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TEILDOKUMENT:


[Essentials]

  • Die funktionale Aufgabenverteilung im deutschen Bundesstaat führt zu einer weitgehend einheitlichen staatlichen Aufgabenwahrnehmung, erfordert eine Angleichung der Finanzkraft der Länder, konstituiert eine permanente Konfliktlinie zwischen dem Bund als dem Veranlasser von Aufgaben und den Ländern als Ausführenden und verlangt die Mitwirkung der Landesregierungen an der Bundesgesetzgebung.

  • Das Herausbrechen eines Elements aus diesem Viereck würde die Funktionsfähigkeit des Systems gravierend einschränken. Deshalb sind Veränderungsvorschläge, die einen Punkt verändern wollen, aber die Folgewirkungen auf die übrigen Teile des Systems vernachlässigen, wenig überzeugend.

  • Durch die Instrumente der Finanzverfassung wurde verhindert, daß schwache Regionen wirklich arm und von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt wurden. Auch beim Aufbau der neuen Länder haben sie sich im wesentlichen bewährt. Die politische Stabilität der Bundesrepublik ist u.a. auf diese Leistungsfähigkeit der Finanzverfassung zurückzuführen.

  • Das System entwickelt jedoch aus ökonomischer Sicht falsche Anreize. Es erlaubt dem Bund, seine politischen Ziele auf Kosten der Länder zu verfolgen, die Umsatzsteuerverteilung nach dem Deckungsquotenverfahren prämiert das Schuldenmachen, die Abschöpfungs- und Auffüllungsquoten im horizontalen Ausgleich bieten wenig Anlaß, sich um eine Erhöhung der Steuererträge zu bemühen.

  • Im Verhältnis der Länder untereinander bestehen insbesondere für die schwächeren Länder Anreize zum "Trittbrettfahren". Der Modernisierungsdruck ist für kleine Länder, deren Finanzkraft in erster Linie von ihrer Stellung im Finanzausgleichssystem abhängt, geringer als in anderen Ländern.

  • Die Konfliktlinien mit dem Bund, die vertikalen Ressortinteressen und die gemeinsamen Interessen der Länder auf der europäischen Ebene setzen einem Wettbewerb unter den Ländern Grenzen. Für die Länder ist es rational, sich gegen den Bund zusammenzuschließen, d.h. den Wettbewerb untereinander zu beschränken.

  • Wettbewerbsfeindlich ist auch die Praxis der vertikalen Politikkoordinierung durch die „Fachbruderschaften" der Einzelressorts. Sie führt zu einer weitgehend vereinheitlichen Politikgestaltung. Die Einzelressorts gewinnen an Gewicht, wenn sie sich mit Unterstützung des Bundes auf ein gemeinsames politisches Programm verständigen. Die politische Koordinierung unter den „Fachbrüdern" behindert regional differenzierte Problemlösungen, und die Konkurrenz in den Kabinetten begrenzt den Wettbewerb unter den Ländern.

  • Eine Finanzreform mit dem Ziel, die Länder zu revitalisieren, mehr Unterschiedlichkeit zu erlauben und politische Entscheidungen zu dezentralisieren, kann nicht bei den Finanzen, sondern muß bei der Aufgabenverteilung beginnen. Die Ausgabenverantwortung folgt den Aufgaben.

  • Wenn Vielfalt eine föderale Tugend ist und es sinnvoll ist, auf regional unterschiedliche Präferenzen einzugehen, dann bedürfen in einem Europa ohne Grenzen Vorstellungen von Einheitlichkeit, die im geschlossenen Nationalstaat selbstverständlich waren, der Rechtfertigung (z.B. bundeseinheitliches Ladenschlußgesetz).

  • Bei einer Reform ist zunächst zu definieren, welche Aufgaben im Hinblick auf das Sozialstaatsgebot bundeseinheitlich wahrzunehmen und zu finanzieren sind und welche nicht. Über sozialstaatlich begründete bundeseinheitliche Regelungen hinaus könnte den Länder der übrige Raum für differenzierte Aufgabenwahrnehmung, unterschiedliche Lösungen und damit auch mehr Wettbewerb verbleiben.

  • Die Länder wehren sich verstärkt gegen vom Bund oktroyierte Lasten. Als Konfliktlösungsstrategie bieten sich reduzierte bundesgesetzliche Vorgaben und ein vergrößerter Gestaltungsspielraum der Landtage bei der Definition des Ausmaßes staatlicher Aufgabenwahrnehmung oder bei der Bemessung staatlicher Leistungen an.

  • Mehr Dezentralität, mehr Kompetenzen und Verantwortung für die Länder, Zurückhaltung des Bundesgesetzgebers („federal self-restraint") und mehr bürgernahe regionale Differenzierung sind ohne Umkehrung bisheriger Verfassungsprinzipien möglich, erfordern aber eine andere Politik. Wer in Europa Subsidiarität fordert, sollte sie zu Hause praktizieren.

  • Ein begrenztes Besteuerungsrecht der Länder (regional differenzierte Kfz-Steuer, Steuer auf die regionale Wertschöpfung) ist denkbar, aber angesichts erwünschter Steuerharmonisierung innerhalb der EU schwer umzusetzen; die wichtigen Steuern eignen sich kaum für eine Regionalisierung. Wegen der Zerlegungsproblematik sind landesgesetzlich geregelte Hebesätze bei der Einkommen-, vor allem aber bei der Körperschaftsteuer problematisch.

