere Menge von Abfall zu hinterlassen.

Eisen und Stahl haben viele gute Eigenschaften. Ein gravierender Nachteil von Metallbauteilen aus Eisen und Stahl ist deren Korrosionsanfälligkeit. Für den langfristigen Materialschutz gibt es mehrere Verfahren. Beim Feuerverzinken werden die Bauteile mit elektronegativen Metallen, und das ist vorzugsweise Zink, beschichtet. Voraussetzung für diese Schutzmaßnahme ist es, daß die Oberfläche der Bauteile metallisch blank vorliegt, und um das zu gewährleisten, werden sie in einem Salzsäurebad gebeizt. Beim Beizprozeß verbraucht sich die Salzsäure mit der Zeit. Für die Feuerverzinkungsunternehmen stellt die verbrauchte und nicht mehr nutzbare Mischbeize derzeit das größte Problem dar. Neben den hohen Entsorgungskosten fallen besonders die Folgen für die Umwelt ins Gewicht, da die verbrauchte Mischbeize neutralisiert als Abfall auf der Deponie landet. Von den etwa 60.000 Jahrestonnen, die in Deutschland jährlich anfallen, gehören etwa 24.000 zu den Mischbeizen, deren Entsorgung bisher problematisch und teuer war. Davon kann unsere Oberhausener-Recyclinganlage 12.000 Tonnen/Jahr verarbeiten. Nach dem Oberhausener-Verfahren werden aus der Mischbeize Eisen- und Zinkchloridlösungen hergestellt. Die Mischbeize enthält neben den Metallen Eisen und Zink zusätzlich Schwermetalle und organische Substanz. Um qualitativ hochwertige Endprodukte zu erhalten, ist es zunächst notwendig, die Säure von Organik und Schwermetallen zu trennen. Die Eisen- und Zinkchloridlösung, die in der Oberhausener Anlage aus Mischbeize gewonnen werden, sind qualitativ hochwertig und haben verschiedene Verwendungen. Neben der Qualität der neu gewonnenen Lösungen kann sich die Umweltbilanz sehen lassen. Vor Inbetriebnahme der Recyclinganlage gingen im Jahr etwa 15.000 Tonnen mit Kalk neutralisierte Mischbeize auf die Deponie. Heute sind das weniger als 120 Tonnen, die nicht mehr weiterverarbeitet werden können.

In einer Studie des Fraunhofer-Instituts aus dem Jahr 1993 im Auftrag des Ministeriums für Umwelt Baden-Württemberg kam man zu folgender Aussage: „Die Verwertung von Altbeizen zur Neutralisation und zur Emulationsspaltung

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ist unter abfall- und wasserwirtschaftlichen Gesichtspunkten problematisch. Gemessen an Verfahren, die eine Rückgewinnung von der Salzsäure oder die Gewinnung verwertbarer Chemierohstoffe ermöglichen, ist der Einsatz von Altbeize zur Neutralisation/Fällung oder zur Emulationsspaltung als minderwertige Verwertung anzusehen. Wegen der entstehenden problematischen Abfälle sind die Neutralisation/Fällung oder die Emulationsspaltung im Hinblick auf die Altbeize eher der Abfallbeseitigung als der Verwertung zuzurechnen.„ Bei der Eröffnung der neuen Recyclinganlage in Oberhausen am 2. September 1997 sagte Herr Bosse vom Umweltbundesamt: „Abfall ist Rohstoff am falschen Platz. Nach dieser Devise hat die Firma Hydro Chemicals Deutschland ein Verfahren entwickelt, das in der Lage ist, Mischbeizen aus der Feuerverzinkung, einen bisher unverwertbaren Sonderabfall, nahezu vollständig in hochwertige Sekundärrohstoffe umzuwandeln. Die Aufbereitungsanlage der Firma ist die technologische Antwort auf die Herausforderungen des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes.„

