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Wirtschaftliche Transformation

Die Slowakei war 1990 etwa mit einem Drittel am Nationaleinkommen der CSFR beteiligt. Nach der Selbständigkeit der SR begann ein wirtschaftlicher Niedergang. Mit hoher Arbeitslosigkeit sank auch der Lebensstandard. Die negativen Folgen des Übergangs von der Plan- zur Marktwirtschaft wurden durch die Konsequenzen der Teilung der Föderation noch verstärkt. Ungünstige wirtschaftliche Ausgangsbedingungen, hervorgerufen durch unterentwickelte Wirtschaftsbereiche, einen kleineren Binnenmarkt und enge wirtschaftliche Verflechtung mit der Tschechischen Republik, deren Transferzahlungen in Höhe von 15 Milliarden Kronen nicht mehr beansprucht werden konnten, führten 1993 zu einem gesamtwirtschaftlichen Produktionsrückgang und zum Absinken des BIP um vier Prozent. Nach der Abkoppelung von der tschechischen „Transformationslokomotive" hatte sich das Tempo der Reformen im Laufe der Meciar-Ära verlangsamt und war schließlich ganz zum Stillstand gekommen. Der Grund dafür lag in fehlender ökonomischer Überzeugung der neuen politischen Elite, die Wirtschaftstransformation weiterzuführen. Darüber hinaus geriet die Regierung zunehmend unter den Einfluß der Management- und Industrielobby der Staatsbetriebe, die sich im Grunde durchgesetzt hatte. Diese Gruppen waren eng mit der HZDS und den ökonomischen und politischen Strukturen des alten Regimes verbunden.

Meciars erstes Kabinett führte nur einige Korrekturen durch, ohne eine spezifische Wirtschaftskonzeption zu verabschieden. Erst während der Übergangsregierung Moravcíks, nach der eine kurzfristige Wirtschaftsbelebung folgte, hatte die HZDS-Führung eine geschlossenere Auffassung der weiteren Transformationen erarbeitet - den „spezifisch slowakischen Weg". Er war eine kritische Reaktion auf die Konsequenzen der ersten Schritte der radikalen Wirtschaftsreform unter V. Klaus, des tschechoslowakischen Übergangs von der Plan- zur Marktwirtschaft. Einschränkungen bei den Absatzmöglichkeiten der Rüstungsindustrie großer slowakischer Maschinenbaubetriebe und ihre fehlende Konversionskonzeption sowie die Nichtbeachtung der ungünstigen Struktur der slowakischen Grundstoffindustrie haben sich auf die Lebensbedingungen der Bevölkerung negativ ausgewirkt. In der Konzeption des „spezifisch slowakischen Wegs" wirkte sich dazu die Prämisse aus, daß der selbständige Staat auf festen nationalen Grundlagen aufgebaut werden sollte, dem alles andere unterordnet werden muß. Da in der Vorstellung der HZDS- und SNS-Repräsentanten der Staat ein Synonym für die Nation ist, bedeutete dies in der Praxis, daß die Regierungskoalition einen starken Staat etablieren und wirtschaftliche Schlüsselbereiche in seiner, sprich in nationaler Hand behalten wollte.

Nachdem Meciar erneut die Macht übernommen hatte, wurden mehrere Transformationsvorhaben eingestellt und 54 Privatisierungsbeschlüsse der Moravcík-Regierung für ungültig erklärt. Obwohl der Präsident seine Unterschrift verweigerte und das Verfassungsgericht die Stornierung für verfassungswidrig erklärte, machte die Regierung diesen Schritt nicht rückgängig. Die Konsequenzen des „spezifischen Wegs" wirkten sich auch in der zweiten Privatisierungswelle aus. Im Juli 1995 hob Meciars Kabinett die gefeierte Couponprivatisierung des Klaus-Teams auf und ersetzte sie durch neue Schuldscheine des Fonds für Nationalvermögen, die Bürger und Investitionsfonds benachteiligten. Gleichzeitig wurde die Tätigkeit der Privatisierungsfonds und -gesellschaften per Gesetz eingeschränkt. Diese stellen den Großteil der nach der ersten Privatisierungswelle entstandenen neuen ökonomischen Strukturen, welche von den neuen Machthabern zunichte gemacht werden sollten, um sie an sich zu ziehen. Direktverkäufe wurden in der zweiten Privatisierungswelle angekurbelt, indem unter politischen Gesichtspunkten an bestimmte Personen unter Wert und ohne Kontrollverfahren veräußert wurde. So sind mehrere höchst lukrative Firmen in die Hände von HZDS- und SNS- Sympathisanten gelangt. Ebenso selektiv wurde bei privaten Kreditvergaben und Entscheidungen über die Revitalisierung der im Staatseigentum verbliebenen Betriebe gehandelt, obwohl ihre wirtschaftlichen Ergebnisse dem nicht entsprachen. Dies führte zu einer Verflechtung von Partei- und Wirtschaftsinteressen. Bei der Mitwirkung von verantwortlichen Institutionen nahmen Klientelismus und Korruption überhand, wozu auch die Undurchsichtigkeit der neuen Eigentumsverhältnisse beitrug. Im Jahre 1996 wurde auch die angekündigte Privatisierung von Banken gestoppt.