  • Beim horizontalen Finanzausgleich läßt die rechtliche und faktische Bindung der Landeshaushalte materiell wenig Bewegung zu. Die Technik läßt sich vereinfachen; andere Verteilungsschlüssel für die Sozialhilfe und die Geldleistungsgesetze (Wohngeld, BaföG usw.) mit regelmäßiger Bundesbeteiligung statt der jetzigen Einzelfallregelung sind zu bedenken sowie eine Berücksichtigung der Sozialhilfeaufwendungen im Länderfinanzausgleich.

  • Wer heute einen grundlegenden verfassungspolitischen Paradigmenwechsel hin zum Konkurrenzföderalismus verlangt, eine andere Aufgabenverteilung und eine andere Finanzverfassung wünscht, der muß darlegen, wie damit den Herausforderungen der deutschen Einheit und der europäischen Integration Rechnung getragen wird. An überzeugenden Alternativen zum bestehenden Modell fehlt es bisher.

Auf einen Blick

Aufgrund der Vereinbarung des Bundeskanzlers und der Ministerpräsidenten der Länder vom 17.12.1998 werden in den kommenden Jahren die Aufgabenverteilung und die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern grundlegend überprüft werden. Damit sind die Weichen für eine Finanzreform nach dem Auslaufen der Solidarpaktvereinbarungen zum Ende des Jahres 2004 gestellt.

Eine „Finanzreform 2005" wird wahrscheinlich keinen Paradigmawechsel vom konsensorientierten zum Wettbewerbsföderalismus beinhalten, sondern eher eine Anpassung des bestehenden Systems an veränderte Bedingungen in der Bundesrepublik Deutschland in einem sich weiter zusammenschließenden Europa.

Der deutsche Föderalismus ist seit seinem Entstehen 1866/71 auf Kooperation und Konsens hin angelegt. Diese Grundanlage wurde vom Grundgesetz 1949 bestätigt und weiterentwickelt. Dem Modell entspricht die weitgehende institutionelle Trennung von Normierung und Vollzug staatlicher Aufgaben: die (innenpolitischen) Gesetzgebungszuständigkeiten wurden weitgehend auf den Bund übertragen, der Vollzug und damit auch die Finanzierung weitestgehend bei den Ländern belassen.

Diese Form der „funktionalen Aufgabenteilung" erfordert eine Finanzverfassung, die alle Glieder des Bundesstaates in die Lage versetzt, die „ihnen obliegenden Aufgaben" zu erfüllen. Erreicht wird dieses Ziel durch eine weitestgehend bundeseinheitliche Steuergesetzgebung, den Steuerverbund und den horizontalen Finanzausgleich bis nahe an das Nivellierungsverbot.

Kritisiert werden an dem System falsche ökonomische Anreize; die Verfestigung bestehender Strukturen zwischen „armen" und „reichen" Ländern sowie die ungleiche Verteilung bundesgesetzlich definierter Lasten zum Nachteil der finanzschwachen Länder.

Das als Alternative empfohlene Modell eines Wettbewerbsföderalismus kann nicht überzeugen, denn es verkennt die jetzt bereits bestehenden Konflikt- und Konkurrenzlagen, mit denen sich die Länder konfrontiert sehen. Es übersieht die politischen Strukturen der Bundesrepublik mit einem seit dem 19. Jahrhundert im wesentlichen gesamtstaatlich ausgerichteten Parteiensystem.

Die vielfach geforderte Abkehr vom Prinzip der Aufgabenteilung und seine Ersetzung durch „institutionelle Kongruenz" – Normierung, Vollzug und Finanzierung in einer Hand – hätte erhebliche Folgen: Würde der Bund den Vollzug der Bundesgesetze übernehmen, müßte eine umfangreiche Bundesverwaltung aufgebaut werden oder die Länder würden auf bloße weisungsgebundene Vollzugsorgane des Bundes reduziert. Diese Lösung wäre gleichbedeutend mit dem Ende des Föderalismus in Deutschland. Bekommen die Länder die Gesetzgebungszuständigkeiten für die Bereiche, deren Vollzug ihnen obliegt, werden auch wünschenswerte Vereinheitlichungen – vom Strafgesetzbuch bis zur Straßenverkehrsordnung – in Frage gestellt.

Ein Trennsystem bei der Steuerverteilung würde die (relativ) gleichmäßige Steuerentwicklung bei Bund und Ländern beenden. Auf Lastenverschiebungen zwischen Bund und Länder könnte nicht mehr mit einer Änderung der Umsatzsteueraufteilung reagiert werden, sondern es wären Eingriffe in die Steuergesetzgebung erforderlich.

Änderungsmöglichkeiten und -bedarf in der bestehenden Steuer- und Finanzordnung bestehen in folgenden Bereichen:

  • In begrenzter Form bei der Steuergesetzgebungskompetenz, soweit mit Bestrebungen zur Steuerharmonisierung in der EU vereinbar;

  • bei der horizontalen Verteilung ungleich streuender Lasten (insbesondere der Sozialhilfe);

  • bei den Mischfinanzierungen, die reduziert und vereinfacht werden könnten.

Eine realistischere Strategie für eine Modernisierung des deutschen Bundesstaates als eine fragwürdige Fundamentalreform wäre mehr Zurückhaltung des Bundes bei der Ausschöpfung seiner Gesetzgebungskompetenzen. Aufgrund der Ebbe in den öffentlichen Kassen hat die Konfliktträchtigkeit von Finanzierungsfragen bei der Verabschiedung von Bundesgesetzen erheblich zugenommen. Daran wird sich in absehbarer Zukunft nichts ändern. Als Konfliktlösungsstrategie bietet sich an, daß der Bundesgesetzgeber den Ländern – und damit den Landtagen – mehr Spielräume bei der staatlichen Aufgabenwahrnehmung und Leistungserfüllung überläßt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2000

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