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2. Zur Funktion der Finanzverfassung im deutschen Föderalismus

Diese hier nur kurz angesprochene Entwicklung hin zum „unitarischen Bundesstaat", wie ihn Konrad Hesse bereits 1962 nannte, kann nicht allein aus den jeweiligen historischen Herausforderungen und deren Bewältigung erklärt werden. Vielmehr hatten diese politischen Prozesse ihre institutionelle Grundlage in einem besonderen Strukturelement des deutschen Föderalismus, nämlich in der funktionalen Aufgabenteilung.

Im Unterschied zu vielen anderen Föderationen dominiert im deutschen Bundesstaat seit 1871 nicht die föderale Aufgabenteilung nach Politikfeldern, typisch für ihn ist vielmehr die Aufgabenteilung nach Funktionen: Die öffentliche Aufgabenwahrnehmung wird weitgehend vom Bund durch seine Gesetzgebungskompetenzen (Art. 73 ff. GG) definiert, die Bundesgesetze werden in weitem Umfang von den Verwaltungen der Länder vollzogen (Art. 83 ff. GG) und entweder von den Ländern, dem Bund oder beiden gemeinsam finanziert (Art. 91 a, 91 b, 104 a GG). Eine „institutionelle Kongruenz", das Zusammenfallen von Veranlassen, Ausführen und Finanzieren einer staatlichen Aufgabe ist im Bereich der Innenpolitik eher die Ausnahme als die Regel.

Die funktionale Aufgabenteilung – der Bund definiert die staatlichen Aufgaben, die Länder führen sie aus und finanzieren sie größtenteils – hat Konsequenzen. Auf vier soll hier eingegangen werden:

  • Zum ersten folgt aus der umfangreichen bundesgesetzlichen Regulierung, ergänzt um weitgehend einheitliche Standards in zentralen Bereichen der Landesgesetzgebung wie beispielsweise Bildung und innere Sicherheit, eine im wesentlichen einheitliche Aufgabenwahrnehmung. Das vielfach diskutierte Prinzip der „Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet", wie es in der alten Fassung Art. 72 Abs. 2 GG hieß, ist zu einem erheblichen Teil die logische Folge der funktionalen Aufgabenteilung.

  • Zum zweiten folgt aus dem Umstand, daß der Bundesgesetzgeber weitgehend die Aufgaben der Länder definiert, geradezu zwangsläufig, daß er auch die Verantwortung dafür trägt, den Länder die für ihre Aufgabenwahrnehmung notwendigen finanziellen Mittel zu sichern. Daher bedarf es einer Finanzverfassung, die für eine aufgabenorientierte, vom örtlichen Steueraufkommen und der regionalen Wirtschaftskraft weitgehend unabhängige Finanzaufteilung sorgt. Der Befehl des Art. 107 Abs. 2 GG, die Finanzkraft der Länder „angemessen" auszugleichen, dient diesem Ziel: Eine Finanzverteilung, die es den oder einigen Ländern nicht erlaubte, unabhängig vom eigenen Steueraufkommen die ihnen obliegenden bundesstaatlich vorgegebenen und anderen Pflichtaufgaben (wie beispielsweise Schule und öffentliche Sicherheit) zu erfüllen, wäre schwerlich als „angemessen" zu bezeichnen. Das Niveau der Angleichung der Finanzkraft der Länder korrespondiert sinnvollerweise mit dem Grad der bundesstaatlichen und anderen Vorgaben für eine einheitliche Aufgabenerfüllung durch die Länder. Die Intensivierung des horizontalen Finanzausgleichs im Laufe der Jahre folgt in hohem Maße den aus bundesgesetzlichen Vorgaben begründeten Belastung der schwachen Länder.

  • Zum dritten konstituiert die funktionale Aufgabenteilung eine permanente Konfliktlinie zwischen Bund und Ländern um die Lasten- und Einnahmeverteilung im Bundesstaat. Die meisten Konflikte, die im Vermittlungsausschuß verhandelt werden, sind – auch wenn sie sich als parteipolitisch motiviert darstellen – im Regelfall eher Verteilungskonflikte zwischen Bund und Ländern. Nahezu mit jedem Bundesgesetz kommen neue Lasten auf die Länder (und ihre Gemeinden) zu. Die Länder sind hierbei oftmals in einer schwächeren Position. Für den Bund ist es relativ einfach, „Wohltaten" auf Kosten der Länder zu beschließen; eine Ablehnung im Bundesrat allein aus finanziellen Gründen ist schwer durchzuhalten. Ein Beispiel dafür war der bundesrechtlich begründete Rechtsanspruch aller Dreijährigen auf einen Kindergartenplatz. Der Definitionsmacht des Bundes können die Länder kaum etwas Vergleichbares entgegensetzen. Die Zustimmungspflichtigkeit im Bundesrat erweist sich oftmals als „stumpfes Schwert", insbesondere dann, wenn der Bundesgesetzgeber zur Umsetzung europäischer Richtlinien verpflichtet ist. Geht es um Verordnungen der EU, die von den Ländern ausgeführt und finanziert werden, haben sie nicht einmal ein formales Mitspracherecht.

  • Zum vierten rechtfertigt sich aus der funktionalen Aufgabenteilung die Mitwirkung der Landesregierungen an der Bundesgesetzgebung. Aus dem Umstand, daß der Bundesgesetzgeber Gesetze zu Lasten der Länder beschließen kann und in den Ländern die Exekutive für die Umsetzung der Bundesgesetze zuständig ist, legitimiert sich die Mitwirkung der Landesregierungen an der Bundesgesetzgebung.

Die funktionale Aufgabenverteilung im deutschen Bundesstaat führt zu einer weitgehend einheitlichen staatlichen Aufgabenwahrnehmung, erfordert eine hochgradige Angleichung der Finanzkraft der Länder, konstituiert eine permanente Konfliktlinie zwischen dem Bund als dem Veranlasser von Aufgaben und den Ländern als Ausführenden und verlangt die Mitwirkung der Landesregierungen an der Bundesgesetzgebung. Das Herausbrechen eines Elements aus diesem Viereck würde die Funktionsfähigkeit des Systems gravierend einschränken. Deshalb sind Veränderungsvorschläge, die – mit oftmals guten Gründen – einen Punkt verändern wollen, aber die Folgewirkungen auf die übrigen Teile des Systems vernachlässigen, wenig überzeugend.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2000

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