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Innenpolitische Entwicklung seit der Selbständigkeit

Die Ära Meciar von 1993-1994

Die innenpolitische Lage der Slowakei ist seit dem Fall des kommunistischen Regimes durch erhebliche politische Instabilität gekennzeichnet. Diese führte auch nach der Entstehung des souveränen Staates zu Krisen. Seit der Machtübernahme der HZDS unter dem Premierminister Vladimír Meciar begann eine höchst widersprüchliche Entwicklung in der Innen- und Außenpolitik. Die Tagespolitik stand immer wieder im krassen Widerspruch zu offiziellen Regierungserklärungen; die politische Abneigung zur Fortsetzung der 1989 begonnenen demokratischen und wirtschaftlichen Systemtransformation kam deutlich zum Tragen. Die HZDS versuchte, wichtige politische und wirtschaftliche Positionen zu erlangen und startete sofort eine erste Welle gründlicher „Säuberungen" in den Ministerien.

Der auf die plötzlich erlangte Eigenstaatlichkeit nicht vorbereiteten slowakischen Führung fehlte ein Regierungskonzept, und das hatte erhebliche politische und wirtschaftliche Folgen. Meinungsverschiedenheiten bei der Neuorientierung in der Außen- und Wirtschaftspolitik, um den ökonomischen Niedergang der selbständigen Slowakei zu verhindern, sowie persönliche Animositäten schwächten die Regierung. Meciars autoritärer Führungsstil führte bald zum Ausschluß der innerparteilichen Opposition bzw. dem Auszug von Abgeordneten der HZDS. Es folgten eine Minderheitsregierung für ein halbes Jahr und Versuche, mit der nationalistischen SNS eine Koalition zu bilden, die im Oktober 1993 endlich zustande kam.

Im Verlauf 1993 festigte Meciar seine Machtposition, indem er Führungsposten in der Staatsverwaltung, im Rundfunk und Fernsehen an Vertraute verteilte und seinen Einfluß auf die Wirtschaft ausdehnte. Kooperationsunfähig wie er war, geriet der Premier immer häufiger in Konflikte mit seinem Koalitionspartner, mit dem Staatspräsidenten Michal Kovác, aber auch mit der Tschechischen Republik, wegen der Teilung des föderalen Besitzes. Der gemäßigte Präsident (ebenso wie Meciar ein ehemaliger Reformkommunist) trat nach seiner Wahl aus der HZDS aus, um unparteiisch wirken zu können. Seit seiner Amtsübernahme vertrat er eine eigene, der Regierung gegenüber kritische Position. Er stellte sich Meciar mehrmals entgegen, um zu verhindern, daß dieser alle Macht in seinen Händen konzentrierte. Gegen Ende 1993 begann in beiden Regierungsparteien ein Polarisierungsprozeß, der zur Teilung der SNS- und der HZDS-Fraktion führte. Damit ging erneut die Regierungsmehrheit verloren.

Ein Mißtrauensvotum beendete im März 1994 vorübergehend Meciars Regierung. Ausschlag hierfür gab der Bericht des Staatsoberhaupts über die Lage der Republik. Kovác prangerte darin Meciars autokratischen Regierungsstil an und machte ihn für die schlechte Wirtschaftslage verantwortlich. Meciars Abberufung wurde von der HZDS als Parlamentsputsch bezeichnet und Kovác zum Staatsfeind erklärt, gegen dessen Person seither eine Diffamierungskampagne geführt wurde.

Eine wesentliche Komponente der Regierungspolitik Meciars war die nationalistische Propaganda, zunächst um die Bildung des eigenen Staates bei der gesamten Bevölkerung zu legitimieren. Dabei wurden die Bürger in „gute" Slowaken, die den eigenen Staat begrüßten, und in „schlechte" Slowaken bzw. Nichtslowaken, die ihm ablehnend gegenüberstanden, eingeteilt, und die beginnende politische Polarisierung der Gesellschaft erhielt so zusätzlich einen nationalen Aspekt. Ethnische Minderheiten machen ca. 14 Prozent der Bevölkerung in der SR aus. Das ist im europäischen Vergleich ein relativ hoher Anteil. Im kleineren Staatsgebilde der SR (49.036 km2 mit 5,3 Millionen Einwohner) bekamen Minderheiten eine stärkere Bedeutung; unter ihnen ist die magyarische (ungarische) Minderheit mit 10,8 Prozent die größte.Ihre Identifikation mit dem selbständigen Staat ist gering. Die Forderung ungarischer Parteien für neue Minderheitenrechte und Selbstbestimmung bzw. Autonomie in den gemischten slowakisch-magyarischen Gebieten (Südslowakei) einerseits und die nationalistische Demagogie und Gesetzgebung der SNS und der HZDS andererseits provozierten in großen Teilen der slowakischen Bevölkerung eine antimagyarische Stimmung.

Nach Meciars Sturz folgte die halbjährige Übergangsregierung einer Rechts-Mitte-Links-Koalition unter dem ehemaligen Außenminister Jozef Moravcík. Sie bestand aus der national konservativen Christdemokratischen Bewegung (KDH) unter J. Carnogursky und der aus Abspaltungen der HZDS neu gegründeten, liberalen Demokratischen Union (DU) Moravcíks. Ermutigt durch den Erfolg der Linken in Polen, schloß sich ihnen auch die postkommunistische Partei der Demokratischen Linken (SDL) an. Die Übergangsregierung konnte während ihrer kurzen Zeit bemerkenswerte Erfolge verbuchen, vor allem was die ökonomische Stabilität anging, bei der Kreditvergabe internationaler Finanzanstalten, bei der Sanierung öffentlicher Finanzen und bei der Privatisierung. Auch gelang es ihr, die innenpolitische Lage zu beruhigen und die entstandene Kontroverse über die ungarische Minderheit zu mäßigen. Trotz internationalen Lobs wurde Moravcíks Regierung von den Wählern nicht bestätigt. Es war bereits das zweite Mal (nach 1992), daß reformorientierte, demokratische Kräfte in der Slowakei eine Wahlniederlage erlitten.