Am 7. Oktober 1996 wurde das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz in Kraft gesetzt. Die abfallpolitische Zielkonzeption dieses Gesetzes war und ist, Abfälle in erster Linie zu vermeiden, in zweiter Linie stofflich oder energetisch zu verwerten. Letztlich sollen Abfälle, die sich nicht vermeiden oder verwerten lassen, umweltverträglich beseitigt werden. Das neuartige Verfahren der Hydro Chemicals in Oberhausen ist im Gegensatz zu der vorher geschilderten Alttechnologie eine saubere stoffliche Verwertung. Das Gesetzeskonzept, so haben das Bundesumweltministerium und das Umweltbundesamt bestätigt, wird durch die Oberhausener Anlage in vollem Umfang erfüllt. Die Anlage läuft jetzt seit zwei Jahren. Doch das Problem der Rohstoffsicherung verstärkt sich, so unverständlich das auch erscheinen mag, von Tag zu Tag. Wesentlicher Grund für diese negative Entwicklung ist, daß bedauerlicherweise die Alttechnologie von den Genehmigungsbehörden immer noch als Verwertung angesehen wird. Die Anlagenbetriebskosten dieser alten Technologie sind aber nicht vergleichbar mit den Kosten der Oberhausener Anlage. Dadurch war es diesen Unternehmen möglich, die Entsorgungspreise bis zu 30 Prozent gegenüber dem vorherigen Niveau abzusenken und somit erhebliche Vorteile im Wettbewerb um die Entsorgung von Altbeizen in der Feuerverzinkung zu erlangen. Und solange die Altverfahren von den Genehmigungsbehörden als Verwerter deklariert werden, kann von den Feuerverzinkern nicht erwartet werden, daß sich aus Umweltfreundlichkeit eine höhere Zahlungsbereitschaft entwickelt.

Wenn sich das gesetzliche und regulierende Umfeld verändert, verändern sich auch die Beziehungen zwischen Produkten und Prozessen auf der einen Seite und Umwelt auf der anderen Seite. Eine der Schwierigkeiten dieses Vorgangs ist, daß das regulierende Rahmenwerk für unterschiedliche Interpretationen offen wird. Wenn die Bestimmungen so mißverstanden werden können, daß sie weniger Einwirkung haben als anfangs von dem Gesetzgeber gedacht, dann ist es leider wahrscheinlich, daß sie auch mißverstanden werden. Wir glauben, daß dies der Fall mit dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz ist. Die wichtigen Begriffe sind „Abfälle zur Be-

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seitigung„ gegenüber „Abfall zur Verwertung„. Und der Unterschied zwischen den beiden Begriffen.

Wir sind Geschäftsleute. Risiko ist unsere Tätigkeit. Wir treffen selbst unsere Entscheidungen und wir sind dafür allein verantwortlich. In diesem Fall haben wir uns entschlossen, daß wir ein Risiko eingehen sollten, um auf einem neuen Markt zu arbeiten, gegen neue Wettbewerber. Wir wollen wirklich Abfälle vermeiden und die Entsorgung von Mischbeize zu niedrigen Kosten anbieten. Was haben wir gelernt? Vorsicht!

Was im Gesetz deutlich scheint, ist nicht selbstverständlich. Und was heißt das für die Zukunft allgemein? Verzögerung. Die Entwicklung neuer umwelttechnologischer Innovationen kostet sehr viel Geld. Das Umweltrecht, das diese Entwicklung unterstützt, muß unbedingt von allen beteiligten Behörden auf allen Ebenen positiv und loyal begleitet werden. Dies heißt manchmal aber auch, daß alte Technologien durch neue und bessere ersetzt werden müssen. Nur so können wir langfristig die Umwelt verbessern und gleichzeitig die Arbeitsplätze sichern.

Ich bin als Naturwissenschaftler ausgebildet. Und ich weiß, daß meine Argumente und Exempel heute zwei Dimensionen haben. Die Fragestellung Umwelt, Recht, Innovation, Technologie hat vier Dimensionen. Ich hoffe, daß meine Betrachtungen und Beispiele ein Beitrag sind, die Diskussion weiterzuführen. Innovation heißt, grundsätzlich etwas anderes zu machen. Und Veränderung heißt Möglichkeit.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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