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Wirtschaftsentwicklung und Reformkurs

Trotz der schwierigen Ausgangslage zu Reformbeginn und eines hohen Konversionsbedarfs in der von der Schwerindustrie dominierten Wirtschaft, die als Hemmnis für eine gesamtwirtschaftliche Erholung galt, hat die Slowakei eine insgesamt ausgeglichene Wirtschaftsstruktur entwickelt. Die SR ist mittlerweile ein vom Dienstleistungsbereich geprägter Staat: 1998 wurden hier rund 58 Prozent des BIP erwirtschaftet, die Industrie ist auf 26 Prozent geschrumpft, Bau und Landwirtschaft betragen nur noch je fünf Prozent. Der Anteil der Privatwirtschaft am BIP ist mit 83,1 Prozent (Angaben des Slowakischen Statistikamtes) zwar hoch, doch ist der Bankensektor über Kreditverflechtung an vielen Unternehmen beteiligt. Trotz etlicher Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt gelang es der Regierung Meciar nicht, die Situation zu entschärfen. Im Januar 1999 kletterte die Arbeitslosenquote auf 16,33 Prozent bei je nach Region sehr unterschiedlicher Verteilung. Beträgt sie in Bratislava nur vier Prozent, erreichte sie in beiden ostslowakischen sowie in den Kreisen um Banská Bystrica und Nitra, wo die magyarische Minderheit lebt, kontinuierlich Werte zwischen 16 bis19 Prozent, in einigen Bezirken bis zu 28 Prozent. Angesichts des notwendigen Konsolidierungskurses wird die hohe Arbeitslosigkeit auch mittelfristig nicht spürbar zu reduzieren sein.

Obwohl die slowakische Wirtschaft unter geringem Zufluß ausländischen Kapitals, unter der Abwertung der Währung, unter Schwierigkeiten mit IWF-Krediten und der Verlangsamung des Privatisierungsprozesses litt, belegen die makroökonomischen Indikatoren eine dynamische Entwicklung. In den Jahren 1994 bis 1995 ist es zur Belebung und zur makroökonomischen Stabilisierung der Wirtschaft gekommen, mit relativ raschem Sinken der Inflation (1996 auf 5,8 Prozent) und relativ hohem Wirtschaftswachstum (1995: 6,6 Prozent), das nicht mit makroökonomischem Ungleichgewicht verbunden war. Auch in den Jahren 1996 bis 1998 ist die Wirtschaft um sechs Prozent des BIP kräftig gewachsen. Allerdings wurde der BIP-Anstieg von einem Zuwachs des öffentlichen Konsums und hohen staatlichen Aufträgen getragen. Für die kleine außenhandelsabhängige Volkswirtschaft aber wäre ein exportgeleitetes Wachstum erforderlich gewesen. Der von der Binnennachfrage angetriebene Boom hat makroökonomische Ungleichgewichte verursacht. Zum deutlichen Signal dieser zunehmenden Überhitzung wurde 1997 das explosive Leistungsbilanzdefizit von 10,4 Prozent, das durch ein hohes Handelsbilanzdefizit von 1.538 Millionen US-Dollar (elf Prozent) verursacht wurde. Das zeugt davon, daß der Aufschwung nicht selbsttragend und exportgesichert, sondern zu einem guten Teil hausgemacht war.

