FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:



Das Problem

Am 17. Dezember 1998 haben sich Bundeskanzler Gerhard Schröder und die Ministerpräsidenten der sechzehn Bundesländer darauf verständigt, eine Regierungskommission von Bund und Ländern einzurichten, die sich mit der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, insbesondere mit der Frage der Neuordnung der Aufgabenverteilung und Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern befassen wird. Die Ergebnisse der Arbeit dieser Regierungskommission dienen als Grundlage für die Arbeit einer anschließend einzusetzenden Kommission von Bundestag und Bundesrat, die konkrete Vorschläge für den Gesetzgeber erarbeiten soll. Mit diesem Beschluß sind die Weichen in Richtung einer Reform der Finanzverfassung gestellt, die mit dem Auslaufen der Solidarpaktvereinbarungen zum Jahreswechsel 2004/2005 in Kraft treten. Bereits im Frühjahr 1999 werden Gespräche zwischen Bund und Ländern zur Vorbereitung der Arbeit der Regierungskommission stattfinden.

Nach Jahren politisch ergebnisloser akademischer Diskussion und unerfüllten Reformforderungen beispielsweise der Landtagspräsidenten und der damals westdeutschen Ministerpräsidenten aus Anlaß der deutschen Einheit, hat sich nach den Reformen der 60er Jahre erstmals wieder eine Bundesregierung dieses Themas angenommen und durch die Bestellung einer Kommission einen konkreten Anstoß zur Bundesstaatsreform gegeben. Der deutlich werdende politische Wille gibt Anlaß zu der Hoffnung, daß nach Jahren der Stagnation nunmehr die reale Aussicht einer Weiterentwicklung der bundesstaatlichen Ordnung und deren Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen erfolgen kann.

Wenn auch einerseits ein geradezu überraschender Konsens über die Notwendigkeit einer Bundesstaatsreform besteht, kann aber andererseits nicht übersehen werden, daß über die Ziele erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestehen.

Zur Debatte gestellt wurde weit mehr als eine bloße „Anpassung" der Finanzverfassung und des Finanzausgleichs. Es geht auch um die Frage der möglichen Umsetzung eines Paradigmenwechsels im bundesdeutschen Föderalismus, mit dem die historisch begründete unitarisch und konkordanzdemokratisch ausgerichtete deutsche Föderalismusvariante in Richtung einer konkurrenzföderalen verändert werden soll.

Die Aussichten eines solchen Paradigmenwechsels sollen in den folgenden Ausführungen diskutiert werden. Es geht hier nicht um abstrakte Modelle oder die modelltheoretisch optimale Allokation öffentlicher Ressourcen in einem imaginären Bundesstaat. Es geht vielmehr um die Probleme der bundesstaatlichen Ordnung und der Finanzverfassung in einem konkreten Staat – der Bundesrepublik Deutschland in einem sich vereinenden Europa – zu einem bestimmten Zeitpunkt – ein Jahrzehnt nach dem Fall der Mauer und der Wiederherstellung der deutschen Einheit –, der über bestimmte politische Strukturen wie beispielsweise ein seit dem Ende des zweiten Drittels des 19. Jahrhunderts im wesentlichen gesamtstaatlich ausgerichtetes Parteiensystem sowie eine historisch gewachsene und weitgehend akzeptierte Verwaltungsstruktur verfügt. Es geht um eine möglichst effiziente Zuordnung von öffentlichen Aufgaben und Ressourcen in diesem Staat, um die dauerhafte Sicherstellung der Wahrnehmung der öffentlichen Aufgaben durch alle zuständigen Gebietskörperschaften und die Legitimität oder die politische Akzeptanz der in Rede stehenden Ordnung. Letzteres verlangt bei Umverteilungsmaßnahmen im Grundsatz, daß beide betroffenen Seiten, die gebenden wie die nehmenden Gebietskörperschaften, den Vereinbarungen zustimmen können. Politische Stabilität kann in diesem Fall kaum durch Mehrheitsentscheidungen, sondern nur durch breite Übereinstimmung hergestellt werden.

Dazu wird im folgenden – erstens – kurz über einige historische Aspekte der Finanzverfassung und ihre Funktionslogik referiert werden, anschließend – zweitens – werden Leistungen und Defizite des Systems bewertet, und – drittens – begründet, warum ein grundlegender Paradigmenwechsel wahrscheinlich nicht stattfinden wird, sondern eine begrenzte Anpassung der bundesstaatlichen Steuergesetzgebungs- und Finanzordnung an veränderte Rahmenbedingungen wahrscheinlich erscheint.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2000

Previous Page TOC Next Page