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1. Zur Geschichte

Die Entwicklung der bundesstaatlichen Finanzordnung seit den Beratungen des Parlamentarischen Rates läßt sich als die einer fortschreitenden Unitarisierung, verbunden mit einem immer weitergehenden interregionalen Ausgleich, beschreiben. Dieses unter normativen Gesichtspunkten als eine Fehlentwicklung zu interpretieren, verkennt die historisch bedingten Gegebenheiten. Der Parlamentarische Rat vertrat unter dem Eindruck der Nachkriegsnot ein unitarisches bedarfsorientiertes Finanzverteilungsmodell. Im Interesse der Rechts- und Wirtschaftseinheit im Bundesgebiet wies er die konkurrierende Gesetzgebung für alle nennenswerten Steuern dem Bund zu (Art. 105 Abs. 2 GG i.d.F. 1949). Föderale Vielfalt oder Wettbewerb unter den Ländern konnten angesichts der Teilung Deutschlands in Zonen, die im Westen mit der Gründung der Bundesrepublik überwunden werden konnte, als Ost-West-Spaltung aber bestehen blieb, kaum als sinnvolles politisches Ziel gelten. Dazu kamen die unterschiedlichen Belastungen der Länder durch die Kriegsfolgen. Diese Lasten galt es, – zumindest erst einmal in Westdeutschland – gemeinsam zu tragen. In diesem Sinne war das Streben nach einheitlichen Lebensbedingungen auch ein Ausdruck des Bewußtseins, daß die neue Bundesrepublik als Ganzes eine Schicksalsgemeinschaft in der Nachkriegsnot sei. Darin hatte das Postulat der Verwirklichung einheitlicher Lebensverhältnisse 1948/49 seinen Sinn.

Diesem Ziel sollte auch die vom Parlamentarischen Rat ursprünglich vorgesehene Verteilung der Steuererträge dienen. Sie war bedarfsorientiert, nicht aufkommensorientiert angelegt und wies mit der heutigen Verfassungslage einige bemerkenswerte Ähnlichkeiten auf: In einem großen Steuerverbund sollten die Einkommen- und Körperschaftsteuer sowie die Umsatzsteuer zusammengefaßt und durch ein Finanzausgleichsgesetz zwischen Bund und Ländern aufgeteilt werden. Im übrigen sollten die Länder im wesentlichen die Erträge der direkten, der Bund die der Verkehr- und Verbrauchsteuern erhalten. Für bestimmte den Ländern zufließende Steuern oder Steueranteile waren Bedarfsschlüssel wie Zahl der Einwohner oder die Straßenlänge vorgesehen. Dieses Konzept scheiterte allerdings am Widerstand der Alliierten. Das Grundgesetz beauftragte daher den Bundesgesetzgeber, bis zum 31. Dezember 1952 die „endgültige Verteilung der der konkurrierenden Gesetzgebung unterliegenden Steuern auf Bund und Länder" vorzunehmen (Art. 107 GG i.d.F. 1949). Das geschah dann im Zuge der Finanzreform von 1955.

Die wiederholt aufgestellte Behauptung, die Grundgesetzfassung von 1949 wollte die Steuererträge nach dem Trennsystem verteilen, ist nur vordergründig richtig. Nachdem im Streit mit den Alliierten der große Steuerverbund nicht verwirklicht werden konnte, wurde zwar formal ein Trennsystem eingeführt, aber Art. 106 Abs. 3 GG i.d.F. 1949 erlaubte dem Bund, durch zustimmungspflichtiges Bundesgesetz Teile der Einkommen- und Körperschaftsteuer in Anspruch zu nehmen und damit faktisch einen kleinen Steuerverbund zu schaffen. Seit 1951 machte der Bund davon Gebrauch, 1955 wurde der Steuerverbund verfassungsrechtlich vorgeschrieben.

Bereits 1950, dem ersten Rechnungsjahr der Bundesrepublik, war offensichtlich, daß unter den gegebenen Bedingungen nicht alle Länder in der Lage waren, die ihnen obliegenden Aufgaben aus eigener Kraft zu erfüllen. Zwar waren durch die Übertragung der Besatzungs- und Kriegsfolgelasten auf den Bund die Finanzprobleme der schwächsten Länder entschärft worden, jedoch nicht in dem Maße, daß auf einen weiteren Ausgleich verzichtet werden konnte. Er begann – gemessen an den heutigen Quoten – sehr bescheiden: Die Hälfte der an 90 % des Durchschnitts fehlenden Finanzkraft sollte ausgeglichen werden. Die „ärmsten" Länder erreichten damit lediglich eine Finanzkraft von etwa 75% des Durchschnitts. Erst 1955 wurde eine Mindestauffüllung beschlossen, die damals – in Abgrenzung des Finanzausgleichsgesetzes – 88,75 % des Durchschnitts entsprach. Schrittweise wurde sie angehoben bis auf 95 %, die 1970 erreicht wurden. Dazu kamen ab 1970 die Bundesergänzungszuweisungen (BEZ). In den Jahren 1970 und 1971 beliefen sich die BEZ auf jeweils 100 Millionen DM, ab 1974 wurden sie dynamisiert und auf 1,5 %, ab 1998 auf 2 % des Umsatzsteueraufkommens festgeschrieben, zahlbar aus dem Anteil des Bundes. Ab 1995 wurde die Bindung an das Umsatzsteueraufkommen aufgehoben und das BEZ-Volumen durch die nach Länderfinanzausgleich verbleibenden Fehlbeträgen und anderen Bedarfsgesichtspunkten definiert. Seitdem wird durch die BEZ die Finanzkraft der „armen" Länder auf 99,5 % des Durchschnitts angehoben. Dazu wurden 1997 insgesamt 5,2 Mrd. DM verwandt. Außerdem wurden den finanzschwachen Ländern 1997 – außer den Sonder-BEZ für die neuen Länder – noch knapp 6 Mrd. DM für diverse Sonderbedarfe zugewiesen. Dazu kommen noch diverse Mischfinanzierungstatbestände, auf die hier nicht näher eingegangen wird.

Wie ist es dazu gekommen, welches sind die Gründe?

Diese Entwicklung hin zu einer hohen Angleichung der Finanzausstattung der Länder ist die logische Konsequenz der zunehmenden sachlichen Unitarisierung der Gesetzgebung durch den Bund und der Politikkoordinierung der Länder untereinander. Bei den Weichenstellungen 1948/49 im Parlamentarischen Rat, 1968/69 bei der Finanzverfassungsreform und 1992/93 bei den Solidarpaktverhandlungen galt die Schaffung von einheitlichen Lebensbedingungen als politisches Leitbild: Auf die Handlungsmotive 1948/49 wurde hingewiesen. 1968/69 ging es um die Reform des gesamtstaatlichen Handlungsinstrumentariums im Sinne der Globalsteuerung, verbunden mit dem Ziel der Modernisierung der öffentlichen Infrastruktur, 1992/93 stand der Anspruch der neuen Länder und ihrer Bürger auf Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West im Mittelpunkt der Verhandlungen.

Diese Weichenstellungen hin zur Unitarisierung erfolgten nicht zufällig, sondern sind in hohem Maß auch Ausdruck der deutschen Parteiendemokratie, für die nicht erst neuerdings, sondern seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gesamtstaatlich orientierte Integrationsparteien typisch sind. Die Einbindung der Landesregierungen in bundespolitische Entscheidungen verstärkt diese Tendenz.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2000

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