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Die Fortsetzung der Ära Meciar (1994-1998)

Nach einer sehr polemischen populistischen Wahlkampagne feierte Meciar bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im Oktober 1994 mit fast 35 Prozent der Stimmen sein drittes Comeback (seine erste Regierung bestand im Rahmen der Föderation von Juni 1990 bis April 1991, die zweite von Juni 1992 bis März 1994 und die dritte von Dezember 1994 bis Oktober 1998). Zusammen mit der SNS gewann die HZDS 70 Abgeordnetensitze, die allerdings zur Stimmenmehrheit nicht ausreichten. Die Oppositionsparteien (KDH, DU, SDL und die Ungarische Koalition MK) erhielten 67 Sitze. Zum Zünglein an der Wage wurde die Vereinigung der Arbeiter der Slowakei (ZRS), eine Abspaltung der KP, die mit einer einfachen Antireform-Rhetorik plötzlich über die 5 Prozent-Hürde kam.

Nach der erneuten Machtergreifung ging Meciar seine Gegner frontal an: so forderte er den Präsidenten Kovác zur Demission auf. Kovác hatte immer eine kritische Haltung gegenüber der Regierungspolitik eingenommen und stand somit den Oppositionsparteien näher. Was die Regierung als Verletzung der Unparteilichkeit des Amtes begriff, interpretierte der Präsident als einen Streit um die grundlegenden Normen der Demokratie.

Ebenso versuchten HZDS und SNS per Verfassungsklage, die 15 „abtrünnigen" Abgeordneten der DU aus dem Parlament zu katapultieren, indem sie die Anzahl der Registrierungsunterschriften der Partei in Frage stellten. Mit den ungültigen Stimmen der DU wollten sie sich die fehlende Parlamentsmehrheit sichern. Das Verfassungsgericht bestätigte die Legitimität der DU, worauf Meciar das Gericht als das „kranke Element der politischen Szene" beschimpfte. Danach waren die HZDS und SNS von der Koalitionsbeteiligung der ZRS abhängig, die zuerst an der Regierung nicht teilhaben wollte.

Die unsichere Regierungsmehrheit und die Erfahrungen seines Scheiterns als Premierminister veranlaßten Meciar zu entschlossenem Handeln: In einem 23-Stunden Marathon, der in der Nacht vom 3. November 1994 begann, stimmten HZDS, SNS und ZRS mit Hilfe ihrer einfachen Mehrheit von 81 gegen 150 Stimmen über sämtliche Vorsitze im Parlament und in den Ausschüssen ab. In Abwesenheit der Opposition, die den Saal aus Protest verließ, besetzten sie die 38 wichtigsten Posten mit eigenen Leuten. Angefangen beim Generalstaatsanwalt, über die gesamte Führung des obersten Rechnungshofes, dem Beirat des öffentlichen Fernsehens und Rundfunks und ihre Direktoren bis hin zum Präsidium des FNM (Treuhand). Selbst den Slowakischen Informationsdienst (SIS - Geheimdienst) brachten sie unter ihre Kontrolle. Ferner hoben sie, immer noch in Abwesenheit der Opposition, alle Privatisierungsbeschlüsse der vorherigen Regierung Moravcík auf und übertrugen die ausschließliche Vollmacht auf das eben neu besetzte Präsidium der Treuhand. Auf diese Weise wurde der Privatisierungsprozeß unkontrollierbar. Die Folge waren Direktverkäufe zu Tiefstpreisen an bevorzugte Parteimitglieder bzw. Anhänger.

Beide legislativen Änderungen erklärte das Verfassungsgericht für verfassungswidrig, doch die Entscheidung wurde von der Regierung mißachtet. Der Ausschuß der Außenminister der EU reagierte umgehend mit einer verwarnenden Demarche, die jedoch von Meciar ignoriert wurde. In der sogenannten „langen Nacht der verkürzten Demokratie" im Dezember 1994 entstand eine ad hoc Koalition zwischen der HZDS, SNS und ZRS, die sich in den folgenden vier Jahren als beständiger erwies als anfangs angenommen. Mit zunehmender Machtsicherung prägten sich antidemokratische und autoritäre Tendenzen in der slowakischen Politik immer stärker aus.

Der Kampf zwischen der Regierung und der Opposition gipfelte in einer letztlich gescheiterten Volksabstimmung im Mai 1997 über den Beitritt der Slowakei zur NATO und die Direktwahl des Präsidenten. Ein Grund für die Abstimmung war das Ende der Amtszeit des Präsidenten im März 1998. Es war offensichtlich, daß sich das Parlament auf keinen Kandidaten einigen würde und die präsidialen Vollmachten damit automatisch auf den Premier übergehen würden. Deshalb initiierte die Opposition eine Petition für die Direktwahl des Präsidenten. Den Termin des damit erzwungenen Referendums legte Kovác auf den gleichen Tag wie für die Abstimmung zum NATO-Beitritt. Meciar drohte daraufhin, er werde die Volkswahl des Staatspräsidenten nicht zulassen, und Innenminister Krajcí entschied einige Tage vor dem Referendum, die Zusatzfrage nach der Direktwahl des Präsidenten zu streichen. Das Referendum artete in ein allgemeines Chaos aus, da viele Wahlkommissionen die Abstimmung boykottierten. Die Wahlbeteiligung lag unter 10 Prozent. Dieses Ereignis, das die Slowakei tief erschütterte und die politische Atmosphäre weiter vergiftete, trug maßgeblich zum Zusammenschluß der Opposition bei sowie zur Mobilisierung der regierungskritischen Bürger.

Mit Hilfe des Prinzips der einfachen Mehrheit, das die Opposition vollkommen aushebelte und daher auch als „Tyrannei der Mehrheit" bezeichnet wurde, begann die Regierungskoalition mehrere umstrittene Gesetze zu erlassen. Auf Druck der SNS wurden von 1995 bis 1996 z.B. drei Gesetze verabschiedet, mit deren Hilfe sie das Problem der magyarischen Minderheit aus der Welt schaffen wollte. Diese Gesetze schmälern nicht nur einige Rechte der Magyaren, sondern weiteten gleichzeitig die Rechte der Exekutive aus, was einen weiteren Schritt hin zum Autoritarismus bedeutete. Nur unter dieser Bedingung waren die Nationalisten bereit, der lange hinausgezögerten Ratifizierung des ungarisch-slowakischen Grundvertrags (März 1996) zuzustimmen, obwohl ihnen neben der historischen Aussöhnung beider Völker das Zugeständnis von mehr Minderheitenrechten ein Dorn im Auge war. Es handelte sich um die (auch aus den Reihen der slowakischen Opposition) kritisierten Empfehlung Nr. 1201 des Europarats zum Schutze ethnischer Minderheiten, zu deren Akzeptanz sich die Slowakei anläßlich ihrer Aufnahme in den Europarat verpflichtete.

Im November 1995 wurde das sog. Sprachgesetz - über den Amtsgebrauch des Slowakischen als Staatssprache - verabschiedet, das zur offenen Konfrontation mit den drei Parteien der ungarischen Minderheit führte. Slowakisch wurde auch in Gebieten, in denen die ungarische Bevölkerung die Mehrheit bildete, zur offiziellen Amtssprache, und das Schulministerium erklärte zweisprachige Zeugnisse für unzulässig. Ungarns Außenminister Kovác kritisierte, daß das Gesetz der Regelung Nr. 1201 widerspreche. Bratislava behauptete dagegen, daß das Sprachgesetz formal nicht die Minderheiten betreffe, für welche demnächst ein eigenes Gesetz erlassen werde, das deren sprachliche Rechte garantieren würde. Dazu kam es allerdings bis heute nicht.

Im Frühjahr 1995 leitete die Regierung verschiedene Maßnahmen zur Kontrolle der Presse ein, die sich eine kritische Haltung bewahrt hatte. Ziel war, der Presse ihre wirtschaftliche Grundlage und Unabhängigkeit zu entziehen. Anfang 1996 wurde ein verschärftes Pressegesetz erarbeitet, das einer Zensur gleichkam. Zu diesem Zeitpunkt besaß die Regierung bereits ein Machtmonopol über das staatliche Fernsehen und den Rundfunk, deren Sendungen den propagandistischen Stil der kommunistischen Ära hatten. Im Verlauf des Jahres 1996 wurde das Gesetz zum Schutze der Republik verabschiedet, das die berüchtigten „Verleumdungsparagraphen" zur Verfolgung von Regimegegnern aus der kommunistischen Zeit reaktivierte. Ein HZDS-Vertreter erklärte, dies sei zum Schutz gegen jene bestimmt, „die sich den selbständigen Staat nicht wünschen und versuchen, gegen ihn vorzugehen". Damit hätte einer Kriminalisierung aller slowakischen und magyarischen Oppositionellen, sobald sie beispielsweise Autonomie forderten, nichts mehr im Wege gestanden. Nachdem der Präsident zweimal seine Unterschrift verweigerte, fehlte bei der erneuten Behandlung der Vorlage zum „Schutze der Republik" die Unterstützung der ZRS, die damit ihre Ablehnung der Wirtschafts- und Privatisierungspolitik zum Ausdruck bringen wollte.

Auch die neue Territorial- und Verwaltungsreform vom März 1996 galt als ein weiterer Schritt hin zur Machtsicherung und Minderung der magyarischen Rechte. Die SR wurde in acht Bezirke und 79 Kreise eingeteilt (doppelt so viele wie zuvor). Dabei wurden die neuen Bezirke und Kreise so zugeschnitten, daß in keiner der neuen Verwaltungseinheiten die ungarische Minderheit gemäß der Empfehlung 1201 des Europarats das Recht auf Selbstverwaltung beanspruchen könnte, d.h., auch in den fast homogenen ungarischen Gebieten fielen sie rein rechnerisch unter die festgelegte 30 Prozent-Grenze. Außerdem wurden die Verwaltungsgebiete, in denen die Opposition traditionell die Mehrheit hatte, um solche Gebiete vergrößert, die von der Regierungskoalition dominiert wurden. Dies war der Vorlauf zu einem neuen Wahlsystem, an dem die HZDS zu arbeiten begonnen hatte und das im Mai 1998 verabschiedet wurde.

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Polarisierung von Parteien und Gesellschaft

Sechs Jahre lang (mit Ausnahme der halbjährigen Übergangsregierung) wurde die SR durch die populistisch-autoritäre HZDS repräsentiert, dominiert durch die starke Persönlichkeit V. Meciars. Negativ ergänzt wurde die Bewegung von den extremen Positionen der Nationalpartei und der reformfeindlichen Arbeitervereinigung. Die Unberechenbarkeit dieser Regierungskoalition bestand darin, daß keine der Parteien einer internationalen politischen Struktur angehörte und deshalb als „Nichtstandard-Parteien" bezeichnet wurden, die durch ihr undemokratisches Verhalten antisystemisch wirken. Ihr politischer Stil - unvereinbar mit einer modernen Demokratie - ist auf Machterhalt und Konfrontation ausgerichtet. In der Öffentlichkeit bedienen sie sich in primitiver Art und Weise des Populismus, Nationalismus (HZDS und SNS) und Egalitarismus (ZRS). Gleichzeitig waren alle drei Parteien durch Traditionalismus und Antimodernisierungstendenzen sowie das Fehlen eines positiven politischen Programms gekennzeichnet. Bis heute können sie sich auf einen nicht genau abzuschätzenden Teil der Wähler stützen, der in markanter Weise staatspaternalistisch, autoritär und nationalistisch denkt.

Als Gegenpol steht die politisch sehr heterogene und wegen ihrer Unentschlossenheit und Uneinigkeit ziemlich lange auch schwache Parteienlandschaft der parlamentarischen Opposition. Sie war überwiegend demokratisch ausgerichtet und versuchte, die undemokratischen Maßnahmen der Regierungskoalition im Parlament zu bremsen, ohne dabei deren autoritäre Methoden zu übernehmen. Dazu war sie jedoch nicht imstande. Die bedeutendsten oppositionellen Kräfte waren drei slowakische Parteien der großen Koalition aus der Zeit der Übergangsregierung: die Christdemokratische Bewegung (KDH), die Demokratische Union (DU) und die postkommunistische Demokratische Linke (SDL). Die SDL hatte sich nach ihrer Wahlniederlage bewußt von der Politik der KHD und der DU distanziert und betrieb eine Doppelstrategie. Bei jedem Zerwürfnis der Regierungsparteien untereinander war sie bereit, der HZDS-Regierung beizutreten. Zum Oppositionslager gehörte noch die aus drei ziemlich unterschiedlichen Parteien der magyarischen Minderheit gebildete Ungarische Koalition (MK), die in schärfster Konfrontation zur Regierung stand. Obwohl sich die MK seit 1994 bemühte, der slowakischen Opposition näherzukommen, lehnte diese eine engere Zusammenarbeit ab. So war die Opposition entlang zweier Trennungslinien fragmentiert: durch die Beziehungen zwischen der MK und der slowakischen Opposition, wobei es um unterschiedliche Meinungen zur Lösung der Minderheitenfragen ging, und durch die Beziehungen zur SDL, die ein gemeinsames Vorgehen gegen die Regierung ablehnte.

Die konfliktive Spaltung der politischen Szene verursachte auch einen tiefen Graben in der Gesellschaft, der sich auf Wissenschaft und Kultur ausdehnte. Gemeint ist damit die Aufteilung in Anhänger und Gegner der Selbständigkeit, Hand in Hand mit Befürwortern und Gegnern der politischen und wirtschaftlichen Reformen und der Person Meciar. Diese Spaltung vertiefte sich, wenn es um die antimagyarische Politik und nationalistische Propaganda ging sowie um die Bejahung bzw. Ablehnung Meciars Regierungsstils und seiner Innen- und Außenpolitik. Anfangs, so schien es, war die Öffentlichkeit in Lethargie verfallen. Sobald aber die autoritären Praktiken aus dem Parlament in die Staatsorgane, in Bezirke, Städte und Gemeinden übergriffen, erhob sich in den Großstädten eine Welle des zivilen Widerstands. Zunächst in den Reihen der Künstler, Hochschullehrer und Studenten, dann in denen der Richter und der Kirche. Allmählich engagierte sich auch der sogenannte „Dritte Sektor" - nichtstaatliche Organisationen, Stiftungen und Bürgervereinigungen - an der Seite der Opposition. Im Zusammenhang mit der Wahlkampagne und der Vorbereitung auf die kommenden Wahlen organisierten sie Schulungen von Distriktwahlkommissionen und einheimischen Wahlbeobachtern (1746 Freiwillige) im ganzen Land, was als Wiedergeburt der civil society bezeichnet wurde.

Trotz autoritärer Regierungspolitik gab es von 1996 bis 1997 in den Wählerumfragen kaum Präferenzverschiebungen. Es war klar, daß die Opposition auch 1998 keinen Machtwechsel herbeiführen könnte, wenn sie nicht endlich eine gemeinsame Front bilden würde. Zu einer ersten Annäherung zwischen den Oppositionsparteien kam es 1996 in der „Blauen Koalition", ein Bündnis gegen die Regierung zwischen der KDH, der DU und der rechts-bürgerlichen Demokratischen Partei (DS), die bis dahin stets den Einzug ins Parlament knapp verpaßt hatte. Der „Blauen Koalition" schlossen sich noch zwei kleine linke Parteien an: die Sozialdemokratische Partei der Slowakei (SDSS) und die Partei der Grünen (SZ). Im Juni 1997 wurde aus diesem Konglomerat aus demokratischen und proeuropäischen Parteien die Wahlvereinigung Slowakische Demokratische Koalition (SDK).

Seit gemeinsamen Auftritten der Opposition in der Proreferendum-Kampagne vertiefte sich auch die Zusammenarbeit zwischen der slowakischen (mit Ausnahme der SDL) und ungarischen Opposition. Die SDK und MK waren daraufhin sogar zu einer programmatischen Annäherung bereit und unterzeichneten eine gemeinsame Erklärung. Darin lehnte die SDK jegliche Einschränkung der Minderheitenrechte ab; die Parteien der MK verpflichteten sich im Gegenzug, keine territoriale Autonomie auf ethnischem Prinzip zu verfolgen. Die Verteidigung der demokratischen Werte sowie eine proeuropäische und proatlantische außenpolitische Orientierung waren ein erster gemeinsamer Grundstein. Sogar die linksorientierte SDL schloß sich diesen Forderungen an. Erst der scharfe politische Kampf um das vereitelte Referendum im Mai hatte die Opposition zusammengebracht, so daß sie Anfang 1998 eine Anti-Meciar-Front bilden konnte.

Die Tatsache, daß die dritte Regierung Meciar die volle Wahlperiode im Amt blieb, trug nicht gerade zur politischen Stabilisierung der Slowakei bei. Acht Jahre nach dem Systemwechsel war es noch immer zu keiner Konsolidierung der demokratischen Institutionen gekommen. Dennoch konnte man im Zusammenhang mit der SR bereits von einer wenn auch instabilen Demokratie sprechen, weil grundlegende demokratische Institutionen existierten, auch wenn ihre Arbeit erschwert oder in einigen Fällen durch Entscheide der Regierung Meciar behindert wurde. Die entscheidenden Konflikte zwischen Staatspräsident und Regierung, zwischen Präsident und Parlament, zwischen Parlament und Verfassungsgericht und zwischen Regierung und der größten Gewerkschaftszentrale hingen mit dem Streben der Regierungskoalition nach Sicherung bzw. Festigung ihrer Machtposition zusammen. Die Zentralisierung der Macht führte dazu, daß die sich schrittweise herausbildenden demokratischen Selbstverwaltungsorgane entmachtet wurden. Der demokratische Transformationsprozeß im Staat, in der Gesellschaft und der Wirtschaft blieb auf dem halben Wege stecken. Durch das autoritäre Gebaren der Regierung und die totalitären Methoden aus kommunistischer Zeit wurde die junge Demokratie ausgehöhlt.

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Machtwechsel 1998 - Wahlergebnisse und Parteienprofile

Seit 1997 belegten Wahlprognosen eine reale Chance für den überfälligen Machtwechsels. Schwindender Zuspruch veranlaßte die Regierung Meciar, vier Monate vor den regulären Parlamentswahlen (25. bis 26. September 1998) die Oppositionsparteien durch eine Änderung im Wahlrecht gegeneinander auszuspielen. Meciar senkte die Sperrklausel von 7 Prozent auf 5 Prozent. Damit wollte er die Einheit der beiden oppositionellen Wahlblöcke, der SDK und der MK, zerschlagen. Die Opposition reagierte auf diesen Schritt mit der Umwandlung der Wahlbündnisse in Parteien. Das Erstarken der SDK schreckte Meciar von der Absicht zurück ein Mehrheitswahlsystem einzuführen. Gleichzeitig hinderte das Wahlrechtsänderungsgesetz vom Mai 1998 private und lokale Rundfunk- und Fernsehstationen, an der Wahlkampagne teilzunehmen bzw. über sie zu berichten. Außerdem wurden Kompetenzen von der Zentralen Wahlkommission auf das Innenministerium verlagert, womit eine Kontrolle der Ergebnisse nicht mehr gewährleistet war. Das oppositionelle Lager prangerte dieses Vorgehen als offene Wahlmanipulation an. Auch Vertreter der EU, der USA und der OSZE übten scharfe Kritik. Dies führte zu der Entsendung unabhängiger internationaler Wahlbeobachter. Die OSZE erklärte später den Verlauf und die Ergebnisse der Wahlen als demokratisch. Scharf kritisiert dagegen wurde die nicht gewährleistete Neutralität der Wahlkampagne im Fernsehen und im Rundfunk, da die staatlichen Programme eine einseitige Propaganda zugunsten der Regierungsparteien und des Premiers betrieben und eine feindselige Kampagne gegen die Opposition führten.