Die neue Regierung zeichnete nach dem Kassensturz ein verheerendes Bild: Ein desolater Staatshaushalt mit einem Defizit von 19,2 Milliarden slowakische Kronen, niedrigen Währungsreserven und hoher Auslandsverschuldung. Die slowakischen Auslandsverbindlichkeiten sind von 3,3 Milliarden US-Dollar 1993 bis Ende 1998 auf 12,3 Milliarden US-Dollar gestiegen. Hingegen fielen die bis 1995 mühsam auf 3,4 Milliarden US-Dollar aufgebauten Devisenreserven Ende 1998 auf 2,9 Milliarden US-Dollar, womit sie bei steigenden Importen nur noch 2,7 Monatsimporte deckten. Nach Expertenschätzungen wird die Auslandsverschuldung 1999 leicht auf 13,0 Milliarden US-Dollar und 2000 auf 14,0 Milliarden US-Dollar steigen. Zusätzlich zur Kredittilgung und zu den Zinsen von zwei Milliarden US-Dollar sind 1999 auch hohe Regierungsgarantien fällig. Nach Dzurindas Schätzung, der ein Wirtschaftsfachmann ist, könnten sie 20 Prozent der geplanten Staatseinnahmen ausmachen. Trotz struktureller Probleme befindet sich die slowakische Wirtschaft 1999 noch in einer Wachstumsphase. Allerdings betrug das Leistungsbilanzdefizit 1998 weiterhin alarmierende 10,2 Prozent.

Das wirtschaftspolitische Nahziel der Regierung Dzurinda ist eine sanfte Landung der überhitzten Wirtschaft und gleichzeitig der Beginn von Strukturreformen. Dazu soll ein im Januar 1999 beschlossenes, insgesamt 75 Punkte umfassendes Programm dienen, dessen erster Teil ein Sparpaket darstellt, das die Lohnsumme im öffentlichen Dienst auf das nominale Vorjahresniveau begrenzt, Steuererhöhungen für Brennstoffe beinhaltet, die Steuereintreibung verbessern soll, die staatlichen Investitionsausgaben, z.B. für den Autobahnbau, reduziert und Preiserhöhungen im Nahverkehr und bei Mieten vorschreibt. Die soziale Abfederung soll durch Beihilfen und niedrigere Steuersätze für geringe Einkommen gewährleistet werden. Damit möchte man im laufenden Jahr das Defizit des Staatshaushalts um mehr als die Hälfte auf zwei Prozent und - über eine Dämpfung der Binnennachfrage - das Leistungsdefizit auf fünf bis sechs Prozent reduzieren.

Der zweite Teil des Programms dient der Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit u. a. durch Anreize für ausländische Direktinvestitionen, den Ausbau des Kapitalmarktes, einen effizienteren Umgang mit Konkursen und die Restrukturierung sowie spätere Privatisierung des Bankensektors. Der Katalog für Investitionsanreize beinhaltet als Kernpunkte fünfjährige Steuerbefreiung, Wegfall der Einfuhrabgaben auf Maschinen, Verzicht auf Mehrwertsteuer bei importierten Maschinen, Lohnkostenbeihilfen in strukturschwachen Regionen und Kredite für Infrastrukturmaßnahmen.

Die Regierung ist sich bewußt, daß eine wirtschaftliche Stabilisierung ohne einen deutlichen Anstieg der ausländischen Direktinvestitionen nicht möglich ist. Die Slowakei darf jedoch keine Zeit verlieren und muß die angekündigten Maßnahmen so implementieren, daß der Reformschwung glaubwürdig erhalten bleibt, schreibt die OECD. In der schwierigen und deshalb langsamen Koalitionsdiskussion um das Reformpaket zeigte sich deutlich, daß dem kühnen Reformkurs der heterogenen Regierungskoalition unter Dzurinda Gefahr von innen droht. Diese könnte dazu führen, daß gerade die notwendigen, aber schmerzhaften Reformen verwässert werden.

Der Zugang zu neuen Krediten ist mit dem Regierungswechsel wieder erleichtert worden. Gezielte Investitionen sollen künftig nur durch projektgebundene Kredite gefördert werden. Das Vertrauen der internationalen Gläubiger ist wieder gestiegen. Die EBRD hat 1998 beispielsweise insgesamt 25 Projektfinanzierungen im Gesamtwert von 431 Millionen ECU zugestimmt. Vornehmlich in strategischen Bereichen wie Telekommunikation und Infrastruktur soll die Wettbewerbsfähigkeit durch private Unternehmen gestärkt werden. Die Europäische Investitions- und Entwicklungsbank (EIB) will der SR zusätzlich zu den bislang insgesamt 665 Millionen Euro noch weitere Millionen zur Verfügung stellen. Auch die EU will jährlich nun etwa 95 Millionen Euro statt wie bisher nur fünf Millionen Euro Investitionshilfen gewähren.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2000

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