Obwohl 17 Parteien mit unterschiedlichen Programmen und Visionen zur Wahl zugelassen waren, wurde bei den Parlamentswahlen von 1998 nur über eine einzige Frage abgestimmt: „Sind sie für oder gegen Meciar?" Welche Bedeutung die Slowaken der Antwort beimaßen, wird schon mit der rekordverdächtigen Wahlbeteiligung von mehr als 84 Prozent deutlich (zum Vergleich: 1994 lag sie bei 75,6 Prozent). Diese Wahl hatte eine ähnliche Schlüsselbedeutung wie die ersten freien Wahlen 1989, als es um den Sturz der alleinherrschenden Kommunistischen Partei (KP) ging.

Meciars heterogene Bewegung für eine demokratische Slowakei (HZDS) blieb mit 27 Prozent der Stimmen und 43 von 150 Sitzen im Slowakischen Nationalrat stärkste Fraktion. Und das trotz Einbußen von 8 Prozent und 18 Mandaten sowie einem nur hauchdünnen Vorsprung gegenüber ihren Herausforderern. Die Niederlage der Regierungskoalition wurde auch dadurch hervorgerufen, weil die ehemals zum Kabinett gehörende Arbeitervereinigung ihre 1994 erzielten 13 Mandate einbüßte und mit nur 1,3 Prozent der Stimmen nicht mehr ins Parlament einzog. Die politische Führung der HZDS bestand weiterhin im wesentlichen aus Aktivisten des „Prager Frühlings" von 1968, aus Reformkommunisten des 1988 gegründeten „Obroda"-Klubs, aus nichtreformorientierten aktiven KP-Mitgliedern bis 1989 und aus Nationalisten. Sie stellte sich als eine Bewegung der politischen Mitte dar, tatsächlich blieb sie eine populistisch-nationalistische Partei, die autoritatives Gehabe, Klientelismus, Zentralismus und Etatismus praktizierte. In ihrer Politik kamen zudem isolationistische und antiwestliche Tendenzen zum Ausdruck. Weil sie ihrer Natur nach eine „Führer"-Partei ist, konnte Meciars politischer Stil auch weiterhin ihre Politik bestimmen.

Dicht hinter der HZDS behauptete sich als stärkste Gruppe der Opposition, die Slowakische Demokratische Koalition (SDK) unter ihrem Vorsitzenden M. Dzurinda mit 26,3 Prozent und 42 Mandaten. Sie besteht aus fünf politisch unterschiedlichen Parteien, die nach der Wahlgesetzänderung gezwungen waren, sich in eine Partei umzuwandeln:

Die stärkste und stabilste Gruppe ist die seit 1990 im Parlament vertretene Christlich-Demokratischen Bewegung (KDH), deren Mitglieder der römisch-katholischen Kirche angehören. Nachdem sie sich von radikal nationalen und sozial populistisch orientierten Politikern trennte, gewann sie ein zunehmend rechtskonservatives Profil. Elemente eines anachronistischen Konservatismus sind jedoch noch immer in der Person des KDH-Vorsitzenden, des Ex-Premiers J. Carnogursky, zu finden. Kritische Position bezieht die KDH gegenüber dem politischen Liberalismus, was den ökonomischen Liberalismus allerdings ausnimmt.

Die Demokratische Union (DU) unter E. Kukan, 1994 aus zwei Abspaltungen der HZDS mit zentristischer Ausrichtung unter dem Ex-Premier J. Moravcík gegründet, tritt nun für traditionell liberale Werte ein. Die DU wurde durch ihr Programm und einige bekannte Persönlichkeiten sowie Experten, die schon in der Regierung der großen Koalition mitgearbeitet hatten, für viele Wähler attraktiv. Im Unterschied zur KDH, die vorwiegend von der Landbevölkerung gewählt wird, zieht die DU Wähler mit einem Fachhochschul- oder Universitätsabschluß an.

Die kleine bürgerlich-konservative Demokratischen Partei (DS) unter J. Langos war 1990-1992 an der Regierungskoalition in der CSFR beteiligt, verpaßte jedoch seither stets den Einzug ins Parlament. Die sehr schwache Sozialdemokratische Partei der Slowakei (SDSS) unter J. Volf unterscheidet sich durch die nichtkommunistische Vergangenheit ihrer Mitglieder von der SDL unterscheidet. Schließlich gehört noch die Partei der Grünen (SZ) unter Z. Tóthová zu diesem Bündnis.

Als drittstärkste politische Kraft zog die Partei der Demokratischen Linken (SDL) unter J. Migas mit 14,6 Prozent und 23 Mandaten ins Parlament ein. 1991 ging sie aus einer der Nachfolgeparteien der slowakischen KP hervor. Im Gegensatz zur tschechischen Nachfolgepartei, die sogar ihren alten Namen beibehielt, entledigte sich eine jüngere, pragmatische und relativ gut ausgebildete „Perestrojka"-Generation auf viel radikalere Weise ihrer Dogmatiker. Auf der Suche nach einer neuen politischen Identität und um den diskreditierenden Einfluß der KP zu überwinden, leitete die SDL einen Prozeß der „Sozial-Demokratisierung" ein und versuchte, sich den Resten des linken Populismus zu entledigen. Inzwischen ist sie Mitglied der Sozialistischen Internationale und wandelt sich allmählich zu einer modernen sozialdemokratischen Partei. Charakteristisch für die SDL ist ihre begrenzte Unterstützung wirtschaftlicher Reformen durch Reduzierung der Sozialausgaben sowie ihr Widerstand gegen den Abbau staatlicher Regulierungsmechanismen. Seit 1997 und dem Zerfall der Wahlkoalition von 1994 bildete sie eine selbständige Fraktion mit 13 Parlamentariern. Aufgrund des Images, sehr sachkompetente Leute in ihren Reihen zu haben, konnte sie ihre Position ausbauen. Sie wurde für die eigentliche Wahlsiegerin gehalten, weil ohne ihre Teilnahme praktisch keine stabile Regierung gebildet werden konnte.

Auf Rang vier folgte die Partei der Ungarischen Koalition (SMK) unter B. Bugár mit 9,1 Prozent und 15 Mandaten, in der drei Parteien der magyarischen Minderheit nach heftigen Auseinandersetzungen im Juni 1998 wegen des neuen Wahlgesetzes fusionierten. Im Unterschied zur SDK wurden die ursprünglichen Parteien aufgelöst bevor die neue Partei gebildet wurde. Die SMK besteht aus dem Zusammenleben (ESWS) unter M. Duray, aus der gemäßigten, seit 1992 parlamentarischen Ungarischen Christlich-Demokratischen Bewegung (MKDH) von B. Bugár und aus der liberalen Ungarischen Bürgerpartei (MOS) von L. Nagy. Ihre Tätigkeit konzentriert sich vor allem auf die Stellung der magyarischen Minderheit und die Einbindung der SR in internationale Verträge, die Minderheitenrechte betreffen. Die auf Konfrontation und Diskriminierung angelegte Regierungspolitik unter Meciar trug bereits 1994 zur Bildung des Wahlbündnisses MK bei.

Die radikal-nationalistische Slowakische Nationale Partei (SNS) von J. Slota konnte ihr Ergebnis von 1994 fast verdoppeln. Sie erzielte neun Prozent der Stimmen und 14 Mandate. Seit ihrer Neugründung 1990, nachdem sie ihr Ziel - den selbständigen Staat - erreicht hatte, konzentrierte sie sich auf die Rehabilitation des faschistischen slowakischen Staates (1939-1944), die Durchsetzung des Slowakischen als Amts- und Unterrichtssprache und auf die demagogische Stärkung des Patriotismus in neuen Schulbüchern. Sie verbindet rechte Rhetorik mit extremen xenophoben und nationalistischen Ansichten (gegen Magyaren und Roma) mit einer linksgerichteten praktischen Politik. Entsprechend antieuropäisch ist die SNS eingestellt.

Der im April 1998 neu gegründeten Partei der bürgerlichen Verständigung (SOP) gelang auf Anhieb mit acht Prozent und 13 Mandaten der Einzug ins Parlament, angeführt von dem Karpatendeutschen Bürgermeister der westslowakischen Stadt Kosice R. Schuster und dem Ex-Außenminister P. Hamzík. Ihre Namen sind Programm - sie stehen für ein konfliktfreies Zusammenleben der Slowaken mit den Minderheiten und wollen die künstlich herbeigeführte Polarisierung der Gesellschaft auflösen. Die gemäßigt linke Ausrichtung, lehnt die Politik der HZDS ab und tritt für die Westintegration ein, womit sie den Anti-Meciar-Block stärkt.

Die Wahlen bewirkten einen Machtwechsel, der über einen neuen Charakter und eine veränderte Ausrichtung des Landes entschied. Vier demokratische Oppositionsparteien gewannen mit zusammen 93 Mandaten von 150 Sitzen eine für Verfassungsänderungen notwendige Dreifünftelmehrheit. Das Wahlergebnis zeigte den Willen der Slowaken, an der Demokratie festzuhalten, und spiegelt den Wunsch wider, den Weg ins demokratische Europa fortzusetzen, von dessen politischer Kultur sich das Land unter Meciars Regierung immer weiter entfernt hatte.

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Transformation der Parteilandschaft

Die Entwicklung der politischen Szene der Slowakei war durch starke Dynamik, Aufspaltungsprozesse und ständige Neugruppierung der politischen Kräfte gekennzeichnet, die im Frühjahr 1994 ihren Höhepunkt fanden und bis heute nicht abgeschlossen sind. Wegen der verspäteten Formierung des üblichen politischen Schemas Konservatismus (Christdemokraten) einerseits und Liberalismus/Sozialismus (Sozialdemokraten) andererseits, waren die dazugehörenden Parteien im Parlament unausgewogen vertreten.

Die traditionelle Einordnung der Parteien nach dem Links-Mitte-Rechts-Schema reicht für das Verständnis der politischen Realität in der SR nicht aus. Das hängt u.a. damit zusammen, daß die Einordnung der Parteien nicht möglich ist. Die HZDS beispielsweise hat seit ihrer Gründung mehrmals den politischen Kurs geändert. Die Formulierung der Verfassung und die Bildung der selbständigen Republik zwangen die „sezessionistischen Parteien", ihr Profil neu zu bestimmen. Das betraf vor allem die SNS, da sie mit der Erfüllung des programmatischen Ziels die Grundlage ihrer Identität verlor. Aber auch andere parlamentarische Parteien waren lange Zeit nicht ausreichend eindeutig profiliert. Erst Ansichten zur Wirtschaftstransformation und Kontroversen über die Grundstruktur des Regierungssystems, die vor allem durch Meciars Ambitionen ausgelöst wurden, schärften ihre Profilierung und Parteiprogramme. Außerdem verläuft die Trennungslinie nicht zwischen Links und Rechts. Die Politik der Regierungen Meciars führte zu unversöhnlichen Gegensätzen in der Parteilandschaft, die sich zum Instabilitätsfaktor entwickelten, der bis heute nicht überwunden wurde.

Zum slowakischen Spezifikum gehört deshalb, daß sich das System der politischen Parteien sehr bald in zwei unversöhnliche politische Lager spaltete, die sich durch gesellschafts-politische und in manchen Fällen auch kulturell-zivilisatorische Orientierungen unterscheiden. Zuerst bestand die Konfliktlinie zwischen den Föderalisten versus Sezessionisten und ihrer unterschiedlichen Position zur Unabhängigkeit. Nach der Staatsgründung verlagerte sie sich auf Themen wie Wirtschaftstransformation und Privatisierung, mithin auf die allgemeine Ebene Traditionalismus versus Modernität. Dieser Konflikt hängt eng mit der soziokulturellen Struktur der Bevölkerung zusammen, der Differenz zwischen Stadt, Land und Bildungsstand, die die Bürger in Anhänger von Autoritarismus und Staatspaternalismus contra Liberalismus und Marktwirtschaft teilt. Hinzu kommen die ethnische Trennung zwischen Slowaken und Ungarn sowie der unterschiedliche Ausprägungsgrad einer demokratischen politischen Kultur bei den politischen Eliten und in der Bevölkerung. Das spiegelt sich wider im unterschiedlichen Demokratieverständnis westlichen Typus, in der Beziehung zum Konstitutionalismus, zu Prinzipien des Rechtsstaats und im politischen Stil der Akteure. Daraus ergab sich die bestehende Spaltung der politischen Landschaft in nationalistisch-populistische, autoritäre Parteien und bürgerlich-demokratische Parteien, die bereits klare Profile aufweisen und sich in die Links-Rechts-Skala einpaßten.

Die Bildung der SDK war die bedeutendste Veränderung in der Parteienlandschaft seit 1994, weil sie eine Verschiebung im Kräfteverhältnis der politischen Parteien und der Wählerschaft bedeutete. Durch den Schulterschluß und die gegenwärtige Regierungskoalition der ehemaligen Oppositionsparteien wurde jedoch die links-rechts Parteienidentifikation beiseite geschoben und statt dessen der Kampf der Pro- und Anti-Meciar-Kräfte forciert.

Die Fünf-Prozent-Sperrklausel des Verhältniswahlrechts wirkte sich bei den Wahlgängen als Filter in dem Sinne aus, daß 1994 zwar im Gegensatz zu 1992 nur die Hälfte der eingetragenen Parteien zum Wahlkampf angetreten sind, aber die meisten von ihnen Koalitionen gebildet haben oder auf den Kandidatenlisten größerer Parteien zu finden waren. Das machte die Parteilandschaft unübersichtlich. Gelangten 1994 offiziell sieben politische Zusammenschlüsse in den Slowakischen Nationalrat, so waren es in Wirklichkeit 13. Gegenwärtig sind dort sechs Parteien vertreten, die jedoch tatsächlich aus zwölf Parteien bestehen.

Die politischen Veränderungen von 1998 könnten eine allmähliche Konsolidierung und weitere Profilierung aller parlamentarischen Parteien erlauben. Der lang prophezeite Zerfall der heterogenen HZDS ist nicht auszuschließen. Dabei könnte die Bewegung an den extremistischen Rand abgedrängt werden. Unklar ist auch, was in Zukunft aus der fusionierten Ungarischen Partei wird, wenn Entscheidungen auf unterschiedlichsten Gebieten der Regierungsarbeit über die ethnische Zugehörigkeit anstehen. Ob sich jemals die slowakischen Konservativen mit den ungarischen Konservativen vereinigen werden scheint mehr als fraglich. Die ebenfalls heterogene SDK wird vermutlich wieder in ihre fünf Gründungsparteien zerfallen (die DS, SDSS und SZ würden damit jedoch an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern). Das könnte die Stabilität der Regierung erschüttern, aber nicht unbedingt die Zusammenarbeit der Rechten, weil die Formation KDH-DU-DS mindestens seit der „Blauen Koalition" von 1996 besteht. Gäbe es nicht die Probleme um die Formierung der SDK, wäre sie der stabilste Block der Regierungskoalition.

Dagegen sind Verschiebungen innerhalb des linken Spektrums zu erwarten. Das kleine Mitglied der SDK, die Sozialdemokratische Partei, führte bereits Annäherungsgespräche mit der SOP und SDL. Bei der neugegründeten SOP werden Veränderungen erwartet, nachdem ihre „Gallionsfigur" Schusters den Präsidentenposten erhalten hat. Obwohl ihre Führung links orientiert ist, findet man unter ihren Mitgliedern überwiegend Unternehmer. Bei der Formierung der Linken dürfen auch die HZDS-Parlamentarier nicht vergessen werden, die lieber heute als morgen zu einer der Regierungsparteien überwechseln würden. Zusammenfassend kann man den Zustand des Parteiensystems der SR als unvollendet bezeichnen.

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Die Regierung M. Dzurinda - eine Koalition von Koalitionen

SDK, SDL, SMK und SOP, die zusammen 93 Abgeordnete stellen - also eine Dreifünftelmehrheit im Parlament - trafen sich direkt nach den Wahlen am Runden Tisch und unterzeichneten ein vorläufiges Koalitionsabkommen. Vier Wochen nach den Wahlen, am 30. Oktober 1998, konnte die aus 19 Mitgliedern bestehende vierte slowakische Regierung (seit der Selbständigkeit) unter dem christdemokratischen Vorsitzenden der SDK, Mikulás Dzurinda, vereidigt werden. Im neuen Kabinett übernahm die SDK acht, die SDL sechs, die SMK drei und die SOP zwei Ressorts. Der neue Ministerpräsident kündigte die Eckpfeiler des Regierungsprogramms an: Wiederaufbau einer glaubwürdigen Demokratie, Sanierung der Wirtschaft und Ausweg aus der von der Regierung Meciar verschuldeten internationalen Isolation.

Bei der Besetzung parlamentarischer Ausschußsitze beteiligten die Regierungsparteien die Opposition, damit sich die undemokratischen Verhältnisse der Meciar-Ära nicht wiederholten. Bald folgten auch Umbesetzungen bei den öffentlich-rechtlichen Medien und anderen Institutionen. Als weiteres positives Zeichen auf dem Demokratisierungsweg wurde die Beteiligung der SMK an der Regierung gesehen. Leider vergrößert die Einbeziehung der Magyaren die Angriffsfläche für die aus den Wahlen gestärkt hervorgegangenen nationalistischen Kräfte. Doch es sollte ein Signal für das Ausland sein, daß die unter Meciar in Verruf geratene Minderheitenpolitik künftig kein Problem darstellen würde. Daß es nicht so einfach ist, zeigt die gegenwärtige Kontroverse um das von der EU angemahnte Sprachgesetz für Minderheiten. Die Tatsache, daß den EU-Experten zwei Gesetzesvorlagen vom stellvertretenden Premier L. Fogas (SDL) und P. Csáky (SMK) vorgelegt werden konnten, zeigt einerseits, wie problematisch die Kooperation mit der Linken in diesem brisanten Punkt ist und andererseits, wie schwer die Verständigung zwischen den Slowaken und Ungarn fällt. Die SMK droht damit, das Sprachgesetz im Parlament nicht zu unterstützen. Aber welchen Sinn hätte ein Gesetz über die Minderheiten ohne die Unterstützung der Minderheitenvertretung? Von einem baldigen und erfolgreichen Abschluß dieser Problematik hängt es wesentlich ab, ob es zur Beruhigung der nationalistischen Stimmungen kommt.

Die Wahlen hatten eine „Koalition von Koalitionen" an die Regierung gebracht. Diese in erster Linie als Anti-Meciar-Front entstandene Viererallianz wird eigentlich aus zehn Parteien gebildet. Da die neue Regierung aus einer Kombination unterschiedlicher Richtungen, ja politischer Gegensätze gebildet wurde (SDL und SOP haben einen linken Standpunkt, während SDK und SMK eher den konservativen vertreten), steht sie des öfteren innenpolitisch vor einer Zerreißprobe. In dem Dreivierteljahr ihrer Regierungszeit zeigte sich bereits, wie schwer sie sich tut, in Sachfragen einen gemeinsamen Nenner zu finden, um zügig handeln zu können. Die Gefahr, daß die Koalition angesichts der wirtschaftlich angespannten Lage zerbricht, ist sehr groß. Spannungen ergaben sich bereits bei der Vorbereitung zum Haushalt, als die Demokratische Linke die notwendigen Sparmaßnahmen nur widerwillig mitzutragen bereit war. Der erste Bruch drohte allerdings seitens der SMK, die wegen Kürzung der versprochenen Förderung für Minderheitenkultur aus der defizitären Staatskasse sowie eines Streits um die personelle Zuständigkeit für den sog. Grundstückfonds die Koalition aufkündigen wollte. Konfliktträchtige Reibereien bestehen auch mit der SDL, die klar betonte, wie erfreut sie über eine Koalition ohne die Beteiligung der Magyaren wäre. In der Presse wurde vermutet, daß es der SDL um die Erweiterung ihres Einflusses ging, der in einer Dreierallianz allemal größer wäre als in einem Viererbündnis mit der SMK, die dazu noch das Mitte-Rechts-Lager innerhalb der SDK politisch stärkt. Auf Druck der SDK und SOP mußte die SDL schließlich ihre Aussagen gegenüber dem Ungarnblock zurücknehmen. Eine Koalition nur aus SDK-SDL-SOP besäße zwar die knappe Mehrheit von 78 Mandaten im Parlament, ohne die 15 Abgeordnete der SMK würde sie allerdings nicht zu Verfassungsänderungen reichen. Gesetze aus der Meciar-Ära zu revidieren, ist aber eine der Hauptaufgaben der Koalition.

Die Verständigung wird noch zusätzlich durch die innere Vielfalt der SMK und SDK erschwert. Der Einigungsprozeß innerhalb der Opposition zur SDK, deren Zerrissenheit die Stärke ihres Gegners war, kann als Akt selbst auferlegter politischer Disziplin gelten. Spannungen herrschen zwischen den Flügeln um den Premier und den Justizminister Carnogursky, beide Christdemokraten. Dzurinda tritt für den Parteienzusammenschluß innerhalb der SDK ein bzw. für eine doppelte Mitgliedschaft (in der Mutterpartei und der SDK). Carnogursky ist gegen eine Auflösung der KDH und lehnt auch die doppelte Mitgliedschaft ab. Seit der Regierungsübernahme war Carnogursky stets um die öffentliche Wahrnehmung der KDH-Positionen bedacht. Es ist eine Frage der Zeit, bis die künstlich entstandene Partei wieder in ihre Glieder zerfällt. Nur das Kabinett bleibt scheinbar unberührt von diesen Querelen und hält zusammen.

Ein weiteres Problem der politischen Entwicklung in der SR findet sich im destruktiven Verhalten der Opposition. Bei der NATO-Bombardierung in Jugoslawien wurde von der HZDS und SNS in einer panslawistischen Solidarisierung mit Serbien das „Feindbild NATO" geschürt. Der charismatische Volkstribun Meciar scheute nicht davor zurück, die Betroffenheit der Menschen geschickt für seine Wahlkampagne zu nutzen. Doch auch die derzeitige Regierung muß lernen, ihren konfrontativen Kurs gegenüber der Opposition zu begrenzen.

Der erste Schritt der neuen Regierung galt der Lösung der seit März 1998 schwelenden Verfassungskrise. Das Präsidentenamt war seit dem Ausscheiden von Michal Kovác wegen der gegenseitigen Blockade im alten Nationalrat unbesetzt geblieben. Nach einer Verfassungsänderung konnte jetzt das Staatsoberhaupt vom Volk direkt gewählt werden, was mehrheitlich dem Wunsch der Slowaken entsprach. Die Koalition einigte sich als Kandidaten auf den Vorsitzenden der SOP, Rudolf Schuster. Er gewann in der zweiten Runde der Präsidentenwahl am 29. Mai 1999 mit einem Vorsprung von rund 14 Prozent vor Meciar, der kurz vor der Wahl in die Politik zurückgekehrt war. Schuster verkörpert eine weltgewandte Offenheit, trotz seiner kommunistischen Vergangenheit als langjähriger hoher Provinzfunktionär. Zum Ziel setzte er sich eine Versöhnung in der Gesellschaft und die Förderung der Zusammenarbeit mit den Nachbarländern und dem Ausland.

Des weiteren begann die Regierung, Skandale der Meciar Ära juristisch aufzurollen. Betroffen waren auch höchste Stellen wie z. B. der frühere Innenminister G. Krajcí, der für die Vereitelung der Volksabstimmung vom Mai 1997 angeklagt wurde, der Chef des Geheimdienstes I. Lexa, der in die Entführung des Präsidentensohnes verwickelt war und verbrecherische Machenschaften des Geheimdienstes (SIS) zu verantworten hat. Es wurde aufgedeckt, daß der SIS nicht nur eng mit Moskau zusammenarbeitet hatte, sondern Aktionen gegenüber den Nachbarstaaten der Slowakei vorbereitet habe. So sollte u. a. das deutsch-österreichische Verhältnis gestört werden oder die tschechische NATO-Mitgliedschaft verhindert werden. Auch Übergriffe auf Roma in Tschechien waren geplant, um Prag außenpolitisch in Verruf zu bringen.

Schusters Sieg und die Ergebnisse der Kommunalwahlen von November 1998 werden als eine Bestätigung der veränderten Machtverhältnisse in der SR interpretiert. Diese werden auch durch Meinungsumfragen (Anfang 1999) bestätigt, die z. B. das Vertrauen der Bevölkerung in die Verfassungsorgane untersuchten. Ergebnis war, daß Regierung und Parlament deutlich an Vertrauen gewonnen haben. Ungefähr 55 Prozent der Bevölkerung unterstützen die beiden Institutionen. Etwa 34 Prozent lehnten sie ab. Auch das Verfassungsgericht konnte seinen Vertrauensbonus von 60 Prozent halten. Premier Dzurinda ist als Integrationsfigur des Koalitionsblocks beliebtester Politiker. Meciar, an dem 70 Prozent der HZDS-Wähler festhalten, bleibt trotz seiner sechsmonatigen politischen Abstinenz ein ernstzunehmender Gegner